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Französische EU-Ratspräsidentschaft | Hintergrund aktuell | bpb.de

Französische EU-Ratspräsidentschaft

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Frankreich hat am 1. Januar für sechs Monate den Vorsitz des Rats der Europäischen Union übernommen. Neben Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung plant Frankreich unter anderem eine Reform der EU-Haushaltsrichtlinien sowie des Schengener Übereinkommens.

Der Elysee-Präsidentenpalast in Paris erstrahlt zur Feier des Beginns der französischen EU-Ratspräsidentschaft in den Farben der europäischen Flagge. (© picture alliance / abaca | Blondet Eliot/ABACA)

Interner Link: Frankreich hat am 1. Januar für sechs Monate den Vorsitz im Rat der Europäischen Union übernommen, welcher auch als EU-Ratspräsidentschaft bezeichnet wird. Das Gremium ist eines der wichtigsten Organe der EU und wird auch Ministerrat genannt: Je nach Fachgebiet kommen die zuständigen Ministerinnen und Minister, also beispielsweise aus dem Außen- oder Agrarministerium, zusammen. Der Rat der Europäischen Union ist maßgeblich an der Gesetzgebung der EU beteiligt. Er hat keinen ständigen Vorsitz. Stattdessen wechseln sich die EU-Mitgliedstaaten dabei jeweils halbjährig ab. Die Ratsmitglieder beschließen die Reihenfolge des Vorsitzes einstimmig, sie ist bis ins Jahr 2030 festgelegt.

Rolle der Ratspräsidentschaft

Das jeweilige Land, das die Ratspräsidentschaft innehat, koordiniert die Arbeit des Rates und leitet dessen Treffen. Um zu gewährleisten, dass auch längerfristige Projekte umgesetzt werden können, hat die EU 2007 die sogenannte Triopräsidentschaft eingeführt. Dies bedeutet, dass diejenigen drei Staaten, die die Präsidentschaft nacheinander ausüben, ihre Programme aufeinander abstimmen und gemeinsam Prioritäten festlegen. Für die Zeit vom 1. Januar 2022 bis zum 30. Juni 2023 arbeiten Frankreich, die Tschechische Republik und Schweden zusammen.

Die drei Staaten haben im Dezember 2021 ihr Externer Link: Programm für diese Zeit vorgestellt. Um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise zu überwinden, wollen sie unter anderem den bestehenden EU-Aufbauplan vorantreiben. Dieser sieht massive Investitionen in "den grünen und den digitalen Wandel" und eine Stärkung des Binnenmarkts vor, um dem Ziel der Klimaneutralität näher zu kommen.

kurz erklärtDer Rat der Europäischen Union

Der Interner Link: Rat der Europäischen Union ist ein zentrales Organ der EU. Ihm kommen sowohl legislative als auch exekutive Aufgaben zu. Der Rat hat keine festen Mitglieder, sondern setzt sich aus den jeweils 27 zuständigen Fachministern und -ministerinnen aller EU-Mitgliedsländer zusammen – so gibt es etwa einen Rat der Landwirtschaftsminister oder einen der Innenminister. Der Ministerrat kann in zehn verschiedenen Ratsformationen zusammentreten, je nachdem, zu welchem Politikbereich Sitzungen anstehen.

Der EU-Ministerrat ist neben dem Interner Link: Europäischen Parlament Gesetzgeber der EU. Zu seinen weiteren zentralen Aufgaben gehört es, die Politik der Mitgliedstaaten in bestimmten Bereichen zu koordinieren. Außerdem berät und verabschiedet der Ministerrat gemeinsam mit dem Europäischen Parlament die EU-Rechtsvorschriften, die die Interner Link: Europäische Kommission vorschlägt. Zu den weiteren Aufgaben des Ministerrats zählt die Entwicklung der Interner Link: Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Der Rat der EU vertritt die EU gemeinsam mit dem Hohen Vertreter der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik nach außen und schließt auch internationale Abkommen ab.

Die jeweilige Ratspräsidentschaft organisiert und koordiniert die Arbeit des Rates der Europäischen Union und leitet dessen Treffen. Ihre Aufgabe erstreckt sich auch auf die Vorbereitung, Koordination und Leitung der Ausschüsse und Arbeitsgruppen, die die Ministersitzungen vorbereiten. Die Ratspräsidentschaft schlägt die Tagesordnung vor und soll im Streitfall Kompromisse aushandeln. Zudem vertritt sie den Rat gegenüber den anderen EU-Institutionen wie der Kommission sowie dem EU-Parlament.

Der Rat der EU darf nicht mit dem Interner Link: Europäischen Rat verwechselt werden. Dort kommen die EU-Staats- und Regierungschefs mehrmals im Jahr zusammen, um die allgemeine Ausrichtung der EU-Politik festzulegen. Ähnlich klingt auch der Europarat, der jedoch kein Organ der EU ist, sondern ein eigenständiger Zusammenschluss europäischer Staaten mit 47 Mitgliedsländern mit Sitz in Straßburg.

Strategische Autonomie als Ziel für die EU

Frankreich ist Gründungsmitglied der EU und hat die Ratspräsidentschaft bereits zum 13. Mal inne. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron gilt als Befürworter einer stärkeren Kooperation auf EU-Ebene. Ziel der Interner Link: französischen Ratspräsidentschafts-Agenda für die nächsten sechs Monate sei es, die umweltverträgliche Transformation der Wirtschaft voranzutreiben und dabei wirtschaftlich wettbewerbsfähig zu bleiben. Klima, Soziales und Digitalisierung lauten die selbstgewählten Schlagworte der Agenda. Zu den geplanten Maßnahmen gehören beispielsweise das Gesetz über digitale Dienste und Märkte (DSA und DMA), das unter anderem eine Rechenschaftspflicht digitaler Plattformen in Bezug auf Hassrede vorsieht. Zudem soll ein CO2-Preis für importierte Produkte an den Außengrenzen der EU geschaffen werden. Im Bereich Soziales soll eine europäische Gesetzgebung über Mindestlöhne erstellt werden.

Darüber hinaus will Frankreich die EU als Wirtschaftsstandort durch Investitionen in große Technologieunternehmen, Wasserstoff, Batterieentwicklung oder Cloud-Technologie sowie in den Gesundheits- und Kultursektor stärken. Im Gesundheitsbereich sind eine europäische Forschungsagentur und gemeinsame Projekte, wie im Bereich Alzheimer-Forschung, vorgesehen. Für die konkrete Ausgestaltung notwendiger Maßnahmen ist ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am 10. und 11. März 2022 geplant.

Uneinigkeit bei EU-Taxonomie

Im Rahmen des sogenannten “Fit-für-55“-Pakets hat die Europäische Kommission Vorschläge vorgelegt, wie die Klimaziele des europäischen Green Deals erreicht werden sollen, ohne die europäische Wirtschaftskraft zu gefährden. Um bis 2050 klimaneutral zu werden, will die EU als Zwischenschritt bis 2030 ihre Treibhausgasemissionen um 55 Prozent reduzieren. Der Plan der Kommission sieht vor, Europa als führenden Markt für klimafreundliche Produkte zu etablieren. Ein Hauptaugenmerk soll dabei auf die CO2-Bepreisung für Importe in die EU gelegt werden.

Zuletzt zeichnete sich ein Konflikt um das sogenannte Taxonomie-Regelwerk ab. Mit dieser Verordnung will die EU einheitliche Standards für umwelt- und klimafreundliches Wirtschaften festlegen, um Gelder insbesondere von Privatinvestoren in sogenannte grüne Technologien zu leiten. Die EU-Taxonomie ist Teil des "Aktionsplans zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum". Der Ende 2021 von der EU-Kommission vorgestellte Verordnungsentwurf sieht vor, auch Gas- und Atomenergie als nachhaltig zu deklarieren. Dieser Vorstoß wird zwischen und innerhalb der EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich bewertet. Während Deutschland 2022 seine letzten Atomkraftwerke abschaltet, setzt Frankreich auf einen Ausbau der Nukleartechnologie, um Versorgungssicherheit herzustellen bis genug Energie aus erneuerbaren Quellen gewonnen werden kann. Energiepolitisch umstritten ist auch das Gaspipeline-Projekt Nordstream 2, das Deutschland befürwortet und gegen das Frankreich sich im Jahr 2021 ausgesprochen hatte. Nun gilt es für Frankreich während seiner Ratspräsidentschaft einen tragfähigen Kompromiss auszuhandeln.

Stärkere Regulierung von digitalen Unternehmen

Besondere Aufmerksamkeit will die französische Ratspräsidentschaft auf das Gesetz über digitale Dienste und Märkte (DSA und DMA) richten. Mit diesem Gesetz möchte die EU große Tech-Unternehmen stärker wirtschaftlich regulieren und damit einen Beitrag dazu leisten, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle digitalen Unternehmen innerhalb der EU bestehen. Bisher zahlen etwa große US-amerikanische Konzerne wie Meta, Amazon oder Apple oft nur sehr geringe Steuern in der EU und haben mitunter in ihren Segmenten eine monopolähnliche Stellung. Zudem will Frankreich eine Rechenschaftspflicht für digitale Plattformen insbesondere in Bezug auf sogenannte "Hassrede" einführen, damit die Betreiber von Online-Plattformen illegale Inhalte künftig schneller entfernen. Das Interner Link: EU-Parlament hat das Gesetz bereits gebilligt.

Konjunkturpaket und EU-Haushalt

Unter dem Titel "NextGenerationEU" hat sich die EU 2020 ein großes Konjunkturprogramm gegeben, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Schwerpunkt von „NextGenerationEU“ sind Darlehen und Zuschüsse im Umfang von 723,8 Milliarden Euro, hinzu kommen weitere Investitionsprogramme für Wirtschaft und Forschung. Der Großteil der insgesamt über 800 Milliarden Euro soll bis Ende 2022 ausgeschüttet werden.

Zur Finanzierung hat die EU-Kommission im Namen der Staatengemeinschaft gemeinsame Schulden aufgenommen. Dieses Vorgehen will Frankreich nun während seiner Ratspräsidentschaft dauerhaft implementieren. Um die hohen Kosten für weitere Investitionen zu finanzieren, will der französische Staatspräsident die EU-Haushaltsrichtlinien ändern. Macron forderte im Dezember 2021, die Interner Link: Maastricht-Kriterien, die keine gemeinsame Aufnahme von Staatsschulden der EU-Mitgliedsstaaten beinhalten, im Einzelfall zu überdenken. Der Vertrag von Maastricht sieht vor, dass das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit eines Mitgliedstaates des Euroraums 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) nicht überschreiten darf. Auch darf der Schuldenstand eines Mitgliedstaates nicht höher als 60 Prozent des BIP liegen. In der Corona-Krise setzte die EU-Kommission die Regeln vorläufig außer Kraft. Nun will Macron diese dauerhaft lockern.

Reform des Schengener Übereinkommens

Darüber hinaus plant Macron eine Reform des Interner Link: Schengener Übereinkommens und will effektiver verhindern, dass Menschen die EU-Außengrenzen ohne Genehmigung überqueren. Denkbar sei laut Macron die Entsendung von Sicherheitskräften und Material im Falle einer Krisensituation aus anderen EU-Ländern an die jeweilige Grenze. Dem Schengenraum gehören 26 Staaten an, darunter ein Großteil der EU-Mitgliedsländer sowie mehrere andere europäische Staaten wie die Schweiz oder Norwegen. Interner Link: Frankreich plant zudem den europäischen Migrationspakt voranzubringen, der eine gleichmäßigere Verteilung von Schutzsuchenden in Europa vorsieht und die Asylregeln vereinfachen soll.

Der französische Präsident will sich darüber hinaus im Rahmen der Ratspräsidentschaft unter anderem für eine stärkere militärische Kooperation der EU-Staaten innerhalb einer „Verteidigungsunion“ einsetzen, in der verteidigungspolitische Prioritäten miteinander abgestimmt werden.

Frankreich vor den Präsidentschaftswahlen

Frankreich übernimmt den Ratsvorsitz in innenpolitisch turbulenten Zeiten. Am 10. April wählen die französischen Bürgerinnen und Bürger einen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin. Aussichtsreiche Kandidierende sind, neben dem amtierenden Präsidenten, Valérie Pécresse von den konservativen Republikanern, der als rechtsradikal rezipierte Journalist Éric Zemmour sowie Marine Le Pen des als rechtspopulistisch bis rechtsextrem eingestuften Rassemblement National. Le Pen unterlag Macron vor fünf Jahren in der Stichwahl.

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