Welcher Jugendliche kennt das nicht? Die Eltern nerven, die Suche nach einer Freundin gestaltet sich schwierig und einen Plan vom Leben gibt es nicht. Genauso geht es auch dem 16-jährigen Peter. Er hat Mitte der 1960er-Jahre gerade die Schule abgeschlossen. Doch statt großer Freiheit scheinen ihn nur Zwänge und Enge zu erwarten: Im Ausbildungsbetrieb, einem kleinen Selbstbedienungsladen, belehrt ihn der Chef. Zuhause fragen ihn die Eltern aus. Und sogar in der Freizeit muss er beim Tanzen verbal mit Konkurrenten um die Aufmerksamkeit eines Mädchens wetteifern. Mit viel Empathie für unterschiedliche Generationen und Charaktere erzählt Regisseur Miloš Forman in seinem ersten Langspielfilm von den vorsichtigen Gehversuchen Peters in der ihn erdrückenden Erwachsenenwelt.
Semidokumentarische Studie des tschechoslowakischen Alltags
Dabei war Der schwarze Peter – im Original Černý Petr - nicht nur das Debüt des später oscarprämierten tschechischen Regisseurs. Wie Miloš Forman diesen Film gestaltete, war in der ČSSR so neu und revolutionär, dass seine Produktion zu einer der ersten der Tschechoslowakischen Neuen Welle avancierte. So hat der Filmemacher mit den Figuren der Mutter, der Freundin Pavla und allen voran mit Peter und seinem Vater hervorragende Laiendarsteller gecastet, die ihre Texte nicht auswendig lernten, sondern improvisierten. Er veranstaltete einen Tanzabend bei freiem Eintritt und ließ dort dokumentarische Aufnahmen machen, die er im Schnitt mit Spielfilmszenen mischte. Und er verpackte Gesellschaftskritik geschickt in schwarzem Humor. Auf unnachahmliche Weise gelang es Forman dabei, das Lebensgefühl der Tschechen und Slowaken im Sozialismus der 1960er-Jahre einzufangen. Er zeichnete das Bild einer zögerlichen und unambitionierten Jugend, der er eine verklemmte und spießige Erwachsenenwelt gegenüberstellte. Peter, dem Sohn eines Dirigenten und bürgerlichen Patriarchen fehlen nicht nur Vorbilder, sondern auch Möglichkeiten, um seine Persönlichkeit frei zu entfalten.
Knapp eine Million Menschen schauten sich Formans Debüt in den tschechoslowakischen Kinos an. Die Befürchtung des Regisseurs, niemand würde seinen Film, der nur ein Spiegel des Alltagslebens sei, sehen wollen, war völlig unbegründet. Das in Schwarzweiß gedrehte Meisterwerk wurde 1964 bei den Filmfestspielen in Locarno gefeiert und mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Beeinflusst war Formans Regiestil vom französischen „Cinema vérité“ und dem italienischen Neorealismus, von Regisseuren wie Luchino Visconti und Vittorio De Sica: „Sie haben uns gezeigt, dass nicht alles vor der Kamera künstlich sein muss. Man kann auf die Straße gehen und die Realität zeigen, wie sie ist.“* Das wollte Forman auch. Darum hatte er als Drehort die böhmische Kleinstadt Kolín, 60 Kilometer östlich von Prag gewählt. Dort hatte der Regieanfänger die Freiheit, auf der Straße zu drehen, so das Budget klein zu halten und sich der Kontrolle durch die Bosse der einflussreichen Barrandov-Studios zu entziehen.
Jugend unter Druck der Autoritäten
Der Alltag von Formans Hauptfigur Peter wird dafür umso mehr durch Autoritätspersonen bestimmt: Sein Chef hat stets einen Ratschlag parat und sogar sein Vater überprüft, wie der Filius sich auf der Arbeit so macht. Der Teenager soll die Kundschaft beobachten und Ladendiebe aufspüren. Eingeweihte lesen darin eine subtile Kritik am autoritären Staat und seinen Überwachungsmethoden – getarnt durch schwarzen Humor. Peters Chef erklärt: „Die Kunden dürfen nicht merken, dass du sie beobachtest. Das ist nichts Schlimmes, kein Misstrauen. Du hältst sie nur einfach von einem Ladendiebstahl ab. Wir erziehen die Verbraucher zur Ehrlichkeit.“
Schlaffe Körperhaltung, nervöse Blicke. Dem Teenager behagt diese Aufgabe gar nicht. Und was, wenn jemand etwas klaut? Peter ist unsicher, verfolgt einen Verdächtigen und läuft dem Senior so dicht und auffällig hinterher wie einst die Slapsticklegende Charlie Chaplin. Zuhause wird Peter dann vom Vater zum ersten Arbeitstag befragt. Was anfangs als Interessen-Bekundung durchgeht, klingt bald wie ein Verhör. Der Vater gibt sich als Alleswisser: „Ich musste mich auch oft im Leben positionieren. Auch oft gegen meinen Willen. Das hat aus mir einen Mann gemacht.“ Die 1960er sind konservativ, die Rolle der Frau eher traditionell: „Er ist doch noch ein Kind“, sagt die Mutter, die Peterchen gerne noch verhätscheln würde.
Doch davon hat der Junge genug. Er will raus aus der Enge der düsteren Wohnung, trifft sich lieber mit seinem Freund und quatscht mit ihm über die kecke Pavla, die ihm gefällt. „…ich stehe da und schaue sie an und sie guckt mich nicht einmal an. Da hast du so ein Gefühl, wie… so wie, als ob ich nicht bin.“ „Du bist, bist…“ „Ja, ich weiß, das ich bin.“ „…bist eine Jungfrau.“ Improvisierte Dialoge wie sie das Leben schreibt, sind eine Spezialität von Miloš Forman. Auch sie machen den Film zu einem sehenswerten Stück Zeitgeschichte, das universelle Themen zwar langsam, aber sehr unterhaltsam verhandelt. Formans Darstellung unterschiedlicher Lebensentwürfe der einzelnen Generationen ist auch heute noch aktuell.
*Das Zitat entstammt dem Bonusmaterial der DVD „Černý Petr“ (Second Run)
Credits
"Der Schwarze Peter"
Tschechoslowakische Sozialistische Republik 1963
Schwarze Komödie
Kinostart: 17.04.1964
Verleih: Ústřední půjčovna filmů.
Regie: Miloš Forman
Drehbuch: Miloš Forman, Jaroslav Papoušek
Darsteller/innen: Ladislav Jakim, Jan Vostrčil, Vladimír Pucholt, Pavla Martínková, Božena Matušková, František Kosina u.a.
Kamera: Jan Němeček
Schnitt / Montage: Miroslav Hájek, Anna Mejtská
Laufzeit: 86 Min.
Fassung: OmU
FSK: 12
Klassenstufe: ab Klasse 9