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Wladyslaw Gomulka und die polnischen Kommunisten | APuZ 47/1956 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 47/1956 Wladyslaw Gomulka und die polnischen Kommunisten

Wladyslaw Gomulka und die polnischen Kommunisten

ALFRED BURMEISTER

Der folgende Beitrag wurde einem in Vorbereitung befindlichen Buche, das demnächst im Verlag für Politik und Wirtschaft, Köln, erscheinen wird, mit freundlicher Genehmigung des Autoren wie des Verlages entnommen.

Der Weg der polnischen Kommunisten zur Macht

Silvesternacht 1943/44. In der Twardastraße Nr. 22 in Warschau, in der Wohnung des als Sattlermeister gemeldeten Czeslaw Blicharski, findet eine außergewöhnliche Silvesterfeier statt. Die Fenster sind dicht verhängt, die Fußböden mit dicken Teppichen bedeckt. In der Nähe des Hauses halten scheinbar harmlose Passanten Wache.

Etwa zwanzig Männer kommen in Abständen, einer nach dem anderen in die Wohnung Blicharskis. Sie trafen sich in vier verschiedenen Teilen der Stadt, an verschiedenen Treffpunkten, und außer zwei Verbindungsleuten wußte niemand vorher, wo man zusammenkommen würde. Der Plan der wichtigen konspirativen Sitzung durfte auf keinen Fall der Gestapo bekannt werden: es ist die Sitzung, in der der Vorläufer der künftigen neuen polnischen Regierung konstituiert werden soll — einer Regierung, die im Gegensatz zu der bestehenden polnischen Exilregierung in London, die Unterstützung der Sowjets genießen wird.

Hastig sprechen die Männer an der Tür ein Losungswort und nennen dann, ehe sie sich an die im Halbkreis aufgestellten Tische setzen, ihre Decknamen: „Janowski", „Artur“, „Rola“, „Marek“ ... Die Gruppe der Leute, die an die Schaffung der zukünftigen polnischen Staatsmacht geht, ist klein und im Volk so gut wie unbekannt. „Marek“ kam als erster. Sein wirklicher Name ist Marian Spychalski, von Beruf Architekt. Vor dem Krieg hat er für ein Projekt zur städtebaulichen Rekonstruktion Warschaus in Paris einen Preis bekommen. Aber dann kam die Septemberniederlage Polens 1939. Spychalski wurde Widerstandskämpfer und gründete zusammen mit Freunden die Untergrundgruppen der sogenannten „Volksgarde“. Die Partisanen seiner kleinen, aber festgefügten Abteilungen sind in der letzten Zeit immer häufiger in Erscheinung getreten, aber noch kann natürlich keine Rede davon sein, daß sie der großen polnischen Untergrund-organisation „Heimatarmee“ („AK“) Konkurrenz machen können. Es ist die Hoffnung Spychalskis, daß er jetzt, da sich die sowjetischen Truppen den Grenzen Polens nähern, bald mit der Roten Armee gegen die Deutschen kämpfen wird.

Die Beratung wurde unter der tätigen Mithilfe „Mareks“ vorbereitet, er hat ihren Schutz übernommen. Abwechselnd mit dem Wohnungsinhaber hütet er die Tür.

„Janowski“, der die Sitzung eröffnet, betrat die Wohnung gleich nach „Marek“. Boleslaw Bierut, der sich unter diesem Namen verbirgt, ist noch nicht lange wieder in Warschau. Niemand weiß recht, wie er herkam, wahrscheinlich hat man ihn im Flugzeug aus der Sowjetunion gebracht und hinter der deutschen Front mit dem Fallschirm abgesetzt, denn er war noch vor kurzem in der UdSSR. Die Beratung erfüllt Bierut mit Erregung und Freude. Es ist lange her, seit der alte KP-Funktionär richtig politisch tätig war. Vor dem Krieg war er im Auftrage der. Partei in der Genossenschaftsbewegung, wurde verhaftet, und erst der Ausbrudi des Krieges 1939 befreite ihn aus dem polnischen Gefängnis. Er floh auf die sowjetische Seite seiner zwischen Stalin und Hitler geteilten Heimat und wurde dann in der UdSSR so gut wie verbannt. In Minsk durfte er schließlich ein winziges Provinzblättchen mitredigieren. Dabei hatte er noch Glück — auch 1939 waren noch viele seiner Genossen von der NKWD eingesperrt oder zur schweren Arbeit in entlegene Gebiete Rußlands deportiert worden. Die Russen trauten selbst den polnischen Kommunisten nicht.

Lind wenn er 1937 in Moskau statt im Gefängnis in Rawicz gewesen wäre, dann hätte er weder heute, noch jemals wieder eine Versammlung leiten können. Ein Schatten zieht über „Janowskis“ Gesicht, während er aufmerksam die Anwesenden betrachtet — ja, das hätten die „Alten“ noch erleben sollen: die Neugründung der Partei, die Perspektive einer kommunistischen Regierung in Polen! Es ist wirklich unfaßlich, warum die NKWD sie vernichten mußte. Nun ja, das war die furchtbare Zeit der Säuberung — mit einer Handbewegung wischt er die düstere Erinnerung fort. „Bürger“ Bierut räuspert sich — das Wort „Genossen" ist hier nicht am Platz, man wird es vielleicht überhaupt vergessen müssen — Bürger, Mitglieder des Nationalrates! Ich begrüße Euch im Namen der Polnischen Arbeiterpartei!

Es ist die Polnische Arbeiterpartei, die diese Beratung einberufen hat, um einen „Polnischen Nationalrat“ zu schaffen. Die Gründung wurde bereits vor vierzehn Tagen in einem „Manifest“ angekündigt, das die Partei verbreitete. Aufgaben und Ziele des künftigen Nationalrates wurden dort im einzelnen erläutert. Sie sind von „Wieslaw" — Wladyslaw Gomulka — ausgearbeitet und vom Zentralkomitee der Polnischen Arbeiterpartei (PPR) mit einigen unwichtigen Korrekturen bestätigt worden. „Wieslaw“ ist seit einigen Wochen erster Sekretär der PPR. Er trat an die Stelle des von der Gestapo verhafteten Pawel Finder, der zusammen mit Marcelli Nowotko die Partei Anfang 1942 gegründet hat. Schon am Ende des ersten Jahres war Nowotko von Unbekannten, wahrscheinlich Gestapoagenten, umgebracht worden.

Gomulka war nur kurz auf der sowjetischen Seite, in Lemberg, er tauchte unter, als die Deutschen auch diese Gebiete einnahmen. Später ging er nach Rzeszow und anderen Städten, blieb aber innerhalb des „Generalgouvernements". Auch Gomulka war 1937 im Gefängnis. 1939 durch den Kriegsausbruch befreit, nahm er aktiv an der Verteidigung Warschaus gegen die deutschen Truppen teil. Er genießt unter den Arbeitern eine gewisse Autorität, und selbst Mitglieder der Polnischen Sozialistischen Partei sind eher bereit, mit ihm als mit anderen Kommunisten zu sprechen. Noch vor Abfassung des Manifestes hat er das Zentralkomitee der Partei veranlaßt, Briefe an die Polnische Sozialistische Arbeiterpartei und an den Vorstand der Bauernpartei zu richten und sie aufzufordern, sich an der Gründung des „Nationalrates" zu beteiligen.

Sie haben natürlich nicht reagiert. Das Manifest ist ohne ihre Unterschrift veröffentlicht worden und die Beratung findet ohne sie statt. Bierut ist darüber weniger entsetzt als Gomulka. Er hat genug sowjetische Erfahrung hinter sich, um zu wissen, was die Macht bedeutet. Und diese Macht — das weiß er — ist nicht mehr weit.

Da Gomulka nicht zu der Beratung kommen konnte, schickte er einen Brief. Bierut läßt ihn jetzt verlesen — er enthält dieselben Gedanken wie das Manifest. Sie sollen zum Programm des Nationalrates werden. „Die erste Aufgabe, die der jetzige Augeublid^ uns auferlegt, ist die Schaffung einer solchen Volksvertretung, die Polen aus dem Zustand der Isolierung und Vereinsamung hinausführt und uns mit engen Banden der Freundschaft und Zusammenarbeit mit allen Völkern verbindet, die gegen den barbarischen Feind kämpfen. Der Polnische Nationalrat, der von den demokratischen Unabhängigkeitsorganisationen, Grupen und Vereinigungen Polens geschaffen wird, die gegen die Besatzungsmacht kämpfen, vertritt die Interessen und Forderungen der breiten Massen des polnischen Volkes und wird die Linie einschlagen, die vom staatlichen Interesse Polens diktiert ist."

Die „demokratischen Unabhängigkeitsorganisationen", die das Manifest unterschrieben und deren Vertreter heute hier sind, haben sonderbare Namen: „Komitee der Volksinitiative“, „Gruppe sozialistischer Politiker“, „Gruppe von Politikern aus der Bauernpartei und aus den Bauernbataillonen", „Vertreter der Untergrundgewerkschaften“, .. Gruppe parteiloser Demokraten", „Vertreter der freien Berufe, Ärzte, Lehrer, Architekten“ usw. Einem Kind ist, wenn es diese Bezeichnungen liest, klar, daß es sich um keine Organisationen handeln kann. Aber das hindert „Janowski" nicht, die „Teilnahme der Vertreter der grundlegenden politischen Gruppierungen des Landes an den Beratungen des KRN" zu feiern und mit altem Schwung auszurufen: „Wir müssen ein für allemal den reaktionären Bankrotteuren die Möglichkeit nehmen, das Regierungssteuer an sich zu reiflen und im Namen des Volkes aufzutreten.“

Das ist der Grundton der Silvesterberatung — die polnische Exilregierung in London will die frühere Politik Polens fortführen, sie will sich weiter auf die Theorie stützen, daß Polen zwei Feinde habe: die Deutschen und die Russen, sie will nicht nur gegen Hitler, sondern auch gegen die UdSSR kämpfen. Das war die Ursache aller polnischen Niederlagen und wird auch jetzt wieder Polen zum völligen Bankrott führen. Um die staatliche Existenz Polens zu retten, müsse man jetzt sofort Schritte unternehmen, um die Beziehungen zur Sowjetunion, die durch Schuld der Londoner Exilregierung abgebrochen wurden, wieder aufzunehmen.

Es ist keine leichte Aufgabe. Die Aufnahme dieser Beziehungen setzt voraus, daß die Versammlung in der Twardastraße den polnischen Verzicht auf Lemberg, Stanislawowo usw., auf alle jene Gebiete im Osten ihres früheren Staates erklärt, die die Sowjetunion 1939 ihren ukrainischen und weißrussischen Republiken anschloß.

Bierut sieht denselben Zweifel in den Gesichtern der Versammelten, der sie im ZK erfüllte, als sie sich dazu entschlossen, darüber zu sprechen. Es wurde sehr lange an der Formulierung gefeilt, die den Verzicht zum Ausdruck brachte; und wer weiß, ob sie jetzt stimmt: „Der Kampf um ein unabhängiges und souveränes Polen gehört zu den Grundaufgaben des Nationalrates. Die Ostgrenzen Polens sollen entspredtend dem Willen der Bevölkerung, die die Ostgebiete bewohnt, und auf der Grundlage einer freundschaftlichen Verständigung mit der UdSSR festgelegt werden.“ „Entsprechend dem Willen der Bevölkerung." Sicher, als es noch die „Rzeczpospolita“, die Polnische Republik gab, da war die ukrainische und weißrussische Bevölkerung in diesen Gebieten sehr gegen die Polen und für staatliche Unabhängigkeit. Aber ob sie sich in der Sowjet-Ukraine und in Sowjet-Weißrußland wohlfühlen wird? Und wie es mit der Willensäußerung der Völker in der UdSSR aussieht, darüber macht sich Bierut ebensowenig wie irgend ein anderer im ZK Illusionen.

Gomulka hat es außerdem 1939 in eben diesen Gebieten mitcrlebt. Es hat ihn davon überzeugt, daß es sinnlos ist, in Bezug auf diese Gebiete hartnäckig zu sein — die Russen würden nicht mehr auf sie verzichten. Früher einmal, so erinnern sich die alten Kommunisten, hatten sie in ihrem Programm die nationale Freiheit der Ukrainer und Weißrussen vertreten. „Kein Land kann frei sein, das andere unterdrückt." Dieser Satz wird im neuen Programm einen neuen Akzent erhalten, wenn man jetzt unter Zwang auf diese Regelung eingeht.

Dafür haben die Russen — so meldet Bierut — Polen Entschädigung im Westen versprochen:

„Alle politischen Gebiete, die durch deutsche Übermacht germanisiert wurden, sollen in das polnische Reich eingegliedert werden.“

Wissen die Versammelten, daß nicht nur die nächsten Monate ihrer Politik, sondern viele Jahre der Nachkriegspolitik ihres Landes sich auf diese „Formulierung“ werden stützen müssen? Daß es dieser Satz, als konsequente Folge des ersten, sein wird, der wieder die Beziehungen zwischen den Völkern auf Unrecht und Gewalt aufbaut? Daß er ihr Vaterland auf Gedeih und Verderb den Russen ausliefert?

Es ist anzunehmen, daß sie es zumindest ahnen. Aber es bedürfte nicht der Sowjeterfahrungen Bieruts, auch der realpolitische Blick Gomulkas genügt, um ihnen klar zu machen, daß es eine andere Politik, eine andere Haltung jetzt nicht geben kann. Sie wäre vielleicht schöner und edler, aber von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Weit weniger dramatisch ist der Augenblick, da der neugebildete Nationalrat über die innenpolitischen Erklärungen des Manifestes berät. Im wesentlichen sind die Forderungen, die dort ausgesprochen werden in jener Zeit Allgemeingut aller polnischen Untergrundparteien, mit Ausnahme der äußersten Rechten natürlich.

Im neuen Polen wird der Großgrundbesitz entschädigungslos enteignet und den Bauern und Landarbeitern übergeben, beschließt der Nationalrat. Großindustrie, Banken und die für die Volkswirtschaft wichtigsten Transportmittel werden nationalisiert. Der Nationalrat wird aus den besten Soldaten der polnischen Untergrundbewegung ein allgemein polnisches Oberkommando der Volksarmee schaffen, das den bewaffneten Kampf leiten und alle Soldaten in ihren Reihen vereinigt.

Das wichtigste aber: im gegebenen Zeitpunkt wird der Nationalrat eine provisorische Regierung aus den Vertretern aller Gruppierungen berufen, die auf der Grundlage der Demokratie stehen.

„Die Provisorische Regierung wird die Macht bis zu dem Augenblidt der Einberufung einer Nationalversammlung ausüben, die in demokratischen — allgemeinen, geheimen, gleidien und direkten — Verhältniswahlen gewählt werden wird. Ihre Aufgabe wird es sein, eine Verfassung anzunehmen und die Grundlagen der neuen Staatsordnung auszuarbeiten.“

Es hört sich alles schön und richtig an. Der Nationalrat wird seine Funktionen mit Hilfe von Volksräten ausüben und sich auf Gemeinde-, Bezirks-und Stadträte stützen. Offen ist nur die Frage, wer in diese Räte hineingewählt werden kann, um die es geht. Und wie soll man einem Mitglied der Bauernpartei oder einer solchen alten Organisation wie der Polnischen Sozialistischen Arbeiterpartei erklären, daß sich diese Räte aus „örtlichen Politikern" oder aus „Parteilosen" zusammensetzen müssen? Was sind „örtliche Politiker“? Entweder sie sind wirklich Politiker, und dann sind sie in einer Partei und zumeist eben nicht in der PPR, sondern in der Bauernpartei, die den Nationalrat ablehnt, oder sie sind keine Politiker, sondern Querulanten oder Strohmänner, Leute also, auf die das Volk nichts gibt.

Es stimmt nur auf dem Papier. Aber im Augenblick muß das genügen. Und so entfaltet der Nationalrat, kaum gegründet, noch in derselben Nacht eine große Aktivität. Die verschwindend kleine Gruppe des polnischen Volkes, auf die er sich stützt, hindert ihn nicht daran, eine Reihe von „Gesetzen" zu erlassen. Darunter ist ein Dekret, das die Schaffung einer „Volksarmee" und die Organisierung ihres Ober-kommandos anordnet. Ein anderes Gesetz bringt ein Statut für die Bildung der Volksräte. Ein drittes legt das Aussehen des Stempels des Nationalrates fest: um das alte polnische Emblem, den weißen Adler, steht: „Republik Polen — Nationalrat".

Schließlich richtet der Nationalrat Telegramme an die Regierungen von Großbritannien, der Vereinigten Staaten und an die Sowjetregierung, in denen er seine Gründung mitteilt und sich für die rechtmäßige Vertretung des polnischen Volkes erklärt.

Woher nimmt die kleine Gruppe, die sich an der Jahreswende 1943/44 in dem besetzten Warschau, in der kleinen Wohnung in der Twardastraße bei dem Sattlermeister Blicharski versammelt, die Selbstsicherheit zu ihrem Handeln? Worauf gründet sich -ihre tiefe Überzeugung, daß sie, obwohl das polnische Volk nicht hinter ihr steht, sich dennoch für seine Vertretung ausgeben kann, daß man ihr Glauben schenken und sie auf den Schild heben wird?

Das zeigt sich schon sehr bald: am 5. Februar 1944. An diesem Tag nämlich veröffentlicht die Sowjetregierung eine Erklärung über die polnisch-sowjetischen Beziehungen, in der sie sich gegen die „fehlerhaften“ Behauptungen der polnischen Exilregierung in London wendet und ihren Standpunkt über die künftigen Grenzen zwischen der UdSSR und Polen darlegt. Demnach müsse die Grenze so verlaufen, wie sie auf Grund der 1939 in der Westukraine und in West-Weißrußland durchgeführten Volksabstimmung festgelegt wurde, d. h. so, daß diese Gebiete der UdSSR angegliedert werden.

Die sowjetische Erklärung, die davon spricht, diese Volksabstimmung sei damals auf einer „breiten demokratischen Grundlage“ erfolgt, beeilt sich, den Polen zu versichern, daß diese Regelung keinesfalls den polnischen Interessen zuwiderlaufe, sondern im Gegenteil zur Grundlage einer festen und dauerhaften Freundschaft zwischen dem polnischen Volk und seinem östlichen Nachbarn werde.

Die Sowjetregierung sei bereit, mit einem neuen Polen, das auf dieser Grundlage mit ihr zusammenarbeiten wolle, ein Bündnis zu schließen. Es fehlt weder der Hinweis auf die „uralten Gebiete im Westen“, die Polen dafür zufallen würden, noch die irreführende Behauptung, daß die Sowjetregierung „Polen jene Gebiete zurückgeben wird, in denen die polnische Bevölkerung überwiegt“.

Noch am selben Tag kommt der Nationalrat zusammen und verkündet in einem Kommunique, er sei bereit „im Namen des polnischen Volkes“ die sowjetische Erklärung als Grundlage für eine Verständigung anzunehmen.

Der Gesprächspartner der Sowjetunion in Polen ist gefunden. Von nun an kann die . Regierung der UdSSR auf Verhandlungen mit der ihr so wenig entgegenkommenden polnischen Exilregierung in London verzichten.

Die Anderen

Wer ist diese polnische Regierung in London? Wen vertritt sie und wie ist die Beziehung des polnischen Volkes zu ihr? Wie sieht überhaupt das politische Leben der unter deutscher Besatzung stehenden, von der Gestapo geknebelten Polen aus? Nun, es ist durch die Niederlage Polens keinesfalls ausgelöscht worden. Im Gegenteil: nach einer nur kurzen Zeit der allgemeinen Verwirrung haben sich die polnischen Parteien schnell auf die Illegalität umgestellt. Die diktatorische Haltung des Siegers in ihrem Land führt eher zu einer Belebung des politischen Interesses in der Bevölkerung als zu seinem Versiegen. Die Untergrundorganisationen müssen manchmal beinahe befürchten, daß der große Zulauf zu ihren illegalen Gruppen diese gefährdet.

Außer den früheren polnischen Parteien entstehen viele neue Gruppen und Grüppchen, politische Auffassungen werden revidiert, und der Kampf um die Wiedererlangung der staatlichen Souveränität Polens steht jetzt in allen Parteiprogrammen an erster Stelle. Neben der Sozialistischen Partei Polens (PPS), der Bauernpartei (SL) und der Nationalpartei (SN) tritt bald die vierte große Partei, die Partei der Arbeit (SP) einem „Politischen Verständigungskomitee“ bei. Zusammen mit den Vertretern militärischer Untergrundorganisationen unterstützen sie eine neue polnische Regierung, die zunächst aus dem Exil in Frankreich und dann in England versucht, die Ereignisse in Polen zu beeinflussen. Die Parteien haben ihre illegalen Zellen im Land, sie geben — manchmal sogar gedruckte — Zeitungen heraus, wählen ihre Partei-instanzen und führen einen hartnäckigen Kampf gegen die Besatzung.

Nach Beginn des deutsch-russischen Krieges schließt die UdSSR mit der polnischen Exilregierung einen Vertrag ab und nimmt damit die am 17. September 1939 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder auf. Premierminister der polnischen Regierung im Exil — General Sikorski — erreicht eine Amnestie für polnische Staatsbürger, die in sowjetischen Lagern sitzen; aus ihnen wird auf russischem Boden eine polnische Armee gebildet. Sie soll zusammen mit der Sowjetarmee gegen die Deutschen kämpfen. Der sie befehlende General Anders wird, wie die meisten ihrer Offiziere, aus einem russischen Gefängnis geholt, wo er seit 1939 gesessen hat.

Im August 1942 geht General Anders mit seiner Armee aus Rußland nach dem Iran — er will nicht an der Seite der Sowjets, sondern zusammen mit den Westalliierten gegen die Truppen Hitlers kämpfen. Als einige Monate später die Exilregierung die Aufdeckung der Morde von Katyn durch die Sowjets popularisiert, bricht die UdSSR demonstrativ die Beziehungen zu ihr ab. Die Leichen von 10 000 polnischen Offizieren, die von den Russen nach ihrem Sieg 1939 bei dem Ort Katyn heimtückisch ermordet wurden, sollten ebensowenig jemals wieder erwähnt werden, wie alle sonstigen Verbrechen der Diktatur Stalins. Der Abbruch der Beziehung mit Rußland läßt die Sprache der polnischen Exilregierung gegenüber der UdSSR immer schärfer werden. Im Sommer 1943 gibt das „Verständigungskomitee" der vier'„Regierungsparteien“ eine Erklärung heraus, die ihr politisches Programm darstellt und in der Wachsamkeit gegenüber sowjetischen Einflüssen gefordert wird. Die westlichen Alliierten sollen sich über das wahre Wesen des russischen kommunistischen Totalitarismus klar sein, sagt die Erklärung und besteht darauf, daß Polen nach Beendigung des Krieges die alten Ostgrenzen wiedererlangt, die „nicht mehr angetastet werden dürfen.“ Gleichzeitig spricht das Programm auch von den Gebieten im Westen des Landes und fordert für das künftige Polen „solche Grenzen im Westen und Norden, die Polen einen breiten Zugang zum Meer sichern würden“.

Weniger der Inhalt des Programms, dessen innenpolitischen Teil einschließlich der Bodenreform, die es versprach und gewisser Verstaatlichungs-und Sozialisierungsforderungen, von den meisten Untergrund-parteien anerkannt wird, als die Art seiner Verkündung ruft bei anderen Untergrundorganisationen Unzufriedenheit hervor. Man hat das Gefühl, daß die großen vier Parteien alle Macht in ihren Händen konzentrieren wollen, ohne anderen politischen Vertretungen Rechte einzuräumen. Die kleinen Parteien fühlen sich übergangen und beginnen die Autorität des „Verständigungskomitees“ oder der „Dicken Vier“, wie man die Aktionsgemeinschaft der vier größten Parteien nennt, anzuzweifeln. Noch mehr als diese kleinen Parteien fürchtet die Exilregierung jedoch die Masse jener parteilich nicht gebundenen Polen, die meist den Ausschlag bei politischen Entscheidungen gibt. Diese Masse, die nach der Septemberniederlage einen merklichen Ruck nach Links getan hat, kann sich jetzt eines Tages scharf gegen die Machtansprüche der „Großen Vier“ wenden.

Das und noch mehr die Gründung des kommunistischen „Nationalrates“ veranlaßt die Anhänger der Exilregierung in den „Rat der Nationalen Einheit“, den sie am 9. Januar 1944 schaffen außer den vier großen, noch drei kleinere Parteien einzubeziehen: die „Demokratische Vereinigung“, die „Bauernorganisation Freiheit“ und „Das Vaterland". Der Rat besteht aus 17 Personen — je drei Vertreter der vier großen und je einem Vertreter der drei kleinen Parteien. Er wird zu einer Art Parlament des unterirdischen Polen, das jedoch bei weitem noch nicht alle politischen Richtungen der polnischen Untergrundbewegung jener Jahre erfaßt. Es gibt Gruppen ehemaliger Anhänger Pilsudskis und andere oppositionelle Gruppen der Rechten, zu denen vor allem die „Nationalen Kampfkräfte“ (NSZ) gehören und eine ganze Reihe von linken Organisationen, die im Frühjahr 1944 ein „Zentrales Volkskomitee“ der demokratischen, sozialistischen und anarchistischen Parteien gründen. Dieses Komitee spricht sich gegen eine Zusammenarbeit mit der Nationalen Partei und den Gruppen aus den Kreisen des Pilsudski-Regimes aus und befürwortet die Aufnahme von freundschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion.

Aber nicht nur der Äußersten Linken ist ein Zusammengehen mit den Rechten und die scharfe Politik gegenüber Rußland nicht genehm. Es gibt auch sowohl in den Kreisen der Londoner Exilregierung wie vor allem in der Führung der Untergrundarmee genug Leute, die zur Vorsicht mahnen und für eine realere Einschätzung der Lage eintreten. Zu ihnen gehört u. a. Oberst Rzepecki, Leiter des Presse-und Propaganda-büros der „Heimatarmee“, der in einem Rapport an das Oberkommando dieser Armee im März 1944 davor warnt, sich auf die rechten Elemente zu stützen und darauf hinweist, daß eine Linksorientierung der Untergrundarmee weitaus mehr den Stimmungen des überwiegenden Teils der Bevölkerung entspreche

Im Sommer 1945 ist General Sikorski bei einem Flugzeugunglück über dem Mittelmeer ums Leben gekommen. An seine Stelle tritt General Sosnowski. Etwa zur gleichen Zeit wird der bisherige Oberkommandierende der Untergrundarmee General Rowecki (Grot) in Warschau von der Gestapo verhaftet, die Leitung der „Heimatarmee“ übernimmt nunmehr sein bisheriger Stellvertreter General Komarowski (Bor). Die Verschärfung der Beziehungen zwischen dem Kreml und der Londoner Exilregierung wird nicht zuletzt auf diese Veränderungen zurückgeführt.

Die Polnische Arbeiterpartei („PPR”)

Wie soll der Nationalrat seinen Einfluß vergrößern? Über diese Frage gibt es im Zentralkomitee der Polnischen Arbeiterpartei im Frühjahr 1944 erbitterte Diskussionen. Gomulka, Spychalski, Bienkowski und eine Reihe anderer Funktionäre vertreten die Meinung, man müsse die „Einheitsfront" auch mit politischen Konzessionen erkaufen. Der Kontakt mit anderen Gruppierungen und politischen Parteien dürfe nicht abreißen. Besonders geht es ihnen um die Bauernpartei (SL) und die Sozialistische Arbeiterpartei (RPPS). Nach der Septemberniederlage sind in Polen zwei illegale sozialistische Parteien entstanden. Die größere, einflußreichere und mehr nach rechts orientierte Untergrundpartei der Sozialisten nannte sich „Freiheit, Gleichheit, Unabhängigkeit“ (WRN), die andere war die RPPS. Mit den Vertretern der WRN zu sprechen, entschloß sich auch der Gomulkaflügel nur äußerst selten, die Versuche zur Gewinnung der RPPS aber wurden laufend fortgesetzt. Da die meisten Mitglieder sowohl der Bauernpartei wie der RPPS trotz ihrer linken Einstellung nicht von der Londoner Exilregierung zu lösen sind, schlägt die PPR-ihnen auf Anregung Gomulkas vor, diese Exilregierung zu „rekonstruieren", also darauf zu dringen, daß man die rechten Elemente aus ihr entfernt. Wenn die Bauernpartei und die Sozialisten sehen, daß die Londoner darauf nicht eingehen — so meint Gomulka — dann werden sie vielleicht leichter dafür zu gewinnen sein, mit dem Nationalrat zu gehen.

Aber auch darauf gehen die Parteien nicht ein. Es kommt innerhalb der Sozialistischen Arbeiterpartei über die Frage der Zusammenarbeit mit der PPR sogar zur Spaltung — aber es ist nur ein ganz kleiner Kreis von Leuten, der sich für die Zusammenarbeit entscheidet. Die anderen bilden als neue Gegenorganisation des Nationalrats das „Zentrale Volkskomitee".

Schon stehen die Sowjettruppen dicht von den Grenzen Polens und die meisten Mitglieder des Zentralkomitees der PPR, vor allem Boleslaw Bierut sind der Meinung, daß nun und vor allem, seit eine Delegation des Nationalrates sogar von Stalin empfangen worden ist, eine Verständigungspolitik mit anderen politischen Untergrundparteien sich so gut wie erübrigt. Sie könnte zu einer „Verwässerung" der politischen Linie der PPR führen und von den Sowjets falsch aufgefaßt werden. „Wieslaw" ist anderer Meinung. Er hält auch jetzt an seiner Politik der Gesprächsaufnahme fest:

„Ich war der Meinung" — so wird er später erklären — „daß eine Verständigung (mit den Mitgliedern der Bauernpartei und dein „Obersten Volkskomitee") uns größere Mögliclikeiten für die Entfachung eines bewaffneten Kampfes gegen die Besatzung im ganzen Land geben, unsere Basis in den Massen, besonders auf dem Land verbreitern und die antisowjetischen Stimmungen verringern wird . . ."

Es geht ihm um den wirklichen Einfluß seiner Partei auch nach dem Sieg der Sowjettruppen, einem Sieg, den er nicht ihnen allein überlassen möchte. Die Lage, in der sich seine Partei innerpolitisch befinden wird, wenn sie ihre Macht ausschließlich diesen Truppen zu verdanken hat, erfüllt ihn schon im Sommer 1944 mit größter Sorge.

Einer der letzten Versuche, eine Verständigung mit anderen politischen Gruppierungen zu erreichen, ist der Vorschlag, den Gomulka am 18. Juni 1944 im Zentralkomitee macht und der darauf hinzielt, wenn nötig sogar auf den Namen des Nationalrats zu verzichten.

Wahrscheinlich ist es Wladyslaw Gomulka klar, auch diese Maßnahme werde zu nichts führen, das Mißtrauen der polnischen Bevölkerung gegen seine Partei sei zu groß, als daß man es mit noch so geschickten Schachzügen zerstreuen könne. Aber er will nichts unversucht lassen. Die Verständigungspolitik mit der Idee der Einheitsfront gehört zu seiner Auffassung von der neuen Partei und der neuen Politik, die jetzt zu schaffen ist.

Diese Auffassung von dem „Neuen“ in der Partei läßt sich aus der ganzen Entstehungsgeschichte der Polnischen Arbeiterpartei erklären, aber sie ist auch eng mit dem Charakter dieses Arbeiterführers verknüpft und sicher nicht zum geringen Teil von seinem persönlichen Schicksal bestimmt.

Die anderen politischen Parteien der polnischen Untergrundbewegung waren über die Schaffung des Nationalrats begreiflicherweise wenig erfreut. In ihrer Empörung richteten sie gegen die Organisatoren dieses Unternehmens heftige Angriffe und beschuldigten die Polnische Arbeiterpartei, eine von Moskauer Agenten geschaffene Infiltrationsgruppe zu sein.

Obwohl der enge Kontakt, den die PPR später mit Moskau hatte, nicht zu bezweifeln ist, halte ich die Auffassung, daß sie von „aus Moskau geschickten Leuten“ gegründet, oder gar von NKWD-Agenten ins Leben gerufen wurde, für falsch. Ihre Organisatoren waren zum größten Teil alte Kommunisten, aber sie schufen die Partei zunächst ohne Auftrag von Moskau und vielleicht sogar gegen den Willen des Kreml, der sich dann die Organisation zunutze zu machen verstand.

Wie man sich erinnert, wurde die Kommunistische Partei Polens, die in der Zeit zwischen den Kriegen illegal in Polen bestand und zwar nicht viele Mitglieder, aber doch eine gewisse politische Bedeutung besaß, im Jahre 1938 von der KOMINTERN in Moskau aufgelöst. Nachdem während der großen Säuberungen so gut wie alle Führer der polnischen Kommunisten als angebliche „polnische Spione" in Moskauer Gefängnisse gewandert, erschossen oder zu vielen Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden waren, beschloß man dort, die ganze Partei, als „von feindlichen Agenten durchsetzt“ zu liquidieren.

Dieser Schlag traf die kommunistischen Parteimitglieder und Funktionäre, die illegal in Polen arbeiteten oder in polnischen Gefängnissen saßen, auf das tiefste. Sie fühlen sich vollkommen desorientiert, verlassen und verraten. Unfähig zu begreifen, was vorgefallen war, wußten sie nicht, wie sie auf die Dinge reagieren, wem sie die Schuld geben und wem sie überhaupt noch vertrauen sollten. Auf ihre Ideale zu verzichten aber war ihnen auch unmöglich.

Gomulka saß in jener Zeit im Gefängnis in Lemberg. Er hatte viel Zeit, über die furchtbare Nachricht nachzudenken, die natürlich auch zu ihm hinter die nicht allzu dichten Mauern des polnischen Gefängnisses gedrungen war, aber es war für ihn unmöglich, die ganze Absurdität der Vorwürfe zu begreifen, die man seinen ehemaligen Parteiführern in Moskau machte. Wahrscheinlich waren übrigens die Dinge, die sich in den Kellern der NKWD-Gefängnisse Lubjanka und Butyrki abspielten, auch Jahre später für ihn noch unvorstellbar.

Da er bei seinen Idealen blieb, mußte er die Schuld für die Auflösung der Partei zumindest auf beiden Seiten suchen. Wer so geschlagen wird, muß etwas falsch gemacht haben, das war dem unbeugsamen und hartnäckigen Arbeiter Gomulka klar. Lind in sein anfängliches Mitgefühl für die vernichteten polnischen KP-Führer mischte sich zuerst Skepsis und nach und nach ein guter Teil Kritizismus. Sicher hat Gomulka auch damals nicht geglaubt, daß die Leute, die seine alte Partei gegründet und lange Jahre geleitet hatten, „Spione" oder „Pilsudski-Agenten" gewesen waren — das glaubte in der Partei niemand — aber, so erkannte er, sie hatten etwas falsch gemacht, etwas Grundlegendes übersehen.

Nächtelang zermartete er sich den Kopf, was falsch gemacht worden war. (Dieselbe Frage stellten sich übrigens gleichzeitig die meisten seiner Genossen in den russischen Gefängnissen.) Gomulka kam zu dem Schluß, daß es der mangelnde Kontakt mit dem eigenen Volk war, der zum Bankrott der KPP geführt hatte. Wäre die Partei im polnischen Volk verankert gewesen — hätte sie nicht der Gnade Moskaus, sondern den Arbeitern in der Heimat ihre Daseinsberechtigung zu verdanken, so wäre es nicht möglich gewesen, sie mit einem Federstrich zu liquidieren. Wenn also noch einmal neu angefangen würde, dann müßte es anders geschehen.

Aber inzwischen kam der zweite Schlag, und er traf die polnischen Kommunisten in Polen nicht minder schwer: der Stalin-Hitler-Pakt und gleich darauf der Überfall Hitlers auf Polen.

Während Deutsche und Russen ihre Heimat untereinander teilten, kamen früher führende polnische Kommunisten aus den polnischen Gefängnissen frei, in denen sie — Ironie des Schicksals — vor der NKWD sicher gewesen waren. Die meisten von ihnen nahmen an der kurzen, aber erbitterten Verteidigung Polens gegen die Truppen Hitlers teil. Dann, nach der Niederlage, schlug sich ein Teil von ihnen, wie Bierut, in die von den Sowjets besetzten Gebiete und weiter nach Rußland durch, während ein anderer Teil im Land verblieb.

Gomulka gehört zu den letzteren. Nachdem er an der Verteidigung Warschaus teilgenommen hat, ist er kurze Zeit wieder in Lemberg und sieht dort die Sowjetisierung mit an. Sie kann ihn nicht begeistert haben, denn er geht 1941 nicht mit den sich zurückziehenden Sowjets ins russische Hinterland, sondern bleibt in dem nun von den Deutschen geschaffenen „Generalgouvernement“.

Nur langsam erholen er und seine Genossen sich von den Schlägen, die ihnen Moskau zugefügt hat. An eine politische Tätigkeit ist lange nicht zu denken. Weiß man denn, ob Moskau ihnen die Schaffung einer Partei überhaupt „erlaubt“? Ob sie denen dort genehm ist?

So entstehen nur lose Grüppchen ehemaliger Kommunisten, und während alle anderen Parteien Polens schon bald nach der Niederlage des Landes ihre Untergrundorganisationen aufbauen, hört man von den Kommunisten nichts. Und das, obwohl sie doch in Fragen der illegalen Arbeit die größte Erfahrung besitzen, weil sie schon vor dem Sieg der Deutschen eine Untergrundorganisation waren.

Erst viele Jahre später versuchte die Polnische Arbeiterpartei die Namen jener winzigen Grüppchen zusammenzutragen, die damals „die revolutionären Traditionen des polnischen Proletariats gewahrt hatten“. Es soll danach 1939 in Polen eine Gruppe „Hammer und Sichel", eine „Vereinigung der Freunde der Sowjetunion“ (gewissermaßen der „Klub der Unentwegten“) und einen „Bund des Befreiungskampfes“ gegeben haben. Außerdem einige Jugendgruppen. Jedoch waren alle diese Gruppen völlig bedeutungslos und so unwichtig, daß die Führung der später entstandenen PPR sie weder auf ihrem ersten Kongreß noch in ihrer Presse unmittelbar nach der Befreiung des Landes auch nur erwähnt hat. „Bis 1942 haben wir nichts davon gemerkt, daß es noch Kommunisten im Land gibt", berichtet ein Mitglied der Polnischen Sozialistischen Partei der in jener Zeit aktiv in der sozialistischen Untergrundbewegung tätig war.

Anfang 1942, also über ein halbes Jahr nach Beginn des Krieges zwischen Deutschland und der UdSSR, wurde dann schließlich die Polnische Arbeiterpartei gegründet. Nun, nachdem der ihre Aktivität lähmende Hitler-Stalin-Pakt zerrissen war, schien das politische Klima den Kommunisten eine Parteibildung wieder zu ermöglichen. Im Januar 1942 erschien ihr erstes Flugblatt und am 1. Februar die erste Nummer der illegalen Parteizeitung „Tribüne der Freiheit" („Trybuna Wolnosci").

Beinahe von Anfang an ist „Wieslaw" im Zentralkomitee dieser Partei, und es zeigt sich bald, daß er von der stalinistischen Ausrichtung, die die Kommunisten jener Zeit kennzeichnet, weit entfernt ist. Wenn irgend etwas in der neuen Organisation, die sie schaffen, an die alte KP zu erinnern droht, dann wird es sofort ausgemerzt. Nichts an der Terminologie, an den Symbolen, dem äußeren Gebaren soll so sein wie früher. Es gehört zu den Besonderheiten dieses neuen polnischen Kommunistenführers, daß er z. B. die Worte „Kommunist" oder „Kommunismus“ nicht gebraucht. Die Sowjetunion ist nie „das leuchtende Vorbild“, Stalin nie „der größte Feldherr" oder „beste Freund des polnischen Volkes“. Eigentlich werden sie kaum erwähnt.

Die Polnische Arbeiterpartei, deren erster Sekretär Wladyslaw Gomulka im November 1943 wird, ist seinem Willen nach und gemäß dem Programm, das er immer wieder verkündet, eine neue, junge Partei, die zwar an die Traditionen der polnischen Arbeiterbewegung anknüpft, aber einen anderen Weg gehen will. „Wir sind deshalb eine junge Partei, weil wir all das von uns fort-geworfen haben, was in der Vergangenheit den Interessen der Arbeiterklasse und den werktätigen Massen geschadet hat, weil wir uns von all dem lossagten, was uns und den anderen alten Parteien nicht erlaubte, diese Massen zu ihrer sozialen Befreiung und zur Errichtung der Volksdemokratie zu führen.

Unsere junge Partei hat eine Lehre aus den alten Fehlern der alten Arbeiterbewegung gezogen. Wir sind eine neue Partei.“

Man sieht, die Gedanken, die ihn 1937/38 im Gefängnis bewegten, als er von der Auflösung der KPP hörte, haben Früchte getragen. Die neue Partei soll die Fehler der alten vermeiden. Diese Fehler aber, meint Gomulka, bestanden vor allem in dem „Sektierertum“ der Kommunisten, in ihrer Unfähigkeit auf Kompromisse gegenüber den Führern der Polnischen Sozialisten einzugehen und darin, daß sie allzu starr in ihren Auffassungen waren. Inwieweit diese falsche Politik durch den Einfluß Stalins und der russischen Partei, durch den Drude von Moskau hervorgerufen war, darüber ist sich Gomulka im Gegensatz zu Bierut und den anderen, die jetzt aus der Sowjetunion eintreffen, nicht klar. Er empfindet es vielleicht instinktiv, aber er ist überzeugt, daß er jetzt eine andere Taktik einschlagen muß, wenn er die polnische Bevölkerung für sich gewinnen will. Demjenigen, der sich im Zentralkomitee und in der Partei darüber empört, daß Gomulka die Traditionen der KP und ihrer Vorgängerin, der Sozialdemokratie Polens und Litauens, der Partei Rosa Luxemburgs so wenig achte, dem antwortet er mit aller Schärfe, es gehe jetzt um andere Aufgaben. Man meine es ehrlich mit dem „Demokratischen Block“ und mit der Einheitsfront.

Und er meint es wirklich ehrlich. Die Agitation für die „demokratische PPR“ führe dazu, daß manchmal verwirrte Arbeiter sich für die „Polnische Arbeiterpartei" und nicht für die „Sozialistische Arbeiterpartei" entscheiden, weil die PPR „demokratisch“, die PPS aber „sozialistisch“ ist, berichten entsetzte Funktionäre.

Und Gomulka erwidert lächelnd;

„Das schadet nichts. Wir müssen diesen Arbeitern eben erklären, daß der Sozialismus auf demokratischem Weg errichtet werden kann. In Polen nur auf demokratischem Weg!“

Die Sowjetpolen

Kann man sie „Sowjetpolen" nennen? Oder „die Moskauer“? In privaten Gesprächen in Polen wird man sie später sogar in Parteikreisen so nennen, und man wird einen dicken Trennungsstrich zwischen ihnen ziehen und denen, die während der Besatzung in der Heimat waren. Dabei waren sie kaum in Moskau, und die Lebensumstände, unter denen sie das russische Asyl genossen, waren alles andere als angenehm. Aber es kommt auf die politische Haltung an und nicht auf die Lebensumstände.

Als General Anders mit seiner Armee die Sowjetunion in Richtung Persien verließ, blieben auf dem sowjetischen Ufer in Krasnowodsk nur drei polnische Offiziere zurück, die glaubten, ihr Platz sei doch an der Seite der Russen. Unter ihnen wär Oberst Berling. Er kehrte nach Moskau zurück und begann neue polnische Soldaten zu suchen. Er wußte: in den russischen Gefängnissen und Lagern, in den entlegenen Gebieten des riesigen Landes gab es noch genügend polnische Gefangene und Verbannte, die lieber kämpfend für ihre Heimat sterben, als im Heer der Sowjctsklaven dahinvegetieren würden.

Berling verhandelt mit Stalin — es ist schon nach dem Bruch der Sowjets mit der Exilregierung. Einige Zeit später wird er nachts aus dem’ Bett geholt und in den Kreml gebeten. Man teilt ihm mit, daß die Sowjetregierung mit der Schaffung einer neuen polnischen Division auf russischem Boden einverstanden ist. Diesmal allerdings sichern sich die Sowjets die Kontrolle: politischer Chef dieser Division wird die polnische kommunistische Schriftstellerin Wanda Wasilewska.

Seit einiger Zeit ist Wanda Wasilewska, Vorsitzende eines „Bundes Polnischer Patrioten" (ZPP) in Rußland. Als Frau des bekannten sowjetischen Schriftstellers Alexander Korneitschuk hat sie Stalin von der Notwendigkeit eines solchen Bundes überzeugen können. Aus den Baracken der Zwangsevakuierten in der Stadt Engels, der früheren Hauptstadt der Wolgadeutschen Republik, in die man alle mehr oder weniger Prominenten des internationalen Kommunismus zu Beginn des deutsch-russischen Krieges geschickt hatte, holt sie die alten Funktionäre zusammen: Alfred Lampe, Jakob Berman, Alexander Zawacki, Hilary Mine, Roman Zambrowski, Edward Ochab, Stefan Jendrychowski, Zygmund Modzelewski . . . man wird diese Namen im folgenden Jahrzehnt als die der führenden Männer Polens nennen. Zum erstenmal seit der blutigen Vernichtung polnischer Kommunisten durch Stalin im Jahr 1937 erscheinen jetzt in Rußland wieder polnische kommunistische Zeitungen.

Man ist bemüht, ihnen einen mehr national-polnischen als partei-kommunistischen Anstrich zu geben. Der Bund von Wanda Wasilewska ist eine „patriotische polnische" Organisation und die erste Division Berlings hat nicht nur die rot-weißen polnischen Fahnen, sondern ihre in der UdSSR hergestellten Uniformen werden genau den alten polnischen Uniformen nachgebildet.

Während der „Bund Polnischer Patrioten" Schulen und Kinderheime für die Kinder der oft noch in russischen Zwangsarbeitslagern sitzenden polnischen Bürger einrichtet, und sowohl diesen Eltern als auch Verbannten Pakete und Geldspenden schickt, erhalten die neuen polnischen Soldaten ihre erste militärische Ausbildung. Es sind meist russische Offiziere, die sie leiten, wenn man auch bestrebt ist, solche mit polnisch klingenden Namen auszusuchen und sie als Nachkömmlinge polnischer Freiheitskämpfer aus der Zarenzeit auszugeben. Es istnicht leicht, 1942 und 1943 noch polnische Offiziere in der Sowjetunion zu finden. Außer denen, die in Katyn ermordet wurden, sind schon 1937/38 alle auch nur zufällig in Polen geborenen Sowjetoffiziere von der NKWD vernichtet worden.

Der Name der 1. polnischen Division lautet „Tadeusz Kosciuszko“, auch er ist eine Verbeugung vor dem polnischen Nationalgefühl.

Einige Monate nach ihrer Gründung schon gehen die polnischen Abteilungen Seite an Seite mit russischen Soldaten an die Front. Sie überschreiten zusammen mit ihnen die polnische Grenze und werden so zu Mitbefreiern polnischen Bodens von den Deutschen.

Erstaunt und verwirrt empfängt die polnische Bevölkerung die Soldaten, die unter polnischen Fahnen und mit polnischen Liedern, aber unter russischem Oberkommando in das Lubliner Gebiet einziehen. Was werden sie bringen?

In dem von den furchtbaren Kämpfen verwüsteten Land, in der zerstörten, ausgebrannten und ausgeraubten Stadt Lublin gründet der Polnische Nationalrat aus der Twardastraße in Warschau zusammen mit dem Bund Polnischer Patrioten, gestützt auf die siegreiche Sowjetarmee und ihre nunmehr zur polnischen Armee erhobene Division am 22. Juli das „Polnische Komitee der Nationalen Befreiung".

Im Manifest dieses „Komitees zur Nationalen Befreiung", das in der ersten Nummer der von ihr jetzt in Polen offen herausgegebenen Zeitung „Rzeczpospolita" abgedruckt wird, heißt es, daß das Komitee die Staatsmacht in den befreiten polnischen Gebieten übernimmt, die es durch Gemeinde-und Stadträte auszuüben gedenkt. Die Bevölkerung solle solche Räte aus bekannten Politikern unabhängig von deren politischer Einstellung — wählen. Freiheit und Gleichheit der Bürger, gleich welcher Rasse, Religion oder Nationalität sei garantiert. Es herrsche von jetzt ab wieder Koalitions-und Pressefreiheit. Die demokratischen Rechte dürften aber den Feinden der Demokratie nicht dienlich sein, faschistische und volksfeindliche Organisationen würden mit aller Schärfe des Gesetzes verfolgt werden.

Gleichzeitig verkündete das Manifest die große Bodenreform in den befreiten Gebieten.

Warschau, Ende Januar 1945.

Am 17. ist die polnische Hauptstadt von den sowjetischen Truppen befreit worden, die noch kurz zuvor dem „Warschauer Aufstand" ihre Hilfe verweigert hatten. Großzügig ließ das sowjetische Oberkommando die Polnische Armee (nicht mehr unter Berling) als erste in die vernichtete Stadt einmarschieren. Einige Tage später siedelte das Lubliner Komitee nach Warschau über.

Lind nun strömen von allen Seiten die von den Deutschen aus der Stadt evakuierten Warschauer Bürger wieder nach Hause. Mit ihren Habseligkeiten quartieren sie sich in den zerschossenen Wohnungen ein, ziehen mit Kind und Kegel in halbverfallene Keller und provisorisch errichtete Baracken. Es ist schwer, es ist unerträglich, aber sie wollen die Stadt nicht aufgeben. Die Deutschen sind fort — Warschau soll leben!

Der Wiederaufbau Warschaus gehört zu einem der wenigen Beschlüsse des sich als gesetzliche Macht etablierten „Komitees zur Nationalen Befreiung", der das einmütige Einverständnis der Beoölkerung findet. Der ebenfalls aufgetauchte und besonders von ausländischen Städtebauspezialisten unterstützte Vorschlag, die so gründlich zerstörte polnische Hauptstadt an anderer Stelle neu aufzubauen — wird abgelehnt.

Die Warschauer holen das Wasser mit Eimern von den Pumpen, weil die Wasserleitungen zerstört sind, sie sitzen bei Kerzenlicht, weil die Kraftwerke noch nicht arbeiten, und sie heizen mit Möbeln, Parkett-stücken, Bäumen aus den öffentlichen Anlagen — das Jahr Null sieht in Warschau ähnlich aus, wie ein Jahr später in Berlin, Dresden oder München.

Aber noch ist es dort nicht so weit, und durch Polen ziehen Tag um Tag sowjetische Truppen in den letzten Kampf. Sie nehmen mit, was nicht niet-und nagelfest ist, sie fechten im Vorbeigehen manchen Strauß mit den neugebackenen Bundesgenossen aus. Es ist schwer, diese Befreier zu lieben.

Und es ist schwer, dem mit ihrer Unterstützung eingesetzten Komitee zu trauen. Langsam-und zögernd tauchen die politischen Parteien aus dem Untergrund wieder auf. Kämpfer der Heimatarmee wandern dabei sofort als erste in die Gefängnisse — das Komitee für Nationale Befreiung erklärt sie für „Volksfeinde“. In den Wäldern und auf dem Land werden sie von der Roten Armee als „nationalistische Partisanen“ aufgerieben. Mitglieder rechtsstehender Parteien, militärischer Organisationen und der Nationalen Partei bleiben daher illegal. Ebenso bleibt die sozialistische Organisation „Freiheit, Gleichheit, Unabhängigkeit" eine Untergrundorganisation.

Wer sind die Feinde der Demokratie?

Plötzlich ist aber dennoch eine offizielle PPS da. Parteihäuser werden errichtet, Parteisekretäre melden sich. Schwalbe in Warschau, Drobner in Krakau — beide aus russischer Emigration zurückgekehrt, rufen ihre alten Parteimitglieder auf, wieder legal zu arbeiten. Hochfeld meldet das legale Wiedererscheinen der alten sozialistischen Zeitung „Robotnik“ an. Später, schon im Mai, kommt aus dem KZ Auschwitz Josef Cyrankiewicz zurück, der während der Besetzung PPS-Sekretär in Krakau war. Auch er geht zu der — wie es in sozialistischen Kreisen jetzt oft geringschätzig heißt — „konzessionierten PPS“.

In den Betrieben gilt jeder, der nicht in einer politischen Partei organisiert ist, als verdächtig. Und so treten viele Arbeiter der PPR bei, und wenn sie unabhängig bleiben wollen, dann eben lieber der PPS. Die alte Parteileitung fordert auf Anraten des alten sozialistischen Abgeordneten Zygmunt Zulawski schließlich selbst ihre Mitglieder auf, in die „konzessionierte“ Partei zu gehen. Nur einige aus dem alten Zentralkomitee flüchten ins Ausland.

Auch eine „konzessionierte“ Bauernpartei entsteht und eine neue „Partei der Arbeit". Im Sommer aber kommt aus London der ehemalige Premierminister der Londoner Exilregierung Mikolaiczik, infolge der Abmachungen, die Stalin, Churchill und Roosevelt im Februar in Jalta über Polen trafen.

Hartnäckig hat Stalin in unzähligen Sitzungen die Lubliner, oder, wie er jetzt schon sagte, Warschauer Regierung gegen die Londoner Exilregierung verteidigt, die von den westlichen Alliierten als die gesetzmäßige Regierung Polens betrachtet wurde. „In nicht weniger als sieben von acht Vollsitzungen der Jaltakonferenz wurde über Polen debattiert" — schreibt Winston Churchill in seinen Memoiren — „und die britischen Protokolle enthalten annähernd achtzehntausend Worte, die zwischen Stalin, Roosevelt und Mir über dieses Thema gewechselt wurden.“

Jedoch war der Erfolg Churchills nicht groß. Der Wille Stalins war entscheidend bei der Neubildung des polnischen Staates. In dem Kommunique, das am 11. Februar 1945 von der Jaltakonferenz herausgegeben wurde, werden die Ostgrenzen Polens auf Grund der Curzon-Linie festgelegt. „Mit Grenzberichtigungen von fünf bis acht Kilometer zugunsten Polens“ ist alles, was die westlichen Alliierten erreichen, während in bezug auf die Westgrenzen folgende Formulierung gefunden wird: „Die drei Regierungschefs erkennen an. daß Polen im Norden und Westen beträchtlichen Gebietszuwachs erhalten muß. Über die Größe dieses Gebietszuwachses muß nach ihrem Dafürhalten vor allem die Auffassung der neuen provisorischen Regierung Polens eingeholt werden, worauf die endgültige Ziehung der Westgrenze Polens der Friedenskonferenz vorbehalten bleibt.“

Diese „neue provisorische polnische Regierung“ versprach Stalin den westlichen Alliierten dadurch zu schaffen, daß das Warschauer Komitee zur Nationalen Befreiung durch einige demokratische Parteiführer ergänzt würde. Die Provisorische Regierung Polens sollte so lange im Amt bleiben, bis durch wirklich demokratische und freie Wahlen eine neue Rer—ne Polens gebildet sei.

Es war diese Abmachung von Jalta, die bewirkte, daß Mikolajczik stellvertretender Ministerpräsident der neugeschaffenen provisorischen Polnischen Regierung der Nationalen Einheit wurde. Gleichzeitig wurde er Vorsitzender der neuen Bauernpartei. Die neben der „konzessionierten“ Bauernpartei (SL) nun entstehende Mikolaiczik-Partei wurde zum Unterschied zu ihr „Polnische Bauernpartei“ (PSL) genannt und wandelte sich in den nachfolgenden zwei Jahren zur einzigen wirklichen Oppositionspartei im Land.

Dieser legalen Oppositionspartei gegenüber bemühte sich die PPR mit allen nur erdenklichen Mitteln einen „demokratischen Block“ zu schaffen. Die politische Gewinnung der „konzessionierten“ Sozialisten und Bauernpolitiker gestaltete sich durchaus nicht so einfach, und der offene Widerstand der PSL einerseits sowie der ununterbrochene und oft auch militärische Widerstand der Untergrundbewegung machte diese Bemühungen noch schwieriger.

Es dauerte deshalb lange, bis sich die PPR entschloß, an die Vorbereitung der Wahlen zu gehen, die die Jalta-Konferenz verlangt hatte. Der formellen Anerkennung des neuen polnischen Staates durch Stalin im April 1945 folgte der Beschluß der Potsdamer Konferenz, der Polen „bis zur Friedensschließung“ die ehemals deutschen Gebiete bis zur Oder und Neiße zusicherte. Die westlichen Alliierten folgten dem Beispiel der UdSSR und tauschten mit der Regierung der Nationalen Einheit diplomatische Missionen aus, aber noch immer rang die PPR im Lande um Einfluß. In den Wäldern kämpften Partisanen; die Funktionäre der PPR und ihrer Verbündeten wurden ermordet. Als Antwort darauf konnte die Regierung Osubka-Moranski gegen den Willen seines Stellvertreters Mikolajonik dann die Macht der Sicherheitsorgane verstärken.

Während die Sicherheitsorgane in den Reihen der legalen Opposition immer größere Verwüstungen anrichteten und die Pressezensur im Lande wütete, schlugen sich die PPR-Funktionäre gleichzeitig mit den Truppen des sowjetischen „Bundesgenossen" herum, die vor ihrer Rückkehr in die Heimat die polnischen Betriebe und besonders die Fabrikeinrichtungen in den ehemals deutschen Gebieten abzumontieren trachteten. Bedroht von der polnischen Widerstandsbewegung, standen die PPR-Leute oft auch unter nicht geringem Druck der Sowjets. Die Drohung, die Moskau später vor und während der Wahlen offen aussprach, „wenn der demokratische Block nicht siegt, dann erfolgt die unmittelbare Intervention der Sowjets“, war ihnen selbst eindringlich genug klar gemacht worden.

Wie aber diesen Sieg des „demokratischen Blocks" erreichen? Wie diesen demokratischen Block zunächst einmal schaffen? „Josef Cyrankiewicz, der Sekretär unserer Organisation, ist schon im KZ zum Kommunisten gemacht worden“, erzählen polnische Sozialisten. Er habe zusammen mit deutschen Kommunisten gesessen und unter ihrem Einfluß schließlich seine Weltanschauung geändert. Stimmt das? Ist wirklich der Einfluß einiger kommunistischer Mitgefangener, selbst wenn sie sich in Auschwitz in besonders privilegierten Stellungen befanden und dem polnischen Sozialisten dadurch Erleichterungen verschaffen konnten, so groß gewesen, daß der von seinen ehemaligen Genossen als außerordentlich intelligent bezeichnete Cyrankiewicz ihnen erlag? Wenn ja, so war es jedenfalls nicht die stalinistische Abart des Kommunismus, die ihm dort gepredigt wurde. Cyrankiewicz selbst hat später oft davon gesprochen, daß es Wladyslaw Gomulka war, der ihn in langen Gesprächen von der Notwendigkeit eines Zusammengehens mit der PPR überzeugt hat. Das allerdings geschah schon im Schatten der sowjetischen Bajonette.

Immerhin scheint es ziemlich sicher zu sein, daß es Gomulkas Politik der Einheitsfront war, seine kleinen Konzessionen, die mehr als der Terror des Sicherheitsdienstes dazu beitrugen, eine Einigung zwischen den Parteien der PPS, SL und PPR zu erzielen und den Demokratischen Wahlblock zu schaffen. Es steht für mich außer Zweifel, daß sowohl Gomulka wie Cyrankiewicz innerlich wirklich daran geglaubt haben, es werde ihnen gelingen, in Polen etwas anderes aufzubauen als in Ruß-land. Und daß sie andererseits vollkommen davon überzeugt waren, einen anderen Weg könnte es angesichts der russischen Bedrohung nicht geben.

Die Kraftprobe zu den Wahlen war das im Sommer 1946 in Polen durchgeführte „Referendum“. Ein Volksentscheid, der das Vertrauen der Bevölkerung zur Regierung beweisen sollte. Er ist ein Meisterstück der Demagogie, und es zeugt von dem tiefen inneren Widerstand des polnischen Volkes gegen die neuen Männer, daß es selbst bei dieser Abstimmung einen so geringen Prozentanteil von Stimmen für sie abgab. Der Volksentscheid verlangte Antwort auf drei Fragen: 1. „Bist Du für die Abschaffung des Senats?“ (das heißt: gegen das Zwei-Kammersystem im Parlament). 2. „Willst Du, daß die Bodenreform und die Nationalisierung der grundlegenden Wirtschaftszweige bei gleichzeitiger Wahrung der Rechte der Privatinitiative bestehen bleiben?" 3. „Bist Du für die Festigung der Westgrenzen des Polnischen Staates an der Ostsee, der Oder und Neiße?“

Die Idee zu diesem Volksentscheid kam von der PPS und wurde von der PPR und den anderen Gruppen des Blocks sofort aufgegriffen. Unter normalen Bedingungen, so wußten die Initiatoren des Volksentscheids, würde die überwiegende Mehrheit des polnischen Volkes sich für die positive Beantwortung dieser drei Fragen aussprechen. Aber waren die Bedingungen normal? Bedeutete das „Dreimal Ja“, für das die PPR und PPS unter den Wählern so laut Propaganda machten, nicht, daß man Freiheit und Unabhängigkeit des Landes ablehnte?

So kam es, daß viele polnische Bürger selbst auf die Frage nach der Westgrenze, die auch von allen Anhängern der Londoner Exilregierung bejaht wurde — mit „nein“ stimmten. Dennoch wurden nach offiziellen Meldungen über 60 Prozent „Dreimal-Ja“ -Zettel abgegeben. Allerdings war auch diese Volksabstimmung bereits in vielen Orten gefälscht worden. Im Herbst 1946 kam es zum Pakt zwischen der PPS und der PPR, einer Verständigung, die zu großer Mißstimmung innerhalb der sozialistischen Partei führte.'Im Zusammenhang damit wurde eine Reihe „rechter“ PPS-Leute wieder unter der Beschuldigung „mit der reaktionären Untergrundbewegung zusammenzuarbeiten“, verhaftet. Unentwegt gingen auch die Verhaftungen unter den Funktionären der Oppositionspartei Mikolajcziks weiter. Bezeichnend für die Stimmung, die unmittelbar vor den, nun für den 19. Januar 1947 angesetzten Wahlen herrschte, war die Tatsache, daß Zygmund Zulawski, der alte PPS-Abgeordnete, der nach 1945 selbst das Eintreten seiner alten Parteimitglieder in die „konzessionierte" oder „erneuerte" PPS befürwortete, nun erklärte, nicht auf der Wahlliste des „demokratischen Blocks“ kandidieren zu wollen, in den seine Partei eingegangen war, sondern auf der Liste der Opposition, der PSL. „Die Wahlordnung enthielt alles, was einem Sieg des demokratischen Blocks und einer Niederlage der Opposition nützlich sein konnte. Die Wahlkreise wurden so eingeteilt, daß sich für die Stimmen des Blocks die günstigsten Konstellationen ergaben. Während in einigen Bezirken auf 23 000 Stimmen ein Mandat entfiel, kam in anderen, wo der Block sich schwächer fühlte, ein Mandat erst auf 80 000 Stimmen.

Die Wahlordnung bestimmte auch, daß Kandidaten und Wähler ihre Rechte verloren, wenn man sie der Zusammenarbeit mit den Deutchen verdächtigen konnte, oder wenn sie beschuldigt wurden, mit der Untergrundbewegung in Verbindung zu stehen. Die Wahlkommissionen strichen, gestützt auf diesen Passus, noch unmittelbar vor den Wahlen 14 Kandidaten von der Staatsliste der PSL und 132 Kandidaten von den Listen in den Gebieten und Bezirken; 110 Kandidaten der PSL wurden verhaftet.

Die Kontrolle der Wahlen wurde ohne Vertreter der Oppositionspartei durchgeführt.“

Nach längeren Diskussionen einigte man sich innerhalb des „demokratischen Blocks“ darauf, daß die Mandate zwischen der PPS und der PPR gleichmäßig verteilt würden. Beide sollten dieselbe Anzahl von Vertretern im Sejm erhalten, je 31 Prozent der gewählten Kandidaten. Die Bauernpartei würde 27 und die Demokratische Partei 11 Prozent erhalten. Auch die Ministersessel, so sah der Demokratische Block vor, würden zu gleichen Teilen zwischen PPS und PPR geteilt werden.

Nach dem offiziell bekanntgegebenen Wahlresultat entfielen: auf den Demokratischen Block 9 003 682 Stimmen, das sind 80, 1 0/0 aller Stimmen auf die Partei der Arbeit 530 979 Stimmen, das sind 4, 7 % aller Stimmen auf die PSL Mikolajcziks 1 154 847 Stimmen, das sind 10, 3 °/o aller Stimmen auf die PSL „Neue Befreiung“ 397 754 Stimmen, das sind 3, 5 ’/o aller Stimmen 157 611 Stimmen, andere das sind 1, 5 ’/o aller Stimmen Im neuen Sejm waren auf Grund der Wahl vom 19. Januar 1947 daher folgende Parteien vertreten:

Die Polnische Arbeiter-Partei (PPR) mit 119 Abgeordneten Die Polnische Sozialistische Partei (PPS) mit 119 Die Bauernpartei mit 106 Die Demokratische Partei mit 38 Die Polnische Bauernpartei mit 27 Die Partei der Arbeit mit 17 Die Bauernpartei „Neue Befreiung“ mit 13 Die „weltlichen Katholiken“ mit 3 Der unabhängige Sozialist Zulawski mit 1 und ein unabhängiger Bauernparteiler 1 Von diesen 444 Abgeordneten standen 416 hinter der bisherigen Politik des „Demokratischen Blödes“, und die Opposition beschränkte sich faktisch auf die 27 Abgeordneten der PSL und den unabhängigen Sozialisten Zulawski. In einer großen Rede, die dieser alte Sozialist in dem neugewählten Sejm in der Sitzung vom 8. Februar 1947 hielt, kam die ganze Erbitterung und Enttäuschung zum Ausdruck, die gerade der linksgerichtete Teil der polnischen Bevölkerung über die Art der Durchführung der Wahlen empfand. Sie war gleichzeitig eine nicht zu überhörende Warnung an die Führung der Polnischen Arbeiterparteien. .. Pilsudski nannte die Polen ein Volk von Idioten und war der Meinung, daß er in ihrem eigenen Interesse das Recht habe, sie mit der Peitsche zu erziehen. Die heute herrschende Elite, die Besten im Volk, erklären in vertraulichen Gesprädten ebenfalls, daß wenn sie zurüdttreten, in Polen furditbare Dinge eintreten würden — der weiße Terror und die Reaktion. Wer hat das Recht, dieses Volk, das in seiner überwiegenden Mehrheit aus Mensdten der Arbeit — aus Bauern, Arbeitern und Intellektuellen besteht — der Reaktion zu verdächtigen, weil es selbst über soziale Gerechtigkeit, über gleidte Redtte, über Freiheit, über seine Vertreter im Parlament und über seine Regierung bestimmen will?“ Zulawski führt in seiner Sejmrede eine Reihe von Fällen an, in denen diese, wie er sagt „furchtbaren Wahlen“ zu Verletzungen der Wahlfreiheit führten. Er spricht über die erzwungene Methode der „öffentlichen“ Abstimmung, bei der Wähler veranlaßt wurden, ihre Stimmen nicht geheim, sondern sichtbar abzugeben, spricht davon, daß man Wählern, die nicht für den Demokratischen Block stimmten, drohte, daß sie ihre Stellung oder ihre Wohnung verlieren würden; erwähnt die Zensur und die Verbote von Wahlmaterial der PSL und die Beeinträchtigung des Erscheinens seiner eigenen Veröffentlichungen.

„Man hat wir erklärt, daß die Fesselung der Presse aus Rücksicht auf unsere Außenpolitik notwendig wäre. Aber ich glaube, daß es umgekehrt ist. Gerade die Einschränkung der Pressefreiheit bei uns, diese Art der Durchführung freier Wahlen diskreditiert uns und führt dazu, daß man immer öfter von Polen so spricht wie von Spanien. Wir haben nichts vor der Welt zu verbergen, und ich weiß nicht, was diese Welt bei uns ausspionieren könnte . .

Schließlich formuliert Zulawski auch seine Auffassung über die Beziehungen zur Sowjetunion, und wieder spricht er die Auffassungen eines großen Teiles der zum Schweigen verdammten polnischen Bevölkerung aus, die heute so aktuell sind wie vor zehn Jahren. „Was die Sowjets anbelangt, so wollen wir, trotz früherer oder jetziger Mißstimmungen, die leichtsinnig von der einen oder anderen Seite aufgebracht werden, mit ihnen in größter und wirklicher Freundschaft leben. Nicht wegen unserer gemeinsamen slawischen Abstammung, sondern infolge unserer Staatsraison und weil wir davon überzeugt sind, daß es heute in Polen keine Regierung geben kann, die mit den Sowjets nicht eng Zusammenarbeiten will. Ich sagte schon einmal auf einem Bankett im Kreml, an dem auch Herr Stalin anwesend war, daß ich diese Freundschaft mit der Sowjetunion wünsche.

Aber diejenigen helfen dieser Freundschaft nicht, die sie mit irgendeiner Unterdrückung unseres Volkes erreichen wollen, dadurch, daß sie ihm Einrichtungen und eine Regierung aufzwingen, die es nicht will . .

Während der greise Abgeordnete das Rednerpult verläßt, klatschen die Abgeordneten der Polnischen Bauernpartei begeistert Beifall, der übrige Saal verharrt in tiefem Schweigen. Dasselbe Schweigen quittiert den letzten Appell des unabhängigen Sozialisten in der Sejmsitzung vom 18. Februar 1947, als er gegen die Streichungen im stenographischen Bericht von seinem ersten Auftreten protestiert:

„Zum erstenmal und — glaubt es mir — zum letztenmal appelliere ich an Eure Anständigkeit und an Euren politisdien Verstand: laßt es nicht zu, daß man in dieser Kammer nicht frei sprechen darf!

Glaubt mir, daß selbst wenn diese schwache Opposition, der ihr eine zwanzigfache Kraft entgegensetzen könnt, die größten Ketzereien ausspricht, das dem Staat immer noch weniger Schaden zufügt, als wenn man den letzten Hort der Freiheit erstidtt, den die Tribüne des Sejms darstellt!“

Aber der Appell stößt auf taube Ohren. In der neuen Regierung ist kein Vertreter der Opposition mehr. Zum neuen Staatspräsidenten wird bald danach Boleslaw Bierut gewählt, und Mikolajczik ist bereits Ende des Jahres 1947 gezwungen, aus Polen zu flüchten. „Feind der Demokratie“ heißt von nun an jeder, der gegen die PPR ist. Es ist eine verhängnisvolle Entwicklung, und die Gruppe Gomulka in der Partei wird sie bald zu spüren bekommen.

Der polnische Weg zum Sozialismus (1945-48)

Die Grundthese, daß Polen über die Demokratie zum Sozialismus gelangen würde, gehört zu den wichtigsten Merkmalen der von Gomulka nach 1945 ausgearbeiteten und von der Polnischen Arbeiterpartei vertretenen Theorie des „polnischen Weges zum Sozialismus“.

Durch die völlige Zerstörung der Wirtschaft des Landes infolge Krieg und Besatzung seien in Polen andere Bedingungen für die neue Entwicklung geschaffen worden, als seinerzeit in Rußland. Es bedürfe daher keiner Diktatur des Proletariats, um eine Widerstand leistende reaktionäre Klasse mit Gewalt in die Knie zu zwingen. Die Revolution sei in Polen unblutig verlaufen und die Macht der Arbeiter und Bauern auf friedlichem Weg errichtet worden. Sie könne auch auf friedlichem Weg gefestigt werden.

Dieser Unterschied zwischen der russischen und polnischen Entwicklung bedinge auch, daß sich die Volksmacht in Polen auf eine parlamentarische Demokratie stützen könne. Die gesetzgebende Gewalt, die der Sejm ausübe, sei daher von der Vollzugsgewalt getrennt, während in der UdSSR beides in den Sowjets vereint sei.

Die grundlegenden sozialen Reformen konnten und können in Polen mit demokratischen Mitteln durchgeführt werden. Der Kampf der Arbeiterklasse in Polen gehe jetzt nicht um den Sozialismus, sondern um den konsequenten Aufbau einer Volksdemokratie. Gomulka nennt diese Etappe „eine neue, bisher in der Geschichte unbekannte Etappe“.

Inzwischen hat die Welt erfahren, daß diese „Volksdemokratie“ eine der furchtbarsten Formen der Diktatur über das Volk sein kann, eine Herrschaftsform, in der eine kleine Minderheit tyrannisch jede freie Willensäußerung dieses Volkes, ja, jeden selbständigen Gedanken erstickt. Damals aber, als Wladyslaw Gomulka zum ersten Male von der »Volksdemokratie“ sprach, haben sicher nicht nur er, sondern auch seine in Rußland geschulten Genossen in der Parteiführung sich das ganze Ausmaß der Tragödie, -die sie in Polen heraufbeschworen, nicht vorstellen können. Waren die anderen auf Grund der besseren Kenntnis des Stalinismus skeptisch, so hat Gomulka sicher wirklich daran geglaubt, daß sein „polnischer Weg" verwirklicht werde.

Man begann mit der Bodenreform und der Nationalisierung der Großbetriebe, wie im Programm des Nationalrats vorgesehen war. Man teilte den enteigneten Großgrundbesitz unter die Bauern auf und sicherte ihnen durch Gesetze ihren neuen Bodenbesitz ebenso wie den alten. Es war keine Rede von Kollektivwirtschaften, das Wort wurde selbst im Sprachgebrauch der Partei verboten. „Unterstützung der Genossenschaften“ war alles, was im Programm der PPR auf die künftige sozialistische Umgestaltung des Dorfes Bezug nahm. Dabei war keine Rede davon, wie diese„Genossenschaften“ aussehen würden, keine Andeutung davon, daß man die Bauern dazu überreden solle. Vorläufig wollte man der „Bundesgenosse“ des Bauern sein, wollte, daß er gut arbeite und noch besser an den jungen Staat abliefere.

In den ehemals deutschen Gebieten wurde allerdings nicht aller Groß-grundbesitz parzelliert. Dort entstanden die ersten großen Staatsgüter Polens. Sie haben später den polnischen Kommunisten als Entschuldidigung gedient, als man sie dafür zur Rechenschaft ziehen wollte, daß sie so wenig Kolchosen besäßen. Der „sozialistische Sektor“ der Landwirtschaft sei in Polen ohnehin groß, konnten sie erwidern. Die Staatsgüter im Westen des Landes brachten die notwendigen Prozentzahlen.

In der Industrie wurde neben den verstaatlichten Großbetrieben der sogenannten „Privatinitiative“ viel freie Hand gelassen. Der Handel, das Handwerk, aber auch die überwiegende Zahl der Klein-und Mittelbetriebe blieben privat. „Unsere Wirtschaftsform ist gemischt", sagte Gomulka, „sie hat sowohl sozialistische wie kapitalistische Elemente".

Weder bei den Bauern noch in bezug auf die „Privatinitiative“ sah der „polnische Weg“ eine schnelle oder gewaltsame Veränderung vor. Ausdrücklich wurde davon gesprochen, daß die „Veränderungen in sozialistischer Richtung äußerst langsam, schrittweise und entsprechend der Entwicklung des Bewußtseins der Bevölkerung“ zu erfolgen haben.

Weil man auf diese langsame Entwicklung des Bewußtseins des Volkes Rücksicht nahm, war auch die Politik der Polnischen Arbeiterpartei gegenüber der Kirche äußerst vorsichtig. Zwar hatte man 1945 sofort die Trennung der Kirche vom Staat proklamiert, die standesamtliche Trauung neben der kirchlichen obligatorisch gemacht, die Ehescheidung erlaubt und den kirchlichen Einfluß in den Schulen zumindest eingeschränkt, aber sich doch gleichzeitig einer gewissen Zusammenarbeit mit der Kirche versichert. Gottesdienste in der Armee waren die Regel, der Fahneneid der neuen „wiedererstandenen Polnischen Armee" wurde auf den Glauben gegründet und Boleslaw Bierut, das neue Staatsoberhaupt, zwang seine im russischen Kinderheim kommunistisch erzogene Tochter, am Religionsunterricht teilzunehmen.

Fs gab verschiedene Parteien, und ihre Gleichschaltung war erst angedeutet. Es gab Zeitungen, die sich deutlich in ihrer Haltung voneinander unterschieden — wenn auch solche, die sich, wie das Organ der PSL, offen gegen die grundlegenden Konzeptionen des „volksdemokratischen" Staates wandten, stark zensiert wurden. „Der polnische Weg ist der Weg des schöpferischen Marxismus“ lernten die jungen Bürger Polens, „er ist der Weg der Anwendung des schöpferischen Marxismus auf die heutigen Bedingungen in Polen.“ Dazu gehörte vor allem die ständige Unterstreichung der polnischen nationalen Unabhängigkeit und seiner staatlichen Souveränität, auch gegenüber dem östlichen Nachbarn. Es gab viele polnische Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt, und noch hatten Übersetzungen aus dem Russischen ihn nicht überschwemmt. Die traditionelle Freundschaft der Polen zu Frankreich wurde noch nicht unterdrückt

Da zu alldem eine relativ gute wirtschaftliche Lage im Lande herrschte, — Polen war gleich nach dem Krieg nicht zuletzt dank der sowjetischen Getreidehilfe, die Rußland ungeachtet der furchtbaren Mißernte im eigenen Land 1946 Polen gewährte, das Land, in dem man in Europa neben Belgien am besten essen konnte — schien der „polnische Weg“ sich nicht schlecht anzulassen.

Hatte sein Initiator Wladyslaw Gomulka recht? Konnte man über die relative Demokratie in Polen zum Sozialismus gelangen? Und war die Polnische Arbeiterpartei fähig, das Volk auf diesem Weg zu führen?

Wir haben es nicht erfahren, weil sie diesen Weg, der ihr ebenso wie den Parteien in den anderen von den Sowjets „befreiten“ Ländern zunächst gestattet wurde, nicht lange gehen durfte. Man sagt heute, Stalins „Personenkult" habe sie daran gehindert.

Man kann es so sehen. Man kann aber, und es gibt Belege dafür, auch anführen, daß es dieser „Stalinkult“, d. h. die Diktatur Stalins war, die Gomulka in Polen, Tito in Jugoslawien. Ackermann in der Ostzone Deutschlands dazu ermutigt hat, solche „eigenen“ Wege ihrer Völker zum Sozialismus auszuarbeiten. Stalin hatte verstanden, daß der vorübergehende Verzicht auf die Diktatur des Proletariats, die ebenfalls zeitweise Zulassung der „Privatinitiative“ und sogar eine gewisse Tolerierung nationaler Gefühle und Unabhängigkeitsbestrebungen taktisch Erfolge versprachen. Besonders in einem Augenblick, da Rußland innerpolitisch geschwächt war, schien ein solcher Rückzug geboten.

„Lim den gemeinsamen Feid zu besiegen, hat die Sowjetunion sich mit solchen imperialistischen Mächten zusammengetan wie England und den LISA“, so argumentierten die PPR-Mitglieder, wenn sie hartnäckige Prinzipienreiter überzeugen wollten, „warum können wir nicht mit den Großbauern Zusammenarbeiten?“

Sie konnten, solange Stalin es zuließ, dann nicht mehr. Das alles aber war zu der Zeit, da jener „eigene Weg“ in Polen galt, noch nicht so klar zu übersehen. Und es hat nicht wenig Menschen in allen Kreise., der Bevölkerung gegeben, die an ihn glaubten.

In Acht und Bann

Ende Juli 1948.

Die Mitglieder des Zentralkomitees der Polnischen Arbeiterpartei, die heute zu ihrer großen Plenarsitzung im repräsentativsten Saal der Hauptstadt zusammenkommen, sind ungewöhnlich ernst. Manchen merkt man die tiefe innere Krise an, die sie durchmachen — ihre Gesichter sind bleich, die Lippen zusammengekniffen. Andere halten die Augen gesenkt, als fürchten sie, daß man in ihnen Verzweiflung und Ratlosigkeit lesen könnte. Einige lassen deutlich erkennen, wie beschämend, ja widerlich ihnen das ist, was nun beversteht. Nur ganz wenige geben sich gleichgültig und selbstsicher. Alle wissen: heute werden sie ihren Führer opfern.

Ja, das ist der richtige Ausdruck — obgleich ihn niemand ausspricht: sie werden ihren Führer opfern. Den Mann, den sie achten und lieben, mit dem sie die schweren Jahre der Besatzung und des Ringens um die Macht durchstanden, und dessen Worte ihnen gestern noch richtungweisend waren. Gestern noch?

Nein. Gestern stand er schon halb abseits. Eigentlich begann es schon im Vorjahr. Damals, als er sich sichtlich nur unter Zwang dazu entschloß, für die Bildung des Informationsbüros — des Kominform — einzutreten. Dann, als er immer wieder vor einer voreiligen Vereinigung der PPR mit der Polnischen Sozialistischen Partei warnte, war es schon klar, daß er anfing „schief“ zu liegen. Lind schließlich seine Rede auf dem Juni-plenum. Sie ging entschieden zu weit. Hatte Gomulka denn nicht gemerkt, daß man jetzt nicht mehr nationale polnische Momente hervorheben durfte? Hatte er die Wandlung der russischen Genossen ignoriert, die jetzt einen ganz anderen Ton ihren angeblich gleichberechtigten Bruderparteien gegenüber anschlugen?

Natürlich hat er es gemerkt. Der Mann, der auf jede Andeutung eines Stimmungswechsels in den Massen wie ein Seismograph reagierte, mußte die nur allzudeutlichen Anzeichen des Moskauer Kurswechsels sofort bemerkt haben. Aber anscheinend wollte er sie nicht beachten. Es war Gomulka — halsstarrig und von seinem Recht überzeugt, war er unfähig nachzugeben. Liebten sie ihn nicht gerade dieser Halsstarrigkeit wegen? Hatte nicht eben diese konsequente Haltung Gomulkas mit zu ihrem Sieg beigetragen?

„Was für einen Unsinn, einen der besten Leute, die wir haben, zu-erledigen", denken die Funktionäre. „Stalin holt zum Schlag aus“, fühlen diejenigen mit „Rußlanderfahrung“ unter ihnen, und ein kalter Schauder läuft ihnen über den Rücken, während sie daran denken, daß sich die Jahre der großen Säuberungen in Rußland nun in ihrem Land wiederholen könnten. Boleslaw Bierut am Tisch des Präsidiums weiß genau, was sie denken, auch wenn sie ihre Augen gesenkt halten. Jakob Berman, Hilary Mine, seine Freunde, wissen es ebensogut. Aber sie wissen auch, daß sie nur so handeln können. Sie sind über die Vernichtung ihrer alten Führer vor 10 Jahren zur Tagesordnung übergegangen — gerade vor einigen Tagen hat Berija in Moskau zu Berman gesagt, man solle sich nicht mehr um ihre Rückkehr bemühen, sie wären tot. Sie werden auch den Sturz Gomulkas und Spychalskis überleben.

Lind dann spricht Boleslaw Bierut. Es fällt ihm nicht leicht, das Schuld-konto Wieslaws zusammenzutragen. Nicht nur weil Gomulka sein Kampfgefährte, sondern weil alles so lächerlich ist:

Gomulka, der die politische Situation nicht richtig einschätzte, hatte Einwände gegen die Organisation des Informationsbüros.

Gomulka vertrat in seinem Referat vor dem Juniplenum eine falsche Auffassung über die Traditionen der Arbeiterbewegung. Er war der Meinung, die echten Elemente in der Polnischen Sozialistischen Partei hätten in der nationalen Frage mehr Fingerspitzengefühl besessen als die Kommunisten (Als wenn das nicht wahr wäre!).

Gomulka ist für die Konservierung des jetzigen innenpolitischen Status, der von der Partei ausdrücklich als eine Übergangsperiode bezeichnet wird, statt für. die konsequente Fortführung des Kampfes um den Sozialismus einzutreten.

Gomulka unterschätzt die führende Rolle der Sowjetunion und der Kommunistischen Partei der UdSSR.

„Ja, da liegt der Hund begraben“, denken die Funktionäre, „es wird doch nicht etwa ernst mit der 17. Republik?“ (Die Furcht, daß die Sowjets Polen als „ 17. Republik“ der UdSSR angliedern, hat die Polen damals immer wieder erfüllt).

Aber Gomulka hat noch etwas auf dem Kerbholz: er hat die privaten Bauern unterstützt, er hat, besonders in den ehemals deutschen Gebieten. die Entwicklung reicher bäuerlicher Privatwirtschaften deutlich gefördert — „Kulaken herangezüchtet“ — lautet die offizielle Formulierung dieses Verbrechens. „Und das Land hat zu essen gehabt“, kommentiert für sich Hilary Mine und er muß es wissen. „Natürlich können wir die Bauernwirtschaft zerschlagen, dann'werden wir aus dem Hunger nicht mehr herauskommen, wie Rußland“. Ganz deutlich erinnert er sich plötzlich daran, wie gut das kleine harte Stück Schwarzbrot schmeckte, daß ihm in Samarkand einmal ein Schüler brachte. Hilary Mine, heute Wirtschaftsminister Polens, war während des Krieges Lehrer an einer Schule in jener fernen sowjetischen Stadt. Nein, er will nicht mehr dorthin oder sonst irgendwohin in sowjetische Verbannung.

Inzwischen hat Bierut auch die alten Meinungsverschiedenheiten mit Gomulka aus der Zeit des Nationalrates hervorgeholt. Gomulka ist ein unverbesserlicher Opportunist, Nationalist, Rechtsabweichler und weigert sich überdies eine richtige Selbstkritik abzulegen.

Schuld ist natürlich die gesamte Parteiführung: sie war nicht wachsam, hat nicht rechtzeitig die Tendenzen Gomulkas signalisiert, zeigte zu viel Geduld usw. usw. Alles geschieht nach dem üblichen Ritus, den seit den dreißiger Jahren in den kommunistischen Parteien feststehenden Gesetzen der Feme. Nach Gesetzen, die man glaubte, in Polen nicht einführen zu müssen, die man hoffte, auf das rückständige Rußland zu beschränken. Sie haben gesiegt, sie triumphieren hier in Warschau genauso wie in Moskau. Genauso wie dort werden sie kluge, aufrechte Menschen in rückgratlose, gedemütigte Marionetten verwandeln. Dieselbe Lüge und abstoßende Heuchelei wird bei ihnen einziehen, und genauso wird jeder Witz, jede deutliche Anspielung einem geduckten lauernden Mißtrauen der Genossen untereinander weichen.

So ungefähr denken und fühlen die meisten der Versammelten und schon während dieser Überlegungen durchzuckt sie die bange Frage: „Ahnt mein Nachbar, was ich denke?“

Langsam und ruhig, wie immer, klingt die Stimme Wieslaws, als er Bierut antwortet. Vielleicht hört man nur heute etwas deutlicher als sonst seinen östlichen Akzent. Es ist das einzige Zeichen seiner tiefen inneren Erregung, die er sonst vollkommen zu beherrschen weiß. „Keine Selbstkritik", wundern sich die jüngeren Parteimitglieder — was soll er denn noch sagen?“ „Ja, das ist natürlich zu wenig, eine solche Selbstkritik schlucken die in Moskau nie!", denken die Alten. Jene aber am Präsidiumstisch wissen, daß es ganz gleich ist, was Gomulka sagt und wie er es sagt. Er wird so oder so fallen. Stalin hat es beschlossen.

Gomulka gibt zu, daß sein Referat auf dem Juni-Plenum „rechtsnationalistische Abweichungen“ aufgewiesen habe. Er war zunächst damit nicht einverstanden, berichtet er, hat dann aber, da die Genossen alle diese Auffassung vertraten, nachgegeben, gleichzeitig jedoch erklärt, er könne nun nicht mehr das Amt eines Parteisekretärs innehaben. „Es gab eine Ursache, Genossen, die den Inhalt meines Junireferats beeinflußte“, sagt Gomulka, „ich wollte nämlich das Mißtrauen zerstreuen, das unter den PPS-Leuten gegenüber der PPR bestand.“ Mit diesem Satz, so wissen alle im Saal, hat Wieslaw nicht nur gezeigt, daß er seine Auffassungen keinesfalls revidiert hat, er hat auch die ganze vorherige „Selbstkritik“ entwertet.

Zu den Vorwürfen, er habe in der Frage des Kominformbriefes gegen Jugoslawien Schwankungen gezeigt, sagt Gomulka: „Wenn ich mich heute frage, ob es nicht eine andere Möglichkeit gegeben hätte, auf die falsche Politik der Leitung der KPJ zu reagieren, so muß ich zugeben, daß ich darauf noch keine entscheidende Antwort in mir gefunden habe ..."

Es ist genau das, was alle Anwesenden zu diesem Thema sagen würden, wenn sie keine Angst hätten. Einige würden wahrscheinlich noch mehr sagen — etwa, daß sie die ganze Sache mit Jugoslawien für Unsinn, für die Phantasie eines kranken Hirns, für ein Verbrechen halten. Aber sie sagen etwas ganz anderes, sie sagen: „Ich habe Tito schon immer für einen Feigling und Verräter gehalten!“ Was Gomulka dort auf dem Podium sagt, ist Hochverrat, ist Selbstmord! Die versammelten ZK-Mitglieder beginnen von dem Todgeweihten abzurücken. „Ich war der Meinung, daß die Aufstellung der Parole der Kollektivierung in der jetzigen Etappe unserer Entwicklung noch nicht aktuell und taktisch falsch ist", sagt Gomulka weiter und gibt schließlich sehr umständlich zu, daß man die Perspektive schon Jetzt erwähnen kann. Unterstreicht dann aber gleich wieder: „Idi bin der Meinung, daß jede zwangsweise Forcierung der Kollektivwirfsdiaft nur der Idee dieser Wirtschaftsforui sdiaden kann und zu einer Senkung der landwirtsdtaftlidien Produktion führen muß.“

Ganz entschieden lehnt Gomulka in seiner „Selbstkritik“ den absurden Vorwurf ab, daß er in der Zeit des Nationalrates diesen liquidieren und einen Kurs einschlagen wollte, der faktisch zu einem Eintritt in den Londoner Rat der Nationalen Einheit geführt hätte. Noch einmal entwirft er vor den ZK-Mitgliedern das Bild des damaligen Ringens um den Einfluß unter den Massen, läßt sie sich daran erinnern, wie sie um die Anerkennung der in anderen Untergrundorganisationen stehenden Polen gekämpft haben, zeigt ihnen, daß es nicht immer nur auf äußere Macht, sondern auch auf innere Überzeugungskraft ankommen muß.

Kommen seine Worte noch an? Verstehen die Kampfgefährten von gestern, daß er ihnen so etwas wie ein Testament hinterlassen möchte? Als Gomulka ihnen dann „für das Vertrauen“ dankt, das sie ihm erwiesen haben, als er das Amt eines Generalsekretärs der Partei bekleidete, haben einige von ihnen Tränen in den Augen.

Ein russisches Sprichwort lautet: „Moskau glaubt den Tränen nicht.“ Die Mitglieder des Zentralkomitees haben ihre Aufgabe noch lange nicht erfüllt, als sie die Amtsenthebung ihres Generalsekretärs beschließen. Jeder von ihnen muß Stellung zum „Fall Gomulka“ und der „rechtsnationalistischen Abweichung“ in der Partei beziehen. Jeder muß einen Stein gegen den Verfemten schleudern und wehe, wenn dieser nicht das richtige, vorgeschriebene Gewicht hat! Dann gehört der heutige Ankläger morgen schon mit zur Gruppe der Verfemten.

Auch das ist Gesetz. Lind Gesetz ist, daß die Versammelten Gomulkas Selbstkritik als ungenügend bezeichnen, daß sie ihn zwingen, noch einmal und diesmal „besser" seine Fehler zu bekennen. Nach drei Tagen solcher — wie es im Protokoll heißt: „Diskussion“, in Wirklichkeit aber wohl eher sinnlosen Inquisition legt Gomulka erneut eine, diesmal von Bierut als „befriedigend“ bezeichnete Selbstbezichtigung vor.

Es stimmt beinahe alles, nur am Schluß sagt Wladyslaw Gomulka:

„Man muß sidt darüber klar werden, wie unser polnischer Weg zum Sozialismus sein wird. Aber es scheint mir nicht ridttig, zu behaupten, daß es überhaupt keinen polnisdten Weg zum Sozialismus gibt. Daß es nur eine Schablone gibt, nur eine einzige Methode. Die Bedingungen sind doch heute anders. In der Sowjetunion wurde dodt die Kollektivierung in einer anderen historischen Epoche durchgeführt, unter anderen Klassenverhältnissen . . .“

Die Entwicklung geht ihren Weg, Gomulka ist nicht mehr Generalsekretär der Partei, die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien wird vorangetrieben und schließlich Ende 1948 feierlich vollzogen. Es entsteht die Vereinigte Polnische Arbeiterpartei, in ihr Zentralkomitee ziehen nun die Führer der gleichgeschalteten Polnischen Sozialistischen Partei ein. Darunter Cyrankiewicz,.der Mann, der von Gomulka einmal gesagt hat: „Er ist mein Regisseur.“ Hochfeld kommt in dieses Zentralkomitee und Schwalbe — alle jene, die die „konzessionierte“ PPS 1945 in Polen geschaffen haben.

Wieder kommen sie zu einem Plenum zusammen. Jetzt steht die Frage der „Wachsamkeit“ auf der Tagesordnung. Die Stalinisierung ist in vollem Gange. Es ist November 1949.

Der Ton der einleitenden Rede Boleslaw Bieruts ist diesmal noch um einige Nuancen schärfer. Die Atmosphäre des Kalten Krieges, den die UdSSR entfacht hat, beherrscht diese Sitzung, in der niemand mehr Schamgefühle, liberale Anwandlungen oder große innere Erregung verspürt. Man zuckt nicht mehr zusammen, wenn von „Verrätern" gesprochen wird, man verspürt keine Übelkeit mehr, wenn die „große Sowjet-B Clique" ebenso aufdringlich verurteilt wird. Man hat sich an die leeren Superlative zu gewöhnen begonnen.

Nachdem Bierut lange genug über „die amerikanischen Monopol-herren" gesprochen hat, „die den Strick um den Hals der europäischen Länder zuziehen“ über ihre „Abenteurerpolitik“ und vor allem über ihre „räuberischen Marshallplanhilfe“ gewettert hat, geht er zu der „imperialistischen Spionage-und Agententätigkeit“ über.

In Ungarn ist der Rajk-Prozeß zu Ende gegangen. Stalin zerschmettert in allen Ländern diejenigen Kommunisten, die es wagten, auch nur einen Schatten von Sympathie für den Mann zu bezeugen, der sich ihm widersetzt hat. Tito ist Feind Nr. I für Moskau, und Warschau muß, will es nicht vernichtet werden, seinen Abscheu vor Belgrad so laut und überzeugend wie möglich zum Ausdruck bringen.

Es genügt nicht, Gomulka ideologische Abweichungen vorzuwerfen und ihn aus der Parteiführung zu entfernen. Es müssen Spione entdeckt werden, ausländische Agenten. Es muß eine Gruppe geben, die mit Geheimdiensten des Auslands zusammengearbeitet hat.

Bierut spricht von Spychalski. Der Mann, der seinerzeit die kommunistische Untergrundarmee aufgebaut hat und an der Wiege der heutigen kommunistischen Regierung stand, war nicht wachsam. Er hat Spione der Gestapo in seine Organisation ausgenommen. Und der unerschrockene Widerstandskämpfer, General der „wiedererstandenen“ polnischen Armee, Spychalski, gibt selbstkritisch alles zu. Ja, er war nicht wachsam. Ja, er hat den Feinden den Weg geebnet. Aber er wird es nicht mehr tun. Er bittet, ihn in der Partei zu belassen.

Der Leiter der Personalabteilung der Partei, Zenon Kliczko, einer von den Kämpfern der „Volksarmee“, die am Warshauer Aufstand teilgenommen haben, wird für schuldig befunden Spychalski und Gomulka dabei geholfen zu haben, feindliche Elemente in die Partei eindringen zu lassen. Lind auch er gibt seine „Schuld“ zu, bekennt zu wenig „Wachsamkeit" an den Tag gelegt zu haben.

Gomulkas Rede fällt wieder ganz aus dem Rahmen. Während er seine Einschätzung der jugoslawischen Frage nun nah dem Rajk-Prozeß revidiert, lehnt er die Verantwortung für irgendwelhe Gestapoarbeit in der Partei ab. Er findet die Methode, in der man die ganzen Dinge behandelt, shiecht, für die Partei shädlih und sagt, daß man vorsihtig sein muß, wenn man die Volksdemokratie für eine Form der Diktatur des Proletariats erklärt. Niht er allein sei schließlich anderer Meinung gewesen. „Ich spreche heute viel und offen zu Euch, Genossen, denn ich spreche zum letzten Male als Mitglied des ZK zu Euch.“ sagt Gomulka, „ich wollte nicht schreiben, weil ich das verloren habe, was ein Mensch verlieren kann, wenn er von allen Seiten isoliert wird.“

Auh der starke Gomulka ist schwah geworden in dem nun anderthalb Jahre währenden Kampf gegen die Partei-Inquisition der „Partei neuen Typs“ Stalins. Aber er ist niht gebrohen.

Hilary Mine glaubt ihm noh einen Shlag versetzen zu müssen. Er formuliert den verhängnisvollsten Fehler Gomulkas: „Genosse Wieslaw hat den Weg der Volksdemokratie dem Weg der Proletarischen Diktatur entgegengestellt, er hat den sogenannten „polnischen Weg“ der siegreichen Oktoberrevolution entgegengesetzt.“

Ja, das war das Shlimmste, denn der „polnische Weg" ist zu Ende. Es gibt keine „eigenen“ Wege zum Sozialismus, es gibt nur einen Weg: den der Sowjetunion. Es gibt keine anderen, keine nationalen Bedingungen, alles muß auf die große, vorbildlihe LIdSSR ausgerichtet sein! Auf sie und die „geniale Lehre Stalins“.

Der polnishe Weg ist zu Ende. Bierut hat in seinem einleitenden Referat dieser Plenarsitzung einige Zahlen über das Anwahsen des „sozialistischen Sektors“ in Landwirtshaft, Industrie und Handel genannt. Jede dieser Zahlen bedeutet verdrängte, in Not gestürzte Existenzen, ist Ausdruck vernihteter Wirtshaftsunternehmen, aber Bierut nennt sie mit Stolz. „Im Gegensatz zu 1946, wo der Staats-und Genossenshaftshandel nur 56 Prozent, der private aber noh 44 Prozent betrug, ist der Anteil des Staats-und Genossenshaftshandels heute 98 Prozent" berichtet er. Und meldet dann an anderer Stelle — selbstkritish —, daß es in letzter Zeit ernste Störungen im Handel gegeben hat. Es fehlte an einer Reihe von Lebensmitteln und anderen Waren ...

Das Leben in Polen ist im Vergleih zum Vorjahr bedeutend schwerer geworden. Bierut brauhte seine Bemerkung gar niht zu mähen. Die Mitglieder des Zentralkomitees wissen das ohnehin. Die Bevölkerung Polens aber flüstert sih zu, daß die Bauern seit dem vorigen Herbst Fleish und Wurst in die Erde vergraben und verstecken. Seit dem vorigen Jahr — seitdem der erste Angriff auf Wladyslaw Gomulka erfolgte.

Heute wird Gomulka aus dem ZK ausgeshlossen. Auh Kliszko und Spychalski werden aus dem Zentralkomitee der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei entfernt, und allen dreien wird das Reht genommen, in irgendwelchen Parteifunktionen zu arbeiten.

Die Begründung spriht von „rechtsnationalistischen Abweihungen, auf die der Imperialismus und ausländische Agenten rechneten".

An Stelle der Ausgeshlossenen werden einige andere Parteimitglieder ins Zentralkomitee ausgenommen, unter ihnen der sowjetische Marschall Konstantin Rokossowski, der neue Verteidigungsminister Polens.

Gomulka und Spyhalski verschwinden von der politishen Bühne. Von nun an gibt es nur noh Gerühte. Es heißt, daß Gomulka irgendwo in einer Bank arbeitet — oder ist es eine Bibliothek? Man sagt, er sei sehr krank. Wieder später heißt es, er sei in einer Villa irgendwo in einem Kurort. Spyhalski erscheint als Zeuge in einem der neu anlaufenden vielen großen politishen Prozesse. Er ist Zeuge, aber wird aus der Untersuchungshaft zitiert.

Bis dann im Jahre 19 54 der Oberst des Polnishen Siherheitsdienstes Josef Swiatlo über Ostberlin nah dem Westen flieht und von den Vereinigten Staaten aus erzählt, wie er Marian Spyhalski und Wladyslaw Gomulka verhaftet, wie er Prozesse vorbereitet und Verhöre durhgeführt hat.

Bereits 1948, als Gomulka noh im Zentralkomitee und Spyhalski noh stellvertretender Verteidigungsminister ist, hat die 10. Abteilung des Polnischen Siherheitsdienstes (UB), in dem Oberst Swiatlo als stellvertretender Leiter tätig ist, den Auftrag, belastendes Material gegen sie zu sammeln Es stellt sih heraus, daß der Bruder Spychalskis während des Krieges in der „Heimatarmee" war und im Auftrag der Londoner Regierung über Polen abgesetzt wurde. Spychalski hatte damals über seinen Bruder Kontakte zwishen der Volksgarde und der Heimatarmee anknüpfen wollen. Diese Tatsahe, die übrigens Bierut und dem Politbüro immer bekannt gewesen war, wird nun benutzt, um Spyhalski unter Druck zu setzen, damit er Gomulka belaste. Das ist die Ursache seiner reumütigen Selbstkritik auf dem Plenum des ZK. 1950 erhielt dann Oberst Swiatlo den Befehl, Marian Spyhalski, der inzwishen sogar von dem Posten des Ministers für Bauwesen, den er nach 1949 bekleidet hat, abgesetzt worden ist, zu verhaften. Das ganze Personal Spyhalskis ist shon seit langem in Diensten des Sicherheitsministeriums.

Aber Bierut, Berman und Mine, die glauben, der harakterlih niht sehr starke Spyhalski werde im Gefängnis belastendes Material gegen Gomulka liefern, irren sih. Spyhalski belastet ihn niht, er läßt sih niht, wie Swiatlo sih fahmännish ausdrückt „präparieren“. Inzwishen drängen die sowjetishen „Ratgeber" in der Partei und im Sicherheitsdienst immer nahhaltiger darauf, endlih einen Prozeß gegen die „Nationalisten" in der Partei zu mähen.

Im Juli 1951 muß Swiatlo auf direkten Wunsh Bieruts Gomulka in Krynica verhaften und ihn möglihst ohne Aufsehen nah Warschau bringen. Er tut das, indem er Gomulka überredet, freiwillig mit ihm im Auto nah Warshau zu fahren und zieht dann die Fahrt so in die Länge, daß sie bei Naht in der Hauptstadt ankommen. Hier wird Gomulka sofort in eine eigens für ihn als Gefängnis vorgesehene Villa — sie liegt kurioserweise, ohne daß die Amerikaner es ahnten, in unmittelbarer Nähe des amerikanishen Diplomatenklubs — untergebracht. Gomulkas Zimmer, das vergitterte Fester hat, wird Tag und Nacht ununterbrochen beobachtet, die Wächter haben den Befehl, Gomulka keinen Augenblick aus dem Auge zu lassen.

Drei Monate lang wagt es niemand aus dem Politbüro der Partei, mit dem verhafteten Gomulka zu sprechen. Schließlich wird diese Aufgabe dem stellvertretenden Sicherheitsminister Romkowski übertragen. Aber auch dann ergeben die Verhöre keine Resultate. „Bis zu meiner Abfahrt im Dezember 1953,“ berichtet Obert Swiatlo, „das heißt, im Verlauf von zweieinhalb Jahren seiner Blast, wurde Gomulka nicht mehr als fünfzehn Arbeitsstunden lang verhört.“

Gomulka geht die ganze Zeit nicht einen Schritt weiter, als während seiner selbstkritischen Rede auf dem Plenum. Nur, daß er hier bei den Verhören offen Angriffe auf Bierut, Mine und die anderen richtet und droht, diese Angriffe bei dem Prozeß, falls es zu einem kommen sollte, öffentlich zu wiederholen. Es gelingt nicht, ihn zu brechen und zu falschen Aussagen zu zwingen.

Die Parteiführung wird unter dem Druck der Russen, die endlich einen Prozeß in der Art des Rajk-Prozesses in Ungarn oder des Slansky-Prozesses in der Tschechoslowakei sehen wollen, immer nervöser. Sie verlangt, daß die Sicherheitspolizei „besser arbeitet".

Aber als Swiatlo über seine Vorgesetzten Bierut vorschlägt, da man keine richtigen belastenden Aussagen bekommen könne, falsche zu verwenden und Gomulka etwa durch eine Bekannte von Field, der im Slansky-Prozeß eine so große Rolle spielte, zu belasten, lehnt Bierut den Vorschlag ab. Der Prozeß Gomulkas und Spychalskis findet nicht statt, die beiden bleiben am Leben und die Verurteilung Berjas, die die großen Veränderungen im gesamten Sicherheitsapparat des sowjetischen Block einleitet, macht dann einen solchen Prozeß nicht mehr nötig.

Ja, eben — nicht mehr nötig. Denn aus allem, was Oberst Swiatlo sagt und obwohl er die Schuld Bieruts und der übrigen Parteiführung bei der Verhaftung Gomulkas und Spychalskis immer wieder betont — ist es ganz offensichtlich, daß die polnische Parteiführung zwar unter dem Druck Stalins und der russischen Partei ihren ehemaligen ersten Sekretär ausschaltete und verfemte, aber doch gleichzeitig seine physische Vernichtung verhinderte. Nicht nur, weil Bierut auf die Verwendung gefälschten Materials nicht eingehen wollte, hat er Gomulka gerettet. Zweifellos hätte man bei Anwendung richtiger NKWD-Methoden — und sie sind zu jener Zeit, auch in polnischen Gefängnissen angewandt worden — Gomulka ebenfalls brechen können. Es har niemanden gegeben, der diesen Methoden gewachsen gewesen ist. Aber sie wurden nicht angewandt. Und das rettete Gomulka das Leben.

Zu einem geringen Teil wird die Schuld der „Sowjetpolen" dadurch gemildert. Zu einem sehr geringen allerdings, wenn man berücksichtigt, daß durch die Unterwerfung der gesamten polnischen Politik unter das Diktat Moskaus dem Land und der Bevölkerung in den letzten Jahren ein ungeheurer wirtschaftlicher und moralischer Schaden zugefügt worden ist.

Gomulkas Rückkehr

Im April 1956 — unmittelbar nach dem 20. Parteitag in Moskau — erwähnt Eduard Ochab, Polens erster Parteisekretär in einer großen Rede vor dem Parteiplenum, daß Wladyslaw Gomulka rehabilitiert ist. Er sagt nicht, daß er irgend einen neuen Posten in der Partei bekleidet. Im Gegenteil, er unterstreicht immer noch Gomulkas „damalige politische Abweichungen“.

Wo ist Gomulka? Was macht er? Wird er in die Parteiführung zurückkehren? Wieder gibt es nur Vermutungen und Gerüchte. „Als man ihm damals das Parteibillet abnahm, da hat man viel Lärm gemacht, jetzt, wo man es . ihm wiedergibt, tut man es heimlich!", empören sich viele Parteimitglieder, empören sich die Arbeiter, empört sich das Volk. Längst ist der Kommunist Wladyslaw Gomulka, der von seinen eigenen Leuten als „Nationalist" verfemt und ins Gefängnis geworfen wurde, zu einer Art nationalem polnischen Volksheld geworden.

Seine Anhänger finden ihn und monatelang stellen sie nun vor dem Haus in Warschau, in dem er wohnt, freiwillige Wachen auf, „damit ihm nicht wieder etwas passiert“, meinen sie.

Dieses Haus wird zum Ausgangspunkt eines hartnäckigen innerparteilichen Kampfes der Gomulkaanhänger, der „Tauwetter“ -Leute, derjenigen, die eine weitere Demokratisierung des Lebens in Polen wollen, gegen die anderen. Man nennt diese anderen der Parteiführung die „Stalinisten“ oder auch die Natolin-Gruppe, nach einem Vorort von Warschau, wo sich dieser auf eine vorsichtigere Politik eingestellte Flügel der ZK-Mitglieder in einer Villa trifft. Sie sitzen in dieser Villa in Natolin als die Posener Ereignisse das Land und die Partei erschüttern und beraten darüber, wie sie jetzt wieder den Kurs verschärfen werden. Das 7. Parteiplenum wird verschoben, um diese Kursverschärfung innerparteilich vorzubereiten. Die Moskauer Delegation, die zu dieser Zeit in Warschau weilt, unterstützt sie dabei. Aber der Gomulkaflügel ist schon zu stark. Das 7. Plenum wird zwar noch ein halbes Kompromiß und Gomulkas Rückkehr in die Parteileitung verschiebt sich, aber eine Verschärfung des Kurses gibt es dennoch nicht. Kaum ist das Plenum vorbei, da stößt die Intelligenz, da stoßen die Presse, die Jugend, die Arbeiter weiter vor.

Es sind besonders die Warschauer Parteiorganisation und ihnen voran die Arbeiter der Automobilfabrik Zeran in der Nähe von Warschau, die jetzt die Entstalinisierung mit Gewalt weiter treiben. „Veröffentlicht die Gespräche, die mit Gomulka geführt wurden!“, fordert die Jugend-zeitung „Poprostu“. „Gomulka stellt Bedingungen für seine Rückkehr“, heißt es. Und dann tritt nach Berman auch Hilary Mine zurück, der einst Gomulka am schärfsten angegriffen hat. Ist der Weg für Gomulka nun frei?

Das 8. Plenum steht vor der Tür, als die wachsamen Parteigänger Gomulkas — auch ein Teil der neuen Sicherheitsbeamten hält nun zu ihm — erfahren, die Natolingruppe habe eine Liste mit 700 Namen führender Parteileute zusammengestellt, die als Gomulkaanhänger bekannt sind, und schlagartig über Nacht verhaftet werden sollen. Der Anschlag wird vereitelt. Ebenso vereitelt wird der Marsch der Truppen nach Warschau, die den Handstreich zur Verhinderung eines Sieges von Gomulka militärisch untermauern soll. In den Autos der Zeranfabrik eilen die Gomulka-männer von einem Truppenteil zum anderen: die mittleren Offiziers-kader, in der Regel Polen, lassen sich bereitwillig auf die Seite Gomulkas überreden, sie weigern sich die Befehle auszuführen. Der Marsch unterbleibt teilweise oder scheint den Initiatoren dann sinnlos.

Da kommt am Vortage des Plenums eine dringende Einladung der polnischen Parteiführung nach Moskau. Man lehnt ab und am nächsten Tag — die erste Sitzung hat kaum begonnen, erscheint in Warschau unerwartet die große russische Starparade: Molotow, Chruschtschow, Kaganowitsch, Mikojan, Konew. Warschau, ganz Polen — die Welt hält den Atem an. Was ist das? Eine Drohung? Ein Druck?

Eine Unverschämtheit — so empfinden die Polen. Die Empörung in Warschau ist ungeheuer, die Stimmung zum Zerreißen gespannt. Alles ist zum Losschlagen bereit.

Sind die Russen es auch?

Nicht einmal 24 Stunden sind die ungebetenen Gäste in Warschau — sie sind kaum zum Schlafen gekommen. Nach einer, die ganze Nacht währenden Sitzung mit den polnischen Parteiführern, starten sie um 6 Uhr früh zurück nach Moskau. Auf dem Flugplatz steht wieder wie am Tag vorher bei ihrer Ankunft Wladyslaw Gomulka. Er hat sie höflich aber bestimmt zurückkomplimentiert. „Die russischen Genossen waren sich über einige Einzelheiten der Lage in Polen nicht genügend im Klaren“, wird Gomulka später sagen. Er hat ihnen diese Klarheit verschafft. Noch ist seine Wiederwahl zum 1. Parteisekretär nicht erfolgt, aber in dem großen Referat, das am Sonnabend, dem 20. Oktober, über alle polnischen Sender geht, fühlt man schon — Gomulka hat gesiegt, er ist wieder Herr im Haus.

Es ist eine ganz nüchterne, ganz sachliche Rede. Gomulka ist kein Meister des Wortes, seinem Referat fehlt, wie allen seinen Reden der Witz, die sprühende Rhetorik, der schillernde Bilderreichtum und die Schärfe, die die Aufsätze und Reden der ,, Tauwetter" -IntelIektuellen in Polen in den letzten Monaten so interessant und aufregend machten. Sie klingt beinahe primitiv, so einfach und elementar ist sie. Aber vielleicht ist ihre Wirkung gerade darum nicht geringer.

Gomulka nennt Zahlen und nochmals Zahlen, nennt Dinge beim Namen, die alle wissen, aber bei aller Schärfe bis jetzt nicht aussprachen — so jedenfalls nicht aussprachen, daß man weiß, man kann das jetzt alles mit einer Handbewegung abtun. Es ist einleuchtend und vertrauenserweckend, was er sagt. Polen jubelt ihm zu. „Ganz Polen steht zum ersten Male wirklich hinter der Parteiführung“ — melden die Zeitungen im In-und Ausland. Nur nicht in Moskau. Und nicht in der DDR. Da wird Gomulkas Rede übergangen.

Dabei hat eigentlich Chruschtschow auf dem 20. Parteitag ganz deutlich die Rüdekehr zu den „eigenen Wegen zum Sozialismus“ verkündet und Gomulka tut ja nichts weiter, als zu seinem Weg zurückzukehren. Hartnäckig und in jeder Kleinigkeit fängt er da an, wo man ihn 1948 von diesem Wege abdrängte.

Damals wollte er keine Kollektivierung, warnte vor der zwangs-weisen Veränderung des Dorfes, förderte die großbäuerliche Wirtschaft. Man verfemte ihn deshalb, und er beginnt jetzt seine Rede mit der Beleuchtung der katastrophalen Folgen der damals eingeschlagenen Politik. In demselben Saal, wie vor sieben und acht Jahren und zum größten Teil vor denselben Leuten, beweist Gomulka an Hand von ausgiebigem Zahlenmaterial, daß die Produktionsgenossenschaften und die Staatsgüter im Verhältnis zu den individuellen Bauernhöfen sehr viel weniger und teurer produzierten. Daß durch die Angst vor der Kollektivierung und durch die Vernichtung ihrer Höfe auch die individuellen Bauern nur etwa zwei Drittel ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erreichen, ist in Polen ein offenes Geheimnis und hat mit am meisten Schuld an der schlechten Wirtschaftslage im Land. Um die begangenen Fehler auf dem Land wieder wettzumachen schlägt Gomulka vor: 1; die staatlichen Zuschüsse für die Produktionsgenossenschaften stark einzuschränken und sie nur solchen Genossenschaften zu geben, die wirklich rentabel zu arbeiten vermögen — sonst aber den Mitgliedern der Genossenschaften anheimzustellen ihre Kolchose aufzulösen; 2. alle Formen der landwirtschaftlichen Genossenschaften zu fördern, also auch die schon früher bestehenden alten Genossenschaftsformen, die, wie Gomulka scharf verurteilt, unbegreiflicherweise aufgelöst wurden, während man das gemeinsame Eigentum der Bauern in staatliche oder Gemeinde-Ausleihstationen überführte; 3. sowohl Genossenschaften, wie Gruppen von Bauern, die sich zum Kauf von landwirtschaftlichen Maschinen entschließen, vom Staat aus dabei zu unterstützen und auch einzelnen Bauern Maschinen in Privatbesitz zu verkaufen, Ausleihstationen der Gemeinden aufzulösen und den staatlichen Ausleihstationen vor allem die Funktion von Reparaturwerkstätten zu überlassen — staatliche Zuschüsse an sie einzustellen; 4. in absehbarer Zeit die Zwangsablieferungen der Bauern an den Staat zu liquidieren.

Noch in der letzten ökonomischen Arbeit, die Stalin seiner großen Partei gewissermaßen als Testament zurückließ, warnte er davor, den Kolchosen landwirtschaftliche Maschinen zu verkaufen. Nur in den staatlichen Maschinen-und Traktorenstationen sah er die Gewähr dafür, daß die Bauernschaft vom Staat genügend in der Gewalt gehalten würde. Seine Nachfolger, sowohl Malenkow wie auch Chruschtschow haben bei aller Kritik an dem toten Diktator diese Warnung nicht in den Wind geschlagen. Die landwirtschaftlichen Maschinen blieben wie alle Maschinen in der Hand des Staates, die Macht, die ökonomische und die politische Macht der Maschinenstationen über die bäuerlichen Genossenschaften wurde seit Stalins Tod eher verstärkt als geschwächt. Gomulkas Vorschläge in der Landpolitik sind also eine wesentliche Abweichung vom sowjetischen Weg. Gleichzeitig bieten sie jedoch auch die einzige Möglichkeit, die polnischen Bauern zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Polens anzuregen.

Die zweite oder eigentlich die erste Besonderheit des „polnischen Weges“ ist die nationale LInabhängigkeit Polens von Moskau. Sie soll sich vor allem in dem Verzicht auf russische Instrukteure, Kommandeure und Fachleute in der Armee ausdrücken und unmittelbar nach dem 8. Plenum sind außer Marschall Rokossowski eine Reihe anderer russischer Offiziere aus der polnischen Armee entlassen und durch polnische Offiziere ersetzt worden. Wie sich diese LInabhängigkeit noch weiter äußern wird, das ist die große Frage. Die Haftentlassung von Kardinal Wyschinski, der einige Tage nach dem 8. Plenum bereits von Abgesandten des Zentralkomitees der Partei aus seinem Verbannungsort geholt wurde und sein Amt wieder antrat, gehört ebenso dazu, wie die von der Moskauer und Ostberliner Reaktion völlig abweichende Reaktion Warschaus auf die Ereignisse in Ungarn. Es gehört dazu die Kulturpolitik, die bereits im letzten Jahr erreichte Befreiung von der kulturellen Bevormundung durch Rußland und vor allem die Annahme der von Amerika vorgeschlagenen Kredite.

Und dann ist da noch die Kohle, die seit Bestehen des neuen Polen unaufhörlich in viel zu großen Mengen und für einen unverhältnismäßig niedrigen Preis an Rußland geliefert werden muß. Das soll jetzt aufhören. (Es heißt, Chruschtschow sei weniger wegen Rokossowski, als wegen der drohenden Einstellung der polnischen Kohlelieferungen empört nach Warschau geeilt.)

Die „Privatinitiative" soll wieder eine Rolle spielen, kleinere Privat-betriebe, besonders solche, die dem Baugewerbe helfen, können wieder entstehen, und weder sie noch das Handwerk dürfen durch Steuern gedrosselt werden. Privatbauern, die Brachland in den westlichen Teilen des Landes unter den Pflug nehmen, wird für einige Jahre völlige Steuerfreiheit gewährleistet.

Eine entscheidende Bedeutung hat auch, und das wurde von Gomulka ebenfalls in seiner ersten Rede bereits gesagt, die Selbstverwaltung der Betriebe durch die Arbeiter. Die alte Parole „die Betriebe in die Hände der Arbeiter“ mit der die Bolschewiken seinerzeit zwar ihre Revolution in Rußland durchführten, die sie dann aber gründlich vergaßen, wird in Polen jetzt wieder aktuell. Noch zur Zeit Lenins wurden die Arbeiter-räte, die die Betriebe leiteten, als für die Produktion unrentabel abgeschafft und durch Sowjet-Direktoren ersetzt, die sich von den sogenannten „kapitalistischen“ Direktoren nur dadurch unterscheiden, daß sie eine weitaus rücksichtslosere Ausbeutung der Arbeiter organisierten als diese. In Polen will man versuchen diese Ausbeutung durch Arbeiter-räte zu steuern.

Indem Gomulka die Möglichkeit solcher Arbeiter-Selbstverwaltungen erwähnte, gab er dem Drängen der polnischen Arbeiter nach, denen er gleichzeitig durch seine Stellungnahme zu den Ereignissen Gerechtigkeit widerfahren ließ: „Die Arbeiterklasse hat der Parteileitung und der Regierung eine schmerzlidie Lehre erteilt. Die Posener Arbeiter, die die Waffe des Streiks anwandten und ant schwarzen Donnerstag int Juni demonstrativ auf die Straffe gingen, haben mit mächtiger Stimme gerufen: , Schluß!“ So kann es nicltt weiter gehen! Zurück vom falschen Weg!

Die Arbeiterklasse greift nie leichtsinnig zum Streik als zu einem Kampfmittel. Um so weniger jetzt in Nolkspolen, das in ihrem Namen geleitet wird. Offensichtlich war das Maß voll ... Es zeugte von einer großen politisdten Naivität, wenn man versuchte, die schmerzliche Posener Tragödie als die Arbeit von imperialistischen Agenten und Provokateuren darzustellen . . . Die Ursachen der Posener Tragödie und der tiefen Unzufriedenheit der ganzen Arbeiterklasse sind bei uns zu suchen, bei der Partei und bei der Regierung.

Der Sprengstoff sammelte sich jahrelang an.“

Eine weitere Besonderheit des von Gomulka proklamierten neuen „polnischen Weges“ ist seine neue Wahlordnung, die Art wie sich die Polen ihre Abgeordneten wählen und wie sie die Tätigkeit des Sejm kontrollieren werden. Es gehört dazu, daß es auf der Kandidatenliste mehrere Kandidaten geben wird, aus deren Zahl man einen wird wählen können, statt sich wie bisher, nach sowjetischem Muster, damit zu begnügen, den fertigen und ausgefüllten Schein in die Urne zu werfen. Die Sejmmitglieder werden Einsicht in alle Verträge bekommen, die Polen mit dem Ausland abschließt, sie werden über alle Gesetze öffentlich verhandeln. Überhaupt ist es ein charakteristisches Merkmal der polnischen „Demokratisierungsbewegung", daß man die Veröffentlichung aller wichtigen politischen Beratungen und Beschlüsse verlangt. Das Volk hat genug von der Geheimniskrämerei und dem soll Rechnung getragen werden.

Aber ist das schon „Demokratisierung"? Gomulka, der seinerzeit einer der Inspiratoren des Wahlblocks bei der ersten „volksdemokratischen" Wahl in Polen im Jahre 1947 war, wird auch jetzt einen Wahl-block befürworten, einen Block, in dem die führende Rolle seiner Partei nicht angezweifelt wird. An eine gleichberechtigte andere Partei ist nicht zu denken. In diesen letzten Monaten der großen polnischen Auseinandersetzung gab es mehrere Angriffe auf den von Stalin geschaffenen Typ der „monolithen" Partei, der Partei „aus einem Guß“ in der alle dieselbe Meinung haben müssen. Man meinte mit Recht, sie habe zur Verdummung der Mitglieder geführt, die schließlich keiner Meinungsbildung mehr fähig waren und nur das zu sagen wußten, was „oben" beschlossen wurde. Im theoretischen Parteiorgan „Nowe Drogi" verlangte ein Artikel noch im September, daß ein von der Parteikontrolle unabhängiges Gremium von Wissenschaftlern eine Über-prüfung der theoretischen Konzeptionen des Marxismus-Leninismus vornehme — eine Gruppe von Menschen, die nicht an der Abfassung und Durchführung der Parteibeschlüsse beteiligt sei. Die Antwort in demselben Heft von „Nowe Drogi“ wies diesen Vorschlag zurück, denn eine solche Ausarbeitung theoretischer Konzeptionen gehöre doch natürlich in die Kompetenz der Parteiführung.

Die geschlossene, einige Partei, einzige Voraussetzung für die führende Rolle, die sie auch weiterhin in Polen zu spielen gedenkt, bleibt auch nach der Verurteilung des Stalinismus unangetastet. Gomulka ist kein Djilas. Allerdings soll das Parteimitglied der Vereinten Polnischen Arbeiterpartei das Recht haben, seine eigene Meinung zu haben und zum Ausdruck zu bringen — bis zur Beschlußfassung, dann muß es diese Meinung für sich behalten. Nicht Stalin hat die Grundlagen der schlagkräftigen Partei ausgearbeitet, sondern Lenin. Gomulka aber ist die Gewähr dafür, daß die enge „sektiererische“ Haltung dieser eisernen Kohorte nicht wiederkommt, daß sie elastischer, biegsamer, konzessionsbereiter und daher erfolgreicher sein wird.

Er war gegen die Vereinigung der Polnischen Arbeiterpartei mit der Polnischen Sozialistischen Partei — man warf ihm Liebäugeln mit den „Rechten“ in der PPS vor. Kaum zwei Wochen nach dem 8. Plenum verlangt Gomulka in einer Sitzung des Parteiaktivs vor 2000 Parteifunktionären, man solle die alten PPS-Funktionäre, die man damals vor acht Jahren aus dem politischen Leben ausschaltete oder sogar verhaftete, jetzt wieder in Parteifunktionen wählen. „Die alten Mitglieder der Polnischen Arbeiterpartei und die alten Mitglieder der Sozialistischen Partei sollen ihre alten Funktionäre wieder wählen“, sagt er wörtlich. Ist das schon eine Andeutung der Rückkehr zu zwei Arbeiterparteien? Kaum, aber doch die Verheißung größter Toleranz. Ebenso wie die Aufforderung an die katholischen Vereinigungen, politisch besonders auf dem Lande wirksam zu sein und die Rehabilitierung sowie Berufung von bekannten und verfolgten Funktionären der Bauernpartei in den höheren Staatsdienst.

Alles das wird seine Grenzen haben. Grenzen allerdings, die Wladyslaw Gomulka und sein mit ihm zurückgekehrter Freund Marian Spychalski sicher nicht mit Hilfe der russischen Bajonnette werden errichten müssen. Denn die Vermeidung dieser Bajonette, die Wahrung der „polnischen Staatsraison“ ist das, was diese Nationalkommunisten am allertiefsten bewegt. Und diese Mahnung zur „Staatsraison" ist es auch, die ihnen bis jetzt das Vertrauen der polnischen Bevölkerung sichert. Dieses Vertrauen zu behalten, den eigenen Weg zu gehen und dennoch Rußlands Nichteinmischung zu erreichen, ist die schwere Aufgabe, die Wladyslaw Gomulka übernommen hat.

In Ungarn ist der Aufstand in vollem Gang, als der polnische Schriftsteller Putrament, derselbe, der am Tage der Eröffnung des Warschauer Plenums in der Moskauer „Prawda“ auf das schärfste angegriffen wurde, in einer polnischen Zeitung die Losung von der „Entsatellitisierung" Polens prägt. Als Nagy seine immer mehr Parteien umfassenden Regierungen bildet, verwandelt sich die polnische Hilfsaktion für die ungarischen Brüder zu einer immer wärmeren Sympathiekundgebung. Die Demonstrationen Jugendlicher vor der sowjetischen Botschaft hat man durch nachdrückliche Aufklärung über die polnischen nationalen Belange eindämmen und schließlich ganz verhindern können,. aber all das ist dem Prestige des neuen Parteisekretärs nicht mehr unbedingt zuträglich. Die gespannte Lage führt zu Angstkäufen der Bevölkerung, die Bauern und die Staatsgüter warten gleichermaßen ab, was kommen wird. Die drohenden sowjetischen Panzer aber drängen nachdrücklich darauf, daß man in Warschau die prosowjetische Haltung unterstreicht, die Ulbricht in Berlin und die Parteiführung in der Tschechoslowakei so laut vordemonstrierten. Auch Tito hat schon von der „Konterrevolution" gesprochen, „die in Ungarn das Haupt erhob“ und in Polen: „damit Polen niemals in eine solche Situation gerät, in die heute Ungarn gekommen ist, muß man genau und rücksichtslos die Aufgaben erfüllen, die die Partei und die Volksregierung stellen“, sagt Gomulka am 4, November, an dem Tag, an dem die Sowjettruppen in Ungarn einmarschierten — „Jeder Pole, der sein Land liebt und ein Verantwortungsgefühl für die Sicherheit seines Volkes hat, versteht den heutigen historischen Augenblick. Es gibt aber Bürger oder Genossen mit heißen Köpfen, die sich nicht von ihrem Verstand leiten lassen, sondern nur durch Gefühle. Es gibt auch Leute, die unverantwortlidt sind, Radaubrüder, die nur schreien können, aber nicht denken. Es ist die heilige Pflicht der polnischen Arbeiterklasse, die patriotische Pflicht der polnischen Jugend und der ganzen bewußten Bevölkerung, sich entschieden allen unverantwortlichen und gefährlichen Ausfällen zu widersetzen.“

„Wenn ihr fragen würdet, welche Art von Liebe heute nottut, so würde ich euch sagen — wir brauchen heute, meine Lieben, keinen Heldentod im Namen der Vaterlandsliebe, sondern Heldenarbeit tut uns aus Liebe zu unserer Heimat not!“ sagt am selben 4. November Kardinal Wyschinski in der Warschauer hl. Dreikreuzkirche. Während Gomulka seine Worte in der Parteiaktivsitzung mit den Worten schließt: „Arbeitet, Genossen, arbeitet ruhig, jeder auf seinem Platz!“, sagt Kardinal Wyschinski: „Wir Polen sind bekannt dafür, daß wir uns opfern können, daß wir unser Leben hingeben und wunderbar zu sterben verstehen, aber meine Lieben, es ist nötig, daß wir wunderbar zu arbeiten verstehen.“

Und der Warschauer Rundfunk prägt am 5. November, da in Ungarn die furchtbare Niederwerfung des Aufstandes vor sich geht, der der ganze Westen in verzweifelter Rat-und Tatlosigkeit zusieht, die Worte: „Wir sind nicht gegen Heldentum und werden Helden sein, wenn es nottut, aber wir wollen keine armen Waisen sein, denen als einzige zweifelhafte Belohnung das nicht lang währende Mitleid der Welt winkt."

„Polen kann seine geographische Lage nicht in eine stille Ecke der Welt verlegen,,, heißt es an einer anderen Stelle und wieder fällt kein Wort von den „faschistischen Banditen" in Ungarn, von denen das Radio in Ostberlin schreit.

Erst am 5. November sagt Gomulka auf Fragen in der Aktivsitzung, daß eine Restaurierung der kapitalistischen Beziehungen in Ungarn natürlich eine ernstliche Schwächung des sozialistischen Lagers bedeuten würde, die niemand hier wolle. „Wenn wir die weitere Entwicklung in Ungarn beobachten, müssen wir Realisten bleiben. Gleichzeitig aber dürfen die Ereignisse dort keinen Einfluß auf unsere Absichten haben und auf die Dinge, die wir noch mit der UdSSR auf der Grundlage der Souveränität unseres Staates zu regeln haben.“

Politik und Zeitgeschichte

AUS DEM INHALT UNSERER NÄCHSTEN BEILAGEN:

O. H. von der Gablentz: „Notwendigkeit und Grenzen der Koexistenz"

W. Hermann: „Die Rehabilitierungen und ihre Grenzen"

Roland Klaus: „Nicht gestern, Freund, morgen!"

Andre Julien: „Marokko, das Ende einer Epoche'

Hans Rothfels: „Das Baltikum als Problem der internationalen Politik"

Eduard Spranger: „Gedanken zur staatsbürgerlichen Erziehung"

Georg Stadtmüller: „Der Partisanenkrieg in Südgriechenland"

Alexander Weissberg-Cybulski: „Die Geschichte von Joel Brand” „Urkunden zur Judenpolitik des Dritten Reiches"

Fussnoten

Fußnoten

  1. „Manifest der demokratischen, sozialen, politischen und militärischen Organisationen", Dezember 1943, „Dokumente zum 10. Jahrestag der PPR", Warschau 1952.

  2. Aus der Rede Bieruts auf der 1. Plenarsitzung des KRN — ebenda.

  3. Vgl. Fußnote 2, ebenda.

  4. Vgl. Anm. 2, ebenda.

  5. Jan Rzepecki, „Es spricht das Dokument“, Zeitung „Popprostu“ Warschau 5. 8. 56.

  6. Gomulkas Rede auf dem ZK-Plenum der PPR 1948.

  7. Gomulka auf dem 1. Kongreß der PPR — 1945.

  8. Churchill-Memoiren Bd. 6 11. Teil.

  9. Vgl. Anm. 8, ebenda.

  10. Bericht des Londoner PPS-Organs „Robotnik Polski“, Januar 1947.

  11. Nach Radiosendungen von Josef Swiatlo im Radio Freies Europa „Stimme des Freien Polen", Oktober 1954.

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