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Zur schul-und berufspädagogischen Ortsbestimmung des Programmierten Unterrichts | APuZ 38/1965 | bpb.de

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APuZ 38/1965 Artikel 1 Der Programmierte Unterricht -Automatisierung der Bildung Zur schul-und berufspädagogischen Ortsbestimmung des Programmierten Unterrichts

Zur schul-und berufspädagogischen Ortsbestimmung des Programmierten Unterrichts

Alfons Otto Schorb

1. Der Programmierte Unterricht verlangt eigene Organisationsweisen des Lernvollzugs. Mit dieser Tendenz greift er in das Gefüge der Institutionen ein, die Bildung und Ausbildung zur Aufgabe haben.

Der Programmierte Unterricht ist heute nicht nur mehr bloß eine theoretische Forderung, sondern in manchen Ländern eine festverankerte Praxis. Seinen theoretischen Voraussetzungen nach ist er keineswegs ein einheitliches Phänomen, denn zu seiner Fundierung werden verschiedene Richtungen der Lernpsychologie herangezogen: die besonders in den Vereinigten Staaten verbreitete Verhaltenspsychologie (Behaviorismus), die Kybernetik und die Informationstheorie. Diese wissenschaftlichen Disziplinen stimmen in ihren Grundannahmen keineswegs überein, und dennoch ist der Programmierte Unterricht in der Praxis eine Erscheinung von großer Einheitlichkeit. Programmierter Unterricht, wie er theoretisch auch begründet sein mag, ist sich darin gleich, daß er den Lern-und Lehrprozeß unabhängig zu machen sucht von einer Auge-in-Auge-Steuerung. Der Prozeß wird mediatisiert, ins Mittel verlegt, das so sorgsam vorpräpariert wird, daß der erfolgreiche Ablauf des Prozesses unausweichlich wird. Damit wird das Lehr-Lerngeschehen unabhängig von der Person der Lehrenden und den Zufällen ihrer Ausbildung, Berufsauffassung, Leistungsfähigkeit usw. Das Mittel ermöglicht einen Massenvollzug des Bildungsvorganges auf gleichem inhaltlichem und didaktischem Niveau. Unter den lernrelevanten menschlichen Eigenschaften können nur diejenigen eine Rolle spielen, die der menschliche Lernende mit anderen lernenden Systemen teilt. Darum werden allgemeinbiologische und psychophysische Eigenschaften wie Reaktionen, Reflexe, einfache Kombinationen, Gedächtnis, kurz alles, was in einem Zirkel gesetzmäßiger und überschaubarer Vel Läufe bleibt, einbezogen, nicht aber Spontaneität und schöpferischer Einfall. Das programmierte Lehren und Lernen zeigt zwar viele Gleichheiten mit bekannten Lernvollzügen in den Schulen und Ausbildungsgängen, aber ebenso viele Unterschiede. Ein Hauptunterschied liegt in der Vorverfertigung und Vorausfestlegung des Ablaufs, die außerhalb des Bildungs-und Ausbildungsgeschehens vorgenommen werden. Im Prozeß findet nur noch ein „Abarbeiten" des Programms statt; alle inhaltlichen und formalen Entscheidungen sind bereits außerhalb gefallen. Die Akte ist schon immer geschlossen, wenn der tatsächliche Lernprozeß beginnt. Der diesen Prozeß betreuende Fachmann braucht kein selbständiger Vermittler, kein Lehrer mehr zu sein, sondern nur noch Einhelfer. Es wird die pädagogische Mitwirkung von Hilfspersonal sinnvoll, das einen weitaus geringeren fachlichen Ausbildungsstand zeigt als der Lehrer und Lehrmeister.

Auch räumliche Folgen hat das neue Verfahren. Es ist keine Ballung der Lernenden mehr nötig. Programme können grundsätzlich an jedem Punkt bearbeitet werden. Es ist nicht mehr erforderlich, daß sich dazu die Schüler unbedingt in einem Schulgebäude versammeln. Eine Funktion, die bei der Entstehung des modernen Schulwesens aus der Familie ausgegliedert wurde, könnte nun, nachdem in der geistigen und technischen Entwicklung die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, wieder in die Familien zurückgenommen werden. Die Planung des Ortes und der Zeit für die Bildungsabläufe waren wesentliche Komponenten der traditionellen Ausbildungsgänge in Schule und Berufslehre. Dieses zeitliche und räumliche Zusammenziehen kann zwar als unwillkommene Einschränkung angesehen werden, sie brachte aber den Vorteil eines großen inhaltlichen Reichtums ein, der daraus hervorging, daß im persönlichen Zusammensein von Lehrern und Schülern die Spontaneität beider einbezogen werden konnte.

Die Tendenzen des Programmierten Unterrichts könnte man so zusammenfassen: Pro-B grammierter Unterricht stellt keine Ansprüche an Ort und Zeit, höchstens an das Lebens-und Bildungsalter der Lernenden. Es werden keine besonderen Forderungen an die Individualitäten gestellt, denn diese sind den Programmmachern ja nicht bekannt. Das Programm sucht auch von allzu hohen Ansprüchen an die Intelligenzhöhe, den Lernwillen usw.der künftigen Programmbenutzer loszukommen. Nur so ist es möglich, daß bei mehr als 90 Prozent aller Lernenden ein Erfolg garantiert werden kann. Äußere Voraussetzungen sind ein ruhiger, ablenkungsarmer Arbeitsraum, die Bereitstellung der Materialien, eine äußere Überwachung des Vollzugs, jedoch keine inhaltliche Überwachung, keine Inhaltskontrolle, Wiederholung usw. außerhalb der Programmaufgaben.

Hier ist eine grundsätzliche Bemerkung erforderlich. Man darf eine Gegenüberstellung von Programmiertem Unterricht und traditionellem Unterricht nicht Überspannen. Z. B. darf man nicht von vornherein annehmen, daß in absehbarer Zeit alle traditionellen Unterrichtsaufgaben programmiert werden. In der Antwort auf die Frage, was überhaupt programmiert werden könne, sind die Meinungen der Fachleute geteilt. Im allgemeinen wird angenommen, daß sich nur wiederholbare, berechenbare, gesetzmäßig und routinemäßig ablaufende Prozesse für die Programmierung eignen. Andere sind der Meinung, daß überhaupt alles Formulierbare auch programmierbar sei, und daß über kurz oder lang auch das sogenannte Schöpferische in die Programmierung einbezogen werden könne. Aber selbst bei einer theoretischen und experimentellen Ausweitung der Aufgaben, die durch Programmierung erledigt werden können, ist damit noch nicht entschieden, welchen Anteil die Programmierung an den praktischen Aufgaben des Schulalltags und der Ausbildungsinstitutionen wirklich umfaßt. Nicht alles, was man grundsätzlich kann, wird damit auch schon Wirklichkeit. Es sind weitere und engere Lösungen denkbar. Welche pädagogische Aufgaben und in welchem Umfang einmal in der Breite programmiert werden, ist eine Problematik eigener Art, die durch die experimentelle Ermittlung der grundsätzlichen Programmierbarkeit noch nicht mitentschieden ist. Die Wahl einer großen oder kleinen Lösung ist ein kultur-und gesellschaftspolitisches Problem. 2. Der Programmierungsgedanke ist eine allgemeine Idee, von der im Bereich der Bildung erst einige Anwendungsformen bekannt sind, die zudem deutlich die Spuren der Verhältnisse im Ursprungsland USA an sich tragen. Die Idee ist noch weiterer Ausprägungen fähig; deshalb geht es nicht um einfache Übernahme der Praktiken und Hilfsmittel, sondern um ihre Vermittlung mit den europäischen Bildungssystemen.

Der Programmierte Unterricht sollte, obwohl er bereits eine mehrjährige Vorgeschichte hat und standardisierte Formen zutage förderte, nicht als eine zwangsläufige Praxis angesehen werden. Er ist nach wie vor freie Idee, die verschiedenster Modifikation fähig ist. Diese Idee ist übrigens nicht von außen her an die Pädagogik herangekommen; man könnte sie als ihr eigenstes Produkt bezeichnen. Comenius verwendete im 17. Jahrhundert die vollkommenste der damals bekannten Maschinen, nämlich die Uhr, um sie zum Modell für Schule und Unterricht zu machen. Zur Begründung verwendet er eine Argumentation, die nicht sehr weit von kybernetischen Vorstellungen entfernt ist. Er beruft sich nämlich auf , die Kraft der richtigen Anordnung aller zusammenwirkenden Teile, richtig in Zahl, Maß und Ordnung, deren jedes seine vorgeschriebene Aufgabe hat und auf diese Aufgabe gerichtete Mittel und zu diesen Mitteln gehörige Verhaltensweisen. überall finden sich die richtigen Größenverhältnisse der einzelnen Teile zum Ganzen und der nötige Zusammenhang eines jeden mit seinem Arbeitspartner, und es herrschen gegenseitig verpflichtende Gesetze über die Vermittlung und Wechselwirkung der Kraft. So wickelt sich alles mit größerer Genauigkeit ab als in einem lebendigen, von eigenem Geist geleiteten Körper." Auch der große Pestalozzi dachte zeitweilig in ähnlichen Dimensionen, wenn er seine Absichten richtig charakterisiert sah durch das Urteil: „Vous voulez mecaniser l’education". Das alte Postulat der Mechanisierung und Rationalisierung stößt sich heute mit der starken Emotionalisierung der pädagogischen Verhältnisse. Für das pädagogische Verhältnis werden Begriffe wie Umgang, personale Präsenz und Begegnung als angemessener angesehen als die Ausdrücke und Analogien der Technik. Dennoch bricht der Anspruch der Rationalisierung in die Bereiche der Erziehung ein und wird in Zukunft mindestens einen Teil der Vollzüge bestimmen.

Um Angemessenheit und Unangemessenheit solcher Ansprüche recht beurteilen zu können, ist es notwendig, einen Blick auf das Grund-wesen der Schule zu werfen. Im Kulturwandel der Gegenwart enthüllt sich die Schule als ein Gebilde. Charakter instru -wandelbares Ihr ist mental, ihr wahres Wesen scheint die Beauftragbarkeit für verschiedene Zwecke und Ziele je nach der Kultur-und Gesellschaftslage zu sein. War sie einmal Institution, die das Monopol dafür besaß, alles verfügbare Wissen in der richtigen Ordnung weiterzugeben, so wird ihr in der Kulturlage der Gegenwart dieser Rang streitig gemacht. Information ist in der modernen Welt auch außerhalb der Schulen grenzenlos verfügbar. Die Massenmedien machen Nachrichten und Wissenssachverhalte allen Schichten leicht zugänglich. Es ist darum an der Zeit, den Begriff des Unterrichts, der auf die Institution Schule verweist, durch den neutralen Begriff Bildungsvollzug zu ersetzen. Schulunterricht ist dann nur eine unter anderen Formen des Bildungsvollzuges. In der Kulturlage der Gegenwart muß sich die Gesellschaft neu entscheiden, durch welche Institutionen und Mittel sie diesen Bildungsvollzug geleistet sehen möchte. Es sind heute die technischen Voraussetzungen vorhanden, daß er nicht unbedingt durch die Schule vermittelt werden muß. Erst in diesem größeren Zusammenhang einer weittragenden kulturpolitischen Entscheidung ist der Programmierte Unterricht recht eingeordnet.

Dabei werden die Erfahrungen interessant, die die Entwicklung der programmierten Instruktion im Ursprungsland USA vermitteln. Dort zeigt sich deutlich ein Zusammenhang mit der Technisierung und Industrialisierung des außerschulischen Lebens. Presseys und Skinners Forschungen und Entwicklungen sind nur von diesem Hintergrund her verständlich. Zwar blieben die Vorarbeiten der Pioniere lange Jahre auf Laboratorien und kleine Zirkel beschränkt, aber als der Start des sowjetrussischen Sputnik eine hohe Welle von Bildungsaktivitäten auslöste, die dazu dienen sollten, den verlorengegangenen Vorsprung auf dem Gebiete des Bildungswesens wieder einzuholen, konnte sich der Programmierte Unterricht rasch durchsetzen, weil in der amerikanischen Gesellschaft die ihm zugehörigen Denkformen und Lebenserscheinungen bereits weitverbreitet waren. Daß der Programmierte Unterricht nur den Einzellernenden anspricht, kam einem Grundzug an der amerikanischen Schulpraxis sehr entgegen, nämlich der erstrebten Individualisierung des Lernvollzugs. In den mit der USA wurde Idee des Lernendenkollektivs, nämlich der Schulklasse, nie so ernst gemacht wie in Europa, und die neueren didaktischen Modelle wie der Dalton-Plan und Winnetka-Plan zeigen die Tendenz zur didaktischen Individualisierung. Ein besonderes Charakteristikum der Entwicklung des Programmierten Unterrichts in den Vereinigten Staaten ist auch die weitreichende Mitwirkung der Privatwirtschaft. Als wirksame Waffe gegen die Arbeitslosigkeit wird die Verbesserung der Bildung angesehen. Das schafft den Programmen ein Absatzfeld auch außerhalb des organisierten Unterrichts der Schule, und man kann schätzen, daß den in der Schule verwendeten programmierten Materialien ebenso viele gegenüberstehen, die im Hausiererhandel von Tür zu Tür vertrieben werden. Die Anwendungsmöglichkeit innerhalb und außerhalb der Schule muß als ein wichtiges Faktum der Entwicklung gelten, denn sie ließ ein so großes Marktfeld entstehen, daß sich kraftvolle privatwirtschaftliche Initiativen auf die Entwicklung und Entfaltung des Programmierten Unterrichts richten.

Eine solche enge Verflechtung mit den inneren Verhältnissen des Ursprungslandes legt nahe, die dort entstandenen Formen nicht unbesehen zu übernehmen, sondern Praktiken, Materialien und schließlich die freie Idee selber kritisch zu durchmustern und den Verhältnissen der europäischen Länder anzupassen.

Für die europäische Schule, besonders die deutsche, ergeben sich dabei Einsatznotwendigkeiten, die im Zusammenhang mit der Entwicklung des didaktischen Denkens und der Schulpraxis in der letzten Generation stehen. Die Schulpraxis wird heute vorwiegend durch das Erbe der Reformpädagogik bestimmt. Dies bedeutet, daß zwar die Funktionen der Auf-schließung von Bildungsgütern, der Herbei-führung bildender Begegnungen, der Darbietung von Inhalten und der Weckung eines Problembewußtseins hoch kultiviert sind, daß aber die Techniken der Sicherung des Unterrichtserfolgs, die Wiederholung und die Übung, verkümmerten und despektierlich wurden. So können die vorzüglichen didaktischen Verbesserungen nur selten in einen dauernden Leistungsgewinn umgewandelt werden. Diese Leistungslücke der modernen Schule ist ein natürliches Anwendungsfeld des Programmierten Unterrichts.

Ein Blick auf die Berufsschule zeigt eine ähnliche Situation. Wird der Berufsschulunterricht einen Tag in jeder Woche abgehalten, so liegen diese Schultermine so weit auseinander, daß lernpsychologisch eine kontinuierliche Wiederholung und Übung erforderlich wäre. Die Stoffüberfülle und die Aufgabenüberlastung gerade dieser Schulart aber läßt kaum Zeit zu Übung und Wiederholung. Durch die da und dort praktizierte Einrichtung eigener geschlossener Kurse zum Wiederholen und Nachlernen versucht man den Mangel notdürftig auszugleichen. -So ist die berufliche Bildung und Ausbildung ein Anwendungsfeld nicht nur für Lehrprogramme, sondern besonders für übungs-und Wiederholungsprogramme.

Diese kurzen Aufblicke auf besondere europäische Verhältnisse können zeigen, daß es in jedem nationalen europäischen Schulsystem darum geht, nicht den Einbau des Vorgeleisteten, die Übersetzung oder Neuentwicklung von Programmen isoliert vorzunehmen, sondern sich zugleich um die wissenschaftliche Klärung von Grundverhältnissen zu bemühen, die eine rechte schulpädagogische und ausbildungspraktische Einordnung des Programmierten Unterrichts ermöglichen. So muß aus der Gesamtsituation eines Bildungssystems heraus geklärt werden, in welcher Funktion die Programme in der Bildungspraxis benötigt werden, der Stil welcher Schule als leitgebend angesehen werden soll, welchen Umfang die Programme haben sollen, d. h. ob die bestehenden Organisationsformen des Unterrichts beibehalten oder durch neue ersetzt werden sollen, welche Unterrichtsaufgaben und -stosse sich zur Programmierung eignen, in welcher Form sie übermittelt werden sollen usf. Das Schulsystem kann um so mehr von der Einführung des Programmierten Unterrichts gewinnen, je verantwortlicher und umfassender solche Vorklärungen vorgenommen werden, die den verstreuten Initiativen einen Rahmen und geistige Ausrichtung geben. Eine Schulverwaltung hat es bei ihrer natürlichen Festlegung auf die überkommenen Formen schwer, die leitbildgebende Funktion in der unbefangenen Ausmessung der Möglichkeiten zu übernehmen, die in einem mit revolutionierenden Wirkungen aufgeladenen Mittel wie dem Programmierten Unterricht liegen.

In Deutschland ist es die „Stiftung Volkswagenwerk", die sich der Förderung und Erschließung des Programmierten Unterrichts zusammen mit anderen modernen didaktischen Medien, wie elektronischen Sprachlehranlagen und Unterrichtsfernsehen, angenommen hat. Durch die Förderung zahlreicher Forschungen hat sie einer großen Zahl von Wissenschaftlern Gelegenheit gegeben, mit den neuen Praktiken in Berührung zu kommen, deren Wirkungen und Möglichkeiten empirisch zu erforschen und die zweckmäßigsten Formen ihrer Anwendung zu erkunden. Zugleich hat sie sich aber der Koordinierung des Großvorganges angenommen, indem sie die Schaffung eines Arbeitskreises anregte, von dem die ordnungsgebenden kritischen Impulse ausgehen sollen. Schon nach zweijähriger Wirksamkeit läßt sich abschätzen, daß mit dieser Förderung in großen Stile eine neue Epoche im Bildungssystem eingeleitet wurde, indem durch die Anstöße, die für Forschung und Entwicklung gegeben wurden, der objektiven Wissenschaft eine Rolle in der künftigen Entwicklung des Schulwesens eingeräumt wurde, die sie in der Vergangenheit nie besessen hat. Damit könnte das Bildungswesen zugleich von vielen sachfremden Hemmungen befreit werden. 3. Die Programme müssen daraufhin untersucht werden, wie sie den Unterricht der Schulen und die Formen der beruflichen Ausbildung beeinflussen und wandeln können. Dabei sind alle beteiligten Faktoren, nämlich der junge Mensch, das Bildungsgut und der vermittelte Lehrer oder Ausbilder zu beachten.

Eine Wirkungsanalyse sollte sich nicht allein auf schon vorhandene Programme erstrecken, sondern schon im voraus auf die noch zu erstellenden Eigenprogramme. In den öffentlichen Schulen übt die staatliche Schulverwal-B tung das Kontrollrecht über die verwendeten Arbeitsmittel aus. Die Sichtung und Beurteilung der Lehr-und Lernmittel vor ihrer Einführung in die Schulpraxis war eine wirksame Form der didaktischen Mitgestaltung durch die Schulverwaltung. Der radikal andersartige Charakter des Programmierten Unterrichts erweist sich gerade einer derartigen Behandlung gegenüber. In der Erstellung programmierter Materialien wird ein so großer Teil des Volksvermögens festgelegt, daß ein nachträgliches Plazet wirkungslos bleiben muß. Die Lizenzierung muß vorausverlegt werden; sie muß bereits vor der Erarbeitung der Programme erfolgen. Bisher wurden Kontrolle und Zulassung nach den Phasen der Planung und Erstellung der Arbeitsmittel vor ihrer Anwendung in der Praxis vorgenommen. Bei programmiertem Material muß die Lizenzierung bereits nach der Planung, d. h. vor ihrer Erstellung und späteren Anwendung erfolgen.

Zur Programmanalyse muß die Strukturanalyse des Bildungsvollzugs treten. Die Dimensionen einer solchen Analyse seien an den gegenwärtigen Verhältnissen der beruflichen Ausbildung angedeutet.

Weithin liegt der beruflichen Ausbildung noch das Modell des Handwerksbetriebs zugrunde, in dessen Mitte der Umgang von Lehrherrn und Lehrling steht, in dessen Bereich alles Lernen bleibt. Auch in der industriellen Ausbildung blieb man weithin beim handwerklichen AusbildungsmodelL Aber im technischen Zeitalter wandelt sich die Berufsbildung unter der Hand. Eine Reihe wichtiger Fakten deuten das Wohin der Entwicklung an.

Der Lehrling wird mehr und mehr Schüler. Faustregeln reichen für das berufliche Verhalten nicht mehr zu. Aufgaben, die an den werktätigen Menschen im Umkreis seines Berufes herantreten, können immer weniger aus gemachten Erfahrungen und aus der Analogie zu bereits erlebten Situationen gelöst werden. Es wird ein Denken erforderlich, das in seiner Systematik dem wissenschaftlichen Denken verwandt ist. Der Berufsvollzug wird mehr und mehr abhängig von geordneter, planmäßig aufgebauter systematischer Bildung, die im Gegensatz steht zu der überkommenen Form der Gelegenheitsbildung. So wandelt sich das Lehrverhältnis von einem Arbeitsverhältnis zu einem Ausbildungsverhältnis. Diese Entwicklung macht selbst vor den Handwerksbetrieben nicht halt. Wenn Handwerksverbände mit überbetrieblichen zentralen Lehrwerkstätten experimentieren, so zeigt das die auch in ihrem Bereich wirkende Tendenz zum geschlossenen Lehrgang. In der Industrie ist diese Entwicklung offensichtlich.: Der Bereich der Ausbildung ist in der Lehrwerkstätte und in betriebseigenen Unterrichts-instituten herausgegliedert aus dem Produktionsvollzug. Im Wichtigwerden des Lehrgangs und der Umwandlung der Ausbildung zu systematischer Schulung zeigen sich viele Einsatzpunkte programmierter Instruktion. Die Berufsschule mit ihrem großen Bedarf an Wiederholung und Übung findet in Programmen ebenso wirksame Hilfsmittel wie die praktische Berufslehre angesichts der Verlegenheit der Handwerksmeister und Lehrgesellen, die den immer komplizierter werdenden pädagogischen Anforderungen kaum gewachsen sind. Fertig programmierte Lehr-und Übungsgänge schaffen Auswege aus der Verlegenheit. Die lawinenartige Verschulung schafft eine Aufgabenfülle, die nur mit wirksamen didaktischen Rationalisierungsmitteln zu bewältigen ist. Dabei kann sich die Interessenkonkordanz finanzstarker und ausbildungsinteressierter Großbetriebe, kleiner Betriebe und der Berufsschulen auswirken, da es um das gleiche Lehr-und Schulungsmaterial geht. Die Berufsschule, die bei der rapiden Differenzierung und Spezialisierung der Berufs-züge keine Aussicht mehr hat, mit ihrer Arbeit die Entwicklung einzuholen, könnte besonders viel von der Ausbreitung programmierter Instruktion gewinnen. Man kann bei einer stärkeren Entfaltung des Programmierten Unterrichts damit rechnen, daß in jeder Schulklasse statt des einen vorhandenen Lehrers die didaktische Potenz von anderthalb bis zwei Lehrern am Werke ist. So könnte die Zeit gewonnen werden, die in der Berufsschule für die Allgemeinbildung der jungen Menschen benötigt wird, die angesichts der fortschreitenden Technisierung des modernen Lebens von doppelter Wichtigkeit ist. Eine inhaltliche Erweiterung der Berufsschularbeit ergäbe sich daraus, daß die Hauptinhalte jener kleineren Berufsgruppen, die in den kombinierten Fachklassen der Berufsschulen nicht berücksichtigt werden können, durch Programmierung ihres Spezial-wissens dennoch in einem differenzierten Schulleben berücksichtigt werden kann Noch nicht berücksichtigt ist bei alledem ein Faktum der Berufswelt, das mit der programmierten Instruktion besonders enge Verbindung hat: der Berufswechsel. Selbst wenn der Programmierte Unterricht in der normalen Berufsausbildung keine Rolle spielen könnte, in der Situation des Berufswechsels würde er wichtig. Berufsausbildung hat es in der Gegenwart meist nicht mehr mit Lebensberufen zu tun, sondern nur noch mit Ausbildungsberufen, die aus verschiedenen Gründen später gegen andere Berufe eingetauscht werden. Der Berufswechsel ist ein Gesamtlebensgeschehen, das seine eigene menschliche und soziale Problematik hat. Die begleitenden Schwierigkeiten lassen sich um so leichter lösen, je besser die Umschulung im Sachlichen gelingt. Gerade die Umschulung kann durch Institutionen nicht voll befriedigt werden, da sie zwar ein heute allgemeines Geschehen ist, sich aber dennoch unter je individuellen Umständen vollzieht. Eine gute Lösung wäre die Programmierung der Inhalte des Berufswissens. Die Bereitstellung der verschiedenen beruflichen Wissens-bestände zur freien Verfügung ist vergleichbar mit der für die Gegenwart ebenso charakteristischen Form der Aufstellung von Automaten oder der Selbstbedie Einrichtung von -nungsläden. Jeder kann nach eigenem Geschmack und Bedürfnis auswählen und zusammenstellen. Die Inhalte werden leicht verfügbar und mühelos kombinierbar, weil nicht nur Lehrstoffe angeboten werden, sondern didaktisch so präparierte Materialien, daß sie mit Sicherheit die richtige Wirkung tun.

In der betrieblichen Schulung wird der Programmierte Unterricht endlich noch wichtig im Aspekt des Betriebsbedarfs, überall wo die Betriebe ihren Mitarbeitern eine Umstellung zumuten müssen, können programmierte Materialien die Umstellung erleichtern; werden neue Maschinen aufgestellt, neue Fertigungsweisen eingeführt, eine Änderung der Betriebsorganisation vorgenommen, so bildet die Schnelligkeit der Annahme des Neuen für den Betrieb Kapital. Gerade solche Triebfedern dürfen nicht unterschätzt werden. Betriebe oder Betriebsgruppen werden derartige Umstellungen mit der vorgängigen Bereitstellung von Materialien begleiten, die die Neueinrichtungszeit abkürzen und die Umstellung für alle Beteiligten reibungslos vor sich gehen lassen.

4. Auf den verschiedenen Niveaus der Praktizierung programmierter Instruktion (mit Programmen in Buchform, einfacheren Lehrmaschinen und mit elektronischen Apparaturen) ergeben sich verschiedene Auswirkungen auf die traditionellen Bildungsformen und unterschiedliche Möglichkeiten ihrer Umgestaltung.

In der Öffentlichkeit sind die Reaktionen auf das Erscheinen des Programmierten Unterrichts geteilt. Heftiger Abwehr steht ebenso heftige Zustimmung gegenüber; beides oft in ungesund unkritischer Form, ohne vorausgegangene ernste Auseinandersetzung mit den wirklichen Möglichkeiten und Grenzen der neuen Medien. Auf der einen Seite erwartet man ein goldenes Zeitalter der Didaktik, auf der anderen den Untergang der abendländischen Bildungswerte. Für die unbefangene Auseinandersetzung mit dem Für und Wider des Programmierten Unterrichts ist es wichtig, das Urteil von unbewußten Voreinstellungen freizuhalten. Da die Bildungssysteme überall durch den überschritt zur industriellen Gesellschaft ins Gedränge kommen, zeigen sich allenthalben Notstände wie Stoffüberfülle und Lehrermangel. Die neuen Mittel werden begrüßt als erwünschte Nothelfer; sie werden nur im Aspekt der eigenen Misere oder gar kommerzieller Gewinnaussicht gesehen. Eine besondere Form der verzerrten Beurteilung ist die taktische Verharmlosung durch die Verfechter des Programmierten Unterrichts, die den Ängstlichen beruhigende Auskünfte geben, indem sie sagen, der Lehrer werde durch Programme nicht ersetzt, die Schule werde nicht überflüssig, Programme seien nur in der Schulklasse zu praktizieren, das schöpferische Denken könne schließlich auch berücksichtigt werden, die Individualisierung werde gewährleistet usw. usw. Diese Vorhersagen mögen eintreffen, aber dann nicht wegen ihrer inneren Sachlogik, sondern weil in der Kultur-politik die Vorentscheidungen gefallen sind, die nur einen dosierten Gebrauch des neuen Mittels möglich machen. Die grundsätzlichen Möglichkeiten des Programmierten Unterrichts reichen weiter und können in der Tat revolutionierend wirken:

Alles in der Unterrichtspraxis Wiederholbare, das nach Sachordnungen und Gesetzen abläuft, kann programmiert werden (man kann abschätzen, daß in der Volksschule etwa 40 0/0 der Funktionen, auf dem Gymnasium etwa die Hälfte, in den Berufsschulen bis zu 60 % grundsätzlich programmierbar sind). Der Lehrer ist in diesen Funktionen voll ersetzbar. Die Programmierung vermag in den Bereichen, in denen sie verwendet wird, die Individualisierung der Bildungsprozesse zugunsten der Vereinheitlichung für ganze Sprachräume auszuschalten. Programmierter Unterricht ist im Vollzug auch nicht mehr grundsätzlich an die Institution der Schule gebunden.

Auf Grund derartiger Eigenschaften ist der Programmierte Unterricht in der Tat in der Lage, die bestehende Organisation des Bildungsvollzugs zu sprengen und durch neue Organisationsweisen zu ersetzen. Andererseits kann er aber auch für Teilaufgaben innerhalb der bestehenden Organisation eingesetzt werden. In wohldosiertem Gebrauch stärkt und festigt der Programmierte Unterricht sogar die überkommenen Formen der Schule, vor allem dadurch, daß er ihre Nachteile ausschaltet, nämlich die Unfähigkeit des Klassenunterrichts, den Hochbegabten und den Schwachbegabten voll gerecht zu werden.

Wieweit der Programmierte Unterricht in das Gefüge bestehender Schulformen eingreifen kann, hängt weitgehend davon ab, in welcher Form die Materialien dargeboten werden. Der Computer wird sich nie in den engen Rahmen einer Schulklasse hineinbequemen. Er sprengte mit seinem Auftreten die Arbeitsgemeinschaft der Schulklasse und auch des einzelnen Schulsystems, indem er den Vollzug der durch ihn eingeleiteten Lehr-und Lernaufgaben ganz aus der Organisation einer Schule heraus-trennt. Auch die großen Lehrmaschinen sind nur schwer im Organisationsrahmen der Schulklassen unterzubringen. Sie stellen zumindest innerhalb eines Schulhauses ein System für sich dar. Leichter in die traditionellen Formen der Schularbeit zu integrieren sind die Programme in Buchform, wenn ihr Inhalt einen bestimmten Umfang nicht übersteigt. Am vollkommensten schmiegt sich die Programmverwendung den traditionellen schulischen Arbeitsformen an, wo Kurzprogramme den bekannten Lehrbüchern in Zusatzheften beigefügt oder aber gar als eingeschobene Programmteile beigefügt werden. Der Rationalisierungsgewinn steht allerdings in einem umgekehrten Verhältnis zur Anpassung an die traditionellen Organisations-und Arbeitsformen. 5. Die Einführung des Programmierten Unterrichts ist nicht nur eine pädagogische Erscheinung, sondern Teilerscheinung eines allgemeinen Prozesses der Rationalisierung der Lebensvollzüge. Die binnenpädagogischen Überlegungen werden durch dieses Faktum zu einem kulturpolitischen Anliegen.

Für den Pädagogen ist es angesichts der an die europäischen Bildungssysteme ergangenen Herausforderung wichtig, sich über die Spannweite seiner Entscheidungsmöglichkeit klar zu sein. Das Neue präsentiert sich ihm nicht als ein Ensemble reiner Vorteile. Es muß ein gewisser Rückgang auf den Stil älterer Lehr-und Lernformen, auf die Präparationsliteratur, Katechese usw. in Kauf genommen werden. In den zur Programmierung vorgesehenen Aufgabenbereichen muß die Verwebung der Unterrichtsführung mit menschlicher Beeinflussung in dauerndem Blick auf die Individualität preisgegeben werden. Der Bildungsakt wird von der personalen Begegnung abgelöst, die Sozialstruktur des Lernens dadurch verändert. Manches dieser Erscheinungen mag als großer Verlust empfunden werden. Sie sind aber der Preis, der für die imposante Steigerung der Effektivität der Bildungsarbeit bezahlt werden muß. Zu welchem Endurteil der Pädagoge im Abwägen der Vor-und Nachteile jedoch gelangen mag, die Entscheidung ist gar nicht in seine Hand gegeben. Die Entwicklung wird durch harte kulturgeschichtliche Fakten bestimmt. Die Rationalisierung, die hier auf den Bereich der Bildung übertritt, ist die alleinige Voraussetzung der Meisterung der Massenprobleme der gegenwärtigen Menschheit. Die Grundhaltung der Rationalisierung erfüllt die ganze Gesellschaft, ihr Geist dringt in das Lebensgefühl der modernen Generationen ein und durchlöchert die Wände der Schule und Bildungsinstitutionen. Nur im Zusammenhang dieser Synchronität der Schulerscheinungen mit den außerschulischen Verhältnissen kann der Programmierte Unterricht recht bewertet werden. Seine Annahme kann nicht eine Kapitulation der Schule und Pädagogik bedeuten. Schule und Bildung sind nie nur ein Mittel gegen die Zeit, sondern immer ein Stück weit auch Funktion einer Zeit. Die Kulturlage der Gegenwart stellt sie vor neue Aufgaben und fordert von ihnen neue Formen des Bildungsvollzugs. Dabei muß in neuer Weise dem pädagogischen Grundverhalt entsprochen werden, daß Schule und betriebliche Ausbildung nicht allein Leistungsgefüge sind. Bildung hat es immer zu tun mit dem Menschen als ganzem. Die hervorragenden Mittel, die sich heute anbieten, die Leistung des Menschen auf engen Sektoren zu steigern, sind, ins rechte Verhältnis zur Menschheitssituation gesetzt, wichtig und unabweisbar. Für das Bildungsdenken stellen sie die große Herausforderung dar, daß dem ungeheuren partiellen Aufschwung ein Mitkommen aller anderen der Pädagogik anvertrauten Seiten der Menschlichkeit entspreche.

Fussnoten

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