Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Scheitern des Chomeinismus | Iran | bpb.de

Iran Editorial Iran als außenpolitischer Akteur Machtstrukturen in Iran Scheitern des Chomeinismus Frauenrechte in Iran Verliert die Islamische Republik die Jugend? Kinder der Revolution - Die iranische Blogosphäre

Scheitern des Chomeinismus

Wahied Wahdat-Hagh

/ 14 Minuten zu lesen

Die Islamische Revolution von 1979 entwickelte sich zu einer neuen Form von Diktatur, die anachronistische Gesetze mit modernen Mitteln verewigen will. Immer mehr Menschen in Iran sind der Meinung, dass eine Demokratisierung des Landes auf der Grundlage der gegenwärtigen Verfassung ausgeschlossen ist.

Einleitung

Ein Licht am Ende des Tunnels der "Islamischen Republik Iran" wird immer sichtbarer. Zwei Züge fahren in diesem Tunnel um Leben und Tod. Ein Zug will das Licht der Demokratie und Menschenrechte an den Tag bringen, der andere Zug die Dunkelheit einer totalitären Diktatur verewigen. Während die staatliche Repression täglich wächst, radikalisiert sich die iranische Demokratiebewegung.



Inzwischen versuchen Hunderttausende Iraner solch symbolische Tage, wie sie in den vergangenen 30 Jahren zur Mobilisierung der Massen im Dienste der totalitären Diktatur begangen wurden, in ihr Gegenteil zu verkehren. Der Al-Quds-Tag und der Jahrestag der Besetzung der amerikanischen Botschaft sind zwei Beispiele dafür. Sie dienten bisher der staatlich organisierten Propaganda gegen den "kleinen Satan" Israel und den "großen Satan" USA. In diesem Jahr nutzten Hunderttausende diese öffentliche Veranstaltung, um gegen die Diktatur im eigenen Land zu demonstrieren. Davon unbeirrt leugnete Präsident Mahmoud Ahmadinedschad weiterhin selbstverständlich den Holocaust und stellte die Existenz Israels als eine Bedrohung dar.

Schon im Juli 1979 hatte Revolutionsführer Ajatollah Chomeini den Al-Quds-Tag eingeführt und den "Sieg der Muslime über die Gottlosen" gefordert. Aber 30 Jahre nach der Revolution distanzierten sich iranische Demonstranten von den Ereignissen und Entwicklungen in den Palästinensergebieten und forderten eine iranische Republik statt einer islamischen, womit sie ihre Forderung an die Machthaber zum Ausdruck bringen, inneriranische Probleme zu lösen. Sie nutzten die antiisraelische Veranstaltung als Gelegenheit, um gegen die diktatorischen Verhältnisse zu demonstrieren und riefen: "Tod dem Diktator". Es wurde deutlich, dass ein aufgeklärter Teil der iranischen Gesellschaft die chomeinistische Diktatur überwinden will und sich jenseits der innerislamistischen Machtkämpfe in Richtung einer säkularen parlamentarischen Demokratie fortentwickelt.

Ein weiteres Beispiel sind die "Feierlichkeiten" zum Jahrestag der Besetzung der US-Botschaft: Am 4. November 1979 wurden 52 US-Diplomaten mit Zustimmung von Ajatollah Chomeini 444 Tage in der amerikanischen Botschaft in Geiselhaft genommen. Die US-Botschaft galt damals als ein "Nest der Spione". Zu dem Zeitpunkt war Ajatollah Montazeri ein Verfechter dieser staatlichen Geiselnahme, die sich gegen jegliche diplomatische Regelungen stellte. Heute ist der klerikale Dissident Montazeri der Meinung, dass dieser Schritt falsch war. In einem Interview vom 4.11. 2009 unterstrich er, dass US-amerikanisch-iranische Beziehungen im nationalen Interesse des Iran seien. Allerdings seien sowohl die israelische Regierung als auch die Regierung von Ahmadinedschad gegen eine Verbesserung dieser Beziehungen. Diese israelfeindliche Haltung Montazeris mag einen Pol des Meinungsspektrums der legalen Opposition im Iran darstellen. Andere Iraner aber, die das Ziel haben, den Chomeinismus zu überwinden, wollen in Zukunft auch mit Israel in Frieden leben. Montazeri erinnerte in seinem Interview an die Parole Chomeinis, eine Außenpolitik zu verfolgen, die "weder östlich noch westlich" sei. Heute stellt Montazeri fest, dass es keinen Sinn mache, gute Beziehungen mit Russland zu haben und auf die mit den USA zu verzichten. Iranische Demonstranten sprachen am 4.11. 2009 direkt den US-amerikanischen Präsidenten an und schrien auf den Straßen Teherans: "Obama, Obama, entweder stellst du dich auf deren Seite oder auf unsere Seite." Die Mehrheit der Iraner will normale Beziehungen zu den USA haben und auch im eigenen Land in den Genuss aller demokratischen Rechte kommen. Abbas Abdi, selbst 1979 an der US-Botschaftsbesetzung beteiligt, stellte 2002 anhand einer soziologischen Befragung fest, dass 74,4 Prozent der Iraner eine Wiederaufnahme der Beziehungen mit den USA befürworten. Dies brachte ihm den Vorwurf ein, bezahlter Agent des US-amerikanischen Umfrageinstituts Gallup zu sein. Er wurde für diese Aussage zu einer achtjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach zwei Jahren wurde er zwar vorzeitig, aber durch Folter eingeschüchtert entlassen.

Warnungen des Revolutionsführers

Soziologische Studien kann man verbieten. Doch schwieriger ist es, Massendemonstrationen von Hunderttausenden Iranern zu delegitimieren. Mit Gewalt - die Bilder gingen um die Welt - wurden in den vergangenen Monaten jegliche Regungen der iranischen Zivilgesellschaft zerschlagen. Die staatliche Propaganda spielte dabei eine besondere Rolle. In Iran werden Journalisten und Wissenschaftler, Angehörige religiöser Minderheiten, einfache Demonstranten, die der Demokratiebewegung angehören, verhaftet.

Die Nachrichtenagentur Farsnews, die dem Revolutionsführer Chamenei nahe steht, warf dem reformorientierten ehemaligen Präsidenten Mohammed Chatami, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Mir-Hussein Mussawi und dem Präsidentschaftskandidaten Mehdi Karroubi vor, eine Rolle in der US-amerikanischen Strategie der "samtenen Revolution" zum "Umsturz von innen" gespielt zu haben. Die Reformer hätten "heilige Symbole und die nationalen Gefühle der Iraner" benutzt, um Zustimmung zu finden. Mit der Farbe Grün habe Mussawi das "religiöse Gewissen der Muslime" für sich nutzen wollen. Sowohl Chatami als auch Mussawi hätten "die Zivilgesellschaft" so thematisiert, dass die Westler "auf den Geschmack gekommen seien". Diesen Politikern wirft die einflussreiche Farsnews vor, hinter der "Vitrine von Ajatollah Chomeini", d.h. vortäuschend im Namen des Revolutionsführers, zu agieren. Diese amerikanische Strategie sei im Iran aber zum Scheitern gebracht worden.

Dabei hatte Chatami gefordert, dass "die Forderungen nur aus dem Innern des politischen Systems gestellt werden dürfen". Er betonte, dass alle Aktivitäten nur im Rahmen des "Modells der Islamischen Republik" umgesetzt werden sollen. Karroubi war der Meinung, dass die Verfassung zwar nicht ohne Fehler sei, aber die Proteste in deren Rahmen durchgeführt werden müssen. Mussawi ging einen Schritt weiter und meinte, dass die Verfassung keine Eingebung Gottes sei und verändert werden könne.

Anders sah dies Mohssen Rezai, ebenfalls einer der diesjährigen Präsidentschaftskandidaten, der sich von Chatami, Karroubi und Mussawi distanzierte. Rezai warf ihnen vor, ihre persönlichen Interessen zu verfolgen, statt an die Sicherheit des Staates zu denken. Er hatte schon am 17.10. 2009 dazu aufgerufen, sich unter dem Schirm des Revolutionsführers Chamenei und der Verfassung zu versammeln und die "nationale Einheit" zu wahren.

Laut der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA fordern nicht weniger als 201 "studentische Verbände" - meist handelt es sich um staatlich organisierte und von den paramilitärischen Einheiten der Basidsch-geführte Gruppen -, Chatami, Karroubi und Mussawi vor Gericht zu stellen. Zwar kann heute nicht vorausgesagt werden, ob tatsächlich auch die genannten Politiker mit Verfolgung zu rechnen haben. Allerdings hat Revolutionsführer Ali Chamenei längst Klartext gesprochen: Wer die Wahlen kritisiere, begehe das "größte Verbrechen". Und der General der Revolutionsgardisten Masud Jasaeri warnte nicht nur die Demokratiebewegung im Land, sondern sogar ihre Anhänger im Ausland, die "mit ernsten Konsequenzen" zu rechnen hätten. Wenn Iraner in Deutschland davor gewarnt werden die iranische Demokratiebewegung zu unterstützen, regieren iranische Machthaber auch in deutsches Rechtsgebiet hinein.

Radikalisierung

Im innerislamistischen Kampf um die Macht ging es im Juni 2009 zunächst um den Betrug bei der Präsidentschaftswahl. Dann gingen die Iraner aber erneut auf die Straßen und forderten Demokratie und Freiheit. Ex-Präsident Chatami hatte schon vor mehr als zehn Jahren vor einem Dammbruch gewarnt, der dazu führen könne, dass die Menschenmassen wie Wellen auf die Straßen strömen. Er warnte im Jahre 1997 auch vor den "ausländischen Feinden, die Bastionen im Land" hätten.

Mit der Verschärfung der totalitären Diktatur ist der Ex-Präsident nun selbst zur Zielscheibe der chomeinistischen Machtmonopolisten geworden. Inzwischen haben die protestierenden Massen für ein antagonistisches Verhältnis zwischen der totalitären Diktatur und großen Teilen der städtischen Gesellschaft in der "Islamischen Republik Iran" gesorgt. Die chomeinistische Ideologie Irans geht aber nach wie vor davon aus, dass die absolute Herrschaft des Klerus und des Revolutionsführers Chamenei von Gott legitimiert wird. Tatsächlich setzen sie ihre Macht mit Hilfe der Gewalt der Revolutionsgardisten und der paramilitärischen Basidsch durch. Dem Volk bleibt die Entscheidung überlassen, ob es sich für die göttliche Vorbestimmung entscheidet oder nicht.

"Samtene Revolution" oder die Iraner wollen Demokratie

Experten der wissenschaftlichen Abteilung des iranischen Parlaments werfen westlichen Medien "sanfte Subversion" vor. Ihre Studie nimmt Bezug auf die "sanfte Revolution", die im Rahmen der Perestroika unter Gorbatschow zum Sturz der Sowjetunion geführt habe. Auch in den postkommunistischen Gesellschaften der Tschechoslowakei, Serbiens, Georgiens, der Ukraine und Kasachstans sei die Strategie des Westens erfolgreich gewesen, heißt es in der Studie. Die Studie wirft zudem Exiliranern, die in den persischsprachigen Medien arbeiten, vor, die iranische Jugend verführen zu wollen.

Den iranischen Radio- und Fernsehanstalten, die aus dem Exil senden, wie BBC und der Voice of America (VOA) und anderen Sendern, die aus verschiedenen europäischen Staaten ausstrahlen, werfen herrschende Ideologen vor, eine "Kluft zwischen dem Volk und der Herrschaft zu erzeugen, um die Klasse der Intellektuellen gegen das islamische System aufzuhetzen".

Für die islamistischen Ideologen, anders als für das Gros der aufgeklärten iranischen Bevölkerung, sind Normen der universellen Menschenrechte eine "Anti-Kultur". Zwar kämpft die iranische Gesellschaft seit über 150 Jahren für emanzipatorische Werte, aber die herrschenden chomeinistischen Ideologen diffamieren den Freiheitswillen der Iraner mit dem Begriff "Anti-Kultur". Darunter werden Begriffe wie "velvet revolution", " colour revolution", "flower revolution" oder "soft subversion" gefasst. All diese Bewegungen würden mit ihren demokratischen Programmen den Umsturz des islamischen Systems verfolgen.

Staatliche Nachrichtenagenturen greifen sogar deutsche Stiftungen an und werfen ihnen subversive Strategien vor. Beispielsweise kritisierte die staatliche iranische Nachrichtenagentur IRNA am 28.4. 2009 die Friedrich-Naumann-Stiftung, die gemeinsam mit exiliranischen Gruppen ein Seminar durchführte. Iranische Medien und Generäle kritisierten auch deutsche Bildungseinrichtungen, Stiftungen sowie die deutsche Botschaft in Teheran und beschuldigten diese der Spionage. Diese würde iranischen Studenten Auslandsstipendien anbieten, um sie zur Demokratie zu erziehen und damit die "sanfte Revolution" vorbereiten. Wer in Verdacht gerät, an einer "sanften Revolution" beteiligt gewesen zu sein, dem drohen Folter, Zwangsgeständnisse, lange Haftstrafen und immer häufiger die Hinrichtung. Zwangsgeständnisse sind eine besonders perfide Methode zur Unterdrückung von Andersdenkenden. Inzwischen bezeichnen die Machtmonopolisten in Iran sogar auch Anhänger von Ajatollah Chomeini und der islamischen Revolution als "Monafeqin", "Heuchler". Der islamistische Konsens bröckelt immer mehr. Die Ideologen des totalitären Regimes entscheiden, wer der "wahre" und wer der "falsche" Muslim ist.

Mythos des Dualismus

Der Staatsklerus sicherte in den vergangenen 30 Jahren seine Machtposition Schritt für Schritt ab. Sogar schiitische Geistliche, die nicht auf der Linie der Islamischen Revolution waren, wurden zu Beginn der Revolution und werden bis heute verfolgt. Zwar stimmte das iranische Volk am 30. März 1979 gegen die Monarchie und für die "Islamische Republik". Aber die Anhänger Chomeinis verhinderten auch die Bildung einer "konstituierenden Versammlung". Diese hätte garantieren können, dass die Bevölkerung auch ihre eigenen Kandidaten in ein demokratisches Parlament wählt.

Unmittelbar nach der Machtübernahme begann Ajatollah Chomeini mit der Verfolgung Andersdenkender. Zunächst wurde die royalistische und sehr bald die linke Opposition eliminiert. Später kamen die nationalreligiösen Gruppen dazu, die als Partei verboten wurden, und heute werden Teile der reformwilligen islamistischen Intellektuellen von den totalitären Machtmonopolisten vom politischen System ausgeschlossen.

Tatsächlich hatte Revolutionsführer Chamenei die beiden islamistischen Faktionen der "Hardliner" und der Reformislamisten noch im Jahr 2000 als "zwei Flügel eines Vogels" beschrieben, die gemeinsam dafür sorgen sollten, dass die Ziele der Revolution erreicht werden. Die Bevölkerung, Studenten, Arbeiter, Lehrer, Frauen nahmen die ideologischen Versprechen von Ex-Präsident Chatami, der von einer "islamischen Zivilgesellschaft" sprach, für bare Münze. Chatami hatte aber eine Vision von der "Stadt des Propheten", Madinatolnabi, anders als die Iraner, die sich in erster Linie nach Freiheit sehnten. Er schrieb: "Die Madani-Gesellschaft, die wir anvisieren, unterscheidet sich in ihrer Wurzel und ihrem Wesen von der westlichen Gesellschaft und entspringt der Madinatolnabi, während das Modell der Zivilgesellschaft des Westens der griechische Stadtstaat ist."

Die iranische Menschenrechtsaktivistin Ladan Boroumand, die im September dieses Jahres gemeinsam mit ihrer Schwester Roya und Shadi Sadr den Lech-Walesa-Preis bekam, hob schon im Jahr 2000 hervor, dass Chatami lediglich eine "neue Utopie, eine modernisierte Form der Orthodoxie" anstrebe. Es sei daran erinnert, dass das Ziel der Massenbewegung, die den Sturz des Schahregimes herbeigeführt hat, Freiheit und nicht der totalitäre Islamismus war. Deswegen scheiterte auch Chatami an den Forderungen der Studenten, die politische Freiheiten und neue demokratische Menschenrechtsnormen forderten. Die Iraner, die im Zuge der islamisierten Revolution von 1979 Demokratie und Freiheit forderten und gegen die Modernisierungsdiktatur des Schahregimes marschierten, wollen wieder Geschichte machen, jenseits der "Islamischen Republik", die ihnen eine totalitäre Diktatur bescherte.

Dennoch wird von vielen Autoren bis heute der duale Charakter des politischen Systems des Iran hervorgehoben. Beispielsweise wurden "demokratische Elemente" im chomeinistischen System gesehen, wodurch die Souveränität des Volkes partiell gegeben sei. Auch die Vorstellung, Iran sei nicht einfach ein autoritärer Staat und auch kein "typisch totalitärer Staat" ist eine verbreitete Auffassung. Ray Takeyh steht unter westlichen Iran-Kennern nicht alleine, wenn er schreibt, dass Ahmadinedschads Sieg im Jahr 2005 kein Betrug gewesen sei. Zwar hatten Karroubi und Rafsandschani schon im Jahr 2005 im Hinblick auf die erste Wahl Ahmadinedschads von Wahlmanipulation gesprochen. Damals fehlten aber die Massendemonstrationen, so dass die Weltöffentlichkeit noch nicht einmal den Protest der Reformislamisten hören konnte. Zumal Iran ein geostrategisch wichtiges Land ist und immense Naturressourcen besitzt.

Fakt bleibt, dass 30 Jahre nach der Revolution wieder Hunderttausende Iraner den Mut gefunden haben, öffentlich Demokratie, Freiheit und Menschenrechte zu fordern. Hunderte wurden in den vergangenen Monaten getötet und Tausende verhaftet, berichtet Shadi Sadr, die kürzlich mehrere Menschenrechtspreise erhielt. Die Gegenwartsgeschichte des Iran beweist, dass der Chomeinismus gescheitert ist. Unabhängig davon, ob die europäischen Staaten und die USA das Ziel eines Regimewechsels von ihrer außenpolitischen Agenda streichen, muss sich die iranischen Bevölkerung langfristig zwischen Freiheit und Demokratie oder Chomeinismus entscheiden. Und die Demonstrationen der vergangenen Monate haben gezeigt, in welche Richtung der soziopolitische Wandel des Iran gehen kann, auch wenn die staatliche Unterdrückung immer massiver wird und die Gefahr einer iranischen Atombombe die Welt bedroht.

Entwurf einer neuen Verfassung

Es kann eine Signalwirkung haben, wenn säkulare iranische Republikaner und Juristen der politisch vielfältigen iranischen "Grünen Bewegung" inzwischen eine neue Version der iranischen Verfassung formuliert haben. Gemäß der Vorschläge für eine neue Verfassung werden die Positionen des geistlichen Führers und des Wächterrates abgeschafft. Das Parlament soll kein islamisches, sondern ein iranisches Parlament sein. Es ist wichtig, wenn erkannt wird, dass ein demokratischer Iran eine neue Verfassung jenseits des Chomeinismus braucht. Aber es ist unklar, wie eine solche Verfassung gegen den Willen der herrschenden Machtmonopolisten durchgesetzt werden soll. Zumal diese gegenwärtig dabei sind, ihren Geheimdienst noch straffer als bisher zu organisieren, um jegliche demokratische Bewegung im Keime ersticken zu können. Immer mehr Menschen im Land fordern eine iranische Republik und teilen die Position, dass eine Demokratisierung des Iran auf der Grundlage der gegenwärtigen Verfassung ausgeschlossen ist.

Die Revolution von 1979 entwickelte sich zu einer neuen Form von Diktatur, die anachronistische Gesetze mit modernen Mitteln verewigen will. Mit einer rückwärtsgewandten religiösen Ideologie und kraft moderner Technik wird ein Gewaltsystem aufrechterhalten, das eine neue Form der totalitären Diktatur darstellt.

Folgende Elemente sind für einen islamisch sich legitimierenden Totalitarismus charakteristisch: Führerprinzip, totalitäre Organe, wie Wächterrat, nationaler Sicherheitsrat, Geheimdienst und Revolutionsgardisten und Basidsch, kein plurales Parteiensystem, Massenbewegung und - mobilisierung, Ideologie und Propaganda, Geheimpolizei und Terrorisierung der Bürger durch staatliche Einrichtungen, Verfolgung und Diskriminierung von Frauen, Antisemitismus im Sinne eines eliminatorischen Antizionismus und Anti-Bahaismus.

Verdrängtes Drama: Anti-Bahaismus

Die Medien in Iran dienen als Instrument staatlicher Propaganda, um die Ressentiments gegen die Bahai zu schüren. Der Mechanismus ist einfach: den Bahai werden in feindseliger Art, stereotypisch generalisierend negative Eigenschaften zugeschrieben, wobei die eigene Haltung göttlich überhöht wird. Sie werden dämonisiert und kraft einer obsessiven Wahnvorstellung für alles verantwortlich gemacht. Die Bahai werden in Iran seit ihrer Gründungszeit verfolgt. Zwar wurden sie auch unter den Pahlavis diskriminiert, seit der Islamischen Revolution von 1979 findet aber eine systematische Verfolgung statt. Nicht nur ihre Administration, sondern auch ihre kulturellen Wurzeln sollen zerstört werden.

Die Verfolgung der Bahai durch die iranische Staatsmacht hat mehrere Hintergründe. So werden sie unter anderem deshalb verfolgt, weil sie für Gleichberechtigung der Geschlechter eintreten. Zudem glauben sie an die fortschreitende Gottesoffenbarung, respektieren zwar den Islam als eine historische Religion, sind aber davon überzeugt, dass ihre Lehre den Frieden zwischen Religionen und Kulturen ermöglichen kann. In einem demokratischen Staat mögen solche Vorstellungen eine private Angelegenheit eines Einzelnen und eine Bereicherung der kulturellen und religiösen Vielfalt sein. In Iran ist aber jeder Andersdenkende eine Gefahr für die totalitäre Diktatur. Die UN veröffentlichte 1993 ein Dokument des Obersten Revolutionären Kulturrates des Iran, in dem vorgeschrieben wurde, dass die Entwicklung der Bahai-Gemeinden verhindert werden müsse. Gegenwärtig sitzen 35 Bahai in Haft. Sieben ehemalige Koordinatoren der iranischen Bahai-Gemeinde sind vom Tode bedroht.

Fazit

Payam Akhavan, kanadischer Völkerrechtsprofessor, der an der Mc. Gill Universität in Montreal lehrt, bezeichnet die Zerschlagung der friedlichen Pro-Demokratie-Demonstrationen in Iran und die Folter, die Vergewaltigungen und die Morde in iranischen Gefängnissen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Er fordert die Regierungen westlicher Demokratien dazu auf, Einreiseverbote für politisch Verantwortliche des iranischen Regimes auszusprechen. Akhavan spricht von einem "moralischen Imperativ", der zur Solidarität mit der iranischen Zivilgesellschaft verpflichte. Zwar habe der UN-Sicherheitsrat Personenkreisen, die für das iranische Atomprogramm gearbeitet haben, Reisebeschränkungen auferlegt, aber Personen, die für massive Menschenrechtsverletzungen verantwortlich seien, könnten immer noch unbeschränkt reisen. Zu Recht fordert Akhavan, dass Menschenrechte zur "fundamentalen Grundlage" für die Verbesserung der Beziehungen westlicher Demokratien mit Iran werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Wahied Wahdat-Hagh, Iranische Politiker stellen Existenz Israels in Frage vom 26.9. 2009, in: http://debatte.welt.de/kolumnen/73/iran+
    aktuell/156962/iranische+politiker+stellen+
    existenz+israels+in+frage; ders., Als Khomeini zum Heiligen Krieg gegen Israel aufrief vom 26.9. 2008, in: http://debatte. welt.de/ kolumnen/73/iran+aktuell/91531/als+
    khomeini+ zum+heiligen+krieg+gegen+israel+aufrief (16.12. 2009).

  2. Ders., Islamistischer Antisemitismus als ein Merkmal des neuen Totalitarismus, in: epd-Dokumentation, 19.2. 2008, Nr. 8/9, S. 66ff.

  3. Wright, Robin, The last great revolution, New York 2000, S. 248.

  4. Vgl. Asre Nou vom 4.11. 2009, in: http://asre- nou.net/php/view.php?objnr=6477 (16.11. 2009).

  5. Vgl. Reporters Sans Frontieres, Jahresbericht 2003, in: www.rsf.org/Iran-2003-Annual-report.html (16.11. 2009).

  6. Vgl. Farsnews vom 8.11. 2009, in: www.farsnews. net/newstext.php?nn=8.0. 171039 (16.11. 2009).

  7. Vgl. ISNA vom 31.10. 2009, in: http://isna.ir/ISNA/NewsView.aspx?ID=News-1430115 &Lang=P (16.11. 2009).

  8. Vgl. BBC-Persian vom 3.11. 2009, in: www.bbc. co.uk/persian/iran/2009/11/091102_si_
    constitution_ opposition.shtml (16.11. 2009).

  9. Vgl. Zamaaneh vom 9.11. 2009, in: http://zamaan eh.com/news/2009/11/post_11111.html (16.11. 2009).

  10. Vgl. Roozonline vom 10.11. 2009, in: www.rooz online.com/persian/news/newsitem/article/
    2009/nove mber/10//-23580fcd72.html (16.11. 2009).

  11. Vgl. IRNA vom 17.10. 2009, in: www.irna.ir/View/FullStory/ ?NewsId=735976 (16.11. 2009).

  12. Vgl. IRNA vom 10.11. 2009, in: www.irna.ir/View/FullStory/ ?NewsId=783875 (16.11. 2009).

  13. Farsnews vom 28.10. 2009, in: www.farsnews.com/newstext. php?nn=8808061417 (16.11. 2009).

  14. IRNA vom 2.11. 2009, in: www2.irna.ir/fa/news/view/menu-151/8808104628175753.htm (16.11. 2009).

  15. Mohammad Khatami, Bime Moj (Angst vor der Welle), Teheran 1997, S. 197.

  16. Vgl. Wahied Wahdat-Hagh, Islamistische Herrschaft als eine Form des Totalitarismus, Die Symbiose von Religion und Diktatur im Iran, in: vorgänge, März 2006, S. 45 - 53.

  17. Website der wissenschaftlichen Abteilung des iranischen Madschlis, www.majlis.ir/pdf/Reports/9600. pdf.

  18. Ebd.

  19. Vgl. IRNA vom 28.4. 2009, in: www.irna.ir/View/FullStory/ ?NewsId=458039 (16.11. 2009).

  20. Vgl. Farsnews vom 1.12. 2008, in: www.fars news.net/newstext. php?nn=8709110732 (16.11. 2009) und Wahied Wahdat-Hagh /Joachim Frank, Iran beschuldigt deutsche Stiftungen, in: Kölner Stadtanzeiger vom 21.1. 2009.

  21. Vgl. Iran Human Rights Documentations Center, Forced Confessions, September 2009, in: http://iran hrdc.org/httpdocs/English/pdfs/Reports/
    Speaking% 20for%20the%20Dead%20 -%20Full%20Report.pdf.

  22. Vgl. Wahied Wahdat-Hagh, "Heuchler" und Zwangsgeständnisse vom 4.9. 2009, in: http://debatte. welt.de/kolumnen/73/iran+aktuell/152857/
    heuchler+ und+ zwangsgestaendnisse+im+iran (16.11. 2009).

  23. Vgl. Amir Taheri, The Persian Night, Iran under the Khomeinist Revolution, New York 2009, S. 32f.

  24. Vgl. Nimrooz vom 19. Mai 2000, Nr. 546, S. 4.

  25. Keyhane Hawai vom 24.12. 1997.

  26. Boroumand, Ladan und Roya, Illusion and Reality of Civil Society in Iran: An Ideological Debate, in: Arian Mack (Ed.), Iran since the Revolution, Social Research, Volume 67, New York Summer 2000, S. 339.

  27. Asghar Schirazi, The Constitution of Iran, London 1997, S. 14.

  28. Vgl. Ray Takeyh, Guardians of the Revolution, Oxford 2009, S. 126.

  29. Vgl. ebd., S. 235.

  30. Vgl. Matthias Küntzel, Die Deutschen und der Iran, Berlin 2009, S. 277.

  31. Vgl. Roozonline vom 12.11. 2009, in: www.rooz online.com/persian/news/newsitem/article/
    2009/nove mber/12//- 656418fb27.html (16.11. 2009).

  32. Vgl. David Menashri, Atommacht oder Volksherrschaft in: Internationale Politik, September/Oktober 2009, S. 18.

  33. Der Entwurf für eine neue Verfassung des Iran: www.asre-nou.net/php/policy/qAnun-e-asAsi-matn-e %20kAmel-kAr-Sode-03 - 12 - 1387.pdf und: http://greenlawyers. wordpress.com/ (16.11. 2009).

  34. Vgl. Marc Champion, Revolutionary Guard Tighten Security Grip, in: Wall Street Journal vom 13.12. 2009.

  35. Vgl. Wahied Wahdat-Hagh, Die Islamische Republik Iran, Berlin 2003.

  36. Vgl ders., Die Herrschaft des politischen Islam im Iran, in: Stephan Grigat/Dinah Hartmann (Hrsg.), Der Iran, Innsbruck 2008, S. 39 - 57.

  37. Insbesondere neu konvertierte Christen werden in Iran verfolgt. Nach islamischem Gesetz ist die Todesstrafe für Konvertiten vorgeschrieben. Gegenwärtig wird dieses Gesetz willkürlich praktiziert. Die Gesetzesvorlage dafür soll als Staatsgesetz in Kürze verabschiedet werden. Siehe dazu: Wahied Wahdat-Hagh, Christenverfolgung in der Islamischen Republik Iran, in: Ursula Spuler-Stegemann (Hrsg.), Feindbild Christentum im Islam, Freiburg 2009, S. 111 - 128.

  38. Vgl. http://news.bahai.org/human-rights/iran/iran- update/ courtdate (16.11. 2009).

  39. Vgl. Payam Akhavan, Ban Iranian leaders from Canada vom 2.9. 2009, in: http://network.nationalpost. com/np/blogs/fullcomment/ archive/2009/09/02/ payam-akhavan-ban-iranian-leaders-from-canada.aspx (16.11. 2009).

Dr. rer. pol., geb. 1957; Dipl. Soziologe und Dipl. Politologe, Mitglied des Expertenkreis Antisemitismus, Senior Fellow der European Foundation for Democracy.
E-Mail: E-Mail Link: wahied@europeandemocracy.org
Internet: Externer Link: www.europeandemocracy.org