Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Der Programmierte Unterricht -Automatisierung der Bildung | APuZ 38/1965 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 38/1965 Artikel 1 Der Programmierte Unterricht -Automatisierung der Bildung Zur schul-und berufspädagogischen Ortsbestimmung des Programmierten Unterrichts

Der Programmierte Unterricht -Automatisierung der Bildung

Alfons Otto Schorb

Abhängigkeit des Bildungssystems von technischen Entwicklungen

Die Bindung des Bildungsgeschehens und der Bildungsmöglichkeiten einer Epoche an die dem Zeitalter verfügbaren außerpädagogischen technischen Möglichkeiten gilt auch für den Programmierten Unterricht. In ihm stellt sich nicht zuerst eine vordringende pädagogische Idee, sondern die Auswirkung außerpädagogischer Kräfte und Vorgänge dar. Auf den ersten Blick mag es scheinen, als hänge das Bildungsniveau, die Dichte der Bildungsdienste und damit die innere Differenzierung des Bildungssystems allein von inneren Faktoren ab, z. B. vom Reichtum der Bildungsideen, der Stärke des Bildungswillens in der Gesellschaft und der Höhe der Bildungsbereitschaft der einzelnen einer Epoche. Wer in diesen Faktoren allein den Schlüssel für die Erklärung der Bildungsverhältnisse eines Zeitalters sucht, muß Fehldeutungen anheimfallen. Er hat nämlich die sehr realen äußeren Bedingungen nicht im Blick, unter denen sich Bildung notwendig vollzieht. Ist die Abhängigkeit des Bildungssystems und der Bildungsformen von den technischen Entwicklungen aufgedeckt, so zeigt sich, daß die ideellen Faktoren mit den technisch-sachlichen eine unauflösbare Einheit bilden. Der Zusammenhang von Bildungsgeschichte und technologischer Entwicklung konnte verborgen bleiben, solange die Einrichtungen und Formen des Bildungswesens an ein einziges Medium, nämlich Schrift und Buchdruck, gebunden waren. Die technologische Komponente der Bildungsgeschichte kann jedoch vor dem Hintergrund der sprunghaften Entwicklung zahlreicher bildungsrelevanter technischer Mittel nicht mehr verborgen bleiben. Im Gegensatz zu Buchdruck und Schrift ist der Zusammenhang der neuen technischen Sachverhalte zum Bereich der Bildung nicht ohne weiteres offenbar. Sind Schule und Bildung einerseits und Schrift und Schule andererseits ihrem Ursprung und Wesen nach von Anfang an unmittelbar verbunden, so wirken die modernen technischen Medien erst über eine Reihe von Zwischenstufen in den pädagogischen Bereich ein. Die entscheidenden Erfindungen fanden weitab vom Bildungssystem statt, und in Distanz zu ihm haben sich Zur schul-und berufspädagogischen Ortsbestimmung des Programmierten Unterrichts.............................................. S. 15 die ersten Formen der Anwendung entwickelt. Die technologischen Sachverhalte, deren Auswirkung im Bereich der Bildung schließlich mit der Erfindung des Buchdruckes vergleichbar sein werden, gruppieren sich um das Schlagwort der Automation. Dieses Stichwort deckt ein Bündel von Sachverhalten: es meint eine bestimmte Produktionstechnik, schließt Sachverhalte der Arbeitsorganisation und Marktregelung ein und umgreift eine Reihe nur soziologisch faßbarer Phänomene. Der überbegriff, in dessen Rahmen die Automation sich einordnet, heißt Rationalisierung und Ökonomisierung der Lebensprozesse.

Automatisierung — altes und allgemeines Motiv

Hier erinnert sich der Bildungshistoriker rasch, daß dieses Thema auch im Umkreis seines Forschungsgegenstandes nicht unbekannt ist. Es klang in eben der Epoche mächtig an, die zugleich den Ursprung des modernen europäischen Bildungswesens darstellt, nämlich im Barock Rationalisierung kann als Leitthema der ersten Epoche der modernen Pädagogik gelten. Freilich wurde es recht bald durch andere Hauptbegriffe verdrängt, so durch das Motiv der Natürlichkeit und der Menschlichkeit Die Ablösung der ersten technologisch und rationalistisch orientierten Begriffsgarnitur durch die zweite, in deren Mittelpunkt Natur und Menschlichkeit stehen, dürfte nicht allein darauf zurückzuführen sein, daß in den späteren Leitbegriffen im ganzen angemessenere Kategorien angesprochen sind als in den früheren. Der kraftvolle Auftakt in der Pädagogik des 17. Jahrhunderts, automatisch bildende Mittel zu suchen, war verbunden mit einem Anspruch, dem die höchsten Ziele menschlichen und außermenschlichen Daseins die Maßstäbe gaben. Daß das ökonomisch-technologische Motiv recht bald zurück-trat, ist nicht in einer inneren Überwindung begründet. Man wird die Ursache wohl eher in dem Sachverhalt zu suchen haben, daß die technische Welt des 17. Jahrhunderts die Verwirklichungsmittel für die weitgespannten Ansprüche nicht zur Verfügung stellen konnte. Das bedeutet, daß der Anspruch nicht grundsätzlich aufgegeben, wohl aber aufgeschoben war bis zu dem Zeitpunkt, an dem die technische Entwicklung in der Lage war, die zureichenden Realisierungsmittel zur Verfügung zu stellen. Dieser Zeitpunkt ist mit der Gegenwart gekommen. Die moderne Regelungstechnik und Elektronik, wissenschaftlich über-baut von der Kybernetik und der Informationswissenschaft, brachte der modernen Gesellschaft in den Bereichen der Produktion und Verwaltung einen ungeahnten Rationalisierungsgewinn ein, indem sie die Effektivität der menschlichen Arbeitskraft durch Zuhilfenahme elektronisch gesteuerter Apparaturen um ein Vielfaches erhöhte. Jeder Blick auf die Verhältnisse im gegenwärtigen Bildungswesen zeigt, daß in diesem Bereich Zustände eingetreten sind, die denen gleichen, die in Verwaltung und Industrie den Rationalisierungstechniken den Weg bereitet haben: öffentliche Erwartung höherer Leistungen bei geringerem Aufwand an menschlicher Arbeitskraft.

Die Grundlage der Automation ist ein vorangehender Denkprozeß, der den Arbeits-und Leistungsvorgang in seine kleinsten Schritte zerlegt, die Elementarteile des Aufbaues in allen Zügen erfaßt und sie mit technischen Apparaturen wieder nachbildet. Dahinter steht ein der Neuzeit angemessener analytisch-synthetischer Geist der unbekümmert in tradierte und tabuierte Ganzheitsprozesse eindringt, sich über ihre Einbettungen in Traditionen hinwegsetzt, die globalen Prozesse in systematische Sequenzen, gebildet aus winzigen Vorgangsgliedern, auflöst und die Reihe aus dem Bereich der naiven Lebensprozesse in das Feld technischer Vorgänge transponiert, um sie dort mit modernen technischen Mitteln wieder zu synthetisieren. Die radikale Analyse verbunden mit der technischen Simulierung erbrachte im Bereich der Wirtschaft und Verwaltung den imposanten Leistungsgewinn, von dem aus nun ein starker Erwartungsdruck auf die gesellschaftlichen Lebensbereiche ausgeht, die sich aus manchen Gründen bisher gegen die Übertragung der Rationalisierungsvorgänge auf ihre Angelegenheiten widersetzt haben. Das Ergebnis des Analyse-Syntheseprozesses ist, daß der einmal entdeckte und in die Sphäre der Technik transponierte Prozeß nicht mehr einmalig und zufällig bleibt, sondern immer wieder auf die genau gleiche Weise wiederholt werden kann. Dadurch wird Massenproduktion möglich.

Im angelsächsischen Raum wurde dieser Prozeß aus den Gebieten der Technik und Verwaltung auf den Bereich der Bildung übertragen. Im Programmierten Unterricht wird der Vorgang der europäischen Pädagogik zur Übernahme präsentiert. Das Angebot trifft nicht in einen unvorbereiteten Raum, denn die Übertragung der Rationalisierungstechniken auf den Bildungsprozeß wurde hier bereits in einer Zeit gedacht und gefordert, als die technische Realisierung noch unmöglich war.

Programmierung als pädagogisches Phänomen

Im angelsächsischen Bereich wurde die Übertragung des Automatisierungsprozesses auf Bildungsvollzüge mit der Bezeichnung „Programmierte Instruktion" verbunden. Bis der Prozeß Europa erreicht hat, ist eine wichtige Wandlung eingetreten: die außerschulische Herkunft ist verdeckt worden und das Phänomen präsentierte sich in Europa bereits als nur innerschulische Erscheinung. Es überrascht hier nicht, wenn in theoretischen Manipulationen versucht wird, die Übertragung der Programmierung auf außerschulische Bereiche theoretisch zu begründen. So gilt für die Öffentlichkeit und Fachwelt weithin die Anwendung programmierter Instruktion für Ausbildungs-und Trainingszüge der Industrie als die Erschließung einer innerschulischen Möglichkeit für außerschulische Aufgaben. Diese Verkehrung ist um so merkwürdiger, als seit der Entstehung des Phänomens, d. h.seit der Übertragung außerschulischer Praktiken auf Bildungsvollzüge, kaum ein Jahrzehnt vergangen ist. Zur rechten Einschätzung der Vorgänge und der zu treffenden Entscheidungen ist es wichtig, sich bewußt zu halten, daß die programmierte Instruktion in den Zusammenhang außerpädagogischer Phänomene gehört und erst in einem zweiten Akt auf Bildung übertragen wurde; genauso wichtig ist es allerdings zu wissen, daß das außerpädagogische Phänomen im Bereich der Bildung auf ein Feld traf, in dem es in Resonanz geriet mit einem älteren theoretischen Horizont, der seit der Entstehung des modernen Bildungswesens bestand. Die Vorgeschichte des Programmierten Unterrichts, besonders in seinem Ursprungsgebiet, dem angelsächsischen Raum, läßt noch etwas von der ursprünglichen Weite spüren. Die Theorie der programmierten Instruktion verrät dort, daß die Reichweite des Prozesses von vornherein sehr groß angelegt war. Es geht nicht um die technologische Nachbildung des Lernprozesses allein, sondern um die Nachbildung menschlichen Verhaltens überhaupt. Alle theoretischen Disziplinen, die sich der Programmierung im Bildungbereich annehmen, zeigen die das Schulsystem übergreifende Weite. Das Lernen ist nur ein Sonderfall. Ist es vor allem die Psychologie, die — wie in den USA — den theoretischen Untergrund für die Programmierung zu liefern hat, so präsentiert sich der Begriff des Verhaltens als der übergreifende: Lernen ist ein Sonderfall von Verhalten. Noch weiter greift die Disziplin, die in Deutschland die theoretischen Grundlagen für die Programmierung des Unterrichts bietet: die Kybernetik. Ihr gilt der Lern-und Bildungsvorgang als ein Prozeß, der wie viele ähnliche im historischen, biologischen und technologischen Bereich den Gesetzen der systematischen Steuerung unterstellt werden kann Der sich in Bildung Befindliche und — enger gesehen — der Lernende stellen ein zu steuerndes System dar, das schließlich den gleichen Gesetzen gehorcht wie biologische Systeme, etwa pflanzliche, oder technologische Systeme, z. B. Computer. Die Vorannahme ist, daß alle beschreibbaren Systeme in präzise Steuerung zu nehmen seien. Gerade diese Reichweite des theoretischen Anspruchs stellt die Pädagogik von ihren traditionellen wert-philosophischen Grundlagen her vor wichtige Entscheidungen. Allerdings muß beachtet werden, daß der theoretische Anspruch nicht notwendig mit äußerster Radikalität durchgeführt werden muß. Der Prozeß des In-die-Steuerung-Nehmens braucht nicht bis zur letzten Konsequenz getrieben zu werden; er kann auf der Strecke angehalten werden. Dieser Sachverhalt zeigt jedoch von vornherein, daß die Praxis des Programmierten Unterrichts abhängig ist von einer vorgängigen theoretischen Ortsbestimmung.

Die pädagogische Aufgabenlawine

Wird die Frage gestellt, wer von der Möglichkeit, die sich aus der theoretischen Zergliederung und nachträglichen technischen Neusynthetisierung und endlosen Wiederholbarkeit eines Prozesses ergibt, vor allem gewinnt, so scheint es, als sei das traditionelle Schulwesen der eigentliche Nutznießer des neuen Verfahrens. Dem steht entgegen, daß die Programmierung keine schulstämmige Erscheinung ist. Die Erfahrungen der USA zeigen, daß die Idee der Programmierung lange Zeit un-aufgegriffen im Raum stehenblieb und daß erst durch das Phänomen des Lehrer-mangels der Sog entstand, der die Anwendung auf pädagogische Prozesse einleitete. Aber nicht nur diese historischen Sachverhalte, sondern auch grundsätzliche bildungssoziologische Überlegungen zeigen, daß der größere Sog aus einer anderen Richtung wirkt. In der modernen Gesellschaft nehmen pädagogische Aufgaben außerhalb tradierter Schulinstitutionen ständig zu. Dies ist ein Zeichen der allgemeinen Kulturdifferenzierung in der modernen Gesellschaft. Zugleich mit der verstärkten Dynamik der Entwicklung zeigt sich die Unmöglichkeit der Steuerung der Vorgänge durch die gewohnten gemächlichen Traditionsprozesse. Es zeigen sich neuerdings Aufgaben einer systematischen pädagogischen Betreuung, z. B. im modernen Wirtschaftsbetrieb, im Bereich der Lebenshilfe für die Bevölkerung aller Altersstufen, in der Bundeswehr, im Raum der politischen Bildung, im Bereich der freien Volksbildung und vielerorts noch. Cha-rakteristisch für den Vorgang des Auftauchens unvermuteter pädagogischer Aufgaben ist, daß die systematische Lehr-und Lernaktivität, die in vergangenen Epochen auf die eigentliche Lernzeit, das systematische Beschulungsalter der Kindheit und Jugend eingegrenzt war, und damit die fachmännische Planung und Durchführung der Bildungsarbeit nun in den Bereich des Erwachsenenalters vorrückt. Es zeigt sich ein allmähliches Einholen von Prozessen und Aufgabenteilen in die Zuständigkeit eines Systems, nämlich des Bildungswesens, das nicht zuerst durch seine Einrichtungen, sondern sehr viel mehr noch durch eine zuständige wissenschaftliche Berufslehre und einen pädagogischen Berufsstand konstituiert wird.

Die pädagogische Aufgabenlawine trifft auf Voraussetzungen in der modernen Gesellschaft, die es nicht möglich machen, daß sie sofort allseitig angegriffen wird. Die Aufgaben sind den realen Bedingungen weit vorausgeeilt. In jeder neuen Aufgabe — sie präsentiert sich meist nur als eine Schwierigkeit — ist der Umriß der möglichen Lösung schon mit angedeutet, so daß sich ablesen läßt, ob die Mittel zur erfolgreichen Lösung in der Gesellschaft vorhanden sind. Man braucht mit den Verantwortlichen in der Politik und damit der Bildungspolitik nicht allzu zimperlich zu sein;

sie können aber auch unverdient Prügel erhalten, wenn ihnen die Schuld an Verhältnissen aufgeladen wird, deren Bedingungen sie nie so in der Hand haben konnten, wie es der Fall sein müßte, wenn sie die Entwicklung hätten erfolgreich steuern sollen. Ist es für die unerwartet aufgetauchten pädagogischen Aufgaben charakteristisch, daß sie sich erstens auf die erwachsene und damit der systematischen pädagogischen Betreuung alten Stiles entwachsene Bevölkerung erstrecken und daß sie zweitens in Expertenform erfolgen, so zeigt sich als größtes Hindernis einer raschen Lösung das schnelle Ausbreiten dieser Aufgaben und ihr Auftauchen in den Bereichen, in denen die Fachpädagogen — sie sind durch Ausbildung und Verbeamtung vorwiegend Schulpädagogen — nicht vorhanden sind. Der Berufspädagogenstand kann den Aufgaben nicht rasch genug folgen.

Emanzipation des Unterrichts von der Schule

Es findet in der Gegenwart zwar eine große pädagogische Emigration aus dem Bereich des institutionalisierten Bildungswesens statt; für die Schule ausgebildete Pädagogen finden sich heute in Personalbüros, in der Öffentlichkeitsarbeit der Verbände und Parteien, in den Redaktionen und Produktionsstätten der Massenmedien. Es kann aber noch keine Rede davon sein, daß sich alle Bereiche des Bedarfs gleichmäßig in den Vorrat pädagogisch-didaktischer Experten teilen. Diese sind vielmehr gebunden an das öffentliche Schulwesen, einmal durch ihre Verbeamtung, mehr aber noch durch die ihnen vermittelte Berufslehre, die bisher nicht eine allgemeindidaktische, sondern auf eine Schulart bezogene Ausbildung ist Deshalb ist nicht nur die allgemeine Feststellung möglich, es bestehe ein Sog zu den Feldern neu entstandener pädagogischer Aufgaben hin und von der Schule weg, der, da Berufspädagogen nicht in genügender Zahl vorhanden sind, sich auf die Möglichkeit des Programmierten Unterrichts überträgt und ihn auf die Bereiche mit Uberbesetzung an pädagogischen Experten-aufgaben bei gleichzeitiger Unterbesetzung mit pädagogischem Expertenpersonal hinzieht; es kann konkreter gesagt werden: in der Entstehung des Programmierten Unterrichts löst sich ein pädagogischer Teilprozeß ab von seiner bisherigen Trägerschaft, die das Monopol besaß, und wird eine frei konvertierbare Möglichkeit. Die Bindung fachmännisch erteilten Unterrichts an einen durch Beamtenstatus und Berufslehre definierten Stand scheint sich in der modernen Kultur als untragbar zu erweisen, weil sich aus der Koppelung eine hinderliche Schwerfälligkeit ergibt. Die Gesellschaft, die sich an ihre historisch gewachsenen Einrichtungen nur bedingt bindet, steht vor der Herausforderung, ihre Delegation wichtiger Aufgaben an das tradierte Bildungssystem zu überprüfen und unter Umständen eine grundlegend neue Bildungspolitik einzuleiten. Der Programmierte Unterricht erweist sich dabei nicht — wie er vielfach angesehen wird — als ein Surrogat, er muß vielmehr angesehen werden als echter, fachmännisch inszenierter Unterricht, dessen Eigentümlichkeit allerdings darin besteht, daß zu seinem Vollzug ein persönlich anwesender Lehrer nicht mehr erforderlich ist. Dabei wird Unterricht gesehen als ein Lehrvollzug, dem die Betreuung der Lernenden notwendig beigegeben ist. Daß der Programmierte Unterricht voller, fachmännisch erteilter Unterricht sein will, wenn auch ein persönlich anwesender Lehrer nicht mehr erforderlich ist, gibt der Unterrichtsprogrammierung feste Entwicklungsziele. Die Tendenz kehrt in den Strukturen der Programme einfachster wie kompliziertester Form wieder. Das einfache lineare Programm drückt das Wesen der Programmierung ebenso aus wie die kompliziertesten Formen. Immer geht die exakte Zieldefinition voran und wird die Schrittfolge nach rückwärts gebaut. Dabei werden die Prozeßelemente sorgsam angeordnet. Wird der lineare Weg verlassen und die verzweigte Form gewählt so wird gewissermaßen das lineare Prinzip nur spielerisch variiert durch ein System von Neben-und Umwegen, die den Eindruck entstehen lassen, als könne sich das Programm sogar den spontanen Reaktionen des Lernenden anpassen. Dabei werden Leitgestalten von fließendem Verkehr und dem Stromfluß in den Schaltungen der Elektronik wirksam. Die Tendenz aber, sei es, daß ein einfaches lineares oder ein kompliziert verzweigtes Programm gewählt wird, ist bei aller Verzweigung des Ab-laufs, ihn innerhalb des steuernden Zugriffs und der Berechenbarkeit zu halten. Man kann die Formtendenz, die dabei wirksam ist, am treffendsten durch den Begriff der Eingatterung bezeichnen. Die freien und offenen Prozesse, die in den traditionellen vorwissenschaftlichen Ganzabläufen ungelenkt sich ereignen, werden eingeholt in sorgsam gebaute Gattersysteme, die ihnen berechen-und überschaubare Wege vorschreiben. Der traditionelle Unterricht der alten Form ist demgegenüber offen. Er lebt von der Kunst der Lehrpersonen, den spontanen Prozeß im Direktkontakt mit den Lernenden auf der Ziellinie zu halten. In der Direktsteuerung, die auch vorbewußten und unentdeckten Einflüssen gegenüber offen ist, erreicht das Geschehen einen ganzheitlichen Charakter, das viele produktive Möglichkeiten enthält, dessen Hinderung aber vor allem darin liegt, daß immer eine anwesende Person zum Vollzug erforderlich ist. Daraus ergibt sich auch der Charakter der Theorie, von der der tradierte Unterricht begleitet wird. Es ist eine Handlungslehre von nur mittlerer Theorizität möglich. Was der Theorie an Geschlossenheit und Exaktheit fehlt, wird durch das Vermögen, naives Situationsverstehen und spontane Reaktionen mit ins Spiel zu bringen, ausgeglichen. Der mittleren Theorizität entspringt eine sehr schwankende Rationalität und damit ein ungleicher Effekt, der in Ausnahmefällen außergewöhnliche Spitzenleistungen möglich macht, in den meisten Fällen aber wenig Ergebnis und Erfolg zeigt, weil der Einsatz der Mittel nicht von einer geschlossenen Theorie gesteuert werden kann und deshalb dem Zufall überlassen bleibt.

Vorauserteilter Unterricht

In der Programmierung wird eine totale Rationalisierung angestrebt. Die notwendige Tendenz geht auf die Aufhellung aller — auch der kleinsten — Bedingungen und Teile des Prozesses und auf ihr Einholen in das Eingatterungssystem. Das Ziel der Programmierung ist, ohne Überraschungen und Widerstände von Seiten des Individuums dieses zu dem definierten Ziel zu führen. Dies ist nur möglich aufgrund einer gewaltigen Vorarbeit. Die entscheidende Steuerung geschieht nicht mehr im Prozeß selbst, sondern wird vorausverlegt in die Aufgabe der vorweg erfolgenden Eingatterung. Demgegenüber ist der traditionelle Unterricht sorgloser urd unbefangener. Er ist auf die Auge-in-Auge-Steuerung gestellt, die Vorausarbeit wird nur mit halber Intensität betrieben. Der Programmierte Unterricht muß alles im voraus erledigen. Nur so kann er der Analogie zu den Verhältnissen in der modernen Produktion nachkommen, die Produktions-und Vollzugsstätte trennt. Der Vorgang des Vorauserledigens ist allerdings viel aufwendiger als jeder andere: er erfordert mehr Zeit als ein aktueller Unterrichtsvollzug und seine Vorbereitung und erfordert auch ein weitaus reicheres und gründlicheres Fachwissen als jener. Er ist auch nicht von einem einzigen Mann zu leisten — höchstens, wenn dieser die Qualitäten verschiedener Berufe und Persönlichkeiten in sich vereinigt. Unterrichtsprogrammierung ist Angelegenheit der Arbeitsgruppe, des Teams Zu ihr gehört der Pädagoge nicht an erster Stelle; er hat lediglich die Stoffquanten vorzuschlagen, die durch das rationalisierte Verfahren bearbeitet werden sollen. Seine Kenntnisse über das Wie der Unterrichtsdurchführung sind allenfalls als Beitrag zu den Vorüberlegungen interessant. Da der Programmierte Unterricht jedoch seine eigenen Durchführungsgesetze hat, sind die Arbeitserfahrungen der Schulpraktiker irrelevant. Wichtiger sind in der Arbeitsgruppe der Psychologe, der die genaue Kenntnis der Lernund Verhaltensgesetze in die Arbeit einbringt, und der Programmierungstechniker, der über die genaue Kenntnis aller erfolgreichen Verfahrensweisen der Voraussteuerung nachfolgender Lernprozesse verfügt. In der deutschen Diskussion um den Programmierten Unterricht wird gelegentlich die Meinung vertreten, dem Lehrer sei mit der Unterrichtsprogrammierung ein zusätzliches Mittel an die Hand gegeben, das er seinem didaktischen Instrumentarium eingliedern kann Das Wesen der Programmierung schließt allerdings den Lehrer als Träger des Programmierungsvorganges aus. Der erfolgreiche Unterrichtsmeister ist ungeeignet für das Verfahren rationalisierter Lehr-Lernsteuerung durch Programme. Seine Meisterschaft bezieht sich auf die Auge-in-Auge-Steuerung der didaktischen Prozesse. Diese wird aber im Programm umgangen; die Eingatterung erfolgt vorausgreifend, so daß bei der späteren Erledigung sich nur noch das ereignen kann, was die vorangehende sorgfältige und systematische Eingatterung angelegt hat. Von der vorausgehenden Eingatterung weiß der praktische Lehrer aber zu wenig, denn alle seine Unterrichtsvorbereitungen laßt er nur als unverbindlichen Entwurf auf, den er durch sein Situationsgeschick im aktuellen Ablauf endgültig steuern und zum angestrebten Ziel führen kann. Es ist ihm nicht möglich, von seinem schließlichen Eingreifenkönnen abzusehen und alles voraus ins Mittel zu verlegen. Da die unmittelbare Direktsteuerung durch einen kundigen Unterrichtsleiter wenig Aufwand erfordert, erweist sich der Weg der Programmierung als ein System hoher Investitionen an Zeit, wissenschaftlicher Intelligenz und Laboratoriumsarbeit und der sehr aufwendigen Entwicklung der Programme in einem langwierigen psychologisch-technischen Arbeitsprozeß. Die Kosten dieses Verfahrens sind so hoch, daß die Konkurrenz mit dem auf den Umkreis einer Klasse eingeschränkten Lehrer ausgeschlossen bleibt. Im Rahmen der lernenden Gruppe („Schulklasse") wird die Direktsteuerung durch eine Lehrperson immer der einfachere Weg sein. Nur wenn von dem Kriterium der unbeschränkten Wiederholbarkeit Gebrauch gemacht wird, erweist die Unterrichtsprogrammierung ihre eigentliche Wirksamkeit. Sie ist auf den Weg des Massenmediums verwiesen. Nur die Großproduktion von Programmen setzt ihre volle Wirkungsmöglichkeit frei. Allein Massenauflagen von Programmen können auch die hohen Kosten der Entwicklung wieder einbringen. Durch diese Notwendigkeit der Massenproduktion rückt der Programmierte Unterricht weitab von seinem Gegenpol, nämlich dem persönlich geführten Unterricht, dessen Ideal die völlige Individualisierung des Bildungsvorganges und sein Ablauf im Du-Kontakt ist. Unterrichtsprogrammierung zielt nicht auf das Individuelle in den Lernenden, sondern auf ihr Allgemeinstes, weil nur auf dessen Grundlage der Charakter als Massenmedium ins Spiel kommen kann. (Es kann dabei außer Betracht bleiben, daß es eine Skala von Ubergangsformen geben wird, wobei eine begreifliche Neigung kommerziell Interessierter besteht, solange der Programmierte Unterricht noch das Signum des ganz Modernen hat, diese Bezeichnung für alle Misch-und Halbformen in Anspruch zu nehmen) Aus der notwendigen Eigenschaft des Programmierten Unterrichts als eines Massenmediums ergibt sich auch seine bildungspolitische Bedeutung. Ohne die multiplikative Eigenschaft wäre der Programmierte Unterricht nur eine interessante didaktische Variante, deren Stellenwert wie der anderer Lehrhilfsmittel schon längst festgelegt wäre.

Unterricht in Konservenform

Zur genauen Positionsbestimmung des Programmierten Unterrichts im Bildungswesen und zur Eingrenzung seiner bildungspolitischen Bedeutung ist noch eine Überlegung erforderlich. Der Blick auf den Ursprung der Unterrichtsprogrammierung hat diese aufgewiesen als ein Phänomen der Übertragung außerpädagogischer Methoden auf die Aufgaben der Bildung und Erziehung. Die Produktionsmethoden der Wirtschaft sind in den Bildungsbereich vorgedrungen. Der Prozeß des Einrückens der Unterrichtsprogrammierung in den Kreis der pädagogischen Hilfsmittel stellt sich dar als der Vorgang eines Niveauausgleiches innerhalb der Gesellschaft; es füllen sich die Räume geringerer Rationalisierung allmählich durch die Übernahme der Rationalisierungstechniken auf. Dabei wird die Analogie sichtbar zu zwei Symbolen des modernen Lebens: zur Konserve und zum Automaten.

Die Konserve schließt Dienste ein und macht sie abruf-und verfügbar weitab von der Produktionsstätte. Der Automat überwindet dabei nicht nur die örtliche, sondern auch die zeitliche Bindung. Er gibt die Dienste frei, unabhängig von Arbeits-und Produktionszeiten. Der Programmierte Unterricht stellt sich dar als Unterricht in Konservenform, der sich zudem der Ausgabemöglichkeiten des Automaten bedient. Durch die Umgestaltung des Unterrichts von einem an persönlich anwesende Menschen und ihre Arbeitszeit gebundenen Vollzug in das leichtverfügbare Mittel der Konserve wird ein großer Gewinn eingeholt: der Unterricht löst sich vom Zeitpunkt seiner Erteilung und von den Personen, die ihn erteilen. Sein Ereignisort kann weitab vom Erteilungspunkt liegen; der Unterrichtsgeber verschwindet hinter den beliebig stapel-und abrufbaren Konserven, überall und jederzeit kann der pädagogische Dienst von einzelnen, von Gruppen oder Systemen abgerufen werden. In diesem Vorgang der Übertragung bestätigt sich erneut die größere Affinität des Programmierten Unterrichts zur Erwachsenenbildungsarbeit. Wendet sich die Schule als fest konstituiertes System der Unterrichtsprogrammierung zu, so mag auch sie große Gewinne damit erreichen, jedoch nur in Addition zu ihren tradierten Verfahren und gesicherten Rezepten. Die Schule verfügt bereits über umfangreiche Mittel und besitzt sehr differenzierte und komplizierte Organisationsformen zum Vollzug des Unterrichts. In den letzten Jahrzehnten hat sie zu der Direktsteuerung des Unterrichts noch das Mittel der indirekten Steuerung hinzugenommen, in Form der so-genannten Arbeitsmittel. Im ganzen wünscht sie, weil sie auf das Ziel individueller Betreuung festgelegt ist, eine vielfache Anwesenheit, ja Allgegenwart des Lehrers, um selbst im Rahmen größerer Gruppen von Lernenden den einzelnen alle Zuwendungen und Förderung zukommen zu lassen. Haben bereits die Arbeitsmittel weitere Lehrhelfer ins Spiel gebracht, so bringt die Programmierung zweite und dritte ganze „Lehrer" in das Klassenzimmer ein. Allerdings kann die Schule als festgefügtes System die extremsten Möglichkeiten, die im Programmierten Unterricht liegen, nicht voll ausschöpfen; der Programmierte Unterricht ist ja seinem Wesen nach abrufbar zu jeder Zeit, auch außerhalb von Lehr-, Schulund Dienstzeiten. Sein Einbringen in die traditionelle Schule ist eine dieses System bereichernde Möglichkeit, aber keine qualitative Veränderung des Systems, sondern nur eine Ausweitung ihrer schon praktizierten Verfahren Der Expertenunterricht war hier ja schon immer zu Hause; er kommt durch den Programmierten Unterricht nicht erst herein, sondern wird nur quantitativ ausgeweitet. Aber außerhalb, im Raume der freien Jugend-und Erwachsenenbildung, tritt durch das Auftauchen des Programmierten Unterrichts eine qualitative Veränderung der Situation auf. Ein kurzer Rückblick kann dies belegen. Ist das plastische Kindes-und Jugendalter mit seiner konstitutionellen Unfertigkeit und Angewiesenheit auf Erwachsenenführung abgelaufen, so gibt es anthropologisch gesehen keine Möglichkeit mehr, über den pädagogischen Partner ähnlich wie in Kindheit und Jugend zu Verfügen. Finden in diesem Alter noch pädagogische Prozesse statt und treten in diesen Prozessen pädagogische Führer bestimmend auf, so leitet sich ihr Mandat nicht mehr von der anthropologischen Unfertigkeit der Partner her, sondern von der freien Selbstverfügung der Erwachsenen über ihr Dasein und seine Möglichkeiten. Freilich kann der Vorgang dieses Selbstverfügens defizient sein. Aber jedes Heranrufen einer pädagogischen Hilfe durch Erwachsene geschieht nicht vor dem möglichen Willensentscheid des Partners, sondern ist selbst ein Willensentscheid — mag er als solcher erkannt werden oder nicht. Bildung im Erwachsenenalter ist immer deligierte Selbst-bildung. Selbstbildung hat aber immer die eigene Sache des Individuums zum Ziel, ist individuelle Bildung. Sie ist darum weniger als die Jugendbildung an eine Generationsgestalt angepaßt, sondern schließt sich an die Eigentümlichkeit des bereits entfalteten individuellen Daseins an. In der Wahl der Bildungsgüter freilich, die nur innerhalb eines epochalen und kulturhistorischen Rahmens vollzogen werden kann, und in der Einlagerung des Bildungsgeschehens in eine nicht ganz vom Individuum willkürlich aufzubauende Wertordnung liegen Grenzen des individuellen Verfügens der erwachsenen Person über ihre Bildungsgestalt. Frei aber ist die Wahl des Zeitpunktes und die Wahl des Ortes, an dem sich die zusätzliche Bildung des Erwachsenen ereignen soll. Hier kann die Gesellschaft nicht mehr Institutionen und Zeit

Ordnungen durch Gesetze vorgeben. Wenn die pädagogisch fachgerechte Hilfe an Personen, d. h. an Lehrexperten, gebunden ist, kann der Unterricht den Menschen über die Jugendzeit hinaus nicht weit genug in ihre individuelle Situation hinein folgen. Er bleibt, wenn er an Personen gebunden ist, fixiert auf die Institution mit konstantem Berufsstand und Arbeitsplan. Alle Umstände der Schulzeit drücken diese Fixierungen aus: Der Mensch muß zur Institution kommen und sich in ihre Zeitordnung hineinbequemen. Ohne daß der Bildungsnehmer genügend viel Zeit mitbringt und die Wege zur Institution auf sich nimmt, kann sich die Bildung in der Jugendzeit nicht vollziehen. Die Gegenleistung der Gesellschaft für das Opfer, sich in die Institutionsordnung hinein-zufügen und sich dort die Bildung zu holen, ist das Zeugnis, die Berechtigung, das Patent.

Gewandelte Rolle des Autodiktaten

Der Autodidakt, der neben oder vor der öffentlichen Institution seine Bildung besorgt, ist zwar keine unbekannte Erscheinung, aber er war bisher grundsätzlich in der Außenseiter-rolle. Dabei ist er von Anfang an die Figur, die das Bildungsbemühen, das dem Erwachsenenalter angemessen ist, am besten repräsentiert. Das Autodidaktentum ist asketischen und genialen Naturen vorbehalten. Die ständige Zunahme pädagogischer Aufgaben jenseits der Schule tendiert allerdings dahin, die Außenseiterrolle des Autodidakten abzubauen und die Selbstbildung zur Normalform werden zu lassen. Es muß Gründe dafür geben, daß trotz des zunehmenden Bedarfs bisher keine Inflation an Autodidakten eingetreten ist. Auch das Autodidaktentum bleibt gebunden an die technologischen Möglichkeiten der Epochen. Eine erste Etappe zu seiner Verallgemeinerung stellte schon die Erfindung des Buchdrucks dar, wenngleich sie noch keine äußerlich sichtbaren Folgen hatte; sie erbrachte aber die unbeschränkte Veröffentlichung der Bildungsmaterialien. Mit der Verbreitung der Druckerzeugnisse und dem raschen Eingehen des Wissens in Publikationen waren die Ergebnisse der Wissenschaften jedermann verfügbar geworden. Sie blieben aber noch unzugänglich, weil ihnen die didaktische Präparation fehlte. Die nackten Informationen waren zwar vorhanden, ihre Umsetzung blieb aber gebunden an die methodische Aufbereitung, die weiterhin Monopol der institutionalisierten Bildungseinrichtungen blieb. Wer sich das Wissen wirklich zu eigen machen wollte, mußte sich in die Monopolzone des agierenden Experten, d. h. in die Schulen, hineinbewegen. Hier ist durch die technologische Entwicklung in der Gegenwart ein tiefgreifender Wandel eingetreten. Der Autodidakt, wenigstens jenseits der Jugendzeit, kann eine allgemeine, normale Möglichkeit werden, und der Ausdruck hebt sich somit selber auf. Der Unterricht, zusammengesetzt aus Wissen, Lehre und Aufnahmehilfe, ist nicht mehr auf Monopol-träger fixiert. Er ist virulent geworden, dringt selber auf vielen Kanälen in die Gesellschaft ein, folgt dem modernen Menschen in alle Lebensbereiche und sucht ihn selbst in der Intimsphäre auf. Er erscheint überall, verteilt sich als anonymer Unterricht — d. h. eine Lehre, die ohne persönliche Handschrift erfolgt — in die moderne Gesellschaft hinein. Schon sind die ersten Anzeichen dafür sichtbar, daß die Gesellschaft dem Wandel entspricht: Prüfungen werden nicht mehr allein die Abschlußveranstaltungen der institutionalisierten Bildungsgänge sein, sie treten vielmehr getrennt von Institutionen und geplantem Unterricht auf. Wenn die Massenmedien den Unterricht von monopolisierten Vollzugs-stätten ablösen und an alle Punkte des gesellschaftlichen Lebens hineintragen können, muß es möglich sein, den Nachweis für Leistungen und Fähigkeiten auch unabhängig von dem Durchlaufen fester Lehrzüge zu erbringen. Teilprozesse dieses Großvorganges sind die Erscheinungen des Fernunterrichts und das Studienfernsehen der öffentlichen Rundfunk-anstalten. Der Programmierte Unterricht stellt sich selbst in diesen Großvorgang ein und nimmt alle Züge an, die ein Hineinbequemen in den allgemeinen Prozeß ermöglichen. Vor allem hat er alle persönliche Autorschaft abgestreift. Er ist objektivierter Unterricht. Nur so wird er auch zum Massenkonsumgut und kann durch eine überregionale Verteilerorganisation aufgegriffen werden. Es ist kein Zufall, daß gerade in der jetzigen Epoche auch der Ausdruck Bildungswerbung gebräuchlich wird. Daß mit dieser Hineinverteilung des fachgerechten Unterrichts in die Gesellschaft seine Bindungen zu den Institutionen und zu dem Berufsstand kritisch und spröde werden, liegt auf der Hand. Programmierter Unterricht ist unverwalteter, ja unverwaltbarer, zumindest schwer verwaltbarer Unterricht. Vielleicht liegt in diesem Sachverhalt einer der Gründe dafür, daß sich die Schulverwaltungen nur zögernd auf das neue Faktum einlassen. Selbst innerhalb der Schule hört diese auf, sie selbst zu sein, wenn sie Programmierten Unterricht aufnimmt; sie läßt fremde pädagogische Aktivitäten und Autorität in sich ein und rückt von den Zonen ab, die sie für die Programmierung freigibt.

Freisetzung für individuelle Bildungshilfe

Bei allen ungewohnten Eigenschaften verbleibt der Programmierte Unterricht in der Dimension der Bildung. Bildung als der für das Verhältnis des Menschen zur Welt und zur eigenen Situation bedeutsame Umgang mit geistigen Inhalten vollzieht sich hier freilich anders als in der gewohnten Schularbeit. Aus dem ehemals offenen und überraschungsreichen Prozeß wird ein sorgsam gesteuertes Ablauf-ganzes. Durch die Programmierung wird ein Ablauf, ein Prozeßteil, der in der offenen Schularbeit keinen festgelegten Platz hatte, zum Ansatzpunkt einer festen Ablaufsordnung. Nicht die Bildung als ganze wird in der Programmierung verfügbar, nur eines ihrer Elemente, meist die Informationseingabe oder ein Training. Da das Angebotene in die individuelle Lebensgestalt eingeht und sich in Bildung umsetzt, ist es noch auf Hilfen angewiesen, die am jeweiligen einzelnen ansetzen und vorläufig in Programmform nicht gegeben werden können. So bleibt Bildung als ganze, selbst wenn sie sich der Hilfe der Programmierung bedient, auf Instrumente wie die Schule und Einrichtungen organisierter Erwachsenenbildung angewiesen. Für die Bildungseinrichtungen aller Art zeigt sich mit der Emigration des Unterrichts nicht ein Aufgabenverlust, aber eine Aufgabenverlagerung. Die Institutionen, aus deren Aufgabenaggregat Information und Instruktion herausgelöst werden, sehen sich freigesetzt für die Aufgabe der Hilfe zur individuellen Bildungseinwandlung. Daß dies kein bloßer Versuch ist, einen Substanzverlust mit einer humanitären Phrase zu bemänteln, bedarf noch eines Belegs. Es ist nämlich nicht einzusehen, warum die moderne Gesellschaft, die sich vor dem Hintergrund der Industrialisierung in der Programmierung ein Instrument entwickelt, durch das der Bildungsvollzug frei wird von der Bindung an schwerfällige Institutionen und an Mangelberufe, auf halbem Wege Stehenbleiben und das neue Mittel nur für nebensächliche Teilaufgaben einsetzen sollte, während die pädagogischen Hauptanliegen weiter mit den traditionellen Mitteln gelöst werden. Es sind nicht die Motive des Gebrauchs, sondern seine Eigentümlichkeiten selber, die die Anwendung des Mittels der Programmierung auf Teilaufgaben der Bildung eingrenzen. Die innere Tendenz des Mittels läuft sich fest in einer Gesellschaft, in der die Bildung auf die Werte der Person und nicht allein auf die Interessen des Kollektivs eingestellt ist. Hier zeigt sich die Problematik des Programmierten Unterrichts in engem Zusammenhang mit den Wert-und Leitvorstellungen der Gesellschaft. Der Kommunismus, wenn er in seiner Anthropologie von der wesenhaft kollektiven Verfassung des Menschen ausgeht, wird das Instrument der Programmierung anders handhaben als die Demokratie, die durch die Bildung die personale Existenz ihrer Glieder zu garantieren hat. Das Interesse eines Mittels, das wesenhaft Massen-medium ist, erlahmt, wo nur noch individuelle einzelne betroffen werden. Dies bedeutet, daß nur Aufgaben von allgemeinem Charakter programmiert werden und die individuellen Bildungshilfen Angelegenheit persönlich unmittelbaren Umgangs einzelner bleiben.

Im übrigen zeigt sich an dieser Stelle, daß sich der Akzent in der Bildungsarbeit bei der Einführung der Programmierung von der Frage nach dem Wie zu der Frage nach dem Was verschiebt. In der traditionellen Didaktik hat das Wie den breitesten Raum eingenommen. Die Frage nach den Methoden steht bei der Unterrichtsprogrammierung nur am Anfang im Vordergrund. Ist die Frage, wie der Lernprozeß der einzelnen fernzusteuern ist, von den beteiligten Wissenschaften erforscht und sind die Prinzipien der Programmierung grundsätzlich entwickelt, bleibt nur noch die Frage nach dem Was. Es liegt im Charakter des Mittels, daß nur Inhalte von großer Allgemeinheit in die kostspieligen Verfahren der Programmierung einbezogen werden. Wenn der Programmierte Unterricht auf die Massenverteilungsorganisation der modernen Gesellschaft angewiesen bleibt, wagt er sich nicht heran an das, was nur für einzelne oder kleine Kreise interessant ist.

Neue Formen und Träger einer Allgemeinbildung

Die Programmierung hat so eine innere Nähe zum inhaltlich Allgemeinen. Ihre Einführung erweist sich dabei als Teil des Prozesses der notwendigen Kulturvereinheitlichung in der modernen Welt, auf den die gegenwärtige Menschheit angewiesen ist. Die Höhe der kulturellen Leistung einer Gesellschaft hängt ab von dem gemeinsam geteilten Besitz an Wissen, Begriffen und Inhalten. Aus dem allgemeinen Informationsniveau heben sich die individuellen kulturellen Leistungen der einzelnen ab.

Sie stehen in innerem Zusammenhang mit dem vorgegebenen Informationsniveau der Träger-gesellschaft. Der Programmierte Unterricht zeigt sich seinem Wesen nach in der Dimension der Allgemeinbildung, die sich in der modernen Gesellschaft neu definiert durch das Maß der von allen rezipierten Information und das durchschnittliche Niveau ihrer Verarbeitung. Wo die Gesellschaft die Programmierung einsetzt, betreibt sie Allgemeinbildung auf neuen Wegen. Offenbar tritt dabei eine Umschichtung der Organe ein, die diese neue Allgemeinbildung anstoßen und vollziehen. Es dürfte nicht zuletzt das zögernde Abwarten der Kulturverwaltung sein, das neue Träger ins Spiel bringt. Sie ist, wiewohl es sich bei der Programmierung um ein Mittel handelt, das seinem Wesen nach auf das Allgemeine und Öffentliche eingestellt ist, verlegen wegen der Tendenz des Instruments, sich im Gegensatz zu dem von Lehrern erteilten Unterricht der Institutionalisierung zu entziehen, und den offenen Markt, den freien unverwalteten Austausch zu suchen. Private Initiative reicht wohl nicht weit genug angesichts des Umfangs an wissenschaftlicher Arbeit und finanziellen Mitteln, die einzusetzen sind, um die in der Unterrichtsprogrammierung liegenden Möglichkeiten für das gesamte Bildungssystem zu erschließen. Ein Beispiel dafür, daß die moderne Gesellschaft den neuen Aufgaben angemessene Lösungen zu entwickeln vermag, geben die öffentlichen Stiftungen, wenn sie sich der Förderung und Erforschung neuer Wege auch im Bildungswesen zuwenden. In Deutschland ist es die Stiftung Volkswagenwerk, die den übrigen Förderungseinrichtungen mit dem Beispiel einer großen Aktion vorangegangen ist. Die Mittel, die sie zur Erforschung der Unterrichtsprogrammierung zur Verfügung gestellt hat, ermöglichten zahlreiche großangelegte wissenschaftliche Untersuchungen. Die Konseguenz des Einsatzes von Millionenbeträgen für die Erforschung der Zusammenhänge des Programmierten Unterrichts kann ein zweifacher sein:

einmal ein gewünschter, nämlich die Vorbereitung öffentlicher Initiative durch das Bereitstellen der zureichenden wissenschaftlichen Grundlagen für bildungspolitische Aktionen, oder ein unerwünschter, nämlich eine ungewollte bildungspolitische Machtausübung, in die sich die Förderungsinitiative umwandelt, wenn sie keine Fortsetzung in großen schulpolitischen Aktionen findet.

Zusammenfassend zeigt sich die Unterrichts-programmierung als eine pädagogisch hoch-bedeutsame Möglichkeit in Resonanz mit den Haupttendenzen der Gegenwart. In ihr drückt sich vor allem das Phänomen einer steigenden Veröffentlichung von Bildung aus, das im Zusammenhang steht mit der Idee der Demokratisierung bei gleichzeitiger Ausrichtung der Bildung auf das Mündigwerden des einzelnen. Die Programmierung ist nicht die einzige Erscheinungsweise des Vollzugs von Bildungsteilaufgaben auf neuen Wegen. Auch Fernunterricht und Bildungsfernsehen sind Ausdrucksformen des gleichen Grundvorgangs. Nirgends jedoch stellt sich die Tendenz des fachmännischen Unterrichts, sich von den Institutionen loszulösen, so radikal dar wie in der programmierten Instruktion. Sie führt bis an die Grenze heran, an der Gestalteinheitlichkeit und organischer Zusammenhang, die wesentliche Bestimmungen von Bildung sind, in die Gefahr geraten, zu zerfließen in eine Menge von Zufälligkeiten und Bildungsbruchstücken. Mit der Loslösung des fachmännischen Unterrichts von Institution und Berufsstand wird erstmalig seit der Erfindung des Buchdrucks ein neues Plateau für den Vollzug der Bildung erreicht. Zusammen mit dem Bildungsfern-sehen und dem Fernunterricht richtet sich die Bildung auf der Ebene der modernen Kommunikationsmöglichkeiten ein. Sie entzieht sich so der völligen Bewältigung durch den einzelnen und präsentiert sich der Gesellschaft vor allem als eine Herausforderung zu großen bildungspolitischen Aktionen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Besonders bei Joh. Amos Comenius.

  2. „Natürlichkeit" kann als Hauptbegriff der Pädagogik Rousseaus gelten; „Menschlichkeit" bestimmt die Erziehungsauffassung Pestalozzis

  3. Ein Beispiel bietet die moderne Chemie, die auf der Grundlage der aus Naturverbindungen heraus-analysierten Elemente synthetische Neustoffe entwickelt.

  4. Vgl. die bei H. Frank zutage tretende Auffassung (Kybernetische Grundlagen der Pädagogik, Baden-Baden 1962).

  5. Vgl. u. a. W. Schramm, Programmierter Unterricht heute und morgen, Berlin 1963, S. 9 f.

  6. Der Gedanke einer schulartunabhängigen Lehrerbildung taucht erst neuerdings in letzten Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs-und Bildungswesen auf (Empfehlungen und Gutachten, Folge 10, Stuttgart 1965).

  7. Sogenannte Skinner-Programme, nach dem amerikanischen Psychologen Skinner.

  8. Sogenannte Crowder-Programme, nach dem amerikanischen Programmtheoretiker N. Crowder.

  9. Vergl. hierzu Zielinski/Schöler, Methodik des Programmierten Unterrichts, Ratingen 1965, S. 37 f.

  10. Hiervon geht u. a. A. Witte aus: Das Lernprogramm im Unterricht, in: Pädagogische Provinz, H 6, Juni 1965, S. 285.

  11. Vergl.den Aufsatz von A. Witte.

Weitere Inhalte

Alfons Otto Sc h o r b , Dr. phil., o. Professor für Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Rheinland, Abteilung Bonn; geb. 1921 in Forchheim b. Karlsruhe. Veröffentlichungen u. a.: Erzogenes Ich — erziehendes Du, 1958; Für und wider den Rahmenplan, 1960; Schule und Lehrer an der Zeitschwelle, 1962; Schule — Lehrer — Mensch, 1964; Unterrichtsmitschau; Fernsehanlagen im Dienste pädagogischer Ausbildung, 1965.