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Russland und der Südkaukasus | Russland | bpb.de

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Russland und der Südkaukasus

Andreas Heinemann-Grüder

/ 7 Minuten zu lesen

Die postsowjetische Entwicklung der stark heterogenen und konfliktgeplagten Region hatte ihre Zäsur mit dem russisch-georgischen Krieg im August 2008. Einen Überblick der Beziehungen Armeniens, Aserbaidschans und Georgiens zu Moskau von Andreas Heinemann-Grüder.

Russische Soldaten während des Georgienkriegs 2008. Foto: AP (© AP )

Den Interner Link: Kaukasus zeichnet die ethno-kulturelle Vielfalt aus, zugleich ist er Brennpunkt von Gewaltkonflikten. Politische Institutionen, die Regimelegitimität und die Staatskapazitäten sind in allen drei südkaukasischen Staaten (Aserbaidschan, Armenien, Georgien) schwach, die Korruption grassiert, zum Teil herrscht bittere Armut. Gemeinsam ist den Staaten, Gebietseinheiten und Gemeinschaften des Südkaukasus, dass sie sich über äußere und innere Feinde, das Verhältnis zu externen Mächten und Gewalterfahrungen definieren. Die Gewaltkonflikte im Südkaukasus tragen zum Erhalt nicht-demokratischer Herrschaft bei und sind Bedingung für äußere Einflussnahme. Die Machtlosigkeit der Interner Link: Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) in den Konflikten des Südkaukasus ist auch Folge von Russlands Bemühen, die Staaten der Region in Abhängigkeit zu halten.

Die Eroberung und Beherrschung Armeniens, Georgiens und des kaukasischen Albaniens (heutiges Süddagestan und Aserbaidschan) fand zunächst durch islamische Araber statt, sie wurde abgelöst durch die Eroberung weiter Teile des Kaukasus durch Seltschuken, Chasaren, Perser, turksprachige Zentralasiaten und Mongolen. Ende des 18. Jahrhunderts begann die imperiale Expansion des Zarenreichs in den Kaukasus, die mit Rassismus und Zwangsbekehrungen zur Orthodoxie einherging und einen hartnäckigen, vom örtlichen Islam inspirierten Widerstand hervorrief. Die armenisch-apostolische Kirche bewahrte ihre Unabhängigkeit während die russische Regierung die Autokephalie und das Patriarchat der georgischen Kirche abschaffte und der Russischen Orthodoxen Kirche unterstellte. Nach der Oktoberrevolution hofften viele sozialrevolutionäre oder menschewistische Politiker im Kaukasus auf einen Nationalstaat oder auf nationale Autonomie. Ethnische Statuskonflikte, die Spaltung zwischen säkularen Revolutionären und islamischen Traditionalisten, zwischen demokratischer Mittelklasse und russischen Kommunisten und schwankende Loyalitäten gegenüber den Armeen der "Weißen" und der "Roten" ermöglichten die Machtübernahme der Bolschewiki im Südkaukasus.

Der spät- und postsozialistische Aufstieg des Nationalismus im Südkaukasus lässt sich auf die vorherige Repression, die Abkehr vom sowjetischen Zentrum und von russischer Vorherrschaft, auf ethnische Ressentiments und eine weit verbreitete Gewaltkultur zurückführen. Zwischen Aserbaidschan und Armenien wird seit der Auflösung der Sowjetunion der Konflikt um Bergkarabach ausgetragen, während Südossetien und Abchasien sich mit russischer Hilfe von Georgien abgespalten haben. Russland nimmt auf den Südkaukasus Einfluss, um Kontrolle über das Schwarze Meer zu behalten, die Türkei einzuhegen, um das Netz an Gas- und Erdölpipelines zu beherrschen und um die NATO an Ausweitung zu hindern.

Russland und Georgien

Nach Auflösung der Sowjetunion bekräftigte Interner Link: Georgien die eigene Unabhängigkeit und widersetzte sich zunächst einem Beitritt zur Interner Link: Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Unmittelbar nach Erlangung der Unabhängigkeit unterstützte Russland die Separatisten in Südossetien und Abchasien militärisch. Russland drängte darauf, Militärstützpunkte in Georgien errichten zu können, ein Ansinnen, das der georgische Präsident Schewardnadse zunächst ablehnte, dann jedoch die Stationierung von 10.000 russischen Truppen zuließ. Russland argwöhnte, dass Georgien die transkaukasische Pipeline von Aserbaidschan ins russische Noworossijsk unter seine Kontrolle bringen wolle und in die NATO strebe. Russland hielt Georgien zudem vor, den tschetschenischen Separatisten Rückzugsräume zu bieten.

Zuspitzung der Auseinandersetzungen bis 2008

Nachdem Bemühungen des georgischen Präsidenten Saakaschwili (2004-2013) scheiterten, die Beziehungen zu Moskau zu normalisieren, verschlechterten sie sich zusehends. Im Jahr 2006 verbot Russland den Import von georgischem Wein, Georgien verhaftete russische Offiziere, denen es Spionage vorwarf, woraufhin Russland wiederum zahlreiche Georgier aus Russland auswies und die Grenze schloss. Ab 2008 griff Russland vermehrt in die Sezessionskonflikte in Georgien ein. Die Ausgabe russischer Pässe diente dazu, "eigene" Staatsangehörige vor georgischen Truppen in den Sezessionsgebieten schützen zu können. Nach der Unabhängigkeit Kosovos kündigte Russland an, dass nun auch Südossetien und Abchasien ihre Unabhängigkeit erklären würden. Im März 2008 wurde der russische General Wassily Lunew zum Verteidigungsminister Südossetiens ernannt. Im April 2008 schoss dann ein russisches Flugzeug eine georgische Aufklärungsdrohne ab, im Mai 2008 schickte Russland bewaffnete "Eisenbahn-Truppen" nach Abchasien. Fast täglich kam es zu militärischen Zusammenstößen in den Separatistengebieten, wobei die russische Armee südossetische Milizen ausgerüstet und ausgebildet hat. Im Juli 2008 drang die russische Luftwaffe mehrfach in den georgischen Luftraum ein, darauf folgten im Juli 2008 russische Militärmanöver mit 8.000 Soldaten in der Nähe zu Georgien.

Anfang August 2008 brachen Kämpfe zwischen georgischen Truppen und südossetischen Paramilitärs aus. Die separatistische Regierung von Südossetien teilte mit, dass 300 Kämpfer aus dem russischen Nordossetien zur Unterstützung eingetroffen seien. Anfang August 2008 lieferte Russland Panzerhaubitzen an Südossetien. Russische Luftlandetruppen standen für einen Einsatz in Südossetien bereit. Der russisch-georgische Krieg im August 2008 hatte somit eine längere Vorgeschichte verkappter russischer Intervention. Während der georgischen Offensive gegen die südossetischen Aufständischen wurden auch russische "Friedenstruppen" in Zchinwali angegriffen, die jedoch mitnichten eine neutrale Rolle gespielt hatten. Das Muster der späteren Unterstützung von separatistischen Milizen im ukrainischen Donbass fand in Georgien ein Rollenmodell.

Georgienkrieg 2008

Russland bombardierte mit seiner Luftwaffe ab dem 9. August 2008 insgesamt 15 georgische Städte, es marschierte mit Luftlande-Truppen in Südossetien ein und errichtete eine Seeblockade gegen Georgien. Russland begründete sein militärisches Eingreifen mit einem Schutzanspruch gegenüber den Abchasen und Osseten in Georgien. Unter Vermittlung des französischen Präsidenten Sarkozy unterzeichneten Russland und Georgien dann einen Friedensplan, der auch den Abzug russischer Truppen aus dem Kerngebiet Georgiens vorsah. Russland baute derweil seine Militärbasen in Abchasien und Südossetien aus und subventioniert seither beide Sezessionsgebiete. Nach dem Krieg mit Georgien erkannte Russland Abchasien und Südossetien als selbständige Staaten an.

Russland und Armenien

Im Jahr 1991 lehnte Armenien zusammen mit den drei baltischen Republiken und Georgien eine Neubegründung der Sowjetunion kategorisch ab. Da Armenien jedoch mit Aserbaidschan und der Türkei verfeindet ist, richtet es sich traditionell an Russland als Schutzmacht aus. Armenien, ein kleines Land mit knapp drei Millionen Einwohnern, braucht russischen Beistand, da es das zu Aserbaidschan gehörige Bergkarabach besetzt hält. Zusammen mit Russland ist Armenien Mitglied in der Interner Link: "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" (OVKS). 1995 schlossen beide Länder zudem einen Militärpakt auf zwanzig Jahre, der mittlerweile bis 2044 verlängert wurde. Russische Streitkräfte bewachen die Grenze zur Türkei und zum Iran und kontrollieren den armenischen Luftraum.

Die russische Regierung versucht, sowohl mit Aserbaidschan als auch Armenien zusammenzuarbeiten. Militärisch kooperiert Russland jedoch weitaus enger mit Armenien. Russland und Armenien haben im Jahre 2016 eine Vereinbarung über eine gemeinsame Militärgruppierung unterzeichnet sowie über ein gemeinsames Raketenabwehrsystem. Russland beliefert Armenien mit Raketen vom Typ Iskander, mit Mehrfachraketenwerfern, mit Flugabwehrraketen, schweren Flammen- und Granatwerfern, mit Panzerfahrzeugen und Schusswaffen. Gleichzeitig liefert Russland aber auch an das verfeindete Aserbaidschan Raketen vom Typ S-300-PMU-2 sowie Flugabwehrwaffen, Panzer, Schützenpanzer, Panzerhaubitzen und Raketenwerfer sowie Kampf- und Frachthubschrauber. Aufgrund der Gegnerschaft zur Türkei und der befürchteten Ausweitung der NATO auf den Südkaukasus kooperiert Russland militärisch eng mit Armenien.

Das Verhältnis zwischen Russland und Armenien ist ungleichgewichtig. Russland ist neben dem Iran der wichtigste Lieferant von Erdöl und Erdgas nach Armenien. Die größten Industrie-, Energie-, Telekommunikationsbetriebe in Armenien werden von russischen Unternehmen kontrolliert. Als es 2015 zu Protesten in Armenien aufgrund von Strompreiserhöhungen kam, machten Oppositionelle umgehend den russischen Konzern "Inter RAO UES" verantwortlich, der das armenische Stromnetz kontrolliert. Auf Druck Russlands setzte Armenien seine Vereinbarungen mit der EU über ein Assoziierungsabkommen und ein vertieftes und umfassendes Freihandelsabkommen aus und trat stattdessen der Eurasischen Wirtschaftsunion bei. Die russische Regierung schlägt die Stationierung von eigenen Truppen in Bergkarabach vor, womit sichergestellt würde, dass keine Regelung des Konfliktes gegen russisches Veto zustande käme. Ein armenisches Bonmot bringt das Verhältnis auf den Begriff: "Russland ist ein Ofen. Wer ihm zu nahe kommt, kann verbrennen; wer sich von ihm zu weit entfernt, kann erfrieren." Der Rücktritt des Ministerpräsidenten Sersch Sargsjan im Jahre April 2018, dem Kritiker vorgeworfen hatten, ein Oligarchen-Regime errichtet zu haben, und die Wahl des Oppositionsführers Nikol Paschinjan zogen keine Neuausrichtung des Verhältnisses zu Russland nach sich.

Russland und Aserbaidschan

Im Unterschied zu Armenien ist Aserbaidschan unabhängiger von Russland, russische Truppen mussten Aserbaidschan schon 1992 verlassen. Aserbaidschan pflegt enge Kontakte zur Türkei und zum Iran. Grund für die relative Eigenständigkeit Aserbaidschans sind die Öl- und Gasvorkommen. Aserbaidschanisches Öl wird zwar nach wie vor über die russisch kontrollierte Baku-Novorossijsk-Pipeline in Richtung Westen transportiert, die von Russland unabhängigen Baku-Ceyhan und Baku-Supsa-Pipelines sind jedoch weitaus bedeutsamer. Aufgrund dieser Pipelines genießt Aserbaidschan Unabhängigkeit im Energiesektor und damit auch außenpolitischen Spielraum. Aserbaidschan trat 1999 aus dem russisch dominierten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS)) aus.

Während Russland im Konflikt um Bergkarabach eher auf der Seite Armeniens steht, lehnt Aserbaidschan russische "Friedenstruppen" ab. Aserbaidschan widersteht erfolgreich dem russischen Druck, sein Gas an Russland zu verkaufen. Aserbaidschan hat sich mit seiner Position durchgesetzt, Energieressourcen unabhängig in die EU zu exportieren. Die Beziehungen zwischen den Präsidenten Wladimir Putin und Ilham Aliev (seit 2003 an der Macht) haben sich gleichwohl pragmatisch entwickelt. Grundlage für die Kooperation sind die Gemeinsamkeiten zwischen den autoritären Regimen in Russland und Aserbaidschan, eine Nationalitätenpolitik, die das Russische in Aserbaidschan pflegt, und florierender Handel. Gegenüber der russischen Ukrainepolitik verteidigt Aserbaidschan den Grundsatz der territorialen Integrität.

Literatur:

  • Svante E. Cornell: Azerbaijan since independence, New York: Sharpe, Armonk, 2011.

  • Styopa Safaryan: Armenien. Zwischen zwei Imperien, Die Zeit 3.2.2017. Externer Link: (Zum Beitrag)

  • James Forsyth: The Caucasus. A History, Cambridge: Cambridge University Press 2013.

PD Dr. Andreas Heinemann-Grüder ist Leiter der Akademie für Konflikttransformation im ForumZFD und Privatdozent an der Universität Bonn. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Friedens- und Konfliktforschung, politisches System Russlands, vergleichender Föderalismus, politische Regime in Zentralasien.