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Editorial | Nation und Nationalismus | bpb.de

Nation und Nationalismus Editorial Zur "Wiederkehr" des Nationalismus Nationalgeschichte und Globalgeschichte. Wege zu einer "Denationalisierung" des historischen Blicks In Deutschland daheim, in der Welt zu Hause? Der Heimat-Diskurs und die Transnationalisierung von Klassenstrukturen Postnationale Potenziale. Praktiken jenseits der Nation Hindu-Nationalismus. Indien auf dem Weg in einen Hindu-Staat? Von der autonomen Gemeinschaft zur unabhängigen Nation? Separatismus in Katalonien Die neue Diasporapolitik der Türkei und Türkeistämmige in Deutschland

Editorial

Anne Seibring

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Nationen seien, so das berühmte Diktum des Nationalismusforschers Benedict Anderson, "vorgestellte Gemeinschaften", weil die "Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen (…) werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert". Wie ein Blick in die Geschichte zeigt, bedurfte es großer Anstrengungen und teilweise auch Gewalt, um diese Vorstellung zu formen und das Konzept vom Nationalstaat in die Realität umzusetzen. Vorstellungen aber sind veränderbar, und somit wären auch andere Formen der Gemeinschaftsbildung jenseits der Nation zumindest denkbar.

Und so ist hundert Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Entstehung von Republiken überall in Europa die Europäische Republik ausgerufen worden. Das Europa der Nationalstaaten sei gescheitert, an die Stelle der Souveränität der Staaten trete nun die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von Nationalität und Herkunft. "Es lebe die Europäische Republik!", schließt das von der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, dem Schriftsteller Robert Menasse und dem Regisseur Milo Rau verfasste Manifest, das am 10. November 2018 an verschiedenen europäischen Orten im Rahmen des European Balcony Project von Aktivistinnen und Künstlern proklamiert wurde.

Diese Vision scheint zurzeit weit davon entfernt, Wirklichkeit zu werden. Nicht nur in Europa, auch weltweit ist eine Rückbesinnung auf die Nation und ihre Interessen, sind mithin nationalistische Töne wahrzunehmen. Handelt es sich um die Wiederkehr des alten, überwunden geglaubten Nationalismus, oder ist hier ein neuer Nationalismus am Werk, der seine Wurzeln nicht mehr im 19. Jahrhundert sucht, geschweige denn findet? Und ist umgekehrt die Forderung, die Zeit der Nationalstaaten endlich und endgültig hinter uns zu lassen, angesichts der offensichtlichen geschichtlichen Wirkmächtigkeit der Idee "Nation" und der Verbindung auch mit Demokratie, mit Rechts- und Sozialstaatlichkeit, nicht allzu voreilig oder sogar elitär?