Vorwort Konrad Becker
Wir leben in einer Welt der Veränderung – im Übergang vom Zeitalter der industriellen Produktion hin zu einer Welt, in der die Gesellschaft zunehmend auf der Produktion und dem Austausch von Wissen und Information basiert.
In einer Geschwindigkeit, die von vielen nicht mehr leicht nachvollzogen werden kann, bewegen wir uns in Richtung einer Informationsgesellschaft, die durch den Umgang mit einer globalen Informationsinfrastruktur gekennzeichnet und von digitalen Netzwerken geprägt ist, die den Planeten wie eine unsichtbare Infosphäre umschließen.
Zusammen mit den Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie der computergestützten Biotechnologie entsteht eine neue globalisierte Wirtschaft, die nachhaltige Auswirkungen auf Politik, Kultur und soziale Beziehungen haben wird.
Mit der Veränderung der wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Strukturen hin zu einer wissensbasierten Gesellschaft wird Wissen zunehmend zu einem Machtfaktor. Die ungleiche Verteilung von Wissen wird zu einer ernst zu nehmenden Herausforderung für die demokratische Entwicklung und die soziale Gerechtigkeit.
Ausreichende und vor allem zuverlässige Information ist die Grundlage jeder Entscheidung. Weite Teile der Gesellschaft und zahlreiche Entscheidungsträger sind immer noch nicht hinreichend mit den Implikationen der Informations- und Kommunikationstechnologien vertraut, um sich gestaltend an der Entwicklung einer breiten und demokratischen Debatte beteiligen zu können. Es besteht daher das öffentliche Interesse, die Hintergründe der gesellschaftlichen Entwicklung für alle Bevölkerungsgruppen transparent zu machen.
Im Interesse der Allgemeinheit muss die Stärkung und Förderung der öffentlichen Sphäre in den elektronischen Netzwerken sichergestellt werden, die Erhaltung kultureller Vielfalt in der Infosphäre sowie die Anerkennung und Gewährleistung der "digitalen Menschenrechte". Digitale Menschenrechte basieren auf dem Verständnis von Kommunikation als der Grundlage von Zivilisation und Gemeinschaftsbildung. Das Recht auf Zugang zu elektronischen Netzwerken, das Recht auf die Freiheit der Meinung und des Ausdrucks und nicht zuletzt das Recht auf eine Privatsphäre sind die zentralen digitalen Menschenrechte.
Aber auch die experimentelle Anwendung und Aneignung von Informations- und Kommunikationstechnologien durch Künstler und Kulturschaffende außerhalb rein ökonomisch orientierter Strukturen leisten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung lebendiger und vielfältiger elektronischer Kulturen. Dazu bedarf es aber Rahmenbedingungen und Maßnahmen zur Förderung von Kunst in elektronischen Netzwerken, um dieses kulturelle Erbe der Zukunft für kommende Generationen sicherzustellen.
World-Information.Org versucht mit dem vorliegenden Buch auch einen Beitrag zu einem besseren Verständnis der Chancen und Risiken der Informationsgesellschaft anzubieten. Die hier vorgestellte Cultural Intelligence soll den Leser ermutigen, Fragen zu stellen, die vielleicht simpel klingen, aber weitreichende Konsequenzen für unsere Welt haben:
Wem gehört das Netz, wie funktioniert es wirklich und wie kann die Öffentlichkeit davon profitieren? Wie verändern sich Alltagsleben, Kunst, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien? Wie entsteht öffentliche Meinung? Wie kann der Schutz der Privatsphäre und der Persönlichkeitsrechte in der Informationsgesellschaft gesichert werden? Was sind die Informationsmenschenrechte? Wie sieht Kunst in digitalen Netzwerken aus, und was ist die Grundlage eines zukünftigen Kulturerbes?
Konrad Becker, Externer Link: world-information.org
Vorwort Saskia Sassen
Die bedeutende Rolle der Technologie in der Gestaltung von Produktion, Vertrieb, Organisationsformen und gesellschaftlichen Beziehungen steht seit langem außer Zweifel. Doch die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) unserer Zeit sind nicht irgendeine Technologie. Sie führen zu grundlegenden Veränderungen in der demokratischen Partizipation, in Kontroll- und Überwachungsverfahren, in der Privatsphäre wie in der Kriegsführung. Sie verändern die strategische Geographie einer wachsenden Zahl institutioneller Ordnungssysteme, aber auch kollektive Vorstellungen und sogar persönliche Identitäten. Sie tun dies sowohl in sehr sichtbarer Form als auch auf untergründige, oft schwer zu entschlüsselnde Art. In allen Sektoren der Wirtschaft – von der Landwirtschaft über die industrielle Produktion bis zu den Dienstleistungen – sind die IKT vor allem in Forschung und Entwicklung bestimmend; sie beeinflussen aber auch eine wachsende Zahl von Gesellschaftsgebieten. Ein Verständnis der neuen IKT ist daher unabdingbar.
Worauf wir uns allerdings beziehen, wenn wir von Informations- und Kommunikationstechnologien sprechen, ist nicht so eindeutig. Es gibt eine starke Neigung, dabei die technischen Leistungsmerkmale der neuen IKT in den Vordergrund zu stellen. Vom Standpunkt einer eng definierten Ingenieurstätigkeit aus mag dies auch in Ordnung sein. Doch wenn es darum geht, die größeren Problemkreise zu verstehen, die hier betroffen sind, dann reicht diese Perspektive nicht aus, obwohl sie unverzichtbar ist. Wie in diesem Buch deutlich gezeigt wird, haben die neuen Datenspeicherkapazitäten, die durch die Digitalisierung ermöglicht wurden, nicht einfach nur mit Speicherung zu tun, sie können beispielsweise auch für Überwachung und Marketing eingesetzt werden. Ein Verständnis der IKT kann sich aber auch nicht auf deren Auswirkungen auf bestehende Verhältnisse und Institutionen beschränken, auch wenn dieser Weg von vielen Sozialwissenschaftlern eingeschlagen wurde. Die IKT müssen auch als konstitutive Faktoren neuer Verhältnisse und institutioneller Strukturen begriffen werden, als neu entstehendes Ordnungssystem. Wer an Fragen der demokratischen Partizipation und Verantwortung interessiert ist, muss über technische Leistungsfähigkeit und Auswirkungen auf bestehende Verhältnisse hinausgehen und sich mit den Eigenschaften dieses neu entstehenden Ordnungssystems befassen.
Dieses Buch tut all dies, und zwar mit großer Klarheit, Genauigkeit und aufschlussreichen Erkenntnissen. Es bietet Analysen und Information zu diesen Themen. Es enthält detaillierte Informationen über alle Schlüsselaspekte der Infrastruktur, der Technik und der Organisationen, die zusammen die technische Seite der neuen IKT repräsentieren; es liefert aber vor allem auch tiefer gehende Analysen des Gebrauchs, den die verschiedenen Akteure – globale Märkte, Unternehmen, NGOs und Einzelpersonen – von diesen Technologien machen, von der Gewinnerzielung über demokratische Partizipation bis zur Überwachung.
Das Ergebnis dieser Kombination von Information und detaillierten Analysen sind die Konturen einer neuen Ordnung, die durch neue Arten der instrumentellen Leistungsfähigkeit und durch ungeheure Konzentrationen von spezifischer Macht in den Händen von Schlüsselakteuren gekennzeichnet ist. Diese neuen technischen Kapazitäten sind von verschiedener Art und können für verschiedene Zwecke eingesetzt werden. So haben etwa die Kapazitäten der Datenverarbeitung exponentiell zugenommen und ganz neue Datentopographien entstehen lassen, vor allem globale Datennetzwerke und -knoten. Die neuen Kapazitäten der Datenkodierung und Datengewinnung haben das Verhältnis der Menschen zu Daten grundlegend geändert. Dies ist im Kapitel "Globale Brainware" dieses Buches zu sehen, wobei besonders die zunehmend wichtige Rolle von Denkfabriken und deren strategische Rolle in Politik und globaler Wirtschaft von Bedeutung ist. Es zeigt sich aber auch am Beispiel der neuen biometrischen Technologien und an der Aneignung der "privaten" Information über unser Leben und unseren Körper. Eine weitere instrumentelle Kapazität besteht in der Kombination aus Geschwindigkeit, Interkonnektivität und verteilter Parallelereignisse, die die Größenordnungen und Dimensionen von Handlungen vergrößert haben. Ein besonderer Nutznießer dieser Entwicklungen war die Finanzwelt, deren Geldflüsse eine Größenordnung erreicht haben, im Vergleich zu der andere große globale Flüsse wie Handel oder Direktinvestitionen winzig erscheinen, selbst wenn letztere auch zu den Gewinnern der neuen IKT gehören.
Was die großen Machtkonzentrationen angeht, welche durch die IKT ermöglicht werden, fällt als erstes die wachsende Macht von Großunternehmen auf, die auch in der Lage sind, Technologie- und Infrastrukturentwicklung in ihrem Sinne zu gestalten. Ein zweites Beispiel der Machtkonzentration liefert die US-Regierung, die ausgedehnte Überwachungsstrukturen einrichten kann, wie das ECHELON-Überwachungssystem, das in diesem Buch in seinen Einzelheiten porträtiert wird. Großunternehmen und US-Regierung spielen überdies eine entscheidende Rolle in Verwaltung und Betrieb des Internets. Die ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) hatte den Zweck, die verschiedenen Nutzergruppen in diese Agenden einzubeziehen, doch dies ist nicht wirklich gelungen. Ein weiteres Ergebnis dieser spezifischen Machtkonzentrationen ist der Einsatz von technischen Systemen, die jene natürlichen und rechtlichen Vorrichtungen zum Schutz unserer Privatsphäre, die wir einst als unumstößlich hielten, untergraben. Dieses Buch zeigt, dass diese Entwicklungen die demokratische Partizipation und Verantwortung bedrohen, anstatt Kommunikation und Information in demokratischen Gesellschaften zu stärken. Im Großen und Ganzen scheint nicht die Demokratie gestärkt zu werden, sondern die Macht der bereits Mächtigen noch weiter anzuwachsen. Dazu hätte es wohl nicht kommen sollen.
Doch dieses Buch zeigt auch, wie bestimmte Komponenten der neuen IKT, insbesondere das Internet, von vielen Individuen und Organisationen in ihrem Kampf für eine gerechtere Welt eingesetzt werden. Das Internet ist dabei sowohl auf lokaler als auch auf globaler Ebene von Nutzen und erleichtert den Kampf um Menschenrechte ebenso wie den Einsatz für eine gesündere Umwelt, den Kampf gegen die Armut, oder den Kampf gegen einflussreiche und weitgehend eigenmächtige Organisationen wie die Welthandelsorganisation WTO. Doch diese Anwendungen der neuen Technologien müssen entwickelt werden, sie entstehen nicht einfach von selbst. Selbst wenn sich diese Nutzungsarten rasch verbreiten, werden sie an der ungeheuren Macht von Unternehmen und manchen Regierungen nichts Wesentliches ändern. Dennoch können diese mächtigen Akteure durch die globale Vernetzung zumindest mit demokratischen Prinzipien konfrontiert werden. Die verschiedenen kritischen Nutzungen der neuen Technologien können neue Räume für gegensystemische Aktivitäten schaffen und grenzüberschreitende Netzwerke ermöglichen und so zum Bau einer globalen Zivilgesellschaft beitragen – und auf der anderen Seite zu einer Überwachung der Überwacher und ihrer Machtprojekte.
Saskia Sassen
Saskia Sassen ist Professorin für Soziologie an der University of Chicago und u. a. Autorin von "Machtbeben. Wohin führt die Globalisierung?" (München: DVA 2000)