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Größenordnung der Weltindustrieproduktion 1913 bis 1955. ökonomische und politische Kräfteverhältnisse zwischen europäisch-atlantischer Gemeinschaft, kommunistischem Block und Entwicklungsländern | APuZ 46/1957 | bpb.de

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APuZ 46/1957 Größenordnung der Weltindustrieproduktion 1913 bis 1955. ökonomische und politische Kräfteverhältnisse zwischen europäisch-atlantischer Gemeinschaft, kommunistischem Block und Entwicklungsländern

Größenordnung der Weltindustrieproduktion 1913 bis 1955. ökonomische und politische Kräfteverhältnisse zwischen europäisch-atlantischer Gemeinschaft, kommunistischem Block und Entwicklungsländern

BERNHARD WEGMANN

In den letzten Jahren ist der deutschen und europäischen Öffentlichkeit mehr und mehr bewußt geworden, daß die Welt ein ganz anderes Gesicht hat als vor den zwei Weltkriegen. Europas politische Stellung in der Welt hat sich völlig gewandelt, es sind ganz neue Mächtegruppierungen entstanden, eine kommunistische Staatengruppe hat sich gebildet, die Kolonialherrschaft ist in Asien zu Ende gegangen, die alte Staatenwelt ist dort in neuen Formen wieder erstanden, die Bildung neuer Staaten in Afrika kommt in Gang, der kulturelle Einfluß Europas geht zurück, das europäisch geprägte Völkerrecht gilt nicht mehr universell und unbestritten. Sehr wichtig ist die gleichzeitige Verschiebung der wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse, die zu einem großen, jedoch nicht genau bestimmbaren Teil durch die politischen Veränderungen und die Wirkung der Kriege, zu einem anderen Teil aber auch durch technische und soziale Entwicklungen bedingt ist. Die Kenntnis dieser Verschiebung in der Weltwirtschaft ist entscheidend für die Beurteilung der gegenwärtigen und zukünftigen Weltpolitik.

Weltproduktion

Tabelle 5

Liber den Wandel der Kräfteverhältnisse haben jedoch die wenigsten Staatsbürger und auch keineswegs alle Politiker zutreffende Vorstellungen, da zahlenmäßige Größenordnungen längerer Zeiträume wenig geläufig sind. Dies erklärt sich daraus, daß vergleichende Wirtschaftszahlen in Zeitschriften und Jahrbüchern meist nur für kürzere Perioden veröffentlicht werden, während vergleichende Unterlagen für längerfristige Veränderungen erst mühsam zusammengesucht und manchmal aus vielen Mosaikstückchen zusammengesetzt werden müssen.

Produktion von elektrischem Strom Tabelle 6

Die folgende Darstellung über die Verlagerung der wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse zwischen den gegenwärtigen politischen Gruppierungen der Welt beruht auf derartigen Zusammenstellungen, die in tabellarischen Übersichten und 1 Graphik eingefügt werden. Sie soll die w i r t -schaftlicheBasisderpolitischen — undauchmili-tärischen — Kräfte der wichtigsten Staaten und Mächtegruppen der Welt aufzeigen. Die statistischen Angaben beziehen sich vor allem auf die Werte der Weltindustrieproduktion nach wichtigen Ländern und politischen Erdteilen, die der Verfasser auf Grund von Veröffentlichungen der Vereinten Nationen berechnen ließ — und zwar jeweils in Milliarden Dollar ) *, in Prozenten der gesamten Weltindustrieproduktion und in $je Kopf der Bevölkerung, sowie auf ergänzenden Daten über die Weltproduktion von Stahl, Kohle, Erdöl, Elektrizität und schließlich über die Gold-und Devisenreserven.

Die Gold- und Devisenreserven der Welt in Mill. $

Tabelle 7

Bem.: Die Zahlen für 1913 und 1924 sind dem Statistischen Jahrbuch für das Deutsche Reich 1926 entnommen, sie wurden auf Dollar der Parität von 1955 sind also mit den folgenden vergleichbar. Sie enthalten umgerechnet, Jahren die Goldbestände der Zentralbanken samt dem geschätzten Goldumlauf. Die Zahlen für 1938, 1948 und 1956 sind dem Statistical Yeartook of United Nations 1956 bzw.dem Bulletin of Statistics 1957 entnommen, sie enthalten auch

Sicherlich stellt die industrielle Kraft der einzelnen Staaten nicht ihre gesamte wirtschaftliche Kraft dar, es können manche weniger industrialisierte Länder u. LI. reicher sein als stärker industrialisierte. Das gilt sowohl für manche Länder in Europa als auch für Entwicklungsländer, in denen ganz allgemein Landwirtschaft und Handwerk neben der Industrie eine weit größere Rolle spielen. Andererseits ist sicher, daß die industrielle Kraft der einzelnen Staaten für ihre Verteidigungskraft ausschlaggebend ist.

1. Niedergang Westeuropas, Aufstieg Nordamerikas

Die WeltIndustrieproduktion

Entwurf des Schaubildes: Dr. Bernhard Wegmann Graphische Ausführung: Adalbert Wiemers, Bad Godesberg

. Westeuropa als Ganzes war vor dem 1. Weltkrieg das wirtschaftliche — und politische — Zentrum der Welt. Die jetzt als Osteuropa zusammengefaßten Länder zusammen mit dem damaligen Rußland, das noch am „Europäischen Konzert“ teilnahm, spielten neben dem jetzigen Westeuropa eine wirtschaftlich erheblich geringere Rolle, sie waren hauptsächlich Agrarländer und weitgehend auf den Austausch mit dem jetzigen Europa ausgerichtet. Die Industriestaaten Westeuropas, vor allem Großbritannien, Frankreich und Deutschland waren Haupt-kapitalgeber sowohl Osteuropas und Rußlands wie auch der USA, Südamerikas und ihrer eigenen überseeischen Besitzungen. Fast die Hälfte der Weltindustrieproduktion, ebenso., die Hälfte der Stahlproduktion, fast 4 5 Prozent der Kohleproduktion entfielen auf Westeuropa, und mehr als die Hälfte der Goldreserven und des Geldumlaufs der Welt stellte westeuropäischen Besitz dar. Nach Ausschaltung des binnen-europäischen Handels entfielen rund drei Fünftel des Welthandels auf den Westeuropas. *) Zur Methode der Gewinnung der Ziffern über die Weltindustrieproduktion siehe besonderen Anhang. Es wird besonders darauf hingewiesen, daß es sich um Dollarwerte handelt, die sich auf Grund der Währungsparitäten und Preise von 1948 ergeben. Diese Dollarwerte sind nach den im Anhang dargelegten Grundlagen und Methoden ihrer Gewinnung als ungefähre Größenordnungen zu betrachten. Der 1. Weltkrieg schwächte Europas Wirtschaftskraft in bedenklichem Maße, es verlor bereits damals einen großen Teil seines Auslandsvermögens und seiner Absatzmärkte in Übersee, wo eigene Konsum-aber auch Kapitalgüterindustrien im Kriege entstanden waren. Die Goldreserven Westeuropas, Rußlands und des Osmanischen Reiches flossen zum größten Teil vor allem nach den USA, zum Teil auch nach Japan und Lateinamerika zwecks Bezahlung von Lieferungen aller Art — bei gleichzeitigem Ausfall des Exports. Die Industrie der USA hatte schon vor dem 1. Weltkrieg eine große Macht dargestellt (mit 34 Prozent der Weltindustrie); schon dadurch allein gehörten die USA zu den Großmächten, hielten sich aber aus der europäischen Weltpolitik fern und interessierten sich lediglich am Pazifischen Raum. Die Vereinigten Staaten hätten sich schon damals eine große Militärmacht leisten können, taten dies aber nicht, sie fühlten sich genügend geschützt durch den Umstand, daß die Flotte des britischen Reiches, mit dem sie keine Differenzen hatte, die Weltmeere kontrollierte. Im Krieg dehnte sich die amerikanische Industrieproduktion (für Friedens-und Kriegs-zwecke) zusammen mit der Agrarproduktion gewaltig aus, Amerika lieferte den westlichen Alliierten zuerst gegen Gold und Auslandswerte, dann auf Kredit große Gütermengen und schuf sich eine eigene Militär-und Flottenmacht.

In M i 11 e 1 -u n dOste uropa entstanden durch den Zerfall der Donaumonarchie, den teilweisen Zerfall des groß-russischen Reiches und durch die Abtrennung gewisser Gebiete aus dem deutschen Reich eine Anzahl relativ schwacher Gebilde, die große Mühe hatten, ihre verschiedenen Bestandteile zu neuen Volkswirtschaften zu verschmelzen und diese in den internationalen Handelsverkehr einzuschalten. Das eigentliche Rußland stürzte in der Periode des Bürgerkriegs und des Kriegskommunismus in großes Elend, seine Stahlproduktion sank von 4, 3 Mio to im Jahr 1913 auf den winzigen Betrag von 0, 2 Mio to im Jahr 1920 ab. Nach der völligen Durchsetzung der bolschewistischen Macht konsolidierten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse langsam, und zwar zunächst mit Hilfe einer zeitweiligen Rückkehr zu einer liberalen Wirtschaftsform (der sog. neuen Wirtschaftspolitik, der NEP) bei gleichzeitiger straffer politischer Zentralisierung, die sodann den Boden für eine strenge vom Staate betriebene Industrialisierung legte und die sowjetische Wirtschaft auch in der Folge fast völlig aus dem Zusammenhang mit der europäischen und der Weltwirtschaft her-aushielt. Die wirtschaftliche Stellung Westund auch Osteuropas begann sich nach Überwindung der schlimmsten Nachkriegsschwierigkeiten, nach Erzielung einer gewissen — zum Teil durch amerikanische Kredite und nur zum Teil aus eigener Kraft durchgeführten — Stabilisierung der Währungen und nach Beseitigung der Inflationen wieder zu verbessern.

Besonders bemerkenswert ist dabei, daß die europäischen Agrarländer (in Ost und West) eine relativ stärkere Zunahme der Industrieproduktion zu verzeichnen hatten, als die „alten“ Industrieländer.

Die Weltwirtschaftskrise der Jahre 1930— 33 brachte aber nicht nur den europäischen, sondern auch vielen anderen Ländern der Welt einen schweren Rückschlag und erzeugte einen lang anhaltenden Rückgang des Welthandels. Immerhin, 2 Jahre vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges wies Westeuropa wieder einen Anteil von 39 Prozent an der gegenüber 1913 um fast 80 Prozent erhöhten Weltindustrieproduktion auf. Allein Deutschland hatte damals bereits mit 12 Prozent der Weltindustrieproduktion seinen Vorkriegsanteil zwar nicht wieder ganz erreicht, volumenmäßig war seine Industrieproduktion (gegenüber 1913)

stärker gestiegen als die Großbritanniens und Frankreichs. Wertmäßig lag die Industrieproduktion der USA um fast 90 Prozent, die ganz Westeuropas aber nur um 40 Prozent höher als 1913. Die Stahlproduktion der USA, die vor dem Krieg noch unter der Westeuropas stand, war bereits höher als die Westeuropas, die Erzeugung von elektrischem Strom war nun fast genau so hoch; hier hatte Westeuropa stark aufgeholt. Jedoch stellte gegenüber der Sowjetunion, die ihre ersten Fünfjahrespläne bereits verwirklicht hatte, das damalige Westeuropa im Ganzen, wie auch sogar in seinen größeren Einzelstaaten, so insbesondere Deutschland und Großbritannien, noch eine ganz andere Größe als heute dar.

Der zweite Weltkrieg, in dessen Verlauf das Hitler-Reich sich zeitweise des größten Teils des Industrie-und sonstigen wirtschaftlichen Potentials von Kontinental-Westeuropa bemächtigte, brachte schwere Zerstörungen und Entwicklungshemmungen, während Nordamerika wiederum wie im ersten Weltkrieg noch stärker seine Wirtschaftskraft auf seinem großen Markt ungestört und durch den Krieg noch angereizt in stärkstem Maße ausweiten konnte. Noch im 2. J a h r nach dem Kriegsende war Westeuropas Industrieproduktion ein gutes Stück unter den Stand von 1 9 1 3 zurückgesunken; dabei ist zu bemerken, daß dies nicht für Großbritannien gilt, dessen Industrieproduktion 1946 höher war als 1913, allerdings niedriger als im Jahr 1937. Die Produktion der Länder der jetzigen Montanunion, in denen sich der Krieg am stärksten ausgetobt hatte, lag jedoch unter der Hälfte des Standes von 1937 und auch erheblich niedriger als im Jahr 1913; dies war zu einem gewissen Teil durch den starken Rückfall Deutschlands (der jetzigen Bundesrepublik) bedingt, auf dem damals die alliierten Produktionsverbote lasteten und dessen freie Teile zudem von der sowjetisch besetzten Zone und anderen Gebieten — wie noch jetzt — abgetrennt waren. Der Anteil Nordamerikas an der Weltindustrieproduktion war 1944 auf 5 3 Prozent gestiegen, der Westeuropas auf rund 23 Prozent gesunken. Diese Ziffern werden durch die Einzelangaben über die Stahl-und Kohleproduktion dieser Jahre durchaus bestätigt. ♦ Die Sanierung der europäischen Wirtschaftsverhältnisse war ein zugleich politisches wie wirtschaftliches Problem. In ganz Europa machte sich das Fehlen ausreichender deutscher Lieferungen, vor allem an Kohle, in bedrohlicher Weise bemerkbar. Die LISA haben cs schneller erkannt als die europäischen Staaten selbst, sie drängten auf sowohl politische wie wirtschaftliche Zusammenarbeit der europäischen Staaten b e i gleichzeitiger Wiedereinschaltung Deutschlands in das wirtschaftliche und politische System Europas. Sie führten der europäischen Wirtschaft enorme Kapitalien im Wege der Auslandshilfe in ihren verschiedenen Formen, seit 1948 durch den Marshallplan, zu. Diese gewaltige Bluttransfusion der Jahre 1945 bis 1952 hatte einen Wert von rund 30 Milliarden Dollar. Infolge des Abbaus der Handelshemmnisse über den Europäischen Wirtschaftsrat, der allseitigen Verrechnung der innereuropäischen Zahlungen über die Europäische Zahlungsunion und durch die amerikanische Kapitalzufuhr (aus Mitteln des Staatshaushalts der USA) hatte sich in der Folge die westeuropäische Wirtschaft bis 1952 bereits so weit erholt, daß der Wert der Industrieproduktion den von 1937 um 15 Prozent überstieg — in Nordamerika war er aber in der gleichen Zeit um 104 Prozent höher!

In den Jahren von 1952 bis 1955 hat sich der Zuwachs der industriellen Produktion in Nordamerika verlangsamt, während er in Westeuropa weiterging. Aber während die USA 19 5 5 das Vierfache des Industrieproduktionsvolumens von 1913 aufweisen, beträgt dasjenige Westeuropas, immer noch zerfallend in zahlreiche Einzelstaaten, im gleichen Jahr nur etwas mehr als das Doppelte. Bei der Stahlproduktion im speziellen gelten ungefähr die gleichen Größenordnungsverhältnisse. Bemerkenswert ist, daß die Gold-und Devisenreserven Westeuropas sich gegenüber dem außerordentlich niedrigen Stand von 1946 wieder aufgefüllt haben und den Stand von 193 8 sogar etwas übersteigen; der Stand der Reserven Nordamerikas aber liegt um mehr als die Hälfte höher als 1938. Das Augenmerk richtet sich besonders auf die günstige Veränderung der Währungsreserven in der Bundesrepublik, der Vergleich der in der Tabelle aufgeführten Beträge für die einzelnen Stichjahre seit 1913 muß dem aufmerksamen Leser viel zu denken geben. Relativ sehr hohe und sogar höhere Währungsreserven (im Vergleich zu Bevölkerung und zur sonstigen Wirtschaftskraft) weisen aber 1956 auch die Schweiz, Belgien und die Niederlande aus, die alle dre, jedoch noch stärker als die Bundesrepublik vom Außenhandel abhängig sind.

So erfreulich auch die Erholung Europas ist, so ist doch festzustellen, daß die relativeBedeutung seiner Industrieproduktion im Verhältnis zu Nordamerika gegenüber 1913 sehr stark gesunken ist. Während 1913 allein die beiden Großmächte England und Deutschland zusammen dem Industriepotential der USA nahezu gleichkamen, wiegt nunmehr die Industrieproduktion ganz Europas (einschließlich Ost europas) diejenige der LISA noch keineswegs auf. Aus den Zahlen erhellt mit größter Deutlichkeit, daß die alten europäischen Großstaaten den USA gegenüber nicht einmal mehr die Hälfte der Bedeutung haben, die sie 1913 besaßen. Erst die Bildung des Gemeinsamen Marktes der Sechs würde den USA gegenüber in etwa ein Verhältnis wiederherstellen, wie es 1913 allein das Deutsche Reich gegenüber Amerika hatte.

Sehr bezeichnend ist, daß 1913 der Wert der Industrieproduktion je Kopf der Bevölkerung in USA noch nicht ganz das Doppelte vom westeuropäischen Durchschnitt war, jetzt aber etwa das Zweieinhalbfache. Er wird allerdings durch den relativ niedrigen Pro-Kopf-Betrag vieler westeuropäischer Länder stark herabgedrückt. Westeuropa birgt in sich industriell sehr schwach entwickelte Länder mit rund 54 Millionen Einwohnern. Lediglich Großbritannien, Deutschland und Belgien liegen erheblich über dem wesr europäischen durchschnittlichen Pro-Kopf-Betrag und bleiben hinter dem der LISA nur um 30 bis 40 Prozent zurück. Außer den genannten Ländern liegt nur noch Schweden beträchtlich über dem westeuropäischen Durchschnitt mit etwas weniger als der Hälfte des LIS-Kopf-Betrages. Der Durchschnitt für die Montanunion — herabgedrückt durch Italien, das allerdings gegenüber 1913 stark aufgeholt hat —, liegt in der Höhe des Durchschnitts von Westeuropa insgesamt. Fraglich ist, ob der Kopf-betrag für Frankreich die Wirklichkeit tatsächlich zutreffend widerspiegelt, er müßte eigentlich höher sein, wenn man bedenkt, wie stark Frankreich manche Industriezweige nach 194 5 ausgebaut hat und welche hohen Investitionen es insbesondere aus Marshallplan-Geldern vorgenommen hat.

2. Industrialisierung der Sowjetunion und west-östliches Kräfteverhältnis

WELTINDUSTRIEPRODUKTION nach Ländergruppen und wichtigen Ländern in Mrd.

Tabelle I

Niemand kann und will leugnen, daß die Sowjetunion durch Aufstellung und Verwirklichung einer Reihe von Fünfjahresplänen ihr industrielles Potential in außerordentlichem Maße erweitert hat. Die von einer französischen Publikation (s. Anhang) errechneten Ziffern über die Steigerung der Industrieproduktion der Sowjetunion auf das Zwölffache im Jahre 1952 gegenüber dem Jahr 1913 stimmen weitgehend überein mit den bekannten Zahlen über die Steigerung einzelner Industrieerzeugnisse wie Kohle, Stahl und anderer mehr, die im großen und ganzen allenthalben als wahrscheinlich und begründet angesehen werden. Die Sowjetunion selbst gibt zwar noch größere Steige-rungswerte in ihrem Index der industriellen Produktion an, es ist aber bekannt, daß diese Indexziffer auf Bruttowerten beruht, während außerhalb des Sowjetblocks mit Nettowerten operiert wird (s. Anhang), so daß die sowjetische Indexziffer gegenüber den Ziffern anderer Länder „inflationiert“ erscheint.

Andererseits wird auch von den Staatsmännern der Sowjetunion seit Stalins Tod zugegeben, daß hinter der bedeutenden Ausweitung ihrer schwerindustriellen Basis die Entwicklung der Konsumgüterindustrie und der Landwirtschaft wie auch des Wohnungsbaus weit zurückblieb. Die Steigerung der Schwerindustrie ging aufKostenderLebenshaltung und Ernährung der Bevölkerung und ihrer Versorgung mit Konsumgütern, insbesondere auch mit Bekleidung. Bemerkenswert ist auch, daß die Erzeugung von elektrischem Strom noch sehr erheblich hinter derjenigen Westeuropas — ganz zu schweigen von den USA — zurückbleibt.

Die Industrieproduktion allein stellt also nicht einen voll gültigen Ausdruck für das gesamte Wirtschaftspotential dar; dies gilt in mancherlei Hinsichten sowohl für einen Vergleich der LISA mit Westeuropa wie für einen Vergleich der Sowjetunion mit Westeuropa. In beiden Fällen dürfte Westeuropa besser abschneiden, als es sich aus dem Vergleich der industriellen Produktionswerte ergibt. Auch wenn dies in Gedanken berücksichtigt wird, ist doch der industrielle Aufstieg der Sowjetunion für Westeuropa ein sehr ernstes Mahnzeichen. Wie die Erfahrung lehrt, folgt einer Ausweitung der Schwerindustrie schließlich doch auch eine Ausweitung der Versorgung mit industriellen Konsumgütern, und eine starke schwerindustrielle Volkswirtschaft wird es sich schließlich einmal leisten können und auch müssen, den Stand ihrer Ernährung, Kleidung und Wohnung dem erhöhten Stand ihrer Industrie einigermaßen folgen zu lassen. Anzeichen dafür sind schon vorhanden.

Was aber für Westeuropa sehr bedenklich ist, ist der Umstand, daß die Sowjetunion sich entsprechend ihrer Schwerindustrie und ihrem Bevölkerungspotential eine sehr starke Armee leisten kann. Sie hat zudem nach dem zweiten Weltkrieg sich erstmals eine starke Marine (einschließlich U-Booten) und eine Luftflotte von großem Ausmaß zugelegt und gilt als zweite Atommacht der Welt. Nach den eigenen Angaben der Sowjetunion wird ein hoher Anteil des Volkseinkommens für die Rüstung ausgegeben. Würde man die Sowjets beim Wort nehmen und die Umrechnung der Verteidigungsausgaben (97 Milliarden Rubel) zum offiziellen Kurs vornehmen, so würden sich diese Ausgaben auf 23, 2 Milliarden Dollar belaufen, das wäre beinahe das Doppelte der Ausgaben der europäischen NATO-Staaten. Nun weiß man, daß der R u b e 1 im alltäglichen Leben weit weniger wert ist, als es die offizielle Währungsparität ausweist und der „Touristenrubel“ wurde demgemäß vor kurzem um mehr als 50 Prozent, aber immer noch nicht der Kaufkraftparität (in der Lebenshaltung) genügend, abgewertet. Aber gilt der niedere Rubelwert in der Lebenshaltung auch für die internen Preisverrechnungen des Staates? Man weiß, daß ganz allgemein der Staat und die Großindustrie in sich zu niedrigen Preisen, insbesondere bei den Rohstoffen, abrechnet, was einen hohen Rubelwert (in der Höhe der offiziellen Währungsparität) im Verhältnis zum Ausland für diese Sek- toren des gesamten Wirtschaftslebens ergeben würde, während die Rubelpreise für das Leben des Verbrauchers hoch sind, was einen niedrigen Rubelwert im Verhältnis zum Ausland ergibt. Es kann durchaus angenommen werden, daß für die Umrechnung der Militärausgaben der hohe offizielle Rubelwert anzuwenden ist.

Geht man bei einem Vergleich zwischen Westeuropa und der Sowjetunion von den in der Tabelle errechneten Werten der Industrieproduktion aus, so ist festzustellen: Die Sowjetunion verfügte 1955 zusammen mit den ihrem politisch-wirtschaftlichen System eingegliederten Satellitenstaaten einschließlich der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands über rund 22 Prozent der Weltindustrieproduktion, während Westeuropa über rund 27 Prozent verfügte. Der Pro-Kopf-Betrag der Sowjetunion liegt 195 5 nur wenig unter dem westeuropäischen Durchschnitt. Es ist eine Tatsache, daß ein einziger geschlossener großräumiger Block auf dem europäisch-asiatischen Kontinent über eine so große Industrieproduktion verfügt, daß sie der Gesamtindustrieproduktion nur wenig unter dem westeuropäischen Durchschnitt. Es ist eine Tatsache, daß ein einziger geschlossener großräumiger Block auf dem europäisch-asiatischen Kontinent über eine so große Industrieproduktion verfügt, daß sie der Gesamtindustrieproduktion von vier größeren und 16 mittleren und kleinen Staaten Westeuropas sehr nahe kommt; die letzteren sind aber immer noch getrennte Volkswirtschaften.

Dazu kommt, daß Westeuropa beim lebensnotwendigen Erdöl in seiner Eigenerzeugung nur rund ein Zehntel derjenigen des Ostblocks erreicht und im übrigen hauptsächlich auf das Erdöl des Nahen Ostens angewiesen ist, das es seit den dreißiger Jahren mit seinen Technikern und Kapitalien — neben der LISA — aufgeschlossen hat. Wir wissen seit der Suezkrise, daß die Versorgung Westeuropas aus dem Nahen Osten nicht ganz sicher ist. In der Erzeugung von elektrischem Strom rückt die Sowjetunion rasch voran, sie hat die Montan-Gemeinschaft fast eingeholt und hat einen weiteren starken Ausbau geplant.

Die Sowjetunion dürfte auch über eine sehr umfangreiche Währungsreserve an Gold verfügen, ihre Goldproduktion wird auf jährlich 7 Millionen Feinunzen geschätzt, das sind rund 60 Prozent der Produktion des bei weitem größten Goldgewinners der Welt, nämlich der Südafrikanischen Union.

Als Ausgleich seiner Zersplitterung und seines Zurückbleibens in den wirtschaftlichen und politischen Kräfteverhältnissen der Welt kann Westeuropa buchen, daß die USA sich zuerst durch den Marshallplan und dann durch den Nordatlantikpakt mit ihm solidarisch erklärt haben. Das Schwergewicht auf der anderen Seite des Atlantik stellt die Balance in den Kräfteverhältnissen zwischen West undOst wieder her und wiegt zumindest in industrieller und allgemein-wirtschaftlicher Hinsicht die massierte Kraft des Ostblocks bei weitem auf.

2) 3) 4) 5)

Denn zusam-mengenommen verfügt der Westen über rund 69 Prozent der Weltindustrieproduktion; dieser Anteil ist nur wenig geringer, wenn man die Länder, die der NATO nicht angehören, abzieht. Für sich allein würde Westeuropa, das zusammengenommen eine größere wirtschaftliche Kraft darstellen würde als die des Ostblocks, angesichts seiner staatlichen Zersplitterung nicht fähig sein, letzterem die Waage zu halten. Eine effektive Zusammenlegung jedoch der wirtschaftlichen Kräfte der Sechs, der Mitgliedstaaten der Montanunion bzw.der künftigen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft würde allerdings ihr Industriepotential dem der Sowjetunion (für sich genommen) in etwa gleichstellen. Es ist also nicht von ungefähr, daß gerade gegen die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine starke Propaganda-welle aus dem Ostblock heraus gestartet wurde.

Aus den vorgelegten Zahlen erhellt aber andererseits, wie sich die Kräfteverhältnisse in der Welt verschieben würden, wenn es der Sowjet-union gelänge, Westeuropa ganz oder zu einem wesentlichen Teil ihrem politisch-wirtschaftlichen System einzugliedern. Zusammongenommen stellen der Ostblock und Westeuropa nach dem jetzigen Stand fast 50 Prozent der Weltindustrieproduktion dar gegen rd. 41 Prozent in Nordamerika.

3. Wirtschaftliche und politische Stellung der Entwicklungsländer

Die Weltindustrieproduktion in Prozent und je Kopf der Bevölkerung

Tabelle 2

Die zwei bisher behandelten Gruppen, der europäisch-atlantische Westen und der kommunistische Osten (Sowjetunion und Satelliten-staaten) stellen — jede für sich — sowohl eine politische Gruppierung wie auch einen besonderen Weltwirtschaftsbereich dar *) • Anders ist es beim übrigen Teil der Welt, den sogenannten Entwicklungsländern. In ihrer Gesamtheit kann man sie zwar als einen besonderen Weltwirtschaftsbereich mit gemeinsamen Problemen bezeichnen, der aber in sich nicht einen engeren wirtschaftlichen Zusammenhalt besitzt. Ebensowenig bilden sie einen politischen Block.

Der ganze Bereich der Entwicklungsländer besteht aus Ländern sehr verschiedener Art. Ein Teil, und zwar der wichtigste von ihnen, war einmal vor Einführung der Maschine mit Europa sowohl wirtschaftlich

wie politisch auf gleichem Fuß gestanden; möglicherweise waren diese Weltregionen, vor allem IndienundChina, vor 250 Jahren sogar reicher als Europa. Sie hatten wie Europa ein hochentwickeltes Handwerk, ernährten sich selbst und — zumindest China — auch gut.

*) Die europäisch-atlantische Gruppierung stellt allerdings eine weit vielschichtigere und lockerere Zusammenfassung als der Ostblock dar.

Die Maschine, die Industrie, hat zuerst Großbritannien, dann dem westlichen Teil Europas und in der Folge den Vereinigten Staaten und zuletzt der Sowjetunion einen erheblichen Vorsprung in wirtschaftlicher wie politischer Kraft verschafft. Es gibt eine wissenschaftliche Meinun g, daß, wenn sich nichts verändert, die Industrieländer immer reicher, die nichtindustriellen Gebiete aber immer ärmer werden müssen. Andere Entwicklungsländer, wie Lateinamerika, sind — über den Resten einer autochthonen Kultur und Wirtschaftsweise — noch weitgehend Ableger der europäischen Wirtschaft als deren Zulieferer von Roh-und Nahrungsstoffen; in den zwei Weltkriegen ist jedoch bereits eine eigene Konsumgüterindustrie, strichweise auch der Anfang einer Schwerindustrie entstanden. Afrika steht noch weitgehend unter kolonialer Vormundschaft europäischer Staaten; soweit es in die Weltwirtschaft eingegliedert ist, gewinnt es Rohstoffe und Genußmittel hauptsächlich für die europäische Wirtschaft.

Politisch zählt sich je ein Teil der Entwicklungsländer bzw. Regionen entweder mit Einverständnis ihrer führenden Schichten oder infolge politischer Abhängigkeit zum Westen oder zum Osten, und eine dritte Gruppe nimmt eine neutrale Haltung ein. Lateinamerikaist durch die panamerikanischen Pakte eng mit Nordamerika verbunden,

wie es auch wirtschaftlich so gut wie ausschließlich auf den Westen ausgerichtet ist. A f r i k a ist ebenfalls infolge der noch bestehenden kolonialen Abhängigkeit, aber wohl auch vielfach mit Einverständnis der heranwachsenden eingeborenen Eliten mit dem Westen verbunden, aber auch dort gibt es eine kommunistische Infiltration. China dagegen, das bis zur Machtergreifung der kommunistischen Partei mit der westlichen Weltwirtschaft und Weltpolitik eng verknüpft war, ist nunmehr sowohl politisch wie wirtschaftlich eng an den Ostblock angeschlossen.

Durch die übrigen neuentstandenen politischen Gemeinwesen Asiens und des Nahen Ostens geht insofern ein Riß, als sie zwar in vielen Dingen in bestimmten Fragen in den Vereinten Nationen eine ziemlich einheitliche Linie als asiatisch-afrikanische Gruppe einnehmen, als aber eine sehr beachtliche Anzahl von ihnen, insbesondere Indien, in dem Zwiespalt zwischen Westen und Osten eine neutrale Haltung einzunehmen bestrebt ist, während andere von ihnen sich eng an den Westen anlehnen. Dabei ist bemerkenswert, daß Indien nach wie vor ebenso wie das westlich orientierte Pakistan seine Zugehörigkeit zum britischen Commonwealth beibehält. Im ganzen ist die Gruppe der Entwicklungsländer — auch die der politisch neutralen — wirtschaftlich (mit Ausnahme von Rotchina) weitgehend auf den Austausch mit dem Westen eingestellt, die in den letzten Jahren vielfach zutage tretenden Bemühungen um Erweiterung des Austausches mit dem kommunistischen Block erbringen nur langsam Resultate.

Schaltet man Ozeanien (Australien, Neuseeland), das einen Ableger der westlichen Welt und ihrer Wirtschaft mit dem relativ hohen Pro-Kopf-Betrag von 213 Dollar an Industrieproduktion darstellt, aus der Gruppe „übrige Welt“ in der Tabelle aus, so hat sich die Industrieproduktion der Entwicklungsländer seit 1913 etwa verfünffacht, ist also etwas stärker gestiegen als der Weltdurchschnitt, aber viel weniger als der Sowjetblock. Am weitesten fortgeschritten ist unter ihnen Japan, es konnte seinen niedrigen Pro-Kopf-Betrag von 1913 fast vervierfachen, wahrscheinlich ist er noch höher, da die Umrechnung von Yen in Dollar wohl kein ganz zutreffendes Bild ergibt. Bemerkenswert ist, daß Japan seine Stahlproduktion nicht nur wie die Sowjetunion verzehnfacht hat, sondern sogar auf mehr als das Fünfzigfache erhöht hat, und zwar ohne das Privatwirtschaftssystem zu beseitigen, wenn auch dort die staatliche Lenkung — wie auch in der westlichen Welt — dabei eine Rolle spielte. Weiterhin ist darauf hinzuweisen, daß Lateinamerika die Industrieproduktion auf -das Siebenfache erhöhen konnte. Erschreckend niedrig ist die Kopfquote der industriellen Produktion in Indien, in China dürfte sie kaum höher, eher noch niedriger sein.

4. Zukunftsperspektiven und Hemmnisse

Stahlproduktion der Welt

Tabelle 3

Vor dem ersten Weltkrieg gehörten Rußland und das jetzige Osteuropa ebenso wie Japan noch zu den Entwicklungsländern. Diese belegten alle zusammen damals von der Weltindustrieproduktion erst 13 Prozent. Dieser Anteil ist mittlerweile infolge der Industrialisierung der erstgenannten und in gewissem Umfang auch infolge des Fortschritts der jetzigen Entwicklungsländer bis auf 30 Prozent angestiegen. Allerdings können nunmehr die Sowjetunion und Osteuropa und wohl auch Japan nicht mehr zu den Entwicklungsgebieten im eigentlichen Sinne gerechnet werden. Immerhin bietet die letztgenannte Zahl einen Anhaltspunkt für eine Abschätzung der künftigen Entwicklung. Der Prozeß der Industrialisierung von bisher unterentwickelten Ländern wird und muß nach allen Anzeichen weitergehen.

Genau so wie sich zunächst innerhalb Europas, dann im europäisch-atlantischen Bereich die wirtschaftlichen und politischen Gewichte im Fortschreiten der Industrialisierung verschoben wie sich dann seit 1929 die Gewichte zwischen Ost und West infolge der Industrialisierung der Sowjetunion und Osteuropas verlagerten, so werden sich die Gewichte innerhalb der ganzen Welt weiterhin verschieben müssen, je mehr die „Maschine" in die jetzt als unterentwickelt geltenden Länder Asiens und anderer Erdteile eingeführt wird. Diese Entwicklung ist zwangs

*) Um 1860 belief sich der Anteil Europas an der Weltindustrieproduktion noch auf etwa 80 Prozent.

läufig, und sie ist wünschenswert, denn nur durch erhöhte Produktivität kann die Menschheit, die unaufhörlich wächst, ihr Leben behaupten und — wie alle bisherige Erfahrung gezeigt hat — wird sich durch zunehmende Kaufkraft der sich neu industrialisierenden Länder auch Kaufkraft samt Lebenshaltung der alten Industriestaaten ausweiten. Den größten Austausch untereinander haben bekanntlich die Industrieländer, einen bei weitem geringeren die Agrarländer mit den Industriestaaten und den weitaus geringsten Austausch haben die Agrarund Rohstoffländer untereinander. Diese jetzt noch unterentwickelten Länder wie z. B. China und Indien besitzen durch ihre Menschenzahl einen so breiten Markt, daß sie mit wachsender Industrialisierung einen zunehmenden Einfuhrbedarf haben werden.

Ist es zu kühn, zu prophezeien, daß, nachdem der Anteil der Entwicklungsländer von 1913 (also einschließlich Sowjetunion und Osteuropa) von rund 13 Prozent auf nahezu 30 Prozent im Jahr 195 5 angewachsen ist, sich dieser Anteil bis zum Ende dieses Jahrhunderts vielleicht auf etwa 45— 50 Prozent erhöhen könnte? Der Anteil dieser damaligen Entwicklungsländer an der Weltbevölkerung belief sich 1913 auf 79 Prozent, heute auf 82 Prozent! Die industriell entwickelten Gebiete von 1913 würden bei dieser Voraussage immer noch einen — allerdings sinkenden — Vorsprung haben. Es ist gar nicht schwer, vorauszusagen, daß vor allem Chinas Industrie zunehmen wird, das mit dem größeren Teil seiner Landmasse in der gemäßigten Zone liegt und auch erhebliche, noch nicht aufgeschlossene Rohstoffreserven besitzt. In den eigentlich tropischen Gebieten Asiens, wie z. B. Indien und Indonesien, dürfte die Entwicklung schwieriger sein, aber sie ist auch dort — teilweise schon seit längerer Zeit — in Gang gekommen. Bei der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder handelt es sich allerdings keinesfalls nur um den Ausbau der Industrie, sondern auch um die Modernisierung der Landwirtschaft, Bewässerung, gegebenenfalls Aufforstung, Erschließung von Rohstoffquellen, Pflege des Handwerks, generelle Aufschließung durch neue Verkehrsmöglichkeiten, ferner aber auch um technische und sonstige Schulung der Bevölkerung. Manche Länder wie z. B. im Nahen Osten verfügen durch die Einnahmen aus dem Erdöl über eigene reiche Kapitalquellen, andere sind aber nur auf spärliche Kapitalbildung angewiesen.

Die Mithilfe an diesem wirtschaftlichen Ausbau ist als Aufgabe den bereits entwickelten Ländern gestellt, und auch die Sowjetunion versucht sich an dieser Aufgabe zu beteiligen. Diese Mithilfe kann heutzutage nicht allein der privaten Kapitalbewegung überlassen werden, einfach deshalb, weil diese bei weitem nicht mehr so gut funktioniert wie vor dem ersten Weltkrieg. Zu einem großen Teil sind daran die Entwicklungsländer selbst schuld, dadurch, daß viele die Investierung ausländischen Kapitals geradezu abschrecken, indem sie eine ausgesprochene Politik der Nationalisierung ausländischen Vermögens betreiben. Die entwickelten Staaten haben allerdings leider des öfteren hierfür ein schlechtes Beispiel gegeben (seit dem ersten Weltkrieg), insofern als sie fremdes Privateigentum zuerst in Kriegs-, dann aber auch in Friedenszeiten häufig recht wenig achteten. Die für beide Teile, die zu entwickelnden, wie für die entwickelten Länder nötige Kapitalübertragung erfolgt nunmehr zu einem erheblichen Teil in Form von Krediten der Staaten, ja sogar von Zuschüssen. Diese Kapitalübertragung ist jedoch abhängig von politischen Entschlüssen der Länder, die die Kredite geben und die einen Überschuß

an Realkapital besitzen. Diese Entschlüsse sind aber in den Parlamenten nicht immer leicht zu erzielen. Auf lange Sicht gesehen, wäre es für alle Teile besser, insbesondere für die Entwicklungsländer, wenn wieder das Prinzip der Gegenseitigkeit — ein Grundprinzip der praktischen Moral nach christlicher wie auch nach konfuzianischer Lehre — respektiert werden würde.

Eine wichtige Hilfe muß aber auch in Form der Beratung durch technische Fachleute geschehen. Hierin scheint die Sowjetunion, die nunmehr jährlich doppelt so viel Techniker aller Grade ausbildet als die Atlantische Gemeinschaft (im Verhältnis zur Bevölkerung), letzterer gegenüber einen erheblichen Vorsprung erreicht zu haben.

Mit welchen Mitteln und unter welchen Einflüssen auch immer die Entwicklung der bisher unterentwickelten Länder vonstatten gehen wird, eines ist sicher: Sie wird vonstatten gehen und wie bisher wird eine gewisse Angleichung der „neuen Länder“ an die alten Länder, bisweilen sogar eine Überflügelung erfolgen.

FürunseraltesEuropa ergibt sich daraus die Folgerung: Es ist schon jetzt abzusehen, daß am Ende des zweiten Jahrtausends dieses Europa, wenn es weiterhin in 20 Staaten sich zerteilt, gegenüber Nordamerika und Rußland, wahrscheinlich auch China und eventuell sogar Indien, nur etwa dieselbe Bedeutung haben wird wie seinerzeit im 16. Jahrhundert das geistig sehr bedeutende, aber staatlich zersplitterte Italien gegenüber dem damaligen Spanien, Frankreich, Österreich und dem Osmanischen Reich. Wenn es sich nicht zusammenschließt, wird es ein Anhängsel einer der beiden benachbarten Weltmächte, der USA oder aber der Sowjetunion werden. Ersteres wäre zwar erträglich, da Europa mit Amerika durch gemeinsame kulturelle Werte und dauernde politische und wirtschaftliche Interessen verbunden ist, letzteres wäre aber der Untergang seiner politischen und kulturellen Eigenständigkeit.

Die wirtschaftliche Zusammenfügung Europas, welche die Voraussetzung der Verbesserung seiner politischen Rolle in der Welt ist, darf jedoch nur im Rahmen eines freien, ungehemmten Welthandels stattfinden. Im anderen Falle würde nämlich Europa, das als Ganzes schließlich auf überseeische Einfuhren von Nahrungs-und Rohstoffen angewiesen ist, die es hauptsächlich mit Ausfuhren von Industriewaren zu bezahlen hat, die Grundlagen seiner Existenz untergraben. Eine wirtschaftliche Autarkie würde nicht dadurch segensreicher werden, wenn sie auf großräumiger, regionaler, statt wie bisher auf nationalstaatlicher Basis durchgeführt wird. (Abgeschlossen im Juli 1957.)

Anhang

Steinkohle Tabelle 4

Quelle: Statistische Jahrbücher des Deutschen Reiches bzw.der Bundesrepublik.

Wie sind die Zahlen über die Weltindustrieproduktion entstanden und was sind sie weit?

Die vorliegende Aufstellung über die Weltindustrieproduktion nach politischen Erdteilen und wichtigen Ländern hat eine Geschichte. Diese Zahlen sind nicht fix und fertig aus einem Jahrbuch der Vereinten Nationen abzulesen, sondern mußten aus verschiedenen Materialien ermittelt werden.

Der Verfasser, interessiert an den Problemen der Einigung Europas, suchte bei verschiedenen Gelegenheiten nach genaueren Angaben darüber, wie der von den Politikern oft behauptete Rückgang des Anteils Europas an der Weltindustrieproduktion zu belegen sei. Vor einigen Jahren, bei einem Besuch im Europäischen Wirtschaftsrat (OEEC) fand er in der dortigen Bibliothek einen Hinweis auf die Zeitschrift La Conjoncture Economique et Financiere, Juni/Juli 195 3, in der in einem besonderen Beitrag die Prozentsätze einer Anzahl größerer Länder sowie der einzelnen Erdteile an der Weltindustrieproduktion für verschiedene Stichjahre der Periode 1913 bis 1952 zu finden waren.

Nun entstand die Frage: Wenn es Prozentzahlen gibt, muß es auch absolute Zahlen geben, also Angaben etwa in Milliarden Dollar oder einer anderen Währung. Gerade das wäre ja interessant zu wissen, wie hoch in verschiedenen Zeiträumen der absolute Wert der Industrieproduktion in einzelnen Ländern und Erdteilen war. Die Redaktion der genannten französischen Zeitschrift erwies sich bei einer Nachfrage in ihren Antworten als sehr zurückhaltend; aber da sie in ihrem Artikel Hinweise auf die von ihr hauptsächlich benützten Quellen der Vereinten Nationen — ergänzt durch verschiedene Arbeiten der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa, sowie durch solche des früheren Völkerbundes — gegeben hatte, schrieb der Verfasser schließlich Anfang 1957 an das Amt des Ständigen Beobachters der Bundesrepublik Deutschland bei den Vereinten Nationen. Dieses bemühte sich sehr, vom Statistischen Amt der Vereinten Nationen Angaben über die gesamte Weltindustrieproduktion wenigstens für einige Stichjahre im absoluten Wert zu erhalten. Es kam schließlich eine Mitteilung, daß für 1948 dieser Wert — jedoch ohne Sowjetblock — auf 156, 65 Milliarden Dollar zu schätzen sei. Es wurde anheimgegeben, auf Grund dieser Angaben und sonstigen Materialien der Vereinten Nationen, die veröffentlicht wurden, eigene Schätzungen und Berechnungen durchzuführen — mit der Bemerkung, daß diese aber auf Verantwortung des Verfassers gehen müßten. Zwar fand bald nach dieser Mitteilung der Verfasser in der April-Nummer 19 54 des Monthly Bulletin of Statistics der Vereinten Nationen, daß letzteres nicht nur obige Zahl, sondern auch die entsprechenden Zahlen für die Jahre 1937, 1938 und die Jahre zwischen 1946 und 1953, jedoch nicht in Tabellenform, sondern in Form einer Graphik veröffentlicht hatte. Dennoch war die genauere schriftliche Angabe sehr dankenswert, da beim Ablesen aus einem lediglich graphischen Maßstab doch gewisse Ungenauigkeiten entstehen können. Mit der Bekanntgabe dieser genauen Zahl für 1948 war insbesondere die Möglichkeit gegeben, die Berechnungen mit Hilfe der laufend veröffentlichten Indexzahlen für die Industrieproduktion der Welt und der einzelnen Länder bis 19 5 5 fortzuführen. Wie das möglich ist und welches die Problematik einer solchen Berechnung ist, wird im folgenden eingehend dargestellt. 1. Methode der Berechnung von Gesamtproduktionswerten Durch den Ausbau der laufenden Statistik ist es heutzutage leicht, den politischen Kreisen und der Öffentlichkeit Informationen über Bevölkerungsaufbau, einzelne Produktionsgebiete, Sozialstruktur, Finanzen und dergleichen zu beschaffen. Will man aber das gesamte Produktionsergebnis ganzer Wirtschaftszweige, wie z. B.der Industrie oder der Landwirtschaft oder aber der gesamten Volkswirtschaft (ausgedrückt durch das Volkseinkommen bzw. Sozialprodukt) wissen, so sind die Statistiker in einer schwierigen Lage. Sie müssen vielerlei Überlegungen und umfangreiche Berechnungen auf Grund der vorhandenen Statistiken vornehmen, um zu einem brauchbaren Ergebnis zu kommen. Bei der Berechnung der Industrieproduktion und ihrer Entwicklung handelt es sich um folgendes Problem:

Der Gesamtumfang der Produktion muß auf einen Nenner gebracht werden, da man bekanntlich Stahl, Kohle, Maschinen, Textilien, Bettfedern, Küchengeräte und dergleichen mehr nicht zusammenzählen kann.

Der einzige gemeinsame Nenner für Produktionsergebnisse ist ihr Wert in Geld. Die administrativ und wirtschaftlich gut entwickelten Länder veranstalten von Zeit zu Zeit eine Indnstrieerhebnng, (den „Zensus“) » in der für jeden Industriezweig unter vielen anderen der Gesamtwert festgestellt wird. Will man nun die Werte der einzelnen Industrien zu einem Wert der gesamten Industrie zusammenfügen, so muß aus dem Bruttoproduktionswert der einzelnen Industrien der Wert der in ihr verbrauchten Rohstoffe, Brennstoffe, elektrischen Energie sowie Haibund Fertigwaren als Zulieferung anderer Industrien ausgeschieden werden, da andernfalls Doppelzählungen entstehen würden und eine Auf-blähung des tatsächlichen Umfangs der Produktion vorgetäuscht würde.

Es muß also der Nettoprodnktionswert für jede einzelne Industrie wie für die Gesamtindustrie ermittelt werden. In dieser Weise gewinnt man für ein Stichjahr den prozentualen Anteil, den die einzelnen Industrien an der Gesamtindustrie eines Landes haben. Diese Prozentanfteilnng wird nun für die weiteren Operationen besonders wichtig.

Solche Erhebungen können nämlich nur von Zeit zu Zeit gemacht werden, denn sie sind ziemlich kostspielig und umständlich. Wenn man aber in der Zwischenzeit erfahren will, wohin die industrielle Entwicklung geht, müssen die Statistiker sich behelfen. Sie berechnen für jeden Industriezweig die Entwicklung dadurch, daß sie aus den Ergebnissen der laufenden zahlreichen Statistiken, wie z. B.den mengenmäßigen Ergebnissen der einzelnen Zweige (monatliche Stahlproduktion, Kohlenförderung, Baustofferzeugung und dergleichen), gegebenenfalls aber auch aus der Zahl der Arbeiterstunden, der verbrauchten Energie und ähnlichen Daten die prozentualen Veränderungen seit dem Basisjahr der Industrieerhebungen feststellen.

Dies ist also die Indexzahl, sie gibt für die einzelnen Industrien an, wie sich ihr Produktionsvolumen verändert hat. Diese Indexzahl zeigt aber — in Beziehung zum Nettoproduktionswert der betreffenden Industrie im Basisjahr gesetzt — auch an, wie groß der Wert dieser Industrieproduktion unter der Voraussetzung, daß die Preise gleich geblieben wären, im neuen Zeitpunkt wäre. Mit diesem Kunstgriff ist die Möglichkeit eröffnet, aus den Indexzahlen für die einzelnen Industrien eine Indexzahl für die gesamte Industrie zu berechnen, die nichts anderes sein kann als ein Index der Veränderung des Gesamtproduktionswertes. Man setzt nämlich die jeweiligen Indexzahlen dadurch zu einem Ge-samtindex zusammen, daß man die verschiedenen Indexzahlen der einzelnen Industrien mit demjenigen Anteil in den Gesamtindex einsetzt, den die betreffende Industrie am Wert der Gesamtindustrie im Ausgangsjahr hatte. Die oben genannte Prozentaufteilung dient also als Wägungsschlüssel. Der Index der gesamten Industrieproduktion eines Landes stellt somit praktisch eine „Fortschreibung“ oder, wenn man will, eine errechnete Schätzung der Veränderung ihres Produktionswertes gegenüber dem Ausgangsjahr dar, und zwar zu den Preisen des Ausgangsjahres. Aus diesen sehr kunstvollen Berechnungen können natürlich im Laufe der Zeit doch schiefe Bilder entstehen, und man muß in gewissen Abständen wieder eine wirkliche Neuberechnung der Produktionswerte durch eine Befragung aller Industrien, die Industrieerhebung, vornehmen; die LISA tun dies auf Grund eines Gesetzes alle fünf Jahre.

Wenn man nun die Veränderungen der Weltindustrieproduktion durch Indexzahlen feststellen will, ist ebenfalls ein Rückgriff auf die Werte erforderlich. Zunächst ist es nötig, einen Ausgangspunkt festzustellen, d. h.den Wert der Weltindustrieproduktion in einem bestimmten Zeitpunkt zu ermitteln. Zu diesem Zweck wählt das Statistische Amt der Vereinten Nationen ein Jahr aus, in dem, oder in dessen Nähe eine größere Anzahl von Ländern wirkliche Erhebungen des Produktionswertes vorgenommen hat. Da aber viele Staaten nicht im gleichen Jahre solche Erhebungen vornehmen, muß das Statistische Amt zunächst die letztvergangenen Erhebungen der betreffenden Länder mit Hilfe ihrer Indexzahlen auf den Stand des gewählten Ausgangsjahres bringen; es bedient sich dabei vieler zusätzlicher Hilfsmittel und Prüfungsmethoden. Für Länder, die keine Industrie-Erhebungen vornehmen und keine periodischen Indexzahlen veröffentlichen, berechnet gegebenenfalls das Statistische Amt der Vereinten Nationen selbst Produktionswerte — auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Daten und Vergleichsmöglichkeiten. 2. Die Berechnung der Weltindustricproduktion und ihrer Veränderungen Der nächste Schritt ist, daß die Werte, und zwar die Nettowerte der Industrieproduktion der einzelnen Länder für das gewählte Stichjahr zu einem Gesamtwert der Weltindustrieproduktion addiert werden. Hier treten zusätzliche Schwierigkeiten auf, denn man weiß, daß die offiziellen Währungskurse manchmal nicht dem wahren Wert der Währung entsprechen, und tatsächlich sah sich das Statistische Amt in einigen Fällen genötigt, Korrekturen vorzunehmen.

Die prozentuale Zusammensetzung der Weltindustrieproduktion nach Ländern ergibt sodann den Wägungsschlüssel für die Errechnung der Indexzahl der Weltindustrieproduktion, d. h. für den Index ihrer jeweiligen Veränderung. Das Statistische Amt verfährt hier genau so wie die einzelnen Länder bei der Bildung der Indexzahlen ihrer Gesamtindustrie. Es nimmt nämlich die jeweiligen Indexzahlen der Gesamt-industrie der einzelnen Länder mit demjenigen Prozentanteil in den Gesamtindex der Welt auf, den die betreffenden Länder im Stichjahr am Wert der Weltindustrieproduktion hatten. Der Index der Welt-industrieproduktion stellt also im Grunde genommen eine Schätzung der Veränderung des Wertes der Weltindustrieproduktion gegenüber dem Stichjahr dar;

Es lassen sich also, wenn man z. B. für das Jahr 194 8 die absoluten Werte für die Industrieproduktion der einzelnen Länder durch Kombination des von den Vereinten Nationen angegebenen Gesamtwertes mit dem von ihnen ebenfalls veröffentlichten Prozentanteil der Länder ermittelt hat, durch Multiplikation mit der jeweiligen Jahresindexzahl des betreffenden Landes auch die absoluten Werte seiner industriellen Produktion für die späteren Jahre berechnen. Diese Werte stellen aber nicht die Werte in den jetzigen Preisen dar, sondern in den Preisverhältnissen des Ausgangsjahres (siehe Abschnitt 1). Da die vorliegende Tabelle auf einer Neuberechnung für das Ausgangsjahr 1948 beruht, in dem die Preise höher waren als 1913, aber niedriger als 1955, sind für 195 5 die tatsächlichen Werte der Industrieproduktion der einzelnen Länder nach gegenwärtigen Preisen höher, für 1913 sowie auch für 1937 nach damaligen Preisen niedriger anzusetzen. Zu berücksichtigen ist jedoch andererseits, daß viele Währungen nach 1948 abgewertet wurden. Infolgedessen sind bei Umrechnung in Landeswährungen nach heutiger Parität die angegebenen Beträge wiederum z u h o c h.

Allerdings haben die so berechneten Zahlen aus den im vorigen Abschnitt dargestellten Gründen nicht dasselbe Ansehen wie die für das Ausgangsjahr, aber sie haben immerhin die Bedeutung einer „Größenordnung“, die den realen Verhältnissen sehr nahe kommt.

Schwierig ist aber die Einsetzung eines Landes in die Berechnung der Weltindustrieproduktion, wenn es an Stelle von Nettoproduktionswerten Bruttoproduktionswerte dem Index zugrunde legt. Dies ist der Fall bei der Sowjetunion und den meisten Satellitenstaaten, le nach den gegebenen Verhältnissen der Wirtschaftsstruktur und je nach dem Preissystem weichen nämlich Nettoproduktionswert in sehr erheblichem Umfang vom Bruttoproduktionswert ab. In Deutschland stellt ersterer im Durchschnitt — aber sehr unterschiedlich in den einzelnen Industriezweigen — etwa die Hälfte des Bruttoproduktionswertes dar, in anderen Ländern, wie z. B. in Italien, etwa zwei Drittel. Die eingangs genannte französische Publikation hat dementsprechend in ihrem Index für die Sowjetunion, wie ein Vergleich mit dem Originalindex der Sowjetunion ergibt, in een dreißiger Jahren 20 Prozent und für das Jahr 1952 rund 30 Prozent abgezogen. Der amerikanische Autor Woytinsky ’) meint sogar, man müsse einen Abzug in Höhe von 50 Prozent für die fünfziger Jahre machen. Der Verfasser hat für das Jahr 195 5 entsprechend der Methode der französischen Publikation versuchsweise einen Abzug von 30 Prozent gemacht. 3. Die Errechnung der vorliegenden Tabelle im einzelnen Vorhanden waren folgende Elemente: a) Eine graphische Darstellung im Monthly Bulletin of Statistics, herausgegeben vom Statistical Office of United Nations, New York, April 1954, Introduction, Seite X: „Value of world industrial Produktion 1937-195 3“. Diese Graphik stellt zu konstanten Preisen und Umrech-nungskursen von 1948 die Werte der Weltindustrieproduktion insgesamt (oh e den Sowjetblock), aufgegliedert nach USA, Westeuropa und übrige Welt für die Jahre 1937, 1938 und 1946-1953 dar. Aus dieser Graphik lassen sich also an Hand der ausgezeichneten Skala die Dollar-Werte für die drei Ländergruppen ablesen. Diese Werte sind folgende: in-Milliarden Dollar 1937 1946 1952 1953 USA 52, 0 76, 0 105, 0 114, 5 Westeuropa 51, 0 35, 6 65, 0 69, 2 Übrige Welt (ohne Sowjetblock) 17, 0 18, 4 30, 0 30, 3 Welt (ohne Sowjetblock) 120, 0 130, 0 200, 0 214, 0

Ferner liegt — wie eingangs mitgeteilt — eine schriftliche Mitteilung der UN vor, mit der der Gesamtwert für das Jahr 1948 auf zwei Kommastellen genau mit 156, 65 Milliarden Dollar angegeben wurde.

Der Gesamtwert der Industrieproduktion der erfaßten Länder, auf dem der für 1948 als Basisjahr neu aufgestellte Industrie-Weltindex beruht, umfaßt nach den gegebenen Erläuterungen Bergbau und Industrie, wobei in letzterer aber weder die „public Utilities“ (Gas, Elektrizität und dgl.) noch die Bauindustrie eingeschlossen sind. Die Länder des Ostblocks sind nach den gegebenen Erläuterungen — abweichend von früheren Berechnungen der Vereinten Nationen — nicht in die Graphik und die für die späteren Jahre gegebenen Indexzahlen eingeschlossen mit der Begründung, daß die Industrieindizes dieser Staaten meist nicht, wie in der übrigen Welt, auf Nettoproduktionswerten, sondern auf Bruttoproduktionswerten beruhen, so daß sich Schwierigkeiten für die Vergleichbarkeit ergeben. b) Im Monthly Bulletin der gleichen Quelle vom April 1951, S. 1 und 2, findet sich jedoch ein auf 1937 basierter Index der Weltindustrieproduktion — ebenfalls wie oben enthaltend Bergbau und Industrie (ohne „public Utilities“ und Bauwirtschaft) —, und zwar getrennt nach: „Welt insgesamt einschließlich Sowjetunion“ und nach: „Welt ohne Sowjetunion“; ferner findet sich eine Tabelle über die Prozentanteile der einzelnen Länder bzw. Ländergruppen an der Weltindustrieproduktion von 1937, die der Ermittlung dieser Indizes als „Wägungsschlüssel" zugrunde

*) in dem Buch „World Population and Production-Trends and Outlook’ New York 1953. lag. Im damaligen Zeitpunkt hatte also das Statistical Office der United Nations es noch für möglich gehalten, auch den Sowjetblock einzubeziehen trotz der teilweisen Unvergleichbarkeit der zugrunde liegenden Indexreihen bzw. Werte. Da seine Prozentzahlen mit denen der französischen Publikation (siehe Unterabschnitt d)) praktisch übereinstimmen, ist anzunehmen, daß es ebenso wie die französische Stelle einen gewissen Abzug von den sowjetischen Indexzahlen vorgenommen hat. c) Nach der Tabelle der Vereinten Nationen über die Prozentanteile der einzelnen Länder an der Weltindustrieproduktion von 1937 ergibt sich nun, daß die Länder des Sowjetblocks mit zusammen 17, 5 Prozent der gesamten Weltindustrieproduktion für das Jahr 1937 einzusetzen sind. Kombiniert man demgemäß die absoluten Werte für die nichtkommunistische Welt im Jahr 1937 auf Grund der unter a) genannten Graphik mit den Prozentanteilen der nichtkommunistischen Welt, dann läßt sich auch der absolute Wert der Weltindustrieproduktion einschließlich der kommunistischen Welt errechnen, nämlich: Wenn 120 Milliarden Dollar im Jahr 1937 den Wert von 82, 5 Prozent der gesamten Weltindustrieproduktion (einschließlich Sowjetblock) darstellen, dann beträgt dieser letztere im gleichen Jahr rund 145 Milliarden Dollar. d) In der Studie der eingangs erwähnten Zeitschrift La Conjoncture Economique et Financiere: „Pourcentages de la production industrielle des principaux pays et parties du monde, par rapport ä la production industrielle mondiale (1913-1952)“ finden sich auch Prozentanteile der einzelnen Länder und Ländergruppen an der Weltindustrieproduktion einschließlich Rußland bzw. Sowjetblock für die Jahre 1913, 1937, 1946 und 1952. Ein Vergleich zeigt, daß die hier für 1937 berechneten Anteile der kommunistischen Welt praktisch mit den vom Statistical Office der Vereinten Nationen im April 1951 veröffentlichten Prozentzahlen übereinstimmen. Damit war es zu rechtfertigen, daß auf Grund der Prozent-zahlen der französischen Publikation für den Sowjetblock und auf Grund der unter a) gebrachten Werte für die nichtkommunistische Welt auch die absoluten -Werte für die Weltindustrieproduktion einschließlich Sowjetblock für 1946 mit 150 Milliarden Dollar und für 1952 mit 260 Milliarden Dollar angenommen wurden. e) Die unter d) genannte französische Publikation enthält in einer Sondertabelle auch die Indexzahlen für die gesamte Weltindustrieproduktion einschließlich Sowjetblock sowie für die einzelnen Kontinente für das Jahr 1913 — und zwar basiert auf das Jahr 1937 — sowie für weitere Stichjahre der Zeit nach dem ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Ein Vergleich ergab, daß diese Reihe mit der des Monthly Bulletin vom April 19 51 praktisch übereinstimmende Zahlen aufweist. Infolgedessen konnte unbedenklich auf Grund der Indexzahl der französischen Publikation für 1913 in Kombination mit dem unter c) errechneten absoluten Wert für 1937 auch der absolute Wert der Weltindustrieproduktion von 1913 mit 82 Milliarden Dollar (in Kaufkraft von 1948) angenommen werden. f) Zu der errechneten Tabelle der absoluten Werte ist noch folgendes zu erläutern. Die unter a) mitgeteilten Werte in Milliarden Dollar für Westeuropa und übrige Welt (ohne Sowjetblock) wurden für die Jahre 1937 und 1946 nach der Relation der Anteile der einzelnen Länder, wie es in der französischen Publikation angegeben ist, auf diese aufgeteilt. Für 1937 stand zwar die Aufteilung vom Monthly Bulletin, April 1951, zur Verfügung; sie wurde aber nicht benutzt, da die dort gegebene Relation zwischen USA und Westeuropa nicht mit der in der unter a) erwähnten Graphik ausgewiesenen Relation übereinstimmt, während dies bei der von der französischen Publikation berechneten Relation der Fall ist.

Eine Korrektur wurde für das Jahr 1937 bezüglich des absoluten Wertes für Westeuropa insgesamt und für Deutschland vorgenommen.

In der Tabelle ist der Wert der Industrieproduktion von Westeuropa für 1937 mit 57, 0 Milliarden Dollar angegeben, während sich aus der ‘IN-Graphik nur ein Wert von 51 Milliarden Dollar ablesen läßt. Der Unterschied erklärt sich wie folgt: Die United Nations haben in ihrer Graphik offenbar aus Gründen der Vergleichbarkeit bereits für 1937 nur die jetzige Bundesrepublik einbezogen, nicht aber die danach von Deutschland abgespaltenen Gebiete (Sowjetische Besatzungszone und Gebiete hinter der Oder/Neiße). Der Anteil der Sowjetischen Besatzungszone ist aber in fast identischen Prozentzahlen sowohl in der oben genannten französischen Publikation wie im Monthly Bulletin der United Nations vom April 1951 gesondert aufgeführt; aus der französischen Publikation läßt sich durch Differenzrechnung auch noch der Anteil der anderen abgespaltenen Gebiete gewinnen. Dadurch lassen sich die absoluten Werte für diese Teile Deutschlands nach der angegebenen Methode errechnen. In meiner Tabelle wurden sie entsprechend der damals übereinstimmenden völkerrechtlichen und tatsächlichen Lage zum Anteil der Bundesrepublik sowohl als auch Westeuropas hinzugerechnet, und es konnte somit ein zutreffendes Bild der damaligen Bedeutung Gesamtdeutschlands in der Weltindustrieproduktion gegeben werden.

Für 1913 wurde die unter e) ermittelte absolute Zahl von 82 Milliarden Dollar auf Grund der Prozentanteile der französischen Publikation aufgeteilt. g) Die absoluten Werte für die Jahre 1952 und 1955 wurden wie folgt ermittelt: Ausgangspunkt war die spezielle, dem Verfasser mitgeteilte Angabe des Statistischen Amts der Vereinten Nationen über den absoluten Wert der Weltindustrieproduktion (ohne Sowjetblock), aufgeteilt nach dem erwähnten Schlüssel für 1948 (Monthly Bulletin April 1954). Die so gewonnenen absoluten Werte der Länder konnten mit Hilfe der Indexzahlen nunmehr auch für die Jahre 1952 und 195 5 fortgeschrieben werden. Die Summe der in geschilderter Weise für die einzelnen westeuropäischen Länder gewonnenen Werte von 1952 und 195 5 ergab eine Differenz zu dem mit Hilfe der Indexzahl für Gesamt-Westeuropa ermittelten Werte für letzteres. Diese Differenz wurde dazu benutzt, einen Industrieproduktionswert für die Schweiz einzusetzen, die keine Industrie-Indices berechnen läßt.

Die Werte für die Sowjetunion und die Satellitenstaaten wurden für 1952 dadurch ermittelt, daß unter Heranziehung der in der französischen Publikation für 1952 mitgeteilten Prozentanteile dieser Länder der absolute Wert für diese aus dem — auf Grund der Welt-Indexzahl der Vereinten Nationen — errechneten Wert der Weltindustrieproduktion für 1952 ermittelt wurde.

Für 195 5 konnten die Werte für die Satellitenstaaten dadurch ermittelt werden, daß ihre durchschnittliche Zunahme zwischen 1946 und 1952 mit einem kleinen Abschlag auch als Zunahme für den Zeitraum 1952 bis 1955 angenommen wurde.

Für den Wert der Industrieproduktion der Sowjetunion im Jahr 195 5 wurde als fester Ausgangspunkt die in meiner Tabelle gebrachte absolute Zahl für das Jahr 1937 angenommen, da für dieses Jahr die französische Publikation und die Publikation der Vereinten Nationen praktisch den gleichen Prozentanteil der Sowjetunion ausweisen. Dieser absolute Wert für 1937 wurde dadurch auf 195 5 fortgeschrieben, daß er mit dem sowjetischen Index für 195 5 — basiert auf 1937 — mit einem Ab-schlag von rund 30 Prozent fortgeschrieben wurde.

Die obigen Berechnungen bezwecken im Grunde nichts anderes, als aus Relativzahlen — und das sind die Indexzahlen der Vereinten Nationen — die in ihnen verborgenen absoluten Zahlen herauszudestillieren. Das Statistische Amt der Vereinten Nationen hat zwar gute Gründe, daß es diese Zahlen als „S c h ä t z u n-g e n" ansieht und nur die Indexzahlen der periodischen Veränderungen sowie von Zeit zu Zeit auch die relativen Anteile der einzelnen Länder an der gesamten Weltindustrieproduktion veröffentlicht. Immerhin hat es auch einmal die absoluten Werte in graphischer Form mitgeteilt. Diese absoluten Werte sind — das muß zugegeben werden „künstliche“ Zahlen, die in komplizierter Weise errechnet werden, sie können nicht denselben Wert haben wie etwa absolute Zahlen in der Stahlproduktion, Kohlegewinnung und dergleichen. Man weiß zwar, daß auch solche absoluten Zahlen der letzteren Art oft nicht vollständig die tatsächlichen Gegebenheiten widerspiegeln, da auch bei deren Zusammenstellung Irrtümer entstehen können. Die hier ermittelten Zahlen über die Weltindustrieproduktion sind aber immerhin als „Größenordnungszahlen“ zu werten. Die in den Indexzahlen der Vereinten Nationen verborgenen absoluten Werte haben sicherlich etwa denselben Rang, wie die in den einzelnen Ländern errechneten ebenfalls sehr künstlichen Zahlen über das jährliche Volkseinkommen, mit denen man bereits zu arbeiten gewöhnt ist.

Es wäre sicherlich sehr wünschenswert, wenn der Versuch des Verfassers von den eigentlichen Fachgelehrten sowohl in den einzelnen Staaten als auch im Statistischen Amt der Vereinten Nationen zum Anlaß genommen würde, solche Berechnungen mit besseren Mitteln erneut vorzunehmen bzw. die Karten vollständiger aufzudecken, als es bisher der Fall war.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Nach Umrechnungskursen und Preisen von 1948.

  2. Ohne den 1918 zu Polen gelangten Teil (0, 6 Mill. t).

  3. Grenzen von 1919; im Deutschen Reich wurden 1919 produziert: 190, 1 Mio t, darunter 13, 2 im Saarland, 3, 8 in Elsaß-Lothringen, 31, 7 in Ost-Oberschlesien.

  4. Bundesrepublik.

  5. Darunter Indonesien mit 12, 5 Mio t.

  6. Darunter Kuweit mit 55 Mio t, Saudisch-Arabien mit 48, 2 Mio t, Irak mit 31, 3 Mio t, Iran mit 26, 5 Mio t

  7. Darunter Venezuela mit 130, 7 Mio t.

  8. Die Ziffern für 1946 und folgende Jahre sind lückenhaft, es wurde deshalb 1950 eingesetzt. Für 1913 liegen keine brauchbaren und vollständigen Angaben vor.

  9. Darin enthalten: Osmanisches Reich mit 760 Mio $.

Weitere Inhalte

Anmerkung: Ministerialrat Dr. Bernhard Wegmann, geb. 18. 7. 02 in Bad Neustadt a. d. Saale, Unterfranken. Studium der Staatswissenschaften in Würzburg und Wien'1929— 1933: Wissenschaftlicher Hilfsreferent im Statistischen Reichs-amt (Referat: Internationaler Finanzvergleich). 1934— 1945 Referent bzw. Abteilungsleiter in der Volkswirtschaftlichen Abteilung der I. G. Farbenindustrie, Berlin I, ab 1940 in Wien (Südosteuropa, Rußland, Ostasien, zeitweise British Commonwealth). Zwischen 1943 und 1945 ausgeliehen an Deutsche Handelskammer in Kroatien als Hauptgeschäftsführer. 1945— 1949 im Dienste des bayerischen Wirtschaftsministeriums (ab 1947 als Regierungsdirektor), zeitweise im Dienste des Länderrates in Stuttgart. 1949 Hauptreferent für den Marshallplan im Länderrat der Doppelzone, Frankfurt als Ministerialrat. Ab 1950 im gleichen Rang als Sekretär der Ausschüsse des Bundesrates für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung, Bonn, Bundeshaus.