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Aus den Erinnerungen an eine politische Mission | APuZ 9/1960 | bpb.de

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APuZ 9/1960 Aus den Erinnerungen an eine politische Mission

Aus den Erinnerungen an eine politische Mission

CARL J. BURCKHARDT

Der schweizerische Diplomat C. J. Burckhardt war in den Jahren 1937 bis 1939 Völkerbundskommissar in Danzig und hat sich in dieser Stellung intensiv um einen Ausgleich zwischen Polen und Deutschland bemüht. Seine Memoiren spiegeln nicht nur einen verantwortungsbewußten Politiker, sondern auch einen Historiker von Rang wider. Die nachfolgende Auswahl aus den Erinnerungen Burckhardts an jene Zeit gibt zuerst ein Beispiel für seine hervorragende Fähigkeit, mit wenigen präzisen Strichen ein einprägsames Geschichtsbild zu zeichnen. Die bedrückende politische Atmosphäre vor Ausbruch des zweiten Weltkrieges wird dann noch einmal in den Aufzeichnungen über persönliche Begegnungen mit Hitler u. a. beschworen.

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlages D. W. Callwey in München, der die Erinnerungen B's demnächst unter dem Titel „Meine Danziger Mission, 1937— 1939“ veröffentlichen wird.

Der Staat Pilsudskis

1772, 1793 und 1795 erfolgte, durch die drei Teilungen Polens die Löschung eines ehrwürdigen Staatsgebietes mit geschlossenem Volkstum, eigener Sprache und einheitlicher Religion. Die Kaiserin Maria Theresia wußte, wie unheilvoll diese Tat war, die noch dem Jahrhundert, in dem wir leben, ihr Gesetz aufprägt. Das polnische Volk aber hat sich während mehr als hundert Jahren der Besetzung und des Exils wunderbarerweise eine ungebrochene nationale Persönlichkeit erhalten.

Im ersten der beiden großen Weltkriege haben die Mittelmächte, Deutschland und Österreich, aus politisch-strategischen Gründen, eine Wiederherstellung des polnischen Staates angestrebt; diese Aufgabe wurde dann von der siegreichen Entente verwirklicht.

Schematische und gleichzeitig unkonsequente Anwendung des Prinzips nationalstaatlicher Grenzziehung in den Friedensverträgen von 1918, anstelle voller Berücksichtigung der historischen Ansprüche Polens, mußte an der Westgrenze des neugeborenen Staates bei äußerst komplizierten ethnischen Voraussetzungen unausweislich zum Ursprung schwerer Verwicklungen werden.

Die siegreiche Koalition entriß ein polnisches, ziemlich willkürlich zusammengesetztes Territorium den bisherigen Besatzungsmächten Deutschland, Österreich, Ungarn und Rußland; sie teilte der polnischen Nation zwischen den Jahren 1918 und 1923 ein Staatsgebiet zu, verlieh ihr staatliche Souveränität und entzog sich dann selbst der Verantwortung, die sie dadurch übernahm und deren erstes Gebot gelautet hätte: Gebt dem neuentstandenen Polen tragbare außenpolitische, strategische und wirtschaftliche Voraussetzungen! Aus den so deutlichen Lehren der Geschichte, aus den ökonomischen Erfahrungen zog man keine Konsequenzen. Berechtigten Wünschen Polens in bezug auf den Grenzverlauf trug man wenig Rechnung. Überall an der Peripherie des neuen Staats-gebietes schuf man durch widerspruchsvolle Entscheide Situationen, die auf die Dauer schwer haltbar waren, vor allem den strategischen Bedingungen wurde keine Rechnung getragen; überlegte, abgewogene Lösungen blieben aus. Voraussetzungen wurden zugelassen, die das Entstehen entspannter Beziehungen zum deutschen Nachbarreich im vorhinein unmöglich machten; dasselbe gilt in bezug auf Sowjetrußland, ja sogar für die Grenzen mit der aus den Trümmern der einzigen großen europäischen Föderation, der österreichisch-ungarischen Monarchie, in widerspruchsvoller Weise herausgeschnittenen Tschechoslowakei.

Was die Regelung seiner Westgrenzen anbetrifft, so hatte Polen zum mindesten klare Forderungen gestellt. Es hatte einen beträchtliehen Teil Oberschlesiens, die Masuren und einen gesicherten breiten Zugang zur Ostsee verlangt. Dies wurde nicht berücksichtigt, und schon schritt man zu gefährlichen Kompromißlösungen.

Die deutsch-polnische Spannung setzte unmittelbar nach den Friedensschlüssen ein. Sie wurde bedrohlich mit dem Ausbruch des Handels-krieges zwischen den beiden Mächten im Jahre 1925, in dessen Verlauf Polen schwere wirtschaftliche Einbuße erlitt. Politisch-strategisch hat dann im selben Jahre Stresemanns Entspannungsaktion gegenüber Frankreich, haben die Verträge von Locarno vom 16. Oktober 1925 unzweideutig die deutschen Revisionsansprüche gegenüber seinem östlichen Nachbarstaat verstärkt und auch bereits deutlich gemacht. Die Demilitarisierung des Rheinlandes, ihre Garantie durch England, Frankreich und Italien, sodann die damals unterzeichneten Nichtangriffs-und Beistandsverpflichtungen zwischen den genannten Staaten waren für Polen bedrohlich, sie schwächten schon sieben Jahre nach dem alliierten Sieg die Bedeutung des französisch-polnischen Bündnisses ab

Stresemanns Absichten waren bekannt. Er hat sich schon 1925 sehr deutlich geäußert: in einem Brief an den einstigen deutschen Kronprinzen erklärte er die Korrektur der Ostgrenzen, die Wiedergewinnung Danzigs und des Korridors sowie die Veränderung der oberschlesischen Grenze als ein Hauptziel seiner Politik.

Strategisch war die Situation Polens gegenüber Deutschland von Anfang an schwach, in der Folge sollte sie aussichtslos werden. Man braucht nur einen Blick auf die Karte zu werfen, um zu erkennen, wie sehr alle geographischen Gegebenheiten das Reich zu einer Umfassungsstrategie gegen Großpolen einluden.

Allerdings, was einsetzbare Streitkräfte anbetrifft, war das Reich bis zu den dreißiger Jahren den Polen weit unterlegen. Dieser Umstand hat ein starkes Argument für diejenigen polnischen Kreise gebildet, die sich mit dem Gedanken eines Präventivkrieges trugen. Mit Recht konnten die polnischen Aufmarschpläne zwischen 1923 und 1931 die militärische Schwäche des westlichen Nachbarn in Rechnung stellen. Deutschland hätte innerhalb jenes gleichen Zeitraumes sich bloß auf hinhaltenden Widerstand beschränken können. Der deutsche Generalstab nahm während der zwanziger Jahre im vorhinein eine Preisgabe Schlesiens für den Kriegsfall in Aussicht.

Es ist bemerkenswert, daß während des ersten Jahrzehnts der staatlichen Existenz Polens in Warschau der Wille zu einer versöhnlichen Politik gegenüber dem Reich schließlich doch immer überwogen hat. Der für diese Haltung sachlich bestimmende Faktor war Rußland.

Deutschland und Rußland wurden, in völliger Verkennung ihrer potentiellen Macht, nach 1918 . als die beiden Ausgestoßenen der Völkergemeinschaft behandelt. Rußland hatte alle seine Kriege in der zweiten Hälfte des neunzehnten und nun den großen Krieg im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts verloren. Mit Hilfe des deutschen Großen Generalstabs hatte es sich den Führern einer extremistischen Minorität, den Vertretern einer Ideologie deutschen Ursprungs in die Arme geworfen, Revolutionären, deren Grundsätze, diktatorisch durchgesetzt, gleichzeitig innerer Konzentration und Härte, nach außen aber zu ungeheurer Werbekraft, und im Unterschied zum Faschismus, zur Durchdringung und Schwächung aller virtuellen Gegner führte. Eine ähnliche Wirkung, wie von der bolschewistischen Form des Sozialismus, ist innerhalb überblickbarer Geschichtsepochen einzig vom Islam ausgegangen. Eine zu höchster Kraftkonzentration führende absolutistische Methode hat das russische Volk aber nicht widerstandslos ertragen. Die erste europäische Nation, welche die Gefahr des marxistisch unterbauten Imperialismus einer Großmacht für die übrige Welt in ihrer ganzen Tragweite deutlich erkannte, war zweifellos Polen. Per zwischen April und Oktober 1920 geführte polnisch-russische Krieg hatte mit großen polnischen Erfolgen begonnen; am 7. Mai nahmen die Polen Kiew, dann jedoch gelang ein russischer Gegenstoß, der bis vor Warschau führte. In Warschau trat die Wendung ein, die man das „Wunder an der Weidrsel“ genannt hat. Unter Führung Jozef Pilsudskis dem unter anderem der französische General Weygand beratend zur Seite stand, wurden die Russen zu einem fluchtartigen Rückzug gezwungen, aber die Ausnützung des Sieges unterblieb. Pilsudski hatte irrtümlicherweise mit einer mitreißenden Wirkung des ukrainischen Patriotismus gerechnet.

Kiew ging bald wieder an Rußland verloren, trotz des Slogans: „ohne Kiew kein Lemberg“. Dem Siege folgte sehr rasch der für Polen wenig vorteilhafte Friedensschluß von Riga.

Bei diesem Anlaß wurde die polnische Ostgrenze festgelegt; sie ging nur wenig über die von den Alliierten vorgeschlagene, für Polen unannehmbare Curzon-Linie hinaus, dem Status von 1792 entsprach sie nicht. Die Ausnützung des polnischen Sieges, der eine entscheidende Stärkung der inneren russischen Widerstandskräfte und damit eine dem Westen angleichbare russische Entwicklung erlaubt hätte, wurde vom Westen nicht wahrgenommen. Man glaubte, ein Sieg der Linksextremisten werde Rußland national auf lange Sicht hinaus schwächen; die innere russische Opposition wurde infolgedessen preisgegeben, ihre militärischen Führer wurden verraten, und mit äußersten Mitteln einer Gewaltherrschaft unter Ausrottung ganzer Bevölkerungsteile setzte sich im unermeßlichen Gebiet, der Sowjetunion dasjenige wirkungsmächtige System durch, welches Rußland damals von einer Aufteilung und kolonisatorischen Ausbeutung durch die Mächte bewahrt hat, um sodann das einstige Zarenreich innerhalb eines kurzen Vierteljahrhunderts zur be-

herrschenden Weltmacht werden zu lassen.

Eine deutsch-russische Zusammenarbeit, Zusammenarbeit der beiden nach dem Ersten Weltkrieg als nicht vollberechtigt behandelten großen Staaten, wurde am 16. April 1922 in Rapallo eingeleitet. Der vier Jahre später, am 24. April, zwischen den Sowjets und dem Reich abgeschlossene Vertrag von Berlin, war weitgehend gegen Polen gerichtet. Zwischen den Zeilen seines Textes war bereits das Verhalten zu erkennen, das Rußland dann 1939 in den ersten zwei Wochen des Krieges in die Praxis umwandelte. Die späteren Abmachungen haben nur einen Tatbestand verstärkt, der schon seit dreizehn Jahren vorhanden war. Mit Abschluß jenes Vertrags von 1926 hat die intensive militärische Zusammenarbeit zwischen Moskau und Berlin begonnen, welche von den Westmächten, obwohl sie ihren Generalstäben bekannt war, unterschätzt wurde. Die russische Armee übernahm damals die kriegswissenschaftlichen und technischen Erfahrungen der preußisch-deutschen Armee; deutsche Militärstationen, Lager, in denen die Reichswehr die im Versailler Vertrag verbotenen Waffen erprobte und einübte, wurden auf russischem Gebiet zur Verfügung gestellt. Bei Ischwesk, am Flusse Kama, östlich von Kasan, befand sich das große deutsche Panzerübungsfeld. Die polnische Regierung war über jede Einzelheit des deutsch-russischen Zusammenwirkens unterrichtet, in Warschau kannte man die häufigen Kontakte der Deutschen mit der russischen Generalität, „Kama“ war das polnische Kennwort für diese deutsch-russischen Vorgänge auf militärischem Gebiet. Polen, wie der Ausgang bewiesen hat, stand bis zum Jahre 1939 beständig der tödlichen Gefahr des Zweifrontenkrieges gegenüber. Verschlechterten sich aber die deutsch-russischen Beziehungen, was manche als Ausweg erhofften, so mußte Polen zum Kriegsschauplatz werden. Das außenpolitische Verhalten aller polnischen Regierungen innerhalb der zwanzig ersten Lebens-jahre des wiederhergestellten Staates war durch die Lage bedingt. Aus ihrem Vorhandensein erklärt sich manche jener Stellungnahmen der Warschauer Regierungen, zu denen der Westen sich verständnislos oder tadelnd verhielt.

Das scheinbare außenpolitische Schwanken, die „Unzuverlässigkeit", die der polnischen Politik zum Vorwurf gemacht wurde, erscheint in einem ganz anderen Licht, wenn man sich bemüht, die realen Voraussetzungen zu erkennen, unter welche dieses Land gestellt war. Vor allem in Frankreich hat man sich über Pilsudskis „ Velleitäten" ereifert, weil man seine Einstellung zu den mächtigen Nachbarn im Westen oder Osten seines Landes nicht verstand. Das Verhältnis des Marschalls zu Deutschland erklärt sich zum kleinsten Teil aus persönlichen Voraussetzungen, obschon, trotz der Behandlung, die er in der Magdeburger Festung während des Ersten Weltkrieges erlitten hatte, ein gewisses Gefühl der alten Waffenbrüderschaft vorhanden gewesen sein mag. Er besaß eine hohe Schätzung für die rein militärischen Qualitäten der deutschen Armee des Ersten Weltkrieges. Er hat auch dem Präzisionsinstrument Hans von Seeckts der Reichswehr, Anerkennung gezollt. Gänzlich ist dieses Gefühl bei Pilsudski wohl nie abgestorben, auch nicht nach Locarno, als die deutsche Heeresleitung ihre noch relativen Machtmittel an der polnischen Westgrenze konzentrierte und als die vom Versailler Vertrag untersagten Formationen „Grenzschutz" ausgebaut wurden, diese getarnten Divisionen, welche die Nachrichtenabteilung des französischen Generalstabs damals so viel beschäftigten. Aber der Hauptgrund, der Pilsudski, wie sein Nachfolger, daran verhindert hat, so lange es noch Zeit war, dem Reich gegenüber eine auf Biegen und Brechen angelegte Politik zu verfolgen, lag in der Tatsache, daß Polen seit dem ersten Tag seines Wiederbestehens sich in einer Zange befand, deren Kiefer nur gleichzeitig in Bewegung geraten konnten. Pilsudski hat sich nie der Illusion hingegeben, die doch selbst von Staatsmännern der wehrlosen baltischen Staaten geteilt wurde und die sich im Slogan ausdrückte: „Rußland wird es nie zugeben, daß Deutschland uns anrührt, und umgekehrt werden wir in Deutschland immer einen Verbündeten gegen Rußland haben.“ Festzuhalten ist jedoch, daß der Marschall im östlichen Nachbarn die Hauptgefahr für sein Vaterland sah. Er betrachtete die Sowjets als den steinernen Gast, dem man nicht die Hand geben könne, ohne in seinem niemals zu lösenden Griff zu erstarren. Seine Einstellung zu Rußland war eine instinktive, sie beruhte auf uralter geschichtlicher und persönlicher Erfahrung. Für Pilsudski war Rußland die Hauptgefahr.

Pilsudskis großer Föderativplan, der die Völker des einstigen Polens umfassen sollte, hatte das Ziel, Rußland staatspolitisch aufzulockern. Aber die Stellung, welche die Westmächte nach dem Abschluß des polnisch-russischen Friedensvertrags von Riga schufen, waren für Warschau so daß von der die Tradition -Österreichs übernehmen ungünstig, den und dadurch europäischen Konzeption Pilsudskis nur noch Trümmer übrig blieben. Bei der Gestaltung der polnisch-russischen Beziehungen haben die Mächte keine positive Einwirkung zugunsten Polens versucht. Polen wurde in einer bilateralen Lage gegenüber Rußland belassen. Trotz aller Rückschläge jedoch hat Pilsudski, so lange er lebte, am Föderativgedanken festgehalten; dieser gehörte zu seinen einzigen wirkungsfähigen Kampfmitteln gegen die Sowjetunion. Hin und wieder flammte in dem alten Kämpfer die Abneigung gegen Rußland auch ganz akut wieder auf, aber er ließ sich nie hinreißen. Am nächsten rückte die Kriegsgefahr zwischen den beiden Staaten im Jahre 1927, als Trotzkij versuchte, Stalins Macht zu brechen. Die polnische Regierung kämpfte damals gegen ukrainisch-ruthenische Minoritäten, deren Polenhaß für eine kommunistische Propaganda günstige Vorbedingungen schuf. Es war in jenem selben Jahre, als die britische Regierung ihre Beziehung zu Sowjetrußland abbrach, und im selben Jahre 1927, im Sommer, wurde der russische Botschafter in Warschau, Wojkow, von einem Weißgardisten erschossen. In Rußland erhob man laute Klage über ein englisch-französisch-polnisches Komplott. Aber jedesmal, wenn man Pilsudski zu einem Kreuzzug ermuntern wollte, pflegte er zu sagen: „Ich bin der Sieger, warum soll ich meine Siege aufs Spiel setzen?“ Für Kreuzzüge war er nicht zu haben, er stand in der vordersten Linie.

Rußland brauchte damals Ruhe, der erste Fünfjahresplan lief eben an. Den im Westen in ihrer Wirkung meist überschätzten Machtkämpfen innerhalb der kommunistischen Partei maß Pilsudski kein allzugroßes Gewicht bei, immerhin, sie mochten vorübergehend Stalin eine gewisse außenpolitische Mäßigung ratsam erscheinen lassen, im übrigen aber lagen die Hauptprobleme des Riesenreiches damals schon in Asien. Polnisch-russische Beziehungen waren für Moskau etwas Nebensächliches. Aber Proportionsgefühle in der Beurteilung außenpolitischer Zusammenhänge hat wohl in keiner Geschichtsperiode den westeuropäischen Mächten sosehr gemangelt wie in der. ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. 1925 herrschte, austrahlend von Genf, die Euphorie der Briand-Stresemannschen Versöhnungsära. Innerhalb ihrer für das Ende der zwanziger Jahre so bezeichnenden Stimmung wurde 1925 jener „Kriegsächtungspakt", der Kellogpakt, unterschrieben, auf dessen möglichst rasche Ratifizierung Litwinow mit allen Mitteln hindrängte. Schon am 9. Februar 1929 wurde sodann von den Regierungen Polens, Rumäniens und der Baltenstaaten das sogenannte »Litwinow-Protokoll" unterzeichnet, welches den Krieg als Lösung internationaler Streitfälle einfach abschaffte.

Bismarck hat einmal erklärt, ein wiedererstandenes Polen werde ein französisches Militärlager an der Weichsel sein. Polen hat in der Tat seit der Zeit der Valois immer wieder zum französischen Allianzsystem gehört. 1921, als Pilsudski Staatschef war, hat er mit Frankreich einen gegenseitigen Beistandspakt für den Fall nicht provozierter Angriffe abgeschlossen. Zum Abkommen gehörte ein Geheimvertrag, der sich auf militärische Fragen bezog; der Text dieses Vertrages scheint nie veröffentlicht worden zu sein. Schon 1925 aber, nicht ohne Einfluß der Locarnoverträge, war die durch den vieldeutigen Begriff „provozierter“ Angriff relativierte Fassung dieses Paktes dann endgültig abgeschwächt worden, indem der Garantievertrag zwischen Frankreich und Polen, der am 16. Oktober 1925 unterzeichnet wurde, mit Klarheit nur den Fall eines deutsch-polnischen Konfliktes einschloß, wobei allerdings der Vertrag von 1921 seine Gültigkeit behielt. Für den Fall eines Krieges mit Deutschland wurde die Beistandspflicht mit dem Artikel der Völkerbundssatzung verknüpft. Die Verpflichtung zu augenblicklichem Handeln wurde hierdurch für Frankreich aufgehoben. Die Feststellung, wer fortan als Angreiferstaat zu gelten habe, wurde von nun an dem Ermessen des Völkerbundsrates anheimgegeben. Solche Feststellungen zu beeinflussen, ward jetzt zu einer Hauptaufgabe der Diplomatie. Früh schon zeigten sich in der öffentlichen Meinung Polens Symptome des Zweifels gegenüber dem französischen Bündnis. Im Konfliktsfalle gewann Frankreich von nun an Zeit. Jeder verständige Pole aber wußte, daß für Deutschland der seit 1918 geschaffene Zustand revisionistische Tendenzen bewirkte. Man klagte über geringe Wirtschaftshilfe von Seiten Frankreichs und über Militärlieferungen von veraltetem Material, und immer wieder: die Grenzregelung mit Deutschland stand in enger Verbindung mit der Tatsache der Rheinlandbesetzung. Sprach ein deutscher Minister von Grenzen, so klagten die Polen über die vorzeitige Räumung, die Deutschland eine solche drohende Sprache erst erlaubt habe. Frankreich wurde für vieles verantwortlich gemacht, und doch war Frankreich Polens einziger Verbündeter von Gewicht. Man hatte diesen Verbündeten nötig, aber viele begannen, an seiner Entschlußkraft zu zweifeln.

Innerhalb der für Polen so unheilvollen Kräftespiele zwischen Deutschland und der Sowjetunion spielte Litauen eine Rolle. Auch mit • diesem Staatswesen wäre eine föderalistische Lösung das gegebene gewesen, aber durch die nationalistischen Zwangsvorstellungen der Epoche versteifte sich die Lage. Im Oktober 1920 hatte Pilsudski die ethnisch-kulturell überwiegend polnische Gegend der Großstadt Wilna, wo sich polnische, litauische, weißrussische, ruthenische und jüdische Bevölkerungselemente durchdrangen, militärisch besetzen lassen. Mittel-litauen wurde im März des Jahres 1922 dem polnischen Staat eingegliedert, die Botschafterkonferenz anerkannte diesen Tatbestand, die* litauische Regierung aber beschlagnahmte innerhalb ihres Hoheitsgebietes den polnischen Grundbesitz, sie brach alle Beziehungen zu Polen ab, ein unüberbrückbarer Graben trennte fortan die beiden Gebiete, die doch während mehr als fünf Jahrhunderten gemeinsam Geschichte erlebt hatten.

Um das polnische Vorgehen zu verstehen, muß man daran erinnern, daß, während Polen 1920 einen Krieg mit Rußland auf Tod und Leben führte, Litauen am 12. 1920 mit dem Sowjetstaat in Moskau einen Friedensvertrag abschloß, dessen Artikel 2 eine gemeinsame Grenze zwischen Rußland und Litauen voraussah, wodurch die Annexion von Territorien, die man zweifellos als integrierenden Bestandteil Polens ansehen mußte, vorausgesetzt wurde. Als dann aber Rußland mit Polen am 13. März 1921 den Friedensvertrag von Riga abschloß, wurde die vorhergehende, soeben erwähnte territoriale Begünstigung Litauens expressis verbis aufgehoben, was die Russen jedoch nicht daran verhindert hat, in den darauf folgenden Jahren Erklärungen abzugeben, die ihre den Litauern gemachten Konzessionen wieder anerkannten. Mit Absicht wurden Widersprüche geschaffen, um die Lage möglichst zu verwirren.

Von nun an herrschte an der polnisch-litauischen Grenze Kriegszustand ohne Waffenhandlungen. Litauen schloß am 28. September 1926 mit der Sowjetunion einen Nichtangriffspakt ab, den Anspruch auf Wilna gab es aus den eben erwähnten Gründen nicht auf. Im selben Jahre, in welchem Pilsudski in Polen die Macht ergriff, wurde nach einem Militärputsch auch Litauen autoritär. Der polnisch-litauische Konflikt trug 1927 zu der akuten Kriegsgefahr zwischen Polen und Rußland bei. Damals hat der Völkerbund, hat Briand, eingegriffen. Pilsudski und Voldemaras 7) trafen sich, sprachen sich aus, und Voldemaras erklärte in der Ratssitzung vom 10. Dezember 1927, daß er keinen Krieg mit Polen wünsche. Etwas später schaltete sich Stresemann als Vermittler ein. Aber die polnisch-litauischen Verhandlungen vom 30. März bis 2. April 1928 in Königsberg führten zu keinem Ergebnis, bis 1938 blieben die Bezi Dezember 1927, daß er keinen Krieg mit Polen wünsche. Etwas später schaltete sich Stresemann als Vermittler ein. Aber die polnisch-litauischen Verhandlungen vom 30. März bis 2. April 1928 in Königsberg führten zu keinem Ergebnis, bis 1938 blieben die Beziehungen zwischen den beiden Staaten feindlich. Noch in diesem Jahre, in dem Jozef Bede 8) durch ultimatives Vorgehen ein Einlenken Litauens und die Wiederaufnahme normalisierter diplomatischer Beziehungen erzwungen hat, wurde der sowjetischlitauische Nichtangriffspakt verlängert.

Die polnisch-lettische Grenze ist niemals völkerrechtlich fixiert worden. Streitpunkte bildeten das katholische Lettgallen und die Festung Dünaburg. Aber dort wirkte, stärker als solche Differenzen, und dies gilt auch für Finnland und Estland, gemeinsame Angst vor den Russen.

Eine ziemlich allgemeine Abneigung bestand in Polen gegen die Tschechen und ihre panslawistische Ostpolitik. Historisch war man den Ungarn verbunden, und den ungarischen Revisionsansprüchen gegenüber der Tschechoslowakei galten manche polnische Sympathien. Die Hinneigung der Tschechen zu Rußland war den Polen unheimlich. Pilsudski hatte einst die Aufteilung Österreich-Ungarns in Nationalstaaten abgelehnt, wegwerfend hat er oft von der Balkanisierung Mittel-europas gesprochen. Den „Saisonstaat", wie er zu sagen pflegte, Masaryks und Benesch hielt er für lebensunfähig. In der oberungarischen Frage, der Frage der Slowakei und der Karpaten-Ukraine standen die polnischen Sympathien völlig auf ungarischer Seite. 1918/19 hatte Prag diese Gebiete als Verbindung zu der damals vorhandenen ukrainischen Volksrepublik und dem befreundeten Rumänien beansprucht. Die tschechische Regierung hatte während des russisch-polnischen Krieges 1920 im Besitz dieses Korridors ungarische Waffenhilfe an Polen verhindert. Die ungarisch-tschechischen und die polnisch-ukrainischen Fragen waren verflochten. Das ist einer der Gründe dafür, daß Polen gegenüber der kleinen Entente zurückhaltend blieb. Schon die anti-ungarischen Tendenzen dieses von Prag und indirekt von Paris aus geleiteten Allianzsystems genügten, um die polnische Haltung zu erklären. Im Falle eines polnischen Krieges mit Deutschland hielt Pilsudski die

Tschechoslowakei ihrer zu einem Viertel deutschen Bevölkerung wegen für einen wirkungslosen Kampfgenossen. Man hoffte immerzu in Warschau, eine gemeinsame ungarisch-polnische Grenze auf dem Karpaten-kamm zu erreichen. Einen Damm wollte man zwischen Tschechen und Ukrainern errichten. Mit Rumänien unterhielt man viel bessere Beziehungen; deshalb erachteten die Polen es als wichtig, daß sich der ungarische Revisionismus vor allem nicht gegen Rumänien richte. Sodann hat die Prager Regierung zweifellos die ukrainische Bewegung in Ost-galizien begünstigt. Frankreich hat in der Zwischenkriegszeit nichts unterlassen, um Warschau und Prag zu versöhnen; diese Bemühungen blieben erfolglos.

Was das Verhältnis zu Rumänien anbetrifft, so lagen die Voraussetzungen ähnlich wie innerhalb der polnischen Beziehungen zu den baltischen Staaten: Rußland war der gemeinsame Feind. Pilsudski hatte schon im Jahre 1920 auf die Schwäche Rumäniens hingewiesen, als es diesem nicht gelang, die russische Kavallerieoffensive gegen Lemberg und Lublin durch einen Flankenstoß aufzuhalten. Nach seinem rumänischen Besuch im Jahre 1928 urteilte er über die Widerstandskraft dieses Balkanstaates negativ. Da es aber um die gemeinsame Abwehr gegen Rußland ging, blieb es immer ein Ziel der polnischen Außenpolitik, die ungarisch-rumänischen Beziehungen zu entgiften.

Im Verlauf seiner Gleichgewichtspolitik hat Jozef Beck für kurze Zeit gewähnt, es sei ihm und seinem Botschafter Lipski 9) gelungen, einen Ausgleich mit dem Deutschen Reich zu schaffen: Seine Politik ging auf Pilsudski zurück. Auch ein nur scheinbarer deutsch-polnischer Ausgleich bedeutete vorerst eine Schwächung für die französischen Positionen in Ost-Europa; das Mittel jedoch, um diese Position rasch wieder herzustellen, schaffte Hitler selbst, als er die deutsche Rapallo-Politik aufgab. Nur Pilsudski hätte die Kraft und das Prestige besessen, um innerpolitisch gewisse Grenzberichtigungen durchzusetzen, um das neu entstandene Verhältnis zum Reich zu befestigen.

Seit dem 6. Februar 1934 war Jean Louis Barthou 10) französischer Außenminister. Er war ein scharfer Gegner jeder Abrüstung, und er suchte Anschluß an Rußland. In dem Maße, in dem die Spannung zwischen Berlin und Moskau sich verstärkte, hoffte er, mit seinem russischen Kollegen Litwinow das französisch-russische Verhältnis enger zu gestalten. Es war am 23. April 1934, als er versuchte, Pilsudskis Zustimmung zum Eintritt der UdSSR in den Völkerbund zu gewinnen. Zu dem französisch-polnischen Vertrag sollte nun ein französisch-russischer hinzukommen. Pilsudski aber lehnte in unzweideutiger Weise ab; der aggressive Ton, den die nationalsozialistische Regierung gegen Moskau anschlug, verminderte die Wichtigkeit der polnischen Stellungnahme. Rußland schien bereit zu sein, Frankreichs Vertragsplänen Gehör zu schenken, auch wenn dieses in Genf allein sich für die Aufnahme des Sowjetstaates in den Völkerbund einsetzte, ohne die polnische Zustimmung erreicht zu haben. Anfang Mai verhandelten Barthou und Litwinow in Genf, wo der letztere nach einer im Zusammenhang mit der Frage der russischen Völkerbundsmitgliedschaft erfolglosen Sondierung der Reichsregierung gegen die Berliner Machthaber verstimmt und deshalb in Bezug auf Barthous Pläne gut disponiert eintraf. Dies sollte ihm später im eigenen Land zum Verhängnis werden, denn Stalin nahm andere Lösungen in Aussicht.

Gelegenheit, das aus der Nachkriegszeit stammende, durch Rapallo befestigte deutsch-russische Einvernehmen nun endgültig zu stören, war für Barthou eindeutig vorhanden; der deutsche Expansionsdrang, nach Barthous Ansicht, sollte im Osten durch ein ganzes System von osteuropäischen Unterstützungsverträgen abgeriegelt werden. Barthou und Litwinow entwarfen damals den Grundriß zu einem „Ostpakt“. Rußland sollte zur Völkerbundsmacht werden, außerdem aber sollte es einem regionalen Pakt angehören, als dessen Mitglieder Polen, Deutschland, Frankreich, die Tschechoslowakei und die baltischen Staaten in Aussicht genommen wurden. Das ganze System hatte sich innerhalb der Polarität zwischen den beiden Großmächten Frankreich und Rußland auszuwirken. Frankreich hätte dabei den Status quo in Mitteleuropa garantiert, und Rußland wäre dem Rheinpakt von Locarno als fünfte Garantiemacht beigetreten. Es handelte sich um die Sicherung, der besonders im Hinblick auf Österreich und die Tschechoslowakei bestehenden Grenzen. Die Leitgedanken von Locarno aber sollten auch auf den Osten übertragen werden; man hatte 1934 von einem „Ostlocarno“ gesprochen.

Polen, das einige Jahre später die mechanische Wirkung der englischen Garantie gesucht und gefunden hat, fürchtete im Jahre 1934 die Selbstwirksamkeit der vorgesehenen Abmachungen, die Möglichkeit, ganz automatisch in fremde Händel hineingezogen zu werden. Immer wieder herrschte in Warschau die berechtigte Angst, den sowjetischen Armeen zum Durchmarschgebiet dienen zu müssen; darüber hinaus rechnete man mit der Möglichkeit, über Nacht zum Kriegsschauplatz zu werden, falls Rußland beispielsweise zur Ausführung der Bestimmungen des Paktes in der Tschechoslowakei eingreifen mußte.

Pilsudski war ein Gegner von Rußlands Eintritt in den Völkerbund, und was den geplanten Pakt anbetraf, wie hätte der Marschall einem System beitreten können, zu dessen Teilnehmern auch Litauen und die Tschechoslowakei gehörten, zwei Staaten, an die er territoriale Ansprüche zu stellen hatte, wobei er im Falle Litauens das Pfand bereits in der Hand hatte, im Falle der Tschechoslowakei jedoch sehr weit davon entfernt war, den nie vergessenen Anspruch auf die Provinz Teschen befriedigen zu können? Wie hätte er die bestehende Grenze dieser Länder garantieren können? Im übrigen, sein rumänischer Verbündeter war an diesem geplanten Ostpakt überhaupt nicht beteiligt.

Die Argumente Polens gegen den Abschluß des projektierten regionalen Allianzsystems waren prinzipiell dieselben wie diejenigen, die der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Bernhard Wilhelm von Bülow dem Botschafter Andre Francois Poncet entgegenhielt und die dieser in seinem Buch über seine Berliner Botschaftertätigkeit 12a) in loyaler Weise wiedergibt. In Berlin wie in Warschau sagte man, regionale Pakte, wie die von Barthou und Litwinow geplanten, erregten unvermeidlich Mißtrauen, die in den Pakt verstrickten Länder befänden sich in der Lage, durch indirekte Rückwirkung irgendeines sie gar nicht betreffenden Ereignisses zum Handeln und Eingreifen gezwungen zu werden. Es wurde mit Recht betont, die Definition des Angreifers erlaube die willkürlichsten Auslegungen, der Angriff sei meistens das Ergebnis von Provokation, die als Ursache der Sanktion unterliegen sollte, ihr aber durch die üblichen formalistischen Auslegungen entginge. Regionale Pakte, das war Bülows Ansicht, und Berlin teilte diese Ansicht, sollten nur unter Nachbarn abgeschlossen werden. Was sucht Frankreich, so wurde gefragt, in Weltgegenden, die nicht zu seinem Einflußgebiet gehören, usw.?

Das in jener Zeit nicht ausgesprochene, aber völlig dominierende deutsche Argument gegen den Barthou-Plan war jedoch bei Hitler, ausschließlich der Wille zur Ausdehnung seiner Machtsphäre nach Osten, der er durch keine Abmachungen irgendwelcher Art Hindernisse in den Weg stellen wollte. Weizsäcker der einer der besten Kenner der in lauter taktischen Schachzügen sich auflösenden, gänzlich negativ verlaufenden Genfer Abrüstungskonferenzen war, sagte mir gelegentlich, man habe in Berlin den ablehnenden polnischen Standpunkt in der Ostpaktfrage schon genau gekannt, als Litwinow auf seiner Rückreise von Genf anfangs Juni Neurath in bezug auf das Paktprojekt konsultierte und eine deutliche Abfuhr erlitt.

Das Jahr 1934 ist bis zum Rand erfüllt mit unheilvollen, weithin-wirkenden Ereignissen. Barthou begab sich am 9. Juli nach London. Bei den Engländern traf er auf ernste Bedenken: handelte es sich nicht wiederum um einen Vorgang, den Deutschland als Einkreisung betrachten konnte? Sir John Simon hat in jenem Zeitpunkt einzig versprochen, bei den Regierungen von Rom, Berlin und Warschau im befürwortenden Sinne zu wirken, aber die englische Regierung band sich durch keinerlei Verpflichtungen, die über Locarno hinausgingen, und die Schritte, die dann der englische Botschafter in Berlin und Warschau unternahm, blieben erfolglos; das Einverständnis zwischen der Wilhelmstraße und dem Palais Brühl wurde jetzt offen zugegeben. Beck hielt die deutsche Aufrüstung für unvermeidlich, glaubte sogar, England habe in dieser Beziehung im Zusammenhang mit dem Schritt seines Botschafters ermunternde Konzessionen gemacht, und gerade dies bestärkte ihn in seiner Tendenz, sich gegenüber den französischen Plänen nicht von der Berliner Linie zu trennen. Die offizielle deutsche Ablehnung einer Teilnahme am Ostpakt erfolgte am 10. September, die Begründung der Ablehnung lag in dem Hinweis Neuraths auf die Tatsache, daß immer noch die deutsche Gleichberechtigung verweigert werde. Beck war schon am 3. August von diesem Vorgang unterrichtet worden. Er war entschlossen, dem Vorgehen zu folgen, in Genf manövrierte er zwar, zu Barthou sagt er am 7. September, daß er den Pakt für sinnlos halte, und trotzdem schloß er eine Teilnahme Polens nicht gänzlich aus, machte aber lauter Klauseln und Reserven und verlangte Berücksichtigung des deutsch-polnischen Abkommens und Ausschaltung Litauens aus dem geplanten Zusammenhang. Rußlands Eintritt in den Völkerbund, über den er in jenen frühen Septembertagen mit Litwinow direkt verhandelte, stellte er sich jetzt auch nicht eindeutig dagegen, aber er benützte die Lage, um Bedingungen zu machen; u. a. verlangte er, daß alle bilateralen Abkommen zwischen Polen und der Sowjet-Union unverletzlich seien und in Kraft bleiben sollten. Sodann entzog er sich in überraschender Weise den geltenden Bestimmungen zum Schutz der Minderheiten, er glaubte dadurch, die Möglichkeit eines russischen Eingreifens auf Grund dieser Abmachungen auszuhalten, einseitig kündigte er in der Genfer Vollversammlung die Schutzverträge vom 28. Juni 1919. Alles in allem hat Beck in Genf weder Barthou noch Litwinow gegenüber eine ausdrückliche Absage formuliert, aber er hat den eventuellen Beitritt Polens zum Ostpakt im vorhinein mit einer derartigen Hypothek an Vorbehalten belastet, daß sein Verhalten einer Absage gleichkam. Barthous Plan konnte Ende September infolge des deutsch-polnischen Widerstandes als gescheitert betrachtet werden. Nicht uninteressant ist es festzustellen, daß inmitten dieser Entwicklung Hitler, aus taktischen Gründen, »ich in Bezug auf eine Rückkehr Deutschlands in den Völkerbund nicht durchaus ablehnend zeigte. Wäre diese deutsche Rückkehr gleichzeitig mit dem Eintritt Rußlands erfolgt, so hätte die Genfer Institution an Spannungsmöglichkeiten, aber auch an Bedeutung zugenommen.

Am 9. Oktober 1934 starb Barthou in Marseille unter den Kugeln der kroatischen Königsmörder; wer ihre Auftraggeber waren, blieb unaufgeklärt. Mit dem Tode dieses französischen Staatsmannes haben die Ostpaktpläne und die Friedensmöglichkeiten, die sie für manchen Zeitgenossen zu enthalten schienen, ihren vorläufigen Abschluß gefunden. Seit dem Röhm-Putsch, der im selben Jahre stattgefunden hatte, war die nationalsozialistische Regierung gewissermaßen entlarvt und in ihrer unbegrenzt kriminellen Potentialität erkannt worden. Die letzte Bindung an einen überlieferten Rechtsstaat war mit dem Tode Hindenburgs, der im gleichen Jahr, am 2. August, zu Neudeck in Westpreußen starb, abgerissen. Der Tod des alten Marschalls gab Hitler den Weg zur Beseitigung des deutschen Rechtsstaates frei.

Die außenpolitische Lage Polens war so gefahrvoll, auf die Bundesgenossen Frankreich und Rumänien war so wenig Verlaß, daß Polen jährlich über ein Drittel seiner Staatseinnahmen der Rüstung zuwenden mußte; diese Summen scheinen weitgehend in einer allzu zahlreichen militärischen Bürokratie versickert zu sein. Pilsudski hat sich bis zu seinem Tode bestrebt, Zeit zu gewinnen und innerhalb der gewonnenen Zeit Polen stark zu machen, wobei er die Gefahr eines neuen Weltkrieges immer in seine Berechnungen einbezogen hat; aber Pilsudski ist schon 1935 gestorben

Gespräch mit Hitler im September 1937

Die Audienz beim Reichskanzler fand erst am 20. September 1937 in der alten Reichskanzlei statt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren in Danzig die von Forster vorgesehenen antisemitischen Erlasse zurückgehalten worden. Während des Gesprächs mit Adolf Hitler war nur Otto Meißner, Chef der Präsidialkanzlei anwesend. Bei Abschluß der Unterredung stellte ich dem deutschen Staatsoberhaupt meinen Kabinettschef vor.

Dem Präsidenten des Dreierkomitees, Mr. Eden, schrieb ich am selben Tag, Montag, den 20. September 1937 und teilte ihm alle diejenigen Äußerungen des Kanzlers mit, die sich auf die allgemeine Politik und vor allem auf das deutsch-englische Verhältnis in Hitlers höchst subjektiver Perspektive bezogen. Der Eindruck ist unmittelbarer wiedergegeben als in einem späteren Schreiben an Avenol.

Hier einige Auszüge:

„Hitler zeigte auf ein Kanapee und sagt mit leiser Stimme: , Bitte.'Hitler, der während der ganzen Besprechung es vermeidet, seinem Gesprächspartner in die Augen zu blicken, hebt leicht eine erstaunlich weibliche Hand und legt sie dann auf die Armlehne seines Sessels. Mürrisch und leise: , Llnd Danzig, weshalb reklamiert man in Genf?“

B.: , Die Danzig-Frage wurde im Völkerbundsrat nicht behandelt, ich habe nur vor dem Dreierkomitee Beridtt erstattet.'

H. (plötzlich nervös, schließt die Faust und trommelt auf die Armlehne. Sein Gesicht, eben noch entspannt, verzerrt sielt zu plötzlicher Härte): , Warum widersetzen sich die Engländer der (Danziger) Verfassungsänderung?'

B.: , Die englische Regierung befaßt sich nicht mit dem Danziger Problem, der Außenminister, Mr. Eden, sagte wörtlich zu mir: Danzig interessiert England nicht unmittelbar. Zweifellos spielen Exzellenz auf die Mitteilung an, die idt im Frühjahr dem Senatspräsidenten Greiser und dem Gauleiter Forster machte; sie bezog sich auf die Methoden, durdi welche man im Volkstag die nationalozialistisdte Mehrheit erreidrt hatte und enthielt eine Kritik dieser gegen die Minoritätsparteien angewandten Methoden. Mr. Eden hatte (nidit als Außenminister, aber als Präsident des Dreierkomitees) festgestellt, daß es ihm unmöglidt sein würde, eine durdi derzeitige Volkstagsmajorität abgeänderte Kostitution anzuerkennen. Es ist sidter so, daß die erwähnten Methoden kritisierbar sind.'

H. (unterbricht, aber ruhiger): , Was soll das heißen? Wie könnte eine Verfassungsänderung sich anders durdtführen lassen: Sie muß stattfinden.'B.: ‘Aber nur durch das in der Verfassung vorgesehene Mittel, eine Neuwahl des Volkstages, die 1939 stattfinden könnte.'

H. (nun heftig): , All diese Fragen werden immer durdi das englische Parlament übertrieben. Alles, was innerhalb der deutschen Sphäre sich abspielt (mit bitterer Verachtung) wird dort kritisiert. Aber man schließt die Augen vor so viel anderem. Was kann an diesem Danziger Parlament die Engländer interessieren?'B.: , Es handelt sich hier nur um das Dreierkomitee.'. H. (reckt sidi empor, hebt die Fäuste, schüttelt sie auf Schulterhöhe, schreit beinah): , Nein, nein, es handelt sich um die berühmte öffentliche Meinung Englands, um das englische Parlament, was kann ihnen der Danziger Volkstag bedeuten?'

B. (nadi einer Stille, während welcher Hitler seine Arme sinken läßt und sich mit Mühe beruhigt): , Ein gewisses Interesse der englischen Öffentlichkeit an den parlamentarischen Vorgängen des Kontinents ist begreiflidi, denn England hat der Welt das parlamentarische System verliehen.'

H. (ruhig)): . Richtig, aber vergessen Sie nidit, daß im Lauf der englischen Gesdiidtte jedesmal, wenn Gefahr drohte, dieses Parlament die gesamte Madit an Einzelne oder an eine kleine Gruppe von Einzelnen übertragen hat. Nehmen Sie Cromwell. Wenn man den notwendigen Ablauf der Ereignisse, der sidi in Danzig vollziehen muß, kritisiert (wieder heftiger), so bin ich derjenige, den man kritisiert, den Weg kritisiert, auf der meine Bewegung zur Macht gelangte, näm'ich den parlamentarischen, einen absolut legalen Weg.'

B.: Ja, aber diese Maditergreifung ist augenblicklich durch eine Volksabstimmung und eine große Majorität ratifiziert worden.“

H. (freundlid-ier, wirft einen mißtrauisch prüfenden Blick auf B., dann lädiclnd, fast etwas gequält): . Darin haben Sie redit (er überlegt dann), aber es ist doch absurd (mit einer Stimme, die wieder bis zum Geschrei anschwillt) absurd, daß durch ein Verbot der legislativen Funktion des Parlaments man diese unglüdtselige Danziger Bevölkerung zu einem Abstimmungsakt zwingen will, welcher allen dunklen Elementen der Welt Gelegenheit geben wird, im Trüben zu fischen; dies ausgerechnet in Bezug auf diese bedauernswerten Danziger, denen man so grausam das einzige natürliche Redit, das Selbstbestimmungsrecht, vorenthalten hat.'

B.: , Idt glaube nidtt, daß irgend jemand an eine soldie Beeinflussung denkt. Man muß die Angelegenheit auf die einfache Tatsache zurüdzführen, von der wir eben spradten, die Tatsache nämlich, daß die Alittel, durdi welche die nationalsozialistisdie Partei ihre Zweidrittelmehrheit im jetzigen Parlament erreichte, nicht einwandfrei sind.'

H. (erbittert, als hielte er eine Volksrede, ins Leere starrend): jNidtt einwandfrei! Kritisieren wir beständig die anderen? Haben die anderen die geringste Ahnung von der Not, der Gefahr, in denen wir lebten, immer noch leben? All diese Gerechten kümmern'sich um den Splitter im Auge des Nachbarn. Mein Leben lang habe idt England und die Engländer geliebt. Ich habe nie aufgehört, ihnen die Freundschaft Deutschlands anzubieten, die Freundsdtaft eines großen Volkes, die Freundschaft eines ehrlidten, arbeitsamen Volkes von 70 Millionen, das morgen aus mehr als 80 Millionen bestehen wird, und ich werde nichts unternehmen, um sein Anwachsen zu verhindern. (Dann außer sidt, überlaut.) Sie haben midi zurückgestoßen, immer haben sie mich zurückgestoßen, das ist wahr. Hören Sie mich, purer Wahnsinn, Wahnsinn, aus dem die größten Katastrophen entstehen können, aber, idt muß es leider hinnehmen. Heute kann idt den Zorn meines beleidigten Volkes nicht mehr eindämwen. Ja, Deutschland war krank, heute ist Deutschland gesund. Und ich bin es, das kann ich sagen, der Deutschland gesund gemacht hat. Deutschland war schwach, heute hat es seine ganze Kraft wiedergefunden. Deutschland steht nicht mehr allein in der Welt (fast drohend), ich 'be einen mädttigen Alliierten im Fernen Osten der mit mir die Pest des Bolschewismus bekämpft. Die Freundsdtaft einer Nation im Süden Europas ist mir sidter, man sollte diese Nation nicht unterschätzen. Ich habe auch Freunde im Herzen des Kontinents Wohin wird all das führen? Weldt ein Irrsinn! Wir brauchen den Raum, aber ich bin mir der Verantwortung bewußt, die jede europäische Veränderung mit sidt bringt. Unser Wunsch, Kolonien zu erhalten, wurde abgewiesen. Gut! Ich kann das verstehen, es ist menschlich, dasjenige behalten zu wollen, was man hat. Aber weshalb diese Kommentare? Diese verletzenden Bemerkungen: wir seien keine Kolonisatoren? Diese Theorien: die Deutschen würden keinen Profit davon haben? Immer dieser selbe Geist, der midi enttäuscht hat! All das ist verdammt traurig! Denn wir sind ein friedliebendes Volk, das unter einem friedlidten Regime lebt. Von Kindheit an braudit der Deutsche eine militärische Ordnung, nicht nur wegen der bedrohlidien Lage, in der er sich befindet, sondern auch als Erziehungsmittel. Aber man kann die Deutschen zum Äußersten treiben.“ . Niemals ist ein Volk nadt soldien Anstrengungen im Kampf gegen 25 Nationen in dieser Weise erdrückt, beleidigt und erniedrigt worden. Welche Folter, um wieder zu ihrem Gegenstand zu kommen, wurde den Deutschen in Danzig zuteil! Welch ein künstlidies Gebilde diese Freie Stadt: nichts als Konflikte können sich daraus ergeben. Das ist Lloyd Georges Werk.“ B.: , Ohne diese Maßnahme wäre Danzig polnisch.“ H.: , Alles ist mit böser Absicht ausgeheckt worden, um zu verhindern, daß wir mit den Polen in gutem Einvernehmen leben. Die Deutsdinationalen sind darauf hineingefallen und haben die Polen schleckt behandelt. Idt werde den preußischen Konservativen nicht in ihrer stumpfsinnigen Politik nachfolgen. Der große Marschall Pilsudski und ich, wir sind über diese teuflischen Konfliktsgründe, diesen Riß des Korridors hinweggegangen. Ich habe versöhnliche Politik, Politik des Zusammenhaltens gegen den gemeinsamen Feind, gegen den Bolschewismus, den ich verabscheue (sic!), gemacht; solange ich da bin, wird man mit diesen Leuten nicht verhandeln, obwohl viele, die an derartige Finten gewohnt sind, es wünschen. Den Russen werde ich nie nachlaufen, Englands Freundschaft habe ich gesucht, man hat mich zurückgestoßen, das ist unerhört. Als hundert deutsche Matrosen (Zwischenfall der , Deutschland“), brave Matrosen in Erfüllung ihrer Pflicht getötet wurden, hat man sich darüber lustig gemacht. Wird ein englisches Schiff angegriffen, dann ist es ganz etwas anderes, was kalten Sie davon?“ B.: . Exzellenz werden verstehen, daß ich nicht berechtigt bin, über allgemeine Politik zu reden. Ich darf midi nur zu meinem beschränkten Gegenstand äußern. Als Angehöriger eines neutralen Kleinstaates, aus einem ganz anderen Gesichtswinkel, scheint es mir nicht, daß dies die englischen Tendenzen seien. Man muß sich an gewisse historisdie und psydiologische Gegebenheiten halten, diese müssen mit der gleichen Aufmerksamkeit beurteilt werden, welche die Deutschen voraussetzen möduen, wenn ein Engländer über die ihm stets fremden innern Voraussetzungen im Reidt urteilt.“ H. (unterbridtt): , Gut, aber haben die Engländer, die in Danzig gewirkt haben, versucht, das, was sie die deutsche Psychologie nennen, zu verstehen? (Mit Irritation fortfahrend, ohne sich unterbrechen zu lassen): Haben sie nicht immer als gescheite Advokaten die so häufigen Konfliktsgründe in der unglüddidien Stadt ausgenützt?“ B.: . Ich bin überzeugt, daß England wünscht, daß Deutschland und Polen sidt eines Tages über das Danziger Problem verständigen. Diesbezüglidt besitze ich genaue Informationen.“ H.: , Das ist neu, aber dann muß man uns handeln lassen, wie wir es für richtig kalten, wir wissen, was wir zu tun haben. Wenn Danzig nicht ein bolschewistisches Zentrum geworden ist, so ist es uns zu verdanken. Der Bolschewismus ist die Weltgefahr, die Pest. Heute wäre der deutsche Volkskörper gesund genug, um dieser Krankheit, wenn sie in dieser kleinen Stadt lokalisiert ist, zu widerstehen, aber gestern war das nicht der Fall, und ich will die Danziger nicht im Stich lassen, Wird die Danziger Frage gestellt, wird auch alles in Frage gestellt: die Korridorfrage, die tschechische Frage, die österreichische Frage ebenfalls. Glauben Sie nur, es braucht ein prächtiges internationales Verantwortungsgefühl, um einem derartigen Druck nicht nachzugeben. Aber man soll uns nicht zum Äußersten treiben. In Genf, unter dem Einfluß der Bolschewiken, tut man alles, um Deutschland zu beleidigen. Ja, wir haben Härte anwenden müssen, aber was ist das im Vergleich mit anderen Ländern, von denen niemand spricht? Diese Ungerechtigkeit wird bezahlt werden, denn wir sind nicht mehr schwach wie gestern. Man will uns alles wegnehmen, aber das hat seine Grenze. War Cromwell nicht hart? Er hat Englands Größe geschaffen, er war ein Übergang. Auch ich bin nicht ewig. Ich bin im übrigen kein Diktator, ich bin der unbekannte Soldat, der aus dem Krieg zurückkehrte und nicht ein bloßes Symbol, das man unter einem Triumphbogen begräbt, nein, lebendig und bereit zu kämpfen, noch bevor der Tag zu Ende ist. Es gibt einen einzigen Feind jeder Zivilisation, den Bolschewismus. Wer sich mit ihm einläßt (schreiend) begeht ein furchtbares Verbrechen! Ohne Ordnung gibt es keine Gerechtigkeit, aber die internationale jüdische Finanz lebt von der Unordnung. Auf dem Weg, den ich eingeschlagen habe, hoffte ich, mit den großen Nationen zusammen arbeiten zu können. Ich sehe, daß man davon nichts wissen will. Man stößt meine ausgestreckte Hand zurück. Aber es gibt andere, sehr lebendige Völker, denen die Satten, die Befriedigten ihre Rechte bestreiten. Und das auch ist ein Verbrechen und ein Wahnsinn. Der Völkerbund, anstatt das Übel zu bekämpfen, dient nur zweideutigen Interessen. Dadurch hat er jeden Einfluß verloren. Wenn man etwas Gutes sdtaffen will, muß man sich an die harte Wirklichkeit halten und sich nicht um die nebelhaften Gedanken kümmern, die die Schädel leichtgläubiger und kindischer Geistlicher erfüllen.“

Hier geht der Monolog zur Charakterisierung einzelner Persönlichkeiten über. Hitler schließt dann mit folgender Bemerkung ab: „Von niemand kann man verlangen, daß er alles schludten soll, daß immer e r allein die Versöhnungshand ausstrecken soll. Ich weiß, daß wenn man sich nicht entsddießt, dasjenige gelten zu lassen, was einem anders gearteten Geist entspringt und auch fremde Rechte anzuerkennen, dann bereitet man eine Katastrophe vor, die für die europäischen Völker endgültig sein wird. Und gerade diesen Wahnsinn sollte man vermeiden!“

Diesem Bericht ist eine Nachschrift vom selben Tag beigegeben: Gespräch mit einem hohen Beamten des Auswärtigen Amtes (es handelt sich um Freiherrn von Weizsäcker):

X.: „Nun, wie . lief die Sache?“ B.: „Eher beruhigend.“

X.: „Ausbrüche gegen England?“ B.: „Mir scheint so, aus unglücklicher Liebe.“

X.: „Im Auswärtigen Amt arbeiten wir wie Ameisen an der Herstellung unserer Ameisenhaufen. Dann kommt jemand und schlägt alles durdt einen Fußtritt zusammen. Was bleibt uns übrig? Wir fangen wieder vorne an. Was England anbetrifft, so war Hitlers Kehrtwendung sehr plötzlich, es ist zur Zeit unmöglich, mit ihm über das Thema zu reden.“ B.: „Wegen der . Deutschland“ -und . Leipzig“ -Zwischenfälle? Oder wegen der Kolonien?“ X.: „Nein, ich sehe nur eine Erklärung. Ein ihm überbrachtes . Wort“, das ihn verletzt hat. Solche Dinge vergißt er nicht. Auf jeden Fall ist es kein Deutscher, der ihm das eingeblasen hat, es stammt von einem dritten Staat, der dabei seinen Profit findet.“

Es gibt noch eine Aufzeichnung über einen bestimmten Punkt, der am 20. September 1937 in der Reichskanzlei zur Sprache kam. Diese Notiz habe ich damals weder an den Präsidenten des Dreierkomitees, noch an den Generalsekretär des Völkerbundes geschickt, sondern habe über ihren Inhalt nur mündlich Frank Walters berichtet. Ich wollte keine falschen Hoffnungen erwecken sondern abwarten, ob Hitlers Zusicherung eine greifbare Wirkung ausüben werde. Die Notiz lautet: „Hitler stellte wir nach einer Äußerung über naive Geistliche noch die Frage:

, Was führt Sie sonst nodt zu wir?“

Ich antwortete: , Die Danziger Judenfrage.'

Er reagierte augenblicklich und erging sich in kurzen, heftigen Ausfällen gegen die Israeliten. Das Übliche, aber man konnte erkennen, daß hier wohl individuell der zentrale Komplex berührt war. Er erhob, als rezitiere er aufs heftigste, seine Anklagen und sdtioß dann mit der Frage:

, Und was sagen Sie jetzt?'

Ich antwortete: , Sie sind ein Realpolitiker, die Einführung der Nürnberger Gesetze in Danzig, die der Gauleiter ankündigte, würde wegen des V/eltinteresses, das auf die Freie Stadt konzentriert ist, unverhältnismäßige außenpolitische Folgen haben.'

Hitler überlegte, dann erklärte er: Ja, ich bin ein Realpolitiker, gut, ich werde Befehle geben.'“

Damit war der angedrohte Erlaß der Rassengesetze, wie sich zeigen sollte, hinausgeschoben. Ich hatte es nicht wirklich zu hoffen gewagt.

Charakteristik Hitlers

Duff Cooper hat Hitler einmal in einer Unterhausrede einen Lügner genannt. Er hat dabei ein Wort gebraucht, das in der englischen Sprache tunlichst vermieden wird. Indem er diese Konvention überschritt, hat er sicher eine der heimtückischen Eigenschaften des Diktators beim richtigen Namen genannt, richtig, wenn man die Versprechen des Reichskanzlers und ihren oft augenblicklichen Bruch sich vor Augen hält und seine zynische Untreue wahrnimmt. Die paar soeben aus Tausenden von Dokumenten herausgegriffenen Zeugnisse scheinen diesen Eindruck, dieses Urteil sehr deutlich zu machen. Bei genauerem Hinsehn aber möchte es scheinen, daß solch landläufige und gesunde Begriffe wie „Lügner“ das Phänomen Hitlers nicht völlig zu decken vermöchten: „Wenn ich mein Wort gebe, so halte ich es“, so erklärte er, ganz kurze Zeit darauf, bisweilen fast am selben Tag, bricht er es bedenkenlos, als ob es sich bei seiner Beteuerung nur um eine konventionelle Floskel gehandelt habe. Beinah möchte man versuchen, anstatt „er lügt“ zu sagen, „es lügt aus'ihm“. Was dieses „es“ ist, dies festzustellen, wäre die Aufgabe der psychologischen Wissenschaft, die sich bis jetzt mit seinem Fall noch nicht wirklich auseinandergesetzt hat.

Ein primitiver, seinen Affekten ausgelieferter, partiell sehr begabter partiell mit Blindheit geschlagener, ausgesprochen arbeitsscheuer, dabei aber immer wieder heftig tätiger Mensch, gelangt durch die Leidenschaften des Kollektivs als Verkörperung des Mythos vom Manne aus dem Volk zu unbeschränkter Macht. Diese Macht, ausgestattet mit den fast unbegrenzten Mitteln des modernen Staates und der Dynamik eines der organisatorisch und in Bezug auf Arbeitsleistung einzigartigen Volkes, verleiht jeder Reaktion seines Wesens unmeßbare Hebelwirkung. Er ist ein Erniedrigter und Beleidigter, durch jeden seiner Entschlüsse, jede seiner Taten will er etwas wettmachen, will er ein undefinierbares „Gegenüber", einen unsichtbaren, allgegenwärtigen Feind, die er für total verantwortlich hält, in die Knie zwingen und aufs härteste bestrafen. Überall, wo er eine Überlegenheit zu spüren glaubt, erwacht seine Rachsucht; noch gehört diese Überlegenheit jenem „Gegenüber" an, das an allem schuld ist. Er mißtraut allem und jedem, wirft jedem vor, mit seinem Feind in Kontakt zu stehen, oder gerade dabei zu sein, zu diesem überzulaufen. Es ist ihm schlechterdings unmöglich, in Bezug auf irgendeinen Zeitgenossen, auf irgendwelche Gruppe von Zeitgenossen, sich anders zu verhalten, als nach dem Grundsatz, der unheimlich genug, nur einem Gott und keinem Menschen zur Verfügung stehen dürfte, dem Grundsatz: „Wer nicht für mich ist, ist wider mich.“

Die Angst vor dem potentiellen Widersacher läßt ihn besinnungslos rasch von Entschluß zu Entschluß, von Tat zu Tat vorwärtsstürzen. Letzten Endes verschafft ihm, wenn er an jenes „Gegenüber" denkt, nur die Ausrottung völlige Ruhe. Wenn er aus einer für ihn bezeichnenden Stimmung heraus nach Anlehnung strebt, nach Identifikation mit einem Vorbild, wenn er sich beispielsweise einem „Marschall Pilsudski seiner eigenen Vorstellung“ mit ausgestreckter Hand nähert und deshalb eine ganz neue Politik, nämlich seine deutsch-polnische Entspannungspolitik beginnt, so tut er dies nicht einzig aus taktischer List, weil er ein bestimmtes Verhalten seines unmittelbaren östlichen Nachbarn für einen beschränkten Zeitraum nötig hat, sondern auch weil er vorübergehend einer durch den Indentifikationsvorgang entstehenden euphorischen Stimmung gehorchte. Hitler erklärte einmal: „Das schwierigste Problem, das ich vorfand, war das deutsch-polnische Verhältnis. Es bestand die Gefahr, daß die Vorstellung einer , Erbfeindschaft'von unserm, wie auch vom polnischen Volk Besitz ergreifen würde, dem wollte ich vorbeugen. Idt weiß genau, daß es mir nicht gelungen wäre, wenn damals Polen eine demokratische Verfassung gehabt hätte. Denn diese Demokratien, die von Friedensphrasen triefen, sind die blutgierigsten Kriegshetzer. In Polen herrschte keine Demokratie, sondern ein Mann!“

War nun diese Vision, war dieser eine Mann verschwunden und war diese Stimmung ausgelöscht, dann stand Hitler plötzlich etwas ganz anderem gegenüber, und dieses andere erregte augenblicklich wieder sein abgründliches Mißtrauen. Innerhalb eines Augenblicks konnte er deshalb Treu und Glauben und gegebenes Wort, ja auch die Erinnerung daran und das Unbehagen, das diese Erinnerung hätte auslösen können, wegwischen und in sich selbst ungeschehen machen. Die ungeheuer rasche Strömung und Wandlung von Umständen und Menschen riß ihn beständig mit. Nun waren in infernalem Wechsel seine Versprechen hohl und seine Eide wurden zu Meineiden, ohne daß er davon auch nur das geringste wußte: die Vorstellung von der Person, an die er seine Beteuerungen gerichtet hatte, war entschwunden. Diese Anlage seines Wesens, die in einer extremen Weise den wechselnden Umständen gehorchte, entsprach oft den Gelegenheiten, die sich boten und die er stets augenblicklichergriff. In ihm, der vorübergehend so ungewöhnliche Machtfülle besaß, blieb nur ein ganz verschwindendes Maß von Freiheit vorhanden. In dem fast totalen Mangel an Freiheit war er denen, die er beherrschte, sehr nahe. Zwischen ihm und den übermächtigen LImständen wirkte eine bloße mechanische Kraft, der er ebensosehr unterlag, wie alle diejenigen, die er an sich gefesselt hatte. Das deut sehe Wort „Verhängnis" ist ein sehr ausdrucksvolles Wort, es vermittelt die Vorstellung von der Serienreaktion, die, einmal begonnen, nicht mehr aufzuhalten ist. Der entfesselte, mechanische Ablauf wirkte widerspruchsvoll durch Hitlers Entschlüsse hindurch; was sich nämlich außerhalb seines Willens vollzog, wurde scheinbar zu einem Akt dieses selben Willens. Merkwürdig war seine gleichbleibende Vision, die Ziele seines Traumes; von Anfang an hat er immer und in ganz unfaßlicher Weise dasjenige ausgesprochen, was er dann nach vielen Umwegen, Widersprüchen und Finten schließlich auch wirklich getan hat, und es ist nicht ganz abwegig anzunehmen, daß der unersättliche Haß, der in ihm wirkte, im unbewußten Teil seinem Wesens mit der verhüllten, aber immer vorhandenen Gewißheit zusammenhing, daß am Ende das furchtbarste Mißlingen stehen werde, und ein persönlicher Untergang, wie er ihm dann in der Reichskanzlei am 30. April 1945 bereitet war. Äußerungen, aus denen Hitlers Traum hervorgeht, der mehr und mehr auch von seinem Tagesdenken Besitz ergriff, sind enthalten in dem Bericht über die Geheimbesprechung vom 23. Mai 1939. Sie fand im Arbeitszimmer Hitlers in der neuen Reichskanzlei statt. Anwesend waren außer Hitler: der Feldmarschall Göring, Großadmiral Raeder, Generaloberst von Brauchitsch, Generaloberst Keitel, Generaloberst Milch, General der Artillerie Halder, General Bodenschatz, Konteradmiral Schniewindt, Oberst i. G. Jeschonnek, Oberst d. G. Warlimont, Oberstleutnant d. G. Schmundt, Hptm. Engel, Korvettenkapitän Albrecht und Hauptmann von Below.

Hitler erklärte, die augenblickliche Lage sei unter zwei Gesichtspunkten zu betrachten, unter dem Gesichtspunkt der tatsächlichen Entwicklung von 1933— 1939 und unter demjenigen der ewig gleichbleibenden Situation, in der Deutschland sich befinde. In der Zeit von 1933— 1939 seien Fortschritte auf allen Gebieten festzustellen, die militärische Lage habe sich zugunsten Deutschlands gewaltig verbessert, Deutschlands Beziehung zur Umwelt aber sei dieselbe geblieben. Das Gleichgewicht der Kräfte habe sich nach Abschluß des Ersten Weltkrieges ohne Deutschland, das nicht mehr in den Kreis der Machtstaaten gehörte, ausbalanciert. Das Geltendmachen der Lebensansprüche Deutschlands störe das Gleichgewicht der andern. Alle Ansprüche würden als Einbruch gewertet. Bei den Engländern sei die Furcht vor der wirtschaftlichen Gefährdung stärker als diejenige vor der staatlichen Macht allein. Dann fährt Hitler fort „Die 80-Millionenwasse DeutsMands hat die ideellen Probleme gelöst. Die wirtsdiaftlidien Probleme müssen gelöst werden. Um die Schaffung der wirtschaftlichen 'Voraussetzungen hierzu kommt kein Deutsclrer herum. Zur Lösung der Probleme gehört Mut. Es darf nicht der Grundsatz gelten, sich durch Anpassung an die Umstände einer Lösung der Probleme zu entziehen. Es heißt vielmehr, die Umstände den Forderungen anzupassen.“

Und nun wird die kriminelle Konsequenz gezogen, es heißt: „Ohne Einbruch in fremde Staaten oder Angreifen fremden Eigentums ist dies nicht möglich.“

Mit diesem Ausspruch wird die Maske weggerissen. Den durch die überstürzte Aufrüstung unter anderem entstandenen schweren wirtschaftlichen Konsequenzen kann man nur durch Raubüberfälle entgehen. Dann folgt die Beschönigung: „Der Lebensraum, der staatlichen Größe angemessen, ist die Grundlage jeder Macht. Eine Zeitlang kann man Verzicht leisten, dann aber kommt die Lösung der Probleme so oder so. Es bleibt die Wahl zwischen Aufstieg oder Abstieg. In 15 oder 20 Jahren wird für uns die Lösung zwangsweise notwendig. Länger kann sich kein deutscher Staat um die Frage herumdrücken.“

„Zur Zeit befinden wir uns im Zustand nationalen Hochgefühls in gleicher Gesinnung mit zwei anderen Staaten: Italien und Japan.“ „Die zurüddiegende Zeit ist wohl ausgenützt worden. Alle Schritte waren folgerichtig auf das Ziel ausgerichtet.“ „Nach sedts Jahren ist die heutige Lage folgende:“ „Nationalpolitische Einigung der Deutsdien ist erfolgt außer kleinen Ausnahmen. Weitere Erfolge können ohne Bluteinsatz nicht mehr errungen werden."

„Die Grenzziehung ist von militärischem Wert.“

Hierauf geht Hitler zur polnischen Frage über und sagt, was er in diesem Zeitpunkt wirklich denkt: „Der Pole ist kein zusätzlicher Feind. Polen wird immer auf der Seite unserer Gegner stehen. Trotz Freundschaftsabkommen hat in Po len immer die Absicht bestanden, jede Gelegenheit gegen uns auszunutzen.“ Und jetzt die entscheidende Feststellung: „Danzig ist nicht das Objekt, um das es geht. Es handelt sich für uns um Arrondierung des Lebensraumes im Osten und Sidrerstellung der Ernährung, Aufrollen des Ostsee-und Baltikum-Problems, Lebensmittelversorgung nur von dort möglich, wo geringe Besiedelung. Neben der Fruchtbarkeit wird die deutsche gründliche Bewirtsdraftung die Überschüsse um ein Mehrfaches steigern.“ „In Europa ist keine andere Möglidrkeit zu sehen.“ „Kolonien: Warnung vor Schenkung kolonialen Besitzes. Es ist keine Lösung des Ernährungsproblems. Blockade!" „Zwingt uns das Schicksal zur Auseinandersetzung mit dem Westen, ist es gut, einen größeren Ostraum zu besitzen. Im Kriege werden wir noch weniger wie im Frieden mit Rekordernten rechnen können. Die Bevölkerung nichtdeutscher Gebiete tut keinen Waffendienst und steht zur Arbeitsleistung zur Verfügung."

„Das Problem . Polen'ist von der Auseinandersetzung mit dem Westen nicht zu trennen.“

„Polens innere Festigkeit gegen den Bolschewismus ist zweifelhaft. Daher auch Polen eine zweifelhafte Barriere gegen Rußland.“

„Kriegsglück im Westen mit schneller Entsdreidung fraglich, ebenso dann die Haltung Polens.“

„Einem Druck durdt Rußland hält das polnische Regime nidit stand, Polen sieht in einem Siege Deutschlands über den Westen eine Gefahr und wird uns den Sieg zu nehmen versudten.“

„Es entfällt also die Frage, Polen zu schonen, und bleibt der Entschluß, bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen.“ „An eine Wiederholung des tschechischen Vorganges ist nidit zu glauben. Es wird zum Kampf kommen. Aufgabe ist es, Polen zu isolieren. Das Gelingen der Isolierung ist entsdieidend.“

„Daher muß sidt der Führer endgültigen Befehl zum Losschlagen vorbehalten. Es darf nidit zu einer gleichzeitigen Auseinandersetzung mit dem Westen (Frankreich und England) kommen.“ „Es ist nicht sicher, daß im Zuge einer deutsch-polnischen Auseinandersetzung ein Krieg mit dem Westen ausgeschlossen bleibt, dann gilt der Kampf primär England und Frankreidi.“ „Grundsatz: Auseinandersetzung mit Polen — beginnend mit Angriff gegen Polen — ist nur dann von Erfolg, wenn der Westen aus dem Spiel bleibt." „Ist das nicht möglich, dann ist es besser, den Westen anzufallen und dabei Polen zu erledigen.“

„Es ist Sadie geschidtter Politik, Polen zu isolieren.“

„Eine schwerwiegende Frage ist Japan. Wenn audt zunächst aus verschiedenen Gründen einem Zusammengehen mit uns kühl gegenüberstehend, so ist es doch im eigenen Interesse Japans, vorzeitig gegen Ruß-land vorzugehen.“ „Zu Rußland sind wirtsdtaftliche Beziehungen nur möglich, wenn politisdie Beziehungen sich gebessert haben. In Presseerörterungen tritt vorsichtige Haltung in Erscheinung. Es ist nicht ausgeschlossen, daß Rußland sidt an der Zertrümmerung Polens desinteressiert zeigt. Wenn Rußland weiter gegen uns treibt, kann das Verhältnis mit Japan enger werden.“

„Ein Bündnis mit Frankreich-England-Rußland gegen Deutschland-Italien-Japan würde mich veranlassen, mit wenigen vernichtenden Schlägen England und Frankreich anzugreifen. Der Führer zweifelt an der Möglichkeit einer friedlichen Auseinandersetzung mit England. Es ist notwendig, sich auf die Auseinandersetzung vorzubereiten. England sieht in unserer Entwicklung die Fundierung einer Hegemoniemadit, die England entkräften würde. England ist daher unser Feind, und die Auseinandersetzung mit England geht auf Leben und Tod.“ „Wie sieht diese Auseinandersetzung aus?“

„England kann Deutschland nicht in wenigen zügigen Streichen erledigen und uns niederzwingen. Für England ist es entscheidend, den Krieg möglichst nahe an das Ruhrgebiet heranzutragen. Man wird französisches Blut nicht sparen (Westwall!). Der Besitz des Ruhrgebietes entscheidet die Dauer unseres Widerstandes.“ „Die holländischen und belgischen Luftstützpunkte müssen militärisch besetzt werden. Auf Neutralitätserklärungen kann nichts gegeben werden. Wollen Frankreich und England es beim Krieg Deutschland-Polen zu einer Auseinandersetzung kommen lassen, dann werden sie Holland und Belgien in ihrer Neutralität unterstützen und Befestigungen bauen lassen, um die beiden Länder schließlich zum Mitgehen zu zwingen.“

„Belgien und Holland werden, wenn auch protestierend, dem Druck nachgeben.“

„Wir müssen daher, wenn bei polnischem Krieg England eingreifen will, blitzartig Holland angreifen. Erstrebenswert ist es, eine neue Verteidigungslinie auf holländischem Gebiet bis Zuider-See zu gewinnen.“ „Der Krieg mit England und Frankreich wird ein Krieg auf Leben und Tod.“

Und jetzt eine für Hitlers Vision besonders merkwürdige Stelle, deren Konsequenzen bis zum Nichts führen und in der die vollkommene Unfähigkeit dieses Menschen zum Ausdruck kommt, das ihm seiner Meinung nach anvertraute Volk wie ein Lotse durch angebliche oder wirkliche Gefahren hindurch zu führen, seine Zwangsvorstellung, die darin besteht, das Schiff lieber auf die Klippen zu werfen, als eine Durchfahrt zu suchen: „Die Ansicht, sich billig loskaufen zu können, ist gefährlich, sie gibt es nicht. Die Brüelten sind dann abzubrechen, und es handelt sich nicht mehr um Recht oder Unredtt, sondern um Sein oder Nichtsein von 80 Millionen Menschen.“

„Frage: Kurzer oder langer Krieg?“

„Jede Wehrmacht bzw. Staatsführung hat den kurzen Krieg anzustreben. Die Staatsführung hat sich dagegen jedoch auch auf den Krieg von 10 bis 15jähriger Dauer einzurichtenf!).“

„Es war immer in der Geschichte so, daß man an kurze Kriege glaubte. 1914 war man noch der Ansicht, lange Kriege nicht finanzieren zu können. Audi heute spukt die Auffassung in manchen Köpfen. Dagegen wird jeder Staat so lange wie möglidt aushalten, wenn nicht sofort eine wesentliche Sdtwädtung (z. B. Ruhrgebiet) eintritt. England hat ähnliche Sdtwächen.“

„England weiß, daß der unglücklidte Kriegsausgang das Ende seiner Weltmacht bedeutet.“ „England ist der Motor, der gegen Deutsdiland treibt. Seine Stärke liegt in folgendem:“

„ 1. Der Brite selbst ist stolz, tapfer, zäh, widerstandsfähig und organisatorisch begabt. Weiß jeden Fortschritt auszuwerten. Er hat das Abenteurertum und den Mut der nordischen Rasse. Mit der Verbreiterung sinkt die Qualität. Der deutsche Querschnitt ist besser.“ „ 2. Die Weltmacht an sich. Seit 300 Jahren konstant. Vergrößert um Verbündete. Die Macht ist nicht nur real, sondern auch als die psychologisch erdumspannende zu betrachten.

Dazu kommt der unermeßliche Reichtum mit der damit verbundenen Kreditwürdigkeit.“ „ 3. Die geopolitische Sicherung und Beschirmung durch eine starke Seemadit und eine tapfere Luftwaffe.“

„Englands Schwädte:

Wenn wir im (letzten) Kriege 2 Panzerschiffe und 2 Kreuzer mehr gehabt hätten und die Skagerraksdtladtt am Morgen begonnen hätte, dann wäre die britische Flotte geschlagen worden, und England wäre in die Knie gezwungen worden.“ „Es hätte das Ende des Weltkrieges bedeutet. Früher genügte es nidtt, die Flotte zu schlagen, man mußte landen, um England zu be siegen. England konnte sich selbst ernähren. Das ist heute nicht mehr möglich.“

„Im Augenblick, wo England von seiner Zufuhr abgeschnitten ist, ist es zur Kapitulation gezwungen. Die Lebensmittel-und Betriebsstoffzufuhr ist vom Schutz durch die Flotte abhängig. Der Angriff der Luftwaffe gegen England im Mutterland zwingt England nicht an einem Tag zu Kapitulation. Wird jedoch die Flotte vernichtet, so ist unmittelbare Kapitulation die Folge.“

„Es ist kein Zweifel, daß der überraschende Überfall zu einer schnellen Lösung führen kann. Es ist jedoch verbrecherisch, wenn die Staats-führung sich auf die Überraschung verlassen sollte.“ „Die Überraschung kann erfahrungsgemäß scheitern an:

1. Verrat aus größerem Kreis militärischer Fachbearbeiter;

2. blödsinnigem Zufall, der die ganze Aktion zusammenbrechen läßt;

3. menschlicher Unzulänglichkeit;

4. Witterungsverhältnissen.“

„Der Termin zum Lossdtlagen muß lange vorher bestimmt werden. Darüber hinaus kann man aber nicht lange in Spannung leben. Es muß damit gerechnet werden, daß die Witterungsverhältnisse überraschendes Eingreifen von Flotte und Luftwaffe unmöglich machen.“

„Dies muß der Bearbeitung als ungünstigste Grundlage zugrunde gelegt werden.“

„ 1. Anzustreben bleibt, dem Gegner zu Beginn einen oder den vernichtenden Schlag beizubringen. Hierbei spielen Recht oder Unrecht oder Verträge keine Rolle.“

„Dies ist nur möglich, wenn man nicht durch Polen in einen Krieg mit England hineinschlittert.“

„ 2. Vorzubereiten ist der lange Krieg neben dem überraschenden Überfall unter Zerschlagen der englischen Möglichkeiten auf dem Festland. “

„Das Heer hat die Positionen in Besitz zu nehmen, die für Flotte und Luftwaffe wichtig sind. Gelingt es, Holland und Belgien zu besetzen und zu sichern sowie Frankreich zu schlagen, dann ist die Basis für einen erfolgreichen Krieg gegen England geschaffen.“ „Die Luftwaffe kann dann von Westsrankreich aus die engere Blokkade Englands, die Flotte mit den U-Booten die weitere übernehmen.

Folgen: England kann auf dem Kontinent nicht kämpfen, die täglichen Angriffe der Luftwaffe und Kriegsmarine zersdtneiden . sämtliche Lebensadern.

Die Zeit entscheidet gegen England (!).

Deutsdtland verblutet nicht zu Lande.

Diese Kriegführung ist in ihrer Notwendigkeit bewiesen durch den Weltkrieg und die kriegerischen Handlungen seither.

Aus dem Weltkrieg ergeben sidt verpflichtende Rückschlüsse für die Kriegführung: 1. Bei einer stärkeren Kriegsmarine zu Beginn des Weltkrieges oder einem Abdrehen des Heeres auf die Kanalhäfen hätte der Krieg einen anderen Ausgang genommen. 2. Ein Land ist durdt die Luftwaffe nidtt niederzuzwingen. Es können alle Objekte gleichzeitig angegriffen werden, und wenige Minuten Zeitunterschiede rufen die Abwehr auf den Plan.

3. Wichtig ist der rücksichtslose Einsatz aller Mittel.

4. Hat erst einmal das Heer im Zusammenwirken mit Luftwaffe und Kriegsmarine die wichtigsten Positionen genommen, dann fließt die industrielle Produktion nicht mehr in das Danaidenfaß der Schlachten des Heeres, sondern kommt der Luftwaffe und der Kriegsmarine zugute.

Daher muß das Heer in der Lage sein, diese Positionen einzunehmen.

Der planmäßige Angriff ist vorzubreiten.

Das zu studieren, ist wichtigste Aufgabe.

Ziel ist immer, England auf die Knie zu zwingen." „}ede Waffe trägt die scliladttentscheidende Wirkung nur so lange in sielt, als sie der Feind nicht besitzt.“ „Das gilt für Gas, U-Boote und die Luftwaffe. Für die letztere traf das zu, so lange z. B. auf der englischen Flotte keine Abwehr vorhanden war; das wird 1940 und 1941 nicht wehr zutreffen. Gegen Polen z, B. wird die Tankwaffe wirksam sein, da der polnischen Armee die Abwehr fehlt.“ '„Wo die Wirkung entscheidend nicht mehr zu bewerten ist, tritt an ihre Stelle die Überraschung und der geniale Einsatz.“

Diesen Ausführungen Hitlers folgen weitere, die er über das Angriffsprogramm gemacht hat. Dort lesen wir unter anderem: „Die Nachbarstaaten müssen aus der Kaserne heraus überrannt werden." „Auch Italien oder Japan gegenüber muß die Zielsetzung geheim bleiben."

„Der Führer hält den Durchbruch durch die Maginotlinie für möglich.

„Niemand darf mehr erfahren, als er wissen muß.“

Die Besprechung, im Verlaufe derer Hitler all dies geäußert haben soll, fand, wie gesagt, am 23. Mai 1939 statt. Er hatte erklärt, Recht oder Unrecht oder Verträge spielten keine Rolle.

Am 31. Mai, zehn Tage später, ließ er von seinem Außenminister Nichtangriffsverträge zwischen Deutschland und Dänemark unterzeichnen und noch eine Woche später, am 7. Juni, folgte der Nichtangriffsvertrag zwischen Deutschland und Estland, am selben Tage der Nichtangriffsvertrag zwischen Deutschland und Lettland, und es erscheint nachträglich unfaßlich, daß die allerzynischste Anwendung der großen Sicherungsmöglichkeit des „Vertrages" nach den Prager Vorgängen im März noch zu den feierlichen Zeremonien der Zeichnung und Gegen-zeichnung führen konnte.

Dasjenige, was in dem Protokoll des Adjutanten Schmundt über die Rede Hitlers vor den Wehrmachtsführern vom 23. Mai und über die Besprechung vom selben Tage zu lesen ist, löst heute, nachdem innerhalb von zwanzig Jahren sich eine ganze Welt verändert hat, einen Schauer aus; ganz abgesehen von den verbrecherischen Zügen, die dem sprechenden Diktator anhaften, wirkt unheimlich die Tatsache, daß, wie jedes Mal, wenn er seine Hintergedanken enthüllt, er bereits schildert, VaS geschehen wird, als sei er nur das Sprachrohr einer bösen Notwen-digkeit.

„Ohne Einbruch in fremde Staaten oder Angreifen fremden Eigentums“ lassen sich die deutschen Probleme nicht lösen, so erklärte er.

„ . . . Die Ansicht, sich billig loskaufen zu können, ist gefährlich, billigen Loskauf gibt es nicht (sic.) Die Brüelten sind abzubrechen, und es handelt sich nicht um Recht oder Unrecht, sondern um Sein oder Nichtsein von 80 Millionen Menschen.“

Hier liegt es: warum soll es sich um Sein oder Nichtsein von 80 Millionen, von denen beständig gesprochen wird, handeln? Hier lastet die -wangsvorstellung! Ist sie vorhanden wegen des unmittelbar Vorhergehenden, des Überfalls auf die Tschechoslowakei, der Inbesitznahme des tschechischen Staatsgebietes, der Auslöschung der tschechoslowakischen Eigenstaatlichkeit? Bis über die Grenzen des Tragbaren, bis zur Preisgabe vertraglicher Verpflichtungen, ja der nationalen Ehre, waren die Mächte gegangen. Sie hatten scheinbar größte Geduld bewiesen, und Hitler hatte auf diese Beweise von Geduld durch Abbruch aller Brüchen geantwortet.

Tatsache ist: Hitler hat keinen Augenblick an einen in München bewiesenen guten Willen der Mächte geglaubt. Er war überzeugt, daß man damals nur versucht hatte, Zeit zu gewinnen, unter dem gleichzeitigen Bestreben, ihn hineinzulegen und zu Übervorteilen. Er war ferner überzeugt, daß Frankreich und England alles dafür einsetzen würden, um mit Rußland zu einem antideutschen Bündnis zu gelangen, ja nochmals: er war von einem totalen Mißtrauen erfüllt, er konnte beim andern nur dasjenige als Beweggrund annehmen, was seinen eigenen Beweggründen entsprach. „England ist der Motor, der gegen Deutschland treibt“

Und dann: „Der Brite ist stolz, tapfer, zäh, widerstandsfähig und organisatorisch begabt. Er hat das Abenteur’rtum und den Mut der nordischen Rasse.“

Das ist „reiner Hitler", ist der Ausdruck dieser ihn ganz beherrschenden Haßliebe zu dem Vereinigten Königreich, die er nie überwunden hat, die ihn in die erstaunlichsten Phantasien gemeinsamer Weltbeherrschung hineintrieb.

Trotzdem aber, ganz primitive Vergeltungswünsche: „England ist unser Feind, und die Auseinandersetzung mit England geht auf Leben und Tod“ und: „Wenn wir im Krieg 2 Panzerschiffe und 2 Kreuzer mehr gehabt hätten . . . wäre England in die Knie gezwungen worden.“

Rußland? Noch vor kurzem Kreuzzugsmentalität und unbestimmte Angst, gemischt mit -ausgesprochener Unterschätzung seiner militärischen Stärke. Jetzt jedoch pendelt die Waage sich aus. „Wirtschaftliche Beziehungen, wenn politische Beziehungen sich gebessert haben", so heißt es. Dann wieder Furcht: „Wenn Rußland gegen uns treibt, kann das Verhältnis mit Japan enger werden!“ Schließlich aber bereits die verzweifelte Vision, und wiederum, und immer noch militärische Unterschätzung des virtuellen Gegners. Immer mehr die leichtsinnigen Aufteilungsgedanken. „Ein Bündnis: Frankreiih-England-Rußland gegen Deutschland würde mich veranlassen“ — hier schon die blinde Raserei der nahe bevorstehenden Wirklichkeit — „mit wenigen vernichtenden Sdtlägen England und Frankreich anzugreifen.“

Bemerkenswert: die Vereinigten Staaten, von denen jedermann seit 1918 wußte, daß die in einem zweiten europäischen, zum Weltkrieg werdenden Konflikt ausschlaggebend sein würden, wurden überhaupt nicht erwähnt. In Hitlers Vorstellung spielte das ungeheure Industriepotential Nordamerikas keinerlei Rolle.

Polen: „Bei erster passender Gelegenheit anzugreifen“, und dann: „Das Problem . Polen ist von Auseinandersetzung mit dem Westen nicht zu trennen,“ und: „Es ist nicht ausgeschlossen, daß Rußland sich an der Zertrümmerung Polens desinteressiert zeigt“; dieses Verhalten Rußlands scheint bereits zur Gewißheit zu werden. „Polen angreifen“, sagt der Reichskanzler, aber er sagt es wie etwas Nebensächliches, er spricht nun von dem 30-Millionen-Volk, das ihn von Rußland trennt, wie er von der Tschechoslowakei gesprochen hatte, wegwerfend, die Polen werden sich nicht kampflos ergeben wie die Tschechoslowaken, sie müssen deshalb isoliert werden.

Danzig: „Danzig ist nicht das Objekt. Es handelt sich für uns um Arrondierung des Lebensraumes im Osten und Sicherstellung der Ernährung.“

Dies ist ganz klar; Danzig war für Hitler wie das Sudetenland ein Vorwand. — „Arrondierung des Lebensraumes im Osten“, heißt vor allem: Ukraine; von diesem Ziel ist der Kanzler nie losgekommen. Um den Kampf gegen den Westen, den dieser unselige Mann für unvermeidlich hält, aufnehmen zu können, muß man im Osten eine Kornkammer haben. Damals kam im Westen der Slogan auf: „Für Danzig sterben?“

Danzig war nicht der Einsatz, um den es ging, es war, wie gesagt, ein Vorwand, vor allem aber war die unglückliche Stadt, je mehr sie künstlich zum Mittelpunkt des Weltinteresses gemacht wurde, derjenige Punkt, an welchem der Funke zünden und die Explosion ausgelöst werden konnte.

Aufzeichnung über ein Gespräch mit Attolico

Wenige Männer haben in den Jahren, die der Katastrophe voran-gingen, auf schwererem Posten gestanden als der polnische Botschafter in Berlin, Joseph Lipski. Er hat innerhalb seiner Instrukionen mit einer bewundernswerten Festigkeit und Würde gehandelt, sicher war er seit 1933 der Mann der deutsch-polnischen Entspannung gewesen, einer der Schöpfer des Abkommens vom Januar 1934, der erfolgreiche Unterhändler bei allen weiteren Annährungsversuchen zwischen den beiden Ländern. Er war in Breslau geboren und beherrschte die deutsche Sprache wie seine eigene, sicher war er, wie ich schon berichtete, einer der bestorientierten Botschafter im damaligen Berlin, niemand kannte die ewig wechselnden Konstellationen unter den führenden Persönlichkeiten des Dritten Reiches so wie er. Auch er ist im Vor-und Nachgeben sehr weit gegangen, hat auf die Reizbarkeit und Empfindlichkeiten der „Führers“ Rücksicht genommen, hat seiner ungeheuren, immer unsicheren, immer nach Bestätigung heischenden Eitelkeit geschmeichelt; wo es aber um polnische Souveränitätsrechte, um die Ehre seines Landes ging, war er felsenfest, und er hat gegen Ende seiner zum Mißlingen verurteilten Mission, von Macht zu Macht mit immer gemessener und beherrschter Strenge gesprochen wie wenig andere. Was er mir damals, als wir beide allein zusammen zu Mittag aßen, mitteilte, ist heute noch wert, sehr genau überlegt zu werden.

Es ist durch einen Boten, den er an seinen italienischen Kollegen schickte, daß mein Gespräch mit meinem Vorgänger auf dem Danziger Posten, Bernardo Attolico zustande kam 26). Ich hatte während der letzten Monate meiner Danziger Mission ein Tagebuch geführt. Dieses Dokument bewahrte ich im Geheimfach eines alten Sekretärs in meiner Privatwohnung auf. Anfang August 1939 hatte ich Anlaß anzunehmen, dieser Schreibtisch sei der Gegenstand besonderen Interesses gewesen. Da wir damals ans Verbrennen der Akten gingen, überließ ich auch diese Aufzeichnungen dem Feuer. Nur einige, mir besonders wichtige Blätter, behielt ich zurück, unter diesen fand sich die Notiz über mein Gespräch mit Attolico, der mir einen sehr starken Eindruck hinterließ, den Eindruck eines im Dienst seines Landes grau gewordenen Ehrenmannes, der in die Zwangslage einer aussichtslosen politischen Aufgabe eingeschlossen war und der alle furchtbaren Aspekte dieser Aussichtslosigkeit mit klarem Auge sah. Der Grund, aus welchem ich diese paar Seiten eines zerstörten Manuskriptes bei mir behielt und sie bis zum 1. September unter hunderten von historischen Notizen zu einem Gegenstand des 17. Jahrhunderts aufbewahrte, die absichtlich jedermann zugänglich, schon seit dem Frühsommer 1939 in meinem Arbeitszimmer lagen, ist der folgende: Neben anderen allgemeinen Bemerkungen des Botschafters, die den Präsidenten des Dreierkomitees interessieren konnten, hat er mir damals ganz privat seine Beurteilung von Weizsäckers mitgeteilt. Ich vermutete damals schon, welchen Mißverständnissen letzterer entgegenging. Da seine Politik im Verlauf der Polenkrise auch mir weniger verständlich war als sein Verhalten während der Auseinandersetzung mit der Tschechoslowakei, fürchtete ich für ihn eine Indiskretion enttäuschter Vertreter des deutschen Widerstandes. Dabei war niemand so weit gegangen wie er, aber auch keiner hatte, um innerhalb des herrschenden Systems weiterwirken zu können, so teuer mit Schweigen, mit Hinnehmen und mit Verstellung bezahlen müssen.

Attolico, den ich vor Jahren in Genf gesehen hatte, erschien mir sehr gealtert, eingefallen, müde.

Hier die Aufzeichnung über das Gespräch mit Attolico:

„ Ich bin krank', sagte er mir, tich werde nidtt mehr lange leben, ich hatte gehofft, npdt einige späte Jahre für mich zu haben, ja, ich wollte jetzt aus dieser furchtbaren Atmosphäre weg. Aber ich kann es nicht, ich mufl diesen Unsinn, diesen verbredterischen Unsinn, diesen drohen- den polnischen Konflikt mit allen mir zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern suchen. Jetzt geht es ums Ganze, wir stehen vor dem zweiten Weltkrieg.'Er spradt überstürzt, leidenschaftlidt, im Atem gehemmt, hielt die Hand aufs Herz, als ob er Schmerzen empfinde. , Aber alles', fuhr er fort, , ist verschworen, überall will man die Katastrophe, die Polen machen es uns furchtbar schwer, hier in Berlin haben wir es mit gefährlidten Narren zu tun, die keine Ahnung haben von der Welt, von den Kräften, die im Augenblick des ersten Sdiusses dieses neuen unseligen Krieges entfesselt werden.'Er wandte sich ab, sagte leiser: , ln Italien ist es nidtt viel besser, es gibt keine reifen, verantwortungsbewußten Männer mehr, es gibt keine Diplomatie mehr, alles wird vom Zaun gebrodren; der Einfluß von Berlin macht sich in verderblicher Weise bemerkbar.'“ „Ich erwiderte Attolico: , Die Widerstandskräfte im Innern Deutschlands sind mächtig, täglich gelangen Leute an mich, welche aufgelehnt, verzweifelt, erbittert, zu allem bereit sind', und ich erwähnte viele einzelne Fälle der letzten Zeit.“ „ , Das sind', sägte der Botschafter, . vereinzelte Konservative, Offiziere, bisweilen auch Sozialisten, aber sie haben keinen Zusammenhang, keine Methode, sie sind unvorsichtig, leichtsinnig, die Deutschen sind keineVerschwörer. Zum Verschwörer gehört alles, was sie nicht haben, Geduld, Menschenkenntnis, Psychologie, Takt, nein, sie werden alle abgeschossen werden, in Lagern verschwinden; gegen Gewaltregierungen, welche zur vollen Anwendung ihrer Gewaltmittel jederzeit bereit sind, gibt es keine Aufstände. Lim gegen solche Verhältnisse anzukämpfen, wie die hiesigen, braucht es keine Ausdauer, eine Verstellungsgabe, ein Geschick, wie es Talleyrand und Fouche besaßen. Wo finden Sie zwischen Rosenheim und Eydtkuhnen einen Talleyrand?'“ „ , Es gibt", sagte er dann, mehr an mich herantretend, sehr leise, , einen Mann, Sie kennen, ihn, er versucht, dieses schwerste Spiel zu spielen, er ist ein deutscher Patriot und auch in seiner Weise ein Europäer, er tut alles, mit bewundernswerter Anspannung, um den Krieg zu verhindern, niemand kann ihn bei irgend etwas behaften, keiner kann ihn überführen, das einzige, was für ihn gefährlich werden kann, ist der Leichtsinn, die Naivität und die Indiskretion der sogenannten Verschwörer. Nehmen Sie beispielsweise einen Mann wie Hassell, er redet und schimpft drauflos, er will immer alles den Engländern sagen und meint, sie hätten nur ein einziges Interesse, eine starke, konservative, mit Ideen von Tirpitz durchsetzte nationale Regierung in Deutschland, womöglich eine Monarchie, einer solchen Regierung hätte dann England volle Sympathie entgegenzubringen, Sympathie aufgebaut auf einem gemeinsamen , Gentleman-Begriff; all das ist dumm wie Vorstellungen von Kadettenschülern. Ja, diese Leute sind gefährlich für den Mann, den ich meine, Sie wissen, dann lispelnd, Weizsäcker, er steht mit Fritsch, mit Beck, mit Witzleben in Verbindung, auch mit Hassell, aber wenn er erreichen will, was sein Ziel ist, wird er gezwungen sein, unter Umständen den einen oder anderen preiszugeben, das ist unvermeidlich.'" „ , Was ist sein Ziel', fragte ich. Der Botschafter hob beide Hände, langsam: . Sein Ziel', erwiderte er, , dasselbe wie das meine, vermeiden, vermeiden, vermeiden!'" „ . Wissen Sie', setzte er hinzu, . alles andere ist leichter, das Leichteste ist emigrieren und protestieren, aber auch Aufstände anzetteln, Komplotte schmieden braucht weniger Kraft und Mut, als der harten Wirklichkeit Tag für Tag das Mögliche abzuringen, ohne Pathos, immer wieder geschlagen, immer wieder beginnend. Dinge scheinbar sanktionierend, die man verabscheut, zäh und ohne jeden Eigennutz, klug, mit beständiger äußerster Aufmerksamkeit und Anspannung. Denken Sie einmal, was das heißt, mit einem Chef wie Ribbentrop, einem Mann ohne jede Voraussetzung, der von nichts eine Ahnung hat, der das internationale Recht ebenso wenig kennt wie die Geschichte, wie die Wirtschaft, einem puren Dilettanten, ausgesprochen unterdurchschnittlich begabt und gefährlich, weil er seine und Mängel selbst spürt infolgedessen die Macht zu Kompensationszwecken mißbraucht, immer zu terrorisieren versucht, alles aufs Äußerste zu treiben, die primitiven Wünsche seines kranken Chefs Hitler noch zu steigern, ihnen extreme Erfüllungen zuteil werden zu lassen. Mit diesem Menschen, tagein tagaus, muß ein Weizsäcker rechnen, mit seiner Ahnungslosigkeit, seiner Wut. Er muß mit ihm rechnen, weil er da ist, diese Tatsache kann er nicht aus der Welt schaffen. Dabei — Sie fragten, was er will — nun fürs erste will er den Krieg um jeden Preis verhindern, wie ich, das war knapp vor der Münchner Krisis noch einmal gelungen, weil niemand bereit war, ob es jetzt nodtmals gelingt? Es ist furchtbar spät. Prag war schon viel zu viel, ja untragbar, auch vor Prag hat Weizsäcker alles unternommen, um Hitler zu bestimmen, im Rahmen der Münchner Abmachungen zu bleiben. Er ist in der direkten Aussprache so weit gegangen, als dies mit diesem monomanen, immer scharf an der Raserei sprechenden Tyrannen überhaupt möglich ist. Und jetzt — denken Sie einmal, was das heißt, was muß er nicht alles überblicken, wenn er diese letzte Katastrophe, den Konflikt mit Polen verhindern will, er muß, was höllisch gefährlich ist, genau darüber informiert sein, was von der SS vorbereitet wird, was ihre unterirdische Arbeit ist. Längst hat ja die offizielle Diplomatie nichts mehr zu sagen, in unseren Systemen sind wir Saurier. Leute wie Schulenberg, wie Moltke können nur tragisch enden, denn sie werden recht gehabt haben, das verzeiht man nicht. Nein, mit Weizsädrer arbeite idt im vollsten Vertrauen zusammen, er ist der einzige.'“

„Ich fragte noch: , Und wenn der Krieg im August losbricht, wenn es nicht verhindert wird, was soll ein solcher Mann dann tun? 1 Attolico trat ans Fenster, klopfte leise an die Sdteiben, wandte sich dann um und sagte mir: , Sterben, das wäre das Beste, es gibt eben auswegslose Lagen, aber ich bin alt, verbraucht, er ist jung und kräftig, ein Seeoffizier, er wird auf seinem Posten bleiben, weil er der einzige ist, der etwas kann. Wissen Sie, er ist ein württembergischer Beamter, er wird aushalten bis zuletzt, unendlich vieles verhindern, Unzählige retten, ohne je mit seinem Namen zu signieren, und dann vor allem, er hält es für nötig, da zu sein, wenn das Ende kommen wird.“ 11 „ , Warum? 1, fragte idt.“

„Mit leiser Ungeduld erwiderte Attolico: . Können Sie mir einen Engländermennen, der im Laufe der Geschidtte sein Land preisgab, weil es eine sdilechte Regierung hatte? Weizsäd^er wird bleiben, solange er kann, damit seine letzte Kompetenz da ist, wo alle Kompetenzen ausgelösdtt wurden, damit jemand da ist, der für die Kontinuität des Staates Sorge trägt, wenn das bittere Ende kommt, wenn das System, das alles ausgehöhlt, alles zerstreut hat, endlich stürzt. 1 “ „ , Es ist heute an dem 1, fügte der Botschafter hinzu, , daß der alte europäische Kontinent entweder die Katastrophe eines neuen Krieges vermeidet oder unfehlbar zugrunde geht. Ich habe mit Ihnen so offen geredet, wie man es von Mann zu Mann tun kann, ich habe Sie durch Lipski gebeten herzukommen, um Sie zu beschwören, es nicht zum Bruch kommen zu lassen in Danzig, sich nicht dön leichten Abgang des Protestes und des Rückzugs in den Westen zu sichern, sondern bis zuletzt nichts unversucht zu lassen, um auszugleichen, zu beschwichtigen, aufzuklären und zu überreden. 1 “ „Ich bemerkte hierzu: , Schon 37, als man mich nach Danzig holte, war es zu spät, man hätte Initiativen ergreifen, den Ereignissen den Wind aus den Segeln nehmen sollen. Man hätte vor allem, das ist meine feste Überzeugung, kein Mittel unversucht lassen sollen, die deutsche Opposition zu stärken, es ist die falsche Nachgiebigkeit der Westmächte, die diese Opposition zugrunde richteten. 1 “ „ , Diese Opposition zu stärken, hatte der Westen keine Interesse', erwiderte Attolico, und er fügte hinzu, , oder wenigstens kein unmittelbares, kein Vordergrundinteresse. Das, was hinter der drohenden Katastrophe steht, sieht heute niemand, es gibt nur nationale Politik, der Völkerbund ist verfrüht entstanden und schon verbraucht, ein Völkerbund ohne die Vereinigten Staaten war nicht möglich, vielleicht ist der Nationalismus an seinem Scheitelpunkt angekommen und geht es nicht mehr weiter, aber er ist am Scheitelpunkt, und wissen Sie, er entspricht der Summe aller Egoismen, der Gruppen, der Einzelnen, der Summe aller Geltungstriebe, er ist im Laufe der Entchristlichung der europäisdcen Welt so langsam entstanden, wie eine Wetterlage, die langsam entsteht und lange hält. Er sei eine Folge der Reformation, des Freiwerdens der Bibel, wird behauptet, aber in Frankreich, dem ersten nationalistisch scharf ausgeprägten Staat, ist er eine Folge der durch die Religionstrennung entstandenen gefährlichen inneren Spannung, bei uns und in Deutschland sehr spät eine Folge der Französischen Revolution und Napoleons. Ja sehr spät, wir machen jetzt erst das 17. Jahrhundert der Franzosen durch, ihr , großes Jahrhundert 1 war ein faschistisches Jahrhundert. 1 11 „ , Sie müssen — verzeihen Sie dieses laute Denken — Sie müssen mit diesem deutschen Kleinbürgernationalismus, mit dem hektischen Nationalismus der Polen wie mit zwei schweren Krankheiten rechnen. Hinter der Gefahr dieser Nationalismen aber steht noch eine viel schwerere, die niemand im vollen Ausmaß erkennt. Reden Sie Beck zu, er ist so klug als eitel, kommt es zum Krieg, so ist auch er verloren, alle sind sie verloren, sagen Sie's ihm. Sie haben mehr Freiheit als ein alter Karrierediplomat. 1 11

Selten hat ein politisches Gespräch mir stärkeren Eindruck hinterlassen

Auf dem Obersalzberg

Punkt neun Uhr morgens flog ich allein mit Albert Forster ab. Der Pilot machte einen Bogen in die Ostsee hinaus, dann gewann er an Höhe. Forster sprach mir von der deutschen Unbesiegbarkeit, später erzählte er von den „Saalkämpfen“ gegen die Kommunisten vor 3 3 und schilderte, wie er einmal einen gegen den Führer hart geworfenen Schemel hatte auffangen und mit Wucht zurückschleudern können. Als der Pilot mitteilte, wir befänden uns über Prag, geriet Forster in einen Zustand vaterländischer Extase, und er verkündete, es würde allen, die dem Willen Hitlers widerstrebten, so ergehen wie den Tschechen oder noch viel schlimmer, denn mit diesen sei man unerhört glimpflich umgegangen.

Wir landeten in Salzburg, nahmen dort einen kurzen Imbiß und fuhren dann im Wagen nach dem Obersalzberg weiter. Am „Berghof'vorbei ging es in Spiralen zum sogenannten Teehaus, dem auf großer Höhe in den Fels gesprengten „Adlerhorst“ des Führers aller Deutschen.

Hier der Bericht über den Besuch und das mit dem Diktator geführte Gespräch, wie ich es am 13. August in Basel den beiden Vertretern von Lord Halifax und von Minister Georges Bonnet, Roger Makins und Minister Pierol Arnal abstattete „H.: Ich hoffe, Sie haben einen angenehmen Flug gehabt. Meine Condor-Maschine ist nicht so schnell wie die Douglas-Maschinen, aber sie ist solider und als Militärflugzeug nützlicher. Sie hält Geschützfeuer besser aus. Sie haben eine anstrengende Woche gehabt. Ich weiß, daß Sie Ihr Bestes getan haben, um eine friedliche Lösung zu finden, aber (sein freundlicher Ausdruck verwandelt sich nun in eine drohende Maske) all Ihre Arbeit ist durch die Polen verdorben worden. Ich habe Forster gesagt, er solle über den Vertreter des Völkerbundes arbeiten. Ich liebe diese Einrichtung nicht, aber ich muß zugeben, daß der Völkerbund in der Saar, und der Danziger Frage im allgemeinen in korrekter Weise verfahren ist Ich unterstreiche, daß Forster auf meine Instruktionen hin gehandelt hat, denn ich weiß, daß Sie objektiv sind. Trotz wirtschaftlicher Repressalien und Drohungen hat Forster nicht in übertriebener Weise gehandelt. Aber die Polen, die noch immer, wie ich glaube, Mitglieder des Völkerbundes sind, machen keinen Gebrauch davon. Am letzten Freitag (dem Tag der Überreichung des polnischen Ultimatums) würde ein Telephonanruf bei Ihnen genügt haben. Die Polen wußten, daß Gespräche möglich waren. Sie hätten keine Note zu senden brauchen. (Herr Forster stimmte hier zu.)“ „B.: Die Verhandlungen sind wegen Kleinigkeiten abgebrochen worden.“ „H.: (ärgerlich): Das ist beklagenswert in einem solch ernsten Augenblick. Chodacki hat auf die Anweisungen von Beck Schritte unternommen, zwei Tage bevor die Angelegenheit im Begriffe war, geregelt zu werden. Er schidtte eine grobe telephonische Botsdiaft. Während Greiser bestritt, daß irgendwelche Maßnahmen gegen die Zollbeamten ergriffen worden seien, posaunte Beck alles in der Presse aus (Wütend . . .) Die Presse sagte, daß ich den Nervenkrieg verloren hätte, daß Drohungen die richtige Behandlung für mich seien, daß wir nachgegeben hätten, als die Polen fest bljeben, daß ich voriges Jahr nur geblufft hätte und daß mein Bluff durdt den polnischen Mut, den die Tsdtedteii nidtt besessen hätten, geplatzt sei. Idt habe idiotisdte Erklärungen in der französisdten Presse gesehen, daß idt meine Nerven verloren habe, die Polen aber die ihren behalten hätten. (Hitler wurde so zornig, daß er einige Augenblidte unfähig war, weiterzuspredten.)“ „B.: Sie machen diesen Journalisten zu viel Ehre, wenn Sie ihre Äußerungen so ernst nehmen. Ein Reichskanzler sollte über solchen Kleinigkeiten stehen.“ „H. (ruhig): Idt kann das nicht. Als Proletarier kann idt wegen meiner Abstammung, meines Aufstiegs und meiner Wesensart die Dinge nicht in dieser Weise sehen. Die Staatsmänner müßten dies begreifen und damit redtnen, wenn sie eine Katastrophe vermeiden wollen. Es ist nicht wahr, daß die britische Regierung keinen Einfluß auf die Presse hat. Die Presse schweigt, wenn die Regierung es wünscht. (Crescendo) Der Staatssekretär hat den polnischen Botsdtafter kommen lassen und ihm gesagt, , welche Stunde geschlagen hat'. Das ist meine Antwort auf Ultimaten und auf den verlorenen Nervenkrieg. (Fortissimo) Wenn der kleinste Zwischenfall sich ereignet, werde ich die Polen ohne Warnung zersdimettern, so daß nidtt eine Spur von Polen nachher zu finden ist. Idt werde wie ein Blitz mit der vollen Macht einer mechanisierten Armee Zuschlägen, von der die Polen keine Ahnung haben. Hören Sie zu." „B.: Ich höre. Idt weiß, daß dies einen allgemeinen Krieg bedeuten wird.“ „H. (erregt und fast beschwörend): Dann soll es eben sein. Wenn ich Krieg zu führen habe, würde ich lieber heute als morgen Krieg führen, Ich würde ihn nidtt wie das Deutschland Wilhelms II. führen, das ständig Gewissensqualen wegen der vollständigen Anwendung seiner Waffengewalt hatte. Ich werde bis zum letzten rücksidttslos kämpfen. (Pause) Idt sagte zu Lloyd George: . Wenn Sie ein Gefreiter gewesen wären im letzten Kriege und idt ein Minister, Sie (das ist England) würden heute in einer anderen Lage sein, als Sie heute sind.“ Italien (und hier hatte idt den Eindruck einer leichten Unsicherheit) wird an meiner Seite kämpfen, was immer gesdtieht. (Zögernd:) Japan audt. Dank meiner Befestigungen werde ich den Westen mit 74 Divisionen halten. Der Rest wird gegen die Polen geworfen, die in drei Wochen liquidiert sein werden. (Die Schweiz hat nichts zu fürchten. Ich werde ihre Neutralität achten.) Wo können Sie midi angreifen? In der Luft? Die Menschen versuchen, mich mit Zahlen und Demonstrationen der Aufrüstung, besonders in der Luft zu beeindrucken. (Hysterisdies Gelächter.) Idt lache, denn idt bin der Spezialist der Aufrüstung, nidtt die andern. Ihre Luft-waffe! England hat 135 000 Mann, Frankreich 75 000. Ich habe in Friedenszeiten 600 000 und 1 000 000 in Kriegszeiten. Meine Flak ist die beste in der Welt, wie sich in Spanien erwiesen hat. Die Russen (und wir kennen sie besser als die'meisten anderen Leute, Hunderte unserer Offiziere haben in Rußland gedient) haben keine Offensivstärke und werden nicht den anderen die Kastanien aus dem Feuer holen. Ein Land mordet nidtt seine Offiziere, wenn es beabsichtigt, einen Krieg zu führen. Wir schlugen die Russen in Spanien. Die Japaner haben sie audt geschlagen. (Zornig:) Man wird uns mit den Russen keine Gänsehaut madten. (Ruhig:) Dieses ewige Gerede über den Krieg ist Narrheit und macht die Völker wahnsinnig. Was ist denn die Frage? Nur daß wir Korn und Holz brauchen. Des Getreides wegen brauche idt Raum im Osten, des Holzes wegen braudte ich eine Kolonie, nur eine. Wir können leben. Unsere Ernten sind im Jahre 1938 und dieses Jahr ausgezeichnet gewesen. Wir können leben, trotz des triumphierenden Gesdtreis anderer darüber, daß wir Hungers sterben. Wir haben diese Ernten erzielt dank der Zähigkeit unseres Volkes und vor allem wegen der Anwendung chemischer Düngemittel. Aber eines Tages wird der Boden genug haben und streiken wie ein Körper, der gedopt wird. Was dann? Idt kann nidtt hinnehmen, daß mein Volk Hunger leidet. Soll ich dann nidit besser zwei Millionen auf dem Sdtlachtfeld lassen, als nodt mehr durdt Hunger zu verlieren! Wir wissen, was es ist, an Hunger sterben. Vielleidtt gibt es bei Ihnen nodt Apostel der Humanität, die sich an 1919 erinnern. Ich möchte nicht, daß sich das wiederholt. (Kreischend:) Idt will das nidtt. Freihandel, offene Grenzen, das ist alles präditig, wir haben es gehabt. Aber wenn alles von der Herrin der Meere abhängt, wenn wir einer Blockade unterworfen werden, dann ist es meine Pflicht, eine Situation zu schaffen, in der mein Volk von seinem eigenen Fett leben kann. Das ist die einzige Frage, alles andere ist Unsinn.“ „Idt habe keine romantischen Ziele. Ich habe keinen Wunsdt, zu herrschen. Vor allem will ich vom Westen nichts, heute nicht und nicht morgen. Ich wünsdte nichts von den dichtbesiedelten Regionen der Welt.

Hier suche idt nidtts und ein für allemal: gar nichts. All die Ideen, die mir die Leute zusdtreiben, sind Erfindungen. Aber ich muß-freie Hand im Osten haben. Noch einmal: Es ist eine Frage des Getreides und des Holzes, die ich nur außerhalb Europas finden kann. Das muß ich in ausreidtender Menge haben. Aber der Punkt, an dem für mich jede Alöglichkeit einer Verhandlung aufhört, ist da, wo man mich besdiimpft und mich durdt Ultimaten Iterausfordert.“ „B.: Idt kam hierher wegen Danzig. Idt habe keine Befugnis, über andere Dinge zu sprechen. Ein neuer Krieg wird der Zivilisation ein Ende bereiten. Das ist eine große Verantwortung für die Zukunft. Es ist besser, in Ehren zu leiden, als solch eine Verantwortung auf sich zu nehmen. Je stärker man ist, desto länger kann man warten. Je größer die eigene Ehre ist, desto mehr Angriffe kann man aushalten. Man hat mir gesagt, daß die Stärke Deutsdtlands klar aus seiner Geduld in der polnisdten und Danziger Frage hervorgeht.“ „H. (heftig): Das ist sehr wichtig. (Zu Forster:) Wir müssen das diesem Ribbentrop sagen.“ „B.: Ich bin vollkommen überzeugt, daß dieses Problem durdt Verhandlungen gelöst werden kann und daß die Westmädtte bereit sind, zu verhandeln.“ . „H. (heftig): Warum hetzen Sie dann die Polen auf, sich mit Ultimaten zu brüsten und uns Ultimaten zu schicken?" „B. (scharf): Es kann keine Rede davon sein. London und Paris üben beständig einen mäßigenden Einfluß auf Warschau aus. Die Danziger Frage ist ganz einfach. Sie betrifft einen internationalen Komplex von Redeten, der nicht länger durch einseitigen Drude, durch Gewalt oder die Drohung mit Gewalt verletzt werden kann.“ „H. (auf den Tisch hauend): Besprechungen! Aber auf welcher Basis? Erinnern Sie sich an die Abriistungsdiskussionen? Ich habe ein annehmbares Angebot an die Polen gemacht. Im März wollte ich, nachdem ich die Kriegsgefahr aus der Tsdiedioslowakei an meiner Südostflanke beseitigt habe, zwei schwelende Feuer, Memel und Danzig, austreten. Jedesmal, wenn ick einen Schritt tue, der durch die Geschichte geboten ist, finde ich England und Frankreich auf meinem 'Wege. Was kann ich denn da tun?“

„B.: Vor dem 15. März galt das Argument des Volkstums. Es entsprach gewissen Naturrechten, die bestehenden internationalen Gesetzen entgegengesetzt waren. Es gab Leute, die mit diesem Argument sympathisierten." „H.: Ja. Der 15. März hat das ungültig gemadtt. Dieser Gesichtspunkt ist mir nicht fremd. Ich habe ihn schon vorher gehört. Aber eine akute Gefahr mußte durch eine gemäßigte Lösung eliminiert werden, die besser war, als man im Ausland dachte. (Ruhig): Es hat vier schwere Zwisdtenfälle in der Tsdtechoslowakei gegeben. Für zwei von ihnen waren die Deutschen verantwortlich: sie sind bestraft worden. Die Intellektuellen waren gegen meine Lösung. Die Arbeiter und Bauern sind zufrieden damit, wie sie es immer mit einfadten Lösungen sind. Sie haben gar keine Vorstellung, wieviel Kriegsmaterial wir in der Tsdiedioslowakei gefunden haben. Es war überraschend, wir konnten kaum unseren Augen trauen, und alles in hervorragender Ordnung! Die Inventare wurden von unseren Soldaten sehr bewundert. Die Tschechen sind ausgezeichnete Beamte und waren es immer, sehr verschieden von den Polen. Die Generalstabspläne der Tschechen waren Bemühungen von Schuljungen, genau, bescheiden und engstirnig, sehr verschieden von den Generalstabsplänen der Polen, die wir besitzen und die alle Visionen Alexanders und Napoleons weit übertreffen. Ihre technische und organisatorische Seite ist aber beklagenswert. Unsere Soldaten sind fest entschlossen angesichts der polnischen Unverschämtheit. Letztes Jahr waren meine Generale vorsichtig, und ich hatte sie voranzutreiben. Dieses Jahr habe ich sie zurückzuhalten. Nach meiner Reichstagsrede umgaben mich meine Generale und sagten mit großer Achtung: Gott sei Dank, haben die Polen nidtt angenommen. Das wäre keine Lösung gewesen. Aber für mich ist es wahr, wenn ich sage, daß es eine Lösung gewesen wäre, nämlidt mein Beitrag für die Sache des Friedens. Später hätte ich versucht, die Frage unserer Agrarbedürfnisse durch eine Konferenz zu regeln.

Wie sehr hätten die Polen in diesem Bereich mitarbeiten können! Durch die exterritoriale Straße wäre den Polen kein Stein aus der Krone gefallen. Die exterritoriale Autobahn und die polnische Straße würden durch Brücken und Tunnels gegenseitig überbrückt worden sein. Sie hätten einander nicht behindert. Unsere abgetrennten Länder würden natürliche Verbindungswege mit dem Reich gehabt haben. Das ist wesentlich für mich.“

„B.: Ist diese Lösung endgültig ausgeschaltet?“ „H. (aufmerksam): Leider endgültig ausgeschaltet durch die Polen. Nadidem sie diese Position eingenommen haben, können sie nicht mehr zurück. Das ist der Jammer (lange Pause, Hitler steht auf und schlägt vor, midi durch seine Besitzung zu führen).“ „H. (auf der Felsterrasse): Wie glücklich bin ich, wenn ich hier bin. Ich habe genug Mühe gehabt. Idi braudie nun meine Ruhe.“ „B. (Beziehungsvoll): Sie drücken die Gefühle der ganzen Welt aus. Sie haben mehr als irgendein anderer die Chance, der Welt die Ruhe zu geben, die sie braucht." „H.: Nein, es ist nicht so. (Entläßt Forster, steht nervös und spricht leise): Wenn ich erkenne, daß England und Frankreich Polen zum Krieg anstacheln, dann würde ich den Krieg heute lieber haben als morgen, dieses Jahr lieber als nädistes Jahr führen." „Aber sicherlich sollte man einen vernünftigen Ausweg finden. Wenn die Polen Danzig absolut in Ruhe lassen, wenn sie nicht versuchen, mich mit falsdten Karten zu überstechen, dann kann ich warten. Aber eine Bedingung ist, daß die Leiden unserer Minderheit in Polen aufhören. Man glaubt mir hier nicht. Aber ich habe befohlen, daß die sen-sationellen Fälle in der Presse nicht erwähnt werden (Kastrierung usw.). -Sie regen die öffentliche Meinung zu sehr auf. Aber ich kann nun die Wahrheit nicht länger zurückhalten. Die Grenze der Duldsamkeit ist erreicht." „Ich bin fähig, Opfer zu bringen, z. B. in Südtirol. Aber man zollt mir keine Anerkennung dafür, und man schreit: Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit! Ich kann politische Opfer bringen, aber alles hat seine Grenzen.“

„Ich habe es nicht immer gewußt, aber nun weiß ich es, daß England und Frankreich unzertrennbar zusammengehören. Das ist die Natur der Dinge. Ich intrigiere gegen diesen Tatbestand nicht, ganz verschieden von den andern, die gegen meine Freundschaft mit Italien intrigieren. Ich habe vier Jahre lang im Schützengraben gegen England und Frankreich gekämpft, und ich erkenne den Mut dieser beiden Völker an. Aber es gibt etwas in den Angelsachsen (und den Amerikanern), was sie zutiefst von uns trennt. Was ist das?“ „B.: Vielleicht ist es die Treue gegenüber Verpflichtungen.“

„H.: Man kann verschieden auslegen. Wir erkennen unsere Taten als das an, was sie sind. Sie heucheln. Ich könnte Beispiele geben.“

„B.: Paix — Pax — Pakt haben eine ähnliche Wurzel, ebenso wie Friede und Freude. Bei den Deutschen ist es eher eine Sache des Gefühls.“ „FL: Wir sind ein Volksstaat, die Engländer ein Empire. Wir sind ein Körper, England ist eine Assoziation.“

„B.: Bei den Tschechen und Slowaken fängt die Idee einer Assoziation an.“

„H. (ruhig): Das Protektorat ist für den Augenblick eine Notwendigkeit. Die Slowaken können tun, was sie wollen. Ich will keinen Druck auf sie ausüben. Sie können bleiben, da wo sie sind, ober wenn sie es wünschen, sich an Ungarn anschließen. Ich werde mich nicht widersetzen. Aber die Ungarn sind nicht fähig, sie zu regieren oder zu organisieren. Ich kehre immer zu derselben Frage zurück: Korn oder Holz. Wenn man darüber reden will, werde ich annehmen. Aber es ist etwas anderes, wenn man mich beschimpft und mich mit Lächerlichkeit überhäuft wie im Mai im letzten Jahre. Ich bluffe nicht. Wenn das geringste in Danzig passiert oder unseren Minderheiten geschieht, werde ich hart Zuschlägen.“

„B.: Forster sagte mir, ich möchte Ihnen eine Frage stellen: Soll ich meine Kinder in Danzig lassen?“ „H.: Es kann jeden Tag in Danzig etwas geschehen, aber nur wenn die Polen es so wollen. Ich glaube, daß ihre Kinder besser in der Schweiz wären."

Ich verabschiede mich.

„H. (traurig): Ich habe mich gefreut, Sie zu sehen. Sie kommen aus einer Welt, die mir fremd ist. Aber ich habe um eine friedliche Lösung gekämpft. Ich habe große Sympathie für einen anderen Mann, Lord Halifax. Man hat mir viel böses über ihn gesagt, aber mein erster Eindruck bleibt bestehen. Ich glaube, daß er ein Mann wäre, der die Dinge in einem großen Maßstab sieht und der eine friedliche Lösung wünscht. Ich hoffe, ihn eines Tages wiederzusehen.“

Der Wortlaut der englischen und der französischen Wiedergabe meiner Berichterstattung ist nicht in jedem Punkt übereinstimmend, die Divergenzen sind aber unwesentlich.

Folgendes wäre hinzuzusetzen:

Im Augenblick, in welchem Hitler von der Felsterrasse in den Hauptraum zurückkehrte, sagte er mir: „Ich möchte, bevor es zu spät ist, nochmals mit einem Engländer reden, der Deutsch kann.“ Ich antwortete: „Sir Nevil Henderson spricht, wie ich höre, fließend deutsch.“ Hitler aber schüttelte den Kopf: „Das hat keinen Sinn“, sagte er, „das ist ein Diplomat mit einer Nelke im Knopfloch, ich möchte mit einem Mann sprechen wie Lord Halifax einer ist, er kann selbst nicht mehr kommen, aber — wie wäre es mit Marschall Ironside, ich höre Gutes von ihm? Können Sie das den Engländern sagen?“

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zum folgenden: Hans Roos: „Polen und Europa — Studien zur polnischen Außenpolitik 1931— 1939", Tübingen, 1957.

  2. Siehe unten.

  3. Jozef Pilsudski, Staatspräsident vom Nov. 1918 bis Dez. 1922. Als Ober-befehlshaber der Armee Sieger gegen die Rote Armee im Aug. 1920 (»Wunder an der Weichsel“).

  4. Hans von Seeckt, geb. 22. 4. 1866 in Schleswig, gest. 27. 12. 1936 in Berlin. Generaloberst, 1920 bis 1926 Chef der Heeresleitung der Reichswehr.

  5. Maksim Litwinow, geb. 17. 7. 1876 in Bialystok, gest. 31. 12. 1951 in Moskau. Nach der Revolution vertrat er 1917— 1919 Sowjetrußland in London. 1930— 1939 war er Volkskommissar des Äußeren. Ohne Rückhalt in der Partei zu haben, stärkte er durch erfolgreiche Politik mit den Westmächten und im Völkerbund die Geltung der UdSSR.

  6. Völkerbundspakt vom 28. 6. 1919. Artikel 16:

  7. Augustinas Voldemaras, geb. 16. 4. 1883 in Dysna a. d. Düna, 1. Ministerpräsident Litauens und Außenminister, 1918— 1922, ferner von 1926 bis 1929.

  8. Jean-Louis Barthou, geb. 25. 8. 1862 in Oloron-Sainte-Marie, gest. 9. 10. 1934 in Marseille. War während 40 Jahren wiederholt Minister, 1913 als Nachfolger Briands Ministerpräsident. 1922— 1926 Präsident der Reparationskommission, 1934 Außenminister (Gegner der Abrüstung).

  9. Bernhard Wilhelm von Bülow, Diplomat, geb. Potsdam 19. 6. 1885, gest, in Berlin am 21. 6. 1936.

  10. Francois-Poncet traf ich nur einmal an einem Lunch bei Weizsäcker. Nachmittags suchte ich ihn in der Botschaft am Pariser Platz auf. Er hatte sich in Deutschland viel Sympathie erworben, weil er mit Talent und Humor auf den in jenen Jahren herrschenden Ton eingegangen war, ohne das geringste von den Interessen preiszugeben, die er zu vertreten hatte. Viele „Worte“ von ihm, meist etwas spät verständen und oft zitiert, machten die Runde. Hitler hatte lange für den hervorragend deutsch sprechenden Botschafter persönliche Sympathie gezeigt, aber derartige Gefühle nützten sich innerhalb politischer Auseinandersetzungen bald ab und konnten sogar gefährlich werden.

  11. Ernst Freiherr von Weizsäcker, geb. 12. 5. 1882 in Stuttgart, gest. 4. 8. 1951 in Lindau. Seit 1920 im diplomat. Dienst. 1938— 1943 Staatssekretär im Auswärtigen Amt.

  12. Konstantin Freiherr von Neurath, geb. 2. 2. 1873 in Klein-Glattbach, gest. 14. 8. 1956 in Enzweihingen. 1932— 1938 deutscher Außenminister.

  13. John Simon, Viscount, geb. 28. 2. 1873 in Manchester, gest. 11. 1. 1954 in London. Seit 1906 liberaler Abgeordneter, 1931— 1935 brit. Außenminister, 1935— 1937 Innenminister, 1937— 1940 Schatzkanzler.

  14. Dieser Bericht, noch in Berlin geschrieben (20. 9. 1937), den ich auf sicherem Wege direkt an den Präsidenten des Dreierkomitees schickte, und von dem weder ich selbst, noch das Völkerbundsarchiv in der UNO in Genf eine Kopie besitzen, wurde mir abschriftlich in zuvorkommenderweise von Sir C. Parrott, dem Archivar des Foreign Office, am 9. 4. 1958 zur Verfügung gestellt.

  15. Ich pflegte, da ich deutsch mit Hitler sprach, ihn mit der im Dritten Reich verbotenen Titulatur Exzellenz anzureden, dadurch markierte ich den Ausländer und Vertreter einer internationalen Institution.

  16. Am 12. 5. 1935 in Warschau.

  17. Japan. •

  18. Italien.

  19. Österreich.

  20. Geäußert weniger als zwei Jahre vor dem deutsch-russischen Pakt.

  21. Bis 1941 waren bisweilen geistige „Uberleistungen" bei Hitler festzustellen, dann versagte die unheilvolle und irreführende Begabung.

  22. Pilsudski.

  23. Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof (Nürnberg 1947 ff.): Protokoll des Adjutanten Schmundt über die Rede Hitlers vor den Wehrmachtsführern. Bd. XXXVII, Seite 546 ff. Die Aufzeichnung, deren Echtheit bisweilen angezweifelt wurde, erscheint mir authentisch. Sie hat den Wert, den alle derartigen Dokumente besitzen, d. h. einen relativen Wert, sie ist wahrscheinlich (wie auch M. Freund annimmt) einige Zeit nach Hitlers Rede, die einem lauten Denken gleichkam, redigiert worden. Der Protokollführer hat Verkürzungen und Akzentverteilungen vorgenommen, aber die Aussage bleibt doch so persönlich und typisch für den Sprechenden, daß an ihrem Hauptinhalt nicht gezweifelt werden kann.

  24. Bernardo Attolico, geb. Canneto (Prov. Bari), 17. 1. 1880, gest. Rom 9. 2. 1942. 1920— 21 Völkerbundskommissar in Danzig. 1922 Untergeneralsekretär des Völkerbundes in Genf. Seit 1927 italienischer Botschafter in Rio de Janeiro, Moskau, 1935— 1940 in Berlin, zuletzt Botschafter beim Heiligen Stuhl. 9

  25. Mit den Herren des Auswärtigen Amtes in Berlin, die in der von Attolico geschilderten Weise sich für die Rettung des deutschen Volkes und Europas einsetzten, verband mich vieles. Dieser Umstand hatte zur Folge, daß ich in deutschen Aktenstücken bisweilen als der „Freund in Genf" bezeichnet wurde.

  26. Brit. Doc. Bd. VI, Nr. 659.

  27. In der englischen Version steht: „that in the question of the Plebiscite in the Saar and of Danzig." — in Danzig hat nie ein Plebiszit stattqefunden.

  28. Im englischen Bericht abweichend und auch vom französischen Bericht verschieden wiedergegeben. Der Inhalt des Satzes ergibt sich aus Hitlers Erwiderung.

  29. Der französisch redigierte Text erschien in den Memoiren Georges Bonnets: „Fin dune Europe“, „Les Editions du cheval aile", Geneve, 1948.

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