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Die Sowjetspionage. Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg | APuZ 48/1955 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 48/1955 Die Sowjetspionage. Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg

Die Sowjetspionage. Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg

David J. Dallin

David I. Dallin behandelt auf Grund umfangreichen Aktenstudiums in seinem neuen Werk die verzweigte und intensive Tätigkeit des geheimen sowjetischen Nachrichtenapparates.

Das Buch von David I. Dallin wird unter dem Titel „DIE SOWJETSPIONAGE" demnächst im „Verlag für Politik und Wirtschaft", Köln, erscheinen.

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir in dieser und den folgenden Ausgaben der Beilagen folgende drei Kapitel: Kapitel 3: „Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg"; Kapitel 6: Die „Rote Kanelle in Deutschland"; Kapitel 9: „Die Vereinigten Staaten".

Wir beginnen heute mit dem Kapitel 3: „Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg".

1. Große Erwartungen

Die Stellung Deutschlands im Operationsplan des sowjetischen ND-Systems war von der Stellung Frankreichs verschieden, ihr in mancher Hinsicht sogar entgegengesetzt.

Im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg hatte unter den Großmächten Frankreich die aktivste Spionage gegen Deutschland getrieben, während zugleich keine andere Macht so sehr der deutschen Spionage ausgesetzt war wie Frankreich. Unter den 135 Personen, die von 1907 bis zum Ausbruch des Krieges 1914 in Deutschland der Spionage überführt wurden, waren 74 Franzosen, 3 5 Russen und 15 Briten. In den vier Kriegsjahren 1914— 18 wurden bei den 310 vor deutschen Gerichten verhandelten Verratsprozessen 175 Personen der Spionage für Frankreich, 55 der Spionage für Großbritannien und 5 5 der Spionage für Rußland angeklagt

In den ersten Jahren nach 1918 änderte sich hieran wenig. Rußland war völlig ausgeschaltet und Großbritanniens Interesse an deutschen Militärangelegenheiten hatte zusehends abgenommen; Frankreich war unter den Mächten am meisten daran gelegen, Informationen über Deutschland zu erhalten. Allerdings standen jetzt nicht mehr nur die Geheimnisse des deutschen Heeres und der Flotte im Vordergrund — es gab da nicht mehr viel zu verheimlichen — sondern das militärische Potential Deutschlands im weitesten Sinne des Wortes, einschließlich geheimer Daten über Erfindungen der deutschen Industrie.

Tatsächlich lagen Deutschlands Stärke und die Möglichkeiten seines Wiederaufstiegs allein im Bereich der industriellen Produktion. Deutschlands Städte hatten nicht durch den Krieg gelitten und die deutsche Wirtschaft stieg wieder einmal schnell zur führenden Industriemacht in Europa auf. Neue Industriegiganten — unter ihnen vor allem der Chemiekonzern — traten an die Seite der riesigen Industrieunternehmen der Vorkriegszeit wie Krupp, AEG und andere. Der Französische Generalstab unternahm ebenso harte Anstrengungen wie einzelne Industrielle, Informationen über den technischen Fortschritt des Feindes von Gestern, Rivalen von Heute und möglichen Gegners von Morgen zu beschaffen.

Für Rußland war das deutsche Heer der zwanziger Jahre keine Gefahr und Marine wie Luftstreitkräfte waren praktisch nicht vorhanden. Während Frankreich von Moskau als das Nervenzentrum antisowjetischer Verschwörungen und Konspirationen und treibende Kraft eines künftigen Krieges gegen Rußland betrachtet wurde, erwartete Moskau von Deutschland — wenigstens bis zum Jahre 1925 —, daß die 1919 aufgehaltene Revolution bald von neuem aufflammen und ein sowjetisches Deutschland sich dann als Verbündeter an die Seite Rußlands stellen würde, wie man auch annahm, daß ein Krieg gegen Frankreich, in dem Deutschlands Streitkräfte mit den Sowjets gemeinsam kämpften, unvermeidlich sein werde. In ihrer ausgedehnten unterirdischen Aktivität in Deutschland verlegte sich die sowjetische Regierung dementsprechend vor allem auf Vorbereitungen für Generalstreiks, Bürgerkrieg, Straßenkampf und Waffenversorgung. Die Erkundung militärischer Geheimnisse durch Spionage trat dahinter zurück: die besonders kriegerisch gesonnene Kommunistische Internationale, die gerade gegründet worden war, durchlief zu dieser Zeit jene Phase der Geschichte, die man als ihre „deutsche Zeit“ ansprechen könnte — sie setzte alles auf die „unmittelbar bevorstehende“ Revolution in Deutschland. Ihre Strategie und Taktik waren vom Gesichtspunkt einer Vorbereitung auf die deutsche Revolution bestimmt. Die Rote Armee würde aus Rußland vorstoßen müssen, um den neuen revolutionären Streitkräften „die Hand reichen“; Deutschlands zu die Kommunistische Partei Polens hatte in diesem Fall revolutionäre Aufstände anzuzetteln, um diese Operation zu ermöglichen; ein Krieg mit Frankreich würde „unvermeidlich“ folgen und es war dann die Aufgabe der französischen Kommunisten, die militärischen Anstrengungen Frankreichs zu lähmen; in Deutschland würde sich eine Sowjetregierung bilden, die man von Rußland aus durch politische Bindung, Lieferung von Waffen, Ausbildungsmöglichkeiten, Stellung von Geheimpolizei und den Aufbau eines ND-Apparates unterstützen würde — all dies nach dem Moskauer Muster.

Deutschland war die große Hoffnung, der Brennpunkt der Gedanken. Deutsch war die vorherrschende Sprache in der Komintern und die Führer Rußlands — Lenin, Trotzky, Sinowjew und Bucharin — bedienten sich auf den Kominternkongressen der deutschen Sprache. Plakate in den Straßen Moskaus trugen die Aufschrift „Deutschlands Oktober steht vor der Tür“.

Noch vor Ablauf eines Jahres begann der Traum Wirklichkeit zu werden — so wenigstens mußte es scheinen. Als Polen im Jahre 1920 Ruß-land angriff, als die Rote Armee nach anfänglichem Rückzug, die polnischen Truppen zurückdrängte und auf Warschau marschierte, da schien die Situation reif zu sein. Eine „polnische Regierung“ unter Felix Dserschinski wurde gebildet. Der von London vorgeschlagene Friedensschluß mit Polen wurde von Lenin abgelehnt und der Krieg endete erst, als sich die sowjetische Armee nach ihrer Niederlage durch das „Wunder an der Weichsel" (14. August) zurückzuziehen begann. Trotzky war einer der wenigen Sowjetführer, die sich dagegen wehrten, die „gesell-

schaftliche Revolution“ als einen Marsch durch Polen nach Deutschland aufzufassen.

Die Sowjetführer ließen sich durch den Fehlschlag in Polen in ihrer Auffassung von der „deutschen Marschroute" der Revolution nicht entmutigen. Tatsächlich machte die Überzeugung, die große Umwälzung stehe noch immer kurz bevor, die ungünstigen Bedingungen des Friedensvertrages erträglicher, da ja der Friedensvertrag, aus der Sicht der Unvermeidlichkeit eines neuen Konfliktes, nur „vorübergehend“ war.

In den folgenden drei Jahren von 1920— 23 tat Moskau sein Bestes, einen erfolgreichen Staatsstreich in Deutschland vorzubereiten. In dieser Zeit wurden die schnell sich ausweitende INO (Ausländsabteilung) der GB und die Vierte Abteilung der Armee organisiert; in dieser Zeit baute man die Nachrichtenlinie nach Deutschland durch Post, Telegraph, Eisenbahn, Kuriere und Diplomatengepäck planmäßig aus und richtete in Berlin wieder eine sowjetische Botschaft und eine Handelsvertretung ein. In diese Zeit fiel auch die Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen Vertrages von Rapallo, der der Beginn einer Epoche enger Zusammenarbeit war und bald Früchte trug. Die Förderung einer Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet und der Versuch, deutsche Offiziere auf die antifranzösische, prosowjetische Seite hinüberzuziehen, waren Aufgaben von Trotzky’s Vierter Abteilung. Wenn die Erfüllung dieser Aufgaben auch als geheimdienstliche Aktivität angesehen werden mochte, so war sie doch nicht Spionage in der engeren Bedeutung des Begriffs.

Als Frankreich 1923 das Ruhrgebiet besetzte und die Inflation ihren Höhepunkt erreichte, hielt die ungeduldige Sowjetführung die Zeit für eine neue große Offensive gekommen, die nach dem einzigen verfügbaren Muster, dem Moskauer Beispiel, ablaufen sollte. Man beorderte Schwärme von sowjetischen Agenten, meistens Nichtrussen, die von der Komintern und von verschiedenen sowjetischen Organen gestellt wurden, nach Deutschland. An ihrer Spitze standen ein paar vom russischen Politbüro ausgewählte Leute, unter ihnen Alexis Skoblewsky, der die militärischen Vorbereitungen zu leiten hatte. Skoblewsky, dessen wirklicher Name Rose lautete, war ein litauischer Arbeiter, der bereits auf eine erfolgreiche Karriere als Führer im russischen Bürgerkrieg zurückblicken konnte. Er trat nun an die Spitze einer neuformierten deutschen „Militär-Politischen Organisation" (MP), eine Art Generalstab einer deutschen Armee. Skoblewsky's Gehilfe in Hamburg war Hans Kippenberger, der später Führer des deutschen Untergrunds wurde. Das Land wurde in sechs Militärbezirke aufgeteilt, die jeweils von einem deutschen Kommunisten geleitet wurden, dem ein russischer „Berater" zur Seite stand. Die „Berater“ wurden an einem unauffälligen Ort stationiert. Der sowjetische „General“ Stern (später in Spanien als „Kleber“, in den LISA als „Zilbert“ bekannt geworden und 193 8 in Rußland hingerichtet) war Berater für den Militärbezirk Nord-West. Alexei Stetzki, ebenfalls 1938 hingerichtet, war der russische Berater des MP-Oberleiters Süd-West, Erich Wollenberg ) *.

Dieses System der Stationierung russischer Offiziere und Berater im Ausland wurde ein bis zwei Jahre später in China während der Ära Borodin angewandt. In Deutschland halfen die russischen GB-Leute bei der Aufstellung einer der „MP“ parallelen Organisation, die aus dem M-Apparat (Militär), N-Apparat (Nachrichten), T-Apparat (Terror) und Z-Apparat (Zersetzung und Infiltration anderer Parteien und Organisationen) bestand. Die Aktionen dieser Apparate, darunter Anschläge auf führende deutsche Militärs und Liquidierung von „Verrätern“, nahmen in der Folgezeit beträchtliche Ausmaße an.

Schließlich wurden mehrere hundert Offiziere der Roten Armee nach Deutschland entsandt, die bei der Organisation der Streitkräfte helfen und sie später führen sollten: „Nachdem sie ihren Posten zugeteilt waren, begaben sie sich unter verschiedensten Tarnungen an Ort und Stelle und hatten sich dann nur bei ihren russischen Vorgesetzten zu melden, den bei der russischen Botschaft untergebrachten Vertretern der OLIS im Ausland“

Ausgewählte Gruppen der Nachrichtenabteilung der Armee trafen in Berlin, Essen und Leipzig ein. Unter diesen Agenten war der junge Walter Krivitsky, Offizier der Vierten Abteilung, der später mit den Sowjets brach. Nach einer Darstellung Krivitsky’s plante man „drei verschiedene Organisationen innerhalb der Deutschen Kommunistischen Partei: Den Nachrichtendienst der Partei, der unter Leitung der Vierten Abteilung der Roten Armee arbeitete; militärische Formationen als Kern einer künftigen deutschen Roten Armee; und den Zersetzungsdienst, kleine Einheiten von Männern, deren Aufgabe es war, die Moral der Reichswehr und der Polizei zu erschüttern“ ).

Das gesamte Unternehmen brach im Oktober zusammen. Die Streiks und Aufstände schlugen fehl, die Reichswehr stand loyal zur Regierung und die „Revolution“, die sich auf einen Aufstand in Hamburg beschränkte, wurde ohne große Mühe niedergeschlagen. Die russischen kommunistischen Berater gingen, ohne Ruhm geerntet zu haben, nach Rußland zurück. Die Geographie der Weltrevolution wurde umgestoßen: nicht mehr Deutschland, sondern China war bald die große Hoffnung der kommunistischen Welt.

Der militärische ND der Sowjets hatte aus den Fehlschlägen des Jahres 1923 gelernt: ein neuer Apparat für ND-Arbeit und Spionage im eigentlichen Sinne wurde in Deutschland aufgezogen. Dieser Apparat operierte, unter sowjetischer Oberleitung, mit der tatkräftigen Unterstützung einer Kohorte junger Untergrundführer: Kippenberger, Zaisser, Illner-Stahlmann, Sorge und einigen anderen.

Für einen Zweig der Sowjet-Regierung blieb das kostspielige Experiment von 1923 nicht völlig nutzlos. Das war der Geheime Militärische Nachrichtendienst. Als wir sahen, wie die Aktionen der Komintern zusammenbrachen, sagten wir uns: „Retten wir, was von der deutschen Revolution gerettet werden kann!“ Wir holten uns die besten Männer, die durch den Nachrichtendienst der Partei und den Zersetzungsdienst geschult waren, und ordneten sie in den Militärischen Nachrichtendienst der Sowjets ein. Aus diesen Überbleibseln der kommunistischen Revolution schufen wir in Deutschland für Sowjet-Rußland einen glänzenden Geheimdienst, den Neid jeder anderen Nation

Aufgabe des militärischen ND-Apparates der Sowjets in Deutschland war es unter anderem, Industriegeheimnisse zu erkunden, die in irgendeiner Form für die Entwicklungen auf militärischem Gebiet von Bedeutung sein konnten. Aus Deutschland konnte man hunderte von Industriegeheimnissen herausholen, die für die wiedererstehende russische Rüstungsindustrie von Wert waren. Der nichtmilitärische Sektor der deutschen Industrie war ebenso Gegenstand des Neides wie Vorbild für eine Nachahmung. Rußland war daher, wie Frankreich, vor allem und zuerst an der deutschen Industrie interessiert und sehr häufig deckten sich die Objekte russischer und französischer ND-Tätigkeit in Deutschland. Mehr als einmal war bei Verhaftungen von Spionen zunächst •) Erich Wollenberg, Der Apparat (Bonn), S. 9, 10, 15. Felix Neumann, ein deutscher Kommunist, der später der NSDAP beitrat, spielte eine bedeutende Rolle als Verbindungs-und Vertrauensmann der sowjetischen Leiter in Berlin: „Er pilegte“, so berichtet Wollenberg, „mit einer leeren Aktentasche in die sowjetische Botschait Unter den Linden zu gehen, während ich im nahegelegenen Caie Kranzier wartete; er kam zurück mit Dollars und anderen fremden Währungen.“ D-Akten, b 250. •) Der iehlgeschlagene Aufstand kostete das sowjetische Finanzkommissariat ungefähr eine Million Dollar, die hauptsächlich für den Ankauf von Waffen in Deutschland und seinen Nachbarstaaten ausgegeben wurden. Erklärung von Ypsilon, D-Akten XYZ 93. keineswegs klar, ob Frankreich oder Rußland der Auftraggeber war. Innerhalb weniger Jahre überflügelten aber die russischen Dienste die französischen. Anfang der dreißiger Jahre stellte sich die große Mehrzahl der in Deutschland aufgedeckten Fälle von Industriespionage zugunsten einer fremden Macht als Operationen heraus, die von einer sowjetischen ND-Stelle gesteuert worden waren. 1928 begann in der Sowjetunion die Ära der Fünfjahrespläne. Seitdem befand sich das Land in einem Prozeß der Industrialisierung, der einer totalen Mobilmachung gleichkam. Deutschland war das nächstliegende und nächstgelegene Gebiet für die Beobachtung industrieller Methoden, die man bei dem Versuch, die zurückgebliebene russische Technologie auf den neuesten Stand zu bringen, nachahmen konnte. Was Rußland auf legale Weise durch Kontrakte erhalten konnte — deutsche Ingenieure für russische Fabriken, deutsche Berater und ein paar deutsche Industrielizenzen — war verschwindend gering, gemessen an Stalins großen Hoffnungen und Riesenprojekten. „Unternehmen Sowjet-spionage“ war die offenbare Antwort, und da das erste Ziel der sowjetischen Industriealisierung die technische Ausstattung der Schwerindustrie und der Streitkräfte war, boten sich einige bestimmte deutsche Industriegruppen als selbstverständliche Objekte an: die chemische Industrie (vor allem IG-Farben), die Metallindustrie (Krupp, Rheinmetall, Borsig, Mannesmann und andere), die Elektroindustrie (Siemens, Telefunken, AEG) und die Luftfahrtindustrie.

Mit besonderer Sorgfalt nahm man sich der wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen an wie etwa des Kaiser-Wilhelm-Instituts und der Forschungsanstalt für Luftfahrt. Dutzende von Sympathisierenden fanden sich unter den Angestellten dieser wissenschaftlichen Gesellschaften, die neue Ideen hervorbrachten, entwickelten und erprobten. Oft wußte Moskau von einer deutschen Erfindung, bevor noch in Deutschland die Serienfertigung anlaufen konnte.

Die deutsche Industrie versuchte, die Industriespionage mit eigenen Mitteln einzudämmen. Schrittmacher auf diesem Gebiet waren die IG-Farben, die in Leverkusen zu diesem Zweck ein eigenes Büro unter Leitung einiger geschulter Detektive einrichteten. Der Reichsverband der Deutschen Industrie, der die Verluste durch Spionage auf 800 000 000 Mark jährlich schätzte tat sich bald darauf als Vertreter der übrigen betroffenen Firmen mit den IG-Farben zusammen. Diese Abwehrmaßnahmen waren allerdings nicht allzu erfolgreich — vielleicht deshalb nicht, weil es dem sowjetischen Apparat gelang, eine Sekretärin in das Sonder-büro einzuschleusen

Innerhalb weniger Jahre schwoll die schnell steigende sowjetische Industriespionage in Deutschland zur Lawine an. Nie zuvor hatte es ein derartig engmaschiges Netz der Massenspionage gegeben wie jenes, das die Sowjetunion in der Zeit von 1928 bis 1932 über die deutsche Industrie zog. Ende der Zwanziger Jahre errichtete das Polizeipräsidium in Berlin eine Sonderabteilung zur Bekämpfung der Industriespionage (und anderer nicht politischer ND-Arbeit) in ganz Deutschland. Im Jahre 1929 stellte die Abteilung dreihundertunddreißig Fälle fest, im Jahre 1930 über tausend ) *.

Die Jahre von 1926 bis 1932 waren die Jahre der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit auf politischem Gebiet; der Reichsregierung Berlin war mehr daran gelegen, Beweise sowjetischer Spionage als geringfügig hinzustellen oder sie zurückzuhalten, als kräftige Gegenmaßnahmen zu treffen. Spionageprozesse, in denen eine Steuerung durch sowjetische Vertreter ans Licht kommen konnte, wurden unter Ausschluß der Öffentlichkeit verhandelt.

Das schnelle Anwachsen der sowjetischen ND-Operationen wurde durch den Aufstieg des Nationalsozialismus zur Macht unterbunden. *) Der nationalsozialistische Publizist Adoli Ehrt berichtet auf Grund amtlicher Angaben, daß zwischen Juni 1931 und Dezember 1932 nicht weniger als 111 Fälle von Landesverrat vor deutschen Gerichten verhandelt wurden; fast 150 Personen wurden während dieser Zeit des Verrats militärischer Geheimnisse für schuldig befunden. Obgleich diese Periode nicht in die Zeit der nationalsozialistischen Flerrschaft fällt, müssen Ehrt's Angaben mit Vorsicht ausgenommen werden. Adolf Ehrt, Bewaffneter Aufstand (Berlin 1931), S. 64.

Das Deutschland der Weimarer Zeit bot beträchtliche Möglichkeiten zur Anwerbung von Nachwuchs für die sowjetische Spionage. In diesem geschlagenen Volk, das eine unsichere Regierung und eine Schwarze Reichswehr hatte, das von Fememorden und Putschen heimgesucht wurde, breitete sich der Kommunismus aus. Politische Leidenschaften flammten auf. Hunderte von jungen eifrigen Gläubigen konnten leicht für die verschiedenen Apparate sowohl der KPD wie des sowjetischen ND gewonnen werden, Bezahlung für Spionagetätigkeit und die Aussicht auf Arbeit in Rußland halfen darüber hinaus, Ingenieure und Arbeiter in das riesige Netz hineinzuziehen.

Die zahlreichen Möglichkeiten, die der diplomatische Dienst den ND-Apparaten bietet, standen in Deutschland ebenfalls zur Verfügung. Die Regierungen in Moskau und Berlin hatten 1920 halboffizielle Beziehungen ausgenommen und die sowjetische Botschaft in Berlin diente dem ND-Netz zu allen erdenklichen Zwecken. Außerdem diente auch die Handelsvertretung, die in einem weitläufigen Gebäude in der Linden-straße untergebracht war, als Deckung, ja als wichtigster Stützpunkt für Schwärme von Agenten, die mit Aufträgen der GB, der Vierten Abteilung der Armee oder der Komintern nach Deutschland kamen. Die „Abnahmekommissionen“ der Handelsvertretung, deren Mitglieder durch das ganze Reichsgebiet reisen mußten, um fertiggestellte Lieferungen abzunehmen, betrieben oft genug Industriespionage großen Stils.

Im Jargon der deutschen Kommunisten hießen die sowjetischen Apparate der GB und der Vierten Abteilung die „beiden Mädchen“ — „Grete“ für GB und „Klara“ für Krtisnnja Armija (Rote Armee). Die beiden Dienste arbeiteten getrennt; eine Verbindung bestand nur in der obersten Spitze der sowjetischen Hierarchie in Berlin. Daneben operierte, vor allem in Berlin, der umfangreiche von der Komintern unterhaltene Dienst, die OMS, die über bemerkenswerte Möglichkeiten der Paßfälschung, über ein Funknetz und zahlreiche eigene Kuriere verfügte.

Trotz unvermeidlicher Verluste erwiesen sich die drei sowjetischen Apparate, die Anfang der zwanziger Jahre entstanden waren, als erfolgreich. Die Höhe des Erfolges erreichten sie in den Jahren 1930— 32.

2. Die Handelsvertretung als Tarnstützpunkt

Die sowjetische Handelsvertretung in der Berliner Lindenstraße war, wie Arcos in London, ein mammuthaftes Außenhandelsunternehmen, dessen Umsätze sich jährlich auf Hunderte von Millionen Reichsmark beliefen. Die politische Bedeutung der Handelsvertretung, deren wirtschaftliche Aktivität für Rußland ebenso lebenswichtig war wie für bestimmte Zweige der deutschen Industrie, nahm noch weiter zu, als auch ein Teil des Waffenhandels bei ihrer speziellen „Technischen Abteilung“ konzentriert wurde. Da der Export von Waffen aus Deutschland durch den Versailler Vertrag verboten war, arbeitete diese Abteilung, die vom sowjetischen Militärattache persönlich überwacht wurde, völlig im Geheimen und wurde nie in der Presse erwähnt. Diese bestorganisierte und leistungsfähigste aller Abteilungen der Handelsvertretung unterhielt Geschäftsbeziehungen zu IG Farben, Krupp, BMW, Junkers und anderen deutschen Firmen. Die Handelsvertretung eröffnete Zweigstellen in Hamburg, Königsberg und Leipzig; drei weitere ebenfalls eröffnete Zweigstellen mußten bald wieder geschlossen werden.

Nicht nur diese legitimen und halblegitimen Operationen gehörten zum Aufgabenkreis der Handelsvertretung: sie mußte außerdem in ihrem nach hunderten zählenden Stab eine Reihe von Agenten unterbringen, deren wirkliche Aufträge nichts mit Handel und Wirtschaftsfragen zu tun hatten und deren Vorgesetzte nicht in Mikojans Volkskommissariat saßen, sondern in der GB und in der GRU. Diese Seite ihrer Tätigkeit bedeutete zwar für die Handelsvertretung ein Risiko und eine Gefährdung des glatten Laufs wirtschaftlicher Abmachungen; aber nachdem man einmal die Notwendigkeit eines allumfassenden Geheimdienst-netzes eingesehen hatte, bot sich kein besserer Weg für die Tarnung von Spezialagenten als die Unterbringung in den Handelsgesellschaften.

Erfahrene GB-Leute leiteten die „Personalabteilung“, die sich mit „Sicherheitsfragen" befaßte. Sie unterwiesen die Angestellten in besonderen geheimdienstlichen Techniken: wie man überflüssige Papiere be-seitigt, ohne sie in den Papierkorb zu werfen, und wie man vertrauliche Schriftstücke so versteckt, daß sie bei polizeilicher Durchsuchung nicht gefunden werden. Angestellte der Handelsvertretung wurden von der Personalabteilung mehrfach überprüft, so daß niemand an den Schreibtischen der Vertretung saß, der nicht loyal zum Sowjetregime stand. Das deutsche Personal der Vertretung wurde vom Zentralkomitee (ZK) der KPD überprüft. Bei der Miete des großen Bürogebäudes in der Linden-straße ging man mit weitsichtiger Klugheit vor. Der Hinterhof grenzte an ein Gebäude in der Ritterstraße, in dem die zwei Gebrüder Löwen-stein, von Beruf Juweliere und in Wirklichkeit verläßliche Agenten, die nie offene Verbindung zur Kommunistischen Partei hatten, mit finanzieller Unterstützung der GRU ein Geschäft eröffneten. Vom Hinterhof des Gebäudes der Handelsvertretung konnte man in das Geschäft der Löwensteins gelangen und von dort unbemerkt in die Ritterstraße entkommen. Alle sich hier bietenden Möglichkeiten wurden sowohl vom sowjetischen ND wie von den deutschen Kommunisten weitgehend genutzt. Fast die Hälfte der ortsansässigen Sekretäre der Berliner KPD-Organisation, unter ihnen eine Anzahl von Agenten der Untergrundgruppen — des T-, M-und Z-Apparates usw. — waren Angestellte der Handels-vertretung. Ein großer Teil des deutschen Apparates wurde somit mittelbar von der Sowjetregierung unterhalten 1924 wurde die Handelsvertretung zum erstenmal in eine politische Affäre verwickelt, die zu einer polizeilichen Durchsuchung des Gebäudes führte. Ein Reichsbahntechniker, Hans Botzenhard, wurde wegen kommunistischer Umtriebe aus seinem Arbeitsverhältnis entlassen, worauf ihm Wilhelm Pieck, der heutige Präsident der DDR, eine Anstellung bei der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin beschaffte. Nach einer mehrmonatigen Probezeit wurde Botzenhard von zwei Beamten der Sowjetbotschaft angewiesen, für den streng geheimen „M-(Militär) -Apparat“ der KPD zu arbeiten. 1924 wurde er in Stuttgart verhaftet und unter Polizeibedeckung nach Stargard geschickt. Auf dem Wege kamen Botzenhard und seine Eskorte über Berlin und bei einem Gang über die Lindenstraße konnte er die beiden begleitenden Polizeibeamten, die zum erstenmal in Berlin waren, zum Besuch eines „Restaurants überreden. Als sie das „Restaurant" (das Gebäude der Handelsvertretung) betraten, rief Botzenhard: „Genossen, ich bin Botzenhard. Ich bin hier angestellt. Diese beiden Polizisten wollen midi nach Stargard bringen.“ ’) Gleich darauf wurde er von einer Gruppe sowjetischer Angestellter umringt, von den Polizeibeamten getrennt und unbemerkt durch die Hintertür hinausgebracht. Die Polizei führte eine gründliche Durchsuchung des Gebäudes durch, konnte aber natürlich nichts wesentliches finden. Bei der Vernehmung der im Gebäude befindlichen Personen war die Polizei erstaunt, über die große Zahl der Inhaber von „Dienstausweisen“ (Besitz eines „Dienstausweises“ muß nicht unbedingt bedeuten, daß der Inhaber diplomatischen Status hat). Zwei Stunden nach Beginn der Durchsuchung ordnete Außenminister Stresemann den Abbruch der Polizeiaktion an

Die Botzenhard-Affäre wuchs sich zu einem internationalen Konflikt aus. Sowjetbotschafter Nikolai Krestinsky ging zur Offensive über und legte scharfen Protest beim Auswärtigen Amt ein: die Handelsvertretung, so erklärte er, sei Teil der Botschaft, somit auch exterritorial und falle nicht unter die Zuständigkeit der Polizei; dementsprechend erwarte er eine Entschuldigung der deutschen Reichsregierung. Inzwischen hatte er alle wirtschaftlichen Transaktionen der Handelsvertretung gestoppt, offenbar in der Annahme, die deutschen Industriellen würden auf die Reichsregierung Druck ausüben und sie dem sowjetischen Verlangen gefügig machen. Die gleiche Absicht steckte hinter Moskaus Anweisung an Krestinsky, „zur Berichterstattung“ zurückzukehren. Seine Abfahrt erhöhte die Spannungen. Am nächsten Tag riefen die deutschen Kommunisten einen Streik von 300 000 Ruhrbergleuten aus, wobei offen er-*) Nach einer anderen Darstellung täuschte Botzenhard einen Ohnmachtsanfall vor dem Gebäude der Handelsvertretung vor und wurde von den Polizeibeamten und Passanten in das Haus getragen. klärt wurde, man wolle unter anderem „gegen die Durchsuchung der Handelsvertretung“ protestieren. In Moskau fand eine riesige Demonstration von 250 000 Menschen statt, der auch Krestinsky beiwohnte.

Schließlich „bestand Moskau kategorisch“ auf dem Vorrecht der Exterritorialität für seine Handelsvertretung. Nach fast dreimonatiger Verhandlung wurde ein „Protokoll“ unterzeichnet, in dem sich die deutsche Reichsregierung wegen des Zwischenfalls entschuldigte und erklärte, der verantwortliche Polizeioffizier sei seines Postens enthoben worden. Das Protokoll sah weiter vor, daß in Zukunft die Handelsvertretung und einige ihrer leitenden Beamten exterritorialen Status genießen sollten. Diese weitreichenden Konzessionen lassen sich vor allem auf Stresemanns Absichten einer deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit zurückführen; zugleich aber herrschten in Deutschland wie überall Unkenntnis und falsche Vorstellungen über die wirklichen Hintergründe, die die Sowjets veranlaßten, auf diplomatischen Vorrechten für ihre Handels-vertretung zu bestehen. Die öffentliche Meinung neigte zu der Annahme, diese Forderung sei hauptsächlich aus Prestigegründen erwachsen und es sei unklug, eine Regierung vor den Kopf zu stoßen, die ganz offenbar durch ausländische Interventionen und Nichtanerkennung empfindlich geworden sei. In diesen Jahren wurden der Sowjetunion in fast jedem Handelsvertrag wichtige Konzessionen in dieser Hinsicht gewährt: die Abkommen mit Italien, Großbritannien und den baltischen Staaten sahen vor, daß einer Anzahl leitender Beamter der Handelsvertretungen der diplomatische Status verliehen werden sollte, während die Amts-sitze der Vertretungen, oder ein Teil davon, als Angliederungen der jeweiligen Botschaften galten ’).

Botzenhard wurde von der KPD als Spion ausgestoßen. Zwischen der Partei und dem von Rußland geführten „T-Apparat“ in Deutschland kam es zu einem Konflikt wegen der weiteren Behandlung des Falles.

Da seine Wiederverhaftung jederzeit möglich war und er dann belastende Einzelheiten über die Tätigkeit des T-Apparats preisgeben konnte, beschloß der Apparat seine Liquidierung. Alles war für den Anschlag vorbereitet, als die Polizei, die von Botzenhards Aufenthaltsort erfahren hatte, ihn wiederverhaftete. Er gestand jedoch nur unwesentliche Einzelheiten. Um größere Enthüllungen zu verhindern, setzte sich der Apparat mit ihm in Verbindung und schickte ihm Nahrungsmittel und andere Geschenke ins Gefängnis. Der Erfolg blieb nicht aus:

Botzenhard schwieg auch während der Gerichtsverhandlung. Im Juni 192 5 wurde er zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt

Die Handelsvertretung unterhielt eine eigene Chiffrierabteilung für ihre Nachrichtenverbindungen mit Moskau. Die Existenz dieser Abteilung brauchte nicht verschwiegen zu werden, da wegen der Vielzahl der , -, Handelsgeheimnisse“ eine Geheimhaltung offiziell eiforderlich war.

In einer anderen Abteilung der Handelsvertretung wurde eine photographische Hochleistungskopieranlage installiert. (Ähnliche Ausrüstungen wurden in den Provinzzweigstellen in Leipzig, Hamburg und Königsberg benützt.) Zweck und Leistungsfähigkeit dieser Einrichtung werden durch folgenden Zwischenfall beleuchtet: 1932 stellte das Berliner Polizeipräsidium einen 500seitigen Bericht über das Untergrundnetz der KPD zusammen, von dem ein Exemplar an die Staatsanwaltschaft geschickt wurde. Beim Transport vom Alexanderplatz zum Gerichtsgebäude in Moabit machte der Bericht einen Umweg über die Handelsvertretung, wo er photographiert wurde. Trotzdem traf der Bericht mit nur zwei Stunden Verspätung in Moabit ein. Aus dem Bericht der Polizei erfuh--Ein anderer bekannter Fall war die Razzia der Londoner Polizei auf das Arcos-Gebäude im Mai 1927, die durch den Diebstahl eines Geheim-dokumentes ausgelösl wurde.. Diese Razzia führte zum Abbruch der Beziehungen zwischen London und Moskau, die erst nach zwei Jahren Wieder ausgenommen wurden. Das gesuchte Dokument wurde jedoch nie gefunden, da Hunderte von Dokumenten ungestört verbrannt werden konnten, bevor die Polizei die schweren Türen zum inneren Sanktum der Arcos aufzubrechen vermochte. Trotz dieses Fehlschlages „beweist das in Handen der Behörden befindliche Material"

— diese Erklärung wurde von Premiermmist r Stanley Baldwin am 24. Mai 1927 abgegeben — „daß sowohl militärische Spionage wie auch Untergrundtätigkeit im gesamten Britischen Empire und in Nord-und Südamerika von sowjetischen Amtssitzen aus gesteuert und duichgeführt worden sind." The Times (London), 25. Mai 1927. ren die Chefs der Paßfälscherzentrale, wie wenig die Polizei wirklich von den geheimen Operationen und dem Personal der Partei wußte

Verschiedene Mitglieder der Organisationen „Grete“ und „Klara“ reisten mit Ausweispapieren durch Deutschland, die von der Handels-vertretung ausgestellt worden waren. In den zahlreichen Spionagefällen, die während dieser Zeit vor deutschen Gerichten verhandelt wurden, deutete das Beweismaterial immer wieder auf die Handelsvertretung. Die Angeklagten in diesen Prozessen, von denen einige zu den führenden Köpfen der Sowjetspionage und des kommunistischen Untergrunds gehörten (Dienstbach, Glebow, Maschkewitsch, Smirnow, Lebedow, Arbusow und eine große Zahl anderer), hatten zu irgendeinem Zeitpunkt offiziell der Handelsvertretung angehört, obgleich sie kaum jemals das Dienstgebäude betraten, nachdem ihnen ihre „Marschpapiere“ ausgehändigt worden waren. Verschiedentlich trafen Geheimagenten in Deutschland ein, die als Angestellte der Handelsvertretung mit entsprechenden Papieren ausgestattet wurden. Der Geheimagent lebte dann einige Wochen in einer der großen Pensionen, in denen Sowjetbeamte untergebracht wurden: war schließlich alles in Ordnung, dann „tauchte er unter“ und ein anderer, ein wirklich wichtiger Mann, traf ein, der seinen Namen, seine Adresse und seine Papiere übernahm. Auf diese Weise konnte die Polizei niemals die Existenz eines Double vermuten. Dieser besondere Trick war unter der Bezeichnung „Operation Umsteigen“ bekannt.

Die deutsche Polizei versuchte hartnäckig, unter den Angestellten der Handelsvertretung Informanten anzuwerben und ihre eigenen Leute einzubauen. Ihre Bemühungen blieben ohne Erfolg, da die von den sowjetischen Untergrundfachleuten getroffenen Vorsichtsmaßnahmen jeden Versuch fast mit Sicherheit scheitern lassen mußten. „Die Polizei hatte keine Agenten in der Botschaft oder in der Handelsvertretung,“ berichtet Hans Peters, der früher der Abteilung IA (Politische Abteilung) des Berliner Polizeipräsidiums angehörte. Die sowjetische Polizei „überwachte genau die Lebensweise eines jeden Beamten und pflegte ihre Angestellten auszuwechseln. Wir andererseits benötigten für die Anwerbung eines Agenten geraume Zeit und bevor wir ihn fest hatten, wurde er bereits versetzt.“

Seit den Jahren 1926/27 waren die besten Köpfe und erhebliche Geldmittel für die Industriespionage eingesetzt worden, die als die wichtigste Aufgabe des militärischen ND-Apparates in Deutschland galt.

Die beiden Brüder Maschkewitsch aus Baku leiteten die Industriespionage in Deutschland von 1928— 1934. Sie lieferten den Abwehrorganen einen erfolgreichen Kampf, wurden nie entdeckt und verließen im Jahre 1934 nach fünfjähriger Tätigkeit Deutschland völlig ungestört. Mit den Brüdern Maschkewitsch arbeiteten Lebedow, Smirnow und ein Illegaler namens „Oskar“. Mit Ausnahme dieses Oskar benutzten alle diese „Asse“ des sowjetischen ND die Handelsvertretung als Tarnung. Im Jahre 1929 wurde Boris Basarow, ein kommender Star des ND, vom Balkan nach Berlin versetzt; seinem Gehilfen, Michail Samoilow, wurde als alleinige Aufgabe die Organisation der Industriespionage zugewiesen. Als Samoilow 1931 während der sensationellen Spionageaffäre bei IG-Farben plötzlich zurückgerufen wurde, blieben Basarow und seine Frau für mehrere Jahre als die wichtigsten Agenten in der Beschaffung der Vierten Abteilung in Berlin. Sie gingen später in ähnlicher Eigenschaft in die Vereinigten Staaten.

Unter den GB-Chefs in Berlin befand sich der Inspekteur des sowjetischen Personals, Gottwald, der für die Überprüfung der Loyalität und des Verhaltens aller Beamten sowie für Einstellungen und Entlassungen verantwortlich war. Wichtiger jedoch war Rawitsch, der ebenfalls dem Personal der Handelsvertretung angehörte, in Wirklichkeit aber viele Jahre hindurch der eigentliche Leiter der GB in Deutschland war. Rawitsch, ein ruhiger, vernünftiger, liebenswürdiger Mann, war eine interessante Persönlichkeit. Er hatte am Bürgerkrieg in Rußland teilgenommen, langsam die Stufen der GB-Hierarchie erklommen und war nun einer der hochgeachteten (später liquidierten) „alten Bolschewisten“. Er war ungefähr 40 Jahre alt, als die Weimarer Zeit zu Ende ging. Dieser Mann war der fast perfekte Untergrundführer — immer zurückhaltend und ausgeglichen trotz seiner hohen Stellung, mit gesundem Urteil, verschwiegen und undurchdringlich. Zu seinen Aufgaben gehörte die Schaffung von Deckorganisationen. Mit Hilfe des Rawitsch eröffnete der „Grete“ -Agent Karthals ein Schreibmaschinengeschäft, das nicht nur als Meldekopf für seine Kuriere diente, sondern auch als Übermittlungsstelle geheimer Dokumente, die in den Hartgummiwalzen der Schreib-maschinen versteckt waren. Dieser Trick wurde nie von der Polizei entdeckt

Unter dieser Führerschicht aus Sowjetbeamten arbeitete eine kleine Gruppe zuverlässiger deutscher Organisatoren, die alle alterfahrene und vertrauenswürdige Kommunisten waren.

Fritz Burde (Dr. Schwartz) überwachte dieses Netz von 1929 an, bis er 1932 nach China versetzt wurde. Er war ein ehemaliger Arbeiter aus Hamburg, ein „schlanker, glatter, lächelnder junger Mann um die Dreißig, blond, mit einem offenen Gesicht und ehrlichen Augen“ Burde war einer jener fähigen LIntergrund-,, Aktivisten“, denen die Ehre eines Aufstieges in die Reihen des sowjetischen ND zuteil wurde. Seine Wanderungen und Irrfahrten endeten im „Vaterland aller Proletarier“, wo er während der Säuberungen hingerichtet wurde. Ein Mitglied des Netzes dieses Burde war der junge kommunistische Enthusiast Arthur Koestler, Mitarbeiter der liberal-demokratisschen „Vossischen Zeitung“ und geheimes Mitglied der KPD. Koestlers Brauchbarkeit für den sowjetischen ND ergab sich aus seiner Stellung als außenpolitischer Redakteur dieses einflußreichen Blattes. Ihm waren praktisch alle Informationen vertraulicher Natur zugänglich, die im Redaktionsbüro der Zeitung zusammenliefen und über ihn regelmäßig an Burde weitergingen. Allerdings wurde Koestler bereits nach wenigen Monaten dieser Tätigkeit bei seinen Vorgesetzten an der „Vossischen Zeitung“ als Kommunist denunziert und entlassen. Er zog sich von der ND-Tätigkeit zurück, blieb jedoch geheimes Parteimitglied und ging nach Rußland um ein Buch mit dem Titel „Rote Tage und weiße Nächte“ zu schreiben

Burdes Nachfolger war Wilhelm Bahnick, der aus der Moskauer Mili-tärisch-Politischen Schule hervorgegangen war, bis 193 3 auf seinem Posten blieb und dann nach Spanien beordert wurde, wo er im Bürgerkrieg fiel. Johann Liebers diente als Bahnicks erster Stellvertreter in Deutschland, bis er 1935 nach China versetzt wurde. Wilhelm Thebart, der ebenfalls aus der Militärisch-Politischen Schule hervorgegangen war, leitete die Industriespionage in Mitteldeutschland (Sachsen und Thüringen). Der Ingenieur Erwin Kramer, heute Verkehrsminister der „DDR“, gehörte dem Apparat als Fachmann für Panzer-und Bahnwesen an. Neben diesen nennenswerten Mitgliedern gehörten dem Apparat noch zahlreiche andere Agenten an.

Eine Anzahl von Fachleuten und wissenschaftlichen Forschern lieferten als Quellen unter der Führung dieser deutschen Gehilfen, die den sowjetischen Chefs zur Seite standen, Informationen über ihre besonderen Arbeitsgebiete: Chemie, Metallurgie und Bahnwesen. Eine kleinere Zahl von Facharbeitern wurde ebenfalls in die Spionagetätigkeit hineingezogen.

Man bediente sich weiterhin der kommunistischen Studentenorganisationen (Kostufra), deren Mitglieder in wenigen Jahren leitende Stellen in der deutschen Industrie besetzen und eine neue Generation heran-bilden würden. Dann gab es den Klub der Geistesarbeiter (ein linksgerichteter Verband von Intellektuellen) und eine Anzahl ähnlicher Gruppen, die den „Berufs“ -Gruppen der kommunistischen Untergrundbewegung in den Vereinigten Staaten entsprachen. Klaus Fuchs, der später in Großbritannien als Atomspion überführt wurde, gehörte 1932 und 193 3 einer dieser „Berufs" -Gruppen in Deutschland an. Hans Reiners, ein führendes Mitglied des Apparats, schätzt, daß fünf Prozent des Lehrkörpers der Technischen Hochschule in Berlin, der größten und bestausgestatteten technischen Schule in Deutschland, . vom sowjetischen Geheimdienst benutzt wurden, die meisten ohne ihr eigenes Wissen.

„Der Apparat,“ berichtet Reiners, „war weitverzweigt und allgegen-wärtig. Er hatte Helfer in allen Berufen, sogar unter Putzfrauen und Laufburschen. Einige wurden bezahlt, andere nicht . . . Das monatliche Budget belief sich auf 30 000 bis 40 000 Mark. , Grete'stellte zusätzlich 5000 Mark pro Monat ) *. “

Darüber hinaus arbeitete das sowjetische ND-Netz durch eine Reihe von Personen, denen kommunistische Überzeugung oder wissentliche Mitarbeit nie vorgeworfen werden konnte. Deutsche Wissenschaftler führten in lauterster Absicht Briefwechsel mit ihren Kollegen an sowje-tischen Universitäten, andere waren „Korrespondierende Mitglieder" einer wissenschaftlichen Gesellschaft in der Sowjetunion. Die VOKS (Gesellschaft für kulturelle Verbindung mit dem Ausland), die als Bindeglied zwischen der wissenschaftlichen Welt der Sowjetunion und ihren Freunden im Ausland fungierte, wurde scharf von der GB überwacht. Die Namen aller deutschen Korrespondenten wurden notiert und ihre politische Haltung überprüft. Einige dieser „Korrespondenten“ wurden auf diese oder jene Weise angegangen.

Schließlich wurden einige recht zweifelhafte Charaktere durch finanzielle Verlockungen in das Netz gezogen. Abenteurer, vom Pech verfolgte Spieler, Personen, die die Gefahr nicht richtig einschätzten, verschuldete Individuen, in Liebesaffären verwickelte Personen waren Agenten oder potentielle Agenten. Einige wurden gefaßt und vor Gericht gestellt. Andere versuchten, in ein ruhig-bürgerliches Leben zurückzukehren. Die Namen dieser letzten Gruppe vergaß Moskau jedoch nicht: in manchen Fällen wurden diese Personen nach einiger Zeit stiller Zurückgezogenheit von Agenten Moskaus an ihre Vergangenheit erinnert und vor eine unselige Alternative gestellt.

Ein ständiger Strom von „Industriespionen“ kam aus dem Kontingent der „Rußlandfahrer“ — Ingenieure und Arbeiter, die eine Anstellung in der sowjetischen Industrie zu finden versuchten. Die zu Beginn der „Industrialisierungs" -Ära gebotenen hohen Löhne für Ingenieure und Arbeiter waren sehr verlockend; später, während des wirtschaftlichen Niedergangs, wollten Tausende von arbeitslosen Deutschen nach Ruß-land gehen. Ihre schriftlichen Bewerbungen wurden vom GB-Büro des Rawitsch gesichtet, aber nur eine kleine Zahl kam in engere Aus-

wahl Einer der Agenten des Rawitsch, der sich als Vertreter einer privaten Stellenvermittlung ausgab, ließ Anzeigen in die Zeitungen rücken, in denen Personen, die eine Beschäftigung in der Sowjetunion suchten, aufgefordert wurden, sich mit ihm unter einer bestimmten Chiffre in Verbindung zu setzen. Briefe, die auf diese Anzeigen einliefen, wurden an Erich Steffen weitergcleitet, einen deutschen Agenten des militärischen ND der Sowjets, der sie dann Rawitsch übergab. Aus der Masse der Antworten suchte Rawitsch jene Bewerber heraus, die in Werken beschäftigt waren, an denen Rußland besonderes Interesse hatte.

Die Bewerbungen wurden gesichtet und die politische Haltung der Bewerber überprüft, denen dann, falls die Ergebnisse zufriedenstellend waren, von der „Stellenvermittlung“ mitgeteilt wurde: „Wenn Sie uns mit einem Mann Ihres Werkes in Verbindung bringen können, der nach Ihrer Abreise zur Zusammenarbeit mit uns bereit ist, wird Ihnen eine Anstellung in Rußland vermittelt.“ Der mit dieser Methode erzielte Erfolg war bemerkenswert.

Schließlich wurde in Deutschland eine Arbeiterkorrespondenten-Gruppe ins Leben gerufen, die jenen Gruppen entsprach, die auch anderswo während dieser Zeit unter der Leitung der Komintern und mit der finanziellen Hilfe des militärischen ND der Sowjets entstanden. An ihrer Spitze stand zu Beginn der ungarische Kommunist Bela Vago, Angestellter der Handelsvertretung und ND-Agent. Die Arbeiter-Korrespondenten (BB — Betriebsberichterstatter) begannen ihre Arbeit ungefähr 1925 und ihre Bewegung nahm bald größere Ausmaße an als in irgendeinem anderen Staat außerhalb Rußlands.

Die „Rote Fahne“ in Berlin und die kommunistische Provinzpresse ermunterten und stachelten die „Mitarbeiter“ aus den Industriewerken an, die dann in ihrem kommunistischen Eifer Einzelheiten des Betriebes, technische Entwicklungen und neue Arbeitsmethoden enthüllten. Die Berichte der BB wurden von Fachleuten ausgewertet und geprüft; falls ein Bericht bedeutsam genug erschien, wurde er an den ND weitergeleitet. Sowjetische Quellen deuten an, daß die deutsche BB-Bewegung zwischen 1926 und 1932 große Fortschritte machte. „Von allen kapitalistischen Ländern, in denen sich die BB-Bewegung entwickelte,“ schrieb Maria Uljanowa, „war Deutschland eines der ersten.“ Im Juni 1928 verzeichnete die „Rote Fahne“ 127 BB, einen Monat später 227. Gegen Ende des Jahres 1928 gab es in Deutschland mehrere tausend Arbeiterkorrespondenten

Neben der Handelsvertretung entstanden auf Sondergebieten getrennte „Handelsgesellschaften", die oft als „gemischte“ deutsch-sowjetische Firmen bezeichnet wurden — Derop für Öl, Deruluft für Luftfahrt, Kniga für Bücher usw. Jede dieser Firmen diente zugleich als Tarnorganisation für eine der „beiden Mädchen“, selten jedoch für beide zusammen. Die Aufteilung war logisch: der ND der Roten Armee benutzte die Derutra (deutsch-russische Transportgesellschaft), Derop (Öl), Garantie-und Kreditbank für den Osten A. G. („Garkrebo"), die Abnahmekommissionen der Handelsvertretung und TASS (die Presseagentur), während sich die GB in die Kniga (die Buchfirma), Vostvag (Ost-West-Handelsgesellschaft), Intourist (Auslandsreisen), Filmgesellschaften und TASS einnistete. Die TASS-Agentur war die einzige Stelle, die von „Grete“ und „Klara“ gleichzeitig benutzt wurde.

3. Deutsche Tüchtigkeit

Das Verhältnis zwischen dem sowjetischen ND und der KPD entsprach in Form und Prinzip dem in Frankreich herrschenden Verhältnis. In der Praxis bildete sich jedoch in Deutschland eine bezeichnende Abweichung vom französischen Muster heraus.

Nach dem herrschenden Prinzip war die KPD verpflichtet, ein führendes und zuverlässiges Mitglied als Hauptverbindungsmann zum Sowjet-apparat zu bestimmen — einen Mann, der fähig war, wichtige Tätigkeiten des Untergrunds zu kontrollieren, darunter paramilitärische und terroristische Aktionen, Lagerung von Waffen, Spionage und Gegenspionage. Dieser Mann mußte ferner in der Lage sein, die zahlreichen Geheimnisse für sich zu behalten, die bei Bekanntwerden die sowjetische Regierung ernsthaft kompromittieren konnten. Die einzigartige Bedeutung dieser Stellung verlangte natürlich gemeinsame Beratungen zwischen Moskaus deutsche Schüler zeigten sich für diese Aufgaben besser geeignet als manche Genossen aus anderen „Bruderparteien . Ihre sprichwörtliche Genauigkeit, ihre Disziplin und ihr unvergleichliches techni-nisches Geschick halfen den deutschen Mitgliedern des Apparates, sich

’) D-Akten, b Neben der Technischen Hochschule als Objekt der technischen und militärischen Spionage erwähnt Reiners folgende wissenschaftliche Institute: Kaiser-Wilhelm-Institut, Staatliches Materialprüfungsamt, Waffenprüfungsamt, Hertz-Institut für Schwingungsforschung und Forschungsamt für Luftfahrt. sehen Moskau (angeblich der Komintern) und der örtlichen Kommunistischen Partei bei der Auswahl einer geeigneten Persönlichkeit für jedes Land. Wenn dieser Hauptverbindungsmann einmal bestimmt war, hatte seine Partei ihn bis zum letzten zu decken und zu verteidigen. Eine Wahl ins Parlament verschaffte ihm Immunität; wenn nötig, wurde ihm bei seinen Reisen eine Leibwache gestellt; sollte er in die Hände der Polizei fallen, mußten die besten Rechtsanwälte zu seiner Verteidigung aufgeboten werden. Andererseits war sich der Hauptverbindungsmann klar darüber, daß er, sollte man eine „Abweichung“ bei ihm feststellen, beseitigt werden würde, bevor er den Mund auftun konnte. In Frankreich war Jacques Duclos seit Anfang der dreißiger Jahre der Haupt-verbindungsmann zwischen der Kommunistischen Partei und dem Sowjetapparat; in Amerika hielt Earl Browder die gleiche Stelle bis 1945; in Deutschland hieß der Hauptverbindungsmann bis 193 3 Hans Kippenberger.

die Regeln und Methoden der konspiratsia schnell anzueignen; nicht nur das, sie verbesserten sie sogar und übertrafen in mancher Hinsicht ihre Lehrer. Es ist kein Zufall, daß sich zum Beispiel die besten Paßfälscherwerkstätten, die die GB, den ND der Roten Armee und die Komintern in Westeuropa belieferten, in Berlin befanden; daß das Falschgeld, das bei ein oder zwei Anlässen hergestellt wurde, um einem Notstand abzuhelfen, aus Deutschland kam; und daß das Hauptquartier der KPD, das Karl-Liebknecht-Haus in Berlin, mit seinen Geheim-räumen, Kellern und Signalanlagen zum Vorbild für andere Haupt-städte wurde.

Aus dem illegalen kommunistischen Apparat in Deutschland gingen sehr früh Agenten hervor, die fähig waren, ND-Operationen auszuführen Einige von ihnen machten schnell Karriere, wurden vom sowjetischen Dienst übernommen und in andere Länder abgestellt, wo sie ihre deutsche Staatsangehörigkeit weidlich zu Gunsten der sowjetischen Sache ausnutzten. Wer von ihnen Stalin treu blieb, brachte es zu führenden Stellungen in der Vierten Abteilung, und wer von ihnen den zweiten Weltkrieg überlebte, gehört heute zur Führerschicht der DDR.

Hans Kippenberger war ein Jahrzehnt hindurch, bis zum Jahre 1933, einer dieser Führer. Von 1929 bis 1933 leitete er den „Sonderdienst“ (den M-Apparat) in Deutschland. Er war aus der kommunistischen Studentenorganisation hervorgegangen, zu deren führenden Köpfen er gehört hatte, und bewahrte sich bis zum Schluß das traditionelle äußere Erscheinungsbild eines idealistischen Studenten. Dieser schlanke junge Mann mit den glühenden dunklen Augen und der schmalen Stirn war die Verkörperung des Fanatikers, als er der Untergrundorganisation der KPD in Hamburg beitrat In der leitenden Stellung, die er bald erreichte, wurde er zum Mittelpunkt von Untergrundaktionen, die natürlich nachrichtendienstliche Tätigkeit sowohl für die deutsche Partei wie für Moskau einschlossen. In den Jahren 1925— 1927 stand er auf der polizeilichen Fahndungsliste und lebte geraume Zeit als Illegaler. Seine Partei stellte ihn dann als Reichstagskandidaten auf, er wurde gewählt und tauchte nun, unter dem Schutz der Immunität, wieder auf. Die Militärkommission des Reichstags, der Kippenberger angehörte, war eine ausgezeichnete Beobachtungsbasis und bot ihm Möglichkeiten des unmittelbaren Kontaktes mit den Generalen und Admiralen der deutschen Streitkräfte, die gerade damals wiederaufgebaut wurden. Diese Verbindungen sollten sich später für Kippenberger verhängnisvoll erweisen: er floh während des nationalsozialistischen Regimes nach Moskau, wurde dort als deutscher Spion gebrandmarkt und bei der Großen Säuberung hingerichtet.

Was so oft für führende „Praktiker“ der kommunistischen Parteien gilt, traf auch auf Kippenberger zu: er tat sich weder als politischer noch als ideologischer Führer hervor. Selbst als Organisator war er seinem Gehilfen Leo Flieg unterlegen, der als Verbindungsmann zwischen dem deutschen Untergrund und der OMS fungierte. Flieg wurde ebenfalls während der'Herrschaft der Nationalsozialisten nach Moskau beordert und dort hingerichtet.

In dieser deutsch-russischen Mischlingsgeneration von Untergrund-funktionären gab es eine Reihe vielversprechender junger Männer, von denen die meisten eine der Spezialschulen in Moskau absolviert hatten. Einige von ihnen wurden besonders berühmt oder berüchtigt.

Einer der wichtigsten aus dieser Gruppe war Richard Sorge, dessen Erfolge als sowjetischer Spion in Japan erst spät nach seinem Tod bekannt wurden. Sorge war ein anziehender, großer, gutgewachsener Mann, der überall beliebt war; selbst ein leichtes Hinken konnte ihn nur noch interessanter machen. „Ika hatte etwas von einem deutschen Husarenoffizier an sich,“ heißt es in der Erinnerung eines seiner Freunde („Ika“ war Sorges Spitzname unter seinen engeren Freunden; seine Frau Christine wurde „Ikaret“ genannt). „Er trank ziemlich viel, vertrug aber Alkohol gut. Freundschaften schloß er leicht und jeder freute sich, ihn zu sehen.“ Am Sozialforschungsinstitut in Frankfurt erwies sich Sorge nicht als großer Wissenschaftler und weder seine Studien über den Antisemitismus noch sein kleines Buch „Akkumulation des Kapitals“ waren bemerkenswert Sorge war ein weiteres Beispiel für den hervorragenden „Untergrundpraktiker" und erfolgreichen Spion ohne politische oder philosophische Talente.

Sorge trat dem sowjetischen ND in Deutschland Ende der zwanziger Jahre bei, ging als Korrespondent der „Frankfurter Zeitung“ nach Moskau, von dort nach China und landete schließlich in Japan, wo er von 1935 bis 1941 den fast legendären sowjetischen Spionagering leitete. Er galt als Konservativer und Nationalsozialist, dem Zugang zu allen Geheimnissen der deutschen Botschaft gewährt wurde. Er warb verschiedene japanische Kommunisten, die in der Regierung in Tokio saßen oder Verbindungen zu ihr hatten, als Quellen an. Seine Berichte nach Moskau waren in den entscheidenden Jahren von 1937 bis 1941 von historischer Bedeutung.

Ein anderer Name aus dieser bemerkenswerten Gruppe deutsch-russischer Nachrichtenagenten ist Wilhelm Zaisser, bis Ende Juli 195 3 Minister für Staatssicherheit in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, heute seines Postens enthoben. Seine Arbeit als sowjetischer ND-Agent, die mehrere Jahrzehnte währte, führte ihn nach China, Klein-asien und Spanien. Nach dem Kriege kehrte Zaisser als naturalisierter sowjetischer Staatsbürger in seine Heimat zurück, wo er Mitglied der kommunistischen Regierung wurde.

Zaisser ist hochgewachsen, hat ein'interessantes Gesicht, ist intelligent, mutig und spricht mehrere Sprachen fließend. Er hatte alle Qualifikationen für eine große Karriere in der kommunistischen Welt. In seiner Jugend war er Lehrer im Ruhrgebiet, nahm am ersten Weltkrieg in der kaiserlichen Armee teil, in der er es bis zum Reserveleutnant brachte. Beim Ausbruch der Novemberrevolution stand er mit seiner Truppe in Rußland. Die Massenbewegung fesselte ihn derartig, daß er sich dem Bolschewismus anschloß, dem er seit jenen Tagen treu ergeben ist. Er war Mitglied des Spartakusbundes in Deutschland, spielte eine führende Rolle in den Ruhrkämpfen des Jahres 1923, absolvierte später einen Schulungskursus in Moskau und wurde eine Autorität auf dem Gebiet der Methoden und Techniken des Bürgerkrieges.

Ungefähr um das Jahr 1925 trat Zaisser dem militärischen ND der Sowjets bei, der ihn als Agent nach China beorderte. In Schanghai gründete er eine Auslandsorganisation des Stahlhelm (dessen Ehrenpräsident in Deutschland Generalfeldmarschall von Hindenburg war), genoß die Achtung und das Vertrauen von Diplomaten und Offizieren und schaffte sich dadurch eine Stellung, die es ihm ermöglichte, Moskau mit wertvollen Informationen zu versorgen. Als General Hans vonSeeckt, ehemals Chef der Heeresleitung, Schanghai besuchte, wohnte er bei Wilhelm Zaisser Von Schanghai ging Zaisser in die Mandschurei, von dort nach Kleinasien. In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre tauchte er als General Gomez im Spanischen Bürgerkrieg auf. Von Spanien kehrte er nach Rußland zurück *).

Selbst auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn in Deutschland, der in das Jahr 1950 fiel, „umgab ihn eine Atmosphäre der Distanz“, wie es in einem Bericht aus der sowjetischen Besatzungszone heißt. „Lim ihn ist stets eine Atmosphäre der Distanz. Er pflegt nicht den vertraulichen Ton der SED-Genossen, die ihn teilweise als hochmütig ablehnen. Wo Zaisser mit seinem gut geschnittenen charakteristischen Kopf an der Seite seiner auffallenden Frau eintritt, weht eine internationale Luft. Frau Zaisser ist die schönste und eleganteste Frau der ganzen Ostzone. Unter dem dunklen Madonnenscheitel ein schmales, ovales Gesicht, aus dem mandelförmige Augen selbstsicher und gelassen in die Welt blicken. Ihre Kleider, meist schwarz mit wenig weißer Garnitur, zeigen dezenten, modischen Geschmack . . • Das Ehepaar Zaisser zeigt im Verkehr mit sowjetischen Offizieren die gleiche Selbstsicherheit wie im Umgang mit deutschen Genossen und Politikern. Mit sowjetischen Generalen spricht Zaisser kollegial, rangniedrigere Mitglieder der Besatzungsmacht bekommen eine leicht herablassende Haltung zu spüren“ *) Ein Bericht über Zaissers Aufstieg und Sturz während des Krieges und in der Nachkriegszeit findet sich in Kapitel 8 des Buches. AIs Zaisser seines Amtes in der Sowjetischen Besatzungszone 1953 enthoben wurde, beschuldigte ihn die kommunistische Presse „sozialdemokratischer Neigungen“, bei einem Mann mit Zäissers Vergangenheit absurde Beschuldigungen. Seine einzigen „Abweichungen“ waren seine Selbstständigkeit und seine Selbstachtung — Charakterzüge, die manchmal zum Titoismus führen können. In der Tat wäre Zaisser geeignet, die Rolle eines deutschen Tito zu spielen, falls die Verhältnisse in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands einmal eine solche Entwicklung zulassen sollten.

Eine weitere bemerkenswerte Figur aus dieser hervorstechenden Gruppe ist Arthur Illner-(Stahlmann), der den weniger anziehenden Typ des ND-Agenten verkörpert. Dieser brutale, rücksichtslose, egoistische Mann war von Beruf Schreiner, arbeitete sich dann im „Waffenapparat“ der kommunistischen Untergrundorganisation nach oben, wurde zur Ausbildung nach Moskau geschickt und nach Absolvierung der Moskauer Schule vom sowjetischen ND als Agent nach China beordert. In der Internationalen Brigade in Spanien gingen Gerüchte um, daß Illner mit dem Menschenraub und der Liquidation von Nicht-Kommunisten und „Abweichlern“ zu tun habe. Von Spanien kehrte Illner nach Moskau zurück, das ihn im Sommer 1940 nach Schweden schickte. Von dort leitete Illner das kleine ND-Netz in Deutschland während der ersten Zeit des Krieges. t Nadi Beendigung des Krieges war Stahlmann in der Transport-abteilung des Zentralkomitees der SED mit der Organisation des konspirativ ausgeführten Verkehrs zwischen der sowjetzonalen Partei und dem Vorstand der westdeutschen KPD befaßt. Im Jahre 1951 trat er zu dem „Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung“, einem sowjetzonalen Nachrichtendienst, über.

Der heutige Staatssekretär für Staatssicherheit in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, Ernst Friedrich Wollweber, war ebenfalls ein Agent jenes sowjetischen Apparates in Deutschland. Wollweber, Sohn eines armen Bergmannes, war in seiner Jugend Hafenarbeiter. Als er 1917 zur Kaiserlichen Marine eingezogen wurde, war der neunzehnjährige Matrose bereits Mitglied der Sozialistischen Jugendorganisation, die jedoch für seinen Geschmack viel zu gemäßigt war. Er wechselte bald zum Spartakusbund über, der Keimzelle der Kommunistischen Partei Deutschlands. Seine revolutionäre Tätigkeit begann im November • 1918, als der Kreuzer „Helgoland“, auf dem er stationiert war, im Nord-Ostsee-Kanal lag. Der von der Geschichte der Meutereien in der russischen Flotte beeindruckte junge Matrose hißte die rote Flagge über dem Kreuzer und führte die Revolution in Kiel, Bremen und Wilhelmshaven an.

Anfang der zwanziger Jahre wurde Wollweber zur Ausbildung an die neue Militärisch-Politische Schule in Rußland geschickt, von der er als geschulter kommunistischer Untergrundsührer zurückkehrte. 1928 wurde er in den Preußischen Landtag, 1932 in den Reichstag gewählt. Sein wirklicher Aufstieg begann jedoch erst unter der Herrschaft der Nationalsozialisten, als er sich den Ruf „der beste Saboteur, den die Welt je gesehen hat“ verschaffte. Diese Bezeichnung legte ihm die Presse bei.

Eine Reihe anderer junger Agenten aus jener Anfangszeit des deutschen Kommunismus, die Mitglieder des damals sich bildenden sowjetischen Apparates waren, sind inzwischen auf führende Posten in der DDR gelangt — unter ihnen Erich Mielke, der 1931 zwei deutsche Polizei-offiziere erschoß.

Der deutsche Beitrag zur sowjetischen Spionage in ihrem ersten Jahrzehnt war ungeheuerlich. Er ließ an Ausmaß die Beiträge aller anderen nichtrussischen Teile des sowjetischen Auslandsapparates hinter sich. An Qualität übertraf er sogar die russische Leistung.

Die Berliner Werkstätten für die Fälschung von Pässen und Ausweispapieren stehen in der Geschichte ohne Beispiel da. Weder die Spionagezentralen der verschiedenen kriegführenden Mächte noch die vorrevolutionäre Untergrundorganisation Rußlands, die sich in ihrer jahrzehntelangen Geschichte beträchtliche Kenntnisse auf diesem Gebiete angeeignet hatte, konnten sich mit der Berliner Paßzentrale vergleichen, die sich bei der Herstellung von Pässen, Bescheinigungen und anderen Dokumenten als ein Wunder an Geschick, Präzision und Phantasie erwies. Sie überstand nicht nur zahlreiche Razzien der Polizei, sondern widerstand sogar den Bemühungen der Gestapo. Man muß sich, um eine richtige Vorstellung von dem Ausmaß ihrer Tätigkeit zu gewinnen, vor Augen halten, daß jederzeit rund 2 000 Pässe zur Verfügung zu stehen hatten, ferner eine Sammlung von 30 000 Stempeln zu erhalten war, und daß sich das Personal des Paßapparates in Deutschland und im Ausland 1931— 32 auf 170 Männer belief (die Zentrale beschäftigte nur wenige Frauen)

Der kommunistische Paß-Apparat in Deutschland war so alt wie die Partei selbst. Die Gründung erfolgte 1919— 20 im Klima des Bürgerkrieges und der „bevorstehenden“ Revolution; diese Anfänge waren klein, armselig und primitiv. 1921 wurde der Apparat von der Polizei enttarnt; danach setzte eine Reorganisation ein und seit 1923 lief die Entwicklung immer schneller. Trotz der Tatsache, daß von 1923 bis 1932 nicht weniger als vier Polizeirazzien stattfanden, die, wie verkündet wurde, die gestapelten Dokumente und den Apparat selbst vernichteten, wuchs er in diesem Jahrzehnt sowohl quantitativ wie qualitativ zu bisher ungekannten Proportionen an. In jenen Jahren gab es eine zweite Fälscherwerkstatt in Moskau und eine dritte in den Vereinigten Staaten, die aber von der Paßzentrale in Berlin an Leistungsfähigkeit weit übertroffen wurden. Für den ständigen Strom wichtiger Sowjetagenten nach Westen war Berlin die erste Etappe. Hier mußten sie aus ihren sowjetischen Papieren „aussteigen“, wenn auch nur, weil die Polizei aller Länder ein besonderes Auge für Reisende mit sowjetischen Ausweisen hatte. Die Ankömmlinge wurden mit neuen Pässen ausgestattet, die einen erfundenen Namen und eine „Legende“ — eine neue Biographie — trugen, die der Inhaber bis in die kleinsten Einzelheiten auswendig zu lernen hatte. Bei der Rückkehr wurden die falschen Papiere wieder gegen die echten ausgewechselt.

Die gleiche Methode wurde häufig bei ausländischen Kommunisten angewandt, insbesondere bei jenen, die nach Rußland fuhren. Zur Verschleierung der Tatsache, daß sie in die Sowjetunion gereist waren, wurden ihre echten Pässe, die ein deutsches oder tschechoslowakisches Visum als letzte Eintragung aufwiesen, in Berlin zurückgehalten, während sie die Reise mit gefälschten Papieren fortsetzten. Bei der Rückkehr aus Rußland wurden ihnen die echten Pässe wieder ausgehändigt, die nun als Beweis dafür gelten konnten, daß sie sich die ganze Zeit in Deutschland aufgehalten hatten.

Hirn und Herz des Paßapparates in Berlin war eine Gruppe von fünf bis sieben Mann, die als Künstler ihres Faches in ihrer Arbeit aufgingen. Diese deutschen Setzer, Ingenieure und Drucker verfügten über Fertigkeiten, die die irgendeines anderen in dem weitgespannten Untergrundnetz der Komintern in den Schatten stellten. Ihr Ansehen in Moskau war so groß, daß ihnen verschiedentlich einige ihrer Sünden und Verstöße gegen die Regeln der konspiratsia von ihren anspruchsvollen Chefs vergeben w) *. urden Diese Gruppe von Fälschungskünstlern nach Moskau zu beordern, wäre einfach gewesen, aber es hätte zugleich bedeutet, das ganze Netz zu zerschlagen und die Gans zu töten, die die goldenen Eier legt.

1932 erhielt eine Gruppe von ungefähr sechshundert führenden deutschen Kommunisten Anweisung, sich auf die Illegalität vorzubereiten. Alle wurden mit falschen Papieren und fiktiven Adressen ausgestattet, blieben jedoch an ihrem bisherigen Wohnort. Für die Reichstagswahlen 1932 trugen sie sich zweimal ein, zunächst unter ihrem richtigen und dann unter ihrem angenommenen Namen. Vom Apparat erhielten sie Befehl, ihre Stimme zweimal abzugeben, um eventuelle Fragen zu vermeiden. Der Befehl wurde ausgeführt.

1933, bei der Machtergreifung Hitlers, besaß der Apparat über 5 000 Pässe, davon waren — in abgerundeten Zahlen — 75 schwedische, 300 dänische, 75 norwegische, 400 holländische, 100 belgische, 300 *) In den Kreisen des Paß-Apparates war es zum Beispiel gut bekannt, daß der talentierte Paß-Spezialist Walter Tygör in die Frau des Ingenieurs Richard Quast verliebt war und daß Frau Quast, eine Gymnastiklehrerin, ihre Gunst beiden zugleich gewährte. Das glückliche Trio wurde häuiig zusammen gesehen — ein schwerer Verstoß gegen die Grundregeln der konspiratsia. Unter normalen Umständen hätte die GB diese Aifäre unterbunden, während in diesem Falle nichts geschah. D-Akten b 310. schweizerische, 300 österreichische, 600 tschechische, 100 Danziger und 1 000 echte deutsche Pässe. Daneben gab es noch ungefähr 500 deutsche Paßblankos

Der Paß-Apparat war formell der KPD, indirekt der Komintern angegliedert. Sein Personal gliederte sich in zwei scharf getrennte Schichten: die Chefs und die Arbeiter. Die Chefs, die die Anweisungen gaben, konnte man auswechseln, die Arbeiter waren unersetzlich.

Oberster Chef der OMS der Komintern war Ossip Piatnitsky; sein Stellvertreter in Berlin, Mirow-Abranow, leitete seit 1926 auch den Paß-Apparat als Chef, ohne dessen Einwilligung keine Personaländerungen vorgenommen werden konnten. Leo Flieg wurde von der KPD als Leiter der Paß-Zentrale abgestellt; er arbeitete in dieser Eigenschaft von 1923 bis 1935. Zwei junge Leute, Richard Großkopf und Karl Wiehn („Turgel" und „Schilling“), die gerade aus dem KJVD (Kommunistischer Jugendverband Deutschlands) hervorgegangen waren, wurden um 1923 Leo Flieg unterstellt und gehörten ebenfalls ein Jahrzehnt bis zum Ende des Jahres 1932 dem Apparat an. Beide wurden 1933 verhaftet und brachten ungefähr zwölf Jahre in Konzentrationslagern zu.

Welch verwickelte Probleme bei der Arbeit eines Paß-Apparates auftauchen, kann man sich schwerlich vorstellen. Ein „guter“ Paß muß den Inhaber gegen Fallen sichern und in jeder Beziehung auf seine Persönlichkeit zugeschnitten sein. Im Paß-Apparat pflegte man zu sagen, daß „ein guter Paß sitzen muß wie ein Anzug vom besten Maßschneider“. Wenn ein westlicher Kommunist mit einem Paß auszustatten war, tauchte als erste Frage auf, welche Nationalität er annehmen sollte. Die Pässe mancher Länder wurden höher eingeschätzt als die anderer Länder: so wurde zum Beispiel die neutrale Schweiz bevorzugt, weil der Inhaber eines Schweizer Passes die meisten Grenzen Europas ohne Visum überschreiten konnte; dänische und schwedische Papiere waren ebenfalls gut; britische Pässe waren ausgezeichnet, konnten jedoch nur schwer gefälscht werden; polnische und baltische Pässe waren nicht sehr beliebt, da sie gewöhnlich den Argwohn der Polizei wachriefen, die hinter diesen Dokumenten irgendetwas Russisches witterte. Deutsche Kommunisten, die keine Fremdsprache kannten, bevorzugten saarländische Pässe, die Grenzübertritte ebenfalls erleichterten.

Ferner war wichtig zu wissen, welche Sprache der künftige Paßinhaber fließend beherrschte, da der gelungendste Paß für den Inhaber zur Falle werden konnte, wenn er nicht seine „Muttersprache“ beherrschte. Ein angenommener Fall: der künftige Paßinhaber spricht Deutsch und soll einen in München ausgestellten Paß erhalten. Nach Hans Reiners, einem früheren Paßfachmann der Komintern, muß folgende Arbeit geleistet werden:

Wir haben natürlich ein deutsches Paßblanko, das wir nun für den neugeborenen Herrn Müller aus München ausfüllen. Aber wir müssen natürlich daran denken, daß Herr Müller eines Tages wirklich nach München gehen und die Polizei seine Papiere genau überprüfen könnte. Welche Tinte benutzt man in München zur Ausstellung von Pässen? Wie heißt der Beamte, der den Paß ausstellt und unterschreibt? Linser Mann in München wird angewiesen, diese Einzelheiten herauszufinden und eine Unterschrift des Polizeipräsidenten Schmidt zu beschaffen — und das ist keine leichte Sache. Bei der Eintragung des Ausgabedatums entsteht eine neue Schwierigkeit: wir müssen sichergehen, daß der Polizeipräsident an jenem Tag, an dem er unseren Paß „unterschrieb“, nicht krank oder auf Llrlaub war. Außerdem wird in einigen Ländern der Paß mit einem Gebühren-stempel versehen, der ebenfalls gefälscht werden muß; das gleiche gilt für geklebte Gebührenmarken.

Schließlich muß der Paß, um gültig zu werden, ein-oder zweimal gestempelt werden; das bereitet ebenfalls Kopfschmerzen. Stempel sind von Stadt zu Stadt verschieden und werden von Zeit zu Zeit aus wichtigen und unwichtigen Gründen geändert. Deshalb muß eine riesige Stempel-und Dienstsiegelsammlung aus Hunderten von Städten und Orten unterhalten werden.

Wenn diese Arbeiten beendet sind, hat die eigentliche Paßfälschung jedoch erst begonnen — der schwierigste Teil steht noch bevor. Müller kann nicht einfach mit einem Paß allein in die Welt hinausziehen: er muß alle entsprechenden Urkunden haben, die seine Identität bestätigen, wie z. B. Geburtsurkunde, Arbeitsbuch, Sozialversicherungskarte usw. Dieser Satz persönlicher Identifizierungspapiere wird die „Sammlung“ genannt und um eine vollständige Sammlung herstellen zu können, muß man Historiker, Geograph und Fachmann für Polizei-fragen zugleich sein.

Wenn die Geburtsurkunde der „Sammlung Müller“ zum Beispiel anzeigen soll, daß Herr Müller 1907 in Lllm geboren wurde, dann muß der Paß-Apparat wissen, welche Formulare für diese Bescheinigungen in dieser Stadt vor vier oder fünf Jahrzehnten benutzt wurden, welche Terminologie damals in Gebrauch war, welche Vornamen in diesem Teil Europas zu dieser Zeit beliebt waren und welche fremd klingen würden. Ivar hätte seltsam in Lllm oder München geklungen . und Sepp wäre in Hamburg oder Kopenhagen aufgefallen. Die Hauptregel ist: macht ihn zu einer Durchschnittsfigur, zu einem unter Hunderten; gebt ihm keine besonderen Merkmale, die die Polizei, die Passanten, die Reisegefährten im Gedächtnis behalten könnten.

Schließlich kommt die Frage der Stempel und Siegel. Welche Stempel wurden zu jener Zeit an jenem Ort benutzt? Zeigte das Stadtwappen einen Löwen, einen Adler oder einen Bären? Man mußte die Heraldik kennen; entsprechende Fachbücher standen in unseren Schränken.

Der Paß-Apparat gab einem Kunden sehr selten eine Heiratsurkunde. Eine zweite Person in ein Untergrundunternehmen hinein-zuziehen, wäre unklug gewesen, es sei denn, Mann und Frau hätten für eine bestimmte Aufgabe als Ehepaar auftreten müssen, etwa in der Stellung von Geschäftsinhabern, Wirtsleuten usw. Aber alle brauchten ein Arbeitsbuch, da die Polizei überall zuerst nach Arbeitsplatz und Stellung fragt. Es war ein Grundsatz, eine Person nie als Gehaltsempfänger oder Arbeiter zu bezeichnen, da in solchen Fällen eine einfache Nachfrage bei der angegebenen Firma oder dem eingetragenen Arbeitsplatz die Fälschungen aufgedeckt hätte. Hausierer, freier Journalist, Künstler, Schriftsteller sind die richtigen Berufe für den Untergrundarbeiter, da Leute mit solchen Berufen freizügig sind und über ihren Aufenthalt usw. niemand Rechenschaft schulden.

Der Berliner Paß-Apparat fabrizierte von 1927 bis 1932 jedes Jahr durchschnittlich 400 Sammlungen solcher Urkunden; ein Teil wurde in Reserve gehalten; rund 2 50 wurden jedes Jahr an andere Apparate geliefert. 193 3 stieg der Bedarf natürlich erheblich.

Sobald die Sammlung fertiggestellt ist, muß eine weitere Vorsichtsmaßnahme getroffen werden. Wenn Herr Müller zum erstenmal über die Grenze geht, darf sein Paß nicht mehr neu aussehen. Wenn man einen Paß vorweist, der eine Reihe von Visa und Stempeln hat, aus denen hervorgeht, daß der Inhaber soundsooft über die Grenze gegangen ist und von den Behörden überprüft wurde, ist die Polizei weniger aufmerksam, als wenn man mit einem neuen Paß ankommt.

Aus diesem Grund versah der Apparat den Paß mit einer Reihe falscher Stempel und Visa. Die damalige Reiseroute des angeblichen Reisenden wurde sorgfältig ausgearbeitet — jede Einzelheit hatte sich logisch in die „Legende“ einzufügen, die der neue Paßinhaber auswendig lernen mußte

Neben Pässen, die vollständige Fälschungen waren, verfügte der Appart über einen großen Vorrat echter Pässe, die von den Polizei-behörden verschiedener Länder gekauft oder gestohlen worden waren. Diese echten Pässe waren entweder unausgefüllte („Blankos“) oder bereits ausgefüllte Dokumente, wobei die Zentrale mit den Blankos sehr vorsichtig war. Die bereits ausgestellten Pässe mußten „verarztet“ werden: die Photographie des ursprünglichen Besitzers war zu entfernen und durch eine andere zu ersetzen, wobei der Stempel, der über einen Teil der Photographie lief, nachgeahmt werden mußte. Der echte Paß war natürlich zuverlässiger, aber das „Verarzten" erforderte große Geschicklichkeit.

Die zahlenmäßig beträchtliche Versorgung mit „Blankos“ wurde auf verschiedene Weise aufrechterhalten. Die Frau eines Berliner Kom-munisten namens Hoffmann arbeitete als Putzfrau im Berliner Polizeipräsidium und war von Zeit zu Zeit in der Lage, Blankos zu stehlen. In Basel belieferte der Polizeibeamte Max Habijanic den kommunistischen Untergrund mit ausgezeichneten Schweizer Pässen. Bei einer Gelegenheit erhielt Berlin eine große Sendung Pässe aus Prag. Die tschechische Polizei hatte im Jahre 1932 ein Memorandum über den kommunistischen Untergrund zusammengestellt, den die GB unbedingt haben wollte, um feststellen zu können, wieviel den tschechoslowakischen Behörden wirklich bekannt war. Im Polizeipräsidium von Komotau, wo man das Schriftstück vermutete, wurde eingebrochen, aber die Einbrecher mußten mit Enttäuschung feststellen, daß das Memorandum nicht zu finden war.

Statt dessen stießen sie auf 1 500 tschechoslowakische Pässe, die sie mitgehen ließen. Diese Papiere, die beim Untergrund sehr beliebt waren, blieben bis nach dem Attentat auf König Alexander von Jugoslawien und den französischen Außenminister Barthou im Oktober 19 34 im Umlauf. Dann wurde festgestellt, daß die Ustaschi (eine terroristische Untergrundorganisation in Jugoslawien), ebenfalls tschechoslowakische Papiere benutzte, worauf sich die Polizei in ganz Europa sehr für Inhaber tschechoslowakischer Pässe interessierte.. Beim Paß-Apparat lief von der französischen Grenze ein Bericht ein, daß die Polizei sich zu fragen beginne, warum so viele tschechische Staatsbürger, die kein Tschechisch sprachen, die deutsch-französische Grenze überschritten. Der Apparat beschloß, rund zweihundert tschechoslowakische Pässe einzuziehen und durch andere zu ersetzen.

Anfang der dreißiger Jahre verkauften zwei Polizeibeamte aus dem Saargebiet, die beide Mitglieder der nationalsozialistischen „Deutschen Front“ waren, geraume Zeit Paßblankos an den kommunistischen Apparat. Einer hatte die Blankos, der andere die Stempel und beide machten das Geschäft gemeinsam.

Diese beiden phantasielosen Nationalsozialisten verlangten für jeden gestempelten Paß zwei Mark. Eines Tages ließen sie den Apparat wissen, sie würden Pässe nur noch in Mengen von mindestens fünfhundert verkaufen. Um das Geschäft nicht einschlafen zu lassen, kaufte die Zentrale tausend saarländische Pässe, von denen gleich siebenhundert vernichtet wurden. Kaum war diese Autodafe vorüber, als ein Antrag auf weitere hundert saarländische Pässe bei der Zentrale einlief.

Wiederum mußten tausend Stück gekauft werden, von denen diesmal achthundert vernichtet wurden.

Die Paßfälscherwerkstätten und Lager waren dezentralisiert und über ganz Berlin verstreut. Nur drei oder vier der oben erwähnten Leiter kannten das gesamte Unternehmen; die Arbeiter selbst waren nur mit ein oder zwei Adressen vertraut.

Der Paß-Apparat hatte sechs verschiedene Werkstätten.

Die Druckerei verfügte 1932 über 3 5 Tonnen verschiedener Satz-typen, darunter manche sehr merkwürdiger Art, die für „alte“ Papiere benötigt wurden. Die beiden Setzer der Druckerei waren ernsthafte, gebildete Männer, die in jeder Hinsicht zuverlässig waren. Der Metteur war ein deutscher Kommunist namens Dühring. Sie widmeten ihre ganze Zeit dem Paß-Apparat und wurden dafür gut entlohnt. Ihre eigenen falschen Papiere identifizierten sie als Kaufleute und Studenten einer Technischen Hochschule.

Die lauten Druckpressen waren im Keller einer Schreinerei im Stadtteil Wedding aufgestellt. Wenn die beiden Drucker zur Arbeit kamen, was einmal wöchentlich oder sogar noch seltener der Fall war, dann ließ der Schreiner alle Maschinen im Erdgeschoß laufen, um den Lärm zu übertönen.

In einer dritten Werkstatt wurden Nachahmungen echter Dokumente und Unterschriften hergestellt. Eine teure Großkamera wurde für diesen Zweck angeschafft: von allen sowjetischen und kommunistischen Stellen in Berlin besaß nur die legale Handelsvertretung eine bessere Photo-ausrüstung. Der dieser Werkstatt zugeteilte Walter Tygör („Walter Wolf“) war ein Experte für alle Phasen der Paßfälschung.

Die Spezialwerkstatt für Stempel war wegen des durchdringenden und äußerst unangenehmen Geruchs kochenden Gummis in einer kleinen Gummifabrik untergebracht. „Wir pflegten zu sagen: , sucht ’ne Ecke, wo wir rumstinken können',“ heißt es in den Erinnerungen eines früheren Mitglieds des Apparats. Der Besitzer der Gummifabrik war ein Kommunist ohne Mitgliedsbuch, ein vorsichtiger Mann, zu dessen Hauptkunden das Kommando Wecke, eine Bereitschaft der Berliner Polizei, zählte. Zum Apparat gehörte ferner der Graveur König, der ein Geschäft in Neukölln besaß und dessen Ansehen von Jahr zu lahr stieg. Nach zwölfjähriger Tätigkeit in Berlin wurde er schließlich nach Moskau gerufen, wo er in einer ähnlichen Paßfälscherwerkstatt arbeitete. Als der Sohn Königs nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten verhaftet wurde, löste man den Vater König aus Sicherheitsgründen von seinem Posten ab und verhaftete ihn später. Neben diesem ständigen Personal warb der Apparat zwei Graveure in der größten deutschen Stempelfabrik, Stempel-Kaiser, die alle Regierungsstellen mit Stempeln und Dienstsiegeln belieferte. Die beiden Graveure fertigten systematisch Duplikate aller wichtigen Stempel an, die für die Regierung hergestellt wurden. Dieser erfreuliche Zustand dauerte allerdings nur bis gegen Ende des Jahres 1932, als die beiden Agenten aus verschiedenen Gründen eine weitere Mitarbeit verweigerten. Daneben gab es noch das Windus-Stempel-Geschäft am Hermannplatz, dessen Besitzer, der Kommunist Windus, dem Apparat wesentliche Hilfe leistete.

Die riesige Reserve an Stempeln war in verschiedenen Verstecken gelagert, wobei in jedem Versteck ein Satz Stempel und Dienstsiegel eines Landes oder einer Provinz untergebracht waren ) *.

Zwei gleichgeartete Werkstätten waren mit der Herstellung von Urkunden wie Geburtsschein, Taufzeugnissen und Schulzeugnissen beschäftigt. Sollte eine dieser Werkstätten jemals von der Polizei entdeckt werden, konnte die andere weiterarbeiten, da die von beiden Werkstätten benutzten Formulare in drei oder vier Verstecken ausgelagert waren.

Eine Spezialwerkstatt besorgte das „Verarzten“ der echten Pässe, wobei ein Fachzeichner die Stempelabdrücke nach der Entfernung des echten Paßfotos kopierte. Manchmal mußten ganze Seiten entfernt und durch neue ersetzt werden oder aber neue Visa waren einzufügen. Der für diese Arbeit verantwortliche Mann war Richard Quast, der den Decknamen „Abel“ trug. Diese Art Werkstatt wird gewöhnlich in einer Schuhmacherei eingerichtet, bei der ein häufiger Verkehr von Kunden, die beim Verlassen des Hauses kleine Pakete mit sich führen, nicht weiter auffällig ist. Zudem werden bestimmte Schusterwerkzeuge, wie etwa die Ösenstanze, und die in einer Schuhmacherei üblichen Färbe-mitteln auch für die Herstellung von Pässen benötigt. Hieraus erklärt sich auch die Deckbezeichnung „Schuster“, die für die Paßfälscher im gesamten kommunistischen Untergrund geläufig ist.

Die Paß-Zentrale unterhielt Nebenstellen in ganz Europa. Sie „basierte“, wie der Jargonausdruck lautete, auf Dänemark, Schweden, Norwegen, Holland, Belgien, der Saar, der Schweiz, Österreich, der Tschechoslowakei und Danzig. Deutschland selbst war in vierundzwanzig Distrikte aufgeteilt, in denen jeweils vier bis fünf Agenten für die Paß-Zentrale operierten; in Berlin belief sich ihre Zahl auf zehn. In den elf Ländern waren insgesamt zwanzig Agenten tätig. Zusammen mit den Arbeitern der Paß-Zentrale belief sich die Kopfzahl des Apparates auf hundertundsiebzig. Hinzu kamen von Zeit zu Zeit einige unbezahlte Hilfskräfte.

Die in den Provinzen oder im Ausland stationierten Agenten versuchten in den Besitz echter Pässe von Sympathisierenden (jedoch aus erklärlichen Gründen nicht von Parteimitgliedern) oder Angehörigen von Tarnorganisationen zu gelangen. Ihre Arbeit war häufig erfolgreich.

Um der Partei einen Dienst zu leisten, beantragten Mitläufer einen Paß, der dann an den Apparat weitergegeben wurde. Zu gewissen Zeiten war die auf diese Weise erzielte Versorgung mit echten Pässen beträchtlich. Zweite Aufgabe der Außenagenten war es, die Paßbehörden zu überwachen, Formulare und Unterschriften zu besorgen und die Zentrale von jeder Änderung der Paßvorschriften zu verständigen.

Die Reserven an Stempeln, Dienstsiegeln, Pässen und anderen Dokumenten wurden an den unwahrscheinlichsten Stellen versteckt. Ein Vorrat, für den Hermann Dynow “), ein Mitglied des kommunistischen •) Nach Ausbruch der deutsch-sowjetischen Feindseligkeiten 1941 gab die deutsche Reichsregierung bekannt, daß die Polizei im Keller des sowjetischen Botschaftsgebäudes Dienstsiegel mit der Aufschrift „Consulado de a Republica de Chile en Breslau" gefunden habe. DNB, 5. August 1941. . Alias „Konrad", „Reich", „Reinhold", „Dr. Stuttner . Untergrunds, verantwortlich war, wurde im Fuß des großen Teleskops des Berliner Observatoriums untergebracht; ein anderer lag im Schreibtisch eines leitenden Angestellten der Dresdner Bank; ein dritter wurde in der Nazarethkirche verborgen. Noch größerer Einfallsreichtum war vonnöten, als — wie noch geschildert wird — dieser gesamte Vorrat während der nationalsozialistischen Herrschaft ins Ausland verlagert werden mußte.

Vor der Machtergreifung Hitlers nahm die Polizei nicht weniger als fünf Razzien in verschiedenen Quartieren des Paß-Apparates vor. Es ließ sich nicht verhindern, daß einige der hunderte von gefälschten Pässen, die in Umlauf gesetzt worden waren, der Polizei in die Hände fielen, daß dann Untersuchungen und Nachforschungen einsetzten und dann trotz aller Vorsichtsmaßnahmen die eine oder andere Werkstatt ausgehoben wurde. Der Apparat mußte einen schweren Schlag hinnehmen, als einer seiner Kuriere, ein gewisser Klose, 1929 in Wien mit einer Aktentasche voll Pässen verhaftet wurde Drei deutsche Reisende, die im Januar 1932 an der holländischen Grenze verhaftet wurden, erwiesen sich als Sowjetbürger mit gefälschten Pässen. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde in Hamburg der sowjetische Handelsvertreter Tschubar-Onisenko verhaftet; in seiner Villa fand man fünf falsche Pässe, die auf eine unbekannte, aber ausgezeichnete Fälscherwerkstatt schließen ließen Im Dezember 19 32 wurde eine Frau festgenommen, die Holland im Wagen bereiste. Da sich herausstellte, daß sie einen falschen Paß bei sich trug, wurde sie zusammen mit ihrem „Chauffeur“ Pauker verhaftet (Gatte der späteren rumänischen Kommunisten-führerin Ana *P) auker). Wie die Polizei herausfinden konnte, stammten die Pässe vom Apparat in Berlin.

Die Ergebnisse der Polizeirazzien in den Quartieren des Paß-Apparates in Berlin waren dürftig. Im November 1932 gelang der Polizei bei der Durchsuchung einer Wohnung in der Kaiserallee jedoch ein großer Fang. Sie fand hunderte von Pässen verschiedener Länder, amerikanische Paßblankos, Geburtsurkunden, Schulzeugnisse und andere Dokumente, ferner hunderte von Stempeln und Dienstsiegeln, darunter Siegel der Polizei von Ankara, Sofia und Amsterdam, ferner Faksimiles von Unterschriften leitender Beamter in Scotland Yard und anderen führenden britischen Polizeioffizieren. Aus bestimmten in der Wohnung aufgefundenen Notizen ging hervor, daß in den letzten sechs Monaten rund 1 5ÖO Pässe ausgegeben worden waren.

„Die Inventur der in der Fälscherwerkstatt vorgefundenen Materialien hat folgenden Bestand ergeben: 2 000 Stempel, 600 lose Paßblätter, 3 5 zum Teil bereits fertiggestellte Pässe, 807 Paßphotographien, 760 Gebührenmarken, 300 amtliche Urkunden, 72 Quittungskarten, 57 Steuerkarten, 165 Zeugnisse, 700 polizeiliche Formulare, 30 Arbeitsbücher und 650 Briefbogen verschiedener Firmen . . .

Die Fälscherzentrale in der Kaiserallee ist zweifellos die größte, die in der N Arbeitsbücher und 650 Briefbogen verschiedener Firmen . . .

Die Fälscherzentrale in der Kaiserallee ist zweifellos die größte, die in der Nachkriegszeit in Europa aufgedeckt werden konnte.“... 27)

Karl Wiehn und Erwin Kohlberg wurden bei dieser Razzia verhaftet. Jedoch ging nur ein Bruchteil der Reserve des Apparates durch diese Polizeiaktion verloren. Alle anderen Werkstätten arbeiteten ungestört weiter 28).

Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten war für die Paßzentrale ein schwerer Schlag. Im April 193 3 entdeckte die Polizei ein weiteres Vorratslager von Stempeln und Pässen. Bei dieser Aktion wurde Richard Großkopf verhaftet, der zusammen mit Wiehn zu einer zwölfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde und bis 194 5 in einem Konzentrationslager war 29).

Ein weiteres Unglück ließ nicht lange auf sich warten. Alfred Kattner, der beim Zentralkomitee der KPD im Berliner Karl-Liebknecht-Haus gearbeitet hatte und dem viele Angehörige des Untergrunds bekannt waren, verriet seine Genossen an die Gestapo. (Kattner wurde daraufhin •) Pauker wurde später von seiner Frau bei der GB als Trotzkist denunziert und hingerichtet. von seinen Genossen umgebracht 30). Unter den Verratenen befand sich Hermann Dynow, der für das Paßversteck im Berliner Observatorium verantwortlich war. Im Observatorium entdeckten die nationalsozialistischen Behörden mit einigem Staunen nicht nur eine Vielzahl von Pässen, sondern auch die Unterschrift des Schatzmeisters ihrer Partei, Mitgliedskarten der NSDAP und gefälschte Quittungen über Mitgliedsbeiträge. Obgleich dieser Verlust nicht vernichtend war, wurde die Lage doch bedenklich. Die Leitung des Paß-Apparates beschloß, die Vorräte nach Saarbrücken zu verlegen, das zu dieser Zeit noch unter französischer Kontrolle stand. Im Jahre 1934, nach. mehr als einem Jahrzehnt erfolgreicher Operationen in Berlin, wurden die Werkstätten, Werkzeuge und Reserven an Stempeln, Dienstsiegeln und Pässen in das Saargebiet verlegt. Um den Umzug zu ermöglichen, mußten die Gummiplatten der Stempel von den hölzernen Griffen abgelöst werden, damit sie in Koffern mit doppeltem Boden verpackt werden konnten; Dokumente und Dienstsiegel wurden in ausgehöhlten Tischbeinen versteckt, die eigens zu diesem Zweck angefertigt worden waren; Tinten der verschiedensten Art wurden in Glasbehältern befördert, die man in Kommoden unter-brachte. Der Plan, alle beweglichen Einrichtungsgegenstände des Paß-Apparates kurzerhand als Umzugsgut in Möbelstücken versteckt zu transportieren, erwies sich jedoch als undurchführbar. Mitten im Umzug wurde beschlossen, einen Teil der Ladung in ein Versteck am Grenzübergang umzuleiten. Mit Hilfe eines kommunistischen Technikers, der in einem Steinbruch an der Grenze zur Saar beschäftigt war und die Gewohnheiten und Methoden der Zollbeamten kannte, wurde der Rest der Ausrüstung ungestört aus Deutschland herausgebracht. Mit dem Material waren auch einige Spezialisten nach Saarbrücken gekommen, wo sie die Arbeit wieder anlaufen ließen. Aber auch an der Saar wurden die Verhältnisse immer bedrohlicher. Der Einfluß der Nationalsozialisten wie ihre Spionagetätigkeit nahmen ständig zu und eine baldige Besetzung des Gebietes durch Deutschland mußte als wahrscheinlich gelten. 19 3 5 entschied sich die Saar durch eine Volksabstimmung für die Rückkehr zu Deutschland. Moskau befahl, die gesamte Reserve an Pässen nach Rußland zu verlagern; andere Papiere und Stempel wurden nach Paris transportiert.

Nach seinem Auszug aus Deutschland konnte der Paß-Apparat seine einstige Bedeutung nicht wiedererlangen. Mit dem Ausbruch des spanischen Bürgerkrieges im Jahre 1936 ergab sich eine neue Quelle für die Versorgung mit Pässen: nicht nur kommunistische Freiwillige, sondern auch tausende von Mitläufern wurden unter verschiedenen Vorwänden dazu verleitet, ihre Pässe ihren Vorgesetzten auszuhändigen. Der Apparat sammelte und studierte diese Pässe und suchte für seine Agenten ausgezeichnete britische, amerikanische, kanadische und andere Papiere heraus. Dieser Vorrat, der aus tausenden von Pässen bestand, deckte fast den gesamten Bedarf bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs

Auch nach dem Kriege entstand im Westen kein kommunistischer Paß-Apparat, der sich mit dem alten hätte messen können. Seitdem der sowjetische Machtbereich bis nach Berlin vorgeschoben worden war, bestand nicht mehr die Notwendigkeit, einen riskanten und komplizierten Paß-Apparat zu unterhalten, der unterirdisch zu arbeiten hatte und die Behörden verschiedenster Länder herausfordern mußte. Man konnte jetzt eine deutsche Werkstatt für die Herstellung falscher Dokumente unter polizeilichem Schutz im sowjetischen Sektor von Berlin einrichten.

Von der alten Garde wurde Ossip Piatnitsky, Chef der weitverzweigten „Abteilung Internationale Verbindungen“ der Komintern, hingerichtet. Seinen ersten Stellvertreter, Mirow-Abramow, der das westeuropäische Netz kontrolliert hatte, ereilte das gleiche Schicksal. Leo Flieg wurde ebenfalls liquidiert. Richard Großkopf gehört heute der politischen Polizei an; die beiden unzertrennlichen Tygör und Quast arbeiten jetzt in der Zentrale der SED; Hermann Dynow ist Inspektor der Volkspolizei. König, Dühring und Karl Wiehn scheinen den Anschluß verpaßt zu haben und haben keine Verbindungen mehr zu diesem Geschäft der legalen Fälschung, das von einer Gruppe gesetzestreuer Fälscher besorgt wird.

4. Zielgebiet Industrie

Der sowjetischen Industriespionage, die an Zahl der Agenten und Ausmaß der Aktivität von Jahr zu Jahr zunahm, lag immer das gleiche Organisationsschema zugrunde: nach außen hin war sie auf örtlichen kommunistischen Zellen aufgebaut und wurde von einigen deutschen Kommunisten geführt; kontrolliert wurde sie hinter den Kulissen von einigen anonymen Sowjetagenten in Berlin. Die weitläufigen Gesetze der koMspiratsia konnten unter diesen Bedingungen schwerlich befolgt werden. Andererseits schienen Vorsichtsmaßregeln weniger wichtig, da das gültige deutsche Strafrecht nur gelinde Strafen für Industriespionage vorsah und die Arbeit ungefährlich erscheinen ließ. Das deutsche Strafrecht kannte den Begriff Spionage nur im Zusammenhang mit militärischen Geheimnissen. Im Falle von Industriespionage konnten allein die Paragraphen über unlauteren Wettbewerb, die eine Höchststrafe von einem Jahr vorsahen, angewandt werden.

Einer der ersten Fälle von Industriespionage war die Knöpfle-Affaire, die die bestimmenden Merkmale der sowjetischen Spionage in Deutschland zu jener Zeit deutlich werden läßt. Das Haupt des Apparates war Hans Barion, Funktionär des Zentralkomitees der KPD in Berlin und Zahlmeister des Rings. Sein Hauptagent für den Südwesten war Karl Kölzer, Angestellter der KPD in Düsseldorf. Kölzer wiederum betraute den Arbeiter Albert Knöpfle, Vorsitzenden der kommunistischen Zelle in Auweiler, mit den Operationen in Leverkusen, wo sich eine der am besten ausgestatteten chemischen Fabriken des IG-Farben-Konzerns befand. Knöpfle betrachtete seinen Auftrag allein als eine Parteiangelegenheit und wandte sich deshalb an fünf oder sechs andere Arbeiter, die Parteimitglieder oder Mitläufer waren und die er um Informationen über Produktionsgeheimnisse, Warenmuster und Entwürfe bat. Das auf diese Weise herbeigeschaffte Material lief über Kölzer an Barion, der es an seinen russischen Vorgesetzten weitergab. Die Maschinerie der KPD wurde somit in den Dienst der sowjetischen Spionage gestellt. Daß Rußland der Empfänger des Spionagematerials war, wurde gar nicht verheimlicht. Im Gegenteil, dieser Aspekt des Unternehmens wurde frank und frei unter den Angehörigen des Rings diskutiert. Wie groß das sowjetische Interesse an der chemischen Industrie Deutschlands war, wird aus der Tatsache ersichtlich, daß zur gleichen Zeit, als die kommunistische Zelle für Knöpfle arbeitete, im Leverkusener Werk der IG-Farben ein zweiter sowjetischer Spionagering unter dem dort beschäftigten Vorarbeiter Georg Herloff gebildet wurde. Dieser Herloff hatte die Absicht, nach Rußland zu gehen, und versprach anderen Technikern und Arbeitern gute Arbeitsplätze in Rußland. Er sammelte dabei geheime Informationen aus nichtkommunistischen Quellen, die er an sowjetische Vertreter weiterleitete. Eine derartige Tätigkeit konnte nicht lange verborgen bleiben und zu Beginn des Jahres 1926 wurden rund 20 Männer und Frauen verhaftet. Bei dem im Mai des gleichen Jahres stattfindenden Prozeß wurden milde Strafen verhängt — von drei Monaten bis zu einem Jahr

Die Kopplung kommunistischer Parteiaktionen mit Spionagetätigkeit zeigt sich auch in einem anderen Falle jener Periode, und zwar in der Affaire Willi Kippenberger, des Bruders von Hans Kippenberger, dem späteren Führer des kommunistischen Untergrund. Willi war ein unsteter junger Mann, Mitglied der rechtsgerichteten Brigade Ehrhardt und mit einer zweiten Frau verheiratet, ohne von der ersten geschieden zu sein. Willi war allmählich bereit — dies spielte in der Mitte der zwanziger Jahre — den Anordnungen seines kommunistischen Bruders Folge zu leisten. Er trat eine Arbeit im chemischen Werk in Bitterfeld an, wo er sich geheime Entwürfe verschaffte, die er kopierte und an Hans weitergab. Willi Kippenberger wurde angezeigt, verhaftet und im Oktober 1926 zu vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Das große Chemiewerk Solvay in Bernburg bei Dessau besaß vor der Revolution ein Zweigwerk in Moskau, das von den Russen 1918 verstaatlicht worden war und nun im Rahmen des Ersten Fünfjahresplanes wieder aufgebaut und modernisiert werden sollte. Natürlich wäre die beste Lösung gewesen, sich mit solchen Beauftragten der Solvaywerke in Deutschland in Verbindung zu setzen, die sowohl das russische Zweig-werkkannten wie auch mit neuen Produktionsverfahren vertraut waren. Da jedoch die sowjetische Regierung die Erörterung alter Ansprüche abgelehnt hatte, blieb dieser logische Weg einer Zusammenarbeit versperrt. Statt dessen beschloß Moskau, einen alten und erfahrenen Chemiker, der alle neuen Formeln und Produktionsgeheimnisse kannte, von Solvay -fortzulocken und ihn zum Leiter des russischen Werkes zu machen. Ein Herr Meyer aus Hamburg wurde von dem sowjetischen Agenten Luri angegangen, der ihm eine Stellung als Betriebsleiter des Solvaywerkes in Rußland, ein Monatsgehalt von 5 000 Rubel, eine mietfreie Wohnung und 4 500 Rubel Reise-und Transportspesen bot. In seinem offiziellen „Bewerbungsschreiben“ mußte Meyer seinen russischen Arbeitgebern kommerzielle und technische Geheimnisse der Solvaywerke mitteilen. Außerdem versuchte er vor seiner Abreise, ein paar Mitarbeiter zur Teilnahme an seiner ND-Tätigkeit zu überreden. Er wurde angezeigt, verhaftet, vor Gericht gestellt und zu vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. („Vier Monate“ war zu dieser Zeit bereits zum Stand-ardurteil für Industriespionage geworden

Im Oktober 19 30 wurde in der Magdeburger Kruppfiliale, den Grusonwerken, der Konstrukteur Kallenbach vom werkseigenen Detektiv-büro festgenommen. Man fand in seiner Aktentasche Geheimdokumente, Texte von Patenten und Entwürfe neuer Maschinen. Bei der Untersuchung des Falles stellte sich heraus, daß Kallenbach und zwei weitere Techniker einen früheren Vorgesetzten, Russki, der vor seiner Abreise nach Rußland stand, mit wichtigen Informationen belieferten und daß

Kallenbach selbst plante, in zwei Wochen nach Rußland abzureisen. Das übliche LIrteil wurde gesprochen — vier Monate für Kallenbach, kürzere Freiheitsstrafen für die anderen

Diese Art von Spionage wurde üblich. Da gab es zum Beispiel den Fall des russischen Ingenieurs Fjodor Woloditschew, der bei Siemens und Halske angestellt war und eine Stelle der russischen Handelsvertretung mit Zeichnungen und Werkstücken von Mikrophonen und Fernschreibern versah. Zwei sehr junge deutsche Angestellte halfen ihm dabei. „Die in Woloditschew’s Besitz gefundenen Zeichnungen sind das Neueste auf dem Gebiet der Telegraphie; für die Zukunft der deutschen Industrie sind sie von unschätzbarem Wert“, gab ein Sachverständiger vor Gericht zu Protokoll. Das Gericht war jedoch milde und verurteilte Woloditschew zu einem Monat und zehn Tagen

Der Ingenieur Wilhelm Richter, leitender Angestellter der Polysius-Zementwerke in der Nähe von Dessau, wurde von sowjetischen Vertretern dazu gebracht, geheime Pläne und Entwürfe für ein ähnliches Werk, das Ende der zwanziger Jahre in der Nähe von Moskau gebaut wurde, auszuhändigen. Richter fuhr häufig nach Moskau und gab schließlich Ende 1930 seine Stellung in Deutschland auf. Nach seinem Weggang wurde der Verlust von Geheimpapieren entdeckt. Richter wurde im Januar 1931 verhaftet Im September 1931 wurde das Mitglied der KPD, Karl Liebrich, von Beruf Chemiker und Angestellter eines wissenschaftlichen Laboratoriums in Elberfeld, wegen Industriespionage zu vier Monaten Freiheitsstrafe verurteilt In Rottweil versuchten die drei Arbeiter Robert Molt, Julius Schätzle und Adolf Koch für einen geheimnisvollen „Georg“, einen Kommunisten aus Stuttgart, Industrie-geheimnisse über die Herstellung von Kunstseide und Schießpulver zu erhalten Charlotte Land, Mitglied des Betriebsrates eines chemischen Werkes in Berlin, die geheime Informationen über die chemische und metallurgische Industrie zusammengestellt hatte, wurde verhaftet und im März 1932 vor Gericht gestellt Die Telefunken-Gesellschaft hatte für die Reichswehr einen bestimmten, tragbaren Feldfernsprecher gebaut, eine völlig neue und noch unbekannte Konstruktion. Ein Angestellter von Telefunken, Seiffert (heute Bürgermeister von Luckow in der sowjetischen Besatzungszone), übergab den sowjetischen Fachleuten Photokopien und Muster noch bevor die Serienproduktion anlaufen konnte Eine neuartige Kurbelwelle, die von Rheinmetall hergestellt worden war, geriet durch die Hilfe eines ergebenen kommunistischen Arbeiters in sowjetische Hände, als die Produktion gerade ausgenommen wurde

Die sowjetische Handelsvertretung war auf diese oder jene Weise in eine große Zahl von Spionagefällen verwickelt. Jedesmal, wenn der Name der Vertretung von der Presse in einem solchen Zusammenhang erwähnt wurde, erschien prompt ein nachdrückliches Dementi: „An der Affaire gänzlich unbeteiligt“ oder „Die betroffenen Personen sind der Vertretung völlig unbekannt“. Die Handelsvertretung wurde von den Behörden in Ruhe gelassen, aber die ständigen Dementis verfehlten langsam ihre Wirkung auf die Öffentlichkeit. Die Presse ging dazu über, sie unter ironischen Überschriften abzudrucken: „Das erwartete Dementi“ oder „Das unvermeidliche Dementi“.

Bei der Lippner-Affaire, die 1931 in Berlin spielte, wurde die Handelsvertretung ins volle Rampenlicht gezogen. Der österreichische Ingenieur Lippner war von der sowjetischen Handelsvertretung in Berlin angestellt und beauftragt worden, Forschungsarbeiten über Motortreibstoffe durchzuführen. Ein gewisser Glebow, der im Namen der Handels-vertretung auftrat, verhandelte mit Lippner und unterzeichnete den Vertrag. Einige Monate später trat dieser „Glebow“ mit dem dringenden „Vorschlag“ an Lippner heran, er solle bestimmte technische Geheim-daten über dieses Arbeitsgebiet vom IG-Farben-Werk in Friedrichshafen beschaffen. Lippner gab sofort seine Anstellung bei der Handelsvertretung auf und verklagte sie auf Zahlung der vertraglich festgelegten Summe von 9 OOO Reichsmark. In ihrer Entgegnung teilte die Handels-vertretung dem Gericht mit, ein Mann namens „Glebow“ sei ihr „gänzlich unbekannt“ und kein Dokument, das von „dieser Person“ unterzeichnet sei, könne bindend sein. Daß „Glebow“ ein Deckname sein mußte, war augenscheinlich. „Glebow“ konnte denn auch nicht aufgefunden werden und sein Gehilfe, der als Zeuge vom Gericht vorgeladen wurde, reiste in aller Eile nach Rußland ab. Die Presse zeigte sich verärgert und feindselig. Selbst moskaufreundliche Zeitungen waren kritisch. Die Frankfurter Zeitung fragte: „Wäre es angesichts der wirklich nicht leicht zu nehmenden Gefahr, die für Deutschland aus dieser Situation entspringt, nicht doch an der Zeit, daß die Kriminalbehörden um eine Spur weniger höflich, dafür aber etwas energischer in solchen Angelegenheiten vorgingen?“

Der Wendepunkt kam mit dem Steffen-Dienstbach-Fall im Jahre 1931. Bis dahin hatte die deutsche Öffentlichkeit zu der Ansicht geneigt, wobei sie vom Auswärtigen Amt unterstützt wurde, sowjetische Spionageaffairen seien gesonderte kleine Episoden und könnten nicht notwendig mit der . eigentlichen russischen Politik in Zusammenhang gebracht werden. Die seit 1926 der Berliner Reichsregierung freundlich gesonnene Politik der Sowjets dürfte, so lautete die allgemeine Ansicht, wirklich große Spionagetätigkeit in Deutschland ausschließen. „Ausnahmen“ dienten nur zur „Bestätigung der Regel“. Als die Steffen-Affaire — die „große Affaire“ der sowjetischen Spionage — platzte und ihre weitläufige Verzweigung und ihr Ausmaß bekannt wurden, da blieb allerdings keine Möglichkeit des Zweifels. Die Sowjetunion, das wurde ganz deutlich, nützte den günstigen Stand der deutsch-russischen Beziehungen aus, um ND-Operationen im großen Stil zu betreiben. Die auf alle anderen Länder zutreffende Regel galt hier nicht: je „freund-

Ticher" die deutsch-russischen Beziehungen wurden, um so tiefer und weiter drang der sowjetische ND in Deutschland vor.

Das Ziel war wieder einmal der Chemiekonzern der IG-Farben. Der deutsche Leiter des ND-Apparates, Erich Steffen, führte die RGO („Revolutionäre Gewerkschaftsopposition“) in der Chemieindustrie, einen großen kommunistischen Verband, dessen Ziel die Lösung von Gewerkschaftsfragen und der Kampf gegen den sozialistischen Freien Gewerkschaftsbund war. Diese RGO diente auch als Tarnung für Industriespionage und Steffen war der Mittelpunkt, bei dem alle Verbindungen und Kontakte mit den über das ganze Land verteilten Quellen zusammen-liefen. Steffen, der, wie auch seine Frau, bei der sowjetischen Handelsvertretung angestellt war, hatte außerdem seit 1930 in einer anderen Phase der Industriespionage mitgewirkt, nämlich bei der Sichtung der deutschen „Rußlandfahrer“. Einige Jahre vorher war er in einen Fall von unlauterem Wettbewerb verwickelt worden, als er deutsche Fachleute für eine neue Thermometerfabrik in Rußland anwerben wollte, die mit deutschen Firmen in Konkurrenz stand. Steffens Hauptmitarbeiter waren deutsche Kommunisten, so zum Beispiel der kommunistische Abgeordnete im Bayrischen Landtag, Eugen Herbst. Seine V-Männer waren kommunistische Ingenieure und Arbeiter. In Ludwigshafen, dem Standort eines der chemischen Werke, saß sein Vertrauter Karl Dienstbach, der als örtlicher Kommunistenführer und Mitglied der RGO von IG-Farben entlassen worden war, aber weiterhin Kontakte mit V-Männern in den chemischen Werken in Hoechst, Frankfurt, im Kölner Gebiet, an der Ruhr und anderen Plätzen hatte — insgesamt ungefähr fünfundzwanzig Mann.

Dienstbach trat als V-Mannführer des Steffen-Apparates mit hoch-technischen Fragen über Industriegeheimnisse an seine Quellen heran — und erhielt fast immer die gewünschten Antworten. Aus bitterer Erfahrung, vor allem in Frankreich, hatte man gelernt, daß langatmige und umfassende „Fragebogen“ aus Moskau den Agenten bereits im Frühstadium der Operation verraten konnten. In Deutschland ging man dazu über, den verzwickten Fragebogen in eine Anzahl getrennter Fragen zu zerlegen, die dann zusammengefaßt die gewünschte Information ergaben.

Die Hauptgefahr lag jedoch in der Größe des Apparates selber. Die Zahl der Quellen, die man um Antworten auf die Einzelfragen ersuchte, wuchs bald über die Vorsichtsgrenze hinaus und nahm allzu große Ausmaße an. Zu Dienstbachs Kontakten gehörte der Stenograph Heinrich Schmid, zu Schmids Kontakten wiederum der Arbeiter Karl Kraft, der von Schmid um Informationen über die Formeln für Karbolsäure und Ammoniak angegangen wurde, was Kraft sofort seinen Vorgesetzten meldete. Er wurde angewiesen, die Verbindung zum sowjetischen Apparat nicht abreißen zu lassen. Zwei Monate nach diesem ersten Vor-tasten bei Kraft -März-April 1931 -waren Steffen, Dienstbach, Schmid und eine große Zahl anderer Ingenieure und Arbeiter bereits verhaftet, vor Gericht gestellt und für schuldig befunden. In Steffens Haus fand man chemische Geheimformeln und in seinem Notizbuch die Namen und Adressen seiner Quellen. Aus seinem Sparbuch ging hervor, daß er innerhalb von drei Monaten 24 000 Reichsmark auf sein Konto eingezahlt hatte.

In der amtlichen Verlautbarung hieß es: „Schon seit längerer Zeit ist den zuständigen Behörden bekannt, daß Angehörige der Kommunistischen Partei Deutschlands mit Angestellten und Arbeitern größerer Betriebe in verschiedenen deutschen Städten unter dem Vorwand der Beschaffung günstiger Arbeitsgelegenheit in Rußland in Verbindung traten. Die wahre Absicht war aber die, durch die Angestellten und Arbeiter in den Besitz wertvoller Betriebsgeheimnisse zu kommen“

Nach einmonatiger Haft legte Dienstbach ein Geständnis ab und enthüllte die gesamte ihm bekannte Spionagetätigkeit. Eins war ihm allerdings nicht bekannt, nämlich der russische Teil des Apparates. Die Staatsanwaltschaft entschied sich für eine Haussuchung der Handels-vertretung, um die Identität des russischen Vorgesetzten des Steffen feststellen zu können, erhielt aber nicht die Zustimmung des Auswärtigen Amtes. Die Handelsvertretung hatte inzwischen jegliche Beteiligung rundweg abgestritten: „Wie die Handelsvertretung der Sowjetunion zu der Angelegenheit der Industriespionage bei der IG-Farben in Hoechst am Main mitteilt, sind die in der Angelegenheit genannten oder verhafteten Personen der Handelsvertretung in keiner Weise bekannt. Es bestünden auch keinerlei direkte oder indirekte Beziehungen zu irgendwelchen Personen, die im Zusammenhänge mit einer solchen Angelegenheit genannt worden seien“ In Wirklichkeit machte sich die Handelsvertretung wegen der Verhaftungen beträchtliche Sorgen: was würde geschehen, wenn auch die anderen ihre Geheimnisse preisgeben sollten? Der Apparat zog entsprechende Schlußfolgerungen und beauftragte „Alexander“ mit der Bearbeitung des Falles. Dieser „Alexander“, dessen wirklicher Name nicht bekannt wurde, ein untersetzter Vierziger mit einem runden Gesicht, war ein bedeutender Agent des militärischen ND der Sowjets in Deutschland. Er saß in einem Hinterzimmer der Sowjetischen Botschaft Unter den Linden. Er war weder Militärattache noch gehörte er zum Stab des Attaches; sein eigentliches Arbeitsgebiet war das Untergrundnetz. Er legte Wert auf die strikteste Einhaltung der Sicherheitsregeln der kon-spiratsia: er konnte zum Beispiel nicht unmittelbar über das Telefon erreicht werden und falls einer seiner Kontakte mit ihm sprechen wollte, mußte er die Botschaft anrufen, seinen Namen hinterlassen und warten, bis „Alexander“ zurückrief. Sein Aufenthalt blieb unbekannt und Gespräche mit ihm konnten nicht abgehört werden, nicht einmal von den durch die GB gesichteten sowjetischen Angestellten der Vermittlung

„Alexander“ organisierte und finanzierte die Verteidigung der Steffen-Gruppe unter dem Deckmantel der „Roten Hilfe“, der deutschen Organisation der MOPR(Meshdunarodnaja organisazija pomosditsd'ii borzam revoluziji — Internationale Organisation zur Unterstützung der Kämpfer der Revolution). Er bestellte einen kommunistischen Rechtsanwalt zum Verteidiger, der die Botschaft besuchen und ohne Verdacht zu erregen, durch Deutschland reisen konnte. In Aachen zum Beispiel wohnte ein Ingenieur, der gefährlich werden konnte, wenn er sich zu einer offenen Aussage entschloß. Der Verteidiger reiste nach Aachen, versprach dem Ingenieur eine gute Stelle in Rußland und kaufte so sein Schweigen. Ein ähnlicher Zweck führte den Verteidiger nach Nürnberg. Die größten Sorgen hatte „Alexander“ jedoch wegen Steffen selbst, der bei den Verhören offen sprach und seinen Mitangeklagten Kassiber zugehen ließ, die viel zu freimütig waren. Diese Kassiber, die Namen anderer Personen enthielten, wurden der Staatsanwaltschaft bekannt..

„Wir nennen es Industriehilfe, nicht Spionage“, stand in einem Kassiber — und mit einem Schlag war eines der Hauptargumente der Verteidigung hinfällig geworden, die behauptet hatte, die ganze Angelegenheit habe nicht das geringste mit Spionage zu tun und die Angeklagten seien lediglich an den Arbeitsbedingungen in der chemischen Industrie interessiert gewesen, die in ihrem Besitz gefundenen schriftlichen Berichte seien allein für die Gewerkschaftszeitung „Der Fabrikarbeiter“

bestimmt gewesen. Da die Steffen-Affaire ein reiner Fall von Industriespionage war, mußte notwendigerweise ein mildes Urteil gesprochen werden: Steffen, Dienstbach und Schmid wurden zu zehn Monaten, die anderen zu vier Monaten Gefängnis verurteilt

Obwohl die Staatsanwaltschaft Berufung einlegte, waren die Verurteilten bald wieder auf freiem Fuß. Aber jetzt machten sich die sowjetischen Chefs Sorgen wegen der Standfestigkeit und Zuverlässigkeit des Ehepaares Steffen als ND-Agenten. Man fürchtete, sie könnten bei einer Wiederverhaftung zu viel enthüllen. Der kommunistische Rechtsanwalt versuchte im Auftrage „Alexanders“, die Steffens zu einer Umsiedlung nach Rußland zu überreden, was von den Steffens rundheraus abgelehnt wurde, da Frau Steffen nationalsozialistische Verwandte in Deutschland hatte (sie trat später der NSDAP bei). Steffen selbst willigte schließlich ein, in die Tschechoslowakei zu gehen. Inzwischen war auf Grund der Berufung der Steffen-Dienstbach-Prozeß wieder ausgenommen worden. Nur einer der Angeklagten, namens Oelenschlager, der eine kleinere Rolle gespielt hatte, erschien vor Gericht, so daß die neuen Urteile, nämlich drei Jahre Gefängnis für jeden der Hauptangeklagten, niemals vollstreckt werden konnten. In Prag ließ sich Steffen schließlich bestimmen, nach Moskau zu gehen, wo er während der Säuberungen hingerichtet wurde

Ein Ergebnis des öffentlichen Ärgers über die Steffen-Affäre war eine Verschärfung der Strafen wegen unlauteren Wettbewerbs. Am 9. März 1932 unterzeichnete Reichspräsident von Hindenburg eine „Verordnung zum Schutz der Volkswirtschaft“, durch die die Höchststrafe für Weitergabe von Industriegeheimnissen an unbefugte Personen auf drei Jahre festgesetzt wurde. Angeklagte, denen nachgewiesen werden konnte, daß sie um die Auswertung der Industriegeheimnisse im Ausland wußten, konnten zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt werden. Diese neuen Strafbestimmungen, die am 1. April 1932 Gesetzeskraft erlangten, blieben gültig, bis die nationalsozialistische Regierung die Strafen erneut erhöhte und auf Industriespionage die Todesstrafe setzte

Enge Kopplung des N-Apparates der KPD mit dem sowjetischen ND war die allgemeine Regel, deren Kurzsichtigkeit nie so deutlich wurde wie im Falle der IG-Farben Bitterfeld. Ende Februar 1931 traf in Bitter-feld ein autorisierter „Vertreter“ des Zentralkomitees der KPD aus Berlin ein, der als „Georg“ eingeführt wurde. Sieben Personen — ein Zimmermann, ein Maurer, zwei Metallarbeiter, ein Schmied und zwei Hilfsarbeiter, die alle örtliche Kommunistenführer waren, — wurden zu einer geheimen Versammlung im Hause eines Mitläufers gerufen (Der eifrigste unter ihnen war der Elektriker Friedrich Thiele, seit zehn Jahren Mitglied der KPD, der Vorsitzender des Betriebsrates war und wöchentlich 38 Mark verdiente.). „Georg“ hielt vor der kleinen Versammlung eine Ansprache, deren wichtigste Punkte später wie folgt zusammengefaßt wurden „Rußland müsse vor einem Krieg bewahrt werden. Zu dem Zwecke sei es genötigt, seine Wehrmacht auszubauen, um sich jederzeit gegen kriegerische Angriffe schützen zu können. Es müsse aber auch in den Stand gesetzt werden, seinen Fünfjahresplan zur Durchführung zu bringen, um auf diese Weise wirtschaftlich selbständig und insbesondere von der deutschen Industrie unabhängig zu werden. Die Erreichung dieses Zieles setze voraus, daß es in den Besitz der erforderlichen Maschinen und Stoffe zur Herstellung von Apparaturen, Säuren, Gasen, Phosphor, Leichtmetall und dergl. gelange. Infolgedessen sei es Aufgabe aller Mitglieder der KPD, an ihren jeweiligen Arbeitsstätten auszukundschaften, was in den einzelnen Betrieben an Maschinen und Apparaturen vorhanden sei, wie die genannte Produktion vor sich gehe. Weiterhin müßten alle Stoffe herangeschafft werden, die bei der Fabrikation in den einzelnen Werken von Bedeutung seien, auch wenn es sich nur um Rohstoffe zur Herstellung von Maschinen und Erzeugnisse handele.

Eine gesteigerte Aufmerksamkeit sei der chemischen Industrie zu widmen. Diese können sich binnen 24 Stunden auf Kriegsproduktion umstellen, was im Interesse Rußlands unter allen Umständen verhindert werden müsse. Rußland habe für seinen Fünfjahresplan und seine Kriegsrüstung vieles nötig. Deshalb müßten nicht nur die Betriebsvorgänge der Industrieunternehmen bis in alle Einzelheiten erfaßt, sondern auch deren Bezugsquellen und Absatzstellen ermittelt werden. Dies sei unter anderem dadurch zu erreichen, daß die Zettel abgeschrieben würden, die sich an den bei den einzelnen Werken ein-und auslaufenden Eisenbahnwaggons befänden. Die Zettel geben meist Auskunft für die Herkunft der Rohstoffe und die Bestimmungsorte der fertigen Erzeugnisse. Der Fremde wies dann noch darauf hin, daß niemand Angst zu haben brauche, derartige Ausspähungsakte vorzunehmen. Die Partei werde jeden, der wegen einer solchen Untersuchung Schwierigkeiten bekomme, sofort in Rußland unterbringen. Den Beauftragten der KPD sei es aber durchaus möglich, unauffällig zu sämtlichen größeren Werken Zutritt zu erlangen und alles in Erfahrung zu bringen, was sie wollten. In Kiel sei es z. B. auf einfache Weise möglich gewesen, durch einen bei einem Oberingenieur angestellten Schreiber zu ermittelst, welches Material zum Bau des Panzerkreuzers A verwendet worden sei, weiter auch festzustellen, daß es neuartige Geschütze gebe, die elektrisch geladen und gerichtet würden. Der Schreiber sei zwar wegen Einblicknahme in geheimzu haltende Bücher entlassen worden, aber garnicht in den Verdach der Spionage geraten.“ Schließlich machte „Georg“ den Vorschlag, man solle enge Kontakte mit Belegschaftsmitgliedern herstellen, vor allem mit Chemikern, und ließ einige Hinweise auf finanzielle Vorteile fallen, einschließlich eines Entgelts in Höhe eines Monatslohns. Dann fragte er nach einem Werks-plan, den Thiele als Vorsitzender des Betriebsrates besorgen konnte und auch zu besorgen versprach. Daraufhin wurden vier Mann beauftragt, in bestimmten Werksabteilungen zu spionieren: der Maurer Muller im Kraftwerk, der Arbeiter Elze im Leichtmetallwerk, der Arbeiter Gruner im Werkshof und der Vorarbeiter Bley in der Phosphatabteilung. Bei Schluß der Versammlung instruierte „Georg“ die Betreffenden, wie die gesammelten Informationen zu übermitteln seien: „Wenn irgendetwas mit der Post geschickt werden muß, dann darf auf keinen Fall die KPD-Zentrale in Berlin als Adresse genannt werden. Wenn der Postweg zu riskant ist oder das Material zu sperrig, dann muß Thiele es persönlich nach Berlin bringen.“

Anschließend fuhr „Georg“ nach Wolfen, wo er eine ähnliche kommunistische Spionageversammlung abhielt.

Die Thiele-Gruppe hatte sich bereits an die Arbeit gemacht und einige Ergebnisse erzielt (ein Graphitmuster war besorgt worden), als die Nachricht von der Verhaftung der Steffen und Dienstbach eintraf. Es dauerte nicht lange, bis auch die Thiele-Gruppe festgenommen wurde. Die Ermittlungen zogen sich lange hinaus und der Prozeß fand nach der Erhöhung der Strafen für Industriespionage statt. Die wirklich Schuldigen, darunter Steffen und „Georg“, entgingen ihrer Strafe. Die naiven Verschwörer mußten ins Gefängnis, einige auf drei Jahre.

5. Militärische Ziele

Die sowjetische ND-Arbeit in Deutschland ließ die militärischen Objekte nicht unberücksichtigt, wenn auch die meiste Energie und der größte Teil des Geldes auf den Ausbau der Industriespionage verwandt wurden. Auf beiden Gebieten wurde die Arbeit vom gleichen Dienst geleistet, nämlich der GRU, dem ND der Roten Armee, aber Ziel und Methoden waren jeweils verschieden.

Zwischen der Industriespionage und der rein militärischen Spionage gab es dabei keine scharf gezogene Scheidelinie. So v/aren zum Beispiel die Luftfahrt-und Schiffsbauindustrien, die die Aufmerksamkeit der Sowjets auf sich zogen und in der sowjetische ND-Agenten operierten, wichtige Objekte vom Gesichtspunkt des Kriegspotentials und die entsprechenden ND-Operationen waren eine Kombination von Industriespionage und Spionage im „klassischen“ Sinne. Es gab eine Anzahl solcher militärisch-industrieller Sektoren, in denen die Sowjets Erkundungsarbeit leisteten.

Da die sowjetische Militärluftfahrt um die Mitte der zwanziger Jahre noch immer in den Kinderschuhen steckte, wurde die Erkundung der technischen Errungenschaften der deutschen Luftfahrt zu einer der wichtigsten Aufgaben des militärischen ND. 1927 traf der Ingenieur Alexandrowski, der den Auftrag hatte, alle erreichbaren Daten über die deutsche Luftfahrt zusammenzustellen, aus Moskau in Berlin ein. Seine rechte Hand war der Litauer Eduard Scheibe, der bei der sowjetischen Handelsvertretung angestellt war und als Verbindungsmann zu den verschiedenen Quellen diente. Alexandrowskis große Hoffnung war jedoch ein junger deutscher Ingenieur namens Eduard Ludwig, der ein befähigter Luftfahrttechniker war. Ludwig hatte in den Jahren 1924/25 im Moskauer Büro der Firma Junkers gearbeitet und die sowjetischen Behörden hatten bei seinem damaligen Aufenthalt angedeutet, man würde ihm eine Universitätsprofessur übertragen, falls er zurückkehre. In Deutschland war Ludwig dann erneut in der Luftfahrtindustrie tätig, wobei er seinen Arbeitsplatz systematisch wechselte, so daß er nach zwei Jahren mit den meisten Flugzeugfirmen vertraut war — Junkers in Dessau, Dornier in Friedrichshafen und der Forschungsanstalt für Luftfahrt in Berlin-Adlershof.

Gegen Ende des Jahres 1927 teilte die sowjetische Botschaft dem Ludwig mit, ein Posten werde bald in Rußland für ihn zur Verfügung stehen, und ersuchte ihn, in der Zwischenzeit mit Scheibe „zusammenzuarbeiten“. Ludwig kam dieser Aufforderung nach und begann, vertrauliche Dokumente der Forschungsanstalt (hauptsächlich über Flugmotoren) nach Hause mitzunehmen und Scheibe auszuhändigen. sie Scheibe gab sie an den Photographen Huttinger und die Photokopien der Dokumente an Alexandrowski. Die Sicherheitsbeamten der Forschungsanstalt entdeckten das Fehlen der Dokumente und Entwürfe und die Spuren führten zu Ludwig, der zusammen mit Scheibe und Huttinger im Jahre 1928 verhaftet wurde, worauf Alexandrowski verschwand und der Sowjetische Attache Lunjew Berlin in ziemlicher Hast verließ. Die sowjetische Botschaft gab das übliche Dementi aus:

Die in heutigen Zeitungen erschienene Nachricht, daß der verhaftete Angestellte der Versuchsanstalt für Luftfahrt, der unter dem Verdacht steht, an eine fremde Macht wichtige Dokumente verkauft zu haben, im Interesse der Sowjetunion gehandelt und mit der hiesigen Sowjetvertretung in Verbindung gestanden hätte, entspricht nicht den Tatsachen. Auch die durch ein Mittagsblatt verbreitete Nachricht, daß die Abberufung des früheren Militärattaches Lunjew unmittelbar mit dieser Affäre in irgendeinem Zusammenhang steht, ist falsch. Vielmehr wurde die Abberufung des Herrn Lunjew den entsprechenden deutschen Behörden bereits Ende Februar mitgeteilt

Vor Gericht versuchten sich die Angeklagten mit einem Argument zu verteidigen, daß zwei Jahrzehnte später häufig bei den Atomspionageaffären auftauchte: die Wissenschaft ist international und Rußland darf nicht diskriminiert werden. Das Gericht ließ sich auf dieses Argument nicht ein. „Obwohl wissenschaftliche Institute die Ergebnisse ihrer Erfahrungen auf internationaler Ebene austauschen,“ hieß es in der Urteilsbegründung, „waren die Angeklagten nicht berechtigt, den Russen zu verraten, was ihnen nicht bekannt werden sollte.“ Da der Fall Ludwig als militärische Spionage betrachtet wurde, verhängte das Gericht schwere Strafen: fünf Jahre für Ludwig, sechs Jahre für Scheibe, drei Jahre für Huttinger. Alexandrowski wurde nie gefunden

In einem anderen Fall kombinierter Industrie-und Militärspicnage handelte es sich um kugelfestes Glas, das in der Sowjetunion noch nicht hergestellt werden konnte. Sie war daher auf teure Importe angewiesen und mußte Gefahr laufen, im Kriegsfall von jeder Versorgung abgeschnitten zu werden. Im Jahre 1930 lieferte ein junger Chemotechniker namens Theodor Pesch, der bei der britisch-finanzierten Neutex-Glas-Gesellschaft in Aachen beschäftigt war, geheime Dokumente und Waren-muster an sowjetische ND-Agenten aus. Die sowjetische Handelsvertretung, die in die Affäre verwickelt war, gab im April 1931 ein nachdrückliches Dementi aus: „Weder die Vertretung noch einer ihrer Angehörigen unterhielt irgendwelche Beziehungen zu diesen Personen.

Das Gericht billigte dem jungen Pesch mildernde LImstände zu und verurteilte ihn zu zwei Monaten Gefängnis

Als Deutschland 1928/29 seinen ersten Nachkriegskreuzer, den „Panzerkreuzer A“, baute, wurde das Unternehmen sofort zu einem Objekt besonderer Wichtigkeit für den sowjetischen ND, der gleich mehrere Beschaffergruppen ansetzte. Eine Gruppe hatte alle Einzelheiten über die Bestückung zu besorgen, die von der Rheinischen Metallwaren-und Maschinenfabrik in Düsseldorf entworfen und hergestellt wurde. Kaum hatte die Reichsregierung den Bauauftrag für den Kreuzer unterzeichnet, als auch schon eine Agentengruppe aus Technikern und Konstrukteuren, die unter der Leitung des Ingenieurs Willi Adamczik stand, die Konstruktionspläne zu entwenden begann. Adamcziks Haupt-gehilfen waren zwei andere Ingenieure, die Brüder Rudolf und Erwin Groß. Die Gruppe operierte ein halbes Jahr ungestört und wurde erst im März 1929 dingfest gemacht ) *. •) Adamczik wurde zu sechs Jahren Zuchthaus, Rudolf Groß zu drei Jahren Gefängnis, Erwin zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Diese Agentengruppe war gerade erst verhaftet worden, als sich ein neuer, noch leistungsfähigerer Apparat bildete, der den Bau des Kreuzers verfolgen sollte, und aus Gruppen deutscher Kommunisten in den Hafenstädten Bremen und Hamburg bestand, die von Agenten in der Handelsvertretung überwacht wurden. Ein Mann, der unter dem Decknamen „Herbert Sänger" bekannt war, führte eine der Spezialgruppen, die aus sechs oder sieben Ermittlern und V-Männern bestand und Informationen über den Kreuzer beibringen sollte. Der Leiter des Apparats, der hinter „Sänger" stand, hieß Lothar Hofmann (Alias „Hans Richter“, „Dr. Schwarz“), ein alterfahrener ND-Agent und ein Mann von großer Intelligenz, der im Fernen Osten, Frankreich und Belgien Aufträge ausgeführt hatte. Bei seiner Rückversetzung nach Deutschland wurde er einer der ND-Leiter, dessen Operationsbereich weit über die Schiffsbauindustrie hinausging. Ein anderes Mitglied der Gruppe namens Richard Lehmann („Rowold“) verfügte über eine große Photokopieranlage, die im Keller seines Hauses installiert war

Die Kreuzer-Affäre müßte auch auf die lange Liste der trivialen Spionagefälle gesetzt werden, wäre nicht in den letzten Stadien des Unternehmens ein Krieg zwischen der Agentengruppe und der deutschen Abwehr entbrannt. Im Februar 19 30 beschloß ein Hans Schirmer, ein etwas unsteter kommunistischer Autor von Kurzgeschichten, der seiner Partei gegenüber nicht immer loyal war, sich mit dem sowjetischen ND-Apparat in Verbindung zu setzen. Er ging dabei in einer Art vor, die man als plump bezeichnen müßte, hätte sie sich nicht letzten Endes als so wirksam erwiesen. Im Februar 19 30 schrieb er einen Brief an die „Kommunistische Spionagezentrale“ in Hamburg. Der Briefumschlag trug die Adresse „An die Kommunistische Parteizentrale in Hamburg, Valentiuskamp." In diesem Umschlag steckte ein zweiter Brief mit der Aufschrift „An den Leiter der Spionageabteilung“ und dem Vermerk „Wenn der Betreffende nicht anwesend oder nicht existiert, bitte ich den Brief ungeöffnet an obenstehende Adresse zurückzuschicken.“ Der Brief hatte folgenden Wortlaut:

„Als früherer Volontär der hiesigen Marinewerft habe ich die denkbar besten Beziehungen zu hiesigen, auf der Werft beschäftigten Beamtenkreisen und zu Militärpersonen. Es wäre mir unter Umständen möglich, Sie besonders interessierende Nachrichten oder Angaben zu ermitteln und möchte Sie bitten zu bestimmen, wann und wo wir uns zu einer Aussprache in dieser Angelegenheit treffen können.“

Aus Hamburg traf die Antwort bald ein, die mit Maschine geschrieben war und die Bleistiftunterschrift „Herbert Sänger“ trug.

„Ich habe Ihre Zeilen mit Interesse gelesen und möchte, bevor ich in nähere Verbindung eintrete, Sie bitten, mir einige nähere Angaben zu machen, aus denen ich ersehen kann, ob Ihre Verbindungen wirklich ausreichend sind.“

Eine Adresse war nicht angegeben und Schirmer richtete deshalb einen zweiten Brief an die „Spionageabteilung der KPD in Hamburg“:

„Ich habe von Ihrem Schreiben mit Interesse Kenntnis genommen, muß Ihnen aber leider mitteilen, daß mir ein näheres schriftliches Eingehen auf die Sache nicht möglich ist, und muß Sie bitten, mit mir ein Zusammentreffen zu vereinbaren.“

Nach drei bis vier Wochen kam eine Antwort von „Sänger“:

„Ich bin ausnahmsweise damit einverstanden, mit Ihnen in Bremen am Sonntag zusammenzukommen. Ich erwarte Sie im Bahnhofswartesaal des Hauptbahnhofs, Kennzeichen: schwarzer Mantel, Sportmütze, Taschentuch in der Hand. Besten Gruß.“

Das Treffen fand statt. Schirmer wies erneut auf seine Kontakte in der Flotte und in den Marinewerften hin, worauf „Sänger“ erklärte, „sie" hätten ihre eigenen guten Kontakte im Ministerium und in Kiel und außerdem seien viele Marineoffiziere sehr leicht zugänglich. „Sänger" war natürlich zurückhaltend und argwöhnisch und ging nicht sofort auf Schirmers Anerbieten ein. Seine Interessen, so behauptete er, seien rein politischer Natur und was er suche, seien Informationen über die politischen Vorstellungen der Offiziere und Mannschaften und die Namen unbeliebter Vorgesetzter. Diese ersten Treffs brachten keine handfesten Ergebnisse. Für seine Korrespondenz erhielt Schirmer eine Deckadresse, aber sonst wurde mehrere Monate kein Fortschritt erzielt.

Im Oktober des gleichen Jahres wurde Schirmer bei der Marine-abwehr vorstellig und gab seinen Kontakt an. Seine Dienste wurden angenommen. Laut Abmachung mit der deutschen Abwehr setzte Schirmer sich wiederum mit „Sänger“ in Verbindung, wobei er Informationen und Dokumente von wirklichem Interesse anbot. Von nun an wurde Lothar Hofmann, der eigentliche Leiter der sowjetischen ND-Operation, selbst in der Angelegenheit Schirmer tätig. Die deutsche Abwehr versah Schirmer mit Spielmaterial in Form von falschen Konstruktionsplänen und Schriftstücken, die dieser dann Hofmann aushändigte, der ihn jedesmal mit Summen von 50 bis 300 Reichsmark entlohnte. Nachdem in Lehmanns Keller Photokopien der Pläne und Dokumente hergestellt worden waren, gingen sie an Schirmer zurück, der sie wiederum der deutschen Abwehr ablieferte.

Im Mai 19 31 hatte die Abwehr die Verbindungen und Verzweigungen der Gruppe Hofmann aufgespürt und der Ring wurde verhaftet. Beim Prozeß, der im April 1932 unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfand, wurden die Mitglieder des Rings zu schweren Strafen verurteilt — Hofmann erhielt vier Jahre Zuchthaus, zwei andere je zwei Jahre Zuchthaus ) *.

Wieviel weitere sowjetische Agentengruppen außerdem noch auf den deutschen Kreuzer angesetzt wurden, ist nicht bekannt. Sicher scheint jedoch, daß beim Stapellauf des Panzerkreuzers Beschreibungen und Photographien vieler seiner wichtigsten Bauteile auf dem Tisch des Admiralstabs der Roten Flotte lagen.

Die Ermordung eines sowjetischen Spions durch Agenten der GB die ungefähr in diese Zeit fiel, und auf österreichischem Boden ausgeführt wurde, erregte in Mitteleuropa allgemeines Aufsehen und trug zur Verschärfung der internationalen Lage bei. Das Opfer war ein gewisser Georg Semmelmann, der acht Jahre lang für den sowjetischen ND in Deutschland gearbeitet hatte, dabei stand er in einem getarnten Angestelltenverhältnis bei der sowjetischen Handelsvertretung. Bei der Erledigung geheimer Aufträge seiner GB-Chefs war Semmelmann nach Moskau und in die verschiedensten Teile Europas gereist. Er hatte nicht selten gefährliche Unternehmungen durchgeführt wie zum Beispiel die Befreiung des kommunistischen Redakteurs Otto Braun und seiner Frau Olga Benario aus einem Berliner Gefängnis im April 1928. Er stand mehr als einmal vor Gericht, hatte Freiheitsstrafen verbüßt und war aus verschiedenen. Ländern ausgewiesen worden. Nach dieser langjährigen Dienstzeit hatte Semmelmann im Frühjahr 1931 das Vertrauen seiner Vorgesetzten aus Gründen verloren, die nie enthüllt wurden *). * Der verärgerte und skrupellose Semmelmann beabsichtigte, seine früheren Arbeitgeber zu verklagen, was mit der Enthüllung von GB-Geheim-nissen vor der Öffentlichkeit gleichbedeutend gewesen wäre. Er sah von der Klage ab, schrieb aber einen Brief an eine Wiener Zeitung, der er eine Artikelserie über folgende Themen vorschlug:

Allgemeines über den Aufbau der Sowjetspionage und die Konterspionage; Agentenwerbung.

Ein Mitglied des Reichstags der Kommunistischen Partei Deutschlands als Chef der Werbeabteilung für die russische Militär-und Industriespionage. Gliederung der Agenten (Dienstbetrieb) bei den Spionagezentren in Berlin und Wien.

Zentrale für falsche Pässe (Rolle der KPD).

Beschaffung eines fingierten Berufs (Unterstützung durch KPD und Handelsvertretungen). •) Diese Verurteilung war jedoch nicht das Ende der kommunistischen Laufbahn des Hofmann. Bei der Besetzung Dänemarks durch die deutsche Wehrmacht im Jahre 1941 wurde Hofmann erneut verhaftet, nach Deutschland transportiert und zum Tode verurteilt. Das Todesurteil wurde jedoch nicht vollstreckt. Was er im Gefängnis tat, ist nie bekannt geworden. Bekannt ist jedoch, daß er nach seiner Entlassung 1945 nicht wieder in die KPD ausgenommen wurde und drei Jahre „isoliert" blieb. Seit 1948 ist er wieder in der Gnade Moskaus und der Regierung der Sowjetischen Besatzungszone. D-Akten, Di 71. •) Wahrscheinlich ist, daß Semmelmann zu einem Sicherheitsrisiko geworden war, da das Mädchen, daß er kurz zuvor geheiratet hatte, seinen Vorgesetzten nicht bekannt war. Arbeitsmethoden der Sowjet-Militärspionage, Arbeitsgebiet der Spionagezentren bei der russischen Botschaft in Berlin und Wien.

Genauer Überblick über die Sowjetspionage in Europa, usw.

Die GB erfuhr sofort von Semmelmanns Plan. Ein „Todesurteil" war danach eine Selbstverständlichkeit. Am 27. Juli 1931 erschoß der serbische Kommunist Andrei Piklowitsch, ein angeblicher Medizinstudent, den Semmelmann in seiner Wohnung. Der Täter wurde von der österreichischen Polizei verhaftet.

Der Schwurgerichtsprozeß gegen Piklowitsch fand im März 1932 statt. Sein Ausgang war so bezeichnend wie die Mordtat selbst. Die Anklage stellte sich auf den Standpunkt, Semmelmann sei „hingerichtet“ worden, weil er „zuviel gewußt“ habe und Piklowitsch habe einen „vorsätzlichen Mord begangen“. Der Angeklagte stritt weder seine Tat ab noch zeigte er irgendwelche Reue. Er verbreitete sich über seinen „Krieg zur Beendigung der kapitalistischen Herrschaft“ und seine „Nichtanerkennung des Gerichtes“; wäre Semmelmann am Leben geblieben, dann hätte das den Verrat und den Tod vieler „proletarischer Kämpfer“ bedeutet. Moskau hatte inzwischen eine Kampagne zu -Gunsten des Piklowitsch anlaufen lassen, die kommunistische Presse und ihre Mitläufer verlangten seine Freisprechung und ein Telegramm von Henri Barbusse mit der gleichen Forderung wurde vor Gericht verlesen.

Die Geschworenen sprachen Piklowitsch „nicht schuldig“. Ein Schuld-spruch hätte unter den Geschworenen eine Zweidrittelmehrheit finden müssen (sieben von zehn Stimmen). Fünf Geschworene lehnten einen Schuldspruch ab und Piklowitsch wurde auf freien Fuß gesetzt.

6. Unter den Nationalsozialisten

Bereits im Mai 1932 begann Moskau mit einer möglichen Umschichtung der Herrschaftsverhältnisse in Deutschland zu rechnen. Noch bevor Hitler vom Reichspräsidenten von Hindenburg zum Kanzler ernannt wurde, wies die Komintern die Führung der deutschen Kommunisten an, sich für eine Periode der Illegalität vorzubereiten, Ausweichquartiere bereitzustellen und sich mit falschen Papieren auszustatten. Zur gleichen Zeit erhielten die sowjetischen Stellen in Deutschland den Befehl, ihren Bestand an Schriftstücken zu sichten, alles Entbehrliche nach Moskau zu verfrachten und das übrige Material in Banktresoren unterzubringen, die auf den Namen von „Privatpersonen“ gemietet werden mußten. Diese Vorsicht, die aus einem Jahrzehnt der Erfahrung und aus den strikten Regeln der konspiratsia erwachsen war, trug jetzt Früchte.

Obwohl die Machtergreifung der Nationalsozialisten dem sowjetischen ND-Apparat nicht allzuviele Verluste zufügte, verlor Berlin schnell seine Bedeutung als Hauptstützpunkt der Sowjets im Westen. So wie für Europa die Ära von Versailles zur Neige ging, so neigte sich für die sowjetische Außenpolitik und den sowjetischen Untergrund die Ära Berlin dem Ende zu, nicht so sehr wegen der Polizeiaktionen gegen sowjetische Einrichtungen und den sowjetischen Untergrund, sondern wegen der Zerschlagung der KPD. Trotz der scharfen Trennung des sowjetischen Apparates von der deutschen Partei war die KPD doch der Boden gewesen, aus dem sich der Apparat genährt hatte. Durch sie waren Agenten angeworben worden, an ihrer Spitze liefen die verschiedenen Kanäle, Verbindungen und Netze zusammen. Keine sowjetische ND-Tätigkeit von Bedeutung ist möglich ohne Hilfestellung durch die ansässigen Kommunisten, sicherlich aber keine Spionage von dem Ausmaß, wie sie in Deutschland zu Anfang der dreißiger Jahre betrieben wurde.

Die Nationalsozialisten unterdrückten die KPD gründlich und schnell, wenn auch oft mit unmenschlichen Methoden. Bereits drei Wochen nach der Machtergreifung war die Festung der KPD — das Berliner Karl-Liebknecht-Haus mit seinen unterirdischen Schutzräumen, seinen Gängen und seinem genial ausgeklügelten Warnsystem — durchsucht und geschlossen. Im ganzen Reichsgebiet wurden Hunderte von Verhaftungen vorgenommen. Die Parteiführung, die mit lange vorher ausgegebenen falschen Papieren ausgestattet war, begann nach Frankreich, Ruß-land und der Tschechoslowakei zu emigrieren. LInter den Verhafteten fand die Gestapo eine nicht geringe Zahl von die Parteimitgliedern, willig ihre Genossen verrieten, um ihr eigenes Leben zu retten, und diese Denunziationen führten zu neuen schweren Schlägen gegen die Partei besonders gegen ihre Untergrundorganisation. Hans Kippenberger konnte, wie die meisten Leiter des deutschen und deutsch-russischen Apparates, ins Ausland entkommen. Die Mehrzahl dieser Flüchtlinge traf bald in Moskau ein.

Die Wut der neuen Reichsregierung richtete sich gegen den deutschen Kommunismus; die offiziellen und illegalen sowjetischen Organisationen waren Ziele zweiter Ordnung. Die nationalsozialistische Regierung wollte ihre Herrschaft nicht mit einem internationalen Konflikt beginnen und der von der Hitlergruppe seit langem vorbereitete Plan war mehr auf die Aufrüstung als Vorspiel zu seiner großen Offensive ge-richtet. Die Regierung ließ deshalb alle Privilegien der sowjetischen Institutionen in Deutschland weiterhin unangetastet. Die deutsche Polizei — sowohl die aus der Weimarer Zeit übernommene Polizei wie die neugegründete Gestapo — war erstaunlich schlecht über die Aktivität der verschiedenen sowjetischen Apparate unterrichtet. Im Dunkeln tappend versuchten sie, Informationen über „die Russen“ von den deut-sehen Kommunisten herauszupressen, die jetzt zu Hunderten verhaftet und häufig geschlagen wurden, um sie zu . Geständnissen zu zwingen. Vielfach verrieten diese Gefangenen der Gestapo Einzelheiten des deutschen Untergrunds, seine Führer, seine Organisation und seine Methoden, konnten aber, obgleich sie unter scharfen Druck gesetzt wurden, über den sowjetischen Apparat nur geringfügige Angaben machen. In den meisten Fällen kannten sie „einen Mann namens Boris oder „ein Mädchen namens Olga“, hatten Treffs mit Agenten an festen Stellen und zu festen Zeiten, wußten aber nicht die Adressen ihrer russischen Chefs.

Ein Polizeioffizier aus der nationalsozialistischen Zeit berichtet dazu: „Wir waren ziemlich erfolgreich bei der Zerschlagung der Maschinerie der deutschen Kommunisten; wir erfuhren alles über den AM-Apparat (Anti-Militärischer Apparat) und ähnliche Apparate, die wir dann zerschlugen. Aber es dauerte lange bis wir die Zusammenhänge im sowjetischen Netz begriffen. Wir ließen uns durch Decknamen verwirren, wir waren nicht einmal in der Lage, eine Person zu identifizieren; heute heißt sie Klara, morgen Frieda und in einem ganz anderen Stadtteil tauchte sie unter dem Namen Mizzi auf. Wir wußten oft nicht, was wir tun sollten

Zwischen März und Mai 19 3 3 ging die Polizei gegen einige der sowjetischen Institutionen vor, die als Tarnung für „Grete“ und „Klara“ dienten, konnte aber nichts entdecken was irgendwelche Bedeutung gehabt hätte. Ende März wurden die Büros des Ölsyndikats Derop in Düsseldorf, Köln, Cottbus, Kassel, München und Nürnberg durchsucht. Bei dieser Aktion wurden einige deutsche Angestellte verhaftet. Eine Woche darauf wurden die Leipziger Zweigstellen der sowjetischen Handelsvertretung und der Sowjetische Angestelltenklub in der gleichen Stadt durchsucht (die Immunitätsrechte galten nur für die Berliner Zentrale der Handelsvertretung). Am 26. April führte die Polizei eine zweite Razzia gegen Derop, der die Absetzung des leitenden Personals und die Einsetzung eines „Treuhänders“ folgte (rechtlich unterlag die Derop als Handelsgesellschaft dem deutschen Gesetz). Bei dieser Aktion wurden zwanzig deutsche kommunistische Angestellte verhaftet. Sowjetische Schiffe in deutschen Häfen wurden gründlich durchsucht. Weitere Razzien richteten sich gegen die Büros der Derutra (Deutsch-Russische Transportgesellschaft) in Hamburg und Stettin

In Moskau übermittelte Litwinow, Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, dem deutschen Botschafter einen Protest gegen die „unmenschliche Behandlung“ sowjetischer Angestellter in Deutschland, während die sowjetische Presse Deutschland vor Vergeltungsmaßnahmen warnte. Sa Industrialisatsiu (Für Industrialisierung) befürwortete „eine Änderung in unseren wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland, gleichgültig, wie wertvoll diese Beziehungen für beide Länder gewesen sein mögen“. Die Zeitschrift schlug vor, „die Einfuhren aus Frankreich, Schweden, Polen, der Tschechoslowakei und anderen Ländern zu steigern . . .“. Der sowjetische Botschafter in Berlin, Lew Chintschuk, legte beim Auswärtigen Amt Protest ein und wurde von Hitler persönlich empfangen. Die offizielle deutsche Haltung war versöhnlich: Die Polizeiaktion in Berlin sei eine rein innenpolitische Angelegenheit mit dem Ziel gewesen, die Dcrop von ihren kommunistischen Elementen zu säubern; die deutsche Regierung sei außerordentlich an der Aufrechterhaltung normaler Beziehungen zwischen Deutschland und Ruß-land interessiert und besonders an der Entwicklung des Rußlandhandels

Wie sich die Zukunft der deutsch-russischen Handelsbeziehungen auch gestalten mochten, der sowjetische Untergrundapparat in Deutschland konnte auf keinen Fall auf den alten Wegen und im alten Ausmaß weiter operieren.

Es konnte nicht lange dauern, bis die Gestapo einige Lehren begriff und versuchte, ihre Agenten in alle sowjetischen Institutionen einzuschleusen und einige harte Schläge gegen die empfindlichsten und wichtigsten Teile des Apparates auszuteilen. Die großen Tage von Berlin waren vorüber und ein Abbau wurde unerläßlich.

Moskau schickte „Bruno“ (Grünfeld) mit dem Auftrag, das ND-Netz zu reorganisieren, was in Wirklichkeit den Abbau teils durch Stilllegung, teils durch Abschaltung der Verbindungen bedeutete. Der eigentliche Zweck seines Auftrages war es, infizierte Glieder zu amputieren, Verdächtige auszuscheiden, Gefährdete zu versetzen und den Rest des schrumpfenden sowjetischen Apparates in Deutschland zu übernehmen. Unter den wachsamen Augen der deutschen Polizei war das keine leichte Aufgabe, aber Grünfeld konnte den Staatsorganen entgehen. Moskau war jedoch mit seinen Berichten unzufrieden (er verschwendete zuviel Geld in der „faschistischen Hauptstadt“) und entsandte sehr bald einen anderen Agenten, Dr. Gregor Rabinowitsch, einen hohen Beamten der GB, der die begonnene Arbeit zu Ende führen sollte. (Es handelt sich um den gleichen Dr. Rabinowitsch, der kurz darauf in die Vereinigten Staaten ging, um das Attentat auf Trotzky vorzubereiten, und der in Amerika als Leiter des Russischen Roten Kreuzes fungierte *).

Dr. Rabinowitschs Aufgabe in Berlin war nicht so sehr die Beschaffung von Informationen als vielmehr die Reorganisation des Apparates und die Überprüfung des Personals. Die Durchführung dieses Auftrages ist eine aufschlußreiche Episode, die wieder einmal die gesamte Struktur der sowjetischen Institutionen deutlich werden läßt: so wie die GB über allen anderen Institutionen stand, so stand sie auch über dem militärischen ND; die GB suchte das Personal aus, leitete den Aufbau geheimer ND-Stützpunkte ein und überwachte ihre Arbeit. Aus den Resten der alten Gruppen des militärischen ND, des Industriespionage-netzes und des BB-Apparates suchte sich Dr. Rabinowitsch ungefähr fünfundzwanzig Personen für „Klara“ (militärischer ND) heraus. Die Reorganisation wurde Anfang des Jahres 1936 abgeschlossen und selbst der Name BB wurde aus dem Vokabular gestrichen. Rabinowitsch verließ Deutschland, um kurze Zeit später in New York aufzutauchen ).

Nadi dem VII. Weltkongreß der Komintern berief die KPD im Herbst 193 5 den sogenannten „Brüsseler Parteitag“ nach Kuntsewo, einem kleinen Ort in der Nähe Moskaus. Der Vorwand, der Parteitag werde in Belgien abgehalten, wurde für notwendig erachtet, um den Vorwurf, alle kommunistische Politik werde in der sowjetischen Hauptstadt entschieden, entkräften zu können und jeden Konflikt mit der deutschen Regierung zu vermeiden. (Etwa um die gleiche Zeit wurde offiziell bekanntgegeben, der Kongreß der Kommunistischen Partei Chinas, der auch in der Nähe Moskaus abgehalten wurde, habe „irgendwo in China“ stattgefunden.) Die Mitglieder des KPD-Partei-tages waren mit den russischen Untergrundmethoden unzufrieden und beschlossen eine gründliche Reorganisation: Kippenbergers alter Apparat sollte aufgelöst und den neuen Gruppen, die im nationalsozialistischen Deutschland operierten, größere Selbständigkeit zugebilligt werden. Außerdem teilte der frühere GB-Chef Michail Trilisser dem Parteitag mit, daß alle Apparate der sowjetischen Massenspionage in Deutschland (die BB und andere) in Auflösung seien. Es schien, als habe die Richtung auf „Autonomie“ von der russischen Vorherrschaft den Sieg davongetragen.

Aber noch bevor der Parteitag zu Ende ging, begann Walter Ulbricht, der schärfer prorussisch ausgerichtet war als irgendein anderer Führer der deutschen Kommunisten, einen neuen Apparat für Moskau aufzuziehen. Ein Jahr nach Beendigung des Parteitages waren die alten Abhängigkeitsverhältnisse unter Druck von Moskau in Deutschland wieder hergestellt, wenn auch in geringerem Umfang. Die kommunistischen Emigrantenführer verschwanden einer nach dem anderen in den Kellern der GB. Hans Kippenberger, Moskaus prominentester und wertvollster Satellit, wurde beschuldigt, den Briten und Franzosen Informationen gegeben zu haben, und hingerichtet ) •. •)

In Deutschland blieb nur ein verhältnismäßig kleiner sowjetischer Apparat bestehen. Der größere Teil des Netzes war entweder abgeschaltet, stillgelegt oder ins Ausland verlegt worden. Die OMS war mit dem Westeuropäischen Büro der Komintern (WEB) nach Kopenhagen gegangen, der Paß-Apparat war ins Saargebiet abgewandert, der militärische ND hatte sich in Holland und Frankreich eingerichtet und die Parteiführung war teils nach Prag, teils nach Paris emigriert. Diese Gruppen begannen jedoch bald, sich an ihren neuen Aufenthaltsorten unbehaglich zu fühlen: das Saargebiet war ein bevorzugtes Operationsgebiet der nationalsozialistischen Spionage, Prag stand unter scharfem Druck von Berlin, und Kopenhagen und Amsterdam konnten im Kriegsfall in deutsche Hand fallen, bevor der sowjetische Apparat eine Möglichkeit des Abzugs hatte. Allmählich wurden Personen und Gruppen nach Frankreich verlegt. 1937 trafen Splitter der verschiedenen sowjetischen Gruppen in Paris zur „Neugruppierung zusammen. Die Leistungsfähigkeit des Apparates wurde dadurch nicht gesteigert.

Der Abstieg wurde zur Krise, als die Große Säuberung von 1937 die Veteranen des ND in Rußland und im Ausland zu vernichten begann. Die Ereignisse folgten einander auf dem Fuß: Ignaz Reiss wurde auf *) Louis Budenz, der in den Vereinigten Staaten eine Zeitlang mit Rabinowitsch zusammenarbeitete, gibt iolgende Beschreibung dieses prominenten GB-Mannes: „In seinen liefbraunen Augen lag Traurigkeit neben Intelligenz, und das beeindruckte mich unrrdttelbar. Seine hervorragend geschneiderten, aber sehr konservativen Anzüge unterstrichen die Stabilität und Solidität seiner Erscheinung. Er konnte leicht als ein soeben angekommener europäischer Geschäitsmann gelten — und diese Rolle sollte er ja auch spielen, wie ich später erfuhr." This Is My Story (New York und London, Whittlesey House, 1947), S. 254— 55. ") Ein früheres Mitglied des Apparates berichtet, daß Rabinowitsch vor seiner Ablahrt eine kleine Konferenz seiner führenden deutschen Stellvertreter einberief, die sich, um einer Beobachtung zu entgehen, in Kopenhagen trafen. Jeder von ihnen reiste auf einen nichtdeutschen Paß. Durch ihr etwas lautes und großspuriges Auftreten zogen sie die Aufmerksamkeit der dänischen Polizei auf sich, die sie verhaftete, durchsuchte und deutsches Geld, darunter sogenannte „Toiiristenmark", in ihrem Besitz fand. Die Polizei nahm daraufhin an, sie habe es mit „Valuta-Schiebern und einem Ring von Schwarzmarkthändlern zu tun. Die gesamte Gruppe wurde aus Dänemark ausgewiesen, jeder einzelne in das Land, dessen Bürger er laut Paß war. Kurze Zeit später trafen sie wieder in Deutschland ein. D-Akten, 336— 9.

••) Dies war eine der Standarderklärungen, wenn immer jemand, der Stalin gegenüber nicht loyal blieb oder von der stalinistischen Linie abwich, liquidiert werden mußte. Herbert Wehner, prominenter deutscher Kommunist der Dreißiger Jahre und jetzt eine der führenden Persönlichkeiten der SPD, hält es für wahrscheinlich, daß Kippenberger tatsächlich mit Zustimmung Moskaus mit britischen und französischen Diensten in Verbindung stand und daß er den Briten und Franzosen Informationen über die politische Entwicklung gab, um Verstecke zu sichern usw. Wehner selbst ging vom „Brüsseler Parteitag" als Mitglied des ZK der KPD in den Westen zurück und lebte während des Krieges in Schweden. 1942 ersuchte ein Mitglied des sowjetischen Konsulates in Stockholm Wehner um die Angabe der Adressen aller seiner Freunde in Berlin, die offensichtlich für Spionage-zwecke eingespannt werden sollten. Da eine solche Angabe fast mit Sicherheit ein Todesurteil für viele dieser Freunde bedeutet hätte, lehnte Wehner dieses Ersuchen ab. Einige Tage später wurde er von Sowjetagenten als „zweifelhafte Person" bei der schwedischen Polizei denunziert. Er wurde verhaftet, unter Ausschluß der Öffentlichkeit vor Gericht gestellt, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und erst im August 1944 entlassen. schweizerischem Gebiet ermordet, Alexander Orlow und Walter Krivitsky in Paris sprangen ab "), der aus London abberufene Militärattache Witow Putna wurde hingerichtet. Die Mehrzahl der besten ND-Agenten wurden aus dem Ausland nach Rußland zurückbeordert; nur wenige von ihnen kehrten je in den Westen zurück. Der Apparat war fast gelähmt. Dennoch konnte der sowjetische ND, selbst im trüben Dunkel dieser Jahre der Säuberung, auf dem deutschen Sektor einige glänzende Erfolge verzeichnen. Die Durchsetzung der deutschen Botschaften in Japan und Polen öffnete hochwichtige Informationsquellen. In Tokio hatte sich Richard Sorge in eine Stellung vorgearbeitet, von der aus er Moskau über die deutsche Politik, die deutsch-japanischen Beziehungen und insbesondere über die deutschen Kriegspläne informieren konnte. In Warschau konnte sich der sowjetische ND an den deutschen Botschaftsrat Rudolf von Scheliha heranmachen, einen nichtkommunistischen Karrierediplomaten, der zu einem bedeutenden Spion des klassischen Typs wurde. Scheliha gehörte einer alten schlesischen Adelsfamilie an, hatte als Offizier am Ersten Weltkrieg teilgenommen, dann die diplomatische Laufbahn eingeschlagen und seit 1929 in Warschau gedient, wo er sich allmählich zum Rang eines Botschaftsrates emporarbeitete. Sein Gehalt und das beträchtliche Einkommen seiner Frau reichten nicht aus, seine großen Ausgaben, Spielschulden und teure Liebesaffairen zu decken. In einem Augenblick finanzieller Schwierigkeiten begann er, diplomatische Geheimnisse an zwei Kunden zu verkaufen — London und Moskau. Ob der britische Intelligence Service oder der sowjetische ND als erster diese Quelle auftat, kann heute nicht mehr gesagt werden; es scheint jedoch, als seien die Sowjets zuerst auf der Bildfläche erschienen.

Mitte der dreißiger Jahre emigrierte der deutsche Journalist Rudolf Herrnstadt, ehemaliger Mitarbeiter des liberalen „Berliner Tageblatt"

und Freund des bekannten Chefredakteurs Theodor Wolff, nach Warschau. Unter Wolff hatte Herrnstadt als Korrespondent in Prag und Warschau gearbeitet, Moskau besucht und sich allmählich zu einem „Salonbolschewisten“ entwickelt, ein politischer Typ, der unter den Intellektuellen jener Zeit recht häufig anzutreffen war. Als das „Berliner Tageblatt“ 193 3 zur Änderung seiner Linie gezwungen wurde und seinen Mitarbeiterstab auswechseln mußte, lebte Herrnstadt als Journalist in Polen, wo er mit der sowjetischen Botschaft in Verbindung stand. Er hatte sich mit Scheliha angefreundet und als der Botschaftsrat sich über seine finanziellen Schwierigkeiten beklagte, schlug Herrnstadt ihm einen Handel mit einem sowjetischen Agenten in Warschau vor.

Der Handel kam zustande

Dieser Vorfall fiel in das Jahr 1937, das Jahr des Antikominternpaktes und der stetigen Annäherung zwischen Deutschland und Polen, die Göring veranlaßte, der polnischen Hauptstadt „Höflichkeits-und Jagdbesuche“ abzustatten. Der Zusammenarbeit auf diplomatischem Gebiet entsprach ein enger Kontakt der Polizeistellen beider Länder, besonders hinsichtlich der Spionageabwehr und antisowjetischer Maßnahmen. Scheliha belieferte unter dem Decknahmen „der Arier“ die Sowjets mit Informationen „über die deutsch-polnischen Verhandlungen in Warschau, den Drei-Mächte-Pakt, die erwartete Aufteilung kleinerer Nationen in der von Deutschland geführten Koalition usw. Moskau sah ein, daß man Schelhias Interesse an dem Geschäft nur durch ein gutes Gehalt wachhalten konnte und zahlte ihm im Februar 1938 eine Summe von 6 500 Dollar -eine für das Budget des sowjetischen ND ungewöhnlich hohe Summe.

Am Vorabend des deutsch-polnischen Krieges wurde Scheliha nach Berlin versetzt, wo er einen Posten im Auswärtigen Amt übernahm.

Auch hier hielt er seine Beziehungen zum sowjetischen Apparat aufrecht. Um die Verbindung zu erleichtern, empfahl Herrnstadt seine Freundin Ilse Stöbe, eine frühere Angestellte des Berliner Tageblatts, als Sekretärin an Scheliha. Anfang 1941 erhielt sie eine Anstellung im Auswärtigen Amt und die Zusammenarbeit zwischen Scheliha und dem sowjetischen ND bot nunmehr nicht die geringsten Schwierigkeiten.

Kurz vor Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges zahlte ihm die sowjetische Botschaft durch die Vermittlung Ilse Stöbes 300 000 Reichsmark. Die über mehrere Jahre laufende Zusammenarbeit sollte sich, wie noch ausgeführt wird, für beide verhängnisvoll erweisen.

Bisher hat sich die vorliegende Untersuchung mit den Auslands-organen der sowjetischen Zentrale nur in ihrer nachrichtendienstlichen Eigenschaft befaßt, während Sabotagetätigkeiten und Terroraktionen unberücksichtigt blieben. Ungefähr um das Jahr 1925 gelangte Stalin zu der Überzeugung, daß eine „zeitweilige Stabilisierung des Kapitalismus“ eingesetzt habe und „direkte Aktion“ und Revolution nicht mehr „unmittelbar bevorstünden“, worauf die technische Vorbereitung von Aufständen — Sabotageakte und Lagerung von Sprengstoffen und Waffen — hinter anderen Aufgaben zurücktreten mußte. Diese Situation änderte sich im Jahre 1930. Zuerst wurde das Auftauchen des neuen Regimes in Deutschland, dann der Ausbruch des Spanischen Bürgerkrieges von Moskau als Vorspiel zu einem Weltkrieg interpretiert und man erwartete, daß blutige Auseinandersetzungen den Kalten Krieg des vorangegangenen Jahrzehnts ablösen würden. Wie in den frühen zwanziger Jahren schienen auch jetzt wieder „Zersetzung“ und Terror die Antwort auf die Probleme zu sein. Noch bevor der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, verhalfen die Entwicklungen in Deutschland den terroristischen Neigungen einiger Übriggebliebener des alten deutschen Untergrund wieder zum Leben.

„Zersetzung“ wurde das Sprungbrett jener prominenten Gestalt des deutsch-sowjetischen Apparates, Ernst Wollweber, heute Staatssekretär für Staatssicherheit in der DDR. Die Geschichte Wollwebers, der 1917 als Seemann begann und 1932 Reichstagsmitglied wurde, ist bereits in einem früheren Abschnitt dargestellt worden Während der nationalsozialistischen Herrschaft arbeitete sich Wollweber als Untergrundagent gemischt deutsch-sowjetischer Apparate nach oben. In diesen Jahren war das Kraftzentrum der Seeleute und der wesentliche Schauplatz der Aktivität die ISH (Internationale Gewerkschaftsorganisation der Seeleute und Hafenarbeiter), eine Gewerkschaftsorganisation politischer Natur und mit ungewöhnlichen Zielen. In Moskaus Augen kam keine andere Gewerkschaftsorganisation der ISH an Bedeutung gleich, da im Falle eines Krieges die Internationale der Seeleute Truppen-und Waffentransporte gegen Rußland sabotieren, im Frieden aber durch einen Streik der Seeleute politischer Druck ausgeübt werden konnte.

Für die Übermittlung von geheimen Nachrichten und Spionageberichten oder für die Weiterleitung von Kurieren war die ISH lebenswichtig.

Nach Jean Valtin, einem ehemaligen Mitglied des „Politbüros“ der ISH war seine Gewerkschaft in Wirklichkeit nichts anderes als „eine maskierte Fortsetzung der Sektion Schiffahrt der Komintern . Sie erhielt in dieser Eigenschaft auch eine monatliche Zuwendung von 52 000 Dollar vom Sowjetischen Schiffahrtstrust (der Trust diente als Tarnung für das Westeuropäische Büro der Komintern). Die ISH hatte Zweig-verbände in 22 Ländern und 19 Kolonien, sie unterhielt 15 „politische Instrukteure“ und 47 internationale Klubs in verschiedenen Häfen. Vor 193 3 war Albert Walter, damals linientreu, heute als Exkommunist in Hamburg lebend, der Chef der ISH, hinter den Kulissen war jedoch Ernst Wollweber der starke Mann.

Nach der Machtergreifung wurde Wollweber nicht sofort flüchtig. Er versuchte vielmehr, den kommunistischen Untergrund aufrecht zu erhalten und umzugruppieren; dieser Versuch zeigte, wieviel Energie und Mut Wollweber besaß. Lange nachdem die höheren Parteiführer im Ausland sicheren Unterschlupf gefunden hatten und Hunderte der Unter-führer in das Gefängnis geworfen worden waren, reiste Wollweber noch immer durch das Land, um seine Genossen zu treffen und zu retten, was zu retten war. Obgleich er keinen großen Erfolg hatte, wuchs sein Ansehen in Moskau unermeßlich während dieser Monate, in denen einer nach dem anderen seiner Kollegen in die sowjetische Hauptstadt flüchtete.

Der damals erst 3 5jährige Wollweber hatte sich zu einem geschickten, wagemutigen und rücksichtslosen Untergrundführer entwickelt. Er sprach niemals auf öffentlichen Versammlungen und schrieb nie für die Presse. *) Die Tätigkeit und das tragische Ende von Ignaz Reiß und Walter Krivitsky verdienen eine eingehendere Darstellung. Ein demnächst erscheinendes Buch des Autors wird zwei längere Kapitel über ihr Schicksal enthalten. Er war brutal, ein schwerer Trinker, ein „Praktiker“ par excellence. Valtin erwähnt in seinen Erinnerungen, daß, wenn Wollweber sprach, „jedes Wort in einem langsamen mürrischen Knurren aus ihm herauszukommen schien. Er machte den Eindruck eines Mannes, der niemals in Eile ist, nicht die geringste Furcht kennt, den nichts überraschen kann und der sich selbst mit Absicht jegliche Illusion genommen hatte

Anfang 1934 kehrte Wollweber, der kurz vorher nach Moskau berufen worden war, mit neuen Aufträgen zurück: neben seinen Aufgaben als Mitglied des Westeuropäischen Büros der Komintern in Kopenhagen sollte er einen neuen Zersetzungsapparat (Z-Apparat) aufziehen, für den er Agenten aus der Seemannsinternationale zu gewinnen hatte, und der hauptsächlich in Deutschland und Japan, den potentiellen Feindländern der Sowjetunion, operieren sollte. Der Apparat durfte mit keiner kommunistischen Partei in Berührung k) *. ommen Seine Mitglieder durften keinerlei Mitgliedskarten von irgendeiner Zweigorganisation der Komintern besitzen, er durfte in gar keiner Weise, nicht einmal finanziell, mit der KPD Zusammenhängen. Der Apparat wurde von den „Zersetzungs“ -Abteilungen der sowjetischen Regierung unterstützt und finanziert.

Wollwebers Apparat („Wollwebers Liga“, wie er später in Skandinavien genannt wurde) bestand aus einer Gruppe von 20 bis 25 Mann, hauptsächlich Dänen, Norwegern, Schweden und einigen wenigen deutschen Kommunisten, die vom Chef selber sorgfältig ausgewählt worden waren. Zu den deutschen Kommunisten des Apparates gehörten Waldemar Verner (jetzt Chef der Volkspolizei See in der DDR), Heinrich Schramm, Karl Bargstädt, Adolf Baier, Rolf Hagge und einige andere. Die besondere Aufgabe der „Liga“ war die Sabotage der Achsenschiffahrt. Im Herbst 193 3 konnte die Rotterdamer Hafenpolizei zum ersten Male einen Wollweber-Agenten verhaften. Der Agent trug bei seiner Festnahme einen Sack mit Dynamit. Im folgenden Jahr wurde das italienische Schiff Felce im Golf von Taranto versenkt. Beim Untergang des japanischen Schiffes Tajiwa Marn, das aus Rotterdam ausgelaufen war, kamen 193 5 Informationen zutage, die auf Wollweber hindeuteten

Als Deutschland 1937 die Francotruppen in Spanien mit Kriegs-material zu beliefern begann, nahm Wollwebers „Zersetzungstätigkeit" einen erheblichen Aufschwung. Er hatte seine Aktion über die direkte deutsch-spanische Schiffahrt auf alle Frachtlinien auszudehnen, die Deutschland mit wichtigem Rüstungsmaterial versorgten. Kraftwerke in Schweden (aus dem Deutschland Eisenerze bezog) wurden gesprengt. In Hamburg wurde Wollweber von einer damals noch existierenden kommunistischen Gruppe, die aus ungefähr zwanzig Männern und Frauen bestand und von einem Dr. Michaelis geleitet wurde, unterstützt. Die Michaelis-Gruppe benachrichtigte. Wollweber über Einzelheiten der Schiffahrt, auslaufende Schiffe, Ladungen usw. Im Jahr 1937 wurde diese Gruppe verhaftet. Zwölf ihrer Mitglieder wurden hingerichtet Die Explosionen auf Schiffen nahmen ständig zu. Die übliche Methode war, eine Ladung deutschen Dynamits in der Bilge des Schiffes zwischen der Außenhaut des Rumpfes und der Ladung unterzubringen und den Zündungsmechanismus so einzustellen, daß die Dynamitladung erst explodierte, wenn das Schiff auf hoher See war. Explosionen erfolgten auf dem holländischen Schiff Westplein, dem japanischen Frachter Kazi Marn, dem deutschen Schiff Klans Böge, dem rumänischen Schiff Bessarabia, dem polnischen Dampfer Batory und vielen anderen; einige Schiffe wurden völlig zerstört. In gewissen Fällen wurde die Zündung so eingestellt, daß die Explosion erst erfolgte, wenn das Schiff die Holtenauer Schleusen oder den Kaiser-Wilhelm-Kanal erreicht hatte, so daß die Besatzung, unter denen einige Kommunisten waren, gerettet werden konnte. Am 10. Juni 1941 übermittelte Reinhard Heydrich an den Reichsführer SS Heinrich Himmler einen Bericht über die Tätigkeit der Wollweber-Gruppe. In diesem Bericht hieß es:

Die folgenden Sabotagefälle müssen auf die über ganz Europa verstreuten kommunistischen Terrorgruppen zurückgeführt werden:

16 deutsche Schiffe 3 italienische Schiffe 2 japanische Schiffe.

Die zwei besten dieser Schiffe wurden völlig zerstört. Die Verbrecher versuchten zunächst, die Schiffe durch Feuer zu zerstören, aber da diese Methode nicht immer einen Totalverlust garantierte, hatten sie seit kurzem mit Sprengstoff zu arbeiten begonnen . .. Sie hatten ihre Hauptstützpunkte in den Häfen Hamburg, Bremen, Danzig, Rotterdam, Amsterdam, Kopenhagen, Oslo, Reval und Riga.

Die in Holland, Belgien und Frankreich formierten Sabotagegruppen operierten unter der Leitung des holländischen Kommunisten Josef Rimbertus Schaap, Leiter des Inter-Club in Rotterdam. In Hamburg war ihm der ehemalige Führer des RFB, Karl Bargstädt, unmittelbar unterstellt, der für die technischen Fragen der Unternehmen verantwortlich war. Die für die Anschläge benötigten Sprengstoffe wurden als Erzsendungen getarnt aus Nordskandinavien geschickt. . . Einer der wichtigsten Sprengstoffkuriere war der Holländer Wilhelm Van Vreeswijk . . .

Ermittlungen der Polizei führten zur Verhaftung von 24 kommunistischen Terroristen, darunter des Leiters der holländischen Sabotagegruppe, Achille Beguin, und des Leiters der belgischen Gruppe, Alfons Fictels. Schaap wurde am 1. August 1940 von der dänischen Polizei in Kopenhagen verhaftet. . .

Wollweber organisierte Stützpunkte auf den Ostseeinseln Dagoe und Oesel. Seine Mitarbeiter sollten nur im Falle eines deutsch-sowjetischen Krieges oder im Falle einer Besetzung dieser Inseln durch deutsche Einheiten aktiv werden. Sabotageakte sollten in U-Boot Stützpunkten, auf Einsatzhäfen der Luftwaffe und in Öllagern durchgeführt werden

Wollwebers „Konspiration" arbeitete mit dem festen Grundsatz von jedem anderen Untergrundnetz unabhängig zu bleiben. Er vermied soweit wie möglich Kontakte mit anderen Apparaten und ersuchte andere Gruppen niemals um Hilfe bei der Beschaffung von Pässen oder Stellung von Kurieren. Er wollte seiner eigenen Gruppe eine besondere und eigenartige Autorität verschaffen.

„Wir besaßen eine große Auswahl falscher Pässe“, berichtet Ignatz Müller, einer von Wollwebers Mitarbeitern.

„Anfangs wurden diese Dokumente in Paris hergestellt. Mit der Vergrößerung des Apparates war dieses sehr umständlich und außerdem waren die Pässe nicht immer für die betreffenden die bestgewählten, so daß, wie in meinem Falle, ich die Dokumente für meine mir verantwortlichen Mitarbeiter selbst herstellte. Damit war zugleich der Kreis der Mitwisserschaft auf zwei Personen begrenzt.

Besprechungen wurden immer so gehalten, daß nie mehr als zwei respektive drei zusammen waren: der Chef mit mir und ein Mitarbeiter, den der Chef selbst kennenlernen wollte. Meine Aufträge bekam ich von Wollweber direkt, wozu ich, um ihn zu treffen, oft lange Reisen unternehmen mußte. Je nach Witterungsverhältnissen fanden diese Besprechungen in stundenlangen Spaziergängen außerhalb der Stadt, in Ausflugsorten etc. statt. Ebenfalls Berichte wurden meistens nur mündlich abgegeben und es wurde vermieden, so weit wie möglich, Papier und Tinte zu verarbeiten, d. h.der Chef hat sie alle in seinem Gehirn verarbeitet, um sie dementsprechend später wieder von sich zu geben. Meine Mitarbeiter bestanden aus aktiven Genossen und waren durchweg qualifizierte Facharbeiter und hatten sich durchweg im Spanischen Bürgerkrieg als sehr mutig und tapfer erwiesen. Um solch einen Arbeiter für eine Reise zu präparieren gab es oft Schweirigkeiten, sein Äußeres so zu gestalten, daß er nicht als Arbeiter im eleganten Anzug auffiel. *) Der schwedische Kommunistenführer Sven Lasse Linderoth, Mitglied des Riksdag, wurde jedoch in die Geheimnisse eingeweiht und spielte eine führende Rolle. Häufig mußten wir zur Beschaffung von Informationen nach Deutschland gehen. In solchen Fällen wurde der Reiseplan vorweg bis in alle Einzelheiten ausgearbeitet. Von jedem Ort, den wir erreichten, mußten wir eine Postkarte nach Dänemark schicken. Wenn diese Postkarte nicht fristgerecht eintraf, wußte man, daß dem auf der Reise befindlichen Mitglied der Gruppe etwas zugestoßen war und daß ein Ersatzmann geschickt werden mußte.

Sollte zum Beispiel eine illegale Reise von Norwegen nach Deutschland gemacht werden, so wurde der Betreffende von Norwegern-nach Dänemark überführt. Dort bekam er seine falschen Dokumente. Daraus war ersichtlich, daß er als Schweizer in Norwegen zu tun hatte und sich nunmehr auf der Rückreise über Dänemark, Deutschland in die Schweiz befand. Diese Rückreise unterbrach er in Deutschland, um seinen Auftrag durchzuführen (z. B. im Zusammenhang mit einem gewissen Schiff im Hafen). War er der deutschen Polizei ausgefallen, dann mußte er die festgelegte Reise unterbrechen und versuchen, ins Ausland zu entkommen oder wenigstens eine Postkarte mit verabredetem Text abzuschicken“

In einem später in Schweden veröffentlichten Zeitungsbericht heißt es:

Jedes Mitglied der Gruppe hatte wenigstens einen Decknamen und die Gruppe verfügte über zahlreiche Kontaktpersonen, geheime Verstecke und merkwürdige Methoden der Identifizierung. Briefe und Berichte wurden gewöhnlich mit unsichtbarer Tinte, Zitronen oder Zwicbelsaft, geschrieben. Es gab Instruktionen über Sabotage-und Sprengmethoden und die Herstellung von Zeitbomben und Minen. Die Agenten lernten verschiedene Kodes und jeder von ihnen wußte, daß „Fleisch“ und „Schweinebraten“ Dynamit bedeutete, daß eine Zeitbombe „Finnenmesser“, ein Mitglied „Fischschuppe“ hieß usw. Die Verkehrssprache war nicht immer elegant, aber klar und praktisch

Die Säuberungen in Moskau und das daraus entstandene Chaos lähmten Wollwebers Aktivität für ein halbes Jahr. Fünf Monate lang hatte er keine Verbindung mit Moskau, obwohl die letzte Order aus der sowjetischen Hauptstadt gelautet hatte, er solle seine „Zersetzungs" -Tätigkeit noch weiter steigern. „Ich hatte dazu eine ganze Reihe Aufträge und traf ernste Vorbereitungen für eine Übersiedlung. Alle meine Pläne konnten nicht durchgeführt werden, weil man uns wegen der Abhängung auch die materielle Grundlage nahm. Wir mußten den Apparat einschränken und abwarten, wie sich die Dinge entwickelten. Im fünften Monat war Wollweber sehr niedergeschlagen und wir mußten uns die Frage stellen, den Apparat zu liquidieren. Wir hatten zu dieser Zeit schon beträchtliche Schulden bei den verschiedenen Stellen. Wollweber sandte einen Mann nach Moskau, um näheres festzustellen. Um die Konspiration zu wahren, konnte er diesem Genossen seine wirklichen Verbindungen nicht mitteilen, aber verwies ihn an Dimitrow. Er sollte Dimitrow nur mitteilen, daß Wollweber anfrage, ob er liquidieren solle — ja oder nein. Dieser Genosse kam nach drei Tagen zurück und teilte mit, daß Dimitrow ihm nicht antworten konnte, er müßte sich schon noch einen Tag gedulden. Am nächsten Tag teilte man dem Genossen mit, daß er Wollweber sagen möchte, daß er seinen Apparat liquidieren soll. Wollweber teilte mir dieses mit und wir besprachen die einzelnen Maßnahmen, die wir treffen wollten. Aber noch am selben Abend wurde Wollweber angerufen, bekam seine ehemalige Verbindung, wo man ihm mitteilte, nicht zu liquidieren sondern weiterzuarbeiten. Der andere Genosse sollte nur glauben, daß wir nicht existierten

Bei der Besetzung Dänemarks und Norwegens durch deutsche Truppen im Frühjahr 1940 wurden zahlreiche Mitglieder des Wollwebernetzes verhaftet, von denen zwanzig im Juli 1941 wegen einundzwanzig Sabotageakten in Kopenhagen vor Gericht gestellt wurden. Seit Mai 1940 konnte nur das neutrale Schweden als Operationsbasis des Netzes benutzt werden. Die schwedischen Zweigstellen der „Wollweber-Liga" (in Stockholm und anderen Städten), die mit ihrer Aktivität 1938 begonnen hatten, arbeiteten bis zum August 1941 weiter, als ein Sprengstoffanschlag auf das finnische Schiff Figge, das in einem schwedischen Hafen lag, fehlschlug. Die bald darauf eingesetzten Verhaftungen machten der Aktivität der Gruppe ein Ende und zwar gerade zu einem Zeitpunkt, als sic wegen Ausbruch der Feindseligkeiten zwischen Deutschland und der Sowjetunion mehr denn je benötigt wurde. Verschiedene Mitglieder der „Liga“ legten Geständnisse ab und cs dauerte nicht lange, bis die allgemeine Organisation des Netzes enthüllt war. Eine große Anzahl seiner Mitglieder konnte jedoch entkommen.

Wollweber selbst wurde im Mai 1940 an der schwedischen Grenze festgenommen. Dies war die erste Verhaftung des Untergrundveteranen. Er wurde beschuldigt, mit einem gefälschten dänischen Paß auf den Namen „Fritz Köller", gereist zu sein, und zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Vor Ablauf der Strafe war jedoch seine schwedische Gruppe verhaftet worden und seine eigentliche Rolle wurde bekannt.

In einem Prozeß, in dem auch einige seiner deutschen und schwedischen Gehilfen mit ihm auf der Anklagebank saßen, wurde Wollweber zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die deutsche Reichsregierung verlangte seine Auslieferung und die schwedische Regierung erklärte sich bereit, ihn nach Verbüßung seiner Gefängnisstrafe den deutschen Behörden zu übergeben. Der Tod durch die Guillotine schien Wollweber sicher. Aber seine Protektoren in Moskau verfielen auf einen ihrer geschicktesten Tricks; die sowjetische Botschaft in Stockholm informierte die schwedischen Behörden, daß Wollweber ein sowjetischer Staatsbürger sei, sowjetische Staatsgelder unterschlagen habe und von den sowjetischen Justizbehörden gesucht werde. Die Sowjetunion verlange seine Auslieferung. Ob der schwedische Justizminister diese Behauptung glaubte oder nicht, jedenfalls handelte er danach und im November 1944 bestieg Wollweber, der erfolgreichste und rücksichtsloseste kommunistische Terrorist, ein Flugzeug nach Moskau, wo er mit Belohnungen überschüttet wurde. Sein nächster und streng geheimer Auftrag führte ihn in das neue sowjetische Herrschaftsgebiet, die spätere „DDR .

7. Der Hitler-Stalin-Pakt

Während der Ära des Hitler-Stalin-Paktes vom 23. August 1939 bis zum 21. Juni 1941 gab es keine klare Linie für das Verhalten des sowjetischen ND gegenüber Deutschland. Einerseits wünschte man freundliche Beziehungen mit der Reichsregierung in Berlin aufrechtzuerhalten; andererseits fiel nichts dem Regime Stalins schwerer, als sich der ND-

Operationen und der Beschaffung geheimer Informationen im befreundeten Deutschland zu enthalten. Aber die deutsch-sowjetische Freundschaft dauerte nur kurze Zeit, sowohl auf der diplomatischen Ebene der Botschafter und Botschaftsräte wie in dem unterirdischen Bereich der Spione und Geheimagenten.

Nach dem Zusammenbruch Frankreichs im Sommer 1940 begannen sich die deutsch-sowjetischen Beziehungen zu verschlechtern. Mit jeder weiteren Abkühlung wuchs die Spionagetätigkeit des sowjetischen Nachrichtendienstes. Nach dem Ende der großen Säuberung, dem Sturz Jeschow’s und der Ernennung Berijas zum Chef der NKWD wurden zwei von Berija’s neuen, aber schnell sich emporarbeitenden Gehilfen nach Berlin abgestellt — Wladimir Dckanosow, Chef der Informationsabteilung des NKWD, ging als Botschafter und Bogdan Kobulow als Botschaftsrat an die sowjetische diplomatische Vertretung in Berlin. Beide stammten wie Berija aus Georgien. Die Geschichte dieser drei Männer war in den folgenden dreizehn Jahren eng miteinander verknüpft und endete mit ihrer Hinrichtung im Dezember 195 3.

Dekanosow kam als sowjetischer Botschafter im November 1940 nach Berlin, als der „Barbarossa-Plan" praktisch bereits fertig ausgearbeitet war. Der Zeitpunkt des Angriffs auf Rußland war für das Frühjahr des folgenden Jahres festgesetzt worden. Im Gegensatz zu seinem bescheidenen und zurückhaltenden Vorgänger Schkwartsew gab Dekanosow große Empfänge in der Berliner Botschaft und führte ein „offizielles Gesellschaftsleben“ großen Stils, um sich Verbindungen zu schaffen. Der junge Botschaftsrat Wladimir Semjonow (heute stellvertretender Außenminister) gehörte bei diesen Empfängen zu den Gastgebern. Botschaftsrat Kobulow, ein gewandter und lebhafter Mann — „der Typ des asiatischen Politikers“, wie die Deutschen ihn nannten — machte sich mit Persönlichkeiten in der deutschen Reichsregierung bekannt. Er wurde gemeinsam mit fünf TASS-Korrespondenten eingeladen, eine Gruppe auf einer halbamtlichen Reise in die besetzten Gebiete Westeuropas und der Tschechoslowakei zu begleiten. Die deutschen Gastgeber merkten erst nach Ende der Reise, daß sie eine sowjetische NKWD-Expedition eingeladen hatten. Kobulow, der diplomatische Immunität genoß, richtete in seiner Wohnung eine Spionagezentrale ein und versuchte, unter den in Berlin ansässigen Ausländskorrespondenten Mitarbeiter zu finden. Er dehnte sein Netz bis in die von Deutschland besetzten Gebiete Polens und der Tschechoslowakei aus. Nadi einem Bericht Heydrichs wurden von der Polizei dieser Länder zwölf Geheim-sender entdeckt, die von Agenten der sowjetischen Botschaft in Berlin und dem sowjetischen Konsul in Prag aufgestellt worden waren. Bei dieser Aktion wurden sechzig Personen verhaftet.

In Berlin wurde Kobulow. von dem sowjetischen Militärattache, Tupikow, und dessen Gehilfen, Oberst Skorniakow, unterstützt. Der Leiter des Berliner Intourist-Büros, Schachanow, stand ebenfalls mit Kobulow in Verbindung. Weitere GB-Leute waren der Botschaftsattache Lewrow und Tarasow vom Büro der TASS. Ein in der Botschaft unter dem Decknamen „Alexander Erdberg“ arbeitender ND-Agent verschaffte den Führern der zukünftigen „Roten Kapelle“ Sende-und Empfangsgeräte und erhielt dafür ihre Zusicherung einer Zusammenarbeit im Kriegsfälle (Spannungsnetz). Die Entwicklung dieses wichtigen Netzes nach dem Juni 1941 wird in einem späteren Kapitel eingehend dargestellt.

Vitold Pakulat, ein Litauer deutscher Abstammung, wurde nach der Besetzung Litauens durch sowjetische Truppen als Spion nach Deutschland entsandt. Er hatte den Auftrag, einen Geheimsender aufzustellen und eine Absteige für „illegale“ Sowjetagenten einzurichten. Nach seiner Ankunft in Berlin setzte sich Pakulat mit der sowjetischen Botschaft und zugleich mit der deutschen Abwehr in Verbindung. Auf sowjetische Anweisung mietete er eine Wohnung, in der ein starker Sender aufgestellt wurde. Er kaufte ein kleines Hotel, in dem Sowjetagenten, die über Berlin kamen, absteigen konnten, unterrichtete aber die deutsche Polizei von all seinen Schritten. Seine sowjetischen Vorgesetzten wiesen ihn an, Kontakt mit Facharbeitern in den Rüstungswerken aufzunehmen und entsprechende Informationen zu beschaffen. Er sollte „Briefkästen“ an geheimen Stellen einrichten, wo Briefe und Dokumente für andere Agenten aufbewahrt werden konnten. Pakulat bediente sich dabei eines Ingenieurs von Siemens (der ihm ebenfalls von der deutschen Polizei gestellt wurde). Seinen sowjetischen Vorgesetzten meldete Pakulat, er habe einen Ring von sechzig zuverlässigen Deutschen organisiert und ihnen den Auftrag gegeben, strategisch wichtige Teile deutscher Städte (öffenbar als mögliche Bombenziele) zu benennen usw.

Eine weitere sowjetische Funkstelle wurde nach Heydrichs Bericht in Danzig eingerichtet, der ein Ring von Quellen angeschlossen war, die über politische und wirtschaftliche Fragen Bericht erstatteten. Die deutsche Polizei wunderte sich über die häufigen Reisen, die ein „Funkexperte der sowjetischen Botschaft“, den sie beschattete, in die Ostsee-häfen unternahm. Bald darauf verrieten zwei Mitglieder des Danziger Rings diese Funkstelle an die deutsche Polizei, die den Sender aushob. Heydrich schließt seinen Bericht mit der Feststellung, daß „man die Aufzählung dieser Zwischenfälle unbegrenzt fortführen könne.“

Im April 1941 bestätigte ein tschechischer Agent der GRU namens Schkwor einen Bericht, demzufolge die Deutschen Truppenverbände an der sowjetischen Grenze bereitstellten. In dem Bericht hieß es weiter, die Skoda-Waffenwerke in der Tschechoslowakei seien von Berlin angewiesen worden, sowjetische Aufträge nicht mehr auszuführen. Dieser Bericht wurde dem Polit-Büro und natürlich auch Stalin vorgelegt.

Ismail Achmedow bezeugt, daß Stalin seine Entscheidung mit roter Tinte niederschrieb: „Diese Information ist eine englische Provokation. Herausfinden, von wem diese Provokation stammt, und ihn bestrafen“.

Major Ismail Achmedow, Chef der Vierten Sektion der GRLI (Spionage Neue Waffen) wurde, um den Schuldigen ausfindig zu machen, nach Deutschland abgestellt, wo er zu der umfangreichen Gruppe der „Residenten“ der GB und der GRLI stieß. Achmedow reiste unter dem Namen Georgij Nikolajew und in der Tarnung eines TASS-Korrespondenten nach Berlin. ... Ich traf (lautete seine spätere Aussage) Ende Mai 1941 in Deutschland ein. Am Sonnabend, dem 21. Juni 1941, erreichte uns eine neue Meldung, daß die Deutschen am folgenden Tag, also Sonntag, den 22. Juni 1941, der Sowjetunion den Krieg erklären würden. Diese Meldung wurde unverzüglich an die Moskauer Zentrale weitergeleitet und auch Dekanosow vorgelegt, der damals sowjetischer Botschafter in Berlin war . . . Dekanosow, die rechte Hand Stalins, glaubte immer noch nicht an diese Meldung. Wir wurden angewiesen, das Ganze zu vergessen und am nächsten Tage zu einem Picknick zu gehen. Dieses Picknick fand nie statt, denn um drei LIhr früh wurde Dekanosow zu Ribbentrop gerufen, der ihm die Note mit der deutschen Kriegserklärung übererichte *

In den Jahren 1939— 41 erschloß sich dem sowjetischen ND in Deutschland ein einzigartiges und fast unerschöpfliches Reservoir an Menschenmaterial -die „Rückwanderer“ aus dem Osten. Eine Reihe von Abmachungen, die aus den deutsch-russischen Paktverhandlungen vom August 1939 hervorgegangen waren, sahen einen Bevölkerungsaustausch vor: Volksdeutsche aus den baltischen Staaten, Polen und anderen Gebieten des Ostens sollten nach Deutschland und Österreich, russische Bevölkerungsteile nach dem Osten umgesiedelt werden. Das Llnternehmen begann Ende 19 39, lief das ganze folgende Jahr hindurch und war nahezu abgeschlossen, als der Krieg ausbrach. Auf russischer Seite war die GB das ausführende Organ. Im Verlauf dieses Unterneh-mens wurde ungefähr eine halbe Million Volksdeutscher nach Deutsch-land gebracht.

Die GB machte sich allerdings zunächst keine Vorstellung von den Schwierigkeiten, die bei einem solch gewaltigen Spionageprojekt auftreten mußten. Wie sollte man jemanden, der Rußland für immer verließ, dazu bringen, Verbindungen mit den russischen Behörden aufrechtzuerhalten und für sie Spionage zu betreiben? In manchen Fällen versprach die GB beträchtliche Entlohnungen, in anderen versuchte sie es mit Einschüchterungen. Mitunter drohte sie, die Auswanderung zu verhindern; dann wieder, und diese Fälle waren nicht selten, drohte sie, zurückgebliebene Verwandte für die Führung der neugeworbenen Agenten verantwortlich zu machen. Nach deutscher Darstellung versuchte die GB in fünfzig Prozent der Fälle, die Rückwanderer zur Spionage zu pressen. Selbst wenn diese Schätzung übertrieben sein sollte, so blieb doch noch immer eine Aktion von ungeheurem Ausmaß. Alle verfügbaren Darstellungen und Berichte lassen darauf schließen, daß die Beamten der GB, die bei der Anwerbung von Geheimagenten im Heimat-gebiet nie auf Schwierigkeiten gestoßen waren, von den Bedingungen im Ausland dagegen offenbar keine rechte Vorstellung hatten, ihre Macht überschätzten und naiverweise glaubten, die Volksdeutschen würden ihrer Verpflichtung nachkommen *) Nach Ausbruch des Krieges wurde Achmedow von Berlin nach Ankara versetzt, um in der neutralen Türkei die sowjetische Spionage, hauptsächlich gegen Deutschland, zu organisieren. Er wurde Im Mai 1942 nach Moskau zurückgerufen, kam dem Befehl aber nicht nach, sondern desertierte aus den sowjetischen Diensten und blieb acht Jahre in der Türkei. Er fand den Weg zum Islam zurück, nahm den türkischen Namen Ege an und widmete sich ganz dem Kampf gegen den Kommunismus. Im Oktober sagte Achmedow-Ege vor dem amerikanischen Senatsunterausschuß für Innere Sicherheit (Internal Securiy Subcomittee of the United States Senate) aus und lieferte einige interessante und wesentliche Beiträge zu unserer Kenntnis der sowjetischen ND-Arbeit. Tatsächlich verpflichteten sich Hunderte von Rückwanderern vor ihrer Abreise aus Rußland, für den sowjetischen ND zu arbeiten Bei ihrer Ankunft in Deutschland liefen sie, voller Angst über ihre Rolle als sowjetische Spione, zu den Behörden, um Meldung zu erstatten und sich von jedem Verdacht zu befreien. Beim Ausbruch des Krieges dienten ihre Berichte als eindrucksvolle antisowjetische Propaganda 68).

Ob jeder von der GB angeworbene deutsche Spion sich an die deutsche Polizei wandte, kann natürlich nicht festgestellt werden. Bezeichnend ist jedoch, daß unter den Hunderten von sowjetischen ND-Agenten, die in Deutschland oder den von ihm besetzten Gebieten während des Krieges gefaßt wurden, oder unter jenen Sowjetagenten, von denen man weiß, daß sie einer Verhaftung oder dem Gefängnis entgehen konnten, nicht ein einziger Deutscher war, der „Heim ins Reich" schrie. Politik und Zeitgeschichte AUS DEM INHALT UNSERER NÄCHSTEN BEILAGEN:

Walter A. Berendsohn: „Thomas Mann und das Dritte Reich" „Probleme der Emigration aus dem Dritten Reich"

J. M. Bochenski: „Die kommunistische Ideologie und die Würde, Freiheit und Gleichheit des Menschen im Sinne des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949"

David J. Dallin: „Die Sowjetspionage"

Roland Klaus: . Nicht gestern, Freund, morgen!"

Edgar Kupfer: „Strafkompagnie Dachau"

Jürgen Rühle: „Die Kulturpolitik der SBZ"

Hans Wenke: „Die Erziehung im Kreuzfeuer der öffentlichen Meinung"

Richard Wolff: „Der Reichstagsbrand 1933, ein Forschungsbericht" • • • „Urkunden zur Judenpolitik des Dritten Reiches"

Fussnoten

Fußnoten

  1. Walter Nicolai, Geheime Mächte (Leipzig, 1923), S. 24, 30, 149.

  2. Ruth Fischer, Stalin und der deutsche Kommunismus (Verlag der Frankfurter Hefte, Frankfurt am Main 1948), S. 388.

  3. W. G. Krivitsky, Ich war in Stalins Dienst! (Allert de Lange, Amsterdam, 1940),

  4. a. a. O., S. 63.

  5. Bayerische Staatszeitung, 15. April 1931.

  6. D-Akten, Dd. 87.

  7. Erklärung von Ypsilon, D-Akten. XYZ 93 a.

  8. Frankfurter Zeitung, 7. und 22. 5. 1924; Vossische Zeitung (Berlin), 24. 7. 1924.

  9. Walter Zeutschei, Im Dienst der kommunistischen Terror-Organisation (TschekaArbeit in Deutschland) (Berlin 1931), S. 87-90. Zeutschei war einer der Führer der deutschen „Tscheka“.

  10. D-Akten, b 379, 380.

  11. D-Akten, b 266.

  12. D-Akten, b 370— 1.

  13. Koestler, Die Geheimschrift, S. 13.

  14. a. a. O.

  15. Hans Reiners in den D-Akten, b 371— 2.

  16. Ulianowa, Rabkorowskoje Dwishenije Sagranitsei, S. 16, 23.

  17. Erich Wollenberg, Der Apparat (Bonn, 1952), S. 11).

  18. Erklärung von Anton Lehmann, D-Akten, XYZ 83.

  19. D-Akten, XYZ 82— 5.

  20. Erich Wollenberg, Der Apparat, S. 29; D-Akten, Di 28 f.

  21. D-Akten, Di 28 g.

  22. D-Akten, b 316.

  23. D-Akten, b 317.

  24. D-Aktcn, b 278— 318, 320, 321

  25. D-Akten b 317— 18.

  26. Wosroshdenije (Paris), 24. Jan. 1932.

  27. Ypsilon, Pattern for World Power (Chicago—New York, Ziff-Davis, 1947). S. 165 und D-Akten, Dd. 121.

  28. D-Akten, Dd. 19, 22, 29, 30, 32, 37— 8, 70, 71, 78, 101.

  29. Archive des IG-Farbenwerkes Leverkusen, in den D-Akten, Da. 4 h—j.

  30. The Times (London), 8. Juni 1928; Berliner Tageblatt und Deutsche Allgemeine Zeitung (Berlin), 8. Juni 1928.

  31. Berliner Tageblatt, 24. Dezember 1930; Frankfurter Zeitung, 17. Oktober 1930, 25. Marz 1931.

  32. Berliner Tageblatt, 24. Dez. 1930; Frankfurter Zeitung, 24. und 25. Dez. 1930.

  33. Frankfurter Zeitung, 20. Jan. 1931.

  34. Archive des IG-Farbenwerkes Leverkusen, in den D-Akten, De. 28 b.

  35. a. a. O. D-Akten, Dc. 22 a.

  36. a. a. O. D-Akten, Dc. 21 b, 38 g.

  37. D-Akten, Dd. 8 8.

  38. D-Akten, Dd. 88, 9.

  39. Frankfurter Zeitung, 10. Jan. 1932.

  40. WTB, 14. April 1931; Frankfurter Zeitung, 15. April 1931: Bayerische Staats-zeitung, 15. April 1931.

  41. Bayerische Staatszeitung, 15. April 1931.

  42. D-Akten, Di. 52.

  43. The Times (London), 19. Dez. 1931; Frankfurter Zeitung, 19. Dez. 1931; Archive des IG-Farbenwerkes Leverkusen, in den D-Akten, Db. 15 c.

  44. D-Akten, Di. 53.

  45. Reichsgesetzblatt (Berlin), Pt. I, 1932, Nr. 15. herausgegeben in Berlin am 10. März 1932.

  46. Aus der Urteilsbegründung des Reichsgerichts vom 29. Okt. 1932. Archive des IG-Farbenwerkes Leverkusen, in den D-Akten, Dc. 38 a—g, Db. 42, 43.

  47. Berliner Tageblatt, 12. Juli 1928.

  48. The Times (London), 25. Nov. 1929; Frankfurter Zeitung, 25. Nov. 1929.

  49. The Times (London), 24. April 1931; Vossische Zeitung und Deutsche Allgemeine Zeitung, 25. April 1931; Frankfurter Zeitung, 25. April 1931; Poslednija Nowosti, 31. Dez. 1931.

  50. Archive des IG-Farbenwerkes Leverkusen, Abschrift des Gerichtsprotokolls, in den D-Akten, De. 6 a—i.

  51. Hans Peters in den D-Akten, b 270.

  52. Iswestija (Moskau), 29. März, 2. -6., 14., 16., 26., 29., 30. April, 8., 11., 16. Mai 1933.

  53. Vossische Zeitung, 29. April 1933.

  54. Gestapobericht, 21. Dez. 1942.

  55. D-Akten, b 341.

  56. Jan Valtin, Out of the Night, S. 355 ff.

  57. a. a. O., S. 232.

  58. Morgon-Tidningen (Stockholm), 9. Okt. 1948; Münchener Illustrierte, 1951; Die Weltwoche (Zürich), 9. Juli 1954.

  59. D-Akten, b 46— 8.

  60. Rapport du Ministere de 1‘interieur du Reich et du Chef de la Police Allemande (Paris 1941), S. 84— 6.

  61. Ignatz Müller, „The Wollweber League" (unveröffentlicht), D-Akten, Di. 37 ff.

  62. Bo Hansen, „It Happened Here", Industria, Nr. 5, Stockholm 1952.

  63. Müller, „The Wollweber League", D-Akten, Di. 371— 3.

  64. Aussage des Ismail Ege, 28. Okt. 195 3. Hearings before the International Security Subcommittee of the Senate Committee on the Judiciary, Interlocking Subversion in Government Departments, S. 1006.

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