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Reaktorkatastrophe von Fukushima verändert Gedenken an Atombomben-Opfer | Hintergrund aktuell | bpb.de

Reaktorkatastrophe von Fukushima verändert Gedenken an Atombomben-Opfer

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Am 6. und 9. August jähren sich die Atombombenabwürfe des Jahres 1945 über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki. Zehntausende kamen dabei ums Leben. Bis heute leiden die Menschen an den Folgen der nuklearen Verseuchung. Durch die Atomkatastrophe in Fukushima vom März 2011 erhält der jährliche Gedenktag eine neue politische Bedeutung.

Schüler in Hiroshima gedenken in einer Aktion der Opfer der Atombomben. (© AP)

Zu den diesjährigen Gedenkfeiern für die Opfer von Hiroshima und Nagasaki haben sich am Montag (6. August) etwa 50.000 Menschen im Friedenspark in Hiroschima versammelt. Auf der Veranstaltung wurde nicht nur ein Verzicht auf Atomwaffen gefordert, sondern eine generelle Aufgabe der Atomenergie in Japan - einhergehend mit dem Umschwenken auf alternative Energiequellen. Der Bürgermeister der Stadt Hiroshima appellierte an die Regierung, sich international für die Verschrottung von Atomwaffen einzusetzen. Zudem habe die Katastrophe von Fukushima im März 2011 gezeigt, wie gefährlich Atomtechnologie sei.

Bomben auf Hiroshima und Nagasaki

Am 6. August 1945 warf ein Flugzeug der US-Streitkräfte über der japanischen Stadt Hiroshima eine Atombombe mit dem Codenamen "Little Boy" ab. Drei Tage später erfolgte der Abwurf der Atombombe "Fat Man" über der Stadt Nagasaki, die damals ein wichtiger Kriegshafen war. Wenige Tage später, am 15. August 1945, gab Japan seine Kapitulation bekannt. Damit war der 2. Weltkrieg beendet. Bei dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima kamen 80.000 Menschen ums Leben, in Nagasaki starben 75.000 Menschen. An den Folgen der radioaktiven Verstrahlung starben in den darauffolgenden Wochen mehr als 100.000 Menschen - bis heute mehr als 360.000.

Seit 1965 stellt ein Gesetz die kostenlose medizinische Versorgung der Opfer der Atombombenanschläge, "hibakusha" genannt, sicher. Zuvor mussten die Opfer die Kosten dafür selbst tragen. Allerdings erhalten nur etwa zwei Prozent der noch rund 240.000 Überlebenden kostenlose medizinische Versorgung. Deshalb kommt es immer wieder zu juristischen Streitigkeiten zwischen dem japanischen Staat und den Betroffenen.

Die Atombombenabwürfe markierten den Anfang einer neuen Epoche, geprägt vom Wettrüsten zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion. Für Japan spielt die Katastrophe noch immer innenpolitisch, aber auch in den internationalen Beziehungen eine Rolle. So stellen die nordkoreanischen Tests von Atomsprengköpfen und Langstreckenraketen Japan vor eine diplomatische Herausforderung: die nordkoreanischen Raketen können Japan erreichen.

Japanischer Pazifismus nach 1945

Das Land lehnt nach den sogenannten "Nicht-Nuklearprinzipien" aus dem Jahr 1967 die Herstellung, den Besitz sowie die Einfuhr von Atomwaffen ab. Zwar haben diese Prinzipien nicht Gesetzescharakter, gelten aber als politische Grundsätze des Landes und sind fest im Bewusstsein der Japanerinnen und Japaner verankert. Eine Mehrheit der japanischen Bevölkerung, insbesondere die akademische Elite, ist pazifistisch geprägt. Dies ist auch ein Grund dafür, warum Artikel 9 der Verfassung bis heute unangetastet ist: Er verbietet nationale Streitkräfte und "für alle Zeiten" den Einsatz von kriegerischen Mitteln zur Beilegung internationaler Streitigkeiten. Außenpolitisch bekommt das Land Rückendeckung von den USA, die im Rahmen des bilateralen Allianzvertrags einen "nuklearen Schutzschirm" garantieren.

Atommächte weltweit

Ende 2009 schätzten Experten den weltweiten Bestand an Atomwaffen auf über 23.000 Sprengköpfe. Offizielle Atommächte sind Russland, die USA, China, Frankreich und Großbritannien. Als Atommacht wird ein Staat bezeichnet, der über Kernwaffen verfügt und zugleich die geeigneten Trägersysteme besitzt, die für den militärischen Einsatz der Kernwaffen vonnöten sind. Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea gelten als inoffizielle Atommächte - sie besitzen Kernwaffen, sind aber nicht dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten bzw. haben wie Nordkorea im Januar 2003 ihren Ausstieg erklärt. Der Atomwaffensperrvertrag verbietet die Verbreitung und verpflichtet zur Abrüstung von Kernwaffen. Kernenergie darf aber zur "friedlichen Nutzung" eingesetzt werden.

2011: GAU in Fukushima

Angesichts der Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima steht die friedliche Nutzung der Kernenergie in Japan zur Diskussion.

Am 11. März 2011 wurde durch ein Erdbeben und einen nachfolgenden Tsunami im Kernkraftwerk Fukushima im Nordosten des Landes ein Super-GAU ausgelöst. Es war der schwerste atomare Unfall seit Tschernobyl. Im Mai 2012 entschied die japanische Regierung, alle 50 Reaktoren im Land abschalten zu lassen und ihre Sicherheit zu überprüfen. Im Juni wurden die ersten beiden Atomreaktoren in der Zentralprovinz Fukui wieder in Betrieb genommen. Japan brauche die Atomkraft als "wesentliche Energiequelle", so Premierminister Yoshihiko Noda. Ohne die Reaktoren müsse das Land auf 30 Prozent seiner Stromerzeugung verzichten. Die Entscheidung wurde von der Opposition scharf kritisiert.

Seit den Unfällen in Fukushima hat sich erstmals in Japan eine Anti-Atomkraft-Bewegung gebildet, der sich zehntausende Bürger angeschlossen haben. Jede Woche gibt es Demonstrationen vor dem Büro des Premierministers, auf denen ein kompletter Verzicht auf Atomkraft gefordert wird. Der Premierminister Noda hat angekündigt, sich mit den Aktivisten treffen zu wollen.

Auch mehrere kleinere Parteien im japanischen Parlament haben sich den Forderungen der Demonstranten angeschlossen. Zudem hat sich im Juli dieses Jahres die erste grüne Partei Japans gegründet. 70 bis 80 Prozent der Japaner sind laut Umfragen für die schrittweise Abschaffung der Kernenergie bis 2030. Die Regierung hat angekündigt, im August 2012 einen Plan vorzulegen, der die Abkehr von der Atomenergie bis 2030 ermöglichen soll.

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