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Parlamentswahl in Kanada | Hintergrund aktuell | bpb.de

Parlamentswahl in Kanada

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Kanada hat am 21. Oktober ein neues Unterhaus gewählt. Stärkste Fraktion wird erneut die Liberale Partei. Justin Trudeau steht eine weitere Amtszeit als Premierminister bevor – allerdings mit einer Minderheitsregierung.

Justin Trudeau und seine Frau Sophie Gregoire Trudeau feiern den Sieg der Liberalen Partei am Abend der Parlamentswahl am 21. Oktober 2019. Trudeau erhält erneut den Regierungsauftrag. (© picture-alliance/AP, The Canadian Press)

In Kanada hat die Liberale Partei (Liberal Party, LP) die Parlamentswahlen gewonnen. Mit 157 von insgesamt 338 Sitzen im Unterhaus bleibt sie stärkste Kraft, verliert aber ihre absolute Mehrheit im Unterhaus. Ihr Vorsitzender, Justin Trudeau, erhält erneut den Auftrag zur Regierungsbildung. In seiner zweiten Amtszeit als Premierminister wird er allerdings einer Minderheitsregierung vorstehen.

Wer zieht ins Parlament ein?

Die Konservative Partei (Conservative Party, CP) unter dem Vorsitzenden Andrew Scheer erhält 121 Sitze im Unterhaus (+22). Mit 34,4 Prozent der Wählerstimmen liegen die Konservativen knapp vor den Liberalen (33 Prozent). Dass sie dennoch deutlich weniger Sitze bekommen, liegt am kanadischen Mehrheitswahlrecht und dem Zuschnitt der Wahlkreise (Ridings), aus welchen jeweils ein/e Abgeordnete/r ins Unterhaus gewählt wird. Im ländlichen Westen Kanadas haben die Konservativen viele Mandate gewonnen, in der Provinz Saskatchewan sogar in allen 14 Wahlkreisen. Im bevölkerungsreicheren Osten, vor allem in Ontario und Québec, lagen jedoch die Liberalen in den meisten Wahlkreisen vorne.

Den kleineren Parteien wird in der neuen Legislaturperiode eine kritische Rolle zukommen, denn das Parlament gewinnt gegenüber der Regierung an Macht: Trudeaus Minderheitsregierung wird bei ihren Entscheidungen auf die Unterstützung der Abgeordneten im Parlament angewiesen sein.

Der Bloc Québécois unter Yves-François Blanchet erhält 7,7 Prozent der Stimmen und zieht mit 32 Abgeordneten ins Unterhaus ein. Die sozialdemokratische New Democratic Party (NDP) erhält 24 Mandate im Unterhaus (15,9 Prozent der Stimmen). Damit verliert die NDP unter ihrem Vorsitzenden Jagmeet Singh, der als Sohn von Sikh-Immigranten aus Indien der erste nicht-weiße, nichtchristliche Parteichef ist, 15 der Mandate, die sie zuletzt innehatte. Deutlich verbessern konnten sich hingegen die Grünen: Kanadas Green Party erhält bei einem Stimmenanteil von 6,5 Prozent (2015: 3,5 Prozent) drei Sitze im Parlament. Mit Elizabeth May ist sie als einzige Partei mit einer Frau an der Spitze angetreten.

Die im September 2018 gegründete, rechtspopulistische People’s Party of Canada (PPC) hat den Einzug ins Parlament verpasst. Sie erhielt 1,6 Prozent der Stimmen, konnte aber in keinem Wahlkreis gewinnen. Damit verliert auch ihr Vorsitzender Maxime Bernier seinen Sitz im Unterhaus. Als einzige unabhängige Abgeordnete hat Jody Wilson-Raybould ein Mandat erhalten. Wilson-Raybould war Ministerin in Trudeaus erstem Kabinett, trat aber im Februar 2019 von ihrem Amt zurück und wurde von Trudeau aus der Liberalen Partei ausgeschlossen. Mit vier First Nations, vier Métis und zwei Inuit ziehen insgesamt zehn Repräsentant/-innen indigener Gruppen ins Unterhaus ein.

Kanada im Commonwealth

Kanada ist seit knapp 90 Jahren unabhängig, gehört aber bis heute zum Commonwealth of Nations. Das politische System verbindet eine konstitutionelle Monarchie – die britische Queen ist Staatsoberhaupt – und eine repräsentative, parlamentarische Demokratie nach dem Westminster-Modell mit einer bundesstaatlichen Ordnung und einem Supreme Court nach US-amerikanischem Vorbild. Vertreten wird die Queen in Kanada durch eine Generalgouverneurin, seit Oktober 2017 ist das Julie Payette. Sie ist u.a. Oberbefehlshaberin der Streitkräfte und kann das Parlament auflösen. Seit einer Verfassungskrise vor knapp 100 Jahren ist das Amt aber weitgehend an Weisungen des Premierministers gebunden. Seit Kanada – genau wie etwa Australien oder Südafrika – 1931 mit dem Interner Link: Westminsterstatut außenpolitische und gesetzgeberische Souveränität erlangte, wird die Generalgouverneurin auf Vorschlag des Premierministers ernannt.

Wie funktioniert das kanadische Wahlsystem?

Die kanadische Verfassung sieht Parlamentswahlen zwar im Abstand von fünf Jahren vor. Seit einer Reform im Jahr 2006 wird jedoch alle vier Jahre zu einem festen Termin gewählt: Am dritten Montag im Oktober. In Kanada gibt es genau wie in den USA und Großbritannien ein relatives Mehrheitswahlrecht nach dem Prinzip First past the post. Dadurch – sowie durch die auf Konfrontation ausgelegte Logik des Unterhauses – entwickelte sich zunächst ein stabiles Zweiparteiensystem aus Konservativen und Liberalen.

Seit den 1920er Jahren entstanden jedoch mit zunehmender Heterogenität der Gesellschaft auch neue Parteien. Aufgrund dieser Kombination – Mehrheitswahl- und Mehrparteiensystem – gab es in den letzten Jahrzehnten in Kanada häufig Minderheitsregierungen auf Bundesebene. In den Provinzen sind hingegen häufig noch Zweiparteiensysteme zu finden.

Das Parlament im politischen System Kanadas

Das House of Commons, das kanadische Parlament in Ottawa, besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus (House of Commons) und dem Senat. Ähnlich wie in London stehen sich im Unterhaus die Regierungs- und die Oppositionsfraktion gegenüber. Der Vorsitzende der stärksten Partei erhält von der Generalgouverneurin den Auftrag zur Regierungsbildung. Der kanadische Premierminister verfügt über weitreichende politische Macht, auch im Hinblick auf die Legislative. Das Kabinett besteht aus etwa 30 Ministerinnen und Ministern. Die meisten von ihnen haben einen Sitz im Unterhaus inne. Selten gehören auch Senatorinnen oder Senatoren der Regierung an, etwa wenn nicht alle Regionen oder Bevölkerungsgruppen angemessen vertreten wären. Der Senat: Die 105 Senatorinnen und Senatoren in der ersten Parlamentskammer werden von der Generalgouverneurin auf Empfehlung des Premierministers ernannt. Im Senat sitzen häufig Mitglieder der Regierungspartei sowie Repräsentantinnen und Repräsentanten der kanadischen Regionen. Direkt gewählt werden sie aber nicht, weshalb ihre demokratische Legitimation teils in Frage gestellt wird. Trotzdem ist der Senat dem Unterhaus im Gesetzgebungsprozess weitgehend gleichgestellt, abgesehen von Finanzgesetzen und Steuerbelangen. Premierminister Trudeau reformierte Ende 2015 den Auswahlprozess, der seitdem einem Gremium obliegt.

Was waren die wichtigsten Wahlkampfthemen?

Der Wahlkampf war am 11. September 2019 mit der Auflösung des Parlaments durch die Generalgouverneurin Julie Payette eröffnet worden. 40 Tage hatten die Parteien daraufhin Zeit, für sich zu werben.

Justin Trudeau betonte im Wahlkampf die Regierungserfolge seiner Partei, etwa eine vergleichsweise niedrige Arbeitslosenquote von 5.5 Prozent (Stand: September 2019), seinen Einsatz für die Einführung einer CO2-Steuer oder das 2018 geschlossene Handelsabkommen "Canada-United States-Mexico Agreement" (CUSMA). Unter Druck geriet der Premierminister Anfang 2019 durch den Umgang mit einem Korruptionsskandal um die Baufirma SNC-Lavalin. So soll die ehemalige kanadische Justizministerin und Generalstaatsanwältin Jody Wilson-Raybould vom Premierminister unter Druck gesetzt worden sein, die Ermittlungen wegen Korruptions- und Betrugsverdacht gegen das Montréaler Unternehmen einzustellen. In der Folge traten sie und eine weitere Ministerin, Jane Philpott, zurück und wurden aus der Partei ausgeschlossen.

Die Konservativen stellten unter anderem wegen des Skandals wiederholt Trudeaus Integrität in Frage. Sie versprachen im Wahlkampf strengere Grenzkontrollen und eine wirtschaftlich orientierte Einwanderungspolitik. Eine CO2-Steuer lehnten sie ab, sie wollten die vor kurzem eingeführte CO2-Steuer der Liberalen wieder abschaffen. Andrew Scheer kündigte außerdem an, stärker gegen organisierte Kriminalität vorgehen zu wollen. Scharfe Kritik an der Migrationspolitik der liberalen Regierung übte im Wahlkampf Maxime Bernier. Seine People’s Party of Canada wollte unter anderem den Multikulturalismus abschaffen. Dessen Bewahrung und Förderung ist seit 1971 als Regierungsgrundsatz und seit 1988 durch den Canadian Multiculturalism Act gesetzlich verankert.

Ein umstrittenes Gesetz, das im Juni 2019 in Québec verabschiedet wurde, war ebenfalls Wahlkampfthema. Die sogenannte "Bill 21" verbietet Beamten das Tragen religiöser Symbole im öffentlichen Dienst. Das Oberste Gericht in Kanada prüft derzeit die Vereinbarkeit mit der Verfassung. Neben dem Schutz von Minderheiten stellten die Neuen Demokraten bezahlbaren Wohnraum, eine bessere Finanzierung des Gesundheitssystems und eine Anhebung des Mindestlohns in den Fokus ihres Wahlkampfs. Die Green Party kritisierte die Klimapolitik der Regierung, die ihr mit der CO2-Steuer nicht weit genug geht. Auch konzentrierte sie sich in ihren Wahlversprechen auf die Versöhnung mit der indigenen Bevölkerung, demokratische Reformen und eine Wirtschaft mit grünem Schwerpunkt. Der Bloc Québécois forcierte den Quebecer Nationalismus und strebte eine größere Souveränität für die Provinz an, während sich die People's Party of Canada für eine Einschränkung der Einwanderung und weniger Regulierungen von Schusswaffen einsetzte.

Dezentralisierung in Kanada

Kanada ist ein föderal organisierter Staat, der sich in zehn Provinzen und drei Territorien sowie diverse Selbstregierungsarrangements der indigenen Bevölkerung gliedert. Regionale Identitäten spielen eine große Rolle, sowohl aufgrund demografischer als auch kultureller Unterschiede. Ein wichtiger Anlass für die föderale Ordnung war der Dualismus zwischen französisch- und englischsprachigen Kanadierinnen und Kanadiern. In Québec sind etwa sieben Millionen Menschen (fast 79 Prozent) frankophon, in westlichen Provinzen wie etwa Manitoba fällt die französischsprachige Bevölkerung hingegen kaum ins Gewicht. Québec genießt verfassungsrechtlich einen Autonomiestatus. Offiziell zweisprachig ist nur die Provinz New Brunswick. Auch der Anteil der indigenen Bevölkerung unterscheidet sich zwischen den Regionen: In Manitoba und Saskatchewan leben etwa 15 Prozent First Nations, in Nunavut stellen die Inuit die Mehrheit.

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