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50 Jahre Ende des Vietnamkrieges | Hintergrund aktuell | bpb.de

50 Jahre Ende des Vietnamkrieges

Redaktion

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Am 30. April 1975 eroberten nordvietnamesische Truppen Saigon. Damit ging nach über 20 Jahren der Vietnamkrieg zu Ende. Die erste Kriegsniederlage in der US-Geschichte forderte Millionen Tote und prägte Politik und Gesellschaft in Vietnam und den USA nachhaltig.

Am 30. April 1975 besetzten die nordvietnamesischen Soldaten mit ihren russischen Panzern Saigon. (© picture-alliance, AP Photo / Yves Billy)

Die Vorgeschichte des Vietnamkriegs ist eng mit der Kolonialgeschichte des Landes verknüpft. Über Jahrhunderte regiert von wechselnden Kaiser-Dynastien geriet Vietnam ab Ende des 18. Jahrhunderts unter französischen Einfluss. Frankreich baute diesen im 19. Jahrhundert auch mit militärischen Eroberungen weiter aus. Ab 1883 stand das heutige Staatsgebiet Vietnams vollständig unter französischer Kontrolle und wurde 1887 zusammen mit Laos und Kambodscha Teil der französischen Kolonie Indochina.

Das Ende der Kolonialherrschaft

Im Zweiten Weltkrieg wurde Indochina – gebilligt durch das mit Nazi-Deutschland kollaborierende französische Vichy-Regime – durch japanische Truppen besetzt. Gegen die Besatzung regte sich ab 1943 bewaffneter Widerstand durch die „Việt Minh“. Die Organisation war zwei Jahre zuvor durch den kommunistischen Politiker Ho Chi Minh gegründet worden. Sie wandte sich gegen den japanischen Imperialismus und trat für die staatliche Unabhängigkeit Vietnams ein.

Nach der deutschen Kapitulation und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa zeichnete sich im Sommer 1945 die Niederlage Japans auf dem pazifischen Schlachtfeld ab. Die Việt Minh nutzten die Schwäche der japanischen Besatzer aus und brachten im August große Teile insbesondere im Norden des Landes unter ihre Kontrolle („Augustrevolution“). Am 2. September 1945, dem Tag der japanischen Kapitulation, rief Ho Chi Minh in Hanoi die Demokratische Republik Vietnam aus.

Der Erste Indochina-Krieg und der Nord-Süd-Konflikt

Nach der japanischen Niederlage versuchte Frankreich, seine Herrschaft über das frühere Kolonialreich wiederherzustellen. Ende 1946 brachen in Vietnam offene Kämpfe zwischen französischen Truppen und Ho Chi Minhs Việt Minh aus. Dieser erste Indochinakrieg endete erst im Mai 1954 mit der französischen Niederlage in der Schlacht von Điện Biên Phủ. Auf der Genfer Indochina-Konferenz wurde im Juli 1954 ein Waffenstillstand ausgehandelt. Die Kolonialherrschaft der Franzosen über Vietnam war damit beendet.

Die Indochina-Konferenz konnte den Konflikt jedoch nicht nachhaltig befrieden. Das Land wurde entlang einer Demarkationslinie am 17. Breitengrad in zwei Staaten geteilt: Das kommunistische Nordvietnam unter Ho Chi Minh, unterstützt von der Volksrepublik China und der Sowjetunion, und das eigenständige Südvietnam mit einer autokratischen Regierung unter dem Präsidenten Ngô Đình Diệm, unterstützt vor allem von Frankreich und den Vereinigten Staaten von Amerika (USA).

Die Domino-Theorie der US-Politik

Der in Genf gefasste Beschluss, das Land mit gemeinsamen Wahlen im Jahr 1956 wieder zu vereinen, scheiterte am Widerstand Südvietnams und der USA. US-Präsident Dwight D. Eisenhower fürchtete, dass eine kommunistische Machtübernahme durch die Việt Minh in Südvietnam einen Domino-Effekt in Südostasien auslösen könnte: Weitere Staaten würden dann in den Machtbereich des Kommunismus fallen. Diese als „Domino-Theorie“ bekannt gewordene Leitlinie bestimmte in den folgenden zwei Jahrzehnten die US-Politik im Kalten Krieg und insbesondere in Vietnam.

Die USA unterstützten das antikommunistische Regime des südvietnamesischen Präsidenten Diems bereits frühzeitig militärisch und mit nachrichtendienstlichen Mitteln. US-Militärberater und US-Geheimdienste sollten dem autokratischen Regime Diệms dabei helfen, seine Macht gegen kommunistische Gruppen und andere Aufständische in Südvietnam zu sichern. Indirekt waren die USA deshalb bereits von Beginn an in den Vietnamkrieg verwickelt.

Ausdehnung des US-Engagements unter Kennedy

Ab 1957 beteiligten sich nordvietnamesische Việt Minh-Verbände an den Guerillakämpfen in Südvietnam. Im Dezember 1960 schlossen sich verschiedene Oppositionsgruppen in Südvietnam unter kommunistischer Führung zur „National Liberation Front“ (NLF) zusammen – umgangssprachlich wurden sie als „Vietcong“ bekannt. Unterstützung bekamen sie von China und von der Sowjetunion. Der Bürgerkrieg eskalierte.

Der im Januar 1961 ins Amt gekommene US-Präsident John F. Kennedy baute das US-Engagement in Vietnam weiter aus. Unter seiner Führung stieg die Zahl der US-Soldaten in Vietnam deutlich an: Während das Kontingent unter Eisenhower kaum 1.000 Soldaten umfasste, waren es unter Kennedy mehr als 16.000. Die Sicherheitslage in Südvietnam verschlechterte sich jedoch weiter. Hinzu kamen interne politische Konflikte um die autoritäre Staatsführung. Am 2. November 1963 wurde Präsident Ngô Đình Diệm von Soldaten der südvietnamesischen Armee erschossen. Drei Wochen später fiel John F. Kennedy einem Attentat zum Opfer.

Die Tonkin-Resolution

Kennedys Nachfolger als US-Präsident, Lyndon B. Johnson, erbte eine politisch und militärisch instabile Situation in Südvietnam. Eigentlich verfolgte Johnson eine innenpolitisch geprägte Agenda, scheute sich aber davor, Südvietnam aufzugeben. Die NLF sah ihrerseits die Chance, die politischen Unruhen für eine direkte militärische Konfrontation auszunutzen.

Anfang August 1964 kam es vor der Küste Nordvietnams zum sogenannten Tonkin-Zwischenfall. Nach Angaben der US-Regierung hatten am 2. August mehrere Patrouillenboote den US-Zerstörer „Maddox“ angegriffen, nachdem dieser Warnschüsse abgegeben hatte. Zwei Tage später soll es einen erneuten Angriff auf das Schiff gegeben haben. Heute gilt dieser zweite Angriff als widerlegt. Der Vorfall hatte schwerwiegende Folgen: Der US-Kongress verabschiedete am 7. August 1964 die „Tonkin-Resolution“ und gab Präsident Johnson damit die Vollmacht für eine direkte militärische Intervention in Vietnam.

Offene militärische Intervention der USA

Zivilisten werden vom Dach der US-amerikanischen Botschaft in Saigon per Hubschrauber evakuiert. (© picture-alliance/dpa)

Im Februar 1965 gab Johnson den Befehl zur Operation „Rolling Thunder“ – der gezielten Bombardierung Nordvietnams durch die US Air Force. Im März landeten die ersten US-Bodentruppen in Südvietnam. Im November 1965 kam es bei der Schlacht im Tal von Ia Drang zu ersten größeren Kämpfen zwischen den US-Truppen und der NLF. Zu diesem Zeitpunkt war das US-Kontingent im Land bereits stark angewachsen: Ende 1965 waren mehr als 184.000 US-Soldaten in Vietnam im Einsatz, drei Jahre später waren es mehr als eine halbe Million.

Auch anderen Staaten waren in den Vietnamkrieg direkt involviert. So kämpften an der Seite Südvietnams und der USA auch Soldaten aus Südkorea, Thailand, den Philippinen, Australien und Neuseeland. Auf Seiten Nordvietnams und der NLF sollen nach eigenen Angaben der Volksrepublik China mehr als 300.000 chinesische Soldaten an den Kämpfen teilgenommen haben. Zudem weitete sich der Krieg auch auf Laos und Kambodscha aus, direkte Nachbarländer Vietnams.

Eine Armee von Teenagern

Etwa 2,7 Millionen US-Amerikaner waren während des Vietnamkrieges als Soldaten in Vietnam, davon 1,6 Millionen im Kampfeinsatz. Es gab die Wehrpflicht, aber das System war höchst ungerecht: Wer die finanziellen Mittel hatte, konnte sich dem Militärdienst (z. B. durch Studium) entziehen. Von jenen, die ihren Wehrdienst ableisteten und in Vietnam kämpften und starben, waren unverhältnismäßig viele arm, schlecht gebildet und schwarz. Es war eine Armee von Teenagern – mehr als 60 % starben im Alter von 18 bis 21 Jahren, das Durchschnittsalter der US-Truppe war 19.

Proteste gegen den Vietnamkrieg

In den USA kam es bereits im April 1965 zur ersten großen Studentenprotesten gegen den Vietnamkrieg. Die Proteste wurden zu einem zentralen politischen Thema für eine ganze Generation junger Menschen und weiteten sich fortlaufend aus. Im Oktober und November 1969 gingen landesweit etwa zwei Millionen Menschen gegen den Krieg auf die Straße. In der Populärkultur wurde der Kriegsprotest eines der dominierenden Themen, was durch die umfassende mediale Berichterstattung befeuert wurde. Auch in Deutschland und anderen westlichen Ländern war der Vietnamkrieg eines der wichtigsten Themen der sogenannten 68er-Bewegung.

Nachdem die USA über Jahre vergeblich versucht hatten, eine militärische Entscheidung herbeizuführen, startete Nordvietnam während des vietnamesischen Neujahrsfests Tết Ende Januar 1968 mit eigenen regulären Truppen und der NLF eine Überraschungsoffensive. Militärisch war die Tết-Offensive ein Fehlschlag für Nordvietnam, aber sie verfestigte bei vielen Beobachtern in den USA den Eindruck, dass der Krieg nicht zu gewinnen sei.

„Vietnamisierung“ unter Nixon

Kurz vor dem Fall Süd-Vietnams flogen die US-Streitkräfte mehr als 3.000 vietnamesische Waisen und Kinder in die USA sowie nach Europa, Australien und Kanada aus. Ziel der "Operation Babylift" war es, die Kinder vor den Auswirkungen des Krieges zu retten und ihnen ein Leben in Adoption zu ermöglichen. (© picture-alliance/AP)

Der 1969 ins Amt gekommene US-Präsident Richard Nixon verfolgte eine Strategie der „Vietnamisierung“ des Krieges. Schrittweise sollte Südvietnam in die Lage versetzt werden, ohne US-Hilfe gegen die Truppen aus Nordvietnam zu kämpfen. Dazu sollte das südvietnamesische Heer anwachsen, während die Zahl der US-Truppen stetig verringert wurde. Bereits seit 1968 fanden Friedensgespräche in Paris statt. Für Nixon leitete der US-amerikanische Sicherheitsberater Henry Kissinger die Verhandlungen.

Am 27. Januar 1973 wurde das Pariser Abkommen unterzeichnet, das den Konflikt beenden sollte. Noch im gleichen Jahr verließen die letzten US-Truppen Vietnam. Der Krieg war damit jedoch nicht vorbei. Die Kämpfe fanden nun zwischen nord- und südvietnamesischen Truppen statt. Letztere konnten dem militärischen Druck des Nordens nicht standhalten: Am 30. April 1975 fiel die südvietnamesische Hauptstadt Saigon. Vietnam wurde kommunistisch.

Brutale Kriegsführung und bleibende Traumata

Der Vietnamkrieg wurde verbissen und mit großer Brutalität geführt. Auf beiden Seiten wurden Kriegsverbrechen und Massaker an Zivilistinnen und Zivilisten, vermeintlichen Kollaborateuren und Kriegsgefangenen verübt. Die US-Luftwaffe warf fast doppelt so viele Bomben über Vietnam, Laos und Kambodscha ab wie im Zweiten Weltkrieg über Europa und Asien. Der großflächige Einsatz von hochgiftigen Herbiziden (wie „Agent Orange“) zur Entlaubung von Kampfgebieten durch die USA hatte schwerwiegende Folgen für Mensch und Umwelt.

Die genauen Opferzahlen des Krieges sind schwer zu bestimmen. Verlässliche Zahlen liegen für die USA vor: Demnach sind in Vietnam mehr als 58.000 US-Soldaten gefallen. Wie viele nord- und südvietnamesische Zivilisten und Soldaten im Vietnamkrieg getötet wurden, darüber gehen die Schätzungen auseinander. Das liegt einerseits an unterschiedlichen Zeiträumen, die betrachtet wurden. Andererseits auch daran, dass auf beiden Seiten häufig nicht eindeutig zwischen vietnamesischen Zivilisten und Kämpfern unterschieden wurde. Die vietnamesische Regierung spricht offiziell von rund 1,1 Millionen getöteten nordvietnamesischer Soldaten zwischen 1960 und 1975. Auf südvietnamesischer Seite sollen im gleichen Zeitraum rund 254.000 Soldaten gefallen sein. Für den Zeitraum der offenen Kriegsbeteiligung der USA (1965-1974) liegen die Schätzungen verschiedener wissenschaftlicher Studien zwischen insgesamt einer und 1,7 Millionen vietnamesischen Kriegstoten (ohne Laos und Kambodscha).

Für die USA wurde der Vietnamkrieg zu einem außenpolitischen Trauma. Es war der bis zu diesem Zeitpunkt längste Krieg, den die USA je geführt haben – und der erste, der mit einer Niederlage endete. In Vietnam wurde der Sieg über die scheinbar übermächtige Supermacht und die gewaltsame „Befreiung“ und Wiedervereinigung des Landes dagegen zur zentralen Legitimationsquelle der bis heute alleine herrschenden Kommunistischen Partei.

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