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Unternehmen in der Aktiven Bürgergesellschaft

André Habisch

/ 15 Minuten zu lesen

Die Integration Europas bedeutet Druck für die institutionelle Arbeitsteilung im Wohlfahrtsstaat. Gesellschaftlich engagierte Unternehmen können als Motoren einer aktiven Bürgergesellschaft die Familien- und Gesellschaftspolitik mitgestalten.

Einleitung

Deutschland steht mitten in einem Veränderungsprozess, der in seiner Radikalität durchaus mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert vergleichbar ist. Ein schleichender Umbau der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verändert auch das gesamtgesellschaftliche Gefüge. Wesentlicher Motor ist die Globalisierung, die sich in unseren Breiten als wirtschaftliche und institutionelle Integration Europas darstellt.

Letztere wird nicht von profitgierigen Hedge-Fonds oder ungehemmten Kapitalinteressen vorangetrieben. Wirtschaftliches Handeln folgt auf Wettbewerbsmärkten für Güter und Dienstleistungen dem Druck hin zu einer möglichst kostengünstigen Befriedigung individueller Bedürfnisse. Um in diesem Wettbewerb bestehen zu können und wirtschaftlich nachhaltig erfolgreich zu sein, nutzen Unternehmer und Unternehmen als "Arbitrageure" Standortvorteile wie niedrige Löhne und verlagern Produktionsstätten weltweit. Motor der Globalisierung ist also letztlich der Wunsch von Verbraucherinnen und Verbrauchern nach einem immer besseren Preis-Leistungs-Verhältnis inklusive dem Bedürfnis von sozial Schwächeren nach einem Zugang zu hochwertigen Gütern mit niedrige(re)n Preisen.

Diese wirtschaftlichen Integrationskräfte, die zur Nutzung komparativer Vorteile der verschiedenen Standorte führen, kommen überall dort zum Durchbruch, wo sie nicht durch Protektionismus und nationale Handelsschranken behindert werden. Auch in dieser Hinsicht sind Globalisierung und europäische Integration kein Betriebsunfall der Geschichte. Sie sind vielmehr das Resultat intensiver politischer Bemühungen um den Abbau protektionistischer Handelsschranken. Der Beitritt der mittel- und osteuropäischen Länder zur Europäischen Union markiert den erfolgreichen Abschluss eines jahrzehntelangen Ringens um die Schaffung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraumes. Das große Ziel der europäischen Politik des 20. Jahrhunderts - das Zerreißen des Eisernen Vorhangs - selbst ist es also gewesen, das das wirtschaftliche Zusammenwachsen Europas befördert hat.

War die Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts also außenpolitisch erfolgreich bei der Überwindung der europäischen Teilung, so hat sie es weitgehend versäumt, ihre entsprechenden "nationalen Hausaufgaben" zu machen. Denn nach wie vor sind fast alle Ordnungssysteme vom nationalen Wohlfahrtsstaat organisiert und nicht an den neuen veränderten Kontext angepasst. So ist es zum Beispiel in einem geschlossenen nationalen Rahmen sinnvoll, dass der Staat den Bürgerinnen und Bürgern Straßen und Hochschulausbildung, soziale Sicherung und Infrastruktur weitgehend "kostenlos" anbietet. Denn die Nutznießer finanzieren über Steuern und Abgaben letztlich diese öffentlichen Leistungen. Progressive Einkommenssteuersysteme stellen sicher, dass dies im Großen und Ganzen auf eine "gerechte" Art und Weise geschieht. Man könnte diesen Finanzierungszusammenhang des geschlossenen nationalen Wohlfahrtsstaates der Nachkriegszeit mit einem "all-you-can-eat"-Arrangement einer Wohlfahrtsveranstaltung vergleichen: Jeder zahlt an der Kasse gemäß seinen finanziellen Möglichkeiten und bedient sich dann am Buffet entsprechend seinen Bedürfnissen und Vorlieben.

Ein solches Arrangement ist allerdings nur so lange stabil, wie sichergestellt ist, dass der Weg zum Buffet ausschließlich an der Kasse vorbei führt und keine (oder doch nur wenige) Gäste über andere Eingänge den Raum betreten. Bei grenzüberschreitender Mobilität - wie sie in einem integrierten Europa gerade gewünscht ist - wird dieser nationalstaatliche Finanzierungszusammenhang aufgebrochen. In Deutschland ausgebildete Ärzte arbeiten im Ausland und zahlen ihre Einkommenssteuer in Großbritannien oder Norwegen; Transitfahrer tanken in Polen und Holland und beteiligen sich nicht an der Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur. Im offenen Wirtschafts- und Lebensraum werden nationalstaatliche Finanzierungskreisläufe von Leistung und Gegenleistung aufgebrochen. Systeme müssen daher neu justiert werden. Auf unser Bild übertragen bedeutet dies: Aus dem "all-you-can-eat"-Arrangement wird schrittweise ein klassischer Restaurantbetrieb. Jeder zahlt das, was er konsumiert - oder beteiligt sich jedenfalls stärker an den Kosten.

Im Bereich der Verkehrsinfrastruktur läuft dies auf die Erhebung einer Autobahnmaut (mindestens) für LKW hinaus: Kosten für die Inanspruchnahme von Fernstraßen werden nicht mehr (ausschließlich) kollektiv beim Steuerzahler, sondern stärker individuell beim Nutzer abgerechnet. Im Bereich der Hochschulfinanzierung stellen Studiengebühren sicher, dass sich die Nutzer einer Bildungs-"Investition" auch an deren Kosten beteiligen. Im Bereich der Gesundheitsversorgung steigen inzwischen die Selbstkostenanteile. Eine ganz ähnliche Entwicklung ist schließlich auch im Bereich der Kinderbetreuung festzustellen: Die "Familienoffensive" des Freistaates Thüringen bezuschusst nicht mehr pauschal Personalkosten aller Kindergärten, sondern zahlt Familienförderung direkt den Eltern in Form eines höheren Erziehungsgeldes aus. Wer dann Leistungen einer Betreuungseinrichtung in Anspruch nimmt, der muss sich stärker als bisher an den Kosten beteiligen.

Aktive Bürgergesellschaft

Die Einschränkung individueller Rechtsansprüche ist unter den Stichworten "Hartz"-Arbeitsmarktreformen, Gesundheitsreform, Rentenanpassungen etc. diskutiert worden. Neben diesen medialen Großereignissen ist aber die Knappheit der öffentlichen Kassen auch in den Gemeinden, Landkreisen, Städten und Bundesländern spürbar und hat zu Leistungseinschränkungen und Kostenerhöhungen geführt. Bürgerinnen und Bürger treffen diese Veränderungen mehr oder weniger schmerzhaft; entsprechend schwer sind sie in einer Demokratie durchzusetzen: Seit dem 18. September 2005 ist die rot-grüne Bundesregierung von Gerhard Schröder - nach der schwarz-gelben Regierung von Helmut Kohl 1998 - bereits das zweite Regierungsbündnis, das seine parlamentarische Mehrheit über diesem Reformprozess verloren hat. Zu diesem wiederholten Scheitern hat sicher auch beigetragen, dass die Politik zwar von notwendigen Kostensenkungen, mehr Eigenverantwortung und internationalem Anpassungsdruck spricht, aber nicht deutlich wird, wie die anstehenden öffentlichen Aufgaben positiv bewältigt werden können.

Aus sozialethischer Sicht stellt sich jenseits aller Einzeldiskussionen die grundsätzliche Frage: Wie können wesentliche Errungenschaften der abendländisch-christlichen Tradition - ein Leben in Würde und Selbstachtung, Solidarität mit sozial Schwachen, Sicherung nachhaltiger Lebensbedingungen - unter den veränderten Rahmenbedingungen des 21. Jahrhunderts (überhaupt noch) realisiert werden? Wo werden neue Innovationspotenziale erkennbar, die im "all-you-can-eat"-System des Nachkriegsarrangements verschüttet waren? Solange das Wort "Reform" immer nur mit höheren Belastungen und geringeren Leistungen identifiziert wird, bleibt der Appetit der Betroffenen naturgemäß gering. Ohne anspruchsvolle Leitbilder, die die Antriebskräfte zur Mitgestaltung einer "globalisierungsfähigen" Ordnung positiv zu wecken vermögen, werden weder Reformen durchsetzbar noch die von allen Parteien beschworenen Potenziale des Landes aktiviert. Dabei geht es nicht zuerst um die Mobilisierung zusätzlicher Finanzquellen, sondern darum, innovative Wege zu gehen und die vorhandenen Mittel besser für die betroffenen Gruppen einzusetzen.

Aus welcher Himmelsrichtung deuten sich solche gesellschaftspolitischen Innovationen an? Sie werden gegenwärtig in vielen Ländern Europas unter dem Stichwort der Aktiven Bürger- bzw. Zivilgesellschaft und der Rolle der Unternehmen darin verhandelt. Es ist erstaunlich, in welch geringem Umfang diese Diskussion in Deutschland angekommen ist - diversen Enquete-Kommissionen und UNO-Jahren zum Trotz.

Ein Beispiel: Die konstante Massenarbeitslosigkeit stellt bereits seit Jahren ein drängendes Problem dar. Wenn es nicht gelingt, mehr Menschen in Beschäftigung zu bringen, wird es für kaum ein anderes Standortproblem wirkliche Lösungen geben. Die Ausgrenzung von Millionen Menschen aus dem Erwerbsprozess stellt sowohl aus ökonomischer als auch aus ethischer Sicht einen Skandal ersten Ranges dar. Institutionelle Reformen vom Typ der Hartz-Gesetze können auch bei großer Wirkung das Problem der Massenarbeitslosigkeit alleine nicht lösen. Denn hinter vier bis fünf Millionen Arbeitslosen verbergen sich ebenso viele komplexe Lebenslagen. Vielen von ihnen ist auch mit einer Senkung der Lohnnebenkosten und einer Optimierung desVermittlungsprozesses der Bundesagentur nicht geholfen.

Um auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbare Bevölkerungsgruppen wie Schulabbrecher, allein erziehende Eltern, ethnische Minderheiten oder Aussiedler mit schlechten Sprachkenntnissen (wieder) in kontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse zu bringen, bedarf es auch veränderter Anreizstrukturen auf den Arbeitsmärkten - doch diese reichen alleine ebenfalls nicht aus. Sie müssen vielmehr mit einer "aufsuchenden", pro-aktiven Unterstützung einhergehen ("fördern und fordern"). Hilfe zur Selbsthilfe darf sich nicht darauf beschränken, Geld- oder Sachleistungen zu verteilen. Sie muss vielmehr auch Alltagsprobleme der Betroffenen lösen helfen, die sie von der Aufnahme einer regelmäßigen Erwerbsarbeit abhalten. Hier kann es um Beratung, die Herstellung einer grundlegenden "Beschäftigungsfähigkeit", die Suche nach einer Kinderbetreuung oder Transportmöglichkeit oder einfach um humane Begleitung gehen. Hilfe zur Selbsthilfe im Alltag wird nicht (ausschließlich) von "Job-Centern" oder "Personal Service Agenturen" geleistet werden können. Dazu bedarf es - so zeigen Erfahrungen in anderen europäischen Ländern, aber auch in den USA - des Engagements von Bürgerinnen und Bürgern und nicht zuletzt auch von Unternehmen, um "intermediäre" Brückenstrukturen für bestimmte Gruppen zu schaffen. Pensionäre übernehmen Patenschaften, Arbeitnehmer informieren Arbeitslose über aktuelle Entwicklungen und Bewerbungsmöglichkeiten, Mittelständler bieten Praktikumsplätze und lassen sich auf Formen teilsubventionierter Arbeit ein. Ein solches Engagement lässt sich nur lokal, in Städten, Kommunen und Stadtteilen mobilisieren. Eine Bundesagentur mit Tausenden von Angestellten an einem zentralen Ort vermag sie auch bei bestem Willen nicht allein zu initiieren.

Ein Beispiel für ein solches Vorgehen in der Arbeitsmarktpolitik ist Dänemark. Um lokale Bündnisse für Arbeit als Grundlage für bürgerschaftliches Engagement gegen Arbeitslosigkeit zu organisieren, haben sich dort schon Mitte der neunziger Jahre Spitzenverbände und öffentliche Arbeitgeber in den Regionen zu "sozialen Koordinationskomitees" zusammengeschlossen. Diese organisieren Aus- und Weiterbildungsaktivitäten, leisten aktive Vermittlungsarbeit, suchen Lehrstellen für Jugendliche. Wesentliche Impulse zur flächendeckenden Selbstorganisation der Kommunen sind aber auch von der dänischen Regierung ausgegangen. Sie hat im Jahr 1998 die sozialen Koordinationskomitees für alle Landkreise für verbindlich erklärt - ohne allerdings genaue Vorgaben für deren Zusammensetzung und Arbeitsweise zu machen. Das heißt, dass Kommunen und Regionen die Freiheit haben, Schwerpunkte und Vorgehensweise ihrer Arbeit nach ihren eigenen regionalen Bedürfnissen selber festzulegen.

Familienpolitikin der Aktiven Bürgergesellschaft

Zur Stärkung bürgerschaftlicher Kräfte müssen sozial- und arbeitsmarktpolitische Aufgaben (inklusive entsprechender finanzieller Mittel!) subsidiär auf Städte und Kommunen übertragen werden. Denn in der eigenen Kommune ist das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern (inklusive kleiner und mittelständischer, aber auch größerer "Unternehmensbürger") am größten. Was für die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland noch weitgehend Zukunftsmusik ist, das ist in den letzten Jahren zumindest in der Familienpolitik ansatzweise vollzogen worden. So hat das Bundesfamilienministerium die Entstehung regionaler "Bündnisse für Familie" gefördert, die Aktivitäten bündeln und sich dabei auch um die Integration von Unternehmen bemühen.

Mehrere Länderfamilienministerien (Bayern, Hessen, Thüringen u.a.) haben "Kommunale Familien-Tische" oder "Familien-Bündnisse" organisiert - professionell moderierte lokale Prozesse, deren Ziel die Mobilisierung bürgerschaftlicher Kräfte für die Förderung von Familien ist. In Österreich ist das Instrumentarium kommunaler Familienpolitik sogar noch stärker entwickelt. Entsprechende Programme sind teilweise in der Tradition älterer Initiativen zur Bürgerbeteiligung - wie etwa der "Planungszelle" der siebziger oder der "Agenda 21" der achtziger und neunziger Jahre - zu sehen, setzen aber neue Akzente. Thematische Fokussierung, Praxisorientierung und das Bemühen um möglichst breite Integration von Verantwortungsträgern aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (Unternehmen, Bildungseinrichtungen, Sozialverbände, lokale Politik etc.) dienen der Entstehung übergreifender Netzwerke . Diese sollen eine Zusammenarbeit auch über ein konkretes Projekt hinaus ermöglichen und Strukturen lokaler Selbstorganisation stärken.

Besonders das zentrale Thema "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" ist ganz offensichtlich nicht ohne die Unternehmen zu realisieren. Wenn es darum geht, die Lebens- und Arbeitsbedingungen berufstätiger Eltern zu verbessern, dann sind engagierte Unternehmen, dann ist "Unternehmergeist in der Bürgergesellschaft" gefragt. Die von der gemeinnützigen Hertie-Stiftung getragene "Beruf und Familie gGmbH" hat bereits in den neunziger Jahren ein Audit-Verfahren und das Zertifikat "Der familienfreundliche Betrieb" entwickelt, das auch von Behörden, Wohlfahrtsverbänden, Krankenhäusern und Universitäten erworben worden ist und das in den vergangenen Jahren stark an Verbreitung gewonnen hat. Dazu hat beigetragen, dass Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und Familienministerin Renate Schmidt die Schirmherrschaft für diese Initiative übernommen haben und die Verleihung der Zertifikate in den Räumlichkeiten der Ministerien stattfindet. Auch in Österreich ist das entsprechende Audit eng an das Sozialministerium angelehnt. Dort bilden sich zudem Vermittlungsstrukturen zwischen Unternehmen und Politik, die eine bessere Koordination ermöglichen und die Kräfte auf gemeinsame Aufgaben hin bündeln sollen. Die Industriellenvereinigung und die Wirtschaftskammer Österreichs haben vor einigen Jahren die Initiative "CSR Austria" ins Leben gerufen, dieden Gedanken der gesellschaftlichen Mitverantwortung von Unternehmen schnell bekannt gemacht hat. Unter dem Titel "RespAct" hat sich diese Initiative nun jüngst zu einer landesweiten Plattform für CSR Aktivitäten weiter entwickelt, in deren Trägerstrukturen auch Wirtschafts-, Sozial- und Umweltministerium einbezogen sind.

Strategien für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie umfassen vor allem die interne Arbeitsorganisation. Flexible Arbeitszeitmodelle gehören heute in den meisten Betrieben zum Standard. Die Einrichtung von Telearbeitsplätzen, Informations- und Kommunikationspolitik für berufstätige Eltern, familienbewusste Unternehmensphilosophie und Personalentwicklung sowie externe Serviceangebote für Familien sind dagegen Stichworte, die oft noch Herausforderungen für die Betriebe markieren. Gerade der letzte Punkt macht aber deutlich, dass familiengerechte Arbeitsbedingungen auch von den Unternehmen nicht im Alleingang zu erreichen sind. Vielmehr ist die Zusammenarbeit mit Partnern erforderlich (Kindergärten, Verkehrsbetriebe, Kommunalpolitik, Schulleitungen, spezialisierte Dienstleistungsanbieter). Eine lokale Infrastruktur zeitgemäßer Kinderbetreuung, die möglichst vielen Eltern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglicht, erfordert ein aufeinander abgestimmtes Handeln. Familienorientiertes Engagement endet also nicht an den Werkstoren; es baut vielmehr Beziehungen ins gesellschaftliche Umfeld auf, um vertrauensvolle Zusammenarbeit zu ermöglichen - und hilft dabei in vielen Fällen auch, Kosten zu sparen.

Instrumenten wie dem Audit "Beruf und Familie", lokalen Bündnissen, aber auch Rankings und Wettbewerben kommt für eine Politik der Bürgergesellschaft eine besondere Bedeutung zu. Denn im Gegensatz zu Markttransaktionen (denen meist wechselseitige finanzielle Ansprüche zu Grunde liegen) und Staatshandeln findet jede Art der zielgerichteten Zusammenarbeit im Bereich der Bürgergesellschaft notwendigerweise freiwillig und ohne äußeren Zwang statt. Das aber setzt eine entsprechende Motivation der beteiligten Personen und Institutionen voraus, die ständig "gepflegt" werden muss. Nur wenn sich die Partner zu kontinuierlicher Zusammenarbeit verpflichten und unabhängig voneinander entsprechende Vorleistungen dafür erbringen, können sie in ihrem gemeinsamen gesellschaftlichen Umfeld nachhaltig etwas bewirken. Dies setzt voraus, dass ein solches bereichsübergreifendes Handeln in dem jeweiligen Handlungsrahmen auch sinnvoll ist. So ist es kein Wunder, dass sich in der Diskussion um betriebliche Familienpolitik häufig das Argument der ökonomischen Vorteilhaftigkeit entsprechender Aktivitäten findet.

Gerade weil sich Unternehmen hier freiwillig engagieren, muss auch von betriebswirtschaftlichen Vorteilen familiengerechter Unternehmensführung die Rede sein (dürfen). Unternehmen stehen in der Marktwirtschaft im Wettbewerb miteinander. Nur Wettbewerbsstrukturen stellen sicher, dass sich tendenziell mächtige Anbieter konsequent immer wieder an den Interessen der Verbraucher orientieren und ihre Produkte zu immer besseren Preis-Leistungs-Verhältnissen anzubieten versuchen. Ist also der Wettbewerb prinzipiell sozialethisch erwünscht, dann sollte ein gesellschaftliches Engagement dem Unternehmen in diesem Wettbewerb auch Vorteile verschaffen. Unternehmen fallen (im übertragenen Sinne) auch in einem solchen Engagement nicht "aus der Rolle". Sie bleiben immer Unternehmen im Wettbewerb und werden nicht zum Sozialamt oder Wohlfahrtsverband. Einrichtungen und Organisationen, die mit Unternehmen zusammenarbeiten möchten, dürfen also nicht nur fragen, was sie sich von ihrem Kooperationspartner erwarten. Im Interesse nachhaltiger Zusammenarbeit müssen sie auch fragen, was sie selbst für eine solche Kooperation interessant macht und wie sie ihren Unternehmenspartnern Wettbewerbsvorteile verschaffen können.

Sozialpolitik in der Bürgergesellschaft

Auch deutsche Unternehmen engagieren sich traditionell sehr stark in ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Dennoch besteht in der öffentlichen Diskussion über Bedeutung und Chancen solchen Engagements großer Nachholbedarf - auch gegenüber anderen europäischen Ländern. Angesichts des alles überschattenden hartnäckigen Ringens um staatliche Sozialleistungen, Rechtsansprüche und Steuersätze wird die mögliche Rolle engagierter Bürger und Unternehmen als gesellschaftspolitische Innovatoren bislang kaum gesehen. Dabei zeigen empirische Untersuchungen, dass Bürgergeist (civicness) einen entscheidenden Faktor der politisch-administrativen wie auch der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Region darstellt. Auf jeden Fall können Innovationen aus dem "Labor Bürgergesellschaft" die Zielgenauigkeit und Durchschlagskraft staatlicher Sozialpolitik entscheidend erhöhen.

Die führende französische Kaufhauskette Carrefour nutzt ihre landesweite Ladenkette für ihr gesellschaftliches Engagement, u.a. zur Verbreitung von Informationsmaterial und Bildungsinhalten. Im Kooperationsprojekt PACTE (Pour Agir Contre toute Exclusion), das gemeinsam mit einer Nichtregierungsorganisation durchgeführt wird, wendet sich Carrefour direkt an sozial Ausgegrenzte: In speziellen Läden sind über 400 Tonnen Produkte und Lebensmittel zu deutlich reduzierten Preisen bereitgestellt worden; zugleich werden dort Nachbarschaftshilfen organisiert sowie Angebote für Reintegrationskurse und Weiterbildungsmaßnahmen gemacht. Die PACTE Läden sind Knotenpunkte lokaler Netzwerke bürgerschaftlichen Engagements, in denen die Carrefour-Stiftung Selbsthilfeaktivitäten für soziale und ethnische Randgruppen unterstützt.

Die britische Royal Bank of Scotland ermöglicht es ihren Angestellten, in " Community Service Sabbaticals" drei Monate bezahlten Urlaub zu nehmen, um in Nichtregierungsorganisationen für die lokale Gemeinschaft zu arbeiten. Die Bank sieht dies unter anderem als besondere Form der Personalentwicklung: "Die Mitarbeiter, die nach einer solchen ,Auszeit` zur Arbeit zurückkehren, haben ein besseres Verständnis der lokalen Bedürfnisse und eine positive Grundhaltung zum Dienst am Gemeinwesen, das auch ihre Kollegen ansteckt und die Bank stärkt" - so heißt es im Sozialbericht der Bank. Deshalb soll dieses Mitarbeiterengagement noch verstärkt werden - so etwa im Programm "face2face with finance", das mittlerweile die Hälfte der britischen Schulen umfasst und in dem 4000 teilnehmende Schüler Kenntnisse im Umgang mit Finanzen erwerben. Auch der "Money Advise Trust" berät unentgeltlich in Finanzdingen und bildet spezialisierte Trainer aus. Eine interessante Engagementmöglichkeit für Mitarbeiter bieten die Auftritte des "Aim-higher Trust" in britischen Schulen: Dort wurden bereits über 135 000 leistungsstarke Schüler aus sozial schwachen Familien erreicht und ermutigt, ein Hochschulstudium aufzunehmen.

Empirische Untersuchungen zeigen, dass Armut, Hunger und Obdachlosigkeit durchaus auch in den wohlhabenden Ländern des Westens verbreitet sind; dort haben sie aber weniger mit "objektivem" Mangel als vielmehr mit der Unfähigkeit zum sparsamen Umgang mit dem eigenen Geld zu tun. Britische Banken wie HBOS oder Barclays entwickeln deshalb Programme, um bei einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen und Minderheiten diese Fähigkeit zu verbessern. Dabei arbeiten sie oft eng mit Sozialbehörden und dem Ministerium zusammen. Um einen Anreiz zum Sparen zu geben, legt die Bank in bestimmten Programmen auf jedes gesparte Pfund eines hinzu (bis 375 £). In Zusammenarbeit mit einer Kinderstiftung wird an der finanziellen Sensibilisierung von Kindern und Jugendlichen gearbeitet; ein ähnliches Programm gibt es auch für alte Menschen.

Solche Aktivitäten werden auch Widerspruch hervorrufen: Wird hier nicht nur eine Fassade aufgerichtet, während manche Banken gleichzeitig Kindern und Jugendlichen aggressiv ihre Kredite aufdrängen und sie in die Überschuldung treiben? Zudem kann ein kleines Projekt nach außen nicht kompensieren, wenn Aktionäre getäuscht, Mitarbeiter schlecht behandelt oder Kunden verprellt werden: Unternehmen sollen sich darauf beschränken, ihr Kerngeschäft anständig zu erledigen und ihre Steuern zu zahlen. Eine solche Kritik verkennt, dass auch Unternehmen keine geschlossenen Gebilde mit einer einheitlichen Willensbildung sind. Ein gesellschaftliches Engagement nach außen gibt immer auch ein Signal nach innen und erleichtert eine Selbstbestimmung der eigenen gesellschaftlichen Position. Gerade Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind kritische Begleiter solcher Programme. Sie engagieren sich oft selbst für die sozialen Ziele, fordern dann aber auch Konsequenzen in anderen Handlungsfeldern ein. Eine außenwirksame Selbstbindung verhilft also dazu, unternehmensintern problematische Praktiken zu diskutieren - und gegebenenfalls abzustellen. Unternehmerisches Auftreten nach innen und nach außen sind auf die Dauer nicht wirksam voneinander zu trennen. Gesellschaftliches Engagement - dies wird auch im oben wiedergegebenen Zitat der Royal Bank of Scotland deutlich - löst im Unternehmen eine Dynamik aus, die auch auf interne Veränderungen drängt, wenn diese aus Kohärenzgründen notwendig erscheinen.

Umgekehrt gilt: Gerade weil sich Unternehmen als Bürger freiwillig engagieren sollen, muss auch von Vorteilen des Engagements im Leistungswettbewerb die Rede sein dürfen: Solche Vorteile realisieren auch Mittelständler dadurch, dass sie ihr soziales Engagement konsequenter in ihre unternehmerische Tätigkeit integrieren. Dies bringt gegenüber dem traditionellen Spendenwesen, das nur philanthropisch begründet wurde, etwas Neues. Gesellschaftliches Engagement erfolgt nicht auf Zuruf, sondern wird Teil einer selbst gewählten Strategie. Mitarbeiter, betriebliche Ressourcen, eventuelle Netzwerke werden in Projekte mit einbezogen.

Schlussbemerkungen

Eine aktive Bürgergesellschaft wird den Sozialstaat in seiner flächendeckenden gesellschaftspolitischen Funktion auf absehbare Zeit nicht ersetzen können. Ihre Grenze findet sie in der durchgängigen Freiwilligkeit des Engagements, das dadurch - wie es die Gründerin der Berliner Tafel-Bewegung einmal ausgedrückt hat - immer "unzuverlässig" bleibt. Es geht nicht um ein Denken in Gegensätzen, sondern um problemorientiertes Zusammenwirken. Denn Bürgerengagement kann öffentliche Systeme komplementär ergänzen. Es übernimmt die "Feinsteuerung" sozialpolitischer Programme und kann ihnen zugleich - quasi als Pfadfinder - neue Wege wirksamerer Unterstützung aufzeigen. Wenn Sozialpolitik in Engagementnetzwerke mit Bürgern und Unternehmen eingebettet ist, können auch Fehlsteuerungen der Politik schneller kommuniziert und korrigiert werden. Solche Rückkoppelungen werden angesichts knapper Kassen und komplexer Probleme immer wichtiger. Sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse zeigen, dass sich erfolgreiche und erfolglose, gut und schlecht regierte Regionen empirisch vor allem durch einen Faktor unterscheiden: die Existenz von Netzwerken engagierter Bürgerinnen und Bürger.

Unternehmerischem Engagement in der Aktiven Bürgergesellschaft kommt damit eine wichtige Funktion zu. Innovative Projekte eröffnen neue Wege zur Hilfe für Problemgruppen. Sie nutzen dazu die Kernkompetenzen und Potenziale der Betriebe. Ein solches Engagement schärft die Identität des Unternehmens bei Mitarbeitern und Kunden. Zugleich wird deutlich: Unternehmen sind nicht nur "Trittbrettfahrer" der Globalisierung. Als Teil der Bürgergesellschaft an ihren Standorten investieren sie in das lokale "Sozialkapital" und tragen dazu bei, dass soziale Errungenschaften auch unter Bedingungen wirtschaftlicher Integration bewahrt und weiterentwickelt werden können. Institutionelle Rahmenordnung und soziale Partnerorganisationen sollten - nach dem Vorbild von Dänemark, Großbritannien und zunehmend auch Österreich - die Zusammenarbeit mit Unternehmen verstärken, wenn sie den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht werden wollen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. André Habisch/Jan Jonker/Martina Wegner/René Schmidpeter (Hrsg.), Corporate Social Responsibility in Europe. Discovering National Perspectives, Heidelberg-Berlin 2004.

  2. Vgl. dazu ausführlich den Beitrag von Mette Morsing in: A. Habisch u.a., ebd., S.23-36.

  3. So eine entsprechende Veranstaltungsreihe des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) und der Konrad-Adenauer-Stiftung im Sommer 2005. Eine Dokumentation ist in Vorbereitung.

  4. Vgl. die zahlreichen Praxisbeispiele bei Alois Glück/Holger Magel/Thomas Röbke (Hrsg.), Neue Netze des Bürgerschaftlichen Engagements. Stärkung der Familien durch ehrenamtliche Initiativen, Berlin u.a. 2004.

  5. Vgl. Florian Langenscheidt (Hrsg.), Deutsche Standards - Unternehmerische Verantwortung, Wiesbaden 2005; Holger Backhaus-Maul, Corporate Citizenship im deutschen Sozialstaat, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), (2004) 14, S.23-30; André Habisch, Corporate Citizenship. Gesellschaftliches Engagement von Unternehmen in Deutschland, Heidelberg-Berlin 2003.

  6. Vgl. Robert Putnam, Making Democracy Work. Civic Tradition in Modern Italy, Princeton 1992.

Dr. theol., Dipl.-Volkswirt, geb. 1963; Professor an der Katholischen Universität Eichstätt- Ingolstadt, Direktor des Center forCorporate Citizenship, Ostenstraße26 - 28, 85072 Eichstätt.
E-Mail: E-Mail Link: andre.habisch@ku-eichstaett.de