Berg-Karabach: Ein eingefrorener Konflikt taut auf
Seit hundert Jahren schwelt der Streit zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach. Der 1994 vereinbarte Waffenstillstand scheint nun brüchig geworden zu sein.
Seit Anfang August flammt im südlichen Kaukasus ein Konflikt auf, der lange als "eingefroren" galt: der Konflikt zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien um die Region Berg-Karabach. Von der seit Ende des Karabach-Krieges (1992 bis 1994) geltenden Waffenstillstandslinie wurden in den vergangenen Wochen Gefechte, Militärmanöver und Tote auf beiden Seiten gemeldet. Seit Jahren kommt es an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze immer wieder zu gewaltsamen Zwischenfällen, bei denen Menschen sterben.
Aserbaidschanischer Anspruch, armenische Bevölkerung
Aserbaidschan will die seit 20 Jahren währende Besetzung Berg-Karabachs durch armenische Truppen beenden und fordert das völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende Gebiet zurück. Berg-Karabach gilt den Armeniern dagegen als ihr historisches Siedlungsgebiet. Auf 4.400 Quadratkilometern leben dort etwa 140.000 Menschen, die meisten ethnische Armenier. Die von ihnen 1992 ausgerufene Republik Berg-Karabach mit eigener Verfassung, Regierung und Hauptstadt (Xankändi, armenisch: Stepanakert) hat bis heute kein einziger Staat völkerrechtlich anerkannt – nicht einmal Armenien.
Pogrome, Krieg und Flucht
Unter sowjetischer Herrschaft schwelte der Konflikt weiter, brach aber lange nicht offen aus. Im Februar 1988 schließlich eskalierte der Streit gewaltsam: Bei anti-armenischen Ausschreitungen in der aserbaidschanischen Stadt Sumgait kamen mehrere Dutzend Menschen ums Leben. Als Armenien und Berg-Karabach Ende 1989 eine Vereinigungserklärung abgaben, führte dies in Aserbaidschan zu weiteren Übergriffen auf die armenische Bevölkerung. 1990 entsandte Russland Truppen in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. Diese Intervention brachte jedoch keine Beruhigung, die Situation eskalierte stattdessen in einen blutigen armenisch-aserbaidschanischen Krieg.Mit Unterstützung paramilitärischer Einheiten Berg-Karabachs und russischer Truppen eroberte Armenien nicht nur den direkten Zugang zu Berg-Karabach, sondern besetzte auch etwa 20 Prozent des aserbaidschanischen Territoriums als "Schutzpuffer". Dort ansässige Aserbaidschaner und Kurden wurden vertrieben.
Wie viele Menschen bis zum Abschluss des Waffenstillstandes 1994 in diesem Krieg starben, ist umstritten, da beide Seiten den Konflikt und die Opferzahlen politisch instrumentalisieren. Manfred Quiring geht in "Aus Politik und Zeitgeschichte" von rund 50.000 Toten aus, in einer Studie für die Stiftung Wissenschaft und Politik schätzen Uwe Halbach und Franziska Smolnik ihre Zahl auf 30.000. Der Krieg zwang rund 800.000 Aserbaidschaner sowie 300.000 Armenier zur Flucht aus den umkämpften und besetzten Gebieten.
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Kaukasische Konflikte
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Die Rolle Russlands
Russland spielt in der Auseinandersetzung um Berg-Karabach eine besondere Rolle. Armenien ist wegen der Konflikte mit Aserbaidschan und der Türkei regional isoliert und politisch, wirtschaftlich und militärisch stark von Russland abhängig. Russland ist Armeniens zweitwichtigster Handelspartner, russische Firmen beherrschen neben dem Energiesektor wichtige Industrie- und Dienstleistungsbranchen. Mehrere Hunderttausende armenische Arbeitsmigranten verdienen ihren Lebensunterhalt in Russland und schicken Geld in die Heimat. Seit 2013 ist Armenien zudem Teil einer von Russland vorangetriebenen Eurasischen Zollunion.Auch militärisch versteht sich Russland als Armeniens Schutzmacht. Armenien ist das einzige südkaukasische Mitglied der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) der ehemaligen GUS-Staaten, Russland betreibt sogar eine Militärbasis in dem Land. Im Konflikt mit Aserbaidschan ist militärische Hilfe aus Russland für Armenien lebensnotwendig. Gleichzeitig ist Russland einer der größten Waffenlieferanten Aserbaidschans. Durch die Ausbeutung von Erdölvorkommen haben sich für Aserbaidschan neue Einnahmequellen eröffnet, durch die es seine Militärausgaben zwischen 2004 und 2013 fast versechsfacht hat.
Nach Ansicht von Hannes Adomeit nutzt Russland den Konflikt, "um seinen Einfluss in der Region zu wahren". Ob die aktuellen Auseinandersetzungen zu einem neuen Krieg führen werden, hängt deshalb stark von Russland ab: Als Mitglied der "Minsker Gruppe" der OSZE ist Russland nicht nur an den multilateralen Vermittlungsversuchen beteiligt, sondern startet auch eigene Initiativen in dem Konflikt. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte Mitte August die Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens zu einem Treffen nach Russland eingeladen und dort für eine gemeinsame, regionale Lösung des Konflikts geworben. Die Konfliktparteien konnten sich jedoch nicht auf Bedingungen für Friedensverhandlungen einigen.
- Hannes Adomeit: Die Staaten im Kaukasus
- Eva-Maria Auch: Südkaukasien - Staaten mit Territorialkonflikten
- Manfred Quiring: Schwelende Konflikte in der Kaukasus-Region