Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems | Hintergrund aktuell | bpb.de

Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems

Redaktion

/ 5 Minuten zu lesen

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) soll reformiert werden. Nach langen Verhandlungen einigte sich der Rat der EU auf eine gemeinsame Position.

Dieser Grenzzaun befindet sich zwischen der Türkei und Griechenland an der EU-Außengrenze. (© picture-alliance, NurPhoto | Nicolas Economou)

In Luxemburg haben sich am 8. Juni 2023 die EU-Innenministerinnen und Innenminister (auch: Interner Link: Rat der Europäischen Union oder Ministerrat) auf eine gemeinsame Position zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt. Vorausgegangen waren Interner Link: jahrelange Verhandlungen der EU-Mitgliedstaaten. Die gemeinsame Position der EU-Innenministerinnen und Innenminister dient als Grundlage für die Verhandlungen des Rates mit dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission. Ziel ist es laut dem Bundesinnenministerium (BMI), die Asylreform vor der Europawahl 2024 abzuschließen.

Notwendigkeit eines gemeinsamen EU-Asylsystems

Ab Mitte der 1990er-Jahre wurde mit dem Interner Link: Schengener Abkommen der freie Personenverkehr zwischen den Ländern des europäischen Binnenmarktes eingeführt. Da Grenzkontrollen innerhalb Europas größtenteils wegfielen, wurden Regelungen zur Einreise an den europäischen Außengrenzen nötig. Das im September 1997 in Kraft getretene Interner Link: Dubliner Übereinkommen regelt unter anderem, welcher Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. Das Übereinkommen wurde 2003 durch die Dublin-Verordnung abgelöst ("Dublin II"), die 2013 noch einmal aktualisiert wurde ("Dublin III").

Das Dublin-System sieht vor, dass immer nur ein EU-Staat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig ist. In der Regel ist das der Staat, in den der Antragsteller zuerst eingereist ist. Damit soll sichergestellt werden, dass Anträge nicht gleichzeitig oder nacheinander in mehreren Mitgliedstaaten gestellt werden oder das Zielland beliebig ausgewählt werden kann. Gleichzeitig soll es aber auch verhindern, dass Asylsuchende von Staat zu Staat weitergereicht werden („refugees in orbit“). In der Fingerabdruck-Datenbank Interner Link: Eurodac können Behörden überprüfen, ob Asylsuchende bereits einen Antrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt haben.

Das bisherige EU-Asylsystem und seine Reform

Zusammengefasst sind die Dublin- und Eurodac-Verordnungen sowie drei weitere Richtlinien (Qualifikations-, Aufnahme-, Asylverfahrensrichtlinie) im seit 1999 geltenden Interner Link: Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS). Das GEAS definiert Mindeststandards für den Ablauf von Asylverfahren und den Umgang mit Asylsuchenden.

Über deren Verteilung in der EU hat es immer wieder Konflikte gegeben. Die Zahlen zeigen eine ungleiche Verteilung: So nahm laut dem Europäischen Parlament zwischen 2008 und 2017 ein Drittel der Mitgliedstaaten 90 Prozent der Asylbewerberinnen und Asylbewerber in der EU auf. Insbesondere die "Flüchtlingskrise" der Jahre 2015 und 2016 hätte verdeutlicht, dass das Dublin-System strukturelle Schwächen und Probleme bei der Umsetzung aufweist, indem es einigen wenigen Mitgliedstaaten unverhältnismäßige Verantwortung bei der Aufnahme Geflüchteter zuspricht.

Aktuell steigen die Migrationszahlen in der EU wieder an: 2022 wurden in den EU-Mitgliedstaaten etwa 966.000 Asylanträge gestellt. Das sind über 300.000 mehr als 2021. Die in der EU gestellten Asylanträge wurden 2022 vor allem von Menschen aus Interner Link: Syrien, Interner Link: Afghanistan, der Türkei und Interner Link: Venezuela gestellt. Mit 330 000 Grenzübertritten in die EU war die Zahl 2022 laut Frontex so hoch wie seit 2016 nicht mehr. Geflüchtete aus der Ukraine sind hier nicht eingerechnet, da sie visafrei einreisen dürfen.

Gut drei Viertel aller Asylanträge in der EU teilten sich 2022 auf fünf EU-Mitgliedsstaaten auf – Deutschland (25%), Frankreich (16%), Spanien (12%), Österreich (11%) und Italien (9%). Die Erstaufnahme von Geflüchteten, die Europa übers Mittelmeer erreichen, konzentriert sich vor allem auf die südlichen Länder Europas, während andere Länder vor allem im Osten und Norden Europas kaum Geflüchtete aufnehmen.

Um eine Reform des Asylsystems wird deshalb seit vielen Jahren gerungen. Am 8. Juni 2023 konnte sich der Rat der EU mit einer qualifizierten Mehrheit auf zentrale Elemente einer Reform der Asylverfahrensordnung und des Asyl- und Migrationsmanagements einigen. Grundlage für diese Verhandlungen war ein Vorschlag der EU-Kommission von 2020.

Was bedeutet Asyl?

Flüchtlinge sind Menschen, die aus dem Land ihrer Staatsangehörigkeit oder dem Land, in dem sie ihren Wohnsitz hatten, geflüchtet sind. Fluchtursachen können vielfältig sein. Krieg und Bürgerkrieg gehören ebenso dazu wie soziale, wirtschaftliche oder politische Verwerfungen und Verfolgung.

Je nach Fluchtgrund können Flüchtlinge in dem Land, in das sie geflohen sind, um Interner Link: Asyl ersuchen. Ein Interner Link: Recht auf Asyl (Externer Link: Artikel 16a des Grundgesetzes) haben in Deutschland politisch Verfolgte.

Gemäß den Vorschriften der europäischen Interner Link: Qualifikationsrichtlinie, des deutschen Externer Link: Asylgesetzes (AsylG) und des Externer Link: Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) gibt es außerdem drei weitere Schutzformen: den Flüchtlingsschutz gemäß § 3 AsylG, den Interner Link: subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG und die Abschiebungsverbote gemäß § 60 AufenthG. Kann weder Asyl noch Flüchtlingsschutz gewährt werden, prüft das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Asylverfahren, ob subsidiärer Schutz im Sinne des § 4 AsylG gewährt wird oder ein Abschiebungsverbot vorliegt.

Das grundlegende Rechtsdokument zum Flüchtlingsschutz ist das 1954 in Kraft getretene "Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge" (Interner Link: Genfer Flüchtlingskonvention) und das 1967 nachgetragene Externer Link: "Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge". Das Gemeinsame Europäische Asylsystem soll auch den Einklang der nationalen Migrationspolitiken mit der Konvention sicherstellen.

Kernpunkte der Reform

  • Die Reform sieht einen wirksamen Grenzschutz an den europäischen Außengrenzen vor. Dazu gehören einheitliche Standards für Registrierungen und Zuständigkeiten. Das gesamte Prüf- und Rückführungsverfahren soll maximal sechs Monate dauern.

  • Einreisewillige sollen so früh wie möglich identifiziert werden. Dieses Grenzverfahren soll an der EU-Außengrenze stattfinden. Bis zur Entscheidung über die individuelle Aussicht auf Asyl werden die Geflüchteten in grenznahen Auffanglagern untergebracht. Zwar sollen sich diese Auffanglager auf EU-Gebiet befinden, doch sollen die Schutzsuchenden als nicht-eingereist gelten. Einreisen darf eine Person nur, wenn der Asylantrag eine realistische Aussicht auf Anerkennung hat. Hat eine Person keine Aussicht auf ein Bleiberecht in der EU, etwa, weil in der Vergangenheit nur wenige Geflüchtete aus ihrem Herkunftsland in der EU aufgenommen wurden, wird diese an der EU-Außengrenze abgewiesen und muss in ihre Heimat zurückkehren. Unbegleitete Minderjährige sollen von dieser Regel ausgenommen bleiben.

  • Staatsangehörige aus Ländern mit einer hohen Anerkennungsquote (über 20 Prozent) sollen auch künftig das übliche Asylverfahren durchlaufen. Die Verteilung der Asylsuchenden auf die Mitgliedstaaten wird neu geregelt. Die neue Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement soll die bis dato geltende Dublin-Verordnung ersetzen.

  • Waren in der Vergangenheit vor allem die EU-Staaten an den Außengrenzen für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig, soll künftig ein neuer "Solidaritätsmechanismus" greifen: Mitgliedstaaten müssen entweder Geflüchtete aufnehmen, finanzielle Beiträge leisten oder Personal entsenden.

  • Sekundärmigration soll verhindert werden. Das heißt, Migrantinnen und Migranten werden nach Ankunft in der EU daran gehindert, in ein anderes EU-Land weiterzuziehen, etwa indem sie durch behördliche Meldepflichten an ein bestimmtes Gebiet oder einen Wohnort gebunden werden.

  • Abgelehnte Migrantinnen und Migranten sollen auch in sogenannte Interner Link: sichere Drittstaaten, über die sie nach Europa gelangten, abgeschoben werden können. Kriterien für solche sicheren Drittstaaten sollen gelockert werden. Damit gäbe es mehr Länder, die als sicher eingestuft werden.

Widerstand und Kritik

Kritik an dem Reformvorhaben gibt es von der Linkspartei, aber auch von Teilen der Grünen und SPD vor allem wegen

  • der geplanten streng bewachten Auffanglager, in denen Asylbewerber bis zum Abschluss des Prüfverfahrens kaserniert werden sollen,

  • der Abschiebung auch von Familien mit Kindern nach Ablehnung des Asylgesuchs sowie

  • der erweiterten Abschiebung in "sichere Drittstaaten".

  • Außerdem würde das neue Grenzverfahren das Recht auf die individuelle Prüfung der Asylanträge gefährden.

Besonders scharfe Kritik kommt von Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl und Amnesty International; die Einhaltung von Menschenrechten in der EU sei mit dieser Einigung in Gefahr.

Auch vonseiten der Mitgliedstaaten, die im Rat gegen die Reform gestimmt haben, gibt es Widerstand. Besonders die Ausgleichszahlungen bei Nichtaufnahme von Geflüchteten stößt bei Polen und Ungarn auf Kritik. Sie möchten, dass die Aufnahme von Geflüchteten weiterhin freiwillig und ohne (finanzielle) Zwangsmaßnahmen geregelt wird.

EU-Richtlinie zum vorübergehenden Schutz in akuten Krisen bleibt unberührt

Die geplante Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems zielt vor allem darauf ab, die sogenannte irreguläre Migration nach Europa einzudämmen und eine solidarische Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Durch die Reform nicht neu geregelt werden sollen Fälle von Massenzuwanderungen in akuten Krisensituationen, für die die EU 2001 die Externer Link: EU-Richtlinie zum vorübergehenden Schutz erlassen und angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 4. März 2022 erstmals seit ihrer Einführung aktiviert hat. Diese Richtlinie gewährt Geflüchteten aus der Ukraine einen gegenwärtig bis zum März 2024 befristeten Schutzstatus, der ihnen einen unbürokratischen Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildungssystem, zu sozialstaatlichen Leistungen und zur Gesundheitsversorgung ermöglicht. Ukrainerinnen und Ukrainer dürfen außerdem visafrei in die EU einreisen.

Wie geht es weiter?

Ob und wann die vom Rat der EU erzielte Einigung zur GEAS-Reform im Zusammenwirken mit der EU-Kommission und dem EU-Parlament in eine konkrete Rechtsnorm überführt werden kann und wie diese dann im Detail aussehen wird, ist derzeit ungewiss. Das Thema Migration stand auch auf der Tagesordnung des EU-Gipfels am 29. und 30. Juni. Eine gemeinsame Erklärung zur Asylreform gab es nicht.

Mehr zum Thema

Weitere Inhalte

Weitere Inhalte

Dossier

"Paradise Left Behind" – Begleitmaterial zum Film

Der Dokumentarfilm "Paradise Left Behind" zeigt die Auswirkungen von EU-Flüchtlingspolitik und Corona-Pandemie auf Einheimische und Geflüchtete auf der griechischen Insel Samos. Das Dossier bietet…

Migration & Integration

Migrationspolitik – Monatsrückblick

Der Monatsrückblick bietet aktuelle Information zur Migrations- und Asylpolitik seit Januar 2016. Hier können Sie die Situation in Europa und Deutschland im Auge behalten.

Schriftenreihe
7,00 €

Handbuch zur deutschen Europapolitik

7,00 €

Deutschland in Europa: Dieses Handbuch informiert als Nachschlagewerk über Grundlinien der deutschen Europapolitik, über Deutschlands Rolle in zahlreichen europäischen Politikfeldern und vieles mehr.

Artikel

Engagement für Geflüchtete: Was bleibt von 2015?

2015 erlebte das zivilgesellschaftliche Engagement für Geflüchtete eine Hochphase. Wie hat sich dieses Engagement seither vor dem Hintergrund von Corona-Pandemie und Krieg in der Ukraine entwickelt?

„Hintergrund Aktuell“ ist ein Angebot der Onlineredaktion der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb. Es wird von den Redakteur/-innen und Volontär/-innen der Onlineredaktion der bpb redaktionell verantwortet und seit 2017 zusammen mit dem Südpol-Redaktionsbüro Köster & Vierecke erstellt.

Interner Link: Mehr Informationen zur Redaktion von "Hintergrund aktuell"