Böhmen zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Ein junger Mann steht in Oberhemd, Boxershorts und Socken in einer spärlich möblierten Küche und erzählt von seiner Familie: von seinem Urgroßvater, Großvater und Vater, die in ihrem kleinen Heimatort alle dafür bekannt waren, dass sie sich im Leben nicht sonderlich anstrengten. Dann kommt die Mutter in die Küche und hilft ihrem Sohn beim Ankleiden, bis er in einer schmucken neuen Uniform steckt. Der zweiundzwanzigjährige Miloš Hrma ist bereit zu seinem ersten Dienst als Bahnamtsanwärter.
Anlernen soll ihn der Fahrdienstleiter Hubička, der sich jedoch mehr für Frauen als für seine Arbeit auf dem örtlichen Bahnhof interessiert. Und auch Miloš beschäftigt vor allem die hübsche Schaffnerin Máša, die er gerne verführen würde. Er ist jedoch schüchtern und sexuell unerfahren. Als Máša ihn zu einem Ausflug mit Übernachtung einlädt, versagt der junge Mann im Bett und schämt sich dafür so sehr, dass er nicht weiterleben will. Nach einem gescheiterten Suizidversuch und der Begegnung mit einer Widerstandskämpferin, bei der er schließlich doch noch seine Jungfräulichkeit verliert, entschließt sich Miloš zu einem mutigen Akt der Kriegssabotage.
Ein unpathetischer Blick auf die Zeit der deutschen Besatzung
Dass der so beschaulich wirkende Bahnhof, der einzige Handlungsort des Films, sich in einem Land befindet, in dem schon sechs Jahre deutsche Besatzung und Krieg herrschen, begreift man beim Betrachten des Films erst allmählich. In Form von Zügen zieht die Realität immer wieder am Bahnhof vorüber: Lazarettzüge transportieren die Verwundeten von der Front zurück, die im tschechischen Original titelgebenden „scharf überwachten Züge“ wiederum gefährliche Munition an die Front. Die Gefahr ist allgegenwärtig und kann jederzeit auch den Bahnhof erreichen. Als ihr Vorbote schaut immer mal wieder der Kollaborateur Zednicek vorbei, um seine Untergebenen zu kontrollieren und ideologisch auf Linie zu bringen.
Während sich viele Filme der tschechoslowakischen neuen Welle mit der Gegenwart der 1960er-Jahre beschäftigen, führt Liebe nach Fahrplan zwanzig Jahre zurück in die Vergangenheit. Menzels Sicht auf die Zeit von Besatzung und Krieg ist unpathetisch und damit ganz anders als in Werken der stalinistisch geprägten 1950er-Jahre, als heroische Darstellungen des tschechoslowakischen Widerstandskampfes Literatur und Film dominierten. Seine Protagonisten sind keine unbeirrbaren Kommunisten, die ihr Leben bewusst dem Kampf gegen die Nationalsozialisten widmen. Sie entscheiden eher impulsiv und unerwartet, sie sind keine Vorzeigehelden. Der Regisseur erzählt unideologisch, mit subversiven Gags und Humor. Er findet eine neue Perspektive auf die Kriegszeit, indem er das Thema des Widerstands mit dem des Erwachsenwerdens verbindet. Die sexuelle Reife mündet im politischen Widerstand.
Oscarprämierte Literaturadaption
Als Vorlage für sein Spielfilmdebüt hatte Jiří Menzel eine Erzählung seines Landsmanns Bohumil Hrabal gewählt, die auf einer wahren Begebenheit beruht. Während des Krieges arbeitete der spätere Schriftsteller auf einem Bahnhof, in dessen Nähe eine Partisanengruppe einen Munitionszug sprengte. Als Autor wurde Hrabal bekannt für seine faszinierenden, zwischen poetischer Imagination und rauer Realität oszillierenden Geschichten. Das Balancieren zwischen diesen beiden Polen setzte Menzel sowohl in seinem ersten langen Spielfilm als auch in späteren Hrabal-Adaptionen in kongeniale Filmbilder um.
Bis heute ist der in Schwarz-Weiß gedrehte Film eines der bekanntesten Werke der tschechoslowakischen neuen Welle. Liebe nach Fahrplan lief auf internationalen Festivals in Ost und West, der größte Erfolg war der Oscar als bester fremdsprachiger Film 1968. Bei der Preisverleihung war Regisseur Jiří Menzel gerade einmal dreißig Jahre alt. Zuvor hatte er drei kürzere Filme gedreht, in mehreren anderen wirkte er als Darsteller mit. Auch in „Liebe nach Fahrplan“ ist er kurz zu sehen, und zwar als Psychiater Dr. Brabec, der Miloš Hrma behandelt.
Aus heutiger Sicht können die vielen sexuellen Anspielungen und Witze, die vielen Phallussymbole in der Bildsprache befremdlich wirken, sie sind jedoch nicht vordergründig erotisch, sondern auch metaphorisch zu verstehen. Wenn die Protagonisten sich erotische Witze erzählen, kommentieren sie auf hintergründige Art auch das politische System. Den Zuschauern, die den Film vor dem Fall des Eisernen Vorhangs sahen, als politische Witze ein verbreitetes Ventil für Unzufriedenheit waren, wird dies sicher besser bewusst gewesen sein.
Credits
"Liebe nach Fahrplan"
Tschechoslowakische Sozialistische Repbulik 1966
Tragikomödie, Literaturverfilmung
Premiere: 26.08.1966
Verleih: trigon
Regie: Jiří Menzel
Drehbuch: Jiří Menzel, Bohumil Hrabal
Darsteller/innen: Václav Neckář, Josef Somr, Vlastimil Brodský, Vladimír Valenta, Alois Vachek, Ferdinand Krůta, Jitka Bendová, Jitka Zelenohorská, Naďa Urbánková, Libuše Havelková, Květa Fialová u. a.
Kamera: Jaromír Šofr
Schnitt / Montage: Jiřina Lukešová
Laufzeit: 88 Min.
Fassung: OmU
FSK: 16
Klassenstufe: Oberstufe