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Die Landtage vor der Herausforderung Europa | Europapolitik - EU | bpb.de

Europapolitik - EU Editorial Machtteilung und Machtverschränkung in Deutschland Deutsche Europapolitik 2000 Die Landtage vor der Herausforderung Europa Regieren in der Europäischen Union

Die Landtage vor der Herausforderung Europa Anpassung der parlamentarischen Infrastruktur als Grundlage institutioneller Europafähigkeit

Aloys Lenz Roland Johne Roland Aloys / Johne Lenz

/ 22 Minuten zu lesen

Der europäische Entscheidungsprozess gewinnt zunehmende Bedeutung auch für die Landesparlamente. Je komplexer das europäische Mehrebenen-Verflechtungssystem, desto mehr kommt ihnen für den europapolitischen Willensbildungsprozess im Bund-Länder-Verhältnis die Funktion demokratischer Legitimationsvermittlung zu.

I. Europa als landesparlamentarische Herausforderung

Die Frage der Stärkung der parlamentarischen Komponente des europäischen Entscheidungsprozesses findet mit zunehmender Kompetenzfülle der Europäischen Union breiten Niederschlag in Wissenschaft und Publizistik . Kernpunkt der Debatte ist der aus dem Demokratieprinzip resultierende Anspruch, der exekutivischen Prägung des europäischen Entscheidungsprozesses eine verstärkte parlamentarisch-demokratische Legitimation zur Seite zu stellen.

Spätestens seit der Maastricht-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind zur Einlösung dieses Legitimationsanspruchs neben dem Europäischen Parlament die nationalstaatlichen Parlamente stärker in das Blickfeld getreten: "Nimmt ein Verbund demokratischer Staaten hoheitliche Aufgaben wahr und übt dazu hoheitliche Befugnisse aus, sind es zuvörderst die Staatsvölker der Mitgliedstaaten, die dies über die nationalen Parlamente demokratisch zu legitimieren haben. Mithin erfolgt demokratische Legitimation durch die Rückkopplung des Handelns europäischer Organe an die Parlamente der Mitgliedstaaten." Diese vom Bundesverfassungsgericht formulierte Legitimationskonzeption des europäischen Entscheidungsprozesses, die auf eine entscheidungsbegleitende Einbindung des Deutschen Bundestages abzielt, kann in einem föderativen Staatswesen wie der Bundesrepublik Deutschland verfassungspolitisch und in der Verfassungspraxis für die Rolle der Landesparlamente nicht unbeachtet bleiben - muss diese vielmehr als parlamentarische Ebene im zweigeteilten Bundesstaat einbeziehen. Diese demokratische Vermittlungsfunktion der Landtage erscheint umso dringlicher, je bestimmender der Einfluss der Länder auf die Stimmabgabe der Bundesrepublik Deutschland in der Europäischen Union wird. Die Landtage werden dieser Herausforderung, dem europapolitischen Willensbildungsprozess im Bund-Länder-Verhältnis demokratische Legitimation zu vermitteln, durch aktive Teilhabe gerecht werden müssen.

Eine weitere, noch gravierendere Herausforderung für die Landtage resultiert aus den Rückwirkungen des europäischen Integrationsprozesses auf die föderative Struktur der Bundesrepublik Deutschland . Mit der Verlagerung auch von Hoheitsbefugnissen der Länder auf die europäische Ebene wandelt sich die politische Gestaltungsmacht der Bundesländer von autonomer Entscheidung hin zur Teilhabe am europäischen Entscheidungsprozess. Mit zunehmendem Integrationsprozess finden sie sich in der Rolle eines Akteurs im europäischen Mehrebenensystem; entsprechend verringert sich die autonom gestaltende Funktion der Landespolitik.

Diese Mitwirkung der Länder in der Europapolitik vollzieht sich im Wesentlichen in exekutivisch geprägten Strukturen. Mit dem Bundesratsverfahren nach Artikel 23 GG , aber auch in den Gremien des kooperativen Föderalismus - insbesondere Ministerpräsidentenkonferenz, Europaministerkonferenz - dominieren allein die Landesregierungen. Werden in der Folge Beteiligungsrechte der Länder bzw. die Europapolitik der Länder insgesamt ausschließlich durch die Landesregierungen wahrgenommen, so führt dies zu einer zunehmenden Entparlamentarisierung und damit auch schleichenden Entdemokratisierung politischer Entscheidung. Es wird offenbar, dass sich durch eine solche Verlagerung von Funktionen von den Landtagen auf die Landesregierungen die durch den europäischen Integrationsprozess ohnehin vermittelte Entparlamentarisierung bis in die Entscheidungsstrukturen der Bundesländer hinein fortsetzt.

Die Landtage, nach verfassungsrechtlichem Anspruch die Zentren der politischen Willensbildung in den Ländern, erfahren eine zunehmende Ausgrenzung von politischen Entscheidungsprozessen und eine Einengung ihrer politischen Gestaltungsfunktion . Sie drohen zu Verlierern des europäischen Integrationsprozesses zu werden. In der Folge dieser Dominanz exekutivischer Entscheidungsstrukturen hat sich innerhalb der Bundesländer das Verhältnis zwischen den Verfassungsorganen Landesparlament und Landesregierung einseitig zu Lasten der Landesparlamente verschoben .

Mit diesen Veränderungsprozessen der Stellung und Funktion der Landesparlamente im politischen System sind Grundfragen des Parlamentarismus angesprochen - Fragen einer Neuorientierung und Neuakzentuierung des Landesparlamentarismus unter den Vorzeichen europäischer Politikverflechtung. Es geht innerhalb der Bundesländer um die Frage eines verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch gebotenen Gewaltenausgleichs zwischen den Verfassungsorganen, um eine angemessene Teilhabe der parlamentarischen Ebene am europäischen Entscheidungsprozess; im Kern geht es um die Wahrung der politischen Gestaltungsfähigkeit der direkt demokratisch legitimierten Landesparlamente unter der Perspektive zunehmend intensivierter europäischer Mehrebenenverflechtung.

Die Landesparlamente haben auf diese Herausforderung in vielfältiger Weise reagiert - sei es durch das Einfordern frühzeitiger Unterrichtung durch die Landesregierung über landesrelevante EU-Vorhaben oder, darüber hinausgehend, durch den Anspruch auf Mitwirkung an der europapolitischen Positionsbestimmung des Landes im Willensbildungsprozess der Länder bzw. auf europäischer Ebene, insbesondere im Ausschuss der Regionen. Als weitestgehender parlamentarischer Mitwirkungsanspruch der sechzehn Landesparlamente sei hier auf Artikel 34a der Landesverfassung von Baden-Württemberg hingewiesen, der eine Mitwirkung des Landtags an der europapolitischen Willensbildung verfassungsrechtlich verankert.

Ziel landesparlamentarischer Einbindung in den europapolitischen Willensbildungsprozess ist neben der landesinternen Positionsbestimmung auch eine stärkere direkte Präsenz der Landtage auf europäischer Ebene; dies betrifft insbesondere Vertretungsregelungen des Landes im Ausschuss der Regionen.

Der vorliegende Beitrag behandelt die Ausrichtung der internen Infrastruktur der Landesparlamente auf die Herausforderung Europa. In einem ersten Schritt werden die bisherigen Anstrengungen in den Landtagen aufgezeigt, durch Anpassung ihrer parlamentarischen Infrastruktur - insbesondere durch Schaffung von europapolitischen Ausschüssen und die Bereitstellung parlamentarischer Instrumentarien - der Herausforderung Europa gerecht zu werden. Anschließend wird das landesparlamentarische Reformpotential analysiert und diskutiert . Die parlamentarischen Reformprozesse sollen durch einen Blick in die Praxis des Hessischen Landtags illustriert werden.

II. Europafähigkeit durch Reform der parlamentarischen Infrastruktur: europapolitischer Ausschuss als zentraler Reformschritt

Die Teilhabe am europäischen Entscheidungsprozess setzt für die Landesparlamente die Anpassung ihrer Infrastruktur an die Erfordernisse des europäischen Mehrebenensystems voraus. Diese Erfordernisse sind gekennzeichnet durch ein erhöhtes Maß an Flexibilität des parlamentarischen Willensbildungsprozesses unter den zeitlich engen Vorgaben europäischer Politikgestaltung. Diese zeitlichen Vorgaben stellen sich für die Landtage als besonders virulent dar, da sie als unteres Glied der europäischen Mehrebenen-Verflechtung in der Regel nur mittelbar - über die Landesregierungen - an den Informationen partizipieren. Die Aufarbeitung von EU-Vorhaben für die Willensbildung der Länder im föderalen Entscheidungsprozess, in dessen Kern der Bundesrat sowie die Ministerpräsidenten- und Fachministerkonferenzen stehen, ist zum Zeitpunkt der Einbindung der Landtage zumeist bereits erfolgt. Die Landtage müssen sich diesen Entscheidungsabläufen anpassen.

Mitwirkung am europäischen Entscheidungsprozess setzt neben den zeitlichen und Flexibilitätserfordernissen auch die Herausbildung fachlicher Kompetenz voraus - dies sowohl auf der Ebene der Parlamentarier als auch im administrativen Unterbau des Parlaments. Für effiziente Teilhabe an der europapolitischen Willensbildung wird es weniger auf die Quantität als vielmehr auf die Qualität parlamentarischer Einflussnahme in wesentlichen landesrelevanten Politikfeldern ankommen.

1. Europapolitische Ausschüsse in den Landtagen

Die Landesparlamente haben als zentrale institutionelle Reformanstrengung die Europapolitik inzwischen als festen Bestandteil ihrer parlamentarischen Arbeit in ihre Ausschussstrukturen aufgenommen. In allen Landesparlamenten, außer im Landtag von Baden-Württemberg, sind eigenständige, mit europapolitischen Fragen befasste Ausschüsse geschaffen worden. Wobei für den Landtag von Baden-Württemberg anzumerken ist, dass der Ständige Ausschuss auch die Funktion eines europapolitischen Ausschusses wahrnimmt, auch wenn dies nicht in der Ausschussbezeichnung zum Ausdruck kommt. In der Regel ist der Bereich Europa mit einem anderen Politikbereich, insbesondere mit Bundesangelegenheiten, zusammengelegt. In Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Saarland finden sich jeweils ausschließlich mit Europafragen befasste Ausschüsse. Die Einrichtung eigenständiger europapolitischer Ausschüsse lässt die Zuständigkeit der Fachausschüsse für europapolitische Fragen ihres Fachgebietes in der Regel unberührt. In der Übersicht (S. 23) sind die mit europapolitischen Fragen befassten Ausschüsse in den deutschen Landesparlamenten dargestellt.

Die Schaffung von europapolitischen Ausschüssen zeigt die zunehmende Ausrichtung der parlamentarischen Infrastruktur auf Europa. Zielsetzung der Europaausschüsse ist die Bündelung europapolitischen Sachverstandes, um dem zunehmend bedeutender werdenden Politikfeld Europa auf Landesebene gerecht zu werden. In ihnen konzentriert sich die Kontrollfunktion des Parlaments gegenüber der Europapolitik der Landesregierung sowie die Formulierung einer eigenständigen parlamentarischen Position. Zu ihren Aufgaben gehört zudem die Kontaktpflege zu europäischen Institutionen, insbesondere zu den Abgeordneten des Europäischen Parlaments, aber auch zu den jeweiligen Länderbüros.

Seit dem Maastrichter Vertrag sind die Mitwirkungsrechte der Bundesländer am europäischen Entscheidungsprozess ausgebaut worden; damit gewinnen die europapolitischen Ausschüsse eine zunehmende Bedeutung. Dies betrifft nicht nur die landesinterne Mitwirkung an der europapolitischen Willensbildung der Länder, sondern auch die direkten Mitwirkungsmöglichkeiten auf europäischer Ebene. Die Kontrollfunktion, etwa gegenüber der Tätigkeit der Vertreter des Landes im Ausschuss der Regionen, erfordert auf landesparlamentarischer Ebene eine fundierte Kenntnis der europäischen Entscheidungsmechanismen und der Grundzüge der Rechtsordnung der Europäischen Union. Ohne Spezialisierung, wie sie ein eigenständiger europapolitischer Ausschuss bieten kann, wird eine konstruktive parlamentarische Begleitung der Europapolitik des Landes in europäischen Gremien kaum zu leisten sein.

In den parlamentarischen Debatten um eine sachgerechte Behandlung der Europapolitik in den Ausschüssen sind allerdings auch Bedenken gegen die Einrichtung eigenständiger europapolitischer Ausschüsse artikuliert worden . Im Kern beziehen sich die Einwände auf die Problematik einer Konzentration eines im Grunde fachübergreifenden Politikbereiches in einem Ausschuss. So könne bei einer Auslagerung europäischer Themen aus den Fachausschüssen Fachkompetenz verloren gehen. Europapolitik betreffe fast sämtliche Politikbereiche; europapolitische Themen seien deshalb weiterhin in den Fachausschüssen zu beraten. Dort, wo europapolitische Ausschüsse eingerichtet wurden, wird diesen Bedenken durch die durchweg vorhandene Kooperation von europapolitischem Ausschuss und Fachausschüssen Rechnung getragen. Zum überwiegenden Teil verbleibt auch die Federführung bei den Fachausschüssen, der europapolitische Ausschuss steuert die spezifisch europapolitischen Aspekte mitberatend bei. Neben dieser mitberatenden Funktion kommt dem europapolitischen Ausschuss die Koordinationsfunktion europäischer Themen im Konzert der Ausschüsse zu.

Hinsichtlich ihrer Stellung im Ausschussgefüge der Landtage zeigt sich, dass die europapolitischen Ausschüsse die Dominanz der Fachausschüsse nicht beeinträchtigen. Die ihnen in der Regel lediglich zuerkannte mitberatende Funktion zeigt dies deutlich.

Die Federführung in der Beratung europapolitischer Themen liegt nur selten beim europapolitischen Ausschuss. Daraus resultierend verbleibt diesen Ausschüssen nur ein sehr begrenzter autonomer Zuständigkeitsbereich. Es verwundert von daher nicht, dass dort, wo eine Reduzierung der Ausschüsse anstand, der europapolitische Ausschuss zumeist einer derjenigen war, dessen Aufgabenbereich einem "klassischen" Ausschussressort zugeordnet wurde.

2. Europapolitische Ausschüsse als Querschnittsausschüsse

Aufgrund dieses Befundes zeigt sich die grundsätzliche Problematik von Querschnittsausschüssen, die sich für die europapolitischen Ausschüsse besonders markant auswirkt. Als nachteilig wirkt sich zum einen für sie aus, dass Europapolitik des Landes grundsätzlich Beteiligung an der Politikgestaltung anderer Ebenen ist, nicht aber autonomer landesparlamentarischer Hoheitsbereich. Da sie zudem in vielen Politikfeldern aus ihrem spezifischen Blickwinkel heraus mitwirken, letztlich aber nur einen schmalen Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten besitzen, rangieren sie in ihrer faktischen Bedeutung stets unterhalb der Fachausschüsse. Die ausschließliche Zuständigkeit eines europapolitischen Ausschusses bewegt sich im Bereich der grundsätzlichen Fortentwicklung der europäischen Integration in ihren institutionellen Facetten und perspektivischen Implikationen. Unter den Querschnittsausschüssen selbst ist es der Europapolitik bislang offenbar nicht gelungen, in ihrer Bedeutung mit anderen Querschnittsbereichen gleichzuziehen. Dies findet seine Ursache im doch recht schmalen Bereich eigenständiger Zuständigkeiten und dem sehr breiten Spektrum, in dem Europapolitik zugleich Fachpolitik ist.

Für die Stellung der europapolitischen Ausschüsse in den Landesparlamenten zeigt sich ein zweidimensionales Autonomiedefizit als prägend: zum einen vertikal als "bloß" Mitwirkende im Verflechtungssystem von Europäischer Union, Bund und Ländern, zum anderen horizontal in der aus ihrer Querschnittsfunktion resultierenden Konkurrenzsituation zu den Fachausschüssen. Anders als bei den Fachausschüssen, die im Rahmen des kooperativen Föderalismus für ihren jeweiligen Aufgabenbereich vor allem das vertikale Autonomiedefizit zu beklagen haben, kumulieren beide Dimension bei den Europaausschüssen.

III. Parlamentarische Instrumentarien zur Bewältigung der Herausforderung Europa

Zur parlamentarischen Infrastruktur gehören auch die adäquaten Instrumente, um den spezifischen Rahmenbedingungen des europäischen Entscheidungsprozesses gerecht zu werden. Zu diesen Instrumenten zählt die direkte Überweisung europapolitischer Vorlagen an den zuständigen Ausschuss - ohne dass es eines Überweisungsbeschlusses des Plenums bedarf - ebenso wie die Ermächtigung des europapolitischen Ausschusses bzw. des zuständigen Fachausschusses, in Eilfällen anstelle des Plenums entscheiden zu können. Beide Instrumentarien tragen den zeitlich oft eng bemessenen Vorgaben des europäischen Entscheidungsprozesses Rechnung. An diesen zeitlichen Vorgaben scheitert oftmals die landesparlamentarische Positionsbestimmung im Vorfeld der Entscheidung auf europäischer Ebene bzw. des Bundesrates. Effiziente parlamentarische Einflussnahme muss diesen Vorgaben Rechnung tragen.

Zu den adäquaten, auf den europäischen Entscheidungsprozess abgestimmten parlamentarischen Instrumenten zählt auch das Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse und ein damit einhergehendes Initiativrecht an das Plenum. Gerade bei der Behandlung europäischer Themen ist die Auswahl der für das Land relevanten Schwerpunkte ein zentrales Kriterium für die Zielgenauigkeit der Einflussnahme. Diese Auswahl aus der Sicht des Landtages vorzunehmen und in den Willensbildungsprozess als Initiative einzubringen ist deshalb eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der europapolitischen Arbeit des Parlaments. Ein Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse mit Initiativrecht in europapolitischen Fragen kann hier, neben dem Initiativrecht der Fraktionen, zur Effizienzsteigerung beitragen.

Die genannten parlamentarischen Instrumente sind allerdings nur in wenigen Landesparlamenten gegeben. Die Möglichkeit der Direktüberweisung an die Ausschüsse ohne Plenumsbeschluss ist dabei noch am meisten verbreitet. Eine Ermächtigung der Ausschüsse, in Eilfällen anstelle des Plenums zu entscheiden, findet sich nur in wenigen Fällen; hinzuweisen ist insbesondere auf die ausdrückliche Verankerung einer solchen Ermächtigung in den Geschäftsordnungen des Landtags (GOLT) Nordrhein-Westfalen (§ 26 Abs. 3 GOLT) und des Abgeordnetenhauses von Berlin (§ 21a der GO des Abgeordnetenhauses).

Ein Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse mit daraus resultierendem Initiativrecht findet sich in den Parlamenten der Länder Nordrhein-Westfalen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein. In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Schleswig-Holstein ist es gar in der Verfassung verankert. In anderen Landesparlamenten, in denen ein Selbstbefassungsrecht vorhanden ist, fehlt es am damit einhergehenden Initiativrecht, womit es in seiner Wirksamkeit entscheidend eingeschränkt wird.

IV. Entwicklung parlamentarischer Europafähigkeit am Beispiel des Hessischen Landtags

Mit der Bereitstellung solch weitgehender parlamentarischer Gestaltungsmöglichkeiten hat sich das hessische Landesparlament bislang noch nicht beschäftigt - von keiner politischen Seite gab es bisher dazu eine entsprechende Initiative. Dies begründet sich möglicherweise in der Genese institutioneller wie politischer Behandlung europabezogener Themen im Hessischen Landtag.

Erst mit Beginn der 14. Legislaturperiode, im April 1995, erweiterte der Hessische Landtag sein Ausschussspektrum um einen eigenständigen "Europaausschuss". Bis dahin wurden europapolitische Themen und Initiativen - wie auch solche, die den Bundesrat, einzelne Länder und supranationale Organisationen betrafen - traditionell im Hauptausschuss behandelt. Auch ihre parlamentarische Beratung beschränkte sich all die Jahre zuvor auf eine jährlich fast rituell wiederkehrende Plenardebatte in der jeweiligen Europawoche zu aktuellen Themen der Europäischen Union.

Seit der Existenz eines eigenständigen Europaausschusses nahm die parlamentarische Behandlung europapolitischer Themen sprunghaft zu. In den zumeist nicht öffentlichen Sitzungen des Ausschusses, zu dem auch mehrfach Sachverständige eingeladen waren, wurden beispielsweise regional wichtige Fragen wie die "Regelung der Bodenverkehrsdienste am Flughafen Frankfurt", die "Milchmarktpolitik der EU" in ihren Auswirkungen auf Hessen oder die kontrovers debattierte Einführung des "Euro als Zahlungsmittel auf dem (jährlich stattfindenden) Hessentag" diskutiert. Im Plenum entzündeten sich jetzt Debatten über die Ergebnisse der "Regierungskonferenz der EU-Vertragsstaaten 1996 zur Revision des Vertrags von Maastricht" , über die Neuordnung der auch Hessen betreffenden "Strukturfonds der EU" oder den "Hessischen Beitrag zum europäischen Einigungsprozess" . Themen waren dort auch die "Umstellung der hessischen Steuerverwaltung auf den Euro" , die "Senkung der hessischen Fleischbeschaugebühren" , die Auswirkungen "betreffend Europol" auf die Zusammenarbeit mit der hessischen Polizei , aber auch die "Beibehaltung der Buchpreisbindung" . Da Hessens bedeutendste Kommune Frankfurt die in ihrem Zentrum gelegene Europäische Zentralbank mit Stolz als Aufwertung ihres Renommees als europäischer Bankenplatz betrachtet, blieb es nicht aus, dass sie sich mit viel Lob bedacht mehrfach in den Plenarprotokollen des Landtags wiederfinden . Dazu zählt auch die von allen Fraktionen begrüßte "Einführung des Kommunalwahlrechts für EU-Bürgerinnen und -Bürger" 1995 .

Die Mehrzahl der europapolitischen Debatten - dies zeigte sich sehr schnell - offenbarte einen breiten Konsens über alle vier Fraktionen hinweg. Damit setzten sich die Ausschussmitglieder als Debattenredner von dem in den übrigen Politikfeldern gewohnten Ritual und der erwarteten Rollenverteilung allmählich ab, nach der Regierung bzw. Mehrheitsfraktionen versus Opposition ihre kontroversen Debatten mediengerecht zelebrieren. Der Konsens wird von beiden Seiten gesucht, selbst wenn zwei völlig entgegengesetzte europapolitische Anträge die Tagesordnung bestimmen. So wurde bisher im Ausschuss nach der Überweisung durch das Parlament - und zuvor noch in den Verhandlungen der Obleute untereinander - in intensiven Diskussionen der größte gemeinsame Nenner gesucht, um anschließend im Plenum in einem gemeinsamen Antrag die Übereinstimmung aller politischen Lager zu dokumentieren. Der Grund für diese immer wieder gesuchte Gemeinsamkeit ist die Einsicht, wenn eines der 16 Bundesländer sich auf europäischer Ebene überhaupt auch nur ansatzweise Gehör verschaffen wolle, dann dürfe das Parlament nur in klarer Übereinstimmung und nicht in knapper Mehrheitsentscheidung Beschlüsse fassen .

Dies führt andererseits in einer auf Auseinandersetzung und politischen Dissens fixierten Mediengesellschaft dazu, dass die akkreditierten Pressevertreter, Fernseh- und Rundfunkjournalisten einer auf Übereinstimmung zielenden Debatte kaum einen Reiz abgewinnen können. Ein eindrucksvolles Beispiel dieses Desinteresses der Medien zeigte sich 1996 in der regionalen Berichterstattung einer bundesweit bekannten Zeitung über die Plenardebatte zur "zeitgerechten Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion" , deren äußerst bescheidener Umfang weit übertroffen wurde von der am gleichen Tag erschienenen Pressemeldung eines Ausschussmitgliedes über seine Kleine Anfrage "betr. fehlender Toiletteneinbau in einer Polizeistation" seines Wahlkreises.

In der Hierarchie der Landtagsausschüsse folgt der Europaausschuss (vgl. Landtagshandbuch, 15. Wahlperiode) dem Hauptausschuss, noch vor dem Haushalts-, Petitions-, Innen- und kulturpolitischen Ausschuss; in der Praxis hat er diese Bedeutung aber noch nicht erlangt. Zum einen muss er als Querschnittsausschuss fast alle seine Themen mit anderen Fachausschüssen teilen, ohne dabei bisher die Funktion eines souveränen Koordinators erlangt zu haben. Zum anderen sind die genuin landesbezogenen Themenfelder der Europapolitik, die nicht zugleich die Themenfelder anderer Ausschüsse berühren, noch vergleichsweise gering. So werden Gesetzentwürfe oder Anträge europapolitischen Inhaltes sowohl an die Fachausschüsse als auch an den Europaausschuss überwiesen, wobei dieser bislang zumeist nur als mitbeteiligtes, nicht aber als federführendes Parlamentsgremium fungiert.

Nach der Konstituierung des Europaausschusses begann zunächst ein längerer Prozess der Selbstfindung, vor allem im Verhältnis Parlament zur Regierung, hier vor allem bezüglich der Konkretisierung ihrer Informations- und Berichtspflicht gegenüber den Abgeordneten. Die grundsätzliche Frage nach dem Umfang und der Qualität der "Beteiligung des Landtags in Angelegenheiten der Europäischen Union" in Abgrenzung gegenüber den Zuständigkeiten der Landesregierung beherrschte lange Zeit die Debatte im Ausschuss und den einzelnen Fraktionsarbeitskreisen. Sehr schnell wurde dagegen zum ständigen Tagesordnungspunkt jeder Ausschusssitzung der "Bericht des Europaministers" über die das Land unmittelbar betreffenden politischen Absichten der Europäischen Kommission, die europapolitischen Zielsetzungen und Initiativen der Landesregierung im Bundesrat sowie ihre Position oder die der übrigen Bundesländer in dieser Kammer. Dazu gehört auch sein Bericht über die Arbeit im Ausschuss der Regionen (AdR), dessen Mitglied er in Personalunion ist.

Die einzige - bisweilen sogar erbittert geführte - Kontroverse, die bisher zwischen Regierungsfraktionen und Opposition stattfand, entzündete sich an der Frage der Mitgliedschaft im AdR. Hessen hatte in der zurückliegenden Legislaturperiode (1995-1999) zunächst zwei, danach nur einen Vertreter in diesem Ausschuss. Nach Auffassung der Regierung und der sie tragenden Fraktionen mussten diese Mitglieder unbedingt ministrabel sein und ihre Stellvertreter selbstverständlich jeweils deren Staatssekretäre. Die Opposition belegte ihre Forderung nach parlamentarischer Vertretung im AdR - ein Abgeordneter als ordentliches, ein anderer als stellvertretendes Mitglied - mit dem Hinweis auf die überwiegend paritätisch getroffenen Regelungen in den anderen deutschen Bundesländern. Die Verteidiger der Minister-Staatssekretär-Regelung hielten drei Jahre den heftigen Angriffen der Opposition stand und beharrten auf ihrer Position. Als diese in der neuen Legislaturperiode im April 1999 die Regierungsverantwortung übernahm, änderte sie die bisherige Verfahrensweise und schickte den Landtagspräsidenten als stellvertretendes und den Europaminister als ordentliches Mitglied des AdR nach Brüssel.

Ein echter Beitrag zur europäischen Integrationsarbeit ist die seit Gründung des Europaausschusses stärker gewordene Zusammenarbeit und der intensivere Austausch zwischen Hessen und seinen Partnerregionen, der Emiglia Romagna in Italien und der französischen Provinz Aquitaine. Hier kamen deutliche Impulse zur Ausweitung der partnerschaftlichen Beziehungen von Seiten des Ausschusses und seiner Mitglieder. Hilfreich hierbei ist die zwischenzeitlich vom "Informationsbüro" zur "Vertretung des Landes Hessen bei der Europäischen Union" aufgestufte Außenstelle des Europaministeriums in Brüssel, dessen Leiter fast regelmäßig zur aktuellen Information an den Sitzungen des Europaausschusses teilnimmt.

Parallel zur Ausschussarbeit, für die nur die halbe Stelle einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Landtagskanzlei - und auch diese nur teilweise - zur Verfügung steht, wird die Arbeit der Fraktionen in den europapolitischen Arbeitskreisen nicht unbedingt üppig durch wissenschaftliche Mitarbeiter unterstützt. Hier würde eine Aufstockung zur Aufwertung der Europapolitik auf Landesebene beitragen. Einen bescheidenen personellen Beitrag dazu leistete die jetzige Opposition, indem beide Fraktionen frühere Minister zu ihren Obleuten im Europaausschuss wählten.

Überblickt man den Zeitraum einer Legislaturperiode, in der ein eigenständiger Europaausschuss im Hessischen Landtag existiert, so kann man durchaus die Feststellung treffen, dass dort nicht nur die Quantität europapolitischer Debatten zugenommen hat. Vielmehr ist durch die Ausschussarbeit nachweislich ein deutlicher Prozess der Bewusstseinsbildung und eine höhere Sensibilität für europäische Fragen und Probleme entstanden - nicht nur bei den Ausschussmitgliedern, sondern weit darüber hinaus bis in die einzelnen Fraktionen hinein. Was noch fehlt, ist die Transmissionsarbeit in die Öffentlichkeit, gerade auch angesichts der Tatsache, dass die Vision Europa sich nur in einem "Europa der Regionen" realisieren lässt. Die Vermittlung dieser Einsicht ist der beste Beitrag zu einer Überwindung der bekannten "Europaverdrossenheit" und des immer wieder - nicht nur nach Bekanntgabe der Wählerbeteiligung bei der Wahl zum Europäischen Parlament - beklagten Desinteresses der Bevölkerung an Europa. Es hat sich gezeigt, dass die Mitglieder im Europaausschuss des Hessischen Landtages durch ihre politische Tagesarbeit dort zu engagierten Multiplikatoren für die europäische Einigung wurden, sie dafür aber noch eine umfassendere Darstellungsmöglichkeit in den Medien brauchen.

V. Reformpotenzial für den Landesparlamentarismus

Insgesamt ist für die Landesparlamente festzustellen, dass hinsichtlich der parlamentarischen Instrumentarien noch erheblicher Spielraum gegeben ist, die Europapolitik der Landtage unter den Rahmenbedingungen des europäischen Entscheidungsprozesses effizienter, schneller und zielgenauer zu gestalten. Dieses Entwicklungspotenzial zu nutzen liegt in der autonomen Geschäftsordnungshoheit der Parlamente. Folgende, in den Landtagen - wie gezeigt - zum Teil bereits realisierte Reform- schritte erscheinen sachgerecht:

1. Europapolitischer Ausschuss

Kernelement parlamentarischer, auf die Rahmenbedingungen des europäischen Mehrebenensystems ausgerichteter Strukturreform ist die Einrichtung eines europapolitischen Ausschusses. Er bietet nicht nur die institutionelle Grundlage für die Behandlung europäischer Themen und deren Koordination zwischen den mitberatenden Ausschüssen, sondern ist zugleich Basis, der Europapolitik in den Landtagen einen höheren Stellenwert zu erarbeiten. Einen adäquaten Stellenwert wird die Europapolitik als landesparlamentarisches Politikfeld nur erlangen, wenn sich ein entsprechendes Bewusstsein innerhalb des Landtags über die Bedeutung der Europapolitik für die Landespolitik entwickelt. Die aktive Rolle des Landtags als europapolitischer Akteur muss in diesem politischen Willen gründen. Er ist notwendige Ergänzung zu institutionellen Reformen.

Zu dieser Bewusstseinsbildung trägt bei, dass der Europaausschuss im Konzert der Ausschüsse die grundsätzliche Federführung bei europapolitischen Themen erhält, auch wenn die Schwerpunktberatung der Fachpolitiken in den Fachausschüssen erfolgt.

Zur Bewusstseinsbildung trägt auch bei, die Unterrichtung durch die Landesregierung über Vorhaben der Europäischen Union zumindest bei herausragender landespolitischer Bedeutung grundsätzlich als Landtags-Drucksache zu verteilen. Die landespolitische Relevanz wird auf diese Weise allen Abgeordneten zugänglich. Die Praxis des Landtags von Baden-Württemberg ist hier nachahmenswert.

2. Parlamentarische Instrumente

Für eine Ausrichtung der Parlamentsarbeit auf das europäische Mehrebenensystem sind folgende parlamentarische Instrumente von Bedeutung:

- die Möglichkeit der Vorabüberweisung von EU-Vorlagen an die Ausschüsse, ohne dass es eines Überweisungsbeschlusses des Plenums bedarf;

- ein abschliessendes Entscheidungs- und Beschlussrecht der Ausschüsse bzw. des europapolitischen Ausschusses in Eilfällen anstelle des Plenums;

- ein Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse im Rahmen ihres Geschäftsbereichs;

- ein Initiativ- bzw. Antragsrecht der Ausschüsse gegenüber dem Plenum.

Aus diesen Instrumentarien können sachgerechte Kombinationen hergeleitet werden. Die Möglichkeit der Vorabüberweisung an die Ausschüsse sowie deren abschließendes Entscheidungsrecht dienen der erforderlichen Zügigkeit des Beratungs- und Entscheidungsganges.

Nun lassen sich gegen die Kombination dieser beiden Instrumentarien verfassungsrechtliche Bedenken vorbringen. In der Tat hätte die Inanspruchnahme beider Instrumentarien zur Folge, dass der Landtag als Plenum mit dem Vorhaben nicht befasst ist. Abgeordnete, die den betreffenden Ausschüssen nicht angehören, werden von der Mitwirkung ausgeschlossen, obwohl durch das Ausschussvotum anstelle des Plenums auch in ihrem Namen entschieden wird. Dies tangiert den verfassungsrechtlichen Anspruch aller Abgeordneten auf Teilhabe an den parlamentarischen Entscheidungen.

Ein solcher verfassungsrechtlicher Einwand ist letztlich nicht stichhaltig: Dem Plenum bleibt es unbenommen, die Entscheidung jederzeit wieder an sich zu ziehen. Das abschließende Entscheidungsrecht des Ausschusses bedarf eines zuvor gefassten Delegationsbeschlusses des Plenums. Die Mitwirkungsrechte der Abgeordneten sind bei dieser Entscheidung über die Delegation gewahrt. Eine solche Delegation rechtfertigt sich letztlich aus der verfassungsrechtlichen Abwägung zwischen den Abgeordnetenrechten einerseits und der Gewährleistung der Funktionsfähigkeit und sachgerechten Aufgabenerfüllung des Parlaments durch Ausübung seines Organisationsrechts andererseits .

Die Delegationsbefugnis auf die Ausschüsse in der Landesverfassung zu verankern, wie es in Artikel 45 des Grundgesetzes für den Europaausschuss des Bundestages erfolgt ist, würde diesen verfassungsrechtlichen Konflikt zwar auflösen , erscheint jedoch verfassungspolitisch nicht zwingend. Das Selbstorganisationsrecht der Parlamente erlaubt entsprechende Regelungen unterhalb der Verfassungsebene, zumal es sich bei europapolitischen Stellungnahmen nicht etwa um die Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen, sondern regelmäßig um Entschließungen, mithin Meinungsäußerungen des Parlaments handelt. Zur Wahrung des Öffentlichkeitsprinzips parlamentarischer Entscheidungen ist im Delegationsfalle die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen herzustellen.

Für die Vorabüberweisung europapolitischer Vorlagen mit abschließendem Entscheidungsrecht der Ausschüsse sollten folgende verfahrenstechnischen Vorkehrungen vorgesehen werden: Das Letztentscheidungsrecht der Ausschüsse sollte grundsätzlich auf Eilfälle begrenzt sein. Als Regel ist die Plenarentscheidung vorzusehen. Die Plenarentscheidung verleiht der Entschließung nicht nur ein höheres politisches Gewicht, sie gewährleistet auch die grundsätzlich gewünschte Befassung aller Abgeordneten mit europapolitischen Themen. Europapolitik darf nicht im exklusiven Kreise der Europapolitiker verbleiben.

Hinsichtlich der Überweisung konkreter europapolitischer Vorlagen an die Ausschüsse - ob als Vorabüberweisung oder mittels Überweisungsbeschluss des Plenum - sei an dieser Stelle auf folgende, empfehlenswerte Regelung hingewiesen: Eine Ausschussüberweisung sollte grundsätzlich bis zum Abschluss des Vorhabens auf europäischer Ebene gelten. Mit der Abgabe einer Stellungnahme wäre der Auftrag des Ausschusses von daher nicht erledigt, vielmehr bliebe er im Sinne fortlaufender Begleitung des Entscheidungsganges zuständig bis zur Verabschiedung des EU-Vorhabens auf europäischer Ebene. Erforderliche Folgebeschlüsse des Landtags bzw. des Ausschusses wären von ihm zu erarbeiten und zur erneuten Beschlussreife zu bringen. Eine solche verlängerte Geltung der Ausschussüberweisung, in Anlehnung an entsprechende Regelungen in der Geschäftsordnung des Bundesrates (§ 45a Abs. 3 + 4 GOBR), dient der flexiblen Reaktionsfähigkeit auf sich verändernde Verhandlungssituationen im europäischen Entscheidungsprozess.

Für die europapolitische Arbeit des Landtags und seiner Ausschüsse empfiehlt sich ein Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse im Rahmen ihres Geschäftsbereichs. Für die Landtage gilt es, aus der Vielfalt europäischer Themen in eigenständiger Auswahl diejenigen in Form von Initiativen aufzugreifen, für die aus landesparlamentarischer Sicht hohe Relevanz besteht. Das Selbstbefassungsrecht der Ausschüsse mit einem auf Selbstbefassungsangelegenheiten bezogenen abschließenden Entscheidungsrecht zu verbinden erscheint allerdings problematisch. Dies birgt die Gefahr, dass auf der Ebene der Ausschüsse, respektive des Europaausschusses, ein Eigenleben neben dem Plenum vom Aufgreifen des Themas bis zur Verabschiedung entstehen könnte. Als Grundsatz muss gelten, dass das Plenum in mindestens einer Phase des Beratungsganges involviert bleibt, und sei es bei der Entscheidung über die Ausschussdelegation.

Eine zügige und fundierte Willensbildung des Parlaments erfordert im Idealfall die Bereitstellung der entsprechenden Ressourcen in der Landtagsverwaltung, insbesondere in personeller Hinsicht. Dies trifft auch für die Referentenebene der Fraktionen zu. Ohne fachliche Vorarbeiten werden der Landtag und seine Ausschüsse kaum zu sachgerechten Entscheidungen kommen. Nun ist eine Ausweitung des Personals in den Landtagsverwaltungen aus übergeordneten Erwägungen kaum durchsetzbar. Als Alternative sollten den Landtagen, aber auch den Fraktionen, deshalb die Ressourcen der Ministerialbürokratie stärker zur Verfügung gestellt werden. Dort wird die inhaltliche Aufarbeitung europapolitischer Themen ohnehin geleistet. Dem Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortlichkeit sowie den Schutzinteressen regierungsinterner Meinungsbildung ist dabei Rechnung zu tragen. Für die parlamentarische Beteiligung in der Europapolitik muss gelten: Die entscheidungsrelevanten Informationen, die der Regierung für ihre Willensbildung zur Verfügung stehen, sollten grundsätzlich auch dem Parlament zugänglich sein.

Durchaus konstruktive Anleihen für die parlamentarische Einbindung in die Entscheidungsprozesse zu Angelegenheiten der Europäischen Union sowie der parlamentsinternen Beratungsabläufe lassen sich für die Landesparlamente aus den Regelungen des Deutschen Bundestages entnehmen. Nach Schaffung des Ausschusses für Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Artikel 45 GG sowie dem "Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union" in Ausführung von Artikel 23 Abs. 3 Satz 3 GG hat der Bundestag seine parlamentarischen Beratungsabläufe den Erfordernissen des europäischen Entscheidungsprozesses angepasst .

Der Beitrag hat versucht, Handlungsoptionen für die Landesparlamente zur Ausrichtung ihrer parlamentarischen Infrastruktur auf die Herausforderung Europa aufzuzeigen. In der "Europafähigkeit" parlamentarischer Entscheidungsstrukturen erschöpft sich freilich die europapolitische Rolle der Landtage keineswegs, sie ist jedoch Grundlage ihres europäischen Handelns. Gezielte Einflussnahme auf das Handeln der Landesregierung im kooperativen Bundesstaat, die Vermittlung von Europapolitik zwischen Staat und Bürger sowie das Bemühen, dem europäischen Entscheidungsprozess insgesamt zusätzliche demokratische Legitimation zu vermitteln, wird darauf aufzubauen haben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Mit Bezug zum Landesparlamentarismus vgl. Detlef Merten (Hrsg.), Die Stellung der Landesparlamente aus deutscher, österreichischer und spanischer Sicht, Berlin 1997; Peter Straub/Rudolf Hrbek (Hrsg.), Die europapolitische Rolle der Landes- und Regionalparlamente in der EU, Baden-Baden 1998.

  2. Vgl. jüngst Udo Di Fabio, Was der Staatenverbund leisten kann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 6. 4. 1999, S. 11; Ingolf Pernice, Vertragsrevision oder europäische Verfassungsgebung?, in: FAZ vom 7. 7. 1999, S. 7; Klaus Otto Nass, Ein beliebtes Phantom: das Demokratiedefizit der EU, in: FAZ vom 29. 3. 1999, S. 15.

  3. Vgl. VerfGE 89/155.

  4. Ebd., S. 155, Leitsatz 3a, vgl. auch S. 184 und 185 f.

  5. Vgl. dazu Rudolf Hrbek, Die Auswirkungen der EU-Integration auf den Föderalismus in Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/97, S. 12-21.

  6. In Verbindung mit dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I 1993, S. 313).

  7. Vgl. zu diesem Funktionsverlust und Funktionswandel den Überblick bei Walter Rudolf, Die Bedeutung der Landesparlamente in Deutschland, in: D. Merten (Anm. 1), S. 55-70.

  8. Zum Funktionsverlust der Landesparlamente bereits durch die innerstaatlichen Kompetenzverschiebungen im Bund-Länder-Verhältnis zugunsten des Bundes vgl. Hermann Eicher, Der Machtverlust der Landesparlamente, Berlin 1988, S. 86-101.

  9. Der Beitrag stützt sich auf Ergebnisse der Untersuchung von Roland Johne, Die Landtage im Entscheidungsprozess der Europäischen Union. Parlamentarische Mitwirkung im europäischen Mehrebenensystem, Dissertation am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, 1999.

  10. Vgl. ebd., Kap. 4.

  11. Hessischer Landtag, Drucksache (Drs.) 14/2906 vom 27. 5. 1997, Antrag der Fraktion der CDU.

  12. Drs. 14/2879 vom 15. 5. 1997, Antrag der Fraktionen der CDU und F.D.P.

  13. Drs. 14/786 vom 21. 11. 1995, Antrag aller Fraktionen.

  14. Drs. 14/3006 vom 25. 6. 1997, Antrag aller Fraktionen.

  15. Drs. 14/2849 vom 6. 5. 1997, Antrag der Fraktionen der CDU und F.D.P.

  16. Drs. 14/3249 vom 21. 10. 1997, Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen.

  17. Drs. 14/2729 vom 6. 3. 1997, Antrag der Fraktion der CDU.

  18. Drs. 14/1704 vom 8. 5. 1996, Berichtsantrag des Abg. Bouffier (CDU) u. a.

  19. Plenarprotokoll 14/102 vom 28. 5. 1998 sowie Pl.Pr. 14/114 vom 10. 12. 1998. (Den Landesbezug liefert u. a. die Tatsache, dass Frankfurt der Sitz des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der Veranstaltungsort der grössten Buchmesse der Welt und Standort einer Vielzahl von Buchverlagen ist.)

  20. Vgl. auch Berichtsantrag des Abg. Lenz u. a. (CDU), Drs. 14/1642 vom 24. 4. 1996, Pl.Pr. 14/96 vom 26. 3. 1998, Pl.Pr. 14/111 vom 19. 11. 1998.

  21. Drs. 14/44 vom 28. 4. 1995, Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen, vgl. auch Pl.Pr. 14/5 vom 4. 5. 1995, S. 183-190.

  22. Vgl. dazu Aloys Lenz in: Regionale Existenz und europäische Zukunft. Diskussion mit Abgeordneten des Hessischen Landtags und hessischen Abgeordneten des Europäischen Parlaments, in: Länder und Regionen in Europa. Kooperation für eine gemeinsame Zukunft. Fachtagung des Hessischen Landtags am 31. Oktober 1996, hrsg. von Franz Greß, Wiesbaden 1997.

  23. Drs. 14/1657 vom 24. 4. 1996, Antrag der Fraktion der CDU, Drs. 14/2065 vom 3. 9. 1996, Änderungsantrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen.

  24. Drs. 14/785 vom 21. 11. 1995, Antrag aller Fraktionen.

  25. Vgl. dazu ausführlich Ruth Lang, Die Mitwirkungsrechte des Bundesrates und des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union gemäß Artikel 23 Abs. 2 bis 7 GG, Berlin 1997, S. 332-349, die diese verfassungsrechtliche Problematik für den Bundestag diskutiert, mit Verweis u. a. auf das Wüppesahl-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 80/188).

  26. Vgl. dazu die Klage des fraktionslosen Bundestagsabgeordneten Ortwin Lowack (12. WP) gegen die Einfügung des Artikels 45 in das Grundgesetz wegen Einschränkung seiner Mitwirkungsrechte als Abgeordneter aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, Aktenzeichen 2 BvE 6/93 (ein Urteil ist bislang nicht ergangen).

  27. BGBl. I 1993, S. 311.

  28. Vgl. dazu sowie zur Behandlung von EU-Vorlagen in früheren Wahlperioden R. Lang (Anm. 25); Annette Elisabeth Töller, Europapolitik im Bundestag, Frankfurt am Main 1995; Rudolf Kabel, Die Mitwirkung des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union, in: Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, hrsg. von Albrecht Randelzhofer/Rupert Scholz/Dieter Wilke, München 1995, S. 241-270; Uwe Leonardy, Bundestag und Europäische Gemeinschaft: Notwendigkeit und Umfeld eines Europa-Ausschusses, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, (1989), S. 527-544.

MdL, geb. 1943; Vorsitzender des Europa-Ausschusses des Hessischen Landtags.

Veröffentlichungen u. a.: Kulturpolitik und Bibliotheken im Föderalismus - Das Beispiel Hessen, in: Politik für Bibliotheken, hrsg. von der Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände e.V. , München 2000.

M.A., geb. 1964, Politologe, Fraktionsgeschäftsführer.

Veröffentlichungen u.a.: Landesparlamentarismus im Zeichen der europäischen Integration, Frankfurt/M. 1994.