I. Europa als landesparlamentarische Herausforderung
Die Frage der Stärkung der parlamentarischen Komponente des europäischen Entscheidungsprozesses findet mit zunehmender Kompetenzfülle der Europäischen Union breiten Niederschlag in Wissenschaft
Spätestens seit der Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Eine weitere, noch gravierendere Herausforderung für die Landtage resultiert aus den Rückwirkungen des europäischen Integrationsprozesses auf die föderative Struktur der Bundesrepublik Deutschland
Diese Mitwirkung der Länder in der Europapolitik vollzieht sich im Wesentlichen in exekutivisch geprägten Strukturen. Mit dem Bundesratsverfahren nach Artikel 23 GG
Die Landtage, nach verfassungsrechtlichem Anspruch die Zentren der politischen Willensbildung in den Ländern, erfahren eine zunehmende Ausgrenzung von politischen Entscheidungsprozessen und eine Einengung ihrer politischen Gestaltungsfunktion
Mit diesen Veränderungsprozessen der Stellung und Funktion der Landesparlamente im politischen System sind Grundfragen des Parlamentarismus angesprochen - Fragen einer Neuorientierung und Neuakzentuierung des Landesparlamentarismus unter den Vorzeichen europäischer Politikverflechtung. Es geht innerhalb der Bundesländer um die Frage eines verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch gebotenen Gewaltenausgleichs zwischen den Verfassungsorganen, um eine angemessene Teilhabe der parlamentarischen Ebene am europäischen Entscheidungsprozess; im Kern geht es um die Wahrung der politischen Gestaltungsfähigkeit der direkt demokratisch legitimierten Landesparlamente unter der Perspektive zunehmend intensivierter europäischer Mehrebenenverflechtung.
Die Landesparlamente haben auf diese Herausforderung in vielfältiger Weise reagiert - sei es durch das Einfordern frühzeitiger Unterrichtung durch die Landesregierung über landesrelevante EU-Vorhaben oder, darüber hinausgehend, durch den Anspruch auf Mitwirkung an der europapolitischen Positionsbestimmung des Landes im Willensbildungsprozess der Länder bzw. auf europäischer Ebene, insbesondere im Ausschuss der Regionen. Als weitestgehender parlamentarischer Mitwirkungsanspruch der sechzehn Landesparlamente sei hier auf Artikel 34a der Landesverfassung von Baden-Württemberg hingewiesen, der eine Mitwirkung des Landtags an der europapolitischen Willensbildung verfassungsrechtlich verankert.
Ziel landesparlamentarischer Einbindung in den europapolitischen Willensbildungsprozess ist neben der landesinternen Positionsbestimmung auch eine stärkere direkte Präsenz der Landtage auf europäischer Ebene; dies betrifft insbesondere Vertretungsregelungen des Landes im Ausschuss der Regionen.
Der vorliegende Beitrag behandelt die Ausrichtung der internen Infrastruktur der Landesparlamente auf die Herausforderung Europa. In einem ersten Schritt werden die bisherigen Anstrengungen in den Landtagen aufgezeigt, durch Anpassung ihrer parlamentarischen Infrastruktur - insbesondere durch Schaffung von europapolitischen Ausschüssen und die Bereitstellung parlamentarischer Instrumentarien - der Herausforderung Europa gerecht zu werden. Anschließend wird das landesparlamentarische Reformpotential analysiert und diskutiert
II. Europafähigkeit durch Reform der parlamentarischen Infrastruktur: europapolitischer Ausschuss als zentraler Reformschritt
Die Teilhabe am europäischen Entscheidungsprozess setzt für die Landesparlamente die Anpassung ihrer Infrastruktur an die Erfordernisse des europäischen Mehrebenensystems voraus. Diese Erfordernisse sind gekennzeichnet durch ein erhöhtes Maß an Flexibilität des parlamentarischen Willensbildungsprozesses unter den zeitlich engen Vorgaben europäischer Politikgestaltung. Diese zeitlichen Vorgaben stellen sich für die Landtage als besonders virulent dar, da sie als unteres Glied der europäischen Mehrebenen-Verflechtung in der Regel nur mittelbar - über die Landesregierungen - an den Informationen partizipieren. Die Aufarbeitung von EU-Vorhaben für die Willensbildung der Länder im föderalen Entscheidungsprozess, in dessen Kern der Bundesrat sowie die Ministerpräsidenten- und Fachministerkonferenzen stehen, ist zum Zeitpunkt der Einbindung der Landtage zumeist bereits erfolgt. Die Landtage müssen sich diesen Entscheidungsabläufen anpassen.
Mitwirkung am europäischen Entscheidungsprozess setzt neben den zeitlichen und Flexibilitätserfordernissen auch die Herausbildung fachlicher Kompetenz voraus - dies sowohl auf der Ebene der Parlamentarier als auch im administrativen Unterbau des Parlaments. Für effiziente Teilhabe an der europapolitischen Willensbildung wird es weniger auf die Quantität als vielmehr auf die Qualität parlamentarischer Einflussnahme in wesentlichen landesrelevanten Politikfeldern ankommen.
1. Europapolitische Ausschüsse in den Landtagen
Die Landesparlamente haben als zentrale institutionelle Reformanstrengung die Europapolitik inzwischen als festen Bestandteil ihrer parlamentarischen Arbeit in ihre Ausschussstrukturen aufgenommen. In allen Landesparlamenten, außer im Landtag von Baden-Württemberg, sind eigenständige, mit europapolitischen Fragen befasste Ausschüsse geschaffen worden. Wobei für den Landtag von Baden-Württemberg anzumerken ist, dass der Ständige Ausschuss auch die Funktion eines europapolitischen Ausschusses wahrnimmt, auch wenn dies nicht in der Ausschussbezeichnung zum Ausdruck kommt. In der Regel ist der Bereich Europa mit einem anderen Politikbereich, insbesondere mit Bundesangelegenheiten, zusammengelegt. In Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Saarland finden sich jeweils ausschließlich mit Europafragen befasste Ausschüsse. Die Einrichtung eigenständiger europapolitischer Ausschüsse lässt die Zuständigkeit der Fachausschüsse für europapolitische Fragen ihres Fachgebietes in der Regel unberührt. In der Übersicht (S. 23) sind die mit europapolitischen Fragen befassten Ausschüsse in den deutschen Landesparlamenten dargestellt.
Die Schaffung von europapolitischen Ausschüssen zeigt die zunehmende Ausrichtung der parlamentarischen Infrastruktur auf Europa. Zielsetzung der Europaausschüsse ist die Bündelung europapolitischen Sachverstandes, um dem zunehmend bedeutender werdenden Politikfeld Europa auf Landesebene gerecht zu werden. In ihnen konzentriert sich die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Europapolitik der Landesregierung sowie die Formulierung einer eigenständigen parlamentarischen Position. Zu ihren Aufgaben gehört zudem die Kontaktpflege zu europäischen Institutionen, insbesondere zu den Abgeordneten des Europäischen Parlaments, aber auch zu den jeweiligen Länderbüros.
Seit dem Maastrichter Vertrag sind die Mitwirkungsrechte der Bundesländer am europäischen Entscheidungsprozess ausgebaut worden; damit gewinnen die europapolitischen Ausschüsse eine zunehmende Bedeutung. Dies betrifft nicht nur die landesinterne Mitwirkung an der europapolitischen Willensbildung der Länder, sondern auch die direkten Mitwirkungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene. Die Kontrollfunktion, etwa gegenüber der Tätigkeit der Vertreter des Landes im Ausschuss der Regionen, erfordert auf landesparlamentarischer Ebene eine fundierte Kenntnis der europäischen Entscheidungsmechanismen und der Grundzüge der Rechtsordnung der Europäischen Union. Ohne Spezialisierung, wie sie ein eigenständiger europapolitischer Ausschuss bieten kann, wird eine konstruktive parlamentarische Begleitung der Europapolitik des Landes in europäischen Gremien kaum zu leisten sein.
In den parlamentarischen Debatten um eine sachgerechte Behandlung der Europapolitik in den Ausschüssen sind allerdings auch Bedenken gegen die Einrichtung eigenständiger europapolitischer Ausschüsse artikuliert worden
Hinsichtlich ihrer Stellung im Ausschussgefüge der Landtage zeigt sich, dass die europapolitischen Ausschüsse die Dominanz der Fachausschüsse nicht beeinträchtigen. Die ihnen in der Regel lediglich zuerkannte mitberatende Funktion zeigt dies deutlich.
Die Federführung in der Beratung europapolitischer Themen liegt nur selten beim europapolitischen Ausschuss. Daraus resultierend verbleibt diesen Ausschüssen nur ein sehr begrenzter autonomer Zuständigkeitsbereich. Es verwundert von daher nicht, dass dort, wo eine Reduzierung der Ausschüsse anstand, der europapolitische Ausschuss zumeist einer derjenigen war, dessen Aufgabenbereich einem "klassischen" Ausschussressort zugeordnet wurde.
2. Europapolitische Ausschüsse als Querschnittsausschüsse
Aufgrund dieses Befundes zeigt sich die grundsätzliche Problematik von Querschnittsausschüssen, die sich für die europapolitischen Ausschüsse besonders markant auswirkt. Als nachteilig wirkt sich zum einen für sie aus, dass Europapolitik des Landes grundsätzlich Beteiligung an der Politikgestaltung anderer Ebenen ist, nicht aber autonomer landesparlamentarischer Hoheitsbereich. Da sie zudem in vielen Politikfeldern aus ihrem spezifischen Blickwinkel heraus mitwirken, letztlich aber nur einen schmalen Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten besitzen, rangieren sie in ihrer faktischen Bedeutung stets unterhalb der Fachausschüsse. Die ausschließliche Zuständigkeit eines europapolitischen Ausschusses bewegt sich im Bereich der grundsätzlichen Fortentwicklung der europäischen Integration in ihren institutionellen Facetten und perspektivischen Implikationen. Unter den Querschnittsausschüssen selbst ist es der Europapolitik bislang offenbar nicht gelungen, in ihrer Bedeutung mit anderen Querschnittsbereichen gleichzuziehen. Dies findet seine Ursache im doch recht schmalen Bereich eigenständiger Zuständigkeiten und dem sehr breiten Spektrum, in dem Europapolitik zugleich Fachpolitik ist.
Für die Stellung der europapolitischen Ausschüsse in den Landesparlamenten zeigt sich ein zweidimensionales Autonomiedefizit als prägend: zum einen vertikal als "bloß" Mitwirkende im Verflechtungssystem von Europäischer Union, Bund und Ländern, zum anderen horizontal in der aus ihrer Querschnittsfunktion resultierenden Konkurrenzsituation zu den Fachausschüssen. Anders als bei den Fachausschüssen, die im Rahmen des kooperativen Föderalismus für ihren jeweiligen Aufgabenbereich vor allem das vertikale Autonomiedefizit zu beklagen haben, kumulieren beide Dimension bei den Europaausschüssen.
III. Parlamentarische Instrumentarien zur Bewältigung der Herausforderung Europa
Zur parlamentarischen Infrastruktur gehören auch die adäquaten Instrumente, um den spezifischen Rahmenbedingungen des europäischen Entscheidungsprozesses gerecht zu werden. Zu diesen Instrumenten zählt die direkte Überweisung europapolitischer Vorlagen an den zuständigen Ausschuss - ohne dass es eines Überweisungsbeschlusses des Plenums bedarf - ebenso wie die Ermächtigung des europapolitischen Ausschusses bzw. des zuständigen Fachausschusses, in Eilfällen anstelle des Plenums entscheiden zu können. Beide Instrumentarien tragen den zeitlich oft eng bemessenen Vorgaben des europäischen Entscheidungsprozesses Rechnung. An diesen zeitlichen Vorgaben scheitert oftmals die landesparlamentarische Positionsbestimmung im Vorfeld der Entscheidung auf europäischer Ebene bzw. des Bundesrates. Effiziente parlamentarische Einflussnahme muss diesen Vorgaben Rechnung tragen.
Zu den adäquaten, auf den europäischen Entscheidungsprozess abgestimmten parlamentarischen Instrumenten zählt auch das Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse und ein damit einhergehendes Initiativrecht an das Plenum. Gerade bei der Behandlung europäischer Themen ist die Auswahl der für das Land relevanten Schwerpunkte ein zentrales Kriterium für die Zielgenauigkeit der Einflussnahme. Diese Auswahl aus der Sicht des Landtages vorzunehmen und in den Willensbildungsprozess als Initiative einzubringen ist deshalb eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der europapolitischen Arbeit des Parlaments. Ein Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse mit Initiativrecht in europapolitischen Fragen kann hier, neben dem Initiativrecht der Fraktionen, zur Effizienzsteigerung beitragen.
Die genannten parlamentarischen Instrumente sind allerdings nur in wenigen Landesparlamenten gegeben. Die Möglichkeit der Direktüberweisung an die Ausschüsse ohne Plenumsbeschluss ist dabei noch am meisten verbreitet. Eine Ermächtigung der Ausschüsse, in Eilfällen anstelle des Plenums zu entscheiden, findet sich nur in wenigen Fällen; hinzuweisen ist insbesondere auf die ausdrückliche Verankerung einer solchen Ermächtigung in den Geschäftsordnungen des Landtags (GOLT) Nordrhein-Westfalen (§ 26 Abs. 3 GOLT) und des Abgeordnetenhauses von Berlin (§ 21a der GO des Abgeordnetenhauses).
Ein Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse mit daraus resultierendem Initiativrecht findet sich in den Parlamenten der Länder Nordrhein-Westfalen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein ist es gar in der Verfassung verankert. In anderen Landesparlamenten, in denen ein Selbstbefassungsrecht vorhanden ist, fehlt es am damit einhergehenden Initiativrecht, womit es in seiner Wirksamkeit entscheidend eingeschränkt wird.
IV. Entwicklung parlamentarischer Europafähigkeit am Beispiel des Hessischen Landtags
Mit der Bereitstellung solch weitgehender parlamentarischer Gestaltungsmöglichkeiten hat sich das hessische Landesparlament bislang noch nicht beschäftigt - von keiner politischen Seite gab es bisher dazu eine entsprechende Initiative. Dies begründet sich möglicherweise in der Genese institutioneller wie politischer Behandlung europabezogener Themen im Hessischen Landtag.
Erst mit Beginn der 14. Legislaturperiode, im April 1995, erweiterte der Hessische Landtag sein Ausschussspektrum um einen eigenständigen "Europaausschuss". Bis dahin wurden europapolitische Themen und Initiativen - wie auch solche, die den Bundesrat, einzelne Länder und supranationale Organisationen betrafen - traditionell im Hauptausschuss behandelt. Auch ihre parlamentarische Beratung beschränkte sich all die Jahre zuvor auf eine jährlich fast rituell wiederkehrende Plenardebatte in der jeweiligen Europawoche zu aktuellen Themen der Europäischen Union.
Seit der Existenz eines eigenständigen Europaausschusses nahm die parlamentarische Behandlung europapolitischer Themen sprunghaft zu. In den zumeist nicht öffentlichen Sitzungen des Ausschusses, zu dem auch mehrfach Sachverständige eingeladen waren, wurden beispielsweise regional wichtige Fragen wie die "Regelung der Bodenverkehrsdienste am Flughafen Frankfurt", die "Milchmarktpolitik der EU" in ihren Auswirkungen auf Hessen
Die Mehrzahl der europapolitischen Debatten - dies zeigte sich sehr schnell - offenbarte einen breiten Konsens über alle vier Fraktionen hinweg. Damit setzten sich die Ausschussmitglieder als Debattenredner von dem in den übrigen Politikfeldern gewohnten Ritual und der erwarteten Rollenverteilung allmählich ab, nach der Regierung bzw. Mehrheitsfraktionen versus Opposition ihre kontroversen Debatten mediengerecht zelebrieren. Der Konsens wird von beiden Seiten gesucht, selbst wenn zwei völlig entgegengesetzte europapolitische Anträge die Tagesordnung bestimmen. So wurde bisher im Ausschuss nach der Überweisung durch das Parlament - und zuvor noch in den Verhandlungen der Obleute untereinander - in intensiven Diskussionen der größte gemeinsame Nenner gesucht, um anschließend im Plenum in einem gemeinsamen Antrag die Übereinstimmung aller politischen Lager zu dokumentieren. Der Grund für diese immer wieder gesuchte Gemeinsamkeit ist die Einsicht, wenn eines der 16 Bundesländer sich auf europäischer Ebene überhaupt auch nur ansatzweise Gehör verschaffen wolle, dann dürfe das Parlament nur in klarer Übereinstimmung und nicht in knapper Mehrheitsentscheidung Beschlüsse fassen
Dies führt andererseits in einer auf Auseinandersetzung und politischen Dissens fixierten Mediengesellschaft dazu, dass die akkreditierten Pressevertreter, Fernseh- und Rundfunkjournalisten einer auf Übereinstimmung zielenden Debatte kaum einen Reiz abgewinnen können. Ein eindrucksvolles Beispiel dieses Desinteresses der Medien zeigte sich 1996 in der regionalen Berichterstattung einer bundesweit bekannten Zeitung über die Plenardebatte zur "zeitgerechten Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion"
In der Hierarchie der Landtagsausschüsse folgt der Europaausschuss (vgl. Landtagshandbuch, 15. Wahlperiode) dem Hauptausschuss, noch vor dem Haushalts-, Petitions-, Innen- und kulturpolitischen Ausschuss; in der Praxis hat er diese Bedeutung aber noch nicht erlangt. Zum einen muss er als Querschnittsausschuss fast alle seine Themen mit anderen Fachausschüssen teilen, ohne dabei bisher die Funktion eines souveränen Koordinators erlangt zu haben. Zum anderen sind die genuin landesbezogenen Themenfelder der Europapolitik, die nicht zugleich die Themenfelder anderer Ausschüsse berühren, noch vergleichsweise gering. So werden Gesetzentwürfe oder Anträge europapolitischen Inhaltes sowohl an die Fachausschüsse als auch an den Europaausschuss überwiesen, wobei dieser bislang zumeist nur als mitbeteiligtes, nicht aber als federführendes Parlamentsgremium fungiert.
Nach der Konstituierung des Europaausschusses begann zunächst ein längerer Prozess der Selbstfindung, vor allem im Verhältnis Parlament zur Regierung, hier vor allem bezüglich der Konkretisierung ihrer Informations- und Berichtspflicht gegenüber den Abgeordneten. Die grundsätzliche Frage nach dem Umfang und der Qualität der "Beteiligung des Landtags in Angelegenheiten der Europäischen Union"
Die einzige - bisweilen sogar erbittert geführte - Kontroverse, die bisher zwischen Regierungsfraktionen und Opposition stattfand, entzündete sich an der Frage der Mitgliedschaft im AdR. Hessen hatte in der zurückliegenden Legislaturperiode (1995-1999) zunächst zwei, danach nur einen Vertreter in diesem Ausschuss. Nach Auffassung der Regierung und der sie tragenden Fraktionen mussten diese Mitglieder unbedingt ministrabel sein und ihre Stellvertreter selbstverständlich jeweils deren Staatssekretäre. Die Opposition belegte ihre Forderung nach parlamentarischer Vertretung im AdR - ein Abgeordneter als ordentliches, ein anderer als stellvertretendes Mitglied - mit dem Hinweis auf die überwiegend paritätisch getroffenen Regelungen in den anderen deutschen Bundesländern. Die Verteidiger der Minister-Staatssekretär-Regelung hielten drei Jahre den heftigen Angriffen der Opposition stand und beharrten auf ihrer Position. Als diese in der neuen Legislaturperiode im April 1999 die Regierungsverantwortung übernahm, änderte sie die bisherige Verfahrensweise und schickte den Landtagspräsidenten als stellvertretendes und den Europaminister als ordentliches Mitglied des AdR nach Brüssel.
Ein echter Beitrag zur europäischen Integrationsarbeit ist die seit Gründung des Europaausschusses stärker gewordene Zusammenarbeit und der intensivere Austausch zwischen Hessen und seinen Partnerregionen, der Emiglia Romagna in Italien und der französischen Provinz Aquitaine. Hier kamen deutliche Impulse zur Ausweitung der partnerschaftlichen Beziehungen von Seiten des Ausschusses und seiner Mitglieder. Hilfreich hierbei ist die zwischenzeitlich vom "Informationsbüro" zur "Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union" aufgestufte Außenstelle des Europaministeriums in Brüssel, dessen Leiter fast regelmäßig zur aktuellen Information an den Sitzungen des Europaausschusses teilnimmt.
Parallel zur Ausschussarbeit, für die nur die halbe Stelle einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Landtagskanzlei - und auch diese nur teilweise - zur Verfügung steht, wird die Arbeit der Fraktionen in den europapolitischen Arbeitskreisen nicht unbedingt üppig durch wissenschaftliche Mitarbeiter unterstützt. Hier würde eine Aufstockung zur Aufwertung der Europapolitik auf Landesebene beitragen. Einen bescheidenen personellen Beitrag dazu leistete die jetzige Opposition, indem beide Fraktionen frühere Minister zu ihren Obleuten im Europaausschuss wählten.
Überblickt man den Zeitraum einer Legislaturperiode, in der ein eigenständiger Europaausschuss im Hessischen Landtag existiert, so kann man durchaus die Feststellung treffen, dass dort nicht nur die Quantität europapolitischer Debatten zugenommen hat. Vielmehr ist durch die Ausschussarbeit nachweislich ein deutlicher Prozess der Bewusstseinsbildung und eine höhere Sensibilität für europäische Fragen und Probleme entstanden - nicht nur bei den Ausschussmitgliedern, sondern weit darüber hinaus bis in die einzelnen Fraktionen hinein. Was noch fehlt, ist die Transmissionsarbeit in die Öffentlichkeit, gerade auch angesichts der Tatsache, dass die Vision Europa sich nur in einem "Europa der Regionen" realisieren lässt. Die Vermittlung dieser Einsicht ist der beste Beitrag zu einer Überwindung der bekannten "Europaverdrossenheit" und des immer wieder - nicht nur nach Bekanntgabe der Wählerbeteiligung bei der Wahl zum Europäischen Parlament - beklagten Desinteresses der Bevölkerung an Europa. Es hat sich gezeigt, dass die Mitglieder im Europaausschuss des Hessischen Landtages durch ihre politische Tagesarbeit dort zu engagierten Multiplikatoren für die europäische Einigung wurden, sie dafür aber noch eine umfassendere Darstellungsmöglichkeit in den Medien brauchen.
V. Reformpotenzial für den Landesparlamentarismus
Insgesamt ist für die Landesparlamente festzustellen, dass hinsichtlich der parlamentarischen Instrumentarien noch erheblicher Spielraum gegeben ist, die Europapolitik der Landtage unter den Rahmenbedingungen des europäischen Entscheidungsprozesses effizienter, schneller und zielgenauer zu gestalten. Dieses Entwicklungspotenzial zu nutzen liegt in der autonomen Geschäftsordnungshoheit der Parlamente. Folgende, in den Landtagen - wie gezeigt - zum Teil bereits realisierte Reform- schritte erscheinen sachgerecht:
1. Europapolitischer Ausschuss
Kernelement parlamentarischer, auf die Rahmenbedingungen des europäischen Mehrebenensystems ausgerichteter Strukturreform ist die Einrichtung eines europapolitischen Ausschusses. Er bietet nicht nur die institutionelle Grundlage für die Behandlung europäischer Themen und deren Koordination zwischen den mitberatenden Ausschüssen, sondern ist zugleich Basis, der Europapolitik in den Landtagen einen höheren Stellenwert zu erarbeiten. Einen adäquaten Stellenwert wird die Europapolitik als landesparlamentarisches Politikfeld nur erlangen, wenn sich ein entsprechendes Bewusstsein innerhalb des Landtags über die Bedeutung der Europapolitik für die Landespolitik entwickelt. Die aktive Rolle des Landtags als europapolitischer Akteur muss in diesem politischen Willen gründen. Er ist notwendige Ergänzung zu institutionellen Reformen.
Zu dieser Bewusstseinsbildung trägt bei, dass der Europaausschuss im Konzert der Ausschüsse die grundsätzliche Federführung bei europapolitischen Themen erhält, auch wenn die Schwerpunktberatung der Fachpolitiken in den Fachausschüssen erfolgt.
Zur Bewusstseinsbildung trägt auch bei, die Unterrichtung durch die Landesregierung über Vorhaben der Europäischen Union zumindest bei herausragender landespolitischer Bedeutung grundsätzlich als Landtags-Drucksache zu verteilen. Die landespolitische Relevanz wird auf diese Weise allen Abgeordneten zugänglich. Die Praxis des Landtags von Baden-Württemberg ist hier nachahmenswert.
2. Parlamentarische Instrumente
Für eine Ausrichtung der Parlamentsarbeit auf das europäische Mehrebenensystem sind folgende parlamentarische Instrumente von Bedeutung:
- die Möglichkeit der Vorabüberweisung von EU-Vorlagen an die Ausschüsse, ohne dass es eines Überweisungsbeschlusses des Plenums bedarf;
- ein abschliessendes Entscheidungs- und Beschlussrecht der Ausschüsse bzw. des europapolitischen Ausschusses in Eilfällen anstelle des Plenums;
- ein Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse im Rahmen ihres Geschäftsbereichs;
- ein Initiativ- bzw. Antragsrecht der Ausschüsse gegenüber dem Plenum.
Aus diesen Instrumentarien können sachgerechte Kombinationen hergeleitet werden. Die Möglichkeit der Vorabüberweisung an die Ausschüsse sowie deren abschließendes Entscheidungsrecht dienen der erforderlichen Zügigkeit des Beratungs- und Entscheidungsganges.
Nun lassen sich gegen die Kombination dieser beiden Instrumentarien verfassungsrechtliche Bedenken vorbringen. In der Tat hätte die Inanspruchnahme beider Instrumentarien zur Folge, dass der Landtag als Plenum mit dem Vorhaben nicht befasst ist. Abgeordnete, die den betreffenden Ausschüssen nicht angehören, werden von der Mitwirkung ausgeschlossen, obwohl durch das Ausschussvotum anstelle des Plenums auch in ihrem Namen entschieden wird. Dies tangiert den verfassungsrechtlichen Anspruch aller Abgeordneten auf Teilhabe an den parlamentarischen Entscheidungen.
Ein solcher verfassungsrechtlicher Einwand ist letztlich nicht stichhaltig: Dem Plenum bleibt es unbenommen, die Entscheidung jederzeit wieder an sich zu ziehen. Das abschließende Entscheidungsrecht des Ausschusses bedarf eines zuvor gefassten Delegationsbeschlusses des Plenums. Die Mitwirkungsrechte der Abgeordneten sind bei dieser Entscheidung über die Delegation gewahrt. Eine solche Delegation rechtfertigt sich letztlich aus der verfassungsrechtlichen Abwägung zwischen den Abgeordnetenrechten einerseits und der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit und sachgerechten Aufgabenerfüllung des Parlaments durch Ausübung seines Organisationsrechts andererseits
Die Delegationsbefugnis auf die Ausschüsse in der Landesverfassung zu verankern, wie es in Artikel 45 des Grundgesetzes für den Europaausschuss des Bundestages erfolgt ist, würde diesen verfassungsrechtlichen Konflikt zwar auflösen
Für die Vorabüberweisung europapolitischer Vorlagen mit abschließendem Entscheidungsrecht der Ausschüsse sollten folgende verfahrenstechnischen Vorkehrungen vorgesehen werden: Das Letztentscheidungsrecht der Ausschüsse sollte grundsätzlich auf Eilfälle begrenzt sein. Als Regel ist die Plenarentscheidung vorzusehen. Die Plenarentscheidung verleiht der Entschließung nicht nur ein höheres politisches Gewicht, sie gewährleistet auch die grundsätzlich gewünschte Befassung aller Abgeordneten mit europapolitischen Themen. Europapolitik darf nicht im exklusiven Kreise der Europapolitiker verbleiben.
Hinsichtlich der Überweisung konkreter europapolitischer Vorlagen an die Ausschüsse - ob als Vorabüberweisung oder mittels Überweisungsbeschluss des Plenum - sei an dieser Stelle auf folgende, empfehlenswerte Regelung hingewiesen: Eine Ausschussüberweisung sollte grundsätzlich bis zum Abschluss des Vorhabens auf europäischer Ebene gelten. Mit der Abgabe einer Stellungnahme wäre der Auftrag des Ausschusses von daher nicht erledigt, vielmehr bliebe er im Sinne fortlaufender Begleitung des Entscheidungsganges zuständig bis zur Verabschiedung des EU-Vorhabens auf europäischer Ebene. Erforderliche Folgebeschlüsse des Landtags bzw. des Ausschusses wären von ihm zu erarbeiten und zur erneuten Beschlussreife zu bringen. Eine solche verlängerte Geltung der Ausschussüberweisung, in Anlehnung an entsprechende Regelungen in der Geschäftsordnung des Bundesrates (§ 45a Abs. 3 + 4 GOBR), dient der flexiblen Reaktionsfähigkeit auf sich verändernde Verhandlungssituationen im europäischen Entscheidungsprozess.
Für die europapolitische Arbeit des Landtags und seiner Ausschüsse empfiehlt sich ein Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse im Rahmen ihres Geschäftsbereichs. Für die Landtage gilt es, aus der Vielfalt europäischer Themen in eigenständiger Auswahl diejenigen in Form von Initiativen aufzugreifen, für die aus landesparlamentarischer Sicht hohe Relevanz besteht. Das Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse mit einem auf Selbstbefassungsangelegenheiten bezogenen abschließenden Entscheidungsrecht zu verbinden erscheint allerdings problematisch. Dies birgt die Gefahr, dass auf der Ebene der Ausschüsse, respektive des Europaausschusses, ein Eigenleben neben dem Plenum vom Aufgreifen des Themas bis zur Verabschiedung entstehen könnte. Als Grundsatz muss gelten, dass das Plenum in mindestens einer Phase des Beratungsganges involviert bleibt, und sei es bei der Entscheidung über die Ausschussdelegation.
Eine zügige und fundierte Willensbildung des Parlaments erfordert im Idealfall die Bereitstellung der entsprechenden Ressourcen in der Landtagsverwaltung, insbesondere in personeller Hinsicht. Dies trifft auch für die Referentenebene der Fraktionen zu. Ohne fachliche Vorarbeiten werden der Landtag und seine Ausschüsse kaum zu sachgerechten Entscheidungen kommen. Nun ist eine Ausweitung des Personals in den Landtagsverwaltungen aus übergeordneten Erwägungen kaum durchsetzbar. Als Alternative sollten den Landtagen, aber auch den Fraktionen, deshalb die Ressourcen der Ministerialbürokratie stärker zur Verfügung gestellt werden. Dort wird die inhaltliche Aufarbeitung europapolitischer Themen ohnehin geleistet. Dem Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortlichkeit sowie den Schutzinteressen regierungsinterner Meinungsbildung ist dabei Rechnung zu tragen. Für die parlamentarische Beteiligung in der Europapolitik muss gelten: Die entscheidungsrelevanten Informationen, die der Regierung für ihre Willensbildung zur Verfügung stehen, sollten grundsätzlich auch dem Parlament zugänglich sein.
Durchaus konstruktive Anleihen für die parlamentarische Einbindung in die Entscheidungsprozesse zu Angelegenheiten der Europäischen Union sowie der parlamentsinternen Beratungsabläufe lassen sich für die Landesparlamente aus den Regelungen des Deutschen Bundestages entnehmen. Nach Schaffung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Artikel 45 GG sowie dem "Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union"
Der Beitrag hat versucht, Handlungsoptionen für die Landesparlamente zur Ausrichtung ihrer parlamentarischen Infrastruktur auf die Herausforderung Europa aufzuzeigen. In der "Europafähigkeit" parlamentarischer Entscheidungsstrukturen erschöpft sich freilich die europapolitische Rolle der Landtage keineswegs, sie ist jedoch Grundlage ihres europäischen Handelns. Gezielte Einflussnahme auf das Handeln der Landesregierung im kooperativen Bundesstaat, die Vermittlung von Europapolitik zwischen Staat und Bürger sowie das Bemühen, dem europäischen Entscheidungsprozess insgesamt zusätzliche demokratische Legitimation zu vermitteln, wird darauf aufzubauen haben.