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Die Geschichte von Joel Brand | APuZ 50/1956 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 50/1956 Die Geschichte von Joel Brand

Die Geschichte von Joel Brand

ALEX WEISSBERG

Mit freundlicher Genehmigung des Verlages veröffentlichen wir in dieser und der folgenden Ausgabe das eben erschienene Buch von Alex Weißberg: „Die Geschichte von Joel Brand“, erschienen bei Kiepen-heuer & Witsch, Köln-Berlin 1956. Kürzungen erfolgten im Einverständnis mit dem Verlag. Das Buch erscheint in Israel im Verlage Ajanoth unter dem Titel „Bischlichut Nidonium-Lemaweth" (Im Auftrage der Todgeweihten).

Vorbemerkung

Dieses Buch verdankt seine Entstehung einer geineinsauten Bemühung. Joel Brand, ein Führer der jüdischen Untergrundbewegung in Budapest, hat mir die merkwürdigen Ereignisse geschildert, von denen dieses Buch handelt. Für die Richtigkeit der dargestellten Tatsachen übernimmt also er die Verantwortung. Wo immer seine Aussagen den Berichten anderer zu widersprechen schienen, habe ich mich bemüht, sie durch das Studium unabhängiger Quellen zu prüfen. Die Schwierigkeiten waren groß. Die Vernichtung der europäischen Juden war ein Elementarprozeß, der in den Archiven nur dürftige Spuren hinterlassen hat. Quellen der historischen Forschung sind hier Zeugenaussagen Überlebender. Wir haben versucht, die Tatsachen und die Schlußfolgerungen dieses Buches mit allen jenen zu diskutieren, die die Geschichte jener Zeit miterlebt haben und dazu etwas zu sagen haben. Man weiß jedoch, wie widerspruchsvoll Zeugenaussagen zuweilen scheinen. Wenn es also auch schwer gewesen sein mag, die Exaktheit jedes Details, die Richtigkeit jeder Zahl nachzuweisen — eines kann man mit ruhigem Gewissen behaupten: Die große Linie dieser unwahrscheinlichen Geschehnisse ist mit einer Genauigkeit nachgezeichnet, die eine fruchtbare politische Diskussion erst möglich macht.

Die Gespräche Joel Brands mit seinen Gefährten, mit den SS-Führern, mit den Delegierten der Jewish Agency in Konstantinopel und mit den englischen Offizieren in Kairo nehmen in diesem Buche einen breiten Raum ein. Ich verwende zu ihrer Wiedergabe die Form der direkten Rede. Es erhebt sich der Einwand, es sei unmöglich, ein Gespräch nach Ablauf eines Jahrzehnts wörtlich zu rekonstruieren. Der Einwand ist berechtigt, aber er trifft Gespräche, die vor zehn Tagen stattfanden, ebensosehr. Die direkte Rede'erhebt nicht den Anspruch auf wörtliche Wiedergabe des Gesprochenen. Sie ist nichts als eine Darstellungsform, und die kürzeste, die ich wählen konnte.

Ich hoffe, es ist unserer gemeinsamen Arbeit gelungen, etwas Licht in dieses dunkle und tragische Kapitel der Geschichte des zweiten Weltkrieges zu bringen.

Wien, den 12. 9. 1956 Alex Weissberg Am 25. April 1944 wurde ich ins Hotel Majestic, das Hauptquartier der SS in Budapest, gebracht. Obersturmbannführer Eichmann empfing midi stehend. „Sie wissen, wer ich bin? Ich habe die Aktionen im Reich, in Polen, in der Tschechoslowakei durchgeführt. Jetzt kommt Ungarn an die Reihe. Ich habe Sie kommen lassen, um Ihnen ein Geschäft vorzuschlagen. Vorerst habe ich Sie und Ihre Leute prüfen lassen, die vom Joint und die von der Sochnuth. Und ich habe festgestellt, daß Sie noch leistungsfähig sind. Ich bin also bereit, Ihnen eine Million Juden zu verkaufen. Alle werde ich Ihnen nicht verkaufen. So viel Geld und Waren können Sie nicht aufbringen. Aber eine Million, das wird gehen. Ware für Blut — Blut für Ware. Sie können sich diese Million aus allen Ländern holen, in denen es noch Juden gibt. Sie können sie aus Ungarn nehmen, aus Polen, aus der Ostmark, von Theresienstadt, von Auschwitz, von wo immer Sie wollen. Was wollen Sie gerettet haben? Zeugungsfähige Männer? Gebärfähige Frauen? Greise? Kinder? Setzen Sie sich und reden Sie.“

Der so zu mir sprach, war der Beauftragte Himmlers für die Liquidierung der Juden in Europa. Er sprach im Auftrage seiner Regierung. Er sprach in einer Zeit, in der die Gasöfen und Krematorien in Auschwitz und Treblinki noch rauchten. Fünf Millionen meiner Volksgenossen waren bereits ermordet. Den Rest oder einen großen Teil des Restes wollte er nun verkaufen. Wie war es zu diesem phantastischen Angebot gekommen?

Der Vorschlag war ernst, den dieser Würger machte. Einer Million Menschen wäre ein grauenvoller Tod erspart geblieben, wenn man den Handel akzeptiert hätte. Die Gelegenheit wurde versäumt. Mehr als ein Jahrzehnt ist seither vergangen. Die Leidenschaften sind halb verraucht. Es ist Zeit, die Geschichte jener Tage festzuhalten.

Eine seltsame Verkettung ungewöhnlicher Umstände hatte mich in den Mittelpunkt dieser Ereignisse gerückt, also muß ich sagen, wer ich bin.

Joel Brand

Ich entstamme einer wohlhabenden jüdischen Familie aus (der früheren ungarischen Slowakei). Mein Großvater Postmeister von Munkäcs. Die Post war damals noch ein das ihm persönlich gehörte. Er war ein energischer erschloß die Mineralwasserquellen der Umgebung, züchtete die Weine dieses Landstriches und baute ganze Häuserzeilen in Vaterstadt. Noch jetzt tragen eine Straße in Munkäcs und eine seinen Namen. Sein Geld legte er in goldenen Dukaten bewahrte es in alten Weinfässern auf. Seine sieben Söhne leicht. Ging ihnen das Geld aus, dann holten sie sich Dukaten Fässern. Der Großvater wollte aus ihnen Männer der Schrift Sie aber zogen ein weltliches Leben vor. Großvater baute für alle ein Haus mit sieben genau gleichen Wohnungen. Als es fertig die Söhne nicht kamen, verließ er das Land, in dem er ausgewachsen war, und zog nach dem Lande seiner Sehnsucht, nach Erez Israel, in geweihter Erde begraben zu werden. Aber noch war es nicht In Israel angekommen, begann er wieder zu bauen. Ein ganzes in Jerusalem trägt den Namen . die Ungarischen Häuser".

von ihnen hat Rebb Joel Brand gebaut. Die achtzigjährigen in Jerusalem erzählten noch viel von dem großen Naciwau — dem Spender. Schließlich baute er wieder ein Haus mit sieben gleichen für seine sieben Söhne. Er wartete einige Jahre, daß sie Aber keiner kam, um im Lande zu bleiben. Dann starb er.

Mein Vater war Unternehmer. Er gründete die Telefongesellschaft von Budapest. Obwohl er Seifmademann war und nie eine besucht hatte, beschäftigte er sich sein Leben lang mit technischen Die Entwicklung des Signalwesens war sein Steckenpferd.

Mutter war die Tochter eines Bankiers aus Naszöd in Siebenbürgen.

Dort kam ich am 25. April 1906 zur Welt.

Vier Jahre später übersiedelte die Familie nach Deutschland. In wuchs ich auf. machte dort das Abitur und sollte die Technische in Leipzig beziehen. Ich blieb aber nicht dabei. Ich war Jahre alt, da ergriff mich die Wanderlust. Nach einem kurzen bei einem wohlhabenden Onkel in New York ging ich auf Fahrt. Als Tramp durchstreifte ich zuerst die Vereinigten Staaten, bei Straßenbauten, in Autowerken, im Kohlenbergbau. Ich als Schneeschaufler in New York, als Geschirrwäscher in und Cincinnati, wurde Gehilfe eines Architekten in (Georgia) und ging schließlich als Seemann auf verschiedene Ich kam nach Hawaii, auf die Philippinen, nach Japan, nach nach Südamerika. Ich wechselte oft das Schiff und verbrachte wieder einige Monate an Land. Im Sommer 1930 kehrte ich Deutschland zurück. Mein Vater war unterdessen gestorben. Ich in die Telefongesellschaft ein, die er gegründet hatte. Es begann mich eine Zeit friedlicher Arbeit in der kleinen deutschen Stadt. öffentlichen Leben bereiteten sich große Entscheidungen vor. Die Hitlers auf der einen Seite, die Leute des Roten Frontkämpfer-bundes auf der anderen durchzogen die Straßen. Die Wirtschaftskrise hatte bereits sieben Millionen aufs Pflaster geworfen, im Parlament löste eine Regierung die andere ab, keine fand eine Mehrheit. Die Wirtschaftskrise wich einer tiefgreifenden Krise des Systems. Die Freunde meiner Jugend erwarteten als Lösung sozialistische Revolution. Aber es siegte der Faschismus in seiner Form.

Mein privates Leben wurde von diesen Stürmen noch nicht Erst die Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933 stellte mich vor neue Situation.

Am Tage nach dem Reichstagsbrand wurde ich wie sehr viele oder Juden verhaftet. Zwei Jahre später verwies man mich als Staatsbürger des Landes. Ich ging nach Budapest.

Als Gymnasiast hatte ich mich sozialistischen und kommunistischen Kreisen angeschlossen. Die Ereignisse in Deutschland und die fast in der Sowjetunion zwangen mich zu einer Revision politischen Ansichten. Ich wurde Zionist. Das war eher eine Rückkehr zu den Traditionen meiner Familie und meiner ersten Jugend.

In Budapest bot mir die Telefongesellschaft, die mein Vater einst gegründet hatte, eine aussichtsreiche Stellung an. Ich nahm an. Alle Wege zu einer beruflichen Karriere standen mir offen. Aber ich hatte innerlich bereits mit Europa gebrochen. Ich wollte nach Erez Israel gehen und dort in einen Kibuz eintreten. Noch immer stand ich unter dem Einfluß der sozialistischen Ideen meiner Studentenzeit und wollte ein Leben produktiver Arbeit im Lande unserer Väter führen Ich schloß mich einer Hadtsdtarak an. So nannte man die jüdischen Jugendgruppen, die sich auf das Leben in Palästina vorbereiteten. Wir wohnten und aßen zusammen. Der Verdienst aller Mitglieder ging vollständig in die Kasse der Gemeinschaft. Selbst die Kleider waren Gemeineigentum.

In dieser Hadisdiaralt traf ich Hansi Hartmann. Gemeinsame Arbeit und gemeinsame Hoffnung brachten uns einander nahe. Zum Jahresende 1935 heirateten wir.

Im Frühjahr 1936 verließ ich das Kollektiv. Wirtschaftliche Gründe zwangen mich dazu. Meine Mutter und meine drei Schwestern waren aus Deutschland geflüchtet. Idi hatte jetzt für fast ein Dutzend Menschen zu sorgen. Mein relativ hohes Gehalt bei der Telefongesellschaft reichte nicht aus. Ich beschloß, mit meiner Frau, die Strickerin war, eine Werkstatt zu gründen.

Wir hatten Glück. In einigen Jahren beschäftigten wir über hundert Arbeiter. Der Gedanke an eine unmittelbare Auswanderung nach Erez Israel trat ein wenig zurück; um so intensiver arbeitete ich in der zionistischen Bewegung. Ich wurde in den Vorstand der Poale Zion und in die Exekutive der zionistischen Landesorganisation gewählt und wurde einer der Präsidenten des Keren Hajesod

Selbst der Ausbruch des zweiten Weltkrieges unterbrach nicht meine friedliche Arbeit. Wir versuchten, den Flüchtlingen zu helfen, die in immer größeren Massen über die Grenze kamen. Wir verstärkten unsere zionistische Agitation. Aber uns kam nicht der Gedanke, es könnte sehr bald dem jüdischen Leben in Mitteleuropa ein Ende gesetzt werden — und solch ein Ende mit Schrecken.

Vor dem ersten Weltkrieg war Ungarn eines der judenfreundlichen Länder in Europa gewesen. Die Juden in den ungarischen Städten hatten sich viel mehr als in anderen Ländern Mitteleuropas an die herrschende Nation assimiliert. Sie besaßen alle Möglichkeiten des Aufstieges im öffentlichen Leben, im Staatsapparat und in den intellektuellen Berufen.

Die Literatur des Landes, seine Kunst und Wissenschaft hätten die Arbeit jüdischer Denker und Künstler gar nicht missen können. Auch in den gesellschaftlichen Beziehungen spielte der Antisemitismus eine geringfügige Rolle. Selbst der ungarische Adel, der das halbfeudale Land beherrschte, war oft mit jüdischen Familien versippt. Das änderte sich mit einem Schlage, als nach dem Sturz der Räterepublik im Jahre 1919 Nikolaus von Horthy mit seinen Erwachenden Magyaren in Budapest einzog.

Es folgte eine Periode des virulenten Antisemitismus. In den Kasernen der Erwachenden Magyaren wurden Juden und Sozialisten oft zu Tode gefoltert. Das herrschende Regime erließ Gesetze, um die Juden von der Teilnahme am öffentlichen Leben auszuschließen. Aber Europa stand damals noch unter der Herrschaft der humanistischen und demokratischen Ideen. Der ungarische Faschismus konnte sich nicht entwickeln. Langsam demokratisierte sich das Land. Die erlassenen Gesetze wurden zum Teil nicht beachtet. Die Habsburger-Monarchie wurde seinerzeit oft ein „Absolutismus, gemildert durch Schlamperei“ genannt. Das Ungarn Horthys konnte man mit Recht „einen Faschismus, gemildert durch Korruption" nennen. Das ging so weit, daß Horthy, der einst ausgezogen war, um die angebliche rote Judenherrschaft zu brechen, gegen Ende seiner Tage gezwungen war, sich den mörderischen Forderungen Hitlers nach Liquidierung der Juden zu widersetzen.

Der Ausbruch des zweiten Weltkrieges und die Eroberung Siebenbürgens bedeuteten einen Wendepunkt in dieser Entwicklung. Eine Reihe von scharfen „Rassengesetzen" wurde erlassen. Die Juden wurden zu einer Art militärischer Zwangsarbeit gepreßt. Das, was sich in der Folgezeit in diesen Arbeitskompanien abspielte, konnte ruhig den Wettbewerb mit den Gestapolagern eingehen. Nach dem Ausbruch des Krieges mit Rußland wurden Zehntausende dieser Arbeitsdienstler in ungenügender Kleidung in die von den ungarischen Truppen okkupierten Gebiete geschickt. Der größere Teil ging zugrunde. Erhängungen, Erschießungen und grausame Prügelstrafen waren an der Tagesordnung. Oft mußten ganze Kompanien, auf Händen und Füßen kriechend, den Eßnapf zwischen den Zähnen, bellende Laute ausstoßen. In Einzelfällen kam es zu regelrechten Vernichtungsaktionen. So wurde ein Militär-spital in der Nähe von Korosten, in dem 500 typhuskranke Arbeitsdienstleute lagen, eines Nachts umzingelt, ringsum wurden Maschinengewehre aufgestellt. Dann wurde das Spital angezündet. Die Flüchtenden wurden erbarmungslos niedergeschossen. Oft veranstaltete man sogenannte Treibjagden. Die Juden mußten auf die Bäume klettern und wie Affen von Ast zu Ast hüpfen. Wehe dem, der vom Baum fiel. Unter erwarteten ihn die Jäger mit scharfen Patronen. Diejenigen, die zu langsam sprangen, wurden von den Treibern mit Stock und Peitsche behandelt. Manchmal wurden Juden an den hinten zusammengebundenen Händen aufgehängt. Verloren sie das Bewußtsein, so weckte man sie mit einem Kübel Wasser. Waren sie oft genug übergossen worden, so erstarrten sie in der russischen Kälte zu Eisklötzen. Manchmal warf man sie in Ketten auf das Lagerfeuer, bis sie verbrannten.

Die schlimmsten Exzesse spielten sich vorläufig nur in den Randgebieten unter dem unmittelbaren Einfluß der deutschen SS ab. Das ungarische Reichsgebiet selbst war davon noch verschont. Die Nachrichten von den Schrecken des Arbeitsdienstes in Rußland wurden kaum geglaubt. Nur ein einziges Ereignis durchbrach die Verschwörung des Schweigens in der Hauptstadt.

Die ungarische Regierung hatte im Frühjahr 1941 mit Jugoslawien einen Freundschaftspakt geschlossen. Nadi dem Sturz der achsenfreundlichen Regierung in Belgrad besetzten ungarische Truppen die Batschka. Die dortigen Okkupationstruppen veranstalteten am 6. Januar 1942 einen wüsten Pogrom. In wenigen Stunden wurden einige Tausend Juden bestialisch ermordet. Bezeichnend für die Widersprüche im damaligen ungarischen Regierungssystem ist die Tatsache, daß diesmal der Reichsverweser selbst eingriff. Kaum war die Nachricht nach Budapest gedrungen, bot er dem Pogrom Einhalt. Er schickte seinen Flügeladjutanten in die Batschka und ließ die verantwortlichen Offiziere vor ein Kriegsgericht stellen. Sie wurden verurteilt. Doch öffnete man ihnen die Gefängnistüren, damit sie ins faschistische Deutschland entkommen konnten. Drei Jahre später kehrten sie im Gefolge der deutschen SS-Truppen nach Ungarn zurück.

Ich selbst machte den Feldzug in Siebenbürgen als ungarischer Offiziersanwärter mit. Nach der Gründung des Arbeitsdienstes wurde ich wie alle meine jüdischen Kameraden aus der Armee ausgestoßen. Ich sollte nach Budapest zurück, um dort die Einberufung in den Arbeitsdienst abzuwarten. Aber ich war entschlossen, mich um jeden Preis zu drücken. Mit Hilfe eines befreundeten Arztes ließ ich mir einen Platz im Sankt-Istvan-Spital in Budapest sichern. Als der Bote mit dem Einberufungsbefehl kam, empfingen ihn meine Frau und unsere Köchin, Rozsi Varsoni. Beide verweigerten die Bestätigung. Meine Frau verständigte mich. Ich ging sofort ins Spital und blieb wochenlang dort. Eine leichte Zuckerkrankheit half mir. Die Ärzte spritzten mir wiederholt Medikamente ein, die meinen Blutzucker erhöhten. Als ich hörte, meine Kompanie habe Budapest verlassen, ging ich nach Hause. Ich glaubte schon, Ruhe zu haben, da wurde ich ganz unerwartet wegen Dienstverweigerung vor ein Kriegsgericht gestellt. Aber die Gerichte in Ungarn waren noch unabhängig. Sie hielten sich an die Gesetze. Meine Verteidigung war einfach: Ich hätte den Einberufungsbefehl nie erhalten. Die Spitalsärzte bestätigten, ich sei zur fraglichen Zeit schwerkrank im Bett gelegen. Meine Frau war Zeugin. Das Gericht sprach mich frei. Ich hatte jetzt ein halbes Jahr relativ Ruhe. Aber im Sommer 1941 traten Ereignisse ein, die mich aus meinem kleinen Privatleben heraus-rissen und mir in der Geschichte meines unglücklichen Volkes eine Rolle zuwiesen, der meine Kraft nicht gewachsen war.

Am 22. Juni 1941 marschierten die deutschen Truppen in Rußland ein. In ihrem Gefolge befanden sich auch italienische, rumänische und ungarische Regimenter. Die deutschen Herren überließen den ungarischen Vasallen einen kleinen Landstrich in der Ukraine zur Verwaltung. In dieses Gebiet wurden sofort jüdische Arbeitsdienstler gesandt. Einige Wochen nach Kriegsausbruch holte General Ferenzcyi, der Kommandant der ungarischen Gendarmerie, zu einem Schlag aus. Ungefähr 50 000 aus dem Ausland stammende Juden — die meisten waren seit Jahren in Ungarn ansässig — wurden in einer Nacht von den Gendarmen verhaftet. Man ließ ihnen keine Zeit, ihr Hab und Gut zu packen, pferchte sie in die bereitgestellten Eisenbahnwagen und deportierte sie in die ostgalizischen und ukrainischen Okkupationsgebiete. Der größte Teil der Betroffenen wurde nie wieder gesehen.

Maßloser Schrecken verbreitete sich unter den Budapester Juden. Die jüdische Gemeinde wagte nicht zu protestieren. Erst als der zionistische Delegierte Dr. Kahan Nisson seine Stimme erhob, versuchte die Leitung der Gemeinde eine schüchterne Intervention. Diese Aktion hörte ebenso plötzlich wieder auf, wie sie begonnen hatte. Aber sie hatte ein Nach-spiel, das für mich und meine spätere Arbeit sehr wichtig wurde.

Unter den deportierten Auslandsjuden befand sich auch die Schwester meiner Frau mit ihrem Mann Lajos Stern. Meiner Frau gelang es noch, ihre Schwester im polizeilichen Schubhaus zu sehen. Am Tage darauf wurden die beiden abgeschoben.

Aber niemand wußte genau, wohin. Die wildesten Gerüchte wurden verbreitet: Ungarn werde Teile von Polen annektieren und diese Gebiete mit ausgesiedelten Juden bevölkern. — Die Deportierten würden den Deutschen übergeben. — Die Deportierten würden hingerichtet werden. — Alle Budapester Juden würden nach Polen deportiert werden. — Nein, nur die polnisch Sprechenden schicke man dorthin, um mit ihnen die Ernte einzubringen. Und so fort. Langsam sickerte jedoch eine ernstere Nachricht durch. Die Deportierten befänden sich in der Nähe von Kamenez-Podolsk. Meine Frau gab mir keine Ruhe. „Bring meine Schwester zurück, Joel. Du kannst es, wenn du nur willst. Die beiden gehen dort zugrunde. Jeder verlorene Tag ist eine Gefahr für ihr Leben. Wir müssen etwas tun."

Ich muß gestehen, ich liebe es, ins Kaffeehaus zu gehen. Wenn ich Sorgen habe, setze ich mich an einen Tisch und denke nach. Zumeist kommt mir dann eine Idee, oder es begegnet mir ein Mensch. So ging es auch diesmal. An jenem Tag hatte ich mich kaum hingesetzt, als ein Mann eintrat, den ich ganz flüchtig kannte. Aber sofort sagte ich mir: „Das ist mein Mann.“ Jozsi Krem war ein leichtsinniger Junge. Es hatte sich herumgesprochen, daß er für den ungarischen Geheimdienst arbeite. Wir wußten alle, daß er dem Spiel, den Frauen und dem Wein zugetan und deshalb dauernd in Geldnöten war. Ich setzte mich zu ihm und trug ihm mein Anliegen vor. 10 000 Pengö bot ich ihm dafür, daß er meine Verwandten aus der Ukraine zurückbringe. Die Aufgabe war nicht leicht. Ich konnte ihm nicht sagen, wo die beiden waren. Ihre Namen und ihre Fotografien waren das einzige, was ich ihm geben konnte. Jozsi Krem erklärte sich sofort bereit. Ich deponierte die 10 000 Pengö beim Rechtsanwalt Dr. Kaldi. Krem wollte die Sache machen, aber er verlangte 500 Pengö für Reisespesen. Ich war mißtrauisch geworden und fürchtete, er wolle das Geld, um eine Spielschuld zu bezahlen. Daran zerschlug sich der Handel.

Ohne mir ein Wort zu sagen, ging meine Frau am selben Abend zu Jozsi Krem und brachte ihm die 500 Pengö. Er versprach, in einer Woche zurück zu sein und meine Verwandten im Kofferraum seines Autos mitzubringen. Wir warteten eine Woche lang in fieberhafter Aufregung. Pünktlich klingelte das Telefon, und Krem meldete aus einer Vorstadt, er werde in einer Stunde eintreffen. Er kam und brachte vier Juden aus jener Gegend zurück. Meine Verwandten habe er nicht gefunden. Er versprach aber, am nächsten Tage wieder zu fahren, um sie zu suchen. Das Geschäft gefiel ihm. Die anderen hatten ihm horrende Summen für ihre Rettung versprochen. Er mahnte uns zur Vorsicht, wir sollten die Geretteten gut verstecken und alles sehr geheimhalten. Er fuhr noch öfter und brachte immer andere Leute mit. Beim vierten Male fand er endlich meinen Schwager und dessen Frau. Als meine Frau am Abend darauf ihre Schwester in die Arme schließen konnte, glaubten wir anfangs, die Aktion sei für uns beendet. In Wahrheit war es nur ein schüchterner Anfang.

Die jüdische Untergrundbewegung

Diese rein private Aktion zur Rettung meines Schwagers führte schrittweise zur Gründung einer illegalen Organisation, deren Aufgabenkreis immer mehr wuchs, die ihre Agenten in den Geheimdiensten des Feindes hatte, die schließlich einen schlagkräftigen Apparat für den dauernden Schmuggel von Menschen über die Grenze schaffen konnte und die ständige und gut funktionierende Verbindungen zu den jüdischen Organisationen im Lager der Alliierten einrichtete. Das alles geschah durchaus nicht nach einem vorbedachten Plane. Wir stolperten sozusagen in die Weltgeschichte hinein. Meine Frau und ich hatten anfangs nur das Bedürfnis gehabt, einzelnen bedrängten Menschen zu helfen. Aber bald erweiterte sich unser Horizont. Jeder Tag stellte neue Aufgaben, die gelöst werden mußten. Jede gelungene Rettung erweiterte den Arbeitsbereich. Im Feuer dieses Kampfes wurde die Organisation gebaut. Unaufhörlich mußten wir improvisieren.

Jozsi Krem hatte uns gleich nach den ersten Reisen eingeschärft, diese Dinge zutiefst konspirativ zu behandeln. Wir könnten alle erschossen werden, wenn die ungarische Polizei oder die deutsche Gestapo uns auf die Spur komme. Aber wenn es sich um Menschen handelt, die in höchster Verzweiflung um das Leben ihrer verschleppten Familienangehörigen zittern, helfen gute Vorsätze nicht. Die Geretteten erzählten ihren Freunden und Verwandten von der Möglichkeit zur Flucht. Diese fanden den Weg zu mir. Meine Wohnung in der Buljovsky utea verwandelte sich in ein regelrechtes Hauptquartier.

Anfangs wollten wir dem Strom der Bittsteller wehren, wir fürchteten Provokateure. Aber der Druck der Verzweifelten, die einen Vater, einen Sohn, eine Mutter, einen Bruder verloren hatten, war zu stark. Wir begannen zu fühlen, daß es unsere Bestimmung war, nicht Widerstand zu leisten, sondern die Rettung der Unglücklichen in größerem Maßstabe zu organisieren. Mit dem Erfolg und mit der Erweiterung unserer Verbindungen schwand auch die Angst. Wir waren nicht mehr allein. Mit uns arbeiteten auf allen Stufen der Organisation junge Menschen, die täglich ihr Leben aufs Spiel setzten. Das stärkte unser Selbstvertrauen und hob unseren Mut.

Die aus den ukrainischen Gebieten Zurückgeholten erzählten fürchterliche Dinge. Es war die Zeit, da die Deutschen den großen Feldzug zur physischen Vernichtung des jüdischen Volkes in Europa vorbereiteten. Ostgalizien und die ukrainischen Gebiete waren das Experimentierfeld. Wir hatten schon früher vereinzelt von diesen Dingen gehört, aber wir hatten sie, offen gestanden, nie ganz geglaubt.

Jetzt aber zwangen die Rückkehrer aus der Likraine zumindest den inneren Kern unserer Bewegung dazu, die ganze Wahrheit zu erkennen und ihr ins Auge zu sehen. Wir wußten von da an, daß wir nur Tote auf Urlaub seien und daß es von unserer Geschicklichkeit und unserem Mut abhängen werde, eine möglichst große Zahl unserer Volksgenossen zu retten.

Als Krem die ersten Juden gebracht hatte, ging ich zu meinem Freunde Samu Springmann und erzählte ihm die ganze Geschichte. Samu Springmann hatte ich in der Hadisdiarah, jener sozialistischen Gemeinschaft, kennengelernt, in der ich meine erste Zeit in Budapest verbracht habe. Er war ein magerer, mittelgroßer Mann, körperlich ungewöhnlich flink, mit allen Wassern gewaschen. Als Selfmademan hatte er keine höhere Schulbildung, war aber an allen geistigen Dingen ungewöhnlich interessiert. Er war von Beruf Diamantenhändler und Juwelier und hatte dadurch gute Beziehungen zu den Diplomaten, die in Budapest akkreditiert waren, angeknüpft. Das sollte uns in der Folgezeit sehr helfen.

Samu Springmann war von den Möglichkeiten, die sich uns boten, fasziniert. Er sagte gleich, daß das für unsere Partei die wichtigste Sache sei, die es gebe. „Aber wir müssen die Verbindung mit unseren Genossen im Ausland herstellen. Wenn die SodiPiuth von unseren Möglich-keiten erfährt, wird sie uns raten und helfen. Wir müssen die Flüchtlinge unterbringen. Wir müssen ihnen andere Dokumente verschaffen.

Wir müssen versuchen, sie weiterzuschicken, möglichst nach Palästina.

Das alles kostet Geld, und viel Geld. Diese Summen bringen wir hier nicht auf, aber die Sodinuth wird uns helfen, wenn wir nur Kontakt mit Konstantinopel herstellen.“

Die Gründung der Organisation war einfach. Die Leitung der Poale Zion trat zu einer Sitzung zusammen und ermächtigte Springmann, Kastner und mich, diese Arbeit zu organisieren und zu führen. Dr. Rezsö Kastner war der Vertreter der Poale Zion im Präsidium der zionistischen Landesorganisation.

Ein aktiver, lebendiger Mann, hatte er schon ein Jahr früher die drohende Gefahr erkannt. Er hatte dem italienischen Botschafter in Budapest eine Denkschrift für den Grafen Ciano überreicht, in der er die furchtbare Lage der Juden schilderte und die italienische Regierung um Intervention bat. Der einzige Erfolg dieser Aktion zeigte sich nach dem Einmarsch der Deutschen in Jugoslawien. Die italienische Armee schickte uns 40 jüdische Kinder aus der Slowakei in italienischen Militärautos nach Budapest. Kastner versuchte, eine Sitzung aller ungarischen Parlamentsmitglieder jüdischer Herkunft einzuberufen. Diese Aktion führte zu nichts.

Kastner selbst ist der Typus eines jüdischen Intellektuellen mit all seinen guten und schlechten Eigenschaften. Sein scharfer Verstand ließ ihn schnell verborgene Zusammenhänge entdecken. Wenn er sich für eine Sache einsetzte, dann war er imstande, Ungewöhnliches zu leisten.

Jedoch war er nicht ebenso zuverlässig wie rasch denkend. Pünktlichkeit ist in der illegalen Arbeit durch keinerlei Esprit zu ersetzen. Rezsö Kastner war unpünktlich. In solchen Dingen entscheidet das Endergebnis.

Mit all seinen Schwächen und Fehlem war Rezsö Kastner ein Mann, der sich für die Rettung seiner Volksgenossen voll eingesetzt und damit großen Erfolg gehabt hat. Von Natur aus furchtsam, zwang er sich in entscheidenden Momenten einen Mut ab, den man bewundern mußte.

Die Arbeit mit ihm war nicht leicht. Vielen erschien er als der Prototyp eines hochmütigen Intellektuellen. Er hatte keine ursprüngliche Beziehung zu den einfachen Menschen. Jedenfalls verstand er es nicht, mit den Leuten umzugehen. Insbesondere in den Kreisen der Chaluzim

wurde er stark angefeindet. Wir standen zu ihm. Die Bewegung brauchte ihn. Es gab Arbeiten, die niemand so gut vollbringen konnte wie er.

Als der Politiker in unserem Triumvirat führte er die Verhandlungen mit den andern zionistischen Parteien, mit der offiziellen jüdischen Gemeinde, mit den ungarischen Sozialdemokraten und den Politikern anderer ungarischer Gruppen. Nach meinem Abgang übernahm er die Führung der Verhandlungen mit den Deutschen.

Wir drei bildeten die Leitung der Organisation, die den Namen Waada Ezra we Hazalah (Rat für Hilfe und Rettung) bekam. In der Folge werden wir kurz von Waada sprechen. Ich muß dabei bemerken, daß zur selben Zeit in Israel eine Organisation der SocEnutlr unter demselben Namen wirkte. Sie hatte ihre Vertreter in Konstantinopel. Es gelang uns in der Folge, durch Samu Springmann den Kontakt mit dieser Organisation herzustellen, der nie mehr abreißen sollte. Ich selbst leitete die unmittelbare Rettungsarbeit, also die Organisation des Grenzübergangs für die Juden, die aus den ukrainischen, polnischen und slowa-kischen Gebieten flüchteten. Die Unterbringung dieser Leute in Budapest, ihre Legalisierung, ihre Ausstattung mit falschen Dokumenten und ähnliches mehr war meine Hauptaufgabe.

Samu Springmann hatte ein besonderes Arbeitsgebiet. Er warb ungarische und deutsche Geheimagenten an und stellte sie in den Dienst unserer Sadie. Er verstand es, in die ungarische Polizei unsere Vertrauensleute einzuschmuggeln und die Verbindung mit dem Auslande herzustellen. Er entsandte in wichtigen Fällen Leute in die jüdischen Zentren von Polen, in die Gettos von Krakau, Warschau und Sosnowicze und so weiter.

In den ersten Wochen nach der Rückkehr meines Schwagers schwoll bereits die Arbeit so an, daß der Sekretär der zionistischen Landesorganisation, Dr. M. B., davon hörte. Das war ein guter und treuer Mann. Er verstand aber nicht die Zeichen der Zeit und machte mir bittere Vorstellungen, daß ich, als Mitglied der Vorstandes, durch diese illegale Arbeit den Bestand der zionistischen Organisation, ja selbst den Bestand der jüdischen Gemeinde, gefährde.

„Verstehst du, was du tust, Joel? Wir haben jetzt Krieg. Weißt du, was das heißt, während des Krieges Menschen illegal über die Grenzen zu schmuggeln? Wie kannst du sicher sein, daß nicht Spione diesen Weg ausnutzen? Du kannst das größte Unglück über uns alle hier heraufbeschwören.“ Er wollte mich vor ein zionistisches Disziplinargericht stellen, aber der Präsident der zionistischen Landesorganisation, Ingenieur Otto Komoly, griff ein. Otto Komoly entstammte einer bürgerlichen Familie. Er war ein großer Ingenieur und ein Mann von untadeligem Charakter, ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle. Die Methoden, deren sich eine illegale Arbeit wie die unsere bedienen mußte, waren ihm natürlich fremd. Aber er erkannte sofort, daß diese Art Arbeit die einzige war, die unter den Bedingungen des Hitlerschen Terrors getan werden konnte. Idi mußte oft, um Menschen aus höchster Gefahr zu retten, in das Lager des Feindes gehen. Idi mußte mit diesen deutschen Agenten an Saufgelagen teilnehmen. Oft ekelte es mich davor. Wenn meine Nerven versagten, war es immer Otto Komoly, der midi beruhigte und wieder aufrichtete. „Du mußt aushalten, Joel. Es gibt nicht viele bei uns, die diese Arbeit machen können. Es ist die schmutzigste Arbeit, die es gibt, und es ist gleichzeitig die heiligste Arbeit. Du selbst bleibst rein, auch wenn du im Schmutz watest.“

Otto Komoly wurde ganz einer von den Unseren. Seinem Einfluß ist es zu verdanken, daß die zionistische Organisation uns von da an unterstützte und uns sozusagen offizielle Vollmacht gab, in ihrem Namen zu handeln.

In einem späteren Zeitpunkt übernahm Otto Komoly auch direkt exekutive Funktionen. Er sollte die Verhandlungen mit SS-Führer Eichmann führen, nachdem ich ausgefallen war. Aber Otto Komoly war eine zu gerade Natur, um psychisch imstande zu sein, sich mit dem Mörder an einen Tisch zu setzen. Seine Nerven verließen ihn. Kastner trat an seine Stelle. Komoly wurde unser Verbindungsmann zur ungarischen Regierung. > Ende 1944 kam seine Zeit. Alle unsere Leute versteckten sich in Kellern und Bunkern. Er lehnte es ab. Als die Deutschen ihn vorluden, ging er. Sie nahmen ihn mit, und seither haben wir von diesem reinen Menschen nichts mehr gehört. Aber die ungarischen Juden, die überlebten, tragen sein Andenken in ihrem Herzen.

Die übrigen zionistischen Parteien hatten sich anfangs um uns und unsere Aktionen wenig gekümmert. Ausschließlich die Chaluziiti trugen die ganze Arbeit. Als aber größere Geldmittel aus dem Ausland kamen, die man verteilen mußte, erwachte das Interesse der anderen. Sie beschlossen, eine Dachorganisation zu schaffen, in die alle zionistischen Parteien ihre Delegierten entsenden sollten, um die Arbeit zu kontrollieren. Auch wir drei wurden in dieses Komitee gewählt. Aber die Sadie funktionierte nie richtig. Die Delegierten der Parteien in diesem Komitee waren nicht sehr aktiv. Die ganze Arbeit blieb praktisch in den Händen von uns dreien. Mit der Zeit aber traten immer mehr Verterter der verschiedenen Parteien in unsere Waada als Mitglieder ein und arbeiteten im besten Einvernehmen mit uns.

In den ersten Wochen beschränkten wir uns darauf, den in die Ukraine Deportierten zur Flucht zu verhelfen. Aber es blieb nicht dabei. Am 8. Dezember 1941 waren die Vereinigten Staaten in den Krieg eingetreten. Jetzt ließen die Deutschen die Maske fallen. Die Reichsregierung beschloß die „totale“ Lösung der Judenfrage. Diese Operation erhielt offiziell den Namen Nadtt und Nebel. Das Organisationstalent der Deutschen feierte hier seinen schaurigsten Triumph. Es gelang den Hitlerleuten, sechs bis sieben Millionen Menschen, die sich ja von den Wirtsvölkern nur wenig unterschieden, jedenfalls nicht durch die Hautfarbe wie die amerikanischen Neger, abzusondern und zu ermorden, ohne daß die Betroffenen selber wußten, was mit ihnen geschehen sollte. Und das gelang den Deutschen mit dem Aufwand eines lächerlich kleinen Apparates.

Wir in Budapest verfolgten diesen Prozeß der Vernichtung unseres Volkes mit angehaltcnem Atem. Unsere Arbeit war nur ein Tropfen auf einen heißen Stein. Aber immerhin konnten sich Zehntausende aus Polen und aus der Slowakei zu uns retten. Und es bleibt meine tiefste Überzeugung, daß wir in der letzten Phase des Krieges noch ein bis zwei Millionen vor dem Untergang bewahrt hätten, wenn die Alliierten uns in unserem schweren Kampfe nicht im Stich gelassen hätten.

Polen war das Schlachtfeld. Es galt, die Verbindungen mit Polen zu sichern. Wir organisierten einige Grenzpunkte. In Kaschau bestachen unsere slowakischen Genossen die Gendarmen. Diese gaben ihnen an, welche Strecken der Grenze zu bestimmten Zeiten ohne Wächter gelassen würden. Die Flüchtlinge gingen zumeist selbst, mit genauen Instruktionen versehen, über die Grenze. In der Dämmerung kamen sie in Kaschau an und sammelten sich in der Synagoge. In der folgenden Nacht gingen die Transporte unter der Führung unserer Delegierten nach Budapest weiter. Die Flüchtlinge mußten auf dem Wege darauf bedacht sein, nicht durch mangelnde Sprachkenntnisse aufzufallen. In Budapest gab es für die ersten Tage an verschiedenen Punkten der Stadt Not-quartiere. Waren sie überfüllt, dann kamen die Leute auch unter Verletzung aller konspirativen Vorsicht direkt zu mir, in meine Wohnung. Die Unterbringung der Leute leiteten Simon Israel von der Poale Zion und ein nichtzionistischer Genosse Miklos Moskowitz. Er fiel später bei einem Aufstandsversuch gegen die SS.

In Munkäcs an der ungarisch-polnischen Grenze organisierte unser Freund Jakubowitz den Grenzübergang. Er fiel später mit der Waffe in der Hand im Kampf gegen die andringenden SS-Truppen.

Der direkte Weg aus Polen nach Ungarn war gefährlicher, obwohl nur eine Grenze zu passieren war. Die Posten waren dichter, die Züge nach Budapest wurden schärfer kontrolliert. Wir mußten dort oft den Flüchtlingen Verbände anlegen und sie als Kranke transportieren, um ihre Unkenntnis der ungarischen Sprache zu decken.

Die Waada organisierte in Budapest ein regelrechtes Gallup-Institut. Wir stellten den Flüchtlingen sofort nach der Ankunft eine Reihe von Fragen, um die Verhältnisse in den Gettos, aus denen sie gekommen waren, festzustellen und in einer Kartei zu registrieren. Wir interessierten uns für den Personalbestand des deutschen Vernichtungsapparates ebensosehr wie für die Haltung der verschiedenen Judenräte. Die Erfahrungen der einzelnen Leute bei der Flucht aus den Gettos sollten verwertet werden, um ihre Verbindungen den Nachfolgenden zugänglich zu machen. Wir studierten die Verhältnisse in den verschiedenen Arbeits-und Konzentrationslagern, die Möglichkeiten der Flucht, die Erlebnisse während der Reise und während des Grenzübergangs. Durch diese Untersuchung prüften wir die Verläßlichkeit unseres eigenen Apparates.

Hunderte solcher Protokolle schickten wir über Konstantinopel und die Schweiz zu unseren Zentralen im Ausland. Es wird jetzt in der Presse und in der Literatur oft behauptet, die Alliierten hätten zu spät davon erfahren, was sich in den polnischen Städten in den Jahren 1942 und 1943 abgespielt hat. Wir können die Behauptung nicht überprüfen. Wir wissen nur eines: Die offizielle Repräsentanz des jüdischen Volkes war durch Hunderte von Einzelberichten über die Ereignisse genau und unverzüglich informiert worden. Und wir wissen, daß die Sochnuth unsere Alarmrufe sofort an die Alliierten weitergeleitet hat. Die slowakischen Clwluziw waren die aktivsten Kämpfer unserer Bewegung. Auf ihrem Rücken ruhte die ganze Arbeit im Grenzgebiet. Aber wir konnten auf die Hilfe von Berufsschmugglern nicht verzichten. Das waren oft wirkliche Unterweltsgestalten. Aus der Kooperation mit ihnen ergaben sich moralische Konflikte, vor die anständige Menschen zum ersten Male gestellt wurden. Wir alle hatten wenig Erfahrung in solchen Dingen. Die zionistische Bewegung der Vorkriegszeit hatte sich unter durchaus legalen Verhältnissen entwickelt. In den Büchern Herzls und Nordaus hatten wir Menschenschmuggel nicht studiert. Da lebte an der slowakisch-ungarischen Grenze ein „wilder“ Jude in den Bergen. Er war ein professioneller Schmuggler und fast ein Bandit. Aber er hatte seine Berufsenre. Er unterhielt die . besten Beziehungen zur slowakischen und ungarischen Grenzpolizei. Er schickte befreundete Polizisten an die polnische Grenze; sie übernahmen dort die Flüchtenden aus Polen, verhafteten sie als ungarische Deserteure und führten sie durch den schmalen Streifen slowakischen Landes zu unserem Mann. Der hatte nun eigenartige, fast bedenkliche Methoden. Er forderte die Flüchtlinge auf, eine Vermögensdeklaration zu machen, und warnte sie davor, ihm irgendwelche Wertgegenstände oder Devisen zu verschweigen. Viele Leute sagten die Wahrheit und fuhren dabei relativ gut. Sie mußten dem Schmuggler einen gewissen Zoll bezahlen. Die andern aber, die ihm ihre Schätze verheimlichen wollten, wurden furchtbar ausgeplündert. Er zwang alle, sich nackt auszuziehen, und durchsuchte das Gepäck. Er war ein Spezialist. Es gab kein noch so phantastisches Versteck, das er nicht aufspürte. Fand er etwas, was nicht deklariert worden war, dann konfiszierte er die gesamte Habe des betreffenden Flüchtlings.

Die Leute kamen empört in Budapest an, liefen zu uns und gaben alles zu Protokoll. Die Beschwerden häuften sich so gegen ihn, daß wir gezwungen wurden, seinen Fall genau zu behandeln. Aber unsere slowakischen Genossen verteidigten ihn mit allen Kräften. Er sei verläßlich. Er sei klug und mutig. Er verlange nicht zuviel Geld, und vor allem, er bringe Leute, die arm waren, auch umsonst über die Grenze.

Monatelang untersuchten wir diese Angelegenheit. Schließlich luden wir ihn vor. Er kam sofort. Seine Verteidigung war einfach. „Ich bin kein Politiker, ich bin kein berufsmäßiger Wohltäter. Ich bin Schmuggler. Das ist mein Geschäft. Ich bringe Menschen und Waren über die Grenze, so wie ein anderer Schuhe oder Kleider macht. Ihr zahlt mir dafür, daß ich eure Leute über die Grenze führe. Es ist ein gefährliches Geschäft. Ich riskiere meinen Kopf dreimal in der Woche. Aber wenn ihr einmal kein Geld habt, dann führe ich die Leute auf Kredit über die Grenze. Lind wenn die Flüchtlinge ganz arm sind und nicht von euch kommen, mache ich die Sache auch umsonst. Was wollt ihr also von mir? Wenn ich aber außer Menschen auch Gold und Brillanten schmuggeln soll, dann will ich, daß man mich dafür bezahlt. Leute, die mich betrügen wollen und die Sachen verstecken, haben es sich selber zuzuschreiben, wenn sie ihr Geld verlieren. Aber auch diese Leute bringe ich über die Grenze und sorge dafür, daß sie heil zu euch kommen. Erpreßt habe ich noch niemanden.“

Unter den Bedingungen der illegalen Arbeit konnten wir weder gegen diese Logik noch gegen seine gewalttätigen Methoden protestieren. Eines stand fest: Er hatte noch nie irgendwen verkommen lassen. Ergab sich eine gefährliche Situation, so hielt er bei den Flüchtlingen aus und verließ sie nicht, bevor sie in Sicherheit waren.

Wir wurden wegen der Entscheidung in seinem Fall oft angegriffen. Ich habe ihn verteidigt. Für mich war dieser Unterweltler, dieser Räuber von der großen Straße in gewisser Hinsicht ein Held. Die Ereignisse gaben mir später recht. Dieser Bergjude schloß sich im Herbst 1944 dem Aufstand des slowakischen Partisanen an und fiel in dem tapferen, lang-andauernden Kampf gegen die deutsche Übermacht.

Jede illegale Bewegung muß sich vor dem Eindringen von Provokateuren schützen. Unsere polnischen Genossen hatten furchtbar unter den Spitzeln zu leiden, die im eigenen Lager die Geschäfte des Feindes betrieben. Wir selber waren davon zumeist verschont. Nur Untergrundkämpfer können ermessen, welches Glück für die Bewegung darin liegt. Nichts ist verderblicher als das Mißtrauen, und nichts ist ermutigender als die Atmosphäre vollen Vertrauens in den eigenen Reihen.

Im Sommer 1942 schwoll der Flüchtlingsstrom aus Polen mächtig an. Unsere Arbeit erforderte immer größere Geldmittel. Wir versuchten deshalb, den Kontakt mit den Delegierten der zionistischen Weltorganisationen in der Schweiz und in Konstantinopel aufzunehmen. Diesen Teil der Arbeit konnten wir ohne die aktive Hilfe von Agenten des ungarischen und des deutschen Geheimdienstes nicht bewältigen. Samu Springmann, der Diamantenhändler, der die guten Beziehungen zu den ausländischen Botschaften in Budapest unterhielt, lernte eines Tages in der französischen Gesandtschaft einen Mann namens Erich Popescu kennen. Popescu fuhr als Agent der deutschen Abwehr oft nach Konstantinopel. Samu Springmann schlug ihm ein Geschäft vor. Er sollte Brillanten in Konstantinopel einkaufen und nach Budapest bringen. In Wirklichkeit hatte Springmann keinerlei solche Geschäfte vor, er wollte nur Erich Popescu persönlich interessieren und mit ihm einen näheren Kontakt aufnehmen. Als es endlich zur Abfahrt Popescus kam, gab ihm Springmann nur einen Brief an die Delegation der Sodmuth in Konstantinopel mit und bat Popescu, Geld von der Sodimtth zu holen und nach Budapest zu bringen. Nach einer Woche kam Popescu zurück und bestellte Springmann ins Hotel Monopol. Springmann fürchtete, in eine Falle gelodet zu werden, und bestand darauf, daß ich mitkam. Ich mußte am Hoteleingang warten und sollte einen Advokaten verständigen, wenn Springmann binnen fünfzehn Minuten nicht wiederkäme. Doch kam er sofort und übergab mir ein kleines Paket. Ich fuhr mit einem Taxi davon. Es war ein Brief von Melech Neustadt, damals einer der Delel gierten der Sodimtth in Konstantinopel, und eine Geldsumme von 7 000 Pengö. Melech Neustadt schrieb, sie sendeten nur diese Kleinigkeit, weil sie zunächst die Verläßlichkeit des Boten erproben wollten. 7 000 Pengö waren herzlich wenig. Wir freuten uns aber, endlich einen geheimen Verbindungsweg gefunden zu haben. Schlimmer war es, daß Melech Neustadt uns einen Schlüssel gab, wie das Geld zu verteilen sei. Diese Anweisungen brachten die ganze Arbeit durcheinander. Also die Hälfte des Geldes sollte für Hilfe an die Flüchtlinge verbraucht werden. Die andere Hälfte für ungarische Juden. Die ungarische Hälfte mußte in drei gleiche Teile geteilt und den drei Landesteilen: Ungarisches Mutterland, Siebenbürgen, Karpatorußland zur Verfügung gestellt werden. Das war aber nicht alles. Die Teilsummen mußten halbiert werden. Die eine Hälfte für die zionistischen Parteien, die andere Hälfte für die Jugendorganisationen. Das Zwölftel, das sich daraus ergab, mußte auf ein halbes Dutzend Parteien verteilt werden. Es bekam also eine Partei von dieser Sendung nicht ganz 100 Pengö. Wie wollte Melech Neustadt es verhindern, daß der Budapester Parteienstreit auch auf das Gebiet der Geldverteilung Übergriff? In der Tat führten seine allzu starren Direktiven zu einer absurden Situation. Einmal erhielten wir von einem alten Zionisten, dem Genossen Dr. Silberschein aus Genf, eine goldene Zigarettendose zum Aufteilen unter seinen Landsleuten und Freunden. Die Aufteilung dieser Dose führte fast zur Sprengung der Organisation. Es liefen uns unzählige Menschen die Bude ein. Jeder behauptete, Landsmann und Busenfreund Silberscheins zu sein. Die Sache klingt jetzt komisch, aber unter den Bedingungen der illegalen Arbeit war sie einfach gefährlich.

Der Parteischlüssel spielte noch in einer anderen Angelegenheit eine verhängnisvolle Rolle. Es gab bis zum Einmarsch der Deutschen noch die Möglichkeit einer sehr beschränkten legalen Emigration nach Palästina. Die englische Regierung erlaubte damals monatlich 50 Kindern aus Ungarn die Einreise nach Israel. Wir schickten zum großen Teil Erwachsene, obwohl die Zertifikate auf Kinder ausgestellt waren. Die Behörden sahen durch die Finger. Um diese Ausreiseplätze wurde Monat für Monat ein mörderischer Kampf geführt.

Es gelang uns sehr bald, die Verbindungen mit dem Ausland zu verstärken. Samu Springmann hatte einen Schulfreund, Bandi Grosz. Das war eine mehr als doppeldeutige Erscheinung. Von Juden abstammend, hatte er sich frühzeitig taufen lassen und den Namen Andre György angenommen. Bandi Grosz hatte verschiedene Berufe gehabt, die meisten waren bedenklich gewesen. Er begann als Kellner, brachte es bald zum Kaffeehausbesitzer, er schmuggelte Teppiche aus der Türkei und hatte großen Einfluß auf dem Budapester Schwarzmarkt. Er war ein leidenschaftlicher Spieler und bewegte sich vorviegend in den Kreisen der Budapester Unterwelt. Schließlich wurde er Agent der ungarischen Spionageabwehr. Gangster, Dirnen, Zuhälter, Diebe und Hehler waren seine Umgebung. Er war intelligent, geschickt und orientierte sich in schwierigen Situationen viel rascher als unsere an die illegale Arbeit gewöhnten Genossen. Er wurde für viele Dinge unser Instrument, und ich muß hier freimütig zugeben, daß wir durch seine Vermittlung imstande waren, Leute in unseren Dienst zu stellen, deren Hilfe einfach unschätzbar war.

Als Springmann ihn traf, brauchte er, wie immer, Geld. Diesmal mehr als sonst. Er war wegen Teppichschmuggels zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden und außerdem zu einer Geldbuße von 80 000 Pengö. Er dachte nicht daran, ins Gefängnis zu gehen. Aber das Geld wollte er den Leuten geben, „damit sie sich beruhigen“, wie er sich ausdrückte.

Springmann hatte es leicht. Er bot ihm Geld an für die Organisierung eines dauernden, gut funktionierenden Verbindungsweges mit Konstantinopel. Bandi Grosz fuhr zum ersten Male selbst und brachte uns pünktlich das Geld. Es fehlte nichts. Auch später rechnete er immer ehrlich ab. Er bekam seinen Teil — 10 Prozent —, aber er arbeitete zuverlässig. Bandi Grosz fuhr öfters selbst mit seinem Kurierpaß nach Konstantinopel. Aber das genügte uns nicht. Er brachte uns, und das war seine größte Leistung, mit den führenden Agenten der deutschen Spionageabwehr in Budapest in Verbindung. Diese Leute stellten nicht nur den Kontakt mit dem neutralen Ausland für uns her, sie übernahmen auch die Verbindung mit den jüdischen Zentren in Polen, in der Tschechoslowakei, im Reichsgebiet und in anderen Ländern des deutschen Machtbereichs. Die Organisation des Admirals Canaris war in Budapest durch eine starke Gruppe von Agenten vertreten, die unter dem Kommando eines Dr. Schmidt stand. Ich lernte diesen Mann in einer etwas frivolen Umgebung kennen, in einem Chambre separee des Kabaretts Moulin Rouge. Ein Agent derselben Gruppe, Joszi Winniger, stellte mich seinem Chef vor.

„Sie sind also Herr Brand. Meine Leute haben mir viel von Ihnen erzählt. Sie wollen also den . Kindern'helfen. Ich werde dabei mittun. Aber Sie verstehen, wir sprechen immer nur von . Kindern', von nichts anderem.“

Schmidt brauchte Geld und war zu allem bereit. Auch seine Leute halfen uns um des Geldes willen. Sie betrachteten es als Geschäft, überlegungen der Menschlichkeit spielten bei diesen Leuten keine Rolle, oder nur bei ganz wenigen.

Ein anderer Abwehragent, Dr. Rudi Sedlacek, stellte den Kontakt mit Krakau her. Dieser Sedlacek war ein Intellektueller. Er schämte sich immer um seiner Kameraden willen. Er wollte besser erscheinen als sie und distanzierte sich im Gespräch mit unseren Leuten von ihnen.

Sedlacek bewog den Chef der deutschen Produktionswerkstätten im Krakauer Getto und in der Umgebung von Krakau, Herrn Schindler, zu uns nach Budapest zu kommen. Kastner-und Springmann trafen ihn im Hotel Hungaria. Er gab uns einen langen Bericht über die Situation in Galizien. Der Deutsche meinte, man könne gewisse führende Gestapo-leute bestechen, um das Los der Juden dort zu mildern. Er erklärte sich selbst zur Hilfe bereit. Später hat dieser Herr Schindler in der Zeit, als die Gettos aufgelöst wurden, einen Teil seiner jüdischen Arbeiter in die Tschechoslowakei und ins Reichsgebiet gebracht. Er schützte sie in ständigem Kampf vor dem Zugriff der Gestapo. Sedlacek brachte oft Geld von uns nach Krakau. Ich glaube, Dr. Hilfstein bestätigte mir immer das pünktliche Eingehen der Sendungen. Die Deutschen kauften auch Lebensmittel für unser Geld und brachten sie in das Getto. Im Getto selbst, das zu dieser Zeit bereits völlig abgeschlossen war, sank der Schwarzmarktpreis des Brotes um 25 Prozent unter dem Druck dieser Lieferungen.

Viel weniger Glück hatten wir bei unseren Bemühungen, den illegalen Juden in Wien zu helfen.

Eines Tages kam ein unbekannter Mann zu mir. Er brachte einen Brief aus Wien und zwei kleine jüdische Kinder. Eine Nichtjüdin, Frau Austern, bat uns um Hilfe.

Sie bat um Lebensmittel. Wir waren entschlossen, ihr alles zu geben, was sie brauchte, um den Hungernden in Wien zu helfen. Aber wir waren auf Warenschmuggel nicht eingerichtet. Frau Austern selbst organisierte anfangs die Sadie. Allwöchentlich kamen ihre Boten, brachten uns Kinder und nahmen Lebensmittel in schweren Rucksäcken mit. So ging es monatelang. Frau Austern schrieb uns jedesmal, sie bete für das Gelingen des Transports. Sie war, obwohl Sozialdemokratin, doch eine gläubige Katholikin.

Wir wollten diese Arbeit erweitern, und das endete schlimm. Josef Winniger, der als Agent der deutschen Abwehr unsere Verbindungen mit Österreich und der Slowakei aufrechterhielt, stellte uns den Chauffeur des Lieferautos des Völkischen Beobachters vor. Drei-, viermal fuhr der Mann nach Wien und nahm ganze Wagenladungen von Lebensmittel mit. Dann brach die Verbindung plötzlich ab. Wir wußten nicht, was geschehen war.

Wir schickten einen unserer besten Leute, Leon Blatt, illegal nach Wien. Er brachte bedenkliche Nachrichten. Frau Austern war eine selbstlose Idealistin. Sie hatte die Lebensmittel unter den darbenden Juden verteilt, ohne auch nur ein Gramm für sich zu verwenden. Eine Christin, die in Mischehe mit einem Juden lebte, hatte ihren Anteil auf den Schwarzmarkt gebracht und war von der Polizei gefaßt worden. Die Herkunft der Lebensrnittel wurde festgestellt, man übergab dann die Frau der Gestapo. Die Gestapo folterte sie so lange, bis sie alles sagte, was sie wußte. Frau Austern mußte untertauchen. Die illegalen Verbindungen wurden zerschnitten. Schließlich entließ die Gestapo jene Frau und verwendete sie als Lockspitzel, um das Netz unserer illegalen Organisation auszuheben.

Wir tappten im dunkeln. Wir wußten nicht, ob nur der Zufall auf dem Schwarzmarkt uns verraten hatte oder ob der Chauffeur des Lieferautos eine Doppelrolle spielte. Josef Winniger übernahm es, die Sache in Wien aufzuklären. Die freigelassene Frau war eine furchtbare Gefahr für unseren zentralen Apparat. Wir mußten schnell handeln. Wir schafften diese Frau illegal nach Budapest. Sie gestand uns alles in voller Aufrichtigkeit, und wir versteckten sie vor der Gestapo. Aber die Verbindungen mit Wien waren zerstört. Das schmerzte uns sehr. Wir versuchten, sie wiederherzustellen. Es gelang nur unvollkommen.

Frau Austern fiel selbst später in die Hand der Gestapo. Sie wurde unmenschlich gefoltert, aber sie überstand alles. Wenn sie diese Zeilen liest, möge sie sich dessen bewußt sein, daß wir, die Männer der Waada Ezra we Hazaiah, ihren Opfermut nicht vergessen haben. Frau Austern war nicht die einzige Christin, die uns half. Unsere Köchin Varsani Rozsi habe ich schon erwähnt. Da war auch Frau Kövesdi Paine. Sie war Strickerin in meiner Fabrik. Im Jahre 1941 hatte ich, die Ereignisse vorhersehend, die ganze Fabrik auf ihren Namen überschrieben. Frau Kövesdi hat diese Lage nie zu ihrem Vorteil ausgenutzt, vielmehr nahm sie die größten Risiken auf sich, um uns zu helfen. Dasselbe taten ihr Mann und ihre Nichte Jolenka. Frau Kövesdi war eine ältere, dickliche, typisch kleinbürgerliche Person. Niemand konnte ahnen, daß sie die Waffen unserer Organisation versteckt hielt. Niemand kam auf den Gedanken, daß sie dauernd polnisch-jüdische Flüchtlinge bei sich verbarg und ihr Büro und die Werkstatt den Flüchtlingen als Hauptquartier zur Verfügung stellte. Mir selbst hat sie durch ihren Mut und ihre Entschlossenheit mehr als einmal das Leben gerettet.

Remy Mihali, ein Bankkassierer, seine hübsche junge Frau und der Freund der beiden, ein Textilhändler aus Pecs, halfen sehr viel. Ich hatte die drei einmal in einer Pension in Siofok kennengelernt und mich mit ihnen eng befreundet. Remys Wohnung war eine Zeitlang unsere wichtigste Deckadresse. Wir versteckten Geld und Waffen bei ihnen. Sie besorgten illegale Druckereien für uns und verschafften den Flüchtlingen Quartiere.

Die Hausmeister der Häuser, in denen wir unsere illegalen Büros und Wohnungen hatten, deckten unsere Geheimarbeit. Der Polizist Toth warnte uns oft vor geplanten Razzien, die Chauffeure Balasz und Földhazi Giula unternahmen die gefährlichsten Wege für uns.

Hier muß ich persönlich meinen tiefen Dank dem Ehepaar Gabor und Vilma Biro aussprechen. Sie nahmen nach meinem Abgang in den ge-fährlichsten Zeiten meine Kinder zu sich und retteten sie vor dem Untergang. Einen besonderen Platz unter den christlichen Helden unserer Bewegung nahm mein Freund Alois Steger ein. Steger war ein Sudetendeutscher, hatte aber seinen Wohnsitz in Bratislava. Er war mit jüdischen Kindern ausgewachsen. Als Hitler zur Macht kam, stellte er sich seinen jüdischen Freunden in jeder Beziehung zur Verfügung. Vieldutzendmal machte er mit seinem Auto den Weg von Preßburg nach Berlin, um jüdischen Familien Lebensmittel zu bringen.

Er half vielen Juden über die Grenze und brachte dann ihr Vermögen ins Ausland. Als die Deportationen in der Tschechoslowakei anfingen, verbrachte er den größten Teil seiner Zeit im Auto auf der Landstraße zwischen Preßburg und Budapest, um seine jüdischen Freunde nach Lingam zu schaffen. Wir hielten mit ihm die Verbindung durch Perez Revesz. Alois Steger hatte ein Zollfreilager an der slowakisch-ungarischen Grenze. Er war Großkaufmann und vermittelte bedeutende Maschinenlieferungen auch in der Kriegszeit von Deutschland nach Ungarn. Er war bis zur Machtergreifung der Pfeilkreuzler bei den ungarischen Regierungsbehörden sehr gut angeschrieben. Die Zöllner an der Grenze betrachteten sich geradezu als seine Beamten. So konnte er leicht Menschen, Geld und Briefe über die Grenze schmuggeln. Nach meinem Abgang kam seine große Zeit. Es gelang ihm, die Lieferung einer kleinen Zahl von Lastautos den Nazis zu garantieren, wenn sie sich für die Rettung des Budapester Gettos einsetzten. Er konnte auch tatsächlich etwa 20 Lastautos liefern. Das war entscheidend für die Bemühungen des SS-Standartenführers Becher um die Rettung des Gettos. Unseren Freunden in der Schweiz war es nicht gelungen, den Deutschen glaubwürdige Liefergarantien zu geben. Stegers Einspringen in dieser kritischen Stunde tat unserer Waada einen großen Dienst.

Ein wichtiges Gebiet der Arbeit der Waada war die Fälschung von Dokumenten. Die Flüchtlinge mußten je nach Bedarf mit Geburtsscheinen, Taufscheinen, Heimatscheinen, Meldezetteln und ähnlichem versorgt werden. Alle brauchten Lebensmittelkarten. In der ersten Zeit hatten wir nur sehr primitive Behelfsmittel. Mit einem weichen Ei zogen wir Stempel und Unterschriften ab. Dann aber traten wir mit graphischen Werkstätten, z. B. mit der Druckerei von Zoltau Gero, in Verbindung und entwickelten die Fälschungsarbeit in großem Maßstabe. Wir wurden so leistungsfähig, daß wir die Neuangekommenen, auch in der Zeit, da Hunderte kamen, binnen 24 Stunden mit den nötigen Dokumenten versehen konnten.

Diese Personallegitimationen erfüllten einen doppelten Zweck. Sie deckten die Leute im Falle einer zufälligen Razzia, und sie gaben ihnen vor allem das Sicherheitsgefühl der Legalität. Man verkennt zumeist, welche Bedeutung diesem Umstand zukommt. Man kann verzweifelte Situationen oft meistern, wenn man kaltes Blut bewahrt. Man verliert schwerer den Kopf, wenn man das wohltuende Gefühl hat, eine gute Legitimation zu besitzen.

Die Versorgung der Flüchtlinge mit Personallegitimationen wurde eine Routinearbeit. Eli Kohn hatte diese Sache begonnen, Menachem Klein und meine Frau führten sie fort. Interessanter war ein anderer Abschnitt unserer Fälscherarbeit: die Fälschung von ausländischen Visa, Schutzbriefen und Palästinazertifikaten.

Im Jahre 1939 hatte England beschlossen, die Einwanderungen zu beschränken. Das damals erschienene englische Weißbuch brachte den Beschluß der englischen Regierung, nur noch 75 000 Einwanderer ins Land zu lassen. In den nächsten fünf Jahren sollten je 15 000 Einwanderungszertifikate ausgestellt werden. Davon wurde aber die Zahl der illegalen Einwanderer, die zum Teil schon vorher gekommen waren, abgezogen. Es blieben für jeden Monat 1 000 Zertifikate für die ganze Welt. Auf Ungarn entfielen fünfzig. In den ersten Jahren des Krieges, bis zum Einmarsch der Deutschen, und in beschränktem Maße auch später blieb diese legale Auswanderung nach Palästina erhalten.

Das Palästina-Amt in Konstantinopel schickte uns die 50 Kinder-zertifikate monatlich. Wir waren entschlossen, diese Zertifikate restlos für die Menschen zu benützen, die wirklich gefährdet waren. Die Waada setzte bei der Leitung des ungarischen Palästina-Amtes den Beschluß durch, ausschließlich Flüchtlinge ins Ausland zu schicken. Nur wer die Atmosphäre der Angst kennt, in der zu jener Zeit auch die ungarischen Juden lebten, kann die Selbstlosigkeit dieses Beschlusses ermessen. Das Präsidium des Palästina-Amtes hatte vier Mitglieder: Otto Komoly, Mihaly Salomon, Ernst Szilägyi und Joel Brand. Alle vier waren ungarische Juden. Dessenungeachtet stellten alle diese Leute ihre persönlichen Interessen und die Interessen ihrer Freunde und Verwandten zurück, um den Bedrängtesten zu helfen.

Die führende Gruppe der Waada hatte ein Gelöbnis abgelegt, um keinen Preis den Posten zu verlassen. Für uns kam die Auswanderung nach Palästina nicht in Frage. In einem einzigen Falle machten wir von diesem Gesetz eine Ausnahme. Samu Springmann hatte im Dezember 1943 nach einer vorübergehenden Verhaftung seine alte Spannkraft eingebüßt. Eine jahrelange, aufreibende und gefährliche Arbeit hatte ihn völlig erschöpft. Die Delegation in Konstantinopel forderte ihn an. Wir stimmten zu. Nicht unwesentlich trug dazu das Bedürfnis bei, in Konstantinopel bei der dortigen Delegation der Sochnuth einen Vertreter zu haben, der unsere Situation kannte und die Palästinenser in jedem einzelnen Fall beraten konnte. Wir befahlen ihm, in Konstantinopel zu bleiben. Die Genossen in Konstantinopel unterschätzten anscheinend die Bedeutung unseres Wunsches. Es gelang ihnen nicht, Springmann die Aufenthaltsgenehmigung zu besorgen. Er mußte weiterfahren.

Die ungarische Polizei (später auch die Deutschen) sah durch die Finger. Wir schickten auf Grund der Kinderzertifikate fast ausschließlich Chaluziw, also junge Leute in den besten Jahren. Es kam soweit, daß wir auf Grund eines Zertifikats für ein achtjähriges Mädchen einen erwachsenen Mann aus dem Anhaltelager befreien konnten. Die Zertifikate wirkten als Schutzbriefe. Wer ein Zertifikat hatte, war vor der Deportierung bewahrt. Selbst Leute in Gefängnissen oder Lagern wurden durch solche Dokumente gerettet.

Die Deutschen wollten die Juden loswerden, wobei es ihnen fast gleichgültig war, ob sie ins Ausland gingen oder in die Gaskammern. Man konnte monatlich höchstens fünfzig Menschen ins Ausland bringen, aber man konnte leicht 12 000 täglich vergasen. Es war der wirksamere Weg. Sie wählten das Gas.

Als wir merkten, daß Palästinazertifikate Schutzbriefe darstellten, begannen wir, sie massenhaft zu fälschen. Meine Frau leitete diese Arbeit.

Ausländische Pässe, natürlich nur die neutraler Staaten, boten den besten Schutz. In Genf amtierte im Konsulat der Republik San Salvador ein gewisser Georges Mantello. In Wirklichkeit hieß er Georg Mandel und stammte aus meinem Heimatdorf Naszöd in Siebenbürgen. Wer immer ihm schrieb und Personalien samt Fotografie einschickte, erhielt einen Paß der Republik San Salvador und war für die Deutschen und Ungarn ein neutraler Ausländer. Wir schickten einen Kurier zu ihm, und er erklärte sich bereit, uns Hunderte unterschriebener und abgestempelter Paßbücher zu geben. Wir mußten nur die Namen einsetzen. Die Kolonie von San Salvador in Budapest wuchs in diesen Wochen mächtig an; sie übertraf an Zahl sämtliche anderen Ausländergruppen.

In Spanien gibt es seit den Zeiten des Torquemada fast keine Juden mehr. Nach dem Sturz der Regierung des Primo de Rivera-bemühte sich die spanische Republik, das Unrecht wiedergutzumachen, das den spanischen Juden in der Zeit der Inquisition widerfahren war. Die republikanische Regierung gab den Konsulaten im Auslande die Anweisung, verfolgten Juden, die ihre spanische Abkunft nachweisen konnten, die Einreiseerlaubnis zu erteilen. Später wurde die Praxis der spanischen Konsulate noch liberaler. Juden, welche einreisen wollten, um in Spanien Gelegenheit zu finden, ihre spanische Abkunft nachzuweisen, bekamen das Visum. Die Regierung des Generals Franco ließ diese Praxis unverändert. Leider erfuhren wir zu spät von dieser Möglichkeit. Aber die wenigen, die davon wußten, konnten ihr Leben retten. In der letzten Phase des Krieges, nach der Intervention des Papstes und des Präsidenten Roosevelt, beschlossen die Regierungen Schwedens und der Schweiz, in großem Ausmaß zu helfen. Sie stellten Tausende von Schutzpässen aus, aber wir fälschten dreißig-bis vierzigtausend dazu. Alle Inhaber der Schutzpässe waren gegen die Deportation gefeit.

Die Heldin Gisi Fleischmann

Was immer wir in dieser Zeit tun konnten, es war ein Tropfen auf einen heißen Stein. Wir hatten einen gewaltigen Apparat geschaffen. Einige hundert Genossen nahmen an dieser illegalen Arbeit teil. Vielleicht Zehntausende konnten sich retten, aber Millionen gingen in derselben Zeit zugrunde. Das Mißverhältnis zwischen unseren Bemühungen und unserem Erfolg bedrückte uns. Wir sannen auf Mittel, durch irgendwelche Aktionen im großen, vielleicht durch Verhandlungen mit den führenden Leuten des deutschen Gewaltapparates, das Schicksal des letzten Restes unseres Volkes zu wenden. Wir waren nicht die ersten, die diesen Gedanken faßten.

An der Spitze der Wizo in Bratislava stand eine mutige Frau, Gisi Fleischmann. Über dreißig Jahre alt, war sie mit einem wohlhabenden Kaffee-Importeur verheiratet. Vor Ausbruch des Krieges schickte sie ihre beiden Kinder nach Palästina. Sie selber blieb und beschäftigte sich mit der Rettung jüdischer Kinder aus Polen. Sie organisierte ein Netz von Schmugglern, die ihr die Kinder brachten. Bald war der Aufenthalt im slowakischen Gebiet nicht mehr sicher. Deshalb schickte sie die Kinder über die Grenze nach Lingam, meist zu Fuß, manchmal in Güterwagen. Gisi Fleischmann bestach die Gendarmen an der Grenze, die Lokomotivführer, die Schmuggler. Ihre Kinder sammelten sich in Budapest. Über zwanzig Kinderheime mußten wir mit der Zeit einrichten, um sie aufzunehmen. Es gelang uns, viele von diesen Kindern nach Israel zu bringen. Den größeren Teil allerdings erst nach dem Kriege. Ende 1942 reifte in Gisi der Gedanke, sich direkt an den Chef der SS in der Slowakei, Hauptsturmführer Dieter von Wisliceny, zu wenden. Ingenieur Steiner, der mit ihr in der slowakischen Judenzentrale arbeitete, vermittelte das Zusammentreffen. Gisi wandte Sich direkt an den Naziführer: „Was müssen wir tun, damit Sie mit den Deportationen aufhören, Herr Hauptsturmführer?“

Seine Antwort war unverblümt.

„Geben Sie mir 50 000 Pfund, aber in bar. Bringen Sie sie hierher und legen Sie sie mir auf den Schreibtisch. Ich stelle dann die Deportationen in der Slowakei ein. Ihre Leute werden zum größten Teil in Arbeitslagern leben, aber es wird ihnen kein Haar gekrümmt werden.“

In diesem Augenblick waren bereits 50 000 slowakische Juden vergast worden, 25 000 waren noch am Leben. Er verlangte 2 Pfund pro Menschenleben. Das war nicht viel, aber Gisi hatte das Geld nicht.

„Geben Sie mir Zeit, Herr Hauptsturmführer. Ich muß mich mit unseren Leuten in der Schweiz und in Konstantinopel in Verbindung setzen, um das Geld zu bekommen.“

Gisi schrieb an Sally Mayer, den Vertreter des Joint in der Schweiz, und an die Delegatur der Sodtnuth in Istanbul.

Sally Mayer lehnte ab. Ein alter Mann und Berufswohltäter, verwaltete er das Geld der größten amerikanischen Wohltätigkeitsinstitution treu und ehrlich. Er hielt es aber für seine Aufgabe, jeden Groschen umzudrehen und nur, wenn es nicht anders ging, in die Tasche zu greifen. Den Räubern Geld anzubieten, das ging ihm nicht in den Kopf. Die ganze Sache erschien ihm viel zu abenteuerlich. Er wollte damit nichts zu tun haben. Er wollte gerne Brot und Geld für die hungrigen Juden, aber keine 50 000 Pfund für die Deutschen schicken.

Gisi hatte nur vier Wochen Zeit. Wisliceny hatte sofort den Befehl erteilt, die Deportationen einzustellen. Er wartete auf das Geld. Gisi bestürmte durch unsere Kuriere die Vertreter der Sochnuth in Instanbul. Das Geld kam nicht rechtzeitig. Wisliceny verlängerte die Frist um weitere zwei Wochen. Schließlich hatten wir die 50 000 Pfund beisammen und schickten sie durch mehrere Kuriere nach Bratislava.

All das nahm kostbare Zeit in Anspruch. Der zweite Termin war abgelaufen, Wisliceny zeigte, daß er mit sich nicht spaßen ließ, und schickte 3 000 Menschen in die Gaskammern. Zwei Tage darauf hatte Gisi das ganze Geld.

„Können wir uns darauf verlassen, Herr Hauptsturmführer, daß den Juden in der Slowakei nichts mehr geschehen wird?“ „Ein deutscher Offizier ist kein Betrüger. Ich habe mit Ihnen ein klares Geschäft gemacht, und ich werde meine Verpflichtungen erfüllen.“

Und er hielt sein Wort. Bis zum Partisanenaufstand im Herbst 1944 wurden die slowakischen Juden geschont. Und das in derselben Zeit, da überall im unterworfenen Europa die Krematorien rauchten.

Ein halbes Jahr nach diesem Abkommen ließ Wisliceny Gisi Fleischmann wieder holen.

„Wir haben mit euch ein Geschäft gemacht, Frau Fleischmann, ihr seid dabei gut gefahren. Ich kann Ihnen jetzt weitergehende Vorschläge machen. Bringen Sie uns 2 Millionen Dollar, und wir stellen die Deportationen in ganz Europa ein.“

Gisi wollte ihren Ohren nicht trauen. Die slowakischen Juden waren ein kleines Häuflein, kaum mehr als 20 000 Menschen, aber ringsum in Europa lebten noch drei Millionen. „In ganz Europa, Herr Hauptsturmführer? Sie wollen die Juden aus den Lagern lassen, aus Auschwitz, Treblinki, Maidanek?“

Wisliceny erhob sich.

„Das Reich und das Generalgouvernement Polen müssen wir juden-rein machen. Dort muß die Judenfrage bis zum Ende gelöst werden, da kann ich Ihnen nicht helfen. Ich habe für euch mehr getan, als ich eigentlich hätte wagen dürfen. Das Resultat meiner Bemühungen in Berlin ist ein „Europaplan“, der für alle Länder gilt, außer für das Deutsche Reich und für Polen. In allen übrigen Ländern können Sie Ihre Leute retten. Wie gesagt, bringen Sie uns 2 Millionen Dollar, und Sie können dessen sicher sein, daß die Juden in Bulgarien, Rumänien, Frankreich, Belgien, Holland, Griechenland und Skandinavien diesen Krieg überleben werden.“

Der Mann hatte gezeigt, daß man mit ihm Geschäfte machen konnte.

Warum er es machen wollte, wußten wir nicht. Aber keiner von uns zweifelte daran, daß die Offerte ernst war.

Wir schickten Spezialkuriere nach Genf und Istanbul. Die Vertreter der SodinutJi in Konstantinopel waren sofort bereit, die Offerte anzunehmen, aber sie hatten nicht genug Geld. Ohne den Joint, die reichste Hilfsorganisation der Juden, konnte man 2 Millionen Dollar nicht aufbringen. Der Vertreter des Joint in der Schweiz, Sally Mayer, erklärte sich nach langem Feilschen bereit, die Zahlung von 2 Millionen Dollar an Wisliceny zu garantieren, jedoch würde das Geld erst nach Kriegsende in den LISA an Wisliceny ausgezahlt werden. Gisi wagte es kaum, dieses Angebot dem SS-Führer zu machen. Sie versuchte, sich auf die amerikanischen Devisenbeschränkungen auszureden. Wisliceny schrie sie nicht einmal an.

„Frau Fleischmann, Sie sind doch eine vernünftige Frau. Weshalb halten Sie mich für einen Trottel?"

„Herr Hauptsturmführer, geben Sie uns noch zwei Wochen Zeit. Ich hoffe, wir werden alles durchsetzen." Wisliceny verlängerte die Frist.

Er hatte am ersten Tag der Verhandlungen in Berlin durchgesetzt, daß die Deportationen in ganz Europa, außer in Polen und Deutschland, eingestellt wurden.

Gisi ging noch einmal zu ihm.

„Herr Hauptsturmführer. Es fällt mir so schwer, unsere Leute im Ausland zu überzeugen, daß Sie Ihr Wort halten werden. Die Leute fürchten, Sie würden das Geld nehmen und dann doch deportieren.“

„Ihre Leute schließen von sich auf andere. Ich habe doch hier in der Slowakei mein Wort gehalten.“

„Es geht jetzt um ganz Europa, Herr Hauptsturmführer. Der Joint in Amerika zweifelt daran, daß es in Ihrer Macht steht, Ihr Versprechen zu halten.“

„Ich will Ihnen und Ihren Leuten einen Vorschlag machen, Frau Fleischmann. Zahlen Sie mir 200 000 Dollar für jeden Monat, der ohne Deportationen verstreicht. Wenn in irgendeinem Lande Europas, außer im Reich und im Generalgouvernement, auch nur der kleinste Transport in dieser Zeit in die Lager geht, dann stellen Sie die Zahlung ein.“ Wir atmeten auf. Wir waren überzeugt, daß unsere Führer im Ausland und die Alliierten dieses letzte Angebot sofort akzeptieren würden. Unsere Enttäuschung war grenzenlos.

Sally Mayer erklärte sich bereit, diese 200 000 Dollar monatlich in einer Schweizer Bank für Wisliceny zu deponieren, jedoch bleibe das Geld bis zum Kriegsende gesperrt. Erst nachher könne sich der Naziführer seinen Sündenlohn holen.

Gisi Fleischmann war verzweifelt. Sie wagte es nicht, diese Antwort dem SS-Führer zu bringen. Der dritte Termin lief bereits ab, und sie hatte noch nichts in den Händen. Sie meldete sich bei Wisliceny.

„Herr Hauptsturmführer, ich muß nach Budapest, um das Geld aufzutreiben. Erlauben Sie, daß ich fahre?"

Wisliceny gab ihr die Reisedokumente.

Einige Tage darauf traf sie bei uns ein. Wir waren verzweifelt.

Wir wendeten uns an die offizielle Judengemeinde. Der Präsident des allungarischen Gemeindeverbandes, Hofrat Stern, empfing Gisi Fleischmann und unsere Delegierten.

„Es tut mir leid, meine Herren, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Solch ungeheure Mittel stehen uns nicht zur Verfügung. Auch hätte ich nicht das Recht, sie für Aktionen auszugeben, die nicht die jüdischen Gemeinden in Eingarn selbst angehen.''

Ein Jahr später — die Deutschen hatten unterdessen Budapest besetzt — sagte uns derselbe Hofrat Stern in einem persönlichen Gespräch:

„Ich muß Ihnen Abbitte leisten. Sie haben den richtigen Weg gewählt, und ich habe damals eine falsche Stellung bezogen. Hätte ich die Entwicklung vorhergesehen, ich hätte den letzten Heller, der aufzutreiben war, Ihnen und Ihren Leuten gegeben, und nur Ihnen. Jetzt können Sie auf mich rechnen. Sagen Sie mir, was ich tun soll.“

Hofrat Stern stellte uns dann Millionen zur Verfügung. Wir konnten die schweren Koffer mit dem Gelde, das er uns gab, kaum die Treppen hinunterschleppen. Er versuchte alles gutzumachen. Aber es war zu spät.

Etwas Geld traf aus Istanbul ein. Wir gaben Gisi unsere letzten Reserven. Sie ging zu Wiliceny, brachte ihm 57 000 Dollar als Vorschuß und bat ihn um einen Aufschub.

„Ich warte noch zwei Wochen, Frau Fleischmann. Aber es ist das letzte Mal.“

Einige Tage später fing Wisliceny einen Brief auf, der Mayers Vorschläge enthielt, das Geld für ihn auf ein Sperrkonto bei einer Schweizer Bank zu erlegen. Wütend ließ er Gisi rufen.

„Das Geld muß hierher, auf meinen Schreibtisch, in echten Banknoten und nicht in einer Anweisung für die Zeit nach dem Kriege. Nach dem Kriege werdet ihr Leute wie mich und meinesgleichen nicht als Bankkunden behandeln. Ihr wißt selber, was ihr mit uns tun werdet, wenn ihr uns einmal erwischt.“

Die Frist verstrich. Der Joint verweigerte das Geld. Wisliceny ließ durch Berlin die Vernichtungsmaschine wieder anlaufen. Täglich gingen die Transporte nach Auschwitz, nach Maidanek, nach Treblinki. Unsere Volksgenossen mußten in die Gaskammern, weil Sally Mayer und der Joint die zwei Dollar pro Kopf erst nach dem Kriege auszahlen konnten. Wahrscheinlich haben das die alliierten Devisenbestimmungen verlangt. Den Vorschuß von 57 000 Dollar gab Baron Dieter von Wisliceny, der Kommandeur des Sicherheitsdienstes und der Sicherheitspolizei für die Slowakei, der Jüdin Gisi Fleischmann am Tage nach Ablauf des Ultimatums zurück, ohne sich um die deutschen Devisenbestimmungen zu kümmern.

Solange Wisliceny der SS-Führer in der Slowakei war, war Gisi Fleischmann in Sicherheit und mit ihr die slowakischen Juden. Im Herbst 1944, etwa ein Jahr nach dem Abbruch der Besprechungen mit Wisliceny, brach der slowakische Partisanenaufstand aus. Viele junge Juden nahmen an ihm teil. Jüdische Fallschirmspringer aus Israel eilten den Aufständischen mit alliierter Zustimmung zu Hilfe. Der Nachfolger Wislicenys, SS-Obersturmbannführer Brunner, rächte sich furchtbar an dem letzten Rest der slowakischen Juden. Gerüchte verbreiteten sich über eine bevorstehende Deportation. Viele Juden bereiteten ihre Flucht vor. Da ließ der SS-Führer Gisi Fleischmann kommen und sagte ihr:

„Wir lassen jetzt alle eure Leute in Schutzlager bringen. Dort werdet ihr ruhig den Krieg überleben können. Ihr werdet aber arbeiten müssen. Die Übersiedlungsaktion soll in acht Tagen beginnen. Sorgen Sie dafür, daß alles in Ruhe abläuft.“

Es war ein Täuschungsmanöver, wie es die SS schon oft praktiziert hatte. Wenn die slowakischen Juden gefürchtet hätten, es gehe nach Auschwitz, wären sie massenhaft geflüchtet oder hätten, wie die Kämpfer des Warschauer Gettos, den letzten verzweifelten Widerstand geleistet.

Gisi ließ sich nicht täuschen. Sie alarmierte sofort unser Komitee in Budapest. Ingenieur Biss fuhr mit SS-Hauptsturmführer Huntsche in die Slowakei, um Gisi nach Budapest zu bringen. Sie lehnte die Rettung ab. Kastner suchte den dort befindlichen Wisliceny auf und bat ihn um Hilfe.

Wisliceny ließ sich von Berlin Spezialvollmachten für die Slowakei geben und fuhr nach Bratislava. Gisi war unterdessen in das größte Judenlager der Slowakei, nach Sered, gegangen, um dort die Internierten zu mobilisieren. Sie wollte eine Massenflucht vorbereiten. Aber Obersturmbannführer Brunner war schneller als Gisi und Wicliceny. Er ließ Gisi verhaften. Man fand bei ihr ein spezielles schwedisches Werkzeug, das geeignet war, schwere Eisenstangen zu zersägen. Gisi trug es immer bei sich. Sie hoffte, damit bei einer Deportation das Fenstergitter zu zerschneiden, um aus dem Zug springen zu können. Man meldete die Sache sofort dem SS-Kommandanten. Er gab Befehl, ihr Handfesseln anzulegen und sie in einem Spezialwagen, getrennt von ihren Genossen, nach Auschwitz zu deportieren. Sofort nach der Ankunft des Zuges in Auschwitz ging Gisi als einzelne ins Gas.

So endete diese heldenhafte Frau, allein, fern von ihren Kindern, fern von dem Lande, dem sie ihr ganzes bewußtes Leben gewidmet hatte, ja fern von den unglücklichen Genossen dieser schweren Zeit.

In Petach Tikwah traf ich nach dem Kriege ihr fünfzehnjähriges Kind. Arm, krank, einsam.

Die deutschen Geheimdienste

Vier Monate nach Abbruch der Verhandlungen mit Wisliceny traf ich den Agenten der deutschen Abwehr Jozsi Winniger. „Unsere Leute haben Ihnen was Wichtiges zu sagen, Brand. Seien Sie hier um halb eins, ich hole Sie mit dem Wagen ab. Herr Dr. Schmidt erwartet Sie."

Ich kam pünktlich. Beim Einsteigen bemerkte ich, daß zwei deutsche Autos uns folgten. Winniger brachte mich in ein kleines, sehr elegantes Strandrestaurant auf der anderen Seite der Donau. Schmidt erhob sich, als ich eintrat. „Ich freue mich, Sie zu sehen, Herr Brand. Heute habe ich Ihnen zum ersten Mal eine wirklich angenehme Nachricht zu bringen. Setzen Sie sich. Was trinken Sie?“

Ich dachte anfangs, die Deutschen brauchten wieder einmal Geld und würden uns ein neues Geschäft vorschlagen. Aber die Sache kam anders. Schmidt nahm etwas feierlich das Wort. „Was ich Ihnen hier jetzt sagen werde, das müssen Sie so schnell wie möglich nach Konstantinopel melden. Es handelt sich um eine große Sache. Der jahrelange Kampf der SS und der Wehrmacht in Sachen der Judenpolitik ist zu einem Abschluß gekommen. Wir haben gesiegt. Die Lösung der Judenfrage geht in die Kompetenz der Wehrmacht über."

Schüchtern fragte ich: „Was bedeutet das für uns, Herr Doktor?"

„Das werden Sie sofort erfahren. Juden werden von jetzt an ab wehrwirtschaftlich wichtiges Element angesehen. Die Juden werden in Arbeitslagern konzentriert werden. Familien werden nicht getrennt.

Es werden keine Konzentrationslager sein. Sie werden dort gut verpfleg: werden. Das Rote Kreuz wird das Recht haben, diese Lager zu inspizieren und den Leuten zusätzliche Nahrungsmittel zu schicken. Wir sind bereit, Ihnen, Herr Brand, und Ihren Freunden zu gestatten, Delegierte in diese Lager zu senden und die Verteilung der gesandten Lebens-und Genußmittel zu kontrollieren.

Willkürliche Hinrichtungen werden nicht mehr stattfinden. Ein Todesurteil muß von einem Gericht ausgesprochen werden. Die Deportationen werden sofort eingestellt.

All das gilt für alle europäischen Länder, Deutschland und Polen eingeschlossen. Es gilt nicht für Ungarn."

Ich konnte nicht verstehen, warum er überhaupt Ungarn erwähnte. Llngarn war damals noch ein unabhängiges Land und unterstand nicht der deutschen Polizeigewalt. Ich fragte: „Was geschieht in Ungarn?“

„In Ungarn steht eine besondere Regelung bevor. Doch das wollen wir heute nicht diskutieren.“

Ich wartete noch, daß er uns den Preis nenne. Aber er schwieg. Ich fragte ihn schüchtern:

„Was kostet diese Sache, Herr Doktor?“

„Gar nichts, Herr Brand. Da staunen Sie wohl? Wir wollen kein Geld dafür. Aber eines muß ich von Ihnen verlangen. Hier haben Sie die Liste der Leute, welche diesen gewaltigen Umschwung herbeigeführt haben. Sie müssen diese Namen nach Konstantinopel weiterleiten. Ihre Leute sollen wissen, wer in unserem Lager auf anständige Weise Krieg führen will.“

Er übergab mir ein Papier mit einigen Dutzend Namen. Ich bemerkte darauf Admiral Canaris und viele hohe deutsche Offiziere. Nach dem Aufstand der Generäle gegen Hitler am 20. Juli 1944 konnte ich feststellen, daß viele der Verschwörer auf meiner Liste vermerkt waren. Am Schluß der Liste waren alle Agenten der Abwehr in Budapest aufgezählt. Die Liste wurde von uns mit dem nächsten Kurier, es war Oberleutnant Bagyony, nach Konstantinopel geschickt. Sie müßte in den Archiven der SodtHuth zu finden sein.

Schmidt verlangte kein Geld, aber er gab uns einen verdächtigen Rat:

„Herr Brand, wenn ich Ihnen etwas raten soll, dann bitten Sie Konstantinopel jetzt um eine ganz große Summe, etwa eine Million Dollar. Die Verbindung wird immer schwerer. Wir wissen nicht, ob in den nächsten Tagen nicht etwa passiert, was den weiteren Kurierdienst unmöglich macht. Es wird für Sie gut sein, sich eine Reserve anzulegen,“

Ich war es gewohnt, hinter jedem deutschen Einfall irgendeinen Betrug zu wittern. Vielleicht wollte Schmidt einen großen Fang machen, aber die weitere Entwicklung gab uns eine andere Erklärung.

Ich wollte auf eigene Faust keinerlei Entscheidung treffen. Deshalb beriefen wir eine große Konferenz ein. Auch unsere Genossen aus der Provinz kamen. Die Debatten dauerten eine ganze Nacht. Wir konnten zu keinem Beschluß kommen. Schließlich wurden Dr. Kastner, Dr. Ernö Marton, Ernö Szilägyi und ich beauftragt, die Deutschen näher auszuholen. Wir gingen zu Winniger. Er tat sehr geheimnisvoll. Ich drang in ihn. Er wollte anfangs mit der Sprache nicht herausrücken, aber am Abend dieses Tages sagte er mir die ganze Wahrheit. „Hören Sie, Brand, ich sage Ihnen jetzt eine Sache, die mich den Kragen kosten kann, wenn Sie mich verraten. In der nächsten Woche wird Budapest von deutschen Truppen besetzt. Es ist beschlossene Sache. Das unabhängige Llngarn hört auf zu existieren.“

Mir blieb das Herz stehen. Ich eilte zu unseren Genossen zurück. Wir erklärten die Sitzung in Permanenz. Die unwahrscheinlichsten Vorschläge wurden gemacht. Dr. Ernö Marton aus Klausenburg machte den Vorschlag, Budapest mit der Waffe in der Hand gegen die Deutschen zu verteidigen. Wir wollten unsere Leute sofort mobilisieren. „Wen willst du mobilisieren, Ernö? Die Männer sind alle im Arbeitsdienst, wenigstens die, die Waffen tragen können. Waffen . haben wir nicht, in acht Tagen können wir uns höchstens einige Dutzend Küchenmesser verschaffen. Gegen die deutschen Maschinengewehre werden wir damit nicht gut aufkommen.“

Meine Frau nahm gegen mich Stellung.

„Wir werden den Deutschen heißes Öl auf die Köpfe schütten. Sie sollen nicht durchkommen.“

Schließlich beruhigten sich die Gemüter. Es wurde beschlossen:

1. kleine Kampfgruppen zu bilden, soviel Handfeuerwaffen als möglich zu besorgen und Bunker vorzubereiten;

2. die führenden Politiker der ungarischen Oppositionsparteien zu verständigen und mit der ungarischen Abwehr in Verbindung zu treten; Kastner sollte zu diesem Zweck unverzüglich Oberstleutnant Garcoly aufsuchen;

3. die geflüchteten alliierten Kriegsgefangenen und ihren Kommandeur zu verständigen;

4. sofort einen genauen Bericht mit einem Spezialkurier nach Konstantinopel zu schicken, um die Alliierten durch die Sochnuth zu warnen.

Dr. Mosche Schweiger schrieb den Bericht für Konstantinopel hebräisch. Alle Mitglieder der Konferenz sollten ihn unterzeichnen. Nur Dr. Joseph Fischer, der Präsident des Siebenbürger Gemeindeverbandes, drückte sich und verließ vorher die Sitzung.

Am 19. März 1944 marschierten die deutschen Truppen in Budapest ein. Ich wohnte damals im Hotel Majestic und nahm gerade ein Bad, als die Agenten der deutschen Abwehr Winniger, Sedlacek und Scholz hereinstürzten.

„Brand, mach dich sofort fertig. Du mußt verschwinden. In der Nacht wurde Budapest besetzt. Die SS-Autos sausen durch die Straßen und verhaften alles, was Rang und Namen hat. Alle liberalen Politiker sitzen schon hinter Schloß und Riegel. Der Polizeipräsident ist verhaftet. Die meisten führenden Leute der Wirtschaft, der Politik und der Presse sitzen im Keller der Donau-Dampfschiffahrtsgesellschaft. Eine Menge Juden darunter. Auch Bandi Grosz. Der Trottel ließ sich nicht warnen und war zu Hause, als ihn die SS holte. Na, wir werden ihn schon freikriegen. Aber du mußt verschwinden, Brand. Sie suchen dich. Nach ein paar Tagen wird sich alles legen, und die Burschen werden Mores annehmen. Doch jetzt sind sie gefährlich, man muß ihnen aus dem Weg gehen."

„Aber da stimmt doch etwas nicht, meine Herren. Sie haben mir doch vor drei Wochen mitgeteilt, daß die SS gar nichts mehr zu sagen hat in der Judenfrage.“

Winniger antwortete:

„Das müssen Sie nicht so wörtlich verstehen, Herr Brand. Die neue Regelung ist zwar beschlossene Sache, aber es ist noch nicht alles bis nach unten durchgedrungen. Außerdem hat Ihnen Dr. Schmidt gleich gesagt, daß die ungarischen Juden ausgenommen sind. Wie immer dem sein mag, Sie haben jetzt keine Zeit zu verlieren. Momentan ist die Wehrmacht völlig machtlos, der einzige Machtträger ist die SS.“

Ich versuchte vergeblich, meine Frau zu erreichen. Mit Kastner konnte ich sprechen. Er wußte schon alles. Schweiger war schon nicht mehr da. Er hatte noch am selben Tage Budapest verlassen, um nach seinem Heimatort Szabadka zu fahren. Dort wurde er kurz darauf von der Gestapo verhaftet und über viele Etappen nach Mauthausen gebracht. Erst gegen Ende unserer Geschichte und gegen Ende des Krieges tauchte er wieder auf.

Die Abwehrleute brachten mich ins Büro von Dr. Schmidt. „Na, da hätten wir ja den Kladderadatsch. Jetzt müssen Sie vorsichtig sein, Brand. Die Panik wird nicht lange dauern. Aber in einem solchen Wirbel ist schon mancher umgelegt worden, und kein Hahn hat nach ihm gekräht. Sie kommen jetzt in Schutzhaft, Brand. Ihre Papiere und das Geld der Organisation heben wir auf, bis alle Gefahren vorüber sind. Dann können Sie sich’s wiederholen.“

Ich hatte keine Lust, unsere Kasse und unsere Dokumente den Deutschen anzuvertrauen, obwohl ich damals nicht glaubte, daß sie uns bestehlen würden. Ich antwortete ruhig: „Wenn ich verhaftet werde, Herr Doktor, dann zerfallen in dieser kritischen Zeit alle Verbindungen. Auch die nach Konstantinopel. Ich muß die Möglichkeit haben, dauernd mit meinen Genossen in Ver-bindung zu stehen. Wir haben keine zentrale Kasse, unser Geld halten wir aus konspirativen Gründen an vielen Punkten versteckt. Ich selbst weiß gar nicht, wo. Keiner weiß es, der es nicht wissen muß. Wir wollten keinen unserer Genossen mit zuviel Wissen belasten. Wenn einer hineinfällt und gefoltert wird, dann darf er nicht zuviel wissen.“

„Aber Herr Brand, ich habe ja gar nicht die Absicht, Sie in ein Gefängnis bringen zu lassen. Alles was geschieht, geschieht aus Sorge für Sie, Herr Brand. Ich werde Sie jetzt zu einem unserer Leute in die Wohnung bringen lassen. Sie dürfen Ihr Zimmer nicht verlassen. Razzien sind dort ausgeschlossen. Sie dürfen auch mit ihren Freunden telefonisch reden, jedoch müssen Sie sehr vorsichtig sein. Das Ganze wird nur einige Tage dauern, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, Herr Brand.“

Ich nahm an, und sie brachten mich in die Wohnung von Scholz. Dort wohnte ich mit ihm und seiner Freundin, einer jüdischen Tänzerin, in einem Zimmer. Diese Freundin schwor, Scholz sei ein anständiger Mensch, er habe ihrer Mutter und einigen anderen Juden selbstlos geholfen. Ich bat Winniger, meine Frau aufzusuchen. Die Deutschen verlangten nochmals die Kasse der Organisation. Ich wollte mein Mißtrauen nicht zeigen und gab ihnen mein persönliches Gut zur Aufbewahrung. Winniger traf meine Frau. Sie übergab ihm nach meiner Weisung einige tausend Dollar in bar, ihre Ringe, mein Zigarettenetui und andere Schmuckstücke im Werte von über 8000 Dollar. Ich habe diese Sachen nie wiedergesehen. Nach dem Kriege suchte ich Winniger in Wien auf. Er versprach mir, die Sachen aus dem Salzkammergut, wo sie versteckt lägen, zu bringen. Ich warte noch immer darauf.

Am nächsten Tage wurde Bandi Grosz zu mir in die Scholzsche Wohnung gebracht. Die Abwehrleute hatten ihn aus dem SS-Gefängnis geholt. Alle Informationen, die ich von den deutschen Agenten in diesen Stunden erhielt, bestätigten sich sofort.

Die Abwehragenten gaben uns eine sehr wichtige Information. Einer der fühlenden Leute der SS in Budapest sei Dieter von Wisliceny. Diese Nachricht elektrisierte uns alle.

Das Beispiel Gisi Fleischmanns in Bratislava ließ uns hoffen, daß wir Wisliceny kaufen könnten, wenn es uns nur gelang, mit ihm direkt zu verhandeln. Wir boten den Abwehragenten 20 000 Dollar an, wenn sie den unmittelbaren Kontakt zwischen uns und Wisliceny herstellten.

Sie lehnten ab. Sie fürchteten einfach, ihre Geschäftsverbindung mit uns zu verlieren, wenn wir mit den Leuten an der Quelle selbst verhandeln könnten. Sie waren nur bereit, unsere Wünsche Wisliceny mitzuteilen.

Aber sie hatten die Frechheit, schon dafür dieselbe hohe Summe zu verlangen.

Die Verhandlungen zogen sich hin. Wir wollten den direkten Kontakt. Nur dafür wollten wir zahlen. Kastner versuchte in der Zwischenzeit die Slowakei zu erreichen. Das Resultat war, daß Gisi Fleischmann, Rabbiner Weißmandel und Dr. Oskar Neumann, einer der mutigsten slowakischen Untergrundkämpfer, drei Briefe an Wisliceny schrieben.

Wisliceny wurde in diesen Briefen gebeten, mit unserer Gruppe, mit Baronin Edith Weiß (von den Manfred-Weiß-Werken) und mit Philipp von Freudiger, dem Präsidenten der orthodoxen Judengemeinde, in Verbindung zu treten. Wisliceny erfüllte die Bitte unserer slowakischen Genossen.

Baronin von Weiß hatte diese Verbindung nicht mehr nötig. Durch Vermittlung von Dr. Billitz und Herrn Chorin, dem Generaldirektor der Manfred-Weiß-Werke, hatte die Familie Manfred Weiß die Verbindung mit SS-Obersturmbannführer Becher ausgenommen. Becher konnte dieser kleinen Gruppe sehr reicher Juden viel mehr bieten als Wisliceny und Eichmann. Chorin erbot sich, die Aktienmehrheit der Manfred-Weiß-Werke der SS abzutreten, wogegen die SS sich verpflichten sollte, die ganze Familie Manfred Weiß mit ihren nahen und fernen Verwandten im Spezialflugzeug von Budapest nach Lissabon zu bringen. Becher fuhr mit diesem Vorschlag nach Berlin und hielt Vortrag beim SS-Reichsführer Himmler. Himmler gab die betreffenden Befehle. Baronin Weiß verließ mit ihren 45 Verwandten Budapest und landete einige Stunden später in Lissabon.

Die Verhandlungen Wisliceny mit Philipp von Freudiger betrafen dieselben Themen wie später die mit uns. Jedoch führte diese Verbindung zu nichts. Freudiger selbst verließ Mitte August Budapest und flüchtete mit seiner Familie nach Bukarest.

Zu uns kam Wisliceny zuletzt. Vorher ging er noch in die jüdische Gemeinde. Dort tat er sehr jovial.

„Es wird euch nichts geschehen, Kinder. Ihr müßt aber für Ruhe und Ordnung und für die strikte Durchführung unserer Befehle sorgen. Die Verantwortung übernimmt von heute ab ein Judenrat. Bringt mir eine Liste der Leute, die ihr dafür vorschlagt. Alle anderen jüdischen Organisationen und Parteien werden mit sofortiger Wirkung aufgelöst.“

Er schickte eine Liste der neuen Judenverordnungen.

1. Jeder Jude mußte sich beim Judenrat registrieren lassen und auf der Straße den Judenstern tragen.

2. Die jüdischen Bankkonten wurden gesperrt. Das jüdische Vermögen wurde sequestriert, die Juden mußten ein Verzeichnis ihres ganzen Besitzes abgeben. Das letzte Kleidungsstück mußte darin vermerkt sein. Gold und Schmuckgegenstände mußten sofort abgeliefert werden.

3. Juden durften keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Sie durften ihre Wohnorte ohne Genehmigung auch zu Fuß nicht verlassen. 4. Die Juden erhielten spezielle Lebensmittelkarten mit Hungerrationen. Die meisten Fabriken und Geschäfte mußten von den Juden geräumt werden usw. Täglich erschienen neue Verordnungen.

Die Abwehragenten schlugen uns vor, den neuen Judenrat zu bilden. Sie würden dafür sorgen, daß unsere Leute ernannt würden. Diese Zumutung lehnten wir brüsk ab. Wir hatten die polnische Erfahrung studiert. Wir wußten, daß die Judenräte nur die Wahl hatten, willenlose Werkzeuge der deutschen Henker zu werden oder den Weg zu gehen, den Ingenieur Czerniakow, der Präsident des Warschauer Judenrates, gegangen war, der sich eine Kugel durch den Kopf schoß, als die Deutschen die Auslieferung der jüdischen Kinder von ihm verlangten.

In diesen Tagen übersiedelte ich in das Quartier auf der Semsey Andor utca, in das Biss knapp vor Räumung des Hotels Majestic meine Frau gebracht hatte. Diese Wohnung hatte Ingenieur Biss als geheimes Ausweichquartier dem obersten Stab der Waada zur Verfügung gestellt. Er hatte dort als Arier gelebt, es war das Büro seiner Keramikfabrik. Das Quartier hatte Radio und Telefon und Schlafmöglichkeiten für über ein Dutzend Leute. Als ich hinkam, waren dort bereits alle führenden Genossen mit ihren Frauen versteckt. Winniger gab uns eine geheime Telefonnummer und riet uns:

„Wenn einer von euch verhaftet wird, dann soll er verlangen, daß man diese Nummer anruft. Wir kommen dann und holen euch heraus.“ In dieser Wohnung tagten wir in Permanenz. In langen Diskussionen wurde schließlich ein Aktionsplan entworfen.

„Wir müssen den Faden dort aufheben, wo Gisi Fleischmann ihn fallen ließ,“ erklärte Rezsö Kastner. „Die Deutschen haben zwei Millionen Dollar für die Rettung aller noch lebenden europäischen Juden verlangt. Man hat sie ihnen nicht gegeben, und das war mehr als ein Fehler. Aber vielleicht kann man das reparieren."

Bei der nächsten Konferenz machten wir den Abwehrleuten folgenden Vorschlag: „Stellt die direkte Verbindung mit Wisliceny her. Wir bieten der SS insgesamt zwei Millionen Dollar, davon bekommen die Leute einen Vorschuß von zehn Prozent sofort nach Aufnahme der Geschäftsverbindung. In der Folge bekommen sie 200 000 Dollar monatlich, bis die zwei Millionen voll gezahlt sind. Das alles, wenn die SS die Verpflichtung einhält, die sie übernimmt."

Den Abwehragenten boten wir zehn Prozent von den Summen, die wir der SS zahlten. Winniger erhielt ein Privattrinkgeld von 2000 Dollar.

Endlich ließ sich Herr Dr. Schmidt dazu bringen, den Kontakt mit Wisliceny zu vermitteln.

Er bestellte Kastner und mich in die Wohnung von Winniger. Einige Minuten nach unserm Eintreffen trat Wisliceny ins Zimmer, begleitet von einem Kapitän Klausnitzer. Wisliceny mochte etwas über vierzig Jahre alt sein; groß, sehr dick, schwarzhaarig, in auffallend eleganter Uniform, machte er eher den Eindruck eines preußischen Großkaufmanns. Wir setzten uns, Winniger füllte die Gläser. Wir rührten den Kognak nicht an. Ich nahm das Wort:

„Wir sind über die Verhandlungen informiert worden, die Sie, Herr Hauptsturmführer, in Bratislava mit unserer Volksgenossin Frau Gisi Fleischmann geführt haben. Leider war es damals nicht möglich gewesen, Ihre Forderungen zu erfüllen. Jetzt haben wir die Möglichkeit dazu. Wir sind bereit, die zwei Millionen Dollar, die sie verlangt haben, zu bezahlen. Wir haben das Mandat dazu erhalten und bieten Ihnen sofort einen Vorschuß von 200 000 Dollar. Wir haben nur vier Forderungen zu stellen."

„Was verlangen Sie also?“

“ Erstens: Es dürfen keine Gettos und Konzentrationslager geschaffen werden. (In Ungarn gab es noch keine, J. B.)

Zweitens: Es dürfen keine Massenhinrichtungen und keine Pogrome stattfinden.

Drittens: Es darf keine Deportationen geben.

Viertens: Den Juden, die Zertifikate haben, muß die Möglichkeit offenstehen, nach Palästina auszuwandern.“

Wisliceny lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er sprach langsam, gewählt, über eine halbe Stunde lang. Man konnte den Eindruck gewinnen, ein Professor hielte einen wissenschaftlichen Vortrag. Das Ganze wirkte wie eine höchst akademische Diskussion, dabei handelte es sich um Mord und Erpressung auf der einen Seite, um den letzten Versuch zu entkommen auf der andern.

„Den ersten Punkt akzeptiere ich vollkommen, meine Herren. Die deutsche Seite hat nicht die Absicht, in Ungarn Gettos einzurichten. Ich würde Ihnen aber raten, mit der Konzentrierung der Juden in Gemeinden über 10 000 einverstanden zu sein. Sie können Ihre Leute so wirksamer gegen die Aktionen unverantwortlicher Elemente schützen.

Zum zweiten Punkt möchte ich folgendes sagen: Unsere Leute sehen auf Ruhe und Ordnung und veranstalten keine Pogrome. Aber schließlich leben wir im Krieg, meine Herren. Wo gehobelt wird, fliegen Späne. Ich kann nicht unsere SS als Judenschutztruppe einsetzen. Das ist nicht unsere Aufgabe.

Zu Punkt drei: Es wird keine Deportationen in Ungarn geben, dafür können wir garantieren. So etwas können die Ungarn ohne uns nicht machen. Schließlich sind wir die Herren von Europa.

Was Punkt vier angeht, so muß ich Ihre Forderung ablehnen. Wir können uns nicht damit einverstanden erklären, eine kleine Gruppe ins Ausland fahren zu lassen. Wir können nicht für ein paar Juden einen so großen Apparat mobilisieren. Ja, wenn es sich um eine Massenausweisung handelte, könnte man darüber reden.“

Auf diesen Punkt kam er oft zurück.

„Einzelauswanderung, das kommt nicht in Frage, außer in besonderen Fällen Wenn Sie uns aber einen realen Vorschlag machen können, wie wir alle ungarischen Juden auf einen Schlag loswerden können, dann sieht die Sache anders aus. Ich könnte mir vorstellen, daß der Reichsführer SS darauf eingeht. Denken Sie über die Sache nach. Wenn die Westmächte die Juden haben wollen, dann können sie sie bekommen. Machen Sie mir Vorschläge, jedenfalls kann ich Ihnen in dieser Frage keinerlei Bescheid geben. Ich werde die Sache mit unseren Leuten besprechen.“

Das Gespräch wandte sich konkreteren Fragen zu.

„Ich begrüße es,“ sagte Wisliceny, „daß Sie in Sachen der zwei Millionen Dollar zu einem raschen Entschluß gekommen sind, aber ich kann Ihnen nicht garantieren, daß diese Summe genügt. Schließlich haben wir in Bratislava nur über etliche zehntausend Juden gesprochen. Und jetzt geht es um eine weitere Million

Aber immerhin, den Vorschuß von 200 000 Dollar akzeptiere ich. Damit sind die Geschäftsverbindungen eröffnet, und Ihren Leuten wird nichts geschehen, solange wir verhandeln. Wenn ihr nicht genug Dollars habt, so könnt ihr uns auch Pengö oder andere Valuten geben. Wir werden sie euch allerdings zum schwarzen Kurs anrechnen.

Auf eines will ich Sie noch aufmerksam machen, meine Herren: Bemühen Sie sich, schnell mit uns abzuschließen, bevor die Interventionen von Seiten der stupiden Ungarn in Berlin einsetzen. Wir können nicht den Eindruck erwecken, daß wir als Judenschutztruppe in dieses Land gekommen sind.“

Kastner hatte noch ein dringendes Anliegen.

„Können Sie, Herr Hauptsturmführer, uns erlauben, jetzt noch, bevor unsere Verhandlungen abgeschlossen sind, eine Gruppe von einigen hundert Menschen über Konstanza nach Konstantinopel zu schicken? Ein Schiff in Konstanza steht uns für diesen Zweck zur Verfügung.

Sie verstehen, Herr Hauptsturmführer, in Konstantinopel will man Resultate sehen. Die Ankunft eines solchen Transports wird für uns ein großer Erfolg sein. Wir können dann von unseren Leuten in Konstantinopel und in Jerusalem viel mehr verlangen.“

Wisliceny lehnte nicht direkt ab.

„Die Sache ist nicht leicht, meine Herren. Es gibt da Verabredungen mit dem Mufti von Jerusalem, an die wir uns halten müssen. Wenn man die Leute von Wien aus auf ein Schiff der Donau-Dampfschifffahrtsgesellschaft verladen könnte, so ließe sich das ganz im geheimen machen. Hier in Budapest wird alle Welt bald davon reden. Da müssen wir vorsichtig sein. Aber ich werde mir die Sache noch überlegen. Jedenfalls bereiten Sie eine Liste der Personen vor, die Sie wegschicken wollen.“

Jetzt nahm ich das Wort.

„Herr Hauptsturmführer, wir haben noch einen Wunsch, der uns allen sehr am Herzen liegt. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen wurden viele unserer Freunde verhaftet. Können Sie sie freilassen?“

„Wie stellen Sie sich das vor, meine Herren, das würde doch einen Aufstand hervorrufen. Es sind viel mehr Ungarn verhaftet worden. Die sollen nun im Gefängnis bleiben, während die Juden freigehen. Soweit kann man die Sache doch nicht treiben. Eine summarische Freilassung kommt nicht in Frage, aber in einigen Härtefällen kann ich eingreifen. Bringen Sie mir eine Liste der Leute, die Ihnen wichtig sind.“

Damit schlossen die Verhandlungen. Wir verabredeten ein zweites Treffen in derselben Wohnung.

Als wir die Verhandlungen begannen, hingen unsere Offerten völlig in der Luft. Niemand hatte uns das Mandat gegeben, solche Summen anzubieten. Weder die Vertretung des Sochnuth in Instabul noch der Vertreter des Joint in der Schweiz, noch die jüdischen Gemeinden in LIngarn. Man muß dabei berücksichtigen, daß die ungarischen Juden viel Geld hatten, aber wir Zionisten waren selbst nur eine kleine Gruppe der jüdischen Gesellschaft Ungarns. Im Rahmen der zionistischen Bewegung spielte wieder die Mapei, unsere eigene Partei, die die Untergrundorganisation geschaffen hatte, zahlenmäßig die geringste Rolle, und doch wurden wir in den wenigen Tagen, die dem Einmarsch der Deutschen folgten, die Führer des ungarischen Judentums. Wir hatten eine politische Linie. Wir hatten die Situation richtig analysiert und die Ereignisse kommen sehen. Wir wußten, daß die Zeit der beschränkten Legalität endgültig vorbei war und daß nur eine Kombination legaler und illegaler Methoden geeignet war, dem Sturm die Stirne zu bieten. An der Spitze des jüdischen Gemeindeverbandes von Ungarn stand Hofrat Stern. Ein Finanzmagnat,. Mitglied des ungarischen Oberhauses, ein Mann von hoher Bildung und gesellschaftlicher Kultur. Restlos assimiliert, hatte er den Umgang mit Zionisten bisher gemieden. Illegale Methoden und die Menschen, die eine illegale Organisation hervorbrachte, waren ihm fremd geblieben. Aber zu seiner Ehre muß es gesagt werden: Dieser uns und unseren Gedankengängen sehr fern-stehende Mann erkannte in der Stunde der Not sofort, was zu tun war.

Er sagte uns später:

„Sie und Ihre Freunde haben recht gehabt. Sie allein von uns allen.

Ich muß ihnen gestehen, daß ich es tief bedauere, nicht von Anfang an Sie unterstützt zu haben. Viel Unglück wäre vermieden worden.“ Die 200000 Dollar, die Gisi Fleischmann nicht hatte aufbringen können und deren Mangel sie schließlich in den Tod getrieben hatte, mobilisierten wir, ohne das Ausland in Anspruch zu nehmen, in Budapest selbst mit Sterns Hilfe innerhalb von zwei Wochen. Hofrat Stern bat uns in sein Büro, öffnete die Kasse und hob die Notenbündel heraus. 200 000 Dollar, das ergab zum Schwarzmarktkurs über sechseinhalb Millionen Pengö. Wir brachten zum nächsten Rendezvous mit den Naziführern nur die Hälfte.

Wisliceny kam diesmal nicht. Die Nazis schickten einen anderen Mann vor, Obersturmbannführer Krumey, begleitet von Hauptsturmführer Huntsche. Wir waren anfangs bestürzt, denn Wisliceny kannten wir schon und wußten nach den Verhandlungen in Bratislava was man von ihm erwarten konnte. Andererseits zeigte uns das Erscheinen Krumeys, daß die Sache keine Privataktion Wislicenys war. Krumey selbst betonte den offiziellen Charakter dieser Verhandlungen, zu denen er von Berlin aus bevollmächtigt sei. „Bevor wir die Debatte beginnen, möchte ich Sie darüber aufmerksam machen, meine Herren, daß ich zwar im Auftrage des Reichsführers SS handle, daß aber die Verhandlungen gegenüber den Ungarn Reichs-geheimnis sind. Dieses Geheimnis muß streng gehütet werden Sie haften dafür mit Ihrem Kopf. Haben Sie das Geld gebracht?“

Ich erhob mich und übergab ihm die Geldkoffer: „Wir haben bisher nur drei Millionen Pengö aufgebracht, Herr Obersturmbannführer." „Ja, was fällt Ihnen denn ein, meine Herren! Sie bestellen mich hierher, damit ich den Vorschuß entgegennehme, und bringen mir Ratenzahlungen.“

Ich antwortete: „Unterdessen ist etwas eingetreten, womit wir nicht gerechnet haben. Die letzten Verordnungen bestimmen die Beschlagnahme des ganzen jüdischen Eigentums im Lande. Die Juden müssen alles abliefern. Wer mehr als 4000 Pengö Bargeld in seinem Besitz hat, wird verhaftet."

Er war wütend: „Das ist doch eine Schweinerei, was sich diese Ungarn da leisten. Bevor wir kamen, machten sie mit den Juden gemeinsame Sache, und jetzt können sie gar nicht scharf genug sein, wo es darum geht, das jüdische Geld zu bekommen."

In Wirklichkeit hatte er selbst die meisten antijüdischen Verordnungen erlassen. Die deutschen Plakate auf den Litfaßsäulen trugen seine Linterschrift. Jedoch im Kampf um die Beute waren die deutschen und die ungarischen Faschisten Konkurrenten. „Dazu kommt noch etwas anderes, Herr Obersturmbannführer. Wir können das Geld nur mobilisieren, wenn die Leute glauben, daß wir etwas für dieses Geld durchsetzen. Herr Wisliceny hat uns versprochen, keine Gettos in Ungarn einzurichten, aber täglich treffen alarmierende Nachrichten aus Siebenbürgen und Karpatorußland ein. Dort werden unsere Leute mit äußerster Brutalität zusammengetrieben und in Gettos gesperrt. Ein großer Teil verbringt die Nächte unter freiem Himmel, ohne Brot und Wasser. All das hätte nicht geschehen dürfen. Sie haben Ihr Wort nicht gehalten.“

Er fuhr auf: „Das alles sind Greuelmärchen. Wir bemühen uns, in den Rand-provinzen äußerst human zu sein, aber Wisliceny hat Ihnen selbst gesagt, daß es besser ist, die Juden aus den kleinen Orten in größere Zentren zu bringen, um sie vor ungarischen Aktionen zu schützen.“

Wir wechselten das Thema. Ich fragte ihn, ob die SS unsere Forderungen vom letzten Mal akzeptiere. „Ich habe Ihnen da eine gute Nachricht gebracht. Die 600 Leute, die Zertifikate haben, können den deutschen Bereich verlassen. Sie müssen aber nach Wien und werden von dort mit einem Schiff geheim in den Hafen von Konstanza gebracht werden. Wir können die ungarischen Juden nur als deutsche Ware ab Deutschland verkaufen. Geben Sie uns die Liste.“

Wir hatten beschlossen, vorläufig keine Listen zu geben. Der Gedanke, die Auswanderer erst nach Wien zu schicken, war uns ein wenig unheimlich. Wir wollten noch Zeit gewinnen. „Darüber hinaus kann ich Ihnen noch etwas anderes in Aussicht stellen. Wisliceny und ich haben mit SS-Obersturmbannführer Eichmann, der für diese Dinge im ganzen deutschen Bereich verantwortlich ist, die Sache besprochen. Wir haben euren Wunsch nach einer Massen-auswanderung in Berlin tatkräftig unterstützt. Ich habe noch keine Vollmacht, euch etwas Konkretes zu versprechen. Vor allem müssen wir wissen: Seid ihr überhaupt in der Lage, eine Millionen Juden ins Ausland zu evakuieren?"

Hier berührte er unseren schwachen Punkt. Wir hatten in langen Nachtsitzungen darüber beraten. Wir wußten, daß die Engländer uns 50 Palästinazertifikate monatlich gaben und durch nichts dazu zu bewegen waren, diese Zahl auch nur um ein Dutzend zu erhöhen. Wir hatten viele falsche Zertifikate ausgestellt. Hier ging es aber um Hunderttausende. Kastner und ich waren beauftragt worden, den Deutschen etwas vorzulügen, um Zeit zu gewinnen. „Die Engländer werden uns alle 3 5 000 Exemplare zur Verfügung stellen, die gemäß dem Plane des Weißbuches noch frei sind. Jedes Zertifikat erlaubt die Auswanderung einer ganzen Familie. Gestützt auf diese Zertifikate können wir eine Viertelmillion Juden umsiedeln.“

„Aber was machen wir denn mit den übrigen? Sie müssen alle nehmen.“

„Herr Obersturmbannführer, das können wir nicht allein entscheiden. Geben Sie uns die Möglichkeit, mit unseren Leuten in Istanbul telefonisch zu sprechen. Diese Frage muß auf höherer Ebene entschieden werden."

„Da habe ich persönlich nichts dagegen. Ich lasse Ihnen morgen Bescheid sagen, ob es möglich ist."

Das Gespräch wandte sich nun einem Thema zu, das uns sehr am Herzen lag. Wir verlangten die Freilassung unserer verhafteten Genossen. Unter anderem wollten wir die Sekretärin des Palästina-Amtes, Rozsi Binet, befreien. Sie war beim Versuch, türkische Visen zu beschaffen, vor der Botschaft verhaftet worden.

Der Generalsekretär des Palästina-Amtes, Masche Kraus, und der Führer des Haschouier Hazair, Ernö Szilägyi, hatten eine Vorladung zur Gestapo erhalten.

„Ich werde morgen Ihre Sekretärin freilassen. Szilägyi und Kraus sollen sich bei mir melden, es wird ihnen nichts passieren.“

Wir verlangten weitere Entlassungen. Er bewilligte alles und hielt sein Wort.

Noch einmal kamen wir auf die Frage der Gettos in den Randgebieten zurück.

„Meine Herren, Sie sind von böswilligen Elementen falsch informiert. Den Juden dort passiert nichts. Wir haben strikte Anweisungen gegeben, mit äußerster Humanität vorzugehen. Es kann sein, daß die ungarischen Gendarmen, die zu diesen Aktionen herangezogen werden, sich da an Juden ihr Mütchen kühlen wollen. Wenn Sie so etwas bemerken, dann melden Sie es mir sofort.“

Hierbei sah ich eine Chance für uns. Hansi hatte schon in der letzten Sitzung der Waada angeregt, man solle von den Deutschen Reisedokumente verlangen, um die Gettos und Internierungslager in der Provinz aufsuchen zu können. Ich wandte mich an Krumey:

„Herr Obersturmbannführer, das ist für uns nicht ganz einfach. Wir Juden können uns kaum'auf den Straßen der Hauptstadt bewegen, ohne Gefahr zu laufen, aus irgendeinem nichtigen Grund verhaftet zu werden. Wie sollten wir dann unsere Leute in die Provinz schicken können, um die Situation dort festzustellen? Wir bekommen dauernd schreckliche Nachrichten, aber wir können sie im einzelnen Falle nicht überprüfen.“ „Dem kann abgeholfen werden. Ich werde Ihren Leuten Ausweise ausstellen, um sie vor Übergriffen auf der Straße zu schützen. Geben Sie mir eine Namensliste und sagen Sie mir, wer speziell in die Provinz fahren soll. Ihnen und Herrn Kastner werde ich Ausweise geben, die Sie berechtigen, mich im Hotel Majestic aufzusuchen.“

Krumey bemerkte unsere Befriedigung und verstärkte sofort seine Forderungen.

„Meine Herren, Sie sehen, daß ich für die jüdischen Belange Verständnis habe. Aber Sie dürfen nicht nur Vorleistungen von mir ver-langen, Sie müssen selber etwas leisten. Es macht einen schlechten Eindruck, daß der Vorschuß heute nicht voll erlegt wurde. Bevor wir weitergehen, muß diese Sache in Ordnung gebracht werden.“

Wir versprachen, den Rest des Geldes bald zu liefern. Als wir ihm aber das nächstemal wieder nur zwei Millionen Pengö brachten statt der versprochenen dreieinhalb, schrie er uns an:

„Wie können wir glauben, daß Sie Millionen Dollar zahlen werden, wenn Sie diesen Bettel nicht aufbringen können? Ich will Ihnen etwas verraten: Wir führen da jetzt Privatverhandlungen, um einige reiche Juden ins Ausland zu schaffen. Hier handelt es sich um ein paar Dutzend, nicht um Hunderttausende. Aber was die uns anbieten, können Sie nicht einmal buchstabieren. Wenn wir mit Ihnen trotzdem verhandeln und so bescheidene Forderungen stellen, so haben wir andere, sehr gewichtige Gründe hierfür, aber das geht Sie vorerst nichts an. Heute kann ich Ihnen nur eines sagen: Wenn bis zum nächsten Mal das Geld nicht beisammen ist, dann brechen wir die Verhandlungen ab, und dann können Sie Ihre Juden suchen gehen.“

Ich versuchte mich auszureden:

„Wir haben trotz Ihrer Erlaubnis, Herr Obersturmbannführer die Telefonverbindung mit Istanbul nicht erhalten können, das allein war schuld an der Verzögerung. Infolge der Besetzung Budapests sind auch die Kuriere bisher ausgeblieben. Wir warten täglich auf das Geld aus dem Auslande.“

„Reden Sie mir doch nichts ein, das alles ist nur Schlamperei. Sie können das Geld ruhig in Budapest aufbringen, aber Sie nehmen die Situation nicht ernst genug, sonst würden Sie zumindest die Bündel nachzählen, die Sie mir übergeben. In einem Paket hat eine 100-Pengö-Note gefehlt. Das ist doch ein Betrug; wenn ich es nicht nachgezählt hätte, müßte ich den Fehlbetrag aus eigener Tasche ersetzen.“

Wortlos nahm ich eine 100-Pengö-Note aus der Tasche und legte sie ihm auf den Tische. Wortlos steckte er sie ein und verließ mit seinem Begleiter das Zimmer.

Schmidt und Winniger blieben und machten uns die größten Vorwürfe. Schmidt sagte:

„Ihr wißt einfach nicht, was vorgeht. Das alles ist doch eine lächerliche Impotenz. Die SS kann losschlagen und die Budapester Juden nach Auschwitz schicken, wenn ihr nicht schnell handelt, und da warten wir seit zwei Wochen auf lumpige anderthalb Millionen Pengö. Ich habe euch mit den höchsten SS-Stellen in Verbindung gebracht. Aber ich kann einfach nicht zusehen, mit welcher Unfähigkeit ihr euch um eure Chancen bringt.“

Etwa eine Woche später brachten wir Krumey den Rest des Geldes. Er war befriedigt.

„Heute können wir nicht weitermachen. Wir haben noch nicht alle Vollmachten aus Berlin. In den nächsten Tagen lasse ich Ihnen Bescheid sagen.“

Wir lebten in diesen Tagen in einer nervösen Hochspannung. Die Verhandlungen mit den Deutschen nahmen uns stark in Anspruch, aber die tägliche Routinearbeit mußte dessenungeachtet außerordentlich verstärkt werden. Wir ließen fieberhaft Bunker bauen. Wir schickten die Leute jetzt in die Nachbarländer, insbesondere nach Rumänien und in die Slowakei. Ungarn war nicht mehr sicher genug. Die Genossen, die wir in die Slowakei zurückschickten, benutzten das Land nicht bloß als Asyl. Sie nahmen aktiv an der Vorbereitung des großen Partisanenaufstandes teil, der in den Bergen und Wäldern der Slowakei im Herbst 1944 ausbrechen sollte. Wir richteten in Budapest in aller Eile mehrere illegale Druckereien ein und produzierten in großen Mengen falsche Papiere. Wir ließen die Stempel des Sicherheitsdienstes und der anderen deutschen und ungarischen Dienststellen nachmachen. Wir kauften soviel Waffen, wie wir nur bekommen konnten. Wir arbeiteten rastlos, aber wir verfielen nicht der Panik. Mitten im Kampf sorgten wir für unsere Sicherung und dafür, daß andere an unserer Stelle treten konnten, wenn wir selbst verhaftet würden. Ich fuhr durch die Straßen immer von einem zweiten Auto begleitet, in dem meine Leibwache, der treue Cltaluz Perez Revesz saß. Er beobachtete mein Auto von fern und hatte sofort alles Nötige zu veranlassen, sollte ich angehalten werden. Außerdem benutzte ich ihn für kurze Aufträge, die während meiner Geschäftsgänge aktuell wurden.

Der von uns geschaffene Apparat bewährt sich in der Zeit der stärksten Beanspruchung. Die Arbeit wurde aus konspirativen Gründen immer mehr, dezentralisiert. Die einfachen Mitarbeiter, insbesondere die Chaluziw, entwickelten ihre eigene Initiative, um das Zentrum nicht zu sehr zu beanspruchen. Aber dessenungeachtet blieb die Spitze überlastet.

So vergingen die Tage, bis jene Stunde kam, um deretwillen ich diesen Bericht gebe.

Ware für Blut, Blut für Ware

Am 25. April 1944, es war gerade mein Geburtstag, traf ich Winniger um 8 Uhr früh im Cafe Opera. „Brand, ich muß Ihnen eine wichtige Mitteilung machen. Die Sache wird ernst, Sie sind heute zu Eichmann bestellt. Sie wissen doch, wer Eichmann ist?"

Den Namen Eichmann kannten wir seit langem.

Obersturmbannführer Adolf Eichmann war der Leiter der Hauptabteilung IV B im Reichssicherheitshauptamt in Berlin. Die Hauptabteilung IV B beschäftigte sich mit der Judenfrage. Eichmann war der Bevollmächtigte Himmlers für dieses Gebiet seit etwa 1934. Nach dem Ausbruch des Krieges erweiterten sich sowohl sein Arbeitsgebiet als auch seine Vollmachten. Er war es, der die Beschlüsse der Reichsregierung vollzog. Er organisierte in den von Deutschland okkupierten Gebieten und in Deutschland selbst die Konzentrierung der Juden und ihre spätere Vernichtung. Nach dem Eintritt Amerikas in den Krieg hatte die Reichs-regierung, auf die Initiative Hitlers und Goebbels’, die Operation Nad-it und Nebel beschlossen. Das bedeutete die physische Liquidierung der europäischen Juden. Eichmann wurde beauftragt, diese Aktion in größter Heimlichkeit durchzuführen. Das Geheimnis mußte aus zwei Gründen gewahrt werden: Das Ausland sollte nichts erfahren, und die Juden selber sollten nicht gewarnt werden. Sonst mußte man verzweifelte Aufstände befürchten. Eichmann rechtfertigte das Vertrauen, das Hitler in ihn gesetzt hatte. Er entwarf das System der Gaskammern und Krematorien, mit deren Hilfe er fünf Millionen Juden in aller Stille ermorden konnte.

Als mir Winniger mitteilte, ich solle in einer Stunde vor Eichmann stehen, schlotterten mir die Knie. Ich glaubte nicht, daß ich zurückkehren würde. Ich beschloß, sofort meine Genossen zu verständigen. Für eine Sitzung war keine Zeit mehr. Ich sprach mit Kastner, Komoly und meiner Frau telefonisch. Alle sagten mir dasselbe. Es gebe kein Ausweichen mehr. Ich müsse in die Höhle des Löwen gehen. Es gebe nichts mehr zu beraten, unsere Politik sei klar, ich solle bei Eichmann unser Vier-Punkte-Programm vertreten.

Winniger empfahl mir, im Cafe zu bleiben. Um 9 Uhr werde ein SS-Auto auf der anderen Straßenseite midi erwarten. Pünktlich hielt vor mir ein schwarzer Mercedeswagen. Ein SS-Feldwebel sprang heraus:

„Sie sind Herr Brand?"

„Jawohl.“

„Bitte steigen Sie ein.“

Wir fuhren im Eiltempo den Schwabenberg hinauf und hielten vor dem Hotel Majestic, in welchem ich noch vor kurzem gewohnt hatte.

Die SS-Wachen grüßten. Eine Minute mußte ich in der Halle warten, dann wurde ich zu Eichmann geführt. Er empfing midi mit den Worten, die diesen Bericht einleiten: „Sie — wissen, wer ich bin? Ich — habe — die Aktionen im Reich — in Polen — in der Tschechoslowakei durchgeführt. Jetzt kommt Ungarn an die Reihe. Idi — habe Sie kommen lassen, um Ihnen ein Gesdiäft vor-Zuschlägen. Vorerst — habe ich Sie — und Ihre Leute — prüfen lassen. Die vom Joint — und die von der Sochnuth. Und ich habe festgestellt, daß Sie — noch leistungsfähig sind. Ich bin also bereit — Ihnen — eine Million Juden zu verkaufen. Alle — werde ich Ihnen nicht verkaufen. So viel Geld und Ware — können Sie nicht aufbringen. Aber eine Million — das wird gehen. Ware für Blut — Blut für Ware. Sie können sich diese Millionen — aus Ländern holen — in denen es noch Juden gibt. Sie können sie — aus Ungarn nehmen. Aus Polen. Aus der Ostmark. Von Theresienstadt. Von Auschwitz. Von wo immer Sie wollen. Was — wollen Sie gerettet haben? Zeugungsfähige Männer? Gebärfähige Frauen? Greise? Kinder? Setzen Sie sich — und reden Sie."

Er hatte kurz, scharf und abgehackt gesprochen. Ich sah mir den Mann an.

Er mochte ungefähr vierzig Jahre alt sein. Mittelgroß, schlank, mit hellem Haar, glich er einem durchschnittlichen kaufmännischen Angestellten. Ungewöhnlich waren nur seine Augen. Stahlblau, hart und scharf, blickten sie so, als ob sie den Partner durchbohren wollten. Ich werde diese Augen nie vergessen. Man bemerkte nur nebenbei sein schmales Gesicht, seine dünnen Lippen, seine scharfe Nase. Man war gezwungen, dauernd in seine Augen zu sehen. Er trug eine elegante Uniform und hatte schneidige, etwas eckige Bewegungen. Auch seine Redeweise war ungewöhnlich. Er stieß einige Worte heraus und machte dann eine Pause. Wenn er sprach, dachte ich immer an das Knattern eines Maschinengewehrs. Er sprach ohne Dialekt, machte aber hie und da Fehler. Zum Beispiel sagte er: „erzeugungsfähige Männer“.

Hinter mir saß eine Stenotypistin. Neben Eichmann stand während des ganzen Gesprächs ein hochgewachsener, eleganter Zivilist.

Ich hatte jede Furcht verloren. Während er sprach, war es mir klar-geworden, daß es um ein reelles Geschäft ging. Ich vergaß, daß ein Wink dieses Mannes mich in die Gaskammern von Auschwitz befördern konnte. „Herr Obersturmbannführer, Sie bringen mich in eine schwierige Lage. Sie verlangen von mir, zu entscheiden, wer am Leben bleiben und wer ermordet werden soll. Das muß ich ablehnen. Ich will keinen einzigen Menschen meines Volkes verlieren.“

Idi erschrak über meine eigene Antwort, aber Eichmann reagierte mit einem Blick, als ob ich ihm ein Kompliment gemacht hätte. „Ich bin ein idealistischer Deutscher — Herr Brand. Und betrachte Sie als einen idealistischen Juden. Heute kann ich mich mit Ihnen an einen Tisch setzten, um Ihnen einen Handel vorzuschlagen. Morgen werde ich vielleicht anders mit Ihnen reden müssen.“

Mir war dieser Ton in der Verhandlung mit einem Massenmörder unerträglich. Ich wollte beim Geschäftlichen bleiben. „Ich bin kein idealistischer, sondern ein ganz einfacher Jude, wie sie zu Dutzenden in den Straßen von Budapest herumlaufen. Idi bin gekommen, um mein Volk loszukaufen, das sonst vernichtet wird. Ich weiß nicht, was für Waren ich Ihnen anbieten kann. Alle jüdischen Fabriken und Geschäfte sind geschlossen, alle Waren sind beschlagnahmt. Ich kann Ihnen Geld anbieten. Was verlangen Sie?“ „Ich kann Ihnen nicht alle Juden Europas verkaufen, auch wenn Sie noch soviel Geld oder Waren aufbringen. Jetzt noch nicht. Vielleicht kommt das einmal. Aber eine Millionen Juden kann ich laufen lassen. Wir sind aber an Waren interessiert. Nicht an Geld. Wenigstens habe ich vorläufig keine Vollmacht, mit Ihnen über ein Lösegeld zu sprechen. Ich fahre übermorgen nach Berlin und bespreche diese Angelegenheit nochmals mit unserer Führung. Sie müssen sich unterdessen überlegen, welcherlei Waren Sie uns anbieten können.“

„Idi kann Ihnen hier keinerlei Waren anbieten, die Sie interessieren würden und die Sie nicht ohnehin beschlagnahmen können.“

„Das verstehe ich wohl. Mich interessieren auch ungarische Waren nicht. Ich weiß, daß Sie hier und Ihre Leute ein Geschäft in diesem Umfang gar nicht abschließen können. Ich habe Sie rufen lassen, um Ihnen einen Vorschlag. zu machen, der, wie ich glaube, zum Ziel führen könnte.“

Ida horchte auf.

„Fahren Sie ins Ausland, stellen Sie die direkte Verbindung mit Ihren Leuten und mit den Alliierten her, und bringen Sie mir eine konkrete Offerte zurück. Wenn wir zu einem Abschluß kommen, dann werden wir Deutsche die übernommenen Verpflichtungen mit deutscher Gründlichkeit durchführen. Sagen Sie mir, wohin Sie fahren wollen. Wir werden Ihnen die Reisedokumente besorgen."

Jetzt trat eine Pause ein. Ich überlegte. In der Schweiz saß Sally Mayer vom Joint. In Konstantinopel aber saßen meine zionistischen Genossen. Die verstanden doch besser, worum es ging. Die hatten in Jerusalem und Kairo direkte Verbindungen zu den Alliierten. Aber vor allem: LInsere Genossen in Konstantinopel waren Fleisch von unserem Fleisch, Blut von unserem Blut. Mit denen hatten wir ständige Verbindungen aufrechterhalten. Sie kannten mich. Ich wählte Konstantinopel.

„Ich muß dann nach Istanbul, Herr Obersturmbannführer. Was für Waren verlangen Sie?“

„Das muß ich mir noch überlegen, Herr Brand. Überlegen Sie sich auch, was Sie mir anbieten können.“

Nach einer Weile fuhr er fort.

„Also Sie fahren, Herr Brand, aber Ihre Frau, Ihre Mutter und Ihre Kinder bleiben hier. In meinen Händen, unter meinem Schutz. Bis Sie zurückkommen. Idi werde auf sie aufpassen und garantiere Ihnen dafür, daß ihnen nichts geschieht, aber sie müssen dableiben. Das gibt mir die Sicherheit, daß Sie selbst bald zurückkommen.

Und auf eines muß ich Sie aufmerksam machen, Herr Brand. Diese Verhandlungen bleiben ein erstrangiges Reichsgeheimnis. Kein Mensch in Budapest darf davon erfahren. Das kann Blut kosten.“

„Aber Herr Obersturmbannführer, ich muß ja Ihr Angebot mit meinen Leuten diskutieren. Ich weiß ja gar nicht, ob die Führung unserer Gruppe mich mit dieser Mission betraut."

„Sie dürfen sich mit Ihren engsten Freunden beraten, aber Sie haften mit Ihrem Kopf dafür, daß kein Ungar etwas davon erfährt.“

Er erhob sich. „Bereiten Sie alles für Ihre Reise vor. Ich bin in einigen Tagen zurück und werde Sie rufen lassen.“

Ganz betäubt verließ ich das Hotel.

Die ganze Waada wartete vollzählig in meinem illegalen Quartier.

Ich berichtete Wort für Wort, was Eichmann mir gesagt hatte. Über der Sitzung lag eine unterdrückte Spannung. Alle fühlten, es gab hier eine Chance, den Rest unseres Volkes in Europa zu retten. Meine Haltung wurde approbiert. Man überlegte, wer nach Istanbul fahren solle.

Kastner schlug seinen Schwiegervater, Dr. Joseph Fischer, vor. Dr. Fischer war Rechtsanwalt und Berufspolitiker. Er war jahrelang Mitglied des rumänischen Parlaments gewesen und war Präsident des zionistischen Landesverbandes von Siebenbürgen. Ohne Zweifel war er für diplomatische Verhandlungen besser qualifiziert als ich. Kastner hob das hervor und unterstrich gleichzeitig, daß ich in Budapest unabkömmlich sei.

Kastners Vorschlag wurde ziemlich kühl ausgenommen. Er machte daraufhin einen Eventualvorschlag, man solle den Redakteur der zionistischen Tageszeitung Uj Kelet, Dr. Ernö Marton, schicken. Da erhoben sich die Vertreter der chaluzischen Organisation, Perez Revesz und Ernö Szilägyi.

„Wir brauchen in dieser Sadie keine Diplomaten. Wir brauchen einen Mann, zu dem wir Vertrauen haben. Joel weiß, wo uns der Schuh drückt. Er wird nach Konstantinopel fahren. Er wird dort unsere Sache vertreten, er wird das sagen, was wir zu sagen haben, und wird zurückkommen. Joel soll fahren.“

Die überwältigende Mehrheit schloß sich den Chaluziw an.

Otto Komoly resümierte die Diskussion:

„Ich glaube, jeder von uns fühlt, daß Joel Brand der Beste für diese Mission ist. Wir müssen ihn schicken.“

Alle waren davon überzeugt. Auch Kastner akzeptierte.

Am Nachmittag trafen wir die Vertreter der deutschen Abwehr. Dr. Schmidt, der Chef dieser Gruppe, war nicht dabei. Wir sprachen mit Winniger und Dr. Sedlacek. Und jetzt stellte sich etwas Merkwürdiges heraus. Diese deutschen Spionageagenten, die bisher unseren Kurierdienst besorgt hatten und die schließlich den Kontakt zwischen uns und der SS-Führung von Budapest hergestellt hatten, protestierten gegen meine Reise.

„Wir werden es nicht zulassen, daß Sie fahren", sagte Dr. Sedlacek offen. „Wir werden beim Reichssicherheitshauptamt protestieren. Man wird es in Berlin verbieten, auch wenn Eichmann es hier anordnet."

„Ja, aber warum wollt ihr uns schaden? Ihr habt uns doch bisher geholfen? Es ist doch unsere größte Chance seit Jahren.“

„Wir haben diese Sache begonnen. Wir müssen sie zu Ende führen. Das ist eine Angelegenheit, die in die Kompetenz der Abwehr fällt. Verhandlungen im Auslande sind nicht Sache der SS. Wir selbst können für euch die Verhandlungen in Konstantinopel führen.“

Ich begann zu begreifen. Es handelte sich hier um Konkurrenzneid. Die Abwehrleute fürchteten, ganz ausgeschaltet zu werden und nichts mehr zu verdienen, wenn unsere Gruppe direkt mit dem Sicherheitsdienst und mit Istanbul verhandeln könnte. Unsere Aufgabe war heikel. Wir wollten die Abwehrleute nicht vor den Kopf stoßen. Wir fürchteten, sie könnten uns schaden. In den letzten Tagen hatten sie uns schamlos erpreßt. Bei den Verhandlungen mit Krumey und Wisliceny waren sie schlimmer als die SS-Leute. Man mußte sie beruhigen.

„Ich mache euch einen Vorschlag", sagte ich zu Dr. Sedlacek, „schiedet euren Vertreter mit nach Konstantinopel. Er kann mir nur nützlich sein.“

Mein Angebot machte auf sie Eindruck. Sie zogen sich zurück und besprachen die Sache miteinander. „Man kann darüber reden, Brand, aber es gibt da eine Schwierigkeit. Die Türken sind in den letzten Wochen bockig geworden. Sie geben unseren Leuten keine Visa. Du mußt nach Konstantinopel telegrafieren und Venia (gemeint ist Venia Pomeranz, der im Auftrage der Sodmuth immer die deutschen Kuriere in Konstantinopel empfangen hatte) bitten, dem Joszi ein Visum zu besorgen", sagte Dr. Sedlacek. „Ich kann aber noch nichts Endgültiges zusagen, Brand“, fügte er hinzu. „Ich muß erst mit Dr. Schmidt sprechen. Wenn er einverstanden ist, fährst Du mit Jozsi zusammen, sonst fährt Winniger allein.“

Sein autoritärer Ton machte auf mich damals keinen Eindruck mehr. Ich sah schon, daß hinter seinen Worten keine Macht mehr stand. Die SS diktierte. Aber immerhin hatte diese Gruppe der deutschen Abwehr uns geholfen, unseren Verbindungsapparat mit dem Auslande aufzubauen, und hatte uns auch sonst unschätzbare Dienste geleistet. Wir wollten nicht ganz mit ihr brechen.

In den nächsten Tagen gingen Dinge vor, die mir ziemlich unerklärlich waren. Ich konnte das ganze Geflecht der Beziehungen Zwischen den verschiedenen Gruppen des deutschen Machtapparates nicht durchschauen. Ich konnte nur feststellen, daß wir es nicht mit einer monolithen Macht zu tun hatten, sondern daß verschiedene Gruppen gegeneinander intrigierten und merkwürdigerweise in ihren Positionskämpfen auch uns, die wir arm, schwach und machtlos waren, ausnützen wollten.

Einige Tage später wurde ich wieder zu Eichmann geholt. Diesmal saß neben Eichmann ein höherer SS-Offizier, den ich damals noch nicht kannte. Es war Herr von Klages. Eichmann nahm das Wort. „Herr Brand, wir haben da ein Paket, das für Sie aus der Schweiz kam, aufgefangen. Das sind 270 000 Schweizer Franken und über 50 000 Dollar. Das Geld ist dazu bestimmt, jüdischen Kindern zu helfen. Gegen Ihre Wohltätigkeitsaktionen haben wir nichts einzuwenden. Hier haben Sie Ihr Geld. Bestätigen Sie Ihren Auftraggebern sofort den Empfang.“

Er beugte sich über den Schreibtisch und überreichte mir das Paket. Ich war starr. Spielte man ein Spiel mit mir? Wir hatten noch nie eine Einzelsendung mit einer so großen Summe erhalten.

„Es sind auch noch Briefe für Sie da. Ein großer Haufen, zumeist hebräisch, jüdisch, polnisch. Wir können uns nicht damit beschäftigen. Lesen Sie sie durch. Es wird sich wohl um Ihre Kinderhilfe handeln, wenn aber irgend etwas anderes drinsteht, dann müssen Sie es mir sofort melden.“

Ich konnte das alles nicht fassen. Eichmann ernannte mich hiermit zum deutschen Zensor. War das eine Falle, hatte er die Briefe fotokopieren lassen und wollte meine Ehrlichkeit prüfen? Ich verstand gar nichts mehr.

Wieder begann er in abgehackten Sätzen:

„Ich bin gestern aus Berlin zurückgekommen. Ich habe die Zustimmung der höchsten Stellen für diese Verhandlungen mit Ihnen erhalten. Haben Sie sich schon überlegt, was für Waren sie mir anbieten können? Sind Sie vorbereitet, nach Konstantinopel zu fahren?

„Ich könnte sofort fahren. Aber ich kann Ihnen jetzt keinerlei Waren anbieten. Was wir Ihnen ohne Zweifel liefern könnten, ist ausländisches Geld, und zwar große Summen.“

„Das ist weniger interessant, Herr Brand. Was ich gern bekäme, das wären Lastkraftwagen. Sie wollen eine Million Juden haben?“

„Ich will alle Juden haben, die noch leben."

„Darüber vielleicht ein anderes Mal. Jetzt sprechen wir von einer Million. Ich mache Ihnen ein kulantes Angebot: Sie liefern mir ein Lastauto für hundert Juden. Das ist doch nicht viel.“

Ich antwortete nicht.

„Das macht in summa zehntausend Lastwagen. Die Wagen müssen fabrikneu mit Anhänger geliefert werden. Sie müssen für Winterbetrieb geeignet sein.

Wenn Sie ein übriges tun wollen — und Sie können dessen sicher sein, wir werden uns dafür revanchieren — dann liefern Sie uns mit diesen Wagen einige tausend Tonnen Tee, Kaffee, Seife und sonstige Gebrauchsgegenstände.“ „Herr Obersturmbannführer, wenn es sich um Tee, Kaffee, Schokolade und andere Genußmittel handelt, dann wird die Sache nicht schwer sein, aber Lastautos, das ist Kriegsmaterial.“

„Ich kann Ihren Alliierten fest und ehrenwörtlich versichern, daß wir diese Lastautos nie im Westen verwenden werden. Sie sind ausschließlieh für den Einsatz an der Ostfront bestimmt.“

Ich hatte mich unterdessen von meiner Überraschung erholt und begann ernstlich nachzudenken, wie ich die Sache weiterführen könne. Ich glaubte offen gestanden niemals, daß mir die Alliierten 10 000 Lastwagen liefern würden, um den Rest des jüdischen Volkes vor der Vernichtung zu retten. Aber ich war überzeugt, daß im Laufe der Verhandlungen sich ein anderer Ausweg würde finden lassen. Ich antwortete: „Herr Obersturmbannführer, ich persönlich kann glauben, daß Sie Ihr Wort halten werden, aber ich habe keine zehntausend Lastwagen im Besitz. Die Leute, mit denen ich in Konstantinopel verhandeln muß, werden Garantien verlangen. Niemand wird im voraus zehntausend Lastautos liefern. Welche Sicherheiten können Sie dafür bieten, daß diese Million Juden wirklich freigelassen werden wird?“

Und hier gab Eichmann jene entscheidende Antwort, die mich davon überzeugte, daß wir eine Chance hatten, die Juden Europas am Leben zu erhalten. Er sagte:

„Ihr haltet uns alle für'Betrüger. Ihr schließt von euch auf uns. Jetzt werde ich Ihnen den Beweis geben, daß ich zu euch mehr Vertrauen habe als ihr zu mir. Wenn Sie aus Konstantinopel zurückkommen und mir mitteilen, daß das Angebot angenommen wurde, dann löse ich Auschwitz auf und stelle Ihnen 10°/o der versprochenen Million an die Grenze. Sie übernehmen diese hunderttausend Juden und liefern mir dafür nach-träglich tausend Lastautos. Und dann geht das Geschäft Zug um Zug weiter. Je tausend Lastautos für hunderttausend Juden. Da kommt ihr noch billig davon.“

Nach diesen Worten hatte ich Mühe, meine Erregung zu verbergen. Ich sah zum ersten Mal. sich eine Pforte auftun, durch die ein Teil meines Volkes in die Freiheit würde gehen können.

Ich schwieg einige Minuten. Die SS-Leute merkten nicht, was in mir vorging. Schließlich erhob ich mich: „Herr Obersturmbannführer, ich bin überzeugt, daß dieses letzte Angebot akzeptiert werden wird. Wann kann ich fahren?“

„In den nächsten Tagen.“

Ich verließ das Hotel wie ein Traumwandler. Das Paket mit dem Geld und den Briefen unter dem Arm, fuhr ich direkt in unser Büro. Dort warteten alle Mitglieder unserer Leitung.

Die Nachricht, die ich brachte, erschütterte alle. Keiner wußte genau, wie sich die Dinge entwickeln würden, aber jeder fühlte: Das ist die Wendung.

Einige hatten zwar Bedenken, ob die Alliierten uns irgendwelche Waren geben würden. Eli Sajo aus Bratislava — er ging zwei Wochen später beim Überschreiten der rumänischen Grenze zugrunde — hatte auch grundsätzliche Einwände. „Genossen, sind wir berechtigt, den Deutschen Waren zu geben, die kriegswichtig sind? Dürfen wir überhaupt in Konstantinopel um so etwas bitten?“

Ich nahm gegen solche Stimmungen scharf Stellung: „Genossen, es handelt sich gar nicht darum, den Deutschen Lastwagen zu liefern oder irgendwelches anderes Kriegsmaterial. Ihr habt gar nicht verstanden, worum es sich jetzt handelt. Es ist ein ganz neues Moment aufgetreten. Die Deutschen wollen hunderttausend Juden als Vorschub geben. Wißt ihr, was das bedeutet? Hunderttausend Menschen ins Ausland zu schaffen? Jetzt mitten im Kriege? Es kommt nur die spanische Grenze in Frage. Die Deutschen lehnen es ab, sie über Bulgarien und die Türkei zu evakuieren. Sie haben Verträge mit dem Mufti von Jerusalem. Die Schweiz kommt nicht in Frage. Von dort müssen die Emigranten ja weiter, und wieder über deutsches Gebiet. Bleibt also nur Spanien. Wenn man mit den Alliierten schon einig ist, dann muß man mit der spanischen Regierung verhandeln. Wißt ihr, wieviel Zeit solche Verhandlungen in Anspruch nehmen? Man muß dann noch mit den Ländern verhandeln, die uns letzten Endes aufnehmen sollen. Dann kommen erst die Transporte. Man muß Schiffsraum besorgen, das alles dauert Monate. Vielleicht mehr als ein halbes Jahr. Unterdessen brechen die Deutschen zusammen, und wir haben noch kein einziges Lastauto geliefert. Dazu kommt noch etwas, was Ihr nicht überlegt habt, Genossen. Eichmann verspricht sofort nach Annahme seines Vorschlags durch das Ausland die Gaskammern in Auschwitz in die Luft zu sprengen. Wird er sie nach 6— 8 Monaten — nach 6— 8 Monaten Verhandlungen mit Spanien und mit den Alliierten — wieder aufbauen und die Vergasung neu anfangen? Könnt ihr Euch vorstellen, wie die Deutschen nach einem halben Jahr aussehen werden? Sie sind schon jetzt schwer angeschlagen. Wenn sie mit uns verhandeln, dann tun sie es nur, weil sie die Niederlage kommen sehen.“

Ernö Szilägyi unterstützte mich: „Kameraden, es ist ein historisches Gesetz, daß in der letzten Phase vor dem Untergang der Terror bricht. Die Herrschenden geben vielleicht noch Befehle zur Vernichtung, aber sie finden keine Exekutoren mehr. Die beginnen, mit den Unterdrückten zu paktieren. Joel hat recht: Wenn wir in der Lage sind, den Prozeß der Vernichtung für ein halbes Jahr zu unterbrechen, dann sind wir gerettet. Auschwitz steht dann nie mehr auf.“

Man beschloß, mich zu beauftragen, Eichmann einige Sofort-Forderungen vorzutragen. Dann öffnete man das Paket, das Eichmann mir übergeben hatte.

Wir zerbrachen uns nächtelang den Kopf, wie Eichmann in den Besitz unseres Geldpakets gekommen war. Schließlich klärte sich die Sache auf. Bandi Grosz war eine ganze Nacht lang bei der Gestapo gewesen, Dort hatte er wahrscheinlich dieses Paket übergeben — ich glaube, dem Obersturmbannführer von Klages. Er wollte damit den Gestapoleuten beweisen, welche glänzenden Beziehungen er zu unserer Zentrale im Ausland habe.

Wir teilten den Genossen in Konstantinopel telegraphisch meine bevorstehende Ankunft mit. Von Konstantinopel kam ein Antwort-telegramm: „Joel soll kommen, Chaim erwartet ihn.“

Wir waren überzeugt davon, daß es sich nur um den Präsidenten der Exekutive, Chaim Weizmann, handeln könne. Die Leute in Konstantinopel hatten also begriffen, wie wichtig die Sache war.

Mit dem Telegramm aus Konstantinopel ging ich zu Eichmann.

„Herr Obersturmbannführer, ich kann fahren, der Präsident unserer Organisation erwartet mich in Konstantinopel.“

„Ja, was sitzen Sie denn dann noch hier herum, Herr Brand?"

„Ich habe doch bisher keinerlei Reiseerlaubnis und keine Reise-dokumente von Ihnen erhalten.“ „Ja richtig, man hat Ihnen noch nichts gegeben. Also, die Sache ist schon arrangiert. Melden Sie sich bei Herrn Obersturmbannführer Krumey, der wird Ihnen alles besorgen. Sie können gehen.“ „Herr Obersturmbannführer; ich hätte noch ein wichtiges Anliegen. Während wir hier verhandeln, werden unsere Leute in der Provinz zugrunde gerichtet. Wir erhalten täglich Alarmnachrichten. Wenn Sie wollen, daß Konstantinopel Ihren Vorschlag ernst nimmt, müssen Sie sofort etwas tun, um die Vernichtungsaktion zu stoppen." „Das sind doch alles Greuelmärchen, Herr Brand. Ich bin jetzt kreuz und quer durch das Land gefahren, und überall treffe ich nur volle Brotwagen, die Lebensmittel in eure Lager schleppen. Verschonen Sie mich mit solchen Geschichten.“

Er war wütend. Ich konnte nichts durchsetzen und wechselte das Thema. „Herr Obersturmbannführer, man hat uns versprochen, daß wir achthundert Leute sofort ins Ausland schicken dürfen. Wenn das geht, wird es ein sehr guter Auftakt für meine Verhandlungen in Kontantinopel sein.“

Er fuhr auf:

„Seit drei Wochen redet ihr über diesen Transport. Wir haben eingewilligt und von euch die Listen verlangt. Dreimal haben wir darüber schon gesprochen, aber die Listen sind noch immer nicht da.“

Hier hatte er recht. Wir hatten einfach Angst gehabt, den Gestapoleuten die Namen zu nennen. Wir hielten sie zurück, bis die Deportationen kamen und wir keinen anderen Ausweg hatten. „Bringt mir endlich die Liste. Die Leute werden von hier nach Wien deportiert. Dort verfrachten wir sie auf ein Donauschiff und bringen sie euch in den Hafen von Konstanza. Sorgt für einen Dampfer."

Anfangs hatten wir nur über sechshundert Leute gesprochen. Krumey hatte schon zweihundert mehr bewilligt. Eichmann sprach schon von tausend bis zwölfhundert. Schließlich wurden es fast siebzehnhundert. Diese Leute erreichten in der Tat das Ausland. Nicht über Konstanza und die Türkei, sondern über Bergen-Belsen und die Schweiz. Daß diese siebzehnhundert Menschen gerettet werden konnten, ist einer der großen Erfolge unserer Arbeit gewesen. Er ist den mutigen Bemühungen meiner Freunde nach meiner Abreise zu verdanken.

Wir hatten diese siebzehnhundert Menschen mit gefälschten Zertifikaten ausgestattet. Wir haben uns nie darüber den Kopf zerbrochen, was an den Toren Palästinas mit diesen Leuten geschehen würde. Wir konnten uns nicht denken, daß irgendeine Macht der Welt den aus der Hölle Entronnenen den Weg in ihre Heimat versperren würde.

Während des Gespräches mit Eichmann waren Herr von Klages und Obersturmbannführer Becher anwesend. Klages sprach kein Wort und zeigte auch durch keine Geste, daß ihn die Sache interessierte. Eichmann schickte mich zum Schluß zu Krumey und rief mir nach: „Aber, Herr Brand, machen Sie schnell. Sie müssen sofort fahren und bald zurückkommen, sonst gehen Ihre Leute hier kaputt. Verstanden? Übrigens — habe ich Ihnen schon gesagt, daß Herr Grosz mit Ihnen fährt? Der soll mir genau berichten, was ihr da auspackelt.“ Krumey empfing midi sachlich:

„Ja, ich hab’ schon alles bekommen, Herr Brand. Sie werden noch diese Woche fahren können."

Ich wagte eine persönliche Bitte:

„Herr Obersturmbannführer, ich fahre jetzt weg und lasse meine alte Mutter, meine Frau und meine zwei Kinder hier zurück. Sie haben mir hier einen Schutzpaß gegeben, damit mir persönlich nichts passiert. Können Sie für die Zeit meiner Abwesenheit etwas Ähnliches meiner Familie geben, schon damit sie vor Übergriffen ungarischer Gendarmen geschützt ist?"

„Geben Sie mal Ihren Ausweis her und nennen Sie mir die Namen Ihrer Verwandten. Ich schreib’ sie dazu.“ Er tat es.

„So, jetzt können Ihre Leute sich davon Fotokopien machen, damit ihnen auf der Straße nichts passiert."

Die Situation im Lande verschlimmerte sich immer mehr. Ich selbst konnte mich mit der laufenden Arbeit nicht mehr beschäftigen. Ich bereitete meine Abreise vor. In der letzten Sitzung der Wanda wurden meine Funktionen anderen Genossen übertragen. Meine Frau übernahm einen immer größeren Teil der Arbeit. Insbesondere die Verbindung mit den Flüchtlingen und die Produktion falscher Dokumente. Perez Revesz und Salomon Offenbach übernahmen mit meiner Frau die Kasse der Organisation. Otto Komoly sollte die Verhandlungen mit den Deutschen weiterführen. Er war aber dazu psychisch nicht imstande. Kastner übernahm später diese Funktion.

Es wurden noch einige Genossen zur zentralen Arbeit herangezogen. Mosche Rosenberg, Menachem Klein, Raffi Friedl wären hier zu nennen. Im Auftrage von Hofrat Stern arbeitete damals Wilhelm Karoly als Vertreter des Gemeindeverbandes eng mit uns zusammen.

Alle zionistischen Gruppen gaben mir Vollmachten. Im Namen der offiziellen jüdischen Gemeinde und im Namen der orthodoxen Gemeinde stellten mir Hofrat Stern und Philipp von Freudiger folgendes Dokument aus:

Zentralrat der Ungarischen Juden Budapest VII., Sip-utca 12 Budapest, den 16. Mai 1911 Beglaubigungsschreiben Der Zentralrat der ungarischen Juden bestätigt hiermit, daß Herr Joel Brand aus Budapest seine Auslandreise int Interesse der gesamten ungarischen Judenheit unternimmt und ersuchen wir sämtliche hiezu berufenen jüdischen Personen und Institutionen seine diesbezüglichen Bemühungen weitgehendst zu unterstützen.

Angesichts der lebenswichtigen Angelegenheit, die Herr Brand zu erledigen hat und die er persönlich vortragen wird, bitten wir sehr, ihm jede Hilfe dringendst angedeihen zu lassen.

Wir wollen noch hervorheben, daß Herr Brand sich durch seine bisherige hingebungsvolle, selbstlose Teilnahme am jüdischen Hilfswerke um das Judentum sehr verdient gemacht hat und wenn er jetzt im Interesse der übernommenen Aufgabe seine Reise antritt, wollen wir nachdrücklichst hervorheben, daß vom Erfolg seiner Reise das Gesdtick und der Bestand unserer Gemeinschaft abhängt.

Hochachtungsvoll Zentralrat der Ungarischen Juden (Stempel: Hofrat Samuel Stern Zentralrat der Präsident Ungarischen Juden) Philipp von Freudiger Mitglied des Zentralrates Am 15. Mai wurde ich zum letztenmal zu Eichmann gerufen.

„Herr Brand, Sie müssen sofort fahren. In den nächsten Tagen wird ein Kurierflugzeug für Sie bereitgestellt. Erledigen Sie diese Sache so schnell als möglich. Ich kann hier nicht länger warten. Idi muß heute mit den Deportationen beginnen.

Zwölftausend Juden werden täglich abtransportiert. Ich bin aber geneigt, die Leute nicht nach Auschwitz zu schicken, sondern nach Österreich. Einen Teil werde ich in der Slowakei halten. Die Transporte warten dort, bis Sie zurück sind, und können dann gleich weitergehen an die spanische Grenze. Kommen Sie nicht oder nicht rechtzeitig zurück, dann gehen die Leute nach Auschwitz.“

Mir lief es eiskalt den Rücken herunter. „Herr Obersturmbannführer, wenn Sie das wirklich tun, wenn Sie jetzt mit den Deportationen beginnen, dann ruinieren Sie die Verhandlungen vollkommen. Kein Mensch wird in Konstantinopel glauben, daß Ihr Angebot ernst zu nehmen ist.“ „Lassen Sie das meine Sache sein, Herr Brand. Ich verstehe mein Geschäft. Idi muß Ihre Juden jetzt hart anfassen. Wenn ich mich jetzt wie ein Schlappschwanz benehme, dann glauben Ihre Leute, daß ihnen ohnehin nichts droht. Dann komme ich nie zu einem Abschluß." „Herr Obersturmbannführer, daß Sie unser Volk vernichten können, haben Sie schon oft genug gezeigt. Wenn Sie wirklich zu einer Vereinbarung kommen wollen, dann müssen Sie zumindest während der Verhandlungen menschlichere Methoden anwenden."

Ich bettelte. Es half nichts. Er blieb hart. „Es steht in Ihrer Hand, rasch abzuschließen, Herr Brand, und damit alle Gefahren abzuwenden. Wenn Sie in einer Woche oder sagen wir spätestens in zwei Wochen zurückkommen und mir einen positiven Bescheid bringen, dann sprenge ich Auschwitz in die Luft und schicke die jetzt Deportierten als erste an die spanische Grenze. Aber ich warne Sie, Herr Brand, Sie können nicht zu lange bleiben. Ich kann Ihre Juden nicht einfach aufs Eis legen. Die Arbeitsfähigen könnte ich zwar vorübergehend beschäftigen, aber die Kinder, Frauen und Alte müssen weg. Kommen Sie so rasch als möglich, in Ihrem eigenen Interesse." „Herr Obersturmbannführer, es wartet zwar unser Präsident auf midi in Konstantinopel, aber es kann sein, daß man das Einverständnis der Alliierten einholen muß.“ „Wenn Sie nach der Ankunft in Konstantinopel sehen, daß Sie zu diesem Zweck weiterfahren müssen, nach Jerusalem, London oder vielleicht nach New York, dann nehmen Sie das erste Flugzeug, das sich Ihnen bietet. Das müssen schon Ihre Leute dort arrangieren. Abei telegrafieren Sie mir vorher. Dann werde ich stoppen.“

Ich muß hier betonen, daß ich in diesem Augenblick bereits dazu entschlossen war, den Deutschen um jeden Preis einen positiven Bescheid zu bringen, auch wenn es der Führung der Sodtnuth noch nicht möglich wäre, ein Abkommen zu zeichnen. Ich rechnete auf die Zeit als unseren verläßlichsten Alliierten. Deshalb schüchterten mich seine Drohungen nicht ein. Ich fürchtete nur für das Schicksal der jetzt Deportierten. Ich versuchte nochmals, ihn umzustimmen. Er lehnte scharf ab. Ich schwieg und schaute zufällig auf die Revolvertasche, die auf seinem Tische lag. Er bemerkte meinen Blick und mußte meine Gedanken erraten haben. Er legte seine Hand auf den Revolver. „Wissen Sie, Brand, ich denke oft daran, daß einer von euren Leuten mich um die Ecke bringen will.“

Er lehnte sich zurück und lächelte sarkastisch. „Machen Sie sich keine Hoffnungen, Herr Brand, es kann ja auch anders kommen, und wir verlieren den Krieg. Aber mich und meine /Familie — ich habe eine Frau und zwei Kinder — werdet ihr nicht fangen. Dafür habe ich schon jetzt gesorgt.“

Er hat recht behalten. Wisliceny wurde nach dem Kriege in der Slowakei gehängt. Krumey wurde gerichtlich freigesprochen und lebt in Deutschland: aber der ärgste Würger, Eichmann, der Millionen auf dem Gewissen hat, ist spurlos verschwunden.

„Also, Herr Brand, Sie fahren morgen. Herr Obersturmbannführer Krumey bringt Sie im Auto nach Wien, dort erhalten Sie Ihre Dokumente und besteigen das Kurierflugzeug nach Konstantinopel."

Ich erhob mich und ging. Als ich an der Türe war, rief er mir noch zu: „Beeilen Sie sich, Herr Brand, kommen Sie schnell zurück. Ich lasse mit mir nicht spaßen." Krumey hatte bereits alles vorbereitet. Er bestellte midi für den nächsten Tag ins Cafe Opera, ich solle mit meinem Koffer kommen. Bandi Grosz sei schon verständigt. Ich solle Fotos mitbringen.

Zu Hause angekommen, rief ich sofort die Genossen zusammen. Man diskutierte zuerst die furchtbaren Nachrichten über die begonnene Deportation und beschloß, wieder Boten in die Provinzgettos zu schicken, um die Leute aufzufordern, nach Budapest und Zentralungarn zu fliehen. Obwohl wir damals überzeugt waren, wir würden durch ein Abkommen mit den Deutschen unser Volk retten, setzten wir nicht alles auf diese Karte. Wir beschlossen zu warnen, in großen Massen falsche Papiere auszugeben und Bunker zu bauen. Wir forderten zum Widerstand gegen diese Deportationen auf und hofften, die Deutschen würden jetzt vor einem Blutbad zurückschrecken. Wir beschlossen, Waffen zu kaufen, wo immer wir sie bekämen Dann ging man zum zweiten Punkt der Tagesordnung, zu meiner Reise nach Konstantinopel, über.

Kastner sagte: „Man muß sich vor den Engländern hüten. Die werden keine Lastwagen liefern wollen. Was du erreichen mußt, Joel, ist irgendein Gegenvorschlag. Sprich nicht mit den Alliierten, sondern sprich mit Weizmann und den Delegierten allein. Die SodtMUth wird schon irgendeinen Ausweg finden. Wichtig ist, daß die Verhandlungen mit Eichmann weitergehen und daß du irgendein brauchbares Gegen-angebot mitbringst und sofort zurückkommst, Joel. Wir sitzen hier wie auf Kohlen.“

Komoly sagte: „Man muß auch Wege direkt zu den Allierten suchen. In Ankara sitzt Steinhardt als amerikanischer Botschafter. Er ist Jude.

Zu ihm soll Joel fahren und ihm alles erzählen. Er wird Roosevelt darüber berichten und unseren Standpunkt gut vertreten."

Die Direktiven, die man mir gab, waren klar. Ich sollte irgendein Gegenangebot zurückbringen. Wir waren überzeugt, daß Eichmann letzten Endes Geld oder Lebensmittel nehmen würde. Komoly sagte nur noch: „Wenn du mit Steinhardt sprichst, dann bitte ihn um strengste Diskretion. Ich habe die Hoffnung, daß Steinhardt bei Präsident Roosevelt irgendeine brauchbare Lösung durchsetzt.“

Alle beschworen midi, im Auslande endlich die Verschwörung des Schweigens über das Schicksal der europäischen Juden zu durchbrechen. Ich müsse versuchen, die große Presse der Alliierten zu alarmieren.

Am nächsten Nachmittag verabschiedete ich mich von meinen Kindern. Der Älteste war fünfeinhalb Jahre alt. Aber beide fühlten, daß ich sie verließ. Sie stellten sich vors Auto und wollten die Abfahrt verhindern. Meine Frau begleitete mich ins Cafe Opera, dort warteten bereits Komoly, Szilägyi und Kastner. Nach einer Stunde fuhr ein SS-Auto vor, das Krumey lenkte. Neben ihm saß Bandi Grosz. Ich umarmte meine Frau und meine Genossen und stieg ein.

Wir passierten die Landesgrenze ohne Aufenthalt. Am Abend trafen wir in Wien ein. Krumey brachte uns ins Hotel Metropol, das Hauptquartier der Gestapo, und ließ uns dort ein Zimmer anweisen, das sechs Betten hatte. Wir durften ausgehen, aber niemals länger als für eine Stunde. Krumey nahm meine Daten auf, Grosz hatte einen ungarischen Dienstpaß.

Am nächsten Nachmittag brachte mir Krumey meinen Paß. Es war ein regelrechter deutscher Reisepaß auf den Namen Eugen Band, Ingenieur aus Erfurt. Die Geburtsdaten stimmten. Er stellte mich dem SS-Kommandanten von Wien, Obersturmbannführer Adolf Ebert, vor. Dann verlangte er von mir die Bezahlung der Flugkarte für Grosz und mich in Dollar. Ich hatte über 2000 Dollar bei mir. Trotz der deutschen Devisenbestimmungen schien das Herrn Krumey selbstverständlich.

Am Tage darauf, um 5 Uhr früh, brachte uns Krumey im Auto zum Flugplatz. Die Kontrolle war eine Farce. Weder mein Gepäck noch meine Taschen wurden durchsucht. Man fragte mich, ob ich Geld bei mir habe. Auf Krumeys Weisung hin sagte ich nein.

Kurz vor dem Abflug nahm mich Krumey beiseite. Ich solle ihn bei den Verhandlungen in der Türkei nicht vergessen. Ich müsse dort mitteilen, daß es in der SS nicht nur Leute gebe wie Eichmann, sondern auch anständige Offiziere wie ihn und Wisliceny. Er werde seinerseits alles dazu tun, um die Juden zu retten. Aus seinen Worten fühlte ich die Angst vor der drohenden Katastrophe des Naziregimes heraus.

„Herr Brand, kommen Sie bald zurück und machen Sie alles gut. Wir werden hier unser Wort halten, damit können Sie rechnen. Jede Woche geht das Kurierflugzeug von Konstantinopel nach Wien. Für euch beide sind ständig zwei Plätze reserviert."

Wir stiegen ein. (Fortsetzung und Schluß in der folgenden Ausgabe)

Fussnoten

Fußnoten

  1. Kibuz ist ein landwirtschaftliches Kollektiv in Palästina.

  2. Poale Zion (auch Ichud genannt): zionistisch-sozialistische Fraktion.

  3. Keren Hajesod ist der Zionistische Aufbaufonds

  4. Für die Nichtjuden, die dieses Buch lesen, muß ich eine Erklärung über die Struktur der zionistischen Bewegung geben:

  5. Chaluzim = Pioniere, junge Leute, die sich auf das Leben in einem landwirtschaftlichen Kollektiv in Israel vorbereiten.

  6. Jüdische Kinder-Hilfsaktion.

  7. Hier handelt es sich um eine Anspielung auf das Abkommen des Obersturmbannführers Becher mit der Familie Baron Manfred Weiß. Laut diesem wurden 54 große Industriebetriebe von Manfred Weiß'Konzern der Kontrolle der SS unterstellt.

  8. Hier log Wisliceny. Für die slowakischen Juden hatte er bereits 50 000 Pfund erhalten. Die zwei Millionen sollte er für die Juden in ganz Europa, außer für die in Deutschland und Polen, bekommen. Ungarn war noch nicht besetzt.

  9. Man hat uns später oft vorgeworfen, wir hätten nicht genug getan, um die Leute in der Provinz vor den drohenden Gefahren zu warnen. Unsere Möglichkeiten waren infolge der Absperrung des Landes beschränkt. Wir nützten sie, so gut wir konnten, aber die Schwierigkeit bestand nicht darin, daß unsere Warnungen die Massen in der Provinz nicht erreicht hätten, sondern daß die vom Tode Bedrohten auf uns nicht hören wollten. Darüber ein Zeugnis:

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