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Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems

Redaktion

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Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) wird reformiert. Europarat und EU-Parlament haben sich auf für die Mitgliedstaaten verbindliche Richtlinien geeinigt.

Dieser Grenzzaun befindet sich zwischen der Türkei und Griechenland an der EU-Außengrenze. (© picture-alliance, NurPhoto | Nicolas Economou)

Nachdem sich im Dezember 2023 die Europäische Kommission, der Rat der Mitgliedstaaten der EU und die Mehrheit des Europäischen Parlaments auf eine umfassende Reform des Externer Link: Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt hatten, haben am 14. Mai 2024 der Europäische Rat und das Europäische Parlament die Reform beschlossen. Sie gilt als weitreichendste Änderung der vergangenen Jahrzehnte. Während nun europaweit ein einheitlicheres Vorgehen in der Migrationspolitik zu erwarten ist, wird eine repressive Verschärfung kritisiert, die den Zugang zu einem vollwertigen Asylverfahren und das Recht auf Schutz massiv erschweren würde. Wesentlicher Kern der Reform besteht darin, alle an den EU-Außengrenzen ankommenden Schutzsuchenden in einem Screening-Verfahren zu registrieren und ihren potenziellen Anspruch auf einen Schutzstatus zu prüfen. Vorgesehen ist, dass innerhalb von zwölf Wochen über einen Asylantrag entschieden wird. Um Staaten mit einer hohen Zahl an Schutzsuchenden zu entlasten, wird ein verpflichtender Solidaritätsmechanismus eingeführt. Auf diese Weise sollen Flüchtlinge EU-weit gerechter verteilt werden.

Notwendigkeit eines gemeinsamen EU-Asylsystems

Ab Mitte der 1990er-Jahre wurde mit dem Interner Link: Schengener Abkommen der freie Personenverkehr zwischen den Ländern des Interner Link: europäischen Binnenmarktes eingeführt. Da Grenzkontrollen innerhalb Europas größtenteils wegfielen, wurden Regelungen zur Einreise an den europäischen Außengrenzen nötig. Das im September 1997 in Kraft getretene Interner Link: Dubliner Übereinkommen regelt unter anderem, welcher Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Das Übereinkommen wurde 2003 durch die Dublin-Verordnung abgelöst („Dublin II“), die 2013 noch einmal aktualisiert wurde („Dublin III“).

Das Dublin-System sieht vor, dass immer nur ein EU-Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. In der Regel ist das der Staat, in den der Antragsteller zuerst eingereist ist. Damit soll sichergestellt werden, dass Anträge nicht gleichzeitig oder nacheinander in mehreren Mitgliedstaaten gestellt werden oder das Zielland beliebig ausgewählt werden kann. Gleichzeitig soll es aber auch verhindern, dass Asylsuchende von Staat zu Staat weitergereicht werden Interner Link: („refugees in orbit“). In diesem Zusammenhang können Behörden in der Fingerabdruck-Datenbank Interner Link: Eurodac überprüfen, ob Asylsuchende bereits einen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt haben.

Das bisherige EU-Asylsystem und seine Reform

Bis zur Reform im Mai 2024 bestand das Interner Link: Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) aus zwei Verordnungen (Dublin- und Eurodac-Verordnung) und drei Richtlinien (Qualifikations-, Aufnahme-, Asylverfahrensrichtlinie). Das GEAS definiert Mindeststandards für den Interner Link: Ablauf von Asylverfahren und den Umgang mit Asylsuchenden. Über ihre Verteilung in der EU hat es immer wieder Konflikte gegeben.

Laut Europäischem Parlament nahm zwischen 2008 und 2017 ein Drittel der Mitgliedstaaten 90 Prozent der Asylbewerbenden in der EU auf. Insbesondere die Interner Link: sogenannte „Flüchtlingskrise“ der Jahre 2015 und 2016 hat verdeutlicht, dass das Dublin-System strukturelle Schwächen und Probleme bei der Umsetzung aufweist, indem es einigen wenigen Mitgliedstaaten unverhältnismäßig hohe Verantwortung bei der Aufnahme Geflüchteter aufbürdet.

Mehr als zwei Drittel der Asylanträge in vier Staaten

Die höchste Zahl an Asylanträgen in der EU wurde 2015 (1.322.850 Millionen) und 2016 (1.260.920) registriert. Bis 2020 sank diese Zahl auf 472.660 – insbesondere die Covid-19-Pandemie hatte vorübergehend zu einem Rückgang der Migration geführt –, um dann laut der Interner Link: Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) im vergangenen Jahr auf über 1,1 Millionen Asylanträge zu steigen – ein Anstieg um 18 Prozent im Vergleich zu 2022. Die meisten Schutzsuchenden kamen 2023 aus Syrien (181.000), zudem waren unter den Flüchtlingen besonders viele Menschen aus Afghanistan (114.000), der Türkei (101.000), Venezuela (68.000) und Kolumbien (63.000). Geflüchtete aus der Ukraine sind hierbei nicht eingerechnet, da sie in der EU „vorübergehenden Schutz“ genießen und visafrei einreisen können.

Mit 334.000 entfielen nach EUAA-Angaben 29 Prozent der Asylanträge auf Deutschland. Mehr als zwei Drittel der Anträge wurden in lediglich vier EU-Staaten gestellt – neben der Bundesrepublik waren dies Spanien, Frankreich und Italien. Die Erstaufnahme von Geflüchteten, die Europa über das Mittelmeer erreichen, konzentrierte sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem auf die südeuropäischen Länder – weswegen fortwährend Forderungen nach einer gerechten Lastenteilung laut wurden.

Was bedeutet Asyl?

Flüchtlinge sind Menschen, die aus dem Land ihrer Staatsangehörigkeit oder dem Land, in dem sie ihren Wohnsitz hatten, geflüchtet sind. Fluchtursachen können vielfältig sein. Krieg und Bürgerkrieg gehören ebenso dazu wie soziale, wirtschaftliche oder politische Verwerfungen und Verfolgung.

Je nach Fluchtgrund können Flüchtlinge in dem Land, in das sie geflohen sind, um Interner Link: Asyl ersuchen. Ein Interner Link: Recht auf Asyl (Externer Link: Artikel 16a des Grundgesetzes) haben in Deutschland politisch Verfolgte.

Gemäß den Vorschriften der europäischen Interner Link: Qualifikationsrichtlinie, des deutschen Externer Link: Asylgesetzes (AsylG) und des Externer Link: Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gibt es außerdem drei weitere Schutzformen: den Flüchtlingsschutz gemäß § 3 AsylG, den Interner Link: subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG und die Abschiebungsverbote gemäß § 60 AufenthG. Kann weder Asyl noch Flüchtlingsschutz gewährt werden, prüft das Interner Link: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Asylverfahren, ob subsidiärer Schutz im Sinne des § 4 AsylG gewährt werden kann oder ein Abschiebungsverbot vorliegt.

Das grundlegende Rechtsdokument zum Flüchtlingsschutz ist das 1954 in Kraft getretene „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ (Interner Link: Genfer Flüchtlingskonvention) und das 1967 nachgetragene Externer Link: „Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem soll auch den Einklang der nationalen Migrationspolitiken mit der Konvention sicherstellen.

Um eine Reform des Asylsystems wird deshalb seit vielen Jahren gerungen. Am 8. Juni 2023 konnte sich der Rat der EU mit einer qualifizierten Mehrheit auf zentrale Elemente einer Reform der Asylverfahrensordnung und des Asyl- und Migrationsmanagements einigen. Grundlage für diese Verhandlungen war ein Vorschlag der EU-Kommission von 2020. Der Europäische Rat einigte sich mit dem Parlament Interner Link: im Dezember 2023 auf die Details der Reform. Das Parlament nahm den Kompromiss Interner Link: im April an, der Rat Mitte Mai.

Kernpunkte der Reform

Wie bisher ist für die Asylverfahren vorgesehen, dass das Land zuständig ist, in das eine schutzsuchende Person als erstes eingereist ist. Jedoch wurde die Überstellungsfrist deutlich verlängert, wenn eine Person aus dem eigentlich zuständigen EU-Land in ein anderes weitermigriert ist (Sekundärmigration).

Die GEAS-Reform besteht aus zehn Rechtsakten. Die Reform sieht beispielsweise einen wirksamen Grenzschutz an den europäischen Außengrenzen vor, dazu gehört die Etablierung einheitlicher Standards für Registrierungen oder Verfahren. Die durchzuführenden Verfahren sollen generell vereinheitlicht werden. Auch sollen die Asylbewerbenden nach einem verbindlichen solidarischen Mechanismus zwischen den Mitgliedstaaten verteilt werden.

Asylverfahrens-Verordnung
Die Asylverfahrens-Verordnung hat zum Ziel, Asylverfahren EU-weit zu vereinheitlichen und schneller durchzuführen, insbesondere bei Schutzsuchenden, deren Anträge höchstwahrscheinlich erfolglos bleiben werden. Rechtsstaatliche Grundsätze und verbindlicher Standards (z. B. angemessene Lebensstandards, medizinische Grundversorgung, Zugang zu Bildung) sollen eingehalten werden.

Künftig sollen die zuständigen Behörden an den EU-Außengrenzen innerhalb von zwölf Wochen über einen Asylantrag entscheiden. Zuständig sind ausschließlich EU-Mitgliedstaaten.

Personen, bei denen eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung vermutet wird, die die Behörden über ihre Identität getäuscht haben oder aus Ländern kommen, bei denen die Anerkennungsquote in Asylverfahren bei unter 20 Prozent liegt, sollen in grenznahen Einrichtungen oder Transitzonen untergebracht werden. Sie dürfen nicht in das Hoheitsgebiet der EU einreisen. Zwar sollen sich diese Asylzentren auf EU-Gebiet befinden, doch gelten sie in dieser Zeit als nicht-eingereist (sogenannte Fiktion der Nichteinreise). Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Unterbringung in solchen Einrichtungen als haftähnliche Bedingungen. Ausgenommen von dieser Regel sind unbegleitete Minderjährige oder wenn speziellen Unterbringungsbedürfnissen nicht entsprochen werden kann (z. B. Schwangere, Minderjährige, Menschen mit Behinderungen).

Die Rückkehrgrenzverfahrens-Verordnung ist an die Asylverfahrens-Verordnung gekoppelt und regelt das Verfahren an der Grenze nach Ablehnung eines Antrags auf Asyl.

Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement
Ziel ist es, ein abgestimmtes Vorgehen von Europäischer Union und Mitgliedstaaten sicherzustellen, die Idee eines Verteilsystems soll grundsätzlich erhalten bleiben. Dabei soll es eine dauerhafte und verpflichtende Solidarität unter den EU-Mitgliedstaaten geben, wobei jedes Land wählen können soll, ob es Asylbewerber aufnimmt, alternative oder finanzielle Beiträge leistet oder sich an Relocations (Übernahme von Personen) beteiligt.

Auf Basis eines sogenannten Solidaritätspools sollen eine jährliche Mindestzahl von 30.000 Relocations und finanzielle Beiträge in Höhe von 600 Millionen EUR festgelegt werden. Steht ein Land unter besonderem Migrationsdruck, können die anderen Länder sich durch Ausgleichszahlungen oder unterstützende Maßnahmen im Rahmen des Solidaritätsmechanismus beteiligen.

Ausbau der Datenbank Eurodac
Die Eurodac-Datenbank soll erweitert werden. Um einreisende Personen besser zu identifizieren, sollen neben Fingerabdrücken künftig auch Gesichtsbilder erfasst werden. Nicht nur sollen damit Wanderungsbewegungen innerhalb der EU besser nachvollzogen werden können, darüber hinaus soll auf diese Weise irreguläre Sekundärmigration verhindert werden. Die Erfassung biometrischer Daten wird künftig ab sechs statt ab 14 Jahren verpflichtend.

Screening-Verordnung
An der EU-Außengrenze ankommende Flüchtlinge sollen möglichst zügig einer ersten Prüfung unterzogen werden, die in der Regel innerhalb von sieben Tagen vollzogen werden soll. Geprüft werden Identität, Gesundheit und Schutzbedürftigkeit, zudem sollen Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt werden.

Krisen-Verordnung
Im Krisenfall oder in Fällen höherer Gewalt können die Mitgliedstaaten künftig von bestimmten Vorschriften zum Asyl- und Rückkehrverfahren abweichen und andere EU-Länder um verstärkte Solidarität ersuchen. Ein Krisenfall kann etwa eintreten, wenn die Zahl der ankommenden Migrantinnen und Migranten besonders hoch ist. in Ausnahmesituationen können z. B. die Fristen zur Registrierung von Asylbewerbern verlängert oder vom üblichen Grenzverfahren abgewichen werden. Der Solidaritätsmechanismus soll auch im Krisenfall gelten – so sollen vor allem die EU-Staaten an den EU-Außengrenzen entlastet werden.

EU-Richtlinie zum vorübergehenden Schutz in akuten Krisen bleibt bestehen

Der vorübergehende Schutz ist ein Mechanismus, den die EU bei einem außergewöhnlichen Massenzustrom aktivieren kann. Diese auch als „Massenzustromrichtlinie“ bekannte Regelung bleibt auch mit der GEAS-Reform bestehen und wird durch Regelungen in der „Krisenverordnung“ ergänzt.

Für Fälle von Massenzuwanderungen in akuten Krisensituationen hatte die EU 2001 die Externer Link: EU-Richtlinie zum vorübergehenden Schutz erlassen. Sie wurde im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 4. März 2022 erstmals seit ihrer Einführung aktiviert. Diese Richtlinie gewährt Geflüchteten aus der Ukraine einen gegenwärtig bis März 2026 befristeten Schutzstatus, der ihnen einen unbürokratischen Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildungssystem, zu sozialstaatlichen Leistungen und zur Gesundheitsversorgung ermöglicht. Ukrainerinnen und Ukrainer dürfen außerdem visafrei in die EU einreisen.

Zu den weiteren Rechtsakten gehören die Aufnahme-Richtlinie (Mindeststandards für menschenwürdige Aufnahmebedingungen), die Anerkennungs-Verordnung (zur Festlegung eines einheitlichen internationalen Schutzstatus'), die Resettlement-Verordnung (zwecks einheitlicher Regelungen für eine legale und sichere Einreise von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen) sowie die EU-Asylagentur-Verordnung (Umwandlung des Interner Link: Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen zur vollwertigen EU-Agentur).

Wie geht es weiter?

Die EU-Mitgliedstaaten haben nun zwei Jahre Zeit, um die vom Europarat und dem Europäischen Parlament verabschiedeten Rechtsakte in die Praxis umzusetzen. Die Europäische Kommission hat am 12. Juni einen gemeinsamen Umsetzungsplan vorgelegt, um die Mitgliedstaaten bei diesem Verfahren zu unterstützen. Denn viele Fragen der praktischen Umsetzung der neuen Asylregularien sind noch offen: Etwa die, welche Staaten als „sichere Drittstaaten“ eingestuft werden und wo Aufnahmezentren und Transitzonen an den EU-Außengrenzen errichtet werden sollen.

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