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Mitbestimmung und Betriebsverfassung | APuZ 16/1966 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 16/1966 Artikel 1 Die Mitbestimmung in ihrer geschichtlichen Entwicklung Die Mitbestimmung innerhalb der gewerkschaftlichen Ordnungsvorstellungen Mitbestimmung und Betriebsverfassung

Mitbestimmung und Betriebsverfassung

Gisbert Kley

Das Thema einer erweiterten Mitbestimmung der Arbeitnehmer oder ihrer Vertretungen in den Unternehmen steht seit einiger Zeit im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die Gewerkschaften haben Forderungen angemeldet. Unternehmer und Arbeitgeberverbände, politische Parteien und andere Organisationen haben sich geäußert; Wissenschaft und Kir-dien beschäftigen sich mit dem Thema. Aus der Fülle der Gedanken und Argumente können in einem kurzen Aufsatz nur einige wenige behandelt werden.

Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland zwei Systeme der Betriebsverfassung.

Für die Grundstoffindustrie gilt das Mitbestimmungsgesetz von 1951. Das Betriebsverfassungsgesetz, das aus dem Jahre 1952 stammt, gilt für alle Unternehmen, auch in der Grundstoffindustrie, es wird dort aber durch das Mitbestimmungsgesetz in entscheidenden Punkten weitgehend verändert. Mit dem Betriebsverfassungsgesetz hat der Gesetzgeber, was gelegentlich vergessen wird, den Weg einer Neuordnung beschritten. Das Gesetz ist, gesellschaftspolitisch gesehen, entscheidend vom Betriebsrätegesetz der Weimarer Republik abgewichen. Während dieses von dem Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber ausging, ist nach dem Betriebsverfassungsgesetz das Ziel die Sicherung des betrieblichen Friedens durch vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsräten, und in diesem Sinne haben alle Beteiligten im Betrieb die Bestimmungen des Gesetzes zu verwirklichen. Das Gesetz gibt den von der Belegschaft gewählten Betriebsräten und den Wirtschaftsausschüssen, deren Mitglieder je zur Hälfte vom Arbeitgeber und vom Betriebsrat bestimmt werden, das Recht auf Information, auf Mitwirkung und auf Mitbestimmung. Eine weitgehende Mitbestimmung besteht in sozialen Angelegenheiten; in wirtschaftlichen Fragen hat der Unternehmer Entscheidungsfreiheit, unter Wahrung von Mitbestimmungsrechten in beB

Zwei Systeme der Betriebsverfassung

sonderen Fällen, wenn wesentliche Nachteile für die Belegschaft zu befürchten sind. Wo Aufsichtsräte nach der Rechtsform des Unternehmens vorhanden sind oder vom Gesetz gefordert werden, wählt die Belegschaft ein Drittel der Aufsichtsratsmitglieder. Das Gesetz räumt den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden bestimmte Rechte ein, sieht im übrigen aber den Schwerpunkt der Mitwirkung und Mitbestimmung bei den von der Belegschaft gewählten, aus dem Unternehmen stammenden Betriebsräten.

Soweit das Betriebsverfassungsgesetz. Für Bergbau und eisenschaffende Industrie gilt zusätzlich das Mitbestimmungsgesetz von 1951, in Grundzügen aus Besatzungsrecht herrührend und nach Generalstreikdrohung durch den Bundestag verabschiedet. Die grundlegenden Abweichungen von dem Betriebsverfassungsgesetz sind folgende:

Die Aufsichtsräte werden durch Vertreter der Anteilseigner und der Arbeitnehmer paritätisch besetzt; hierbei werden die Arbeitnehmervertreter nicht von der Belegschaft gewählt, sondern teils von den Betriebsräten unter maßgeblicher Mitwirkung der Gewerkschaften, teils von den Gewerkschaften unmittelbar vorgeschlagen und dann von der Hauptversammlung gewählt. Hinzu kommt noch ein weiteres Aufsichtsratsmitglied, das unparteiisch sein soll und über das sich die Aufsichtsratsmitglieder mit Mehrheit einigen müssen. Als gleichwertiges Mitglied des Vorstandes muß ein Arbeitsdirektor bestellt werden, der nicht gegen die Stimmen der Mehrheit der Arbeitnehmer-Mitglieder des Aufsichtsrats bestellt oder abberufen werden kann. Der Sache nach bedeutet dies, daß dieses Vorstandsmitglied ein Mann der Gewerkschaft ist, und so ist es auch in der Praxis.

Schließlich gilt noch das Mitbestimmungsergänzungsgesetz von 1956, das die Mitbestimmung in herrschenden Unternehmen behandelt, denen Unternehmen der Grundstoffindustrie zugeordnet sind.

Wie weit soll die Ausdehnung der Mitbestimmung gehen?

Der größte Teil der deutschen Wirtschaft lebt nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Die Montanmitbestimmung gilt nur für etwa 70 Firmen in zwei Wirtschaftsbereichen. Diese Firmen sind an der Beschäftigtenzahl und am Umsatz der gesamten Industrie mit 9 bis 10 Prozent beteiligt, müssen sich aber in der bestehenden Marktwirtschaft nach deren Prinzipien richten, ebenso wie die gewerkschaftseigenen Banken, Versicherungsund sonstigen Unternehmen.

Die Gewerkschaften sind der Auffassung, daß das Betriebsverfassungsgesetz keine ausreichende Mitwirkung der Arbeitnehmer und ihrer Vertretungen sicherstellt, und fordern die Ausdehnung der erweiterten Mitbestimmung auf die übrige Wirtschaft. Nach früheren Verlautbarungen und Informationen ist es das Endziel, die Mitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft auszudehnen; Nahziel ist die Erfassung der Kapitalgesellschaften. Für die Ausweitung der Mitbestimmung hat man sich verschiedene Stufen vorgestellt:

Bei den sogenannten Größtunternehmen soll die Verfassung grundlegend geändert werden. An die Stelle der jetzigen Hauptversammlung soll ein völlig neues Organ treten, in dem die Anteilseigner nur noch mit einem Drittel der Sitze beteiligt sein sollen. Das ginge noch weit über die Montanmitbestimmung hinaus, und daraus müßten sich einschneidende Folgen für die Geschäftspolitik, die Bildung der Aufsichtsräte und die Ernennung der Vorstände ergeben. Die Groß-und Mittelunternehmen bis herab zu 500 Arbeitnehmern sollen der Montanmitbestimmung unterworfen werden. Für die kleinen Unternehmen sind die Vorstellungen noch nicht genau präzisiert, doch sollen auch sie erfaßt werden.

Angesichts der vielen Gegenstimmen ist es verständlich, daß die Gewerkschaften in letzter Zeit in der Offentlichkeit erklärt haben, die erweiterte Mitbestimmung werde nur für die großen Unternehmen gefordert. Es kann sein, daß die Auffassungen im Lager der Gewerk-schaften selbst nicht einheitlich sind; doch wird auch der Gedanke laut, daß die neuerlichen Erklärungen taktischer Natur seien. Aber auch wenn es nicht so wäre, müßte es dann früher oder später doch zu einer Ausdehnung der Mitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft kommen. Selbst wenn die Gewerkschaften mit ihren Forderungen zunächst nur bei den großen Unternehmen erfolgreich wären, so würde dies nur der erste Schritt sein, zumal es sich dann leicht sagen ließe, daß der Status der Arbeitnehmer, wo sie auch tätig sein mögen, überall gleich sein sollte und daß sie in den anderen Unternehmen genauso schutzbedürftig seien wie in den großen. Im übrigen müßte eine Stärkung der Macht der Gewerkschaften in den großen Unternehmen sich mittelbar in jedem Falle auf die anderen Unternehmen auswirken.

Das Betriebsverfassungsgesetz hat sich bewährt

Daß wir zwei Systeme der Betriebsverfassung haben, bleibt eine Quelle der Unruhe, und daß eines dieser Systeme den Gewerkschaften besser gefällt als das andere, macht ihre Forderungen sehr erklärlich. In der Tat: man wird ganz zwangsläufig zu der Frage gedrängt, ob denn die strukturellen und sozialen Verhältnisse bei der Grundstoffindustrie und bei der übrigen Industrie so voneinander abweichen, daß eine unterschiedliche Regelung gerechtfertigt wäre. Die Einwände, die gegen die erweiterte Mitbestimmung sprechen, sind grundsätzlicher Art und gelten für die gesamte Industrie, also auch für Kohle, Eisen und Stahl. Daß wir hier ein Sondergesetz haben, ist ja auch nur aus der Entstehungsgeschichte erklärbar: Mißtrauen der Alliierten gegenüber den Unternehmern, Versuch der Abwendung drohender Demontagen, bei den Unternehmern Sorge vor der Sozialisierung, Gefahr des Generalstreiks in einem Augenblick, in dem die Bundesrepublik um ihre außenpolitische Geltung rang.

Die Frage, die uns immer wieder begegnet, ist die Bewährung der beiden Systeme. Die Anhänger der erweiterten Mitbestimmung erklären, die Montanmitbestimmung habe sich bewährt, und sie fragen, warum dies angeblich bewährte System nicht auch für andere Unternehmen als die der Montanindustrie gelten solle. Es fällt auf, daß Darlegungen über das gute Funktionieren des Betriebsverfassungsgesetzes in vielen Diskussionen verhältnismäßig wenig Interesse finden. Viele interessieren sich nur für die neuralgischen Punkte, die Spannungen. Man kann dazu nur sagen, daß es unter der Herrschaft jeden Gesetzes, welches es auch sei, immer Spannungen geben wird und auch geben muß, da nichts vollkommen ist. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt; wesentlich ist, ob das System im ganzen funktioniert und zu einer Befriedung in den Unternehmen beiträgt.

Nach dem Betriebsverfassungsgesetz lebt der größte Teil der deutschen Wirtschaft. Wir haben einen bisher in der Geschichte unerhörten wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, und daran haben alle, die in den Unternehmen tätig sind, Anteil gehabt, an der Arbeit und am Erfolg. Die Arbeitszeit hat sich verkürzt, die Einkommen sind laufend, vor allem auch real gestiegen. Die Erkenntnis, daß der unvermeidbaren Spezialisierung Gegengewichte im Menschlichen gesetzt werden müssen, ist gewachsen und hat zu zahlreichen Initiativen in den Unternehmen selbst geführt. Wenn es wirklich so wäre, daß das Betriebsverfassungsgesetz dem einzelnen keine hinreichende Gewähr für die Wahrung seiner Interessen gäbe und ihn der Willkür des Arbeitgebers auslieferte, dann hätte das nicht erreicht werden können. Mit unwilligen und in ihrer Menschenwürde und in ihrer sozialen Stellung bedrohten Arbeitnehmern hätte das alles gar nicht geschehen können.

Wenn nun das Betriebsverfassungsgesetz, wie der Erfolg zeigt, sich bewährt hat, dann ist nicht einzusehen, warum dies System geändert werden sollte, selbst wenn es wahr wäre, daß in einem begrenzten Bereich auch das Mitbestimmungsgesetz eine gewisse Bewährung aufzuweisen hätte. Aber der Beweis dafür ist nicht erbracht. Mit Sicherheit kann man sagen, daß die Lage des einzelnen Arbeitnehmers in den mitbestimmten Unternehmen keine andere ist als in den übrigen Industriezweigen auch. Was die wirtschaftlichen Entscheidungen angeht, die in den mitbestimmten Unternehmen zu treffen sind, so gibt es Verlautbarungen, die viele bereits aufgetretene Schwierigkeiten deutlich machen. Es wäre der Mühe wert, die bisherigen Erfahrungen noch einmal gründlich zu durchleuchten.

Politische Demokratie läßt sich nicht auf die Wirtschaft übertragen

Sicherlich hat es im Bereich des Mitbestimmungsgesetzes Fälle guter Zusammenarbeit gegeben. Das ist eine Frage der Personen. Damit wird aber nichts über das System und die sich aus ihm ergebenden Möglichkeiten und Gefahren ausgesagt. Die eigentliche Bewährungsprobe ist noch nicht gemacht; denn in einer Zeit allgemeiner wirtschaftlicher Blüte kann vieles ausgeglichen werden, was in kritischen Zeiten an die Wurzel rührt.

Begründet werden die Forderungen der Gewerkschaften unter anderem mit dem Ziel, auf diesem Wege die Demokratie durch Verwirklichung ihrer Prinzipien auch in der Wirtschaft zu festigen, den politischen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht zu verhindern, die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern neu zu ordnen.

Zunächst ein Wort zur Wirtschaftsdemokratie. Bei der parlamentarischen Demokratie handelt es sich um eine politische Verfassung. Sicherlich erstrebt sie, den einzelnen Staatsbürger über die Wahrnehmung formaler Rechte hinaus mit einem freiheitlichen Geist zu erfüllen und zur echten Teilnahme am öffentlichen Geschehen heranzuziehen. Die Formen aber, in denen die Willensbildung sich vollzieht, sind politische Formen und lassen sich nicht auf jeden Lebensbereich übertragen, auch nicht auf den der Wirtschaft. Das wird sehr deutlich, wenn man sich vorstellt, daß das politische Beispiel von parlamentarischer Regierung und Opposition auf die Unternehmen übertragen werden sollte, oder wenn man daran denkt, daß Entscheidungen nicht getroffen werden können, weil sich die „Parteien" im Unternehmen nicht einigen.

Unser westliches System basiert auf dem Eigentum. Das gilt für alle, auch für die großen Unternehmen. Wenn das unternehmerische Handeln nicht mehr nach den für das einzelne Unternehmen lebenswichtigen wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtet werden kann, sondern der Fremdbestimmung unterliegt, wird auch der Aktionär, der mit seinem Kapital sein Eigentum eingebracht hat, unmittelbar betroffen. Die Frage stellt sich, ob eine solche Aushöhlung des Eigentumsbegriffs noch mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Im übrigen ist es ein unlösbarer politischer Widerspruch, auf der einen Seite eine breite Eigentums-streuung zu wollen und auf der anderen Seite die Funktion des Eigentums als tragender Säule unserer Gesellschaftsordnung aufzuheben.

Gefahr übermächtiger Gewerkschaften

Wie steht es mit dem zweiten Postulat, dem der Verhinderung des Mißbrauchs politischer Macht?

Das Mitbestimmungsgesetz legt der Sadie nach die Auswahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat in die Hand der Gewerkschaften. Der Arbeitsdirektor ist ebenfalls ein Mann der Gewerkschaft. Wenn die ganze Wirtschaft dieser Mitbestimmung unterworfen wird, dann heißt das also, daß die Gewerkschaften in der Lage sein würden, den Ablauf des gesamten wirtschaftlichen Lebens maßgeblich zu dirigieren; denn ohne oder gegen sie kann nichts mehr geschehen. Eine einheitliche Leitung des Ganzen durch die Gewerkschaften müßte das wirtschaftliche Leben in andere Bahnen lenken, die Investitionen steuern und mit den Unternehmen auch die Existenz des einzelnen bestimmen. Nun sagt man allerdings, daß der Teufel an die Wand gemalt, daß das Verantwortungsbewußtsein der Gewerkschaften unterschätzt werde und daß ihnen nichts ferner liege, als die Mitbestimmung in einem solchen Sinne zentraler Lenkung auszunutzen. Unterstellt man dies einmal für heute als richtig, so bliebe doch die unausweichliche Gefahr, daß schon vom System her die Macht der Tatsachen eines Tages zu einer zentralen Steuerung durch die Gewerkschaften führen würde. Auch den besten Willen vorausgesetzt, die Macht würde den Gewerkschaften bei diesem System automatisch zufallen.

So kommt man zu dem paradoxen Ergebnis, daß diejenigen, die die Mitbestimmung unter dem Motto fordern, den politischen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht verhindern zu wollen, der Sache nach — ob nun bewußt oder nicht — eine viel größere Macht für sich fordern. Was im übrigen den politischen Einfluß der Unternehmer angeht, der als so gefahrdrohend geschildert wird, so gibt es viele Tatsachen, die dagegen sprechen. Jedenfalls hat dieser Einfluß nicht ausgereicht, um wesentliche gesetzgeberische Entscheidungen zu verhindern, gegen die aus sehr sachlichen Gründen Bedenken anzumelden waren und angemeldet worden sind.

Im Hinblick auf wirtschaftliche Macht werden offenbar die Grenzen übersehen, die durch den Wettbewerb gegeben sind. Wenn aber dennoch ein Anlaß gegeben wäre, die Auswirkungen wirtschaftlicher Macht zu überwachen, so wäre das eine Aufgabe und Verpflichtung der Staatspolitik, nicht aber die einer Interessengruppe, der Gewerkschaften, die überdies selbst, was manchmal vergessen wird, mit den ihnen gehörenden Unternehmen eine sehr beachtliche Wirtschaftsmacht darstellen.

Vermengung von Arbeitgeber-und Arbeitnehmerinteressen

Und nun zum dritten Postulat, dem der Neuordnung der Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern.

Die möglichen Gefahren einer die ganze deutsche Wirtschaft umfassenden Mitbestimmung werden an der dann zwangsläufig eintretenden Vermengung von Arbeitgeber-und Arbeitnehmer-Interessen deutlich. Wenn in den Tarifverhandlungen den Vertretern der Tarif-partei Gewerkschaft allgemein als Arbeitgebervertreter Arbeitsdirektoren gegenüber-säßen, die mit Zustimmung der Gewerkschaft bestellt wurden und von der Zustimmung der Gewerkschaft abhängig bleiben, dann würde der Tarifvertrag seinen eigentlichen Sinn einbüßen. Die Frage stellt sich, ob der einzelne Arbeitnehmer damit in seinem Wohl und Wehe nicht unter eine viel stärkere Abhängigkeit geriete, als das zuvor der Fall war, zumal wenn man bedenkt, daß heute nur etwa 30% der Arbeitnehmer in den Gewerkschaften organisiert sind. Diese Gefahr der Abhängigkeit gilt auch für die Führungskräfte. Sie würden in Gefahr geraten, von ihren beruflichen Anfängen an auf zwei Schultern zu tragen; sie würden sich darüber klar werden, daß ihr Aufstieg nicht mehr allein von ihrer beruflichen Tüchtigkeit und von ihren menschlichen Fähigkeiten abhängt, sondern entscheidend von der Haltung, die die Gewerkschaftsvertreter ihnen gegenüber einnehmen. Denn niemand kann dann nach oben steigen gegen deren Willen. Der Arbeitsdirektor hat Personalbefugnisse. Im übrigen ist in den meisten großen Unternehmen schon zur Bestellung oberer Führungskräfte die Zustimmung des Aufsichtsrats er-B forderlich. Daß solche Überlegungen, es persönlich mit der Gewerkschaft nicht zu verderben, weder der Sache noch der charakterlichen Entwicklung dienlich sein können, scheint klar. Auch für die Unternehmensspitze würde dann die Gefahr von persönlichen Arrangements bestehen, die der Sache nicht dienen.

Dies alles würde entsprechend, ja in verstärktem Maße auch für die Unternehmen gelten, die keine Großbetriebe sind; denn auch hier würde mit einer ihrer Unternehmensform angepaßten erweiterten Mitbestimmung dem Eigentümer die von sachlichen Gesichtspunkten des Unternehmens geleitete Auswahl der Führungskräfte entzogen oder beschränkt werden, und er, der mit seinem persönlichen Eigentum für die Fehlhandlungen seiner Gehilfen gerade stehen muß, müßte sich dann mit dem Risiko begnügen.

Einer trägt das Risiko

Alles in allem:

Der Kampf für die Mitbestimmung wird wesentlich geführt mit dem Argument, die wirtschaftliche Macht der Unternehmer sei eine Gefahr für die Freiheit und für die Würde des einzelnen. Aber über diese Macht bestehen sehr übertriebene Vorstellungen.

Wenn aber die Pläne der Gewerkschaften in die Tat umgesetzt würden, dann gäbe es wirklich eine Macht, die in der Lage wäre, das gesamte wirtschaftliche Leben zu beherrschen. Das wäre dann wirklich eine echte Machtkonzentration, und darum handelt es nicht nur um eine Angelegenheit der Unternehmer, sondern zugleich auch um eine Frage, bei der sich jeder sagen muß: Es geht auch um Deine Sache.

Dem abstrahierenden Bild des von institutionellen Einrichtungen überzogenen Unternehmens sollte das wirkliche Leben entgegenge-stellt werden, wie es uns in der Praxis der Betriebe täglich begegnet. Wir alle wissen, daß die Zeiten und mit ihnen die Menschen sich gewandelt haben, daß Befehl und Weisung nicht ausreichen, um den Erfolg zu gewährleisten, daß gegenseitige Information, Zusammenarbeit im Sinne selbständigen Mitdenkens und Mithandelns, daß Uberzeugen-Können und -Wollen, Achtung menschlicher Würde und Freiheit aus den Unternehmen nicht wegzudenken sind. Wir wissen aber auch, daß zum Schluß, nachdem alles bedacht und beraten ist, nachdem Information und Überzeugungskraft eingesetzt sind, doch einer sagen muß: So wird es gemacht, und dafür übernehme ich Verantwortung und Risiko. Es ist der Unternehmer, der das sagen muß, und die Belegschaftsangehörigen erwarten das auch von ihm. Es ist auch niemand darauf erpicht, ihm das Risiko abzunehmen; dann aber muß ihm auch die wirtschaftliche Entscheidung verbleiben.

Vertrauensvolle Zusammenarbeit ist möglich

Eins freilich darf niemals vergessen werden: Die richtige Gestaltung des Verhältnisses von Arbeitgeber und Arbeitnehmern im Unternehmen wird wirtschaftlich und politisch von schicksalhafter Bedeutung sein. Es ist Aufgabe der Unternehmer, der Betriebsräte und aller im Unternehmen Tätigen, die Möglichkeiten, die das Betriebsverfassungsgesetz im Sinne einer echten Zusammenarbeit im Unternehmen an die Hand gibt, weiter zu nutzen und auch auszubauen; es gibt auch sehr viele Möglichkeiten, die nicht durch Paragraphen vorgeschrie-ben werden können, sondern sich aus der lebendigen Entwicklung und nach den besonderen Bedürfnissen des einzelnen Unternehmens und der in ihm Beschäftigten in einem laufenden Prozeß ergeben, ohne daß alles über einen Leisten geschlagen werden muß. Hier liegt die konstruktive Aufgabe, die immer wieder gemeistert werden muß.

Man könnte die Frage stellen, ob denn nicht auch die Gewerkschaften, denen es ja an klugen Führern nicht fehlt, die Gefahr sehen, die sich für sie selbst, für ihre Aufgaben und für das Gleichgewicht der Kräfte mit allen wirtschaftlichen und politischen Folgen ergeben müßten, wenn die erweiterte Mitbestimmung auf die gesamte Wirtschaft oder auch zunächst nur auf alle großen Unternehmen erstreckt würde. Die Frage sei hier wenigstens gestellt, freilich nicht behandelt, weil dem Verfasser sicherlich die Erwiderung zuteil würde, er möge sich nicht den Kopf der Gewerkschaften zerbrechen. Und doch sollte man nicht müde werden, den Weg der Überzeugung zu versuchen und klar zu machen, daß die erweiterte Mitbestimmung in sich eine Fehlkonstruktion ist, die durch die Vermengung von Unternehmer-und Gewerkschaftsaufgaben zum Schluß niemandem nützt.

Ob es möglich ist, bei der Behandlung genereller Fragen mehr als bisher Wege der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften zu finden, die geeignet wären, Gegensätze nicht zu beseitigen— das wird niemals möglich sein —. aber doch in fruchtbarer Diskussion zu mildern oder zu entschärfen und damit auch sachliche Erfolge zu erzielen, die der Gesamtheit und dem einzelnen dienlich sind, das ist eine Frage, die wenigstens auch gestellt werden sollte.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Gisbert Kley, Dr. jur., geb. 1904 inMeseritz, Vorstandsmitglied der Siemens & Halske AG und Siemens-Schuckertwerke AG, Mitglied des Präsidiums der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Mitglied des Präsidiums des Wirtschafts-und Sozialausschusses der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft.