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3. Dezember: Internationaler Tag der Menschen mit Behinderung

Redaktion

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Fast jeder zehnte Mensch in Deutschland hat eine schwere Behinderung. Noch immer gibt es Defizite bei der gleichberechtigten Teilhabe.

Ein elektronischer Anzeiger der Dynamischen Fahrgast-Information, DyFa, der Rheinbahn in Düsseldorf. Bei einem Knopfdruck werden die Infos zu den zeitnah ankommenden Linien vorgelesen. Der Knopf ist mit Blindenschrift markiert. (© picture-alliance, Fotostand | Fotostand / Grosshanten)

Im Jahr 2019 lebten nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Deutschland insgesamt 10,4 Millionen Menschen mit einer Behinderung. 7,9 Millionen Menschen darunter, also fast ein Zehntel der Gesamtbevölkerung, waren schwerbehindert. Als schwerbehindert gelten Personen, denen die Versorgungsämter einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent zuerkannt haben. Die meisten von ihnen haben körperliche Beeinträchtigungen. 4,5 Millionen Personen, also mehr als die Hälfte aller Menschen mit Schwerbehinderung, waren 65 Jahre oder Externer Link: älter.

Der 1992 von den Interner Link: Vereinten Nationen ausgerufene internationale Tag der Menschen mit Behinderung soll jedes Jahr am 3. Dezember weltweit das Bewusstsein für die Belange der Menschen mit Behinderungen schärfen und den Einsatz für ihre Würde und Rechte fördern. In diesem Jahr steht der Tag unter dem Motto: "Führung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen hin zu einer inklusiven, barrierefreien und nachhaltigen Welt nach COVID-19."

Mehr als eine Milliarde Menschen mit Behinderung

Externer Link: Weltweit haben laut WHO mehr als eine Milliarde Frauen und Männer eine Behinderung – das sind gut 15 Prozent der Weltbevölkerung. Schätzungen zufolge leben vier von fünf Betroffenen in einem sogenannten Interner Link: Entwicklungsland. Viele körperliche Beeinträchtigungen gehen auf ärmliche Lebensverhältnisse zurück. So gelten laut Bundesentwicklungsministerium beispielsweise drei Viertel der weltweiten Fälle von Blindheit als vermeidbar, weil sie etwa durch behandelbare Augeninfektionen oder Vitamin-A-Mangel verursacht werden.

In Deutschland setzen sich verschiedene Institutionen und Verbände seit Jahren für mehr Teilhabe und Inklusion Behinderter ein, wie etwa der Deutsche Behindertenrat, die Sozialhelden e.V. oder der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen.

Recht auf inklusive Bildung in Deutschland verletzt

Mehr als ein Jahrzehnt nach Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention sehen nicht nur Interessenverbände noch teils erhebliche Defizite bei der Externer Link: gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben. "In vielen politischen Bereichen ist der Paradigmenwechsel von der Politik der Fürsorge zur Politik der Inklusion und Selbstbestimmung immer noch nicht vollständig vollzogen", stellte das Institut für Menschenrechte im Oktober 2021 fest. Defizite gibt es etwa bei der Integration auf dem Interner Link: ersten Arbeitsmarkt sowie der Umsetzung der Inklusion im Bildungsbereich, also dem Recht, dass Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichtet werden.

Der Anteil der Schülerinnen und Schüler an Regelschulen unterscheidet sich in den verschiedenen Bundesländern und ist in Bremen mit Abstand am höchsten. Dort besuchte zuletzt nur mehr gut jeder hundertste Schüler ein Förderzentrum. Hohe Inklusionsquoten weisen auch Hamburg, Berlin und Schleswig-Holstein auf. Hoch ist die Exklusionsquote, also der Anteil der Förderschülerinnen und -schüler unter allen Schülern, dagegen in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen.

In Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz stieg die Exklusionsquote trotz UN-BRK laut Externer Link: Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2008/2009 bis 2018/2019 sogar noch an. In Bayern besuchten zuletzt fast drei von vier Schülerinnen und Schülern mit festgestelltem Förderbedarf ein Förderzentrum. Die Bertelsmann-Stiftung prognostiziert anhand der Berechnungen der 16 Bundesländer, dass die Inklusionsquote bundesweit in den kommenden Jahren in etwa gleichbleiben wird. Und das, obwohl die UN-BRK vorschreibt, inklusive Angebote und die Integration sonderpädagogischer Förderung in der "Regelschule" auszubauen und Sonder- und Förderschulen möglichst zu schließen.

Dabei hat die Inklusion der Bertelsmann-Stiftung zufolge Vorteile für die Kinder. "Schüler mit Förderbedarf lernen tendenziell besser in inklusiven Klassen, als dies in Förderschulen der Fall ist", fasst die Stiftung zusammen. Gleichzeitig hätten auch die Schülerinnen und Schüler ohne Förderbedarf im fachlichen Lernen keine Nachteile und würden in anderen Lernbereichen vom gemeinsamen Lernen profitieren. In Förderschulen gelingt es Kindern mit Förderbedarf demnach seltener den Hauptschulabschluss zu erzielen als in Regelschulen.

Ob die Inklusion an Regelschulen funktioniert, hängt Experten und Expertinnen zufolge stark davon ab, ob die nötigen Rahmenvoraussetzungen geschaffen werden. Lehrerverbände forderten deshalb zuletzt immer wieder kleinere Klassen, mehr Sonderpädagoginnen und -pädagogen und eine bessere Lehrerausbildung damit Inklusion funktionieren kann.

Diskussion um Mindestlohn in Werkstätten

Bei der Integration von Frauen und Männern mit Handicap auf dem Interner Link: Arbeitsmarkt tut sich die Bundesrepublik ebenfalls schwer. Während 2019 etwa 82 Prozent der 15- bis 64-jährigen ohne Behinderung einer Erwerbstätigkeit nachgingen, waren es unter Menschen mit Behinderung nur knapp Externer Link: 57 Prozent. Eine wichtige Ursache: Mit 16 Prozent hatten unter den Behinderten im Alter von 25 bis 44 Jahren 2019 viermal so viele keinen allgemeinen Schulabschluss wie nichtbehinderte Menschen.

Mehr als 320.000 Menschen mit Behinderung arbeiten zudem in speziellen Werkstätten – also abgekoppelt vom ersten Arbeitsmarkt. Die dortigen Beschäftigten sind nach derzeitiger Gesetzeslage keine regulären Arbeitnehmerinnen und -nehmer. Sie dürfen nicht streiken und sind vom Mindestlohn ausgeschlossen. Mehrfach gab es in den vergangenen Jahren Forderungen, den Mindestlohn auch in Behindertenwerkstätten einzuführen. Eine entsprechende Petition von Lukas Krämer, einem 27-jährigen Youtuber mit geistiger Behinderung, haben bereits fast 140.000 Menschen unterzeichnet. Krämer verweist unter anderem auf Milliardenumsätze der Werkstätten. Viele Werkstattbetreiber lehnen eine Lohnuntergrenze jedoch als nicht finanzierbar ab. Die Beschäftigtenvertretung "Werkstatträte Deutschlands" kritisiert zwar die schlechte Bezahlung der Werkstattbeschäftigten ebenfalls, fürchtet jedoch durch Einführung eines Mindestlohns "den Verlust wichtiger Schutzrechte" wie die Arbeitsplatzgarantie. Sie fordert stattdessen ein sogenanntes Externer Link: Basisgeld, das bei 70 Prozent des deutschen durchschnittlichen Nettoentgelts liegt.

Ende 2016 verabschiedete der Bundestag das Bundesteilhabegesetz. Es soll die Teilhabe am Arbeitsleben und die Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen stärken – etwa durch verstärkte Eingliederungshilfe. Mit einem Budget für Arbeit will der Staat den Einstieg in reguläre Betriebe erleichtern. Arbeitgeberinnen und -geber können sich so unter anderem einen großen Teil des Gehalts für Mitarbeiter mit Behinderung erstatten lassen. In den ersten eineinhalb Jahren wurde es jedoch nur sehr wenig in Anspruch genommen. Zuletzt erschwerte die Corona-Pandemie den Übergang von den Werkstätten in den ersten Arbeitsmarkt.

Inklusives Wahlrecht - mehr politische Mitbestimmung

Für einen großen Schritt in Richtung politische Inklusion sorgte das Bundesverfassungsgericht 2019 mit der Entscheidung, dass Menschen, die in allen Angelegenheiten betreut werden, nicht länger pauschal von Bundestags- und Europawahlen ausgeschlossen werden dürfen. Gleiches gilt seither für Straftäterinnen und Straftäter, die wegen Schuldunfähigkeit in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht sind. Die Richter urteilten, bestimmte Gruppen vom Wahlrecht auszuschließen, verstoße gegen das Grundgesetz. Nach dem Urteil beschloss der Bundestag die Externer Link: Einführung eines Interner Link: inklusiven Wahlrechts. Betroffen von dem Urteil waren hierzulande mehr als 80.000 Menschen, für die ein Gericht eine Betreuerin oder einen Betreuer in allen Lebensbereichen bestellt hat. Sie durften bei der Europawahl 2019 und in diesem Jahr bei der Bundestagswahl erstmals ihre Stimme abgeben.

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