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Präsidentschaftswahl in der Türkei | Hintergrund aktuell | bpb.de

Präsidentschaftswahl in der Türkei

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Am 10. August wählt die Türkei den Nachfolger von Präsident Abdullah Gül. Es ist das erste Mal, dass das Staatsoberhaupt direkt vom Volk gewählt wird. Zur Wahl stehen drei Kandidaten, ein Sieg des derzeitigen türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan gilt als wahrscheinlich.

MInisterpräsident und Präsidentschaftskandidat: Recep Tayyip Erdoğan beim Wahlkampf in Istanbul. (© picture-alliance)

Am kommenden Sonntag sind über 53 Millionen türkische Staatsbürger aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Die Amtszeit von Abdullah Gül, der seit 2007 an der Spitze des Staates steht, endet am 28. August. Drei Kandidaten treten zur Wahl an. Neben dem derzeitigen türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan von der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) stehen zwei Kandidaten zur Wahl, die von verschiedenen Parteien gemeinsam nominiert wurden: der parteilose Wissenschaftler Ekmeleddin İhsanoğlu und der Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP) Selahattin Demirtaş.

Schwierige Kandidatenfrage bei der Opposition

Recep Tayyip Erdoğan ist seit 2003 Ministerpräsident der Türkei und Vorsitzender der Regierungspartei AKP. Zwischen 1994 und 1998 war er Bürgermeister von Istanbul, der größten Stadt der Türkei, aus der er auch stammt. Politisch aufgestiegen und sozialisiert wurde er in der islamistischen Wohlfahrtspartei, die 1998 verboten wurde. Aufgrund einer parteiinternen Regelung, die Amtszeiten auf maximal drei Legislaturperioden befristet, dürfte Erdoğan bei der Parlamentswahl im nächsten Jahr nicht noch einmal kandidieren und kann daher nicht erneut Ministerpräsident werden.
Derzeit dominiert die AKP die Politik der Türkei, im Parlament - der Großen Türkischen Nationalversammlung - haben ihre Abgeordneten eine absolute Mehrheit. Die beiden größeren Oppositionsparteien haben sich daher auf einen gemeinsamen Kandidaten verständigt, um ihre Chancen gegenüber dem populären Ministerpräsidenten zu steigern. Vor allem die CHP, die sich selbst als sozialdemokratisch bezeichnet und assoziiertes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Europas ist, musste dafür jedoch Kompromisse eingehen. Sie unterstützt gemeinsam mit der rechtsextremen MHP und einigen kleineren Parteien die Kandidatur des Universitätsprofessors Ekmeleddin İhsanoğlu. Die HDP, die vierte und kleinste der im Parlament vertretenen Parteien, hat ihren Vorsitzenden, den Rechtsanwalt Selahattin Demirtaş für die Präsidentschaftswahl nominiert. Seine Kandidatur wird von verschiedenen kleineren linken Parteien unterstützt.

Der Wahlkampf

Erdoğans Chancen, die Wahl zu gewinnen, stehen sehr gut: In Umfragen liegt er seit Bekanntgabe seiner Kandidatur bei über 50 Prozent, İhsanoğlu bei bis zu 40 Prozent und Demirtaş zwischen 6 und 8 Prozent der Stimmen. Der Wahlkampf zwischen den beiden aussichtsreicheren Kandidaten verläuft ungleich: Ministerpräsident Erdoğan hat durch sein Amt eine ohnehin hohe mediale Präsenz und ist seit den

Ekmeleddin İhsanoğlu: Der ehemalige Generalsekretär der Organisation Islamischer Länder war gemeinsamer Kandidat von CHP und MHP für das Amt des Staatspräsidenten. (Foreign and Commonwealth Office) Lizenz: cc by/2.0/de

1990er-Jahre einer der bekanntesten Politiker in der Türkei. Er gilt als charismatisch und volksnah, Eigenschaften die bei einer Direktwahl entscheidend seien können. Zudem kann er auf Erfolge während seiner Amtszeit anspielen, vor allem die deutliche Erstarkung der türkischen Wirtschaft oder den Ausbau der Infrastruktur.

İhsanoğlu hingegen war vor seiner Nominierung nur in Intellektuellen- und Wissenschaftskreisen eine bekannte Persönlichkeit. Der ehemalige Generalsekretär der Organisation für Islamische Zusammenarbeit - eine in islamisch geprägten Staaten wichtige internationale Organisation - gilt als säkular und moderat, vertritt jedoch offen islamische Werte. Für viele Anhänger der CHP ist das eine Zäsur: die Partei des Staatsgründers Atatürk sieht sich als Bewahrerin des Laizismus in der Türkei.

HDP-Kandidat Selahattin Demirtaş positioniert sich und seine Partei währenddessen als neue progressive Kraft. Seine Partei ist die erste der Türkei, die von einer Doppelspitze geführt wird: Demirtaş Co-Vorsitzende ist die Politikerin Figen Yüksekdağ.

Selahattin Demirtaş, der Vorsitzende der pro-kurdischen HDP bei einer Wahlkampfveranstaltung im Juli 2014 in Köln. (© picture-alliance, Mika)

Inhaltlich spricht er sich für eine Abschaffung der staatlichen Religionsbehörde Diyanet, wie auch der Wehrpflicht aus, wirbt für föderale Strukturen und offen für mehr Rechte homosexueller Menschen. Ob diese Forderungen mehrheitsfähig sind, erscheint derzeit jedoch zweifelhaft. Demirtaş ist Kurde, seine Partei wird vor allem in den südostanatolischen, den traditionell kurdischen Provinzen der Türkei gewählt. Die HDP hofft jedoch auch auf die Stimmen von jungen und linksliberalen Wählern, für die eine Wahl Erdoğans nicht infrage kommt, die aber die Kooperation der CHP mit der nationalistischen MHP ablehnen und von der Politik der größeren Oppositionsparteien enttäuscht sind.

Auch in Deutschland haben die Kandidaten in den vergangenen Monaten Wahlkampf betrieben. Der Grund ist eine Änderung des türkischen Wahlrechts, die es auch im Ausland lebenden Türken erlaubt an ihrem Wohnort zu wählen. Mit nur fünf Prozent war die Wahlbeteiligung im Ausland jedoch unerwartet niedrig, wie die türkische Zeitung Hürriyet berichtet.

Das Wahlverfahren

Bei der Wahl am 10. August wählen die Türken ihr Staatsoberhaupt das erste Mal direkt. Der amtierenden Präsident Abdullah Gül wurde 2007 noch vom Parlament gewählt. Eine Verfassungsänderung im gleichen Jahr änderte das Wahlverfahren. Gewählt ist nun der Kandidat, der eine absolute Mehrheit der abgegeben Stimmen erreicht. Sollte keiner der Kandidaten am 10. August eine solche Mehrheit erhalten, wird es am 24. August zu einer Stichwahl zwischen den Kandidaten mit den meisten Stimmen kommen. Die Amtszeit des neuen Präsidenten dauert fünf Jahre, er kann einmalig wiedergewählt werden.

Aufgaben des Staatspräsidenten

Die Kompetenzen des türkischen Staatspräsidenten im Interner Link: politischen System der Türkei sind verglichen mit denen des Ministerpräsidenten gering, seine Rolle ist vor allem repräsentativ. Seine Befugnisse sind allerdings größer als beispielsweise die des deutschen Bundespräsidenten: Er kann Gesetze nicht nur materiell prüfen – also ihre Vereinbarkeit mit der Verfassung kontrollieren – sondern auch per Veto zur erneuten Beratung an das Parlament zurückweisen. Er ernennt den größten Teil der Verfassungsrichter, kann das Verfassungsgericht ebenso wie das Parlament einberufen und ist Oberbefehlshaber der türkischen Streitkräfte.

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