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Parlamentswahl in Tschechien 2025 | Hintergrund aktuell | bpb.de

Parlamentswahl in Tschechien 2025

Redaktion

/ 5 Minuten zu lesen

Die populistische ANO hat die Wahlen zum tschechischen Abgeordnetenhaus am 3. und 4. Oktober gewonnen. Für die Regierungsbildung ist sie auf Koalitionspartner angewiesen.

Am Wahlabend, dem 4. Oktober 2025, feiert die ANO mit ihrem Gründer und Spitzenkandidaten Andrej Babiš (Bildmitte, am Mikrofonpult) auf einer Pressekonferenz in Prag den Wahlsieg. (© picture-alliance, Anadolu | Lukas Kabon)

Hinweis

Wir haben den Text anhand der Externer Link: Wahlergebnisse aktualisiert. (die Redaktion, 08.10.2025)

Mit rund 34,5 Prozent der gültigen Stimmen ist die Partei „Aktion unzufriedener Bürger“ (Tschechisch: Akce nespokojených občanů, Kurzform: ANO) zukünftig die stärkste Kraft im tschechischen Parlament. Die vom Milliardär Andrej Babiš gegründete Partei kommt nach der Externer Link: Wahl am 3. und 4. Oktober 2025 auf 80 Sitze im Abgeordnetenhaus und konnte ihr Wahlergebnis im Vergleich zur letzten Wahl deutlich steigern (2021: 27,1 Prozent). Allerdings verfügt die Partei nicht über eine Mehrheit der insgesamt 200 Sitze.

Die bisherige Regierungskoalition hat an Zustimmung verloren: Das Parteienbündnis SPOLU (Deutsch: „Gemeinsam“) kam bei der Wahl auf rund 23,4 Prozent der gültigen Stimmen (52 Sitze), ihr Koalitionspartner „Bürgermeister und Unabhängige" (Starostové a nezávislí, Kurzform: STAN) auf rund 11,2 Prozent (22 Sitze). Beide Parteien verloren damit ihre zuletzt knappe Mehrheit von 108 Sitzen im Parlament. Auch eine erneute Koalition mit der „Piratenpartei“ (Česká pirátská strana, Kurzform: Piráti), die auf rund 9,0 Prozent der Stimmen (18 Sitze) kam, würde nicht für eine Mehrheit ausreichen. Eine Koalition mit der ANO haben alle drei Parteien und Wahlbündnisse vor der Wahl ausgeschlossen.

Das schränkt die möglichen Koalitionsoptionen der ANO auf die beiden anderen zukünftig im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien ein: Mit rund 7,8 Prozent der Stimmen hat die rechtsradikale Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ (Svoboda a přímá demokracie, Kurzform: SPD) die Sperrklausel von fünf Prozent überwunden, ebenso wie die Partei “Autofahrer für sich“ (Motoristé sobě, Kurzform: AUTO) mit rund 6,8 Prozent. Das linkspatriotische bis linksnationale Wahlbündnis „Genug!“ (Stačilo!) scheiterte dagegen mit 4,3 Prozent am Einzug ins Parlament.

SPD und AUTO kommen zusammen auf 28 Sitze im neuen Abgeordnetenhaus – damit wären sowohl eine Regierungskoalition mit der ANO als auch die Unterstützung einer Interner Link: Minderheitsregierung möglich. Direkt nach der Wahl erklärte Babiš, er bevorzuge eine Minderheitsregierung. SPD und AUTO streben allerdings eine direkte Regierungsbeteiligung an. Der von Präsident Petr Pavel mit der Regierungsbildung betraute ANO-Parteichef Babiš hat bereits Gespräche mit beiden Parteien aufgenommen.

Wer regierte bislang?

Bei den Interner Link: Parlamentswahlen im Jahr 2021 war das aus drei Mitte-Rechts-Parteien bestehende Bündnis SPOLU mit 27,8 Prozent der Stimmen stärkste Kraft geworden. Dicht dahinter folgte ANO mit 27,1 Prozent der Stimmen. Drittstärkste Kraft wurde die gemeinsame Liste von „Piratenpartei“ und STAN mit 15,6 Prozent der Stimmen.

Da nur vier Parteien oder Parteienbündnisse ins Parlament gekommen waren, verfügten SPOLU und Piráti/STAN über eine Mehrheit von 108 der 200 Sitze im Parlament. Vertreter der an den Bündnissen beteiligten Parteien schlossen eine Regierungskoalition, welche die bis dato im Amt befindliche Regierung von Babiš ablösen sollte. Neuer Ministerpräsident der Tschechischen Republik wurde der Politikwissenschaftler Petr Fiala, der der „Demokratischen Bürgerpartei“ (Občanská demokratická strana, ODS) angehört, die Teil des SPOLU-Bündnisses ist.

Der damalige Präsident Miloš Zeman war während der Regierungsbildung schwer erkrankt. Zwischenzeitlich lag er auf der Intensivstation und galt für unbestimmte Zeit als nicht mehr amtsfähig – was zu Spekulationen darüber führte, ob ein geordneter Machtübergang von der populistischen ANO-Bewegung zur Mitte-Rechts-Koalition überhaupt möglich sei. Zeman erholte sich jedoch wieder und ernannte Fiala Ende November 2021 persönlich zum Ministerpräsidenten.

Im Herbst 2024 war es zu einer Regierungskrise in Tschechien gekommen: Ministerpräsident Fiala hatte den Vize-Ministerpräsidenten für Digitalisierung, Ivan Bartoš, entlassen, der gleichzeitig auch Parteivorsitzender der Piraten war. Die tschechische Piratenpartei beschloss daraufhin wenige Tage später, die Koalition mit SPOLU und STAN zu verlassen. Die Regierung unter Fiala verfügt trotz des Ausscheidens der Piratenpartei weiterhin über eine Mehrheit im Parlament.

kurz&knappWie wird gewählt?

Das Abgeordnetenhaus des Parlaments der Tschechischen Republik (Poslanecká sněmovna Parlamentu České republiky) wird nach Verhältniswahlrecht gewählt. Es hat 200 Sitze. Das Land ist in 14 Wahlkreise unterteilt, in denen die Parteien mit Kandidatenlisten antreten. Die Sitzvergabe erfolgt nach einem komplizierten System, das durch eine Wahlrechtsreform im Jahr 2021 neu austariert wurde.

Zu Beginn der Sitzverteilung wird eine Sperrklausel angewandt: Sie liegt für selbstständig zur Wahl antretende Parteien bei fünf Prozent, für Zweierkoalitionen bei acht Prozent und für größere Bündnisse bei elf Prozent. Sollten mindestens zwei Wahlbündnisse an der Sperrklausel scheitern, wird sie um einen Prozentpunkt gesenkt: Dann genügen vier Prozent für einzeln antretende Parteien, sieben Prozent für Zweierkoalitionen und zehn Prozent für größere Bündnisse.

Nur Parteien, deren Stimmenanteil landesweit über der jeweiligen Sperrklausel liegt, können an der Sitzvergabe beteiligt werden. Dieser Prozess findet auf Wahlkreisebene statt.

Wahlberechtigt sind alle Staatsangehörigen der Tschechischen Republik, die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Das passive Wahlrecht steht allen Tschechinnen und Tschechen ab Vollendung des 21. Lebensjahres offen. Eine Legislaturperiode dauert vier Jahre.

Erstmals können bei dieser Parlamentswahl die Staatsangehörigen im Ausland per Briefwahl abstimmen. Bislang mussten sie zur Stimmabgabe die Botschaften und Konsulate der Tschechischen Republik aufsuchen, was besonders bei großen Flächenländern wie den USA mit erheblichem Aufwand verbunden war. Stand Ende August haben sich laut offiziellen Angaben des Außenministeriums gut 24.000 der etwa 600.000 tschechischen Staatsangehörigen im Ausland zur persönlichen Stimmabgabevor Ort in einem Konsulat oder einer Botschaft oder zur Briefwahl registrieren lassen. Das Ministerium hatte mit einer doppelt so hohen Zahl gerechnet.

Wer trat zur Wahl an?

Insgesamt hatten 26 Parteien Listen zur Parlamentswahl angemeldet. Nicht alle Parteien traten landesweit in allen Regionen an.

Das bislang regierende SPOLU-Bündnis besteht aus drei Parteien: Der Demokratischen Bürgerpartei ODS, der „Christlichen und Demokratischen Union – Tschechoslowakische Volkspartei“ (Křesťanská a demokratická unie – Československá strana lidová, KDU-ČSL) und „Tradition, Verantwortung, Prosperität“ (tradice, odpovědnost, prosperita, TOP 09). SPOLU vertritt liberalkonservative Positionen und verfolgt eine pro-europäische Agenda. Vorsitzender des Bündnisses ist Ministerpräsident Petr Fiala, der auch zur Wiederwahl antrat. Die zur Regierungskoalition gehörende STAN und die Piratenpartei traten 2025 wieder mit getrennten Wahllisten an. STAN ist eine zentristisch-liberale Partei; die Piraten gelten als Mitte-Links-Partei, die sich für eine gesellschaftspolitisch progressive, ökologisch orientierte Politik einsetzt.

Größte Oppositionspartei ist die ANO-Bewegung, die bereits von 2017 bis 2021 das Land regiert hat. ANO wird der politischen Mitte zugeordnet. Gleichzeitig vertritt sie populistische Positionen in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Die Partei ist stark auf die Persönlichkeit ihres Gründers Andrej Babiš ausgerichtet. Gegen den Milliardär wurde in der Vergangenheit mehrfach wegen Korruption, Interessenskonflikten und Betrug ermittelt. Externer Link: Ein Verfahren zu EU-Subventionsbetrug wurde im Juni 2025 vom tschechischen Obersten Gerichtshof neu eröffnet.

Die Partei „Freiheit und direkte Demokratie“ (Svoboda a přímá demokracie, SPD) ist eine rechtsradikale Partei. Sie vertritt nationalistische und EU-feindliche Positionen, etwa in der Migrationspolitik. In ihrem Wahlprogramm lehnt sie Interner Link: die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems von 2024 ausdrücklich ab.

Neu im Bewerberfeld waren das Wahlbündnis „Genug!“ (Stačilo!) unter Führung der „Tschechischen Kommunistischen Partei“ (Komunistická Strana Čech a Moravy – KSČ), das linkspatriotische bis linksnationalistische Kräfte zusammenbringt, und die Partei “Autofahrer für sich“ (Motoristé sobě, AUTO), die den menschengemachten Klimawandel leugnet und autofreundliche Politik ins Zentrum ihrer politischen Forderungen stellt.

Was waren die Themen im Wahlkampf?

Tschechien erlebt einen stark polarisierten Wahlkampf. Die aufgeladene Stimmung eskalierte Anfang September in einem gewalttätigen Angriff auf ANO-Chef Andrej Babiš bei einer Wahlkampfveranstaltung, der auch von politischen Gegnern einhellig verurteilt wurde.

Die Parteienlandschaft ist politisch zweigeteilt: Auf der einen Seite steht das bislang regierende SPOLU-Bündnis und auch dessen verbliebener Koalitionspartner STAN. Sie stehen innenpolitisch für Haushaltskonsolidierung durch Sparpolitik, wie etwa durch die Deckelung der jährlichen Rentenerhöhungen.

Dem gegenüber stehen die populistisch auftretende ANO-Bewegung, die weitere finanzielle Entlastungen verspricht, aber auch die rechtsradikale Partei SPD, das Bündnis Stačilo! und die Partei „Autofahrer für sich“.

Ein weiteres Thema, in dem sich die Spaltung widerspiegelt, ist die Außen- und Sicherheitspolitik. Der bisherige Ministerpräsident Fiala verfolgte einen pro-westlichen und pro-ukrainischen Kurs. Lange Zeit wurde das von einer großen Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen. Doch in Tschechien mehren sich die Stimmen jener, die einer weiteren Unterstützung der Ukraine kritisch gegenüberstehen. ANO-Chef Babiš will die Munitionsoffensive zur Belieferung der Ukraine stoppen, Stačilo! zeigt sich skeptisch gegenüber EU-Sanktionen gegen Russland. Auch in der Haltung zur EU zeigen sich deutliche Unterschiede: Während die Regierung unter Fiala sich pro-europäisch positioniert, sprechen Stačilo! und SPD sich sogar für ein Referendum über den Verbleib Tschechiens in der Europäischen Union aus („Czexit"). Auch die „Autofahrer für sich“ treten EU-skeptisch auf.

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