Ein Jahr „Zeitenwende“: Wandel in der Verteidigungspolitik? | Hintergrund aktuell | bpb.de
Ein Jahr „Zeitenwende“: Wandel in der Verteidigungspolitik?
Interview
Thomas Wiegold
/ 9 Minuten zu lesen
Link kopieren
Der russische Angriff auf die Ukraine sollte auch für die Bundeswehr eine „Zeitenwende“ sein: mehr Geld, bessere Ausrüstung, schnellere Einsatzbereitschaft. Hat das geklappt? Ein Interview mit dem Fachjournalisten Thomas Wiegold.
HintergrundWas ist die „Zeitenwende“?
Der Begriff wurde durch deutsche Politikerinnen und Politiker im Zusammenhang mit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 geprägt. Er bezeichnet einerseits die Wahrnehmung, dass der Krieg eine Interner Link: Zäsur für die europäische Friedensordnung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs darstellt. Andererseits steht er für einen angekündigten Wandel in der deutschen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
„Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. […] Mit dem Überfall auf die Ukraine will [der russische Präsident] Putin nicht nur ein unabhängiges Land von der Weltkarte tilgen. Er zertrümmert die europäische Sicherheitsordnung, wie sie seit der Schlussakte von Helsinki fast ein halbes Jahrhundert Bestand hatte. […] Angesichts der Zeitenwende, die Putins Aggression bedeutet, lautet unser Maßstab: Was für die Sicherung des Friedens in Europa gebraucht wird, das wird getan. Deutschland wird dazu seinen solidarischen Beitrag leisten. Das heute klar und unmissverständlich festzuhalten, reicht aber nicht aus; denn dafür braucht die Bundeswehr neue, starke Fähigkeiten. […] Klar ist: Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen. Das ist eine große nationale Kraftanstrengung. Das Ziel ist eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt.“
In seiner Regierungserklärung kündigte Scholz das sogenannte Interner Link: Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro an, mit dem die Ausstattung Bundeswehr verbessert werden sollte. Neben der Ausrichtung und Ausstattung der Bundeswehr werden unter dem Begriff der „Zeitenwende“ auch die Interner Link: Neuausrichtung der deutschen Energiepolitik, der Wandel im außenpolitischen und wirtschaftlichen Verhältnis zu Russland und die zukünftige Gestaltung einer europäischen Sicherheitsarchitektur sowie Deutschlands Rolle dabei diskutiert.
bpb.de: Ein Jahr ist seit der Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz vergangen. Wo sind dem bislang Taten gefolgt?
Thomas Wiegold: Es gab etliche Ankündigungen auf Veränderungen in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Deutschlands. Dies betrifft insbesondere eine bessere Ausstattung der Bundeswehr. Die formalen Voraussetzungen dafür sind geschaffen worden und es ist Interner Link: das sogenannte Sondervermögen eingerichtet worden. Auch hat es die ersten Beschlussfassungen gegeben, was aus diesem Sondervermögen beschafft werden soll. Praktisch hat sich aber – bis auf die Abgabe von militärischem Gerät an die Ukraine – innerhalb dieses einen Jahres nichts geändert. Es ist bislang sehr wenig bestellt worden und aus dem Sondervermögen ist eigentlich noch nichts bei der Truppe angekommen.
Was wurde bestellt?
Verglichen mit dem Sondervermögen wurde in sehr geringen Umfängen bestellt. Konkret bestellt worden sind bisher ein Teil der persönlichen Ausrüstung und Ausstattung für Soldaten wie zum Beispiel Schutzwesten und Helme sowie moderne digitale Funkgeräte und ein paar luftverlegbare Feldlazarette. Aber das war's. Die großen Posten wie neue Flugzeuge, neue Hubschrauber, neue Kriegsschiffe oder auch neue Schützenpanzer sind noch nicht in Aussicht. Das ist zwar in der Planung, aber konkrete Verträge gibt es noch nicht.
Zitat
Bei der Truppe ist aus dem Sondervermögen noch nichts angekommen.
Ab wann ist mit Lieferungen von größerem Gerät zu rechnen?
Dieses Gerät wird in circa drei, vier und mehr Jahren ankommen. Das hat auch damit zu tun, dass es großes Gerät wie etwa neue Flugzeuge oder neue Hubschrauber umfasst. Diese müssen angefertigt werden und das dauert. Das sind Produktionsprozesse, die sich über Jahre hinziehen. Als ein Beispiel: Im Dezember 2022 hat der Haushaltsausschuss des Bundestags der Bestellung von F-35-Kampfjets aus US-Produktion zugestimmt. Bis der erste Flieger davon bei der Luftwaffe in Deutschland ankommen wird, wird es laut aktueller Planung 2027 sein.
Reicht das Sondervermögen aus?
Dieses Sondervermögen umfasst formal 100 Milliarden Euro. Faktisch wird es deutlich weniger sein, weil Zinsen abgerechnet werden müssen. Das Sondervermögen wird aus gesonderten Kreditaufnahmen finanziert – und natürlich hat die Inflation in diesem und letzten Jahr dazu geführt, dass mit dem verfügbaren Geld weniger Material beschafft werden kann.
Es gibt inzwischen Stimmen, die sagen, das Sondervermögen wird nicht ausreichen. Die Bundeswehr brauche nicht nur das Sondervermögen. Sie brauche vor allem einen steigenden Verteidigungshaushalt, um die laufenden Kosten abdecken zu können. Zumal das Sondervermögen ausschließlich dafür gedacht ist, neues Gerät zu beschaffen. Aber viele Punkte auf der Liste, die über das Sondervermögen bestellt werden sollen, standen da schon vor Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Zudem benötigt die Bundeswehr den überwiegenden Teil ihres Budgets nicht für die Neubeschaffung, sondern um das vorhandene Gerät zu betreiben. Die sogenannten Betriebskosten steigen weiter, weil zum Beispiel Sprit immer teurer wird und weil, ausgelöst durch den Krieg in der Ukraine, viel mehr geübt wird.
Nur als ein Beispiel: Die Personalausgaben für die aktive Truppe und für Pensionen machen gut 40 Prozent des Verteidigungshaushalts aus. Und diese Kosten steigen mit jeder Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei seiner Rede zur Zeitenwende nicht nur das Sondervermögen angekündigt, sondern auch dauerhaft zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben ausgeben zu wollen. Das bedeutet, dass der Verteidigungshaushalt unabhängig vom Sondervermögen drastisch steigen müsste, um solche zu erwartenden Kostensteigerungen aufzufangen und gleichzeitig Investitionen in Ausstattung und Gerät zu ermöglichen.
Wo sehen Sie die aktuell größten Defizite bei der Bundeswehr?
Die Bundeswehr hat drei parallele Probleme. Das eine Problem ist, dass zu wenig Gerät da und dieses teilweise veraltet ist – eine Folge der Verkleinerung der Bundeswehr, die bis vor etwa zehn Jahren anhielt. Es war immer weniger Personal und Material da. Und selbst die aktuellen Einheiten haben zum überwiegenden Teil nicht die komplette Ausstattung, die sie haben müssten. Also konkret heißt das: Ein Panzerbataillon hat maximal 70 Prozent der Kampfpanzer, die es eigentlich nach der Planung haben müsste. Selbst diese 70 Prozent sind nicht alle einsatzbereit. Es fehlt an vielen Ausstattungs- und Ersatzteilen, sodass Einheiten gezwungen sind, sich zum Beispiel für ihre Einsätze im Rahmen von NATO-Verpflichtungen Fahrzeuge bei anderen Bundeswehreinheiten zu borgen. Das ist die materielle Seite.
Was sind die weiteren Probleme?
Die Bundeswehr hat personelle Probleme. Sie will wachsen, findet aber nicht genügend Freiwillige, die kommen und bleiben. Und das dritte ist ein teilweise selbstgemachtes Problem. Die ganzen Verfahren und Prozesse, um neues Gerät zu beschaffen, sind sehr kompliziert, sehr langwierig, sehr bürokratisch. Wenn eine Entscheidung für die Beschaffung getroffen wird und das Geld dafür bewilligt ist, dauert es immer noch relativ lange, bis das Gerät auch bei der Truppe ankommt. Das liegt auch an Vorgaben der EU für Vergabeverfahren, bei denen es keinen Unterschied macht, ob der Neubau eines Autobahnteilstücks oder die Beschaffung von Panzern ausgeschrieben wird. Das dauert alles zu lange. Diese Verfahren haben sich auch im zurückliegenden Jahr nicht wirklich verändert.
Wie hat sich die Zeitenwende generell auf die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte ausgewirkt?
Materiell wie gesagt relativ wenig. Was sich aber bereits geändert hat, ist die Haltung und die Erwartungen an die persönliche Flexibilität der Soldatinnen und Soldaten. Bislang wussten diese planbar, wann sie in den nächsten Auslandseinsatz gehen werden. Das hat sich jetzt geändert: Durch den russischen Krieg gegen die Ukraine haben wir Einheiten, die innerhalb weniger Tage bereit sein müssen, Interner Link: an die NATO-Ostflanke abkommandiert zu werden. Es gibt den schönen Begriff der Kaltstartfähigkeit, also dass die Bundeswehr aus dem aktuellen Stand und ohne große Vorbereitung in der Lage sein soll, in einen Einsatz zu gehen. Davon ist sie noch ein ganzes Stück entfernt. Hier hat die Zeitenwende noch viel zu wenig Erfolg gehabt.
Zitat
Von einer Kaltstartfähigkeit ist die Bundeswehr noch ein ganzes Stück entfernt.
Haben die Waffenlieferungen an die Ukraine einen Einfluss auf die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr?
Die Bundeswehr, die ohnehin schon Materialprobleme hatte seit Jahren, hat gerade von wichtigem Material etwas an die Ukraine abgeben müssen. Dazu gehören etwa Panzerhaubitzen, Schützenpanzer „Marder“ und jetzt kommen Kampfpanzer „Leopard 2“ hinzu. Das sind Fahrzeuge, die bei der Bundeswehr ohnehin einen knappen Bestand haben. Von diesem knappen Bestand muss etwas abgegeben werden.
Gleichzeitig, und das wird von allen beklagt, wurde dieses Material bislang noch nicht nachbestellt. Schon im vergangenen Jahr wurden 14 Panzerhaubitzen abgegeben. Da hätte man erwartet, es würden sofort neue Geschütze nachbestellt. Die Bundeswehr hat eine große Menge Artilleriemunition an die Ukraine geliefert. Diese ist auch noch nicht nachbestellt worden. Auch für die „Leopard 2“-Kampfpanzer stellt sich die gleiche Frage: Werden die jetzt nachbestellt, wenn sie abgegeben werden?
Es gibt Beispiele, da ist es anders gelaufen: So hat die Bundeswehr auch große Mengen Panzerfäuste an die Ukraine geliefert. Die wurden inzwischen nachbestellt. Da handelt es sich aber um relativ einfaches, relativ billiges und relativ kleines Gerät.
HintergrundDeutsche Waffenlieferungen in die Ukraine
Als Reaktion auf den russischen Angriff auf die Ukraine hat die Bundesregierung beschlossen, zur militärischen Unterstützung der Ukraine auch Waffen zu liefern. Was geliefert wird, veröffentlicht die Bundesregierung auf einer Externer Link: regelmäßig aktualisierten Liste. Zu den bislang gelieferten oder zugesagten größeren Waffensystemen (inkl. Munition) gehören (Stand: 21.02.2023):
37 Flugabwehrkanonenpanzer “Gepard”
14 Kampfpanzer „Leopard 2“
40 Schützenpanzer „Marder“
14 Panzerhaubitzen 2000
18 Radhaubitzen RCH 155
5 Mehrfachraketenwerfer „Mars II“
4 Luftverteidigungssysteme Iris-T SLM
1 Luftverteidigungssystem „Patriot“
Dazu kommen dutzende weitere Kettenfahrzeuge, hunderte geschützte und ungeschützte Fahrzeuge, Kleinwaffen wie Maschinengewehre, Panzer- und Luftabwehrwaffen, Sprengmittel, mehrere Millionen Schuss Munition, persönliche Ausstattung wie Jacken und Gefechtshelme, elektronische Geräte, Sanitätsmaterial und Ersatzteile.
Bis zum 21. Februar 2023 hat die Bunderegierung nach eigenen Angaben damit Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter in die Ukraine im Umfang von 2,56 Milliarden Euro erteilt. International lag Deutschland nach Externer Link: Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft bei den bis Mitte Januar 2023 zugesagten militärischen Unterstützungsleistungen (die auch die Finanzierung von Waffenkäufen umfasst) an vierter Stelle hinter den USA (22,9 Mrd. Euro), Großbritannien (4,1 Mrd. Euro) und Polen (2,4 Mrd. Euro). Zuletzt hat die Bundesregierung zusammen mit Dänemark und den Niederlanden die Externer Link: Lieferung von bis zu 178 Kampfpanzern „Leopard 1“ für die Ukraine angekündigt.
Kann die Rüstungsindustrie schnell auf neue Bedarfe reagieren?
Die Rüstungsindustrie ist kein normaler Markt. Es gibt eine begrenzte Anzahl an Firmen, die dort tätig sind. Genauso gibt es eine begrenzte Anzahl an Kunden, nämlich im Grunde genommen nur Staaten. Deswegen gab es auch nur begrenzte Produktionskapazitäten, weil der Bedarf in den vergangenen Jahren relativ gering war. Jetzt kommt die Bundeswehr demnächst wahrscheinlich und sagt: Wir brauchen Artilleriemunition. Und dann sagen die Herstellerfirmen: Könnt ihr gerne bestellen, aber stellt euch hinten an. Denn andere Staaten haben bereits nachbestellt. Es werden zwar neue Produktionskapazitäten aufgebaut. Allerdings, wenn man heute anfängt, eine neue Fabrik aufzubauen, dann ist diese nicht in drei Wochen produktionsbereit.
Wie ist die nationale Rüstungsproduktion in Deutschland aufgestellt?
Das große Problem ist, dass sich die deutsche Rüstungsindustrie über Jahrzehnte darauf eingestellt hat, in relativ geringer Stückzahl zu liefern – und die ganzen Produktionskapazitäten dieser niedrigen Nachfrage angepasst hat. Der Schützenpanzer „Marder“ wurde beispielsweise 1972 in Dienst gestellt und war im Kalten Krieg im Einsatz. Damals gab es über 3.000 dieser Panzer. Von dem Nachfolgemodell, dem Schützenpanzer „Puma“, sollen 350 Stück gebaut werden. Natürlich hat sich die Rüstungsindustrie dem angepasst und Produktionskapazitäten vorgehalten, die nicht auf eine Massenfertigung ausgelegt sind. Das ist nicht nur ein Problem in Deutschland, sondern in allen NATO-Ländern, die nicht auf den hohen Verbrauch an Waffen und Munition wie aktuell in der Ukraine eingestellt sind. Das gilt ganz besonders für die Munitionsproduktion. Die Ukraine verschießt von der gelieferten Munition aus dem Westen in diesem Krieg teilweise mehr als in NATO-Ländern über Jahre produziert wurde und nachproduziert werden kann.
Kann die Kapazität erhöht werden?
Die Überlegung gibt es, allerdings beißt sich da die Katze in den Schwanz. Die Industrie könnte die Produktion erhöhen, bräuchte dafür aber eine verlässliche Perspektive bei Bestellungen. Wirtschaftlich gesehen könnte sie die Produktionskapazitäten nicht erhöhen, so lange sie keine feste Zusage haben, dass mehr gekauft wird. Es gibt Gespräche zwischen dem Verteidigungsministerium und der Industrie, dies aufzulösen. Das ist aber auch nach einem Jahr noch nicht so richtig zu einem Ergebnis gekommen.
Bundeskanzler Scholz hat den Anspruch formuliert, dass Deutschland in Europa bald über die größte konventionelle Armee im Rahmen der NATO verfügen werde. Ist das ein realistisches Szenario?
Nein. Mit Blick auf Lücken bei Material und Personal läuft in Deutschland alles nur sehr zögerlich. Polen rüstet hingegen massiv auf und hat zum Beispiel Panzer und Haubitzen in großem Umfang in Südkorea bestellt. So wie die Entwicklung sich im Moment abzeichnet, wird demnächst die größte konventionelle Armee Europas im Rahmen der NATO eher in Polen sein als in Deutschland. Hier muss man hinzufügen: Bei konventionellen Armeen werden die USA, aber auch Frankreich und Großbritannien rausgerechnet, weil diese Länder über Atomwaffen verfügen.
Zitat
Eine Entwicklung, die über 20 Jahre nur in die Richtung kleiner und billiger ging, ist ziemlich schwierig zurückzudrehen.
Wie ist es zum aktuellen Zustand der Bundeswehr gekommen?
Das ist eine Folge der Entwicklungen seit dem Ende des Kalten Krieges. Ein Krieg in Mitteleuropa schien seitdem einfach nicht mehr vorstellbar. Alle gingen davon aus, dass insbesondere Deutschland von Freunden umzingelt ist. Aber auch, dass andere osteuropäische NATO-Länder nicht mehr in einen Krieg verwickelt sein würden. Die Bundeswehr wurde Interner Link: für Auslandseinsätze und das sogenannte internationale Krisenmanagement optimiert, aber eben nicht mehr für die Verteidigung von Deutschland oder des NATO-Bündnisgebietes.
Damit einher gingen Kürzungen in den Haushalten und in der Truppenstärke – sprich, die Bundeswehr wurde immer weiter verkleinert und Standorte geschlossen. Der Tiefpunkt war etwa 2011 oder 2012. Erst seit 2014, nach der russischen Annexion der Krim, änderte sich die Dynamik. Der Interner Link: Verteidigungshaushalt ist gestiegen, die Bundeswehr ein bisschen gewachsen, aber nicht so groß, wie sie eigentlich nach der Planung sein soll.
Und das Problem ist jetzt: Eine Entwicklung, die über 20 Jahre nur in die Richtung kleiner und billiger ging, ist ziemlich schwierig zurückzudrehen.
Wenn wir auf die Bündnisverpflichtungen von Deutschland schauen: Welche Rolle soll und kann Deutschland militärisch in Europa und der NATO spielen?
Die Erwartungen an Deutschland sind sehr hoch, denn Deutschland ist nach den USA das wirtschaftlich stärkste Land in der Interner Link: NATO. In Europa ist Deutschland auch bevölkerungsmäßig das größte Land mit über 80 Millionen Einwohnern. Das prägt natürlich die Erwartungen, die die NATO und insbesondere ihre osteuropäischen Mitglieder an Deutschland haben, die sagen: Ihr könnt nicht hinter Frankreich und Großbritannien zurückbleiben, sondern ihr müsst liefern.
Es gibt auch Zusagen der Bundesrepublik, was sie an Truppen für die NATO stellen kann und will, wenn nötig. Die NATO ändert da auch gerade ihre Struktur. In etwa zwei Jahren soll es das sogenannte „New Force Modell“ geben, nach dem deutlich mehr NATO-Truppen in höherer Bereitschaft stehen sollen. Das heißt, die Ansprüche und die Erwartung an Deutschland sind gewaltig. Deutschland strampelt sehr im Hinblick darauf, diese Erwartung erfüllen zu können.
Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine: Wie schätzen Sie die Bedrohungslage für die NATO und Europa ein?
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat gezeigt, dass Russland gewillt ist, politische Absichten in Bezug auf ein Nachbarland mit militärischer Gewalt durchzusetzen. Dies wurde bis zum Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 nicht geglaubt. Das hat sich geändert. Was die Bedrohung Europas angeht: Die Wahrnehmung Deutschlands ist hier weniger maßgeblich als die der Staaten im Osten Europas und im Osten der NATO – also insbesondere die der baltischen Staaten, Polens, aber auch Finnlands. Deswegen sind Finnland und Schweden nach langwährender Neutralität von sich aus auf die NATO zugekommen, um Mitglieder zu werden. Die Wahrnehmung ist da, dass Russland eine konventionelle Bedrohung ist.
Auch wenn Deutschland geografisch in zweiter Reihe liegt: Deutschland ist als größtes europäisches Land in der NATO gefordert, die Bündnisverteidigung mitzugestalten und aufrechtzuerhalten.
Das Gespräch wurde am 9. Februar 2023 von Kathrin Linßen für bpb.de geführt.
Deutschland will angesichts der russischen Bedrohung deutlich mehr Geld in seine Verteidigung investieren. Dazu plant die Bundesregierung die Einrichtung eines Sondervermögens.
Kalter Krieg, Auslandseinsätze, Zeitenwende: Seit 1955 besteht die Bundeswehr. Das Dossier beleuchtet ihre Geschichte sowie Grundlagen und aktuelle Entwicklungen deutscher Verteidigungspolitik.
Seit dem 24. Februar 2022 führt Russland einen Krieg gegen die gesamte Ukraine. Hier finden Sie fortlaufend ergänzt ausgewählte Angebote der bpb zum Thema.
Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine stellt sich für Deutschland und Europa die Frage nach Sicherheit neu. Welche Auswirkungen hat die ausgerufene "Zeitenwende"?
Der 24. Februar 2022 markiert weniger einen Kriegsbeginn als eine neue Eskalationsstufe: Bereits seit 2014 befinden sich russische Truppen in der Ukraine. Ein baldiges Kriegsende ist nicht absehbar.
Der russische Angriff auf die Ukraine markiert den endgültigen Abschied Moskaus von der europäischen Sicherheitsordnung. Doch geht die vielzitierte "Zeitenwende" über einen Bruch in Europa hinaus.
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).