Zur staatlichen Finanzierung der politischen Parteien Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juli 1966
Heinz Laufer
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In der Ausgabe B 32/66 haben wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 19. Juli 1966 — 2 BvF 1/65 — abgedruckt, das die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der staatlichen Parteienfinanzierung grundsätzlich verneint und nur eine Ausnahme für die Kosten des Wahlkampfes zuläßt. — Die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes sind endgültig; gegen sie gibt es keine Rechtsmittelinstanz. Sie werden selbstverständlich respektiert. Das schließt jedoch nicht aus, daß sie zum Gegenstand der öffentlichen Debatte werden und insbesondere von Wissenschaft und Publizistik diskutiert werden. Der Autor des folgenden Beitrages befaßt sich seit langem mit der Institution des Bundesverfassungsgeridites im politischen Prozeß. Wir weisen nachdrücklich darauf hin, daß seine Ausführungen als persönlicher Beitrag zur Diskussion zu betrachten sind.
Zur zusätzlichen Information veröffentlichen wir in der nächsten Ausgabe die Plädoyers, die Professor Dr. Dr. h. c. Ernst Friesenhahn, Bonn, und Rechtsanwalt Gerhard Jahn, MdB, in den mündlichen Verhandlungen vor dem Bundesverfassungsgericht vom 19. — 21. April 1966 gehalten haben. 1. Das demokratische Regime der Bundesrepublik Deutschland, wie es durch Art. 20 GG konzipiert ist und sich seit 1949 entwickelt hat, ist eine Parteiendemokratie als ein spezieller Typus demokratischer Ordnung In diesem Demokratietypus, der sich Ende des 19. Jahrhunderts anbahnte und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich vollendet wird und den der westdeutsche Verfassungsgeber durch Art. 21 GG verfassungsrechtlich legitimierte, sind die politischen Parteien die politischen Handlungseinheiten, durch die das Volk als ursprünglicher Repräsentant wirksam werden kann; sie sind integrierende Bestand-teile des Verfassungsaufbaus und üben als Kreationsorgane der Amtsinhaber politischer Institutionen die Funktionen von Verfassungsorganen aus sie sind die die moderne demokratische Gesellschaft und ihr politisches Institutionengefüge tragenden Einrichtungen, denn sie sind Mittler und Zwischenglieder zwischen Bürger und Regierenden Es dürfte deshalb einsichtig sein, daß Funktionen und Stellung der politischen Parteien im Verfassungsgefüge, ihre politisch-soziologische Struktur, ihre demokratische Wirksamkeit mehr und mehr das Interesse von Publizistik und Sozialwissenschaften gefunden haben. Ist man nun mit Theodor Eschenburg der Ansicht, daß inneres Gefüge und Stellung der Parteien im politischen Kräftefeld durch die Art der Geld-beschaffung für den Unterhalt ihrer Organisationen und die Durchführung des Wahlkampfes beeinflußt wird und daß andererseits die Struktur der Partei nicht unerheblich durch deren Finanzierungsart bestimmt wird dann ist man erstaunt, daß im wissenschaftlichen Bereich der allgemeinen Problematik der Parteienfinanzierung durch die neuere verfassungsrechtliche und politik-wissenschaftliche Literatur nicht der Platz eingeräumt wird, der ihr als einer der strukturellen Grundsatzfragen zukommen sollte Erstaunt vor allem auch deshalb, weil in der Bundesrepublik Deutschland als erstem Land der funktionierenden westlichen Demokratien neben den traditionellen Finanzierungsarten eine neue Einnahmequelle der Parteien entstanden ist: die Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln, häufig als staatliche Parteienfinanzierung bezeichnet. Seit 1959 gewährten sich die Fraktionen der im Bundestag vertretenen politischen Parteien aus Haushaltsmitteln des Bundes Zuschüsse für die politische Tätigkeit ihrer Parteien. Die Zuschüsse betrugen im Jahre 1959 5 Millionen DM mit der Zweckbestimmung „zur Förderung der politischen Bildungsarbeit der Parteien“; sie wurden im Jahre 1962 auf 20 Millionen DM erhöht, wobei die Zweckbindung auf die „Aufgaben der Parteien nach Art. 21 GG" ausgedehnt wurde; im Jahre 1964 wurden die Sondermittel, deren Zweckbindung für politische Bildungsarbeit im Jahre 1963 weggefallen war, auf 38 Millionen DM erhöht. Das entsprach etwa einer DM pro wahlberechtigten Bundesbürger. Dieselbe Regelung galt auch im Rechnungsjahr 1965 und war auch im Bundeshaushaltsplan 1966 vorgesehen. Tre Zuschüsse wurden nach Fraktionsstärke verteilt; seit 1963 wurden 20 0/0 der Mittel auf die vier im Bundestag vertretenen Parteien SPD, CDU, FDP und CSU zu je 5 %, 80 °/o der Mittel proportional ihrer Sitze aufgeteilt Nicht im Bundestag vertretene Parteien erhielten keine finanziellen Zuwendungen aus dem Bundeshaushaltsplan. Dem Beispiel des Bundes folgte bald eine Anzahl von Ländern 2. Die finanziellen Zuwendungen aus Bundes-und Landesmitteln an die in den jeweiligen Parlamenten vertretenen Parteien haben ihre entscheidende und weitreichende Ursache in der historischen Entwicklung des deutschen Parteiwesens in einer demokratiefremden Umwelt und dem daraus resultierenden a-parteipolitischen Milieu. Hinzu kommt, daß die Regierungsparteien in der Nachkriegszeit, voll ausgelastet mit den Regierungsgeschäften im neuen Staat, kaum Zeit und Kraft fanden, ein parteiliches Selbstverständnis zu entwickeln Auf diese Ursachen kann leider in diesem Zusammenhang nicht weiter eingegangen werden. Doch sei wenigstens eine aktuelle Ursache genannt, nämlich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. Juni 1958 durch die die von den Regierungsparteien 1954 beschlossenen Gesetzes-novellen über die Steuerbegünstigung von Spenden an politische Parteien für verfassungwidrig erklärt wurden Dadurch trat ein spürbarer Rückgang der Spenden für die Regierungsparteien ein die alsbald darauf sannen, den finanziellen Ausfall auf andere Weise auszugleichen. Dafür bot sich die Finanzierung aus staatlichen Mitteln an, die zuerst von der FDP und dem BHE gefordert wurde; die CDU/CSU schloß sich dieser Forderung an, während die SPD sie zunächst verwarf Obgleich letztere sich lange Zeit gegen die finanziellen Zuwendungen aus Bundesmitteln wandte nahm sie ebenso wie die Regierungsparteien die Gelder in Empfang, die seit 1959 in immer größerem Ausmaß in die Bundeszentralen der Parteien flossen. Während die SPD die staatlichen Mittel dazu verwenden konnte, erhebliche Beträge für die politische Bildung, auch von Nichtmitgliedern, auszugeben, konnten die Regierungsparteien durch die staatlichen Mittel ihre Parteiorganisation, besonders ihre Parteiapparaturen ausbauen und rationell gestalten. Die finanziellen Zuwendungen ermöglichten einen Ausbau der Parteien — auch der SPD — in einer Weise, die ihnen zum erstenmal in der demokratischen Geschichte Deutschlands die Wahrnehmung ihrer Funktionen in der Parteien-demokratie ermöglichte. Inwieweit damit auch Nachteile und Mängel verbunden waren, wird uns weiter unten noch zu beschäftigen haben. 3. Diese für die Parteien nicht unerfreuliche Entwicklung wurde am 19. Juli 1966 abrupt unterbrochen. Das BVerfG entschied, daß es mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren und daher verfassungswidrig sei, die dauernde finanzielle Fürsorge für die Parteien zu einer Staatsaufgabe zu machen. Durch diese Entscheidung griff das BVerfG, das durch seine bisherige Rechtsprechung wesentlich zur theoretischen Fundierung der Parteiendemokratie beigetragen hat überaus effektvoll in den politischen Prozeß der Bundesrepublik ein. Das war zwar nicht das erste Mal in der fünfzehnjährigen Geschichte des BVerfG doch dürfte kaum eine der politisch relevanten verfassungsgerichtlichen Entscheidungen so einschneidend auf den demokratischen Prozeß gewirkt haben wie die Entscheidungen vom 19. Juli 1966. Durch sie wurde die Substanz der Parteiendemokratie, Stellung und Funktionen der politischen Parteien in der Bundesrepublik sowie ihre innere Struktur erheblich tangiert. Verständlicherweise war daher die Reaktion von Parteien und Publizistik lebhaft, wie wir noch sehen werden, während die Sozialwissenschaften bisher weitgehend schwiegen. Insofern, als es jedoch zu deren Funktionen, insbesondere zu denen der Politischen Wissenschaft und der Verfassungsrechtslehre gehört, an der Gestaltung der politischen Ordnung durch Analyse, Kritik und Modellbildung mitzuwirken, dürfen die genannten Urteile des BVerfG als Aufforderung betrachtet werden, sich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen. Wenn das im folgenden geschieht, so nicht im Stil einer Urteilsschelte, wie das bedauerlicherweise immer wieder vorkommt sondern in voller Anerkennung der Autorität des BVerfG und seines Spruches durch kritische Analyse mit wissenschaftlichem Instrumentarium. Dabei soll nicht allein das Urteil im Normenkontrollverfahren Gegenstand der kritischen Auseinandersetzung sein, sondern die Gesamtheit der Prozesse, die zu den Entscheidungen vom 19. Juli 1966 geführt haben, und ihre Beziehung zum Gesamten der Juli 1966 geführt haben, und ihre Beziehung zum Gesamten der politischen Ordnung der Bundesrepublik.
Wir werden mit den Entscheidungen vom 19. Juli 1966 und ihrer prozessualen Vorgeschichte beginnen. Anschließend werden die Reaktion in der öffentlichen Meinung und die unmittelbaren Auswirkungen auf die politischen Parteien behandelt werden. Kurz werden wir einige verfahrensrechtliche Probleme der Prozesse erörtern, um dann ausführlich auf die verfassungsrechtliche Problematik des Verbots der staatlichen Zuwendungen an politische Parteien einzugehen und sie einer kritischen Analyse zu unterziehen.
I. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juli 1966 und ihre prozessuale Vorgeschichte
a) Die am 19. Juli 1966 verkündeten Urteile Am 19. Juli 1966 verkündete der Zweite Senat des BVerfG drei Urteile betreffend die staatliche Finanzierung der im Deutschen Bundestag vertretenen politischen Parteien. Das erste Urteil, erlassen im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Absatz 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG auf Antrag der Hessischen Landesregierung, erklärte § 1 des Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplanes für das Rechnungsjahr 1965 insoweit für nichtig, „als diese Vorschrift den Bundesminister des Innern ermächtigt, gemäß Einzelplan 06 Kapitel 02 Titel 612 des Bundeshaushaltsplanes 38 Millionen DM für die Aufgaben der Parteien nach Art. 21 GG auszugeben" 18). Das zweite Urteil, erlassen auf Grund eines Organstreits der Gesamtdeutschen Partei und der Bayernpartei gegen den Deutschen Bundestag und den Deutschen Bundesrat nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG, stellte fest, daß der Deutsche Bundestag und der Deutsche Bundesrat gegen Art. 21 Abs. 1 GG verstoßen haben, weil sie in den Gesetzen über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für die Rechnungsjahre 1962 und 1964 Sondermittel für die Aufgaben der Parteien nach Art. 21 GG bereitgestellt haben 19). Das dritte Urteil, ebenfalls im Organstreit, auf Antrag der Nationaldemokratischen Partei gegen den Deutschen Bundestag und den Deutschen Bundesrat erlassen, traf die gleiche Entscheidung in bezug auf die im Bundeshaushalt 1965 bereitgestellten Sondermittel für die politischen Parteien Die drei Urteile schlossen eine Reihe von'verfassungsprozessualen Abläufen ab, die dem Ansehen der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit nicht unbedingt zuträglich waren. b) Die Organklage der Gesamtdeutschen Partei und der Bayernpartei Am 12. September 1962 ging beim BVerfG eine Klage der Gesamtdeutschen Partei — GP (DP/BHE) — gegen den Deutschen Bundestag ein, die beantragte, festzustellen, daß der im Bundeshaushaltsgesetz 1962 den politischen Parteien finanzielle Zuwendungen gewährende Titel insoweit gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 21 GG verstößt, als er die Klägerin von der Beteiligung an den dort ausgewiesenen Zuschüssen ausschließt. Die Klägerin hatte nämlich bei der Wahl zum 4. Deutschen Bundestag weder drei Grundmandate noch die 5 %-Grenze erreicht und war daher im Bundestag nicht mehr vertreten. Der Haushaltsausschuß des Bundestages hatte demzufolge am 29. Juni 1962 beschlossen, die Gesamtdeutsche Partei bei der Verteilung der bereitgestellten Haushaltsmittel nicht mehr zu berücksichtigen. Der Bundesminister des Innern hatte sich im Vollzug dieses Beschlusses geweigert, Gelder an die Klägerin auszuzahlen. Es war somit nicht verwunderlich, daß diese sich an das BVerfG mittels der Organ-klage wandte, denn das war das letzte ihr zur Verfügung stehende Mittel, um vielleicht doch noch an den staatlichen Zuwendungen für politische Parteien partizipieren zu können. Doch das BVerfG zeigte keine besondere Eile, sich mit diesem Antrag zu befassen und eine Entscheidung herbeizuführen. Das Jahr 1962 ging zu Ende, das Jahr 1963 verfloß, das Jahr 1964 neigte sich seinem Ende zu, über den Antrag der Gesamtdeutschen Partei wurde nicht entschieden. Welche Gründe der Zweite Senat für diese Verzögerung hatte, ist nicht mit völliger Klarheit zu eruieren, die kolportierten Vermutungen auszusprechen, erscheint uns unzulässig. Doch wird in dieser Verzögerung wiederum ein schwerwiegender Mangel der bundesrepublikanischen Verfassungsgerichtsbarkeit deutlich, nämlich die überaus lange Zeitdauer von der Antragstellung bis zur Entscheidung, die in nicht wenigen Fällen den vom verfassungsgerichtlichen Verfahren verfolgten Zweck beeinträchtigen
Im November 1964 erhielt die Klägerin Unterstützung durch die Bayernpartei — BP •—, ebenfalls nicht im Deutschen Bundestag vertreten, die im Organstreit gegen Bundestag und Bundesrat die Feststellung begehrte, daß ihr Ausschluß von den finanziellen Zuwendungen im Bundeshaushaltsplan 1964 sie in ihrem verfassungsmäßigen Recht auf chancengleiche Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes verletze. Doch auch dieser Antrag schien den Senat nicht zu veranlassen, sich mit Energie einer Entscheidung zuzuwenden. Dazu bedurfte es offensichtlich stärkerer Anstöße von Antragsberechtigten, die in der öf-fentlichen Meinung über mehr Ansehen verfügen als zwei nicht mehr im Bundestag vertretene Parteien, oder die spektakulär genug sind, um Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen. c) Das von der Hessischen Landesregierung beantragte Normenkontrollverfahren Im Mai 1965 beantragte die Regierung des Landes Hessen, vertreten durch ihren Ministerpräsidenten Zinn (SPD), im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle beim BVerfG die Feststellung, daß die Bestimmungen des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1965, die 38 Millionen DM für die Aufgaben der Parteien nach Art. 21 GG bereitstellen, gegen Art. 30, Art. 21 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 Satz 2 und 3, Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen und nichtig sind Damit hatte der sozialdemokratische Ministerpräsident Hessens seinen zweiten Vorstoß beim BVerfG gegen jegliche Art von staatlicher Parteienfinanzierung unternommen.
War sein Erfolg bei seinem ersten Vorstoß ambivalent, so hoffte er jetzt, endgültig die finanziellen Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln an die Parteien zu unterbinden. Sein Vorstoß war ein Alleingang des Landes Hessen und geschah offensichtlich ohne die Billigung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, wie die Ausführungen ihrer Vertreter Schmitt-Vockenhausen und Jahn (beide SPD-MdB) in den mündlichen Verhandlungen erkennen ließen
Mit dem Antrag der Hessischen Landesregierung, deren Bevollmächtigter der in vielenVerfassungsrechtsstreitigkeiten bewährte Bundestagsabgeordnete Adolf Arndt (SPD) war, wurde der verfassungsrechtliche Streit um die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der staatlichen Parteienfinanzierung ein Gegenstand der öffentlichen Debatte, zumal Ministerpräsident Zinn keine Gelegenheit vorübergehen ließ, die Verfassungswidrigkeit der finanziellen Zuwendungen an die Bundestagsparteien, einschließlich seiner eigenen Partei, zu verkünden Für den 22. und 23. Juni 1966 wurde eine mündliche Verhandlung für die beiden Organklagen anberaumt, doch war man sich offensichtlich noch nicht ganz im klaren, ob dabei auch die Normenkontrollklage mit verhandelt werden sollte oder nicht. Zuvor aber traten noch andere politische Parteien in Aktion. d) Die Organklagen anderer politischer Parteien
Ende Mai 1965 erhob die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) eine Organ-klage gegen den Deutschen Bundestag und den Deutschen Bundesrat mit dem Begehren, festzustellen, daß der Haushaltsplan 1965 insoweit gegen Art. 21 GG verstößt, als er für die im Bundestag vertretenen Parteien einen Zuschuß von 38 Millionen DM ausweist. Hilfsweise begehrte sie, einen Verstoß gegen Art. 3 und 21 GG festzustellen, als sie von den finanziellen Zuwendungen im Haushaltsplan 1965 ausgeschlossen blieb. Wenig später beantragte die Deutsche Friedensunion (DFU) in einem Organstreit ebenfalls, das Haushaltsgesetz 1965 in bezug auf Kapitel 0602 Titel 612 für nichtig zu erklären. Hilfsweise forderte sie ihre angemessene Beteiligung an diesen Mitteln.
Somit schwebten beim BVerfG vier Organ-streitigkeiten und ein Normenkontrollverfahren, wobei die ersteren entweder von Parteien ausgingen, die stetig mehr und mehr aus dem demokratischen Prozeß eliminiert wurden und beim Wähler immer weniger Konsensus erzielen konnten, oder von Parteien, deren demokratische Substanz mehr als zweifelhaft ist, die aber rigoros alle ihnen von der rechtsstaatlichen Demokratie zur Verfügung gestellten Rechtsmittel gebrauchen, um im demokratischen Prozeß irgendeine Rolle zu spielen, wie spektakulär sie auch immer sein mag, und sich vor dem Bürger zu produzieren. Während das vom Lande Hessen angestrengte Verfahren von der Überzeugung der Antragsteller getragen wurde, staatliche Parteienfinanzierung führe zur Bildung eines staatlich proportionierten Parteienoligopols und gefährde die freiheitliche demokratische Grundordnung war es bei den vier antragstellenden Parteien evident, daß sie entweder den erfolgreichen Parteien die finanziellen Zuwendungen neideten und ihnen durch die Klage schaden wollten, oder daß sie selbst an dieser Finanzierungsquelle beteiligt werden wollten. Dabei kam ihnen die Grundrechtsnorm des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 1 GG, das verfassungsprozessuale Instrumentarium der Organklage für politische Parteien sowie die Rechtsprechung des BVerfG zur Chancengleichheit der politischen Parteien wirksam zu Hilfe überleben, künftiger Er-folg und Kampf gegen die etablierten Parteien waren für die antragstellenden Parteien die ausschließlichen Motive, sich an das BVerfG zu wenden, nicht aber die Sorge um die Aufrechterhaltung der demokratischen Ordnung — eine Sorge, die jedenfalls Ministerpräsident Zinn motivierte. Die genannten Parteien kleideten eine politische Auseinandersetzung in einen verfassungsgerichtlichen Streit und hofften, die Entscheidung des BVerfG würde ihnen dabei zu Hilfe kommen. e) Der weitere Verlauf der Verfahren 1. Das BVerfG verband durch Beschluß nach § 66 BVerfGG die Verfahren von GP (DP/BHE) und BP am 22. Juni 1965 zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung. Am 22. und 23. Juni 1965 fand eine mündliche Verhandlung statt, bei der auch der Vertreter des Landes Hessen auftrat, so daß gleichzeitig die Normenkontrollklage ihateriell-rechtlich verhandelt wurde. Ebenso traten die Vertreter der NPD und der DFU auf. Die im Bundestag vertretenen Parteien gaben Erklärungen ab. NPD und BP schlossen sich voll den Ausführungen des Vertreters des Landes Hessen an, sie änderten ihre Anträge dahin gehend, daß das BVerfG jegliche Art staatlicher Zuwendungen an politische Parteien für grund-gesetzwidrig erklären solle. Der erkennende Senat vernahm die Schatzmeister der SPD, CDU, FDP und CSU über die Höhe und die Verwendung der ihren Parteien zugeflossenen Sondermittel für politische Bildungsarbeit, über die Ausgaben und Einnahmen der Parteien im Jahre 1962 und 1964 einschließlich der geldwerten Leistungen, über das Verhältnis der Leistungen der öffentlichen Hand zu den anderen Einnahmen der Parteien, über zusätzliche Einnahmen und Ausgaben der Parteien für einen Bundestagswahlkampf. Das bewirkte, daß zum erstenmal die Parteien den Schleier über ihre Finanzen öffentlich lüften mußten und die Öffentlichkeit einen Einblick in die Finanzierungsquellen nehmen konnte. Als Termin für die Urteilsverkündung wurde der 30. Juli 1965 angesetzt, wobei der Vorsitzende durchblicken ließ, daß dabei wohl endgültig über die Verfassungsmäßigkeit der staatlichen Parteienfinanzierung entschieden werde Doch die Urteilsverkündung fand zu diesem Termin nicht statt. Am 22. Juli 1965 verlegte der Senat den Termin auf den 9. November 1965, offiziell wegen Erkrankung eines Senatsmitglieds. Welche Gründe tatsächlich dafür ausschlaggebend waren, ist nicht einwandfrei zu eruieren, und den Vermutungen und Spekulationen war und ist freie Bahn gegeben. Ob es die für den 19. September angesetzten Bundestagswahlen waren, zu denen die politischen Parteien eben ihre letzten Vorbereitungen trafen und in die das BVerfG durch ein eventuelles Verbot der staatlichen Parteienfinanzierung nicht eingreifen wollte, oder ob es die Auseinandersetzungen im erkennenden Senat waren, die nicht zu einer die Parteienfinanzierung ablehnenden oder bestätigenden Entscheidung führen konnten, ist offen. Es ist auch möglich, daß die Mitglieder des Zweiten Senats unter allen Umständen vermeiden wollten, daß das BVerfG in den Bundestagswahlkampf gezerrt werden würde, was dem Ansehen des Gerichts mit Sicherheit nicht zuträglich gewesen wäre. Welches Motiv für die Richter im einzelnen ausschlaggebend gewesen sein mag, kann dahingestellt bleiben; für den innerpolitischen Prozeß der Bundesrepublik war es von Vorteil, daß die Entscheidungen über die Parteienfinanzierung in die Zeit nach der Bundestagswahl verlegt wurde.
2. Obwohl das BVerfG nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG in geheimer Beratung entscheidet, blieb wie schon so oft bei politisch relevanten Prozessen das Beratungsgeheimnis auch in diesem Verfahren nicht streng gewahrt. Im Herbst 1965 verbreitete sich bei den politischen Parteien die Nachricht, der Sena Abs. 1 Satz 1 BVerfGG in geheimer Beratung entscheidet, blieb wie schon so oft bei politisch relevanten Prozessen das Beratungsgeheimnis auch in diesem Verfahren nicht streng gewahrt. Im Herbst 1965 verbreitete sich bei den politischen Parteien die Nachricht, der Senat habe erwogen, die Staatsfinanzierung der Bundestagsparteien durch den Bundeshaushaltsplan für unzulässig zu erklären 28). Der Bundestagspräsident beantragte daraufhin beim BVerfG, daß vor dessen Entscheidung auch der neu gewählte Bundestag rechtlich Gehör finden möge. Ähnliche Anträge stellten die Ministerpräsidenten von Bayern und Rheinland-Pfalz. Für die SPD beantragte Der Bundestagspräsident beantragte daraufhin beim BVerfG, daß vor dessen Entscheidung auch der neu gewählte Bundestag rechtlich Gehör finden möge. Ähnliche Anträge stellten die Ministerpräsidenten von Bayern und Rheinland-Pfalz. Für die SPD beantragte der Bundestagsabgeordnete Jahn dasselbe, der allerdings gleichzeitig in seinen Schriftsätzen den Antrag stellte, die verschleierte Parteienfinanzierung der Regierungsparteien aus den Regierungsfonds zu überprüfen 29).
Das Gericht mußte entscheiden, ob und inwieweit es den Anträgen der Bundestagsparteien entgegenkommen sollte. Eine verfahrensrechtliche Verpflichtung dazu bestand nicht und in seiner bisherigen Rechtsprechung hatte das BVerfG nach Schluß der Beweisaufnahme diese noch nie wieder eröffnet 30).
Hingegen hatte es Termine zur Urteilsverkündung schon häufiger verlegt, wozu § 30 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG ausdrücklich eine Befugnis einräumt, während das BVerfGG über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und erneute Beweisaufnahme schweigt.
Doch insoweit, als das BVerfG in der Gestaltung des verfassungsgerichtlichen Prozesses im Rahmen des BVerfGG über eine gewisse Autonomie verfügt 31), konnte es selbständig entscheiden und gab den Anträgen statt. Durch Beschluß vom 21. Oktober 1965 wurde der Verkündungstermin aufgehoben und durch Beschluß vom 14. Dezember 1965 die mündliche Verhandlung wieder eröffnet. Ob der Senat sich davon neue Tatsacheninformation oder evidente Rechtsargumente versprach, muß bezweifelt werden, wenn man die mündliche Verhandlung vom 19. bis 21. April 1966 verfolgte und die Urteile vom 19. Juli 1966 liest. Das, was im Herbst 1965 über das bevorstehende Urteil kolportiert wurde, unterscheidet sich nicht von den endgültigen Urteilen. 3. Im weiteren Verlauf der Verfahren gab es noch zwei wichtige prozessuale Ereignisse. Im Dezember 1965 beantragte der Prozeßbevollmächtigte der NPD namens seiner Mandantin, das BVerfG möge durch eine einstweilige Anordnung nach § BVerfGG dem Bundesminister des Innern verbieten, bis zur Entscheidung über die Parteienfinanzierung staatliche Zuschüsse an die politischen Parteien auszuzahlen. Der Antrag bezweckte, den im Bundestag vertretenen Parteien, insbesondere den Regierungsparteien, eine wichtige Geldquelle zu verschließen und das BVerfG zu nötigen, sich selbst bis zu einem gewissen Grade zu präjudizieren, also eine Vorentscheidung über die im Streit befindlichen Verfassungsrechtsfragen zu treffen. Doch das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung strenge Anforderungen an den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gestellt und im Vergleich zu den zahlreichen Anträgen nur wenige einstweilige Anordnungen getroffen 32). Es lehnte den Erlaß einer solchen ab, setzte sich aber mit dem Bundesinnenminister in Verbindung und regte an, die Auszahlungen an die Parteien, die monatlich erfolgten, einzustellen. Auch aus dem Ministerium selbst waren an den Bundesinnenminister von seinen Beamten Bedenken angemeldet und geraten worden, keine Zahlungen mehr zu leisten Die Zahlungen wurden jedoch fortgesetzt. Verfassungsrechtlich war dagegen nichts einzuwenden, doch hätte es gutem politischen Stil entsprochen, wäre man den Anregungen des BVerfG gefolgt und hätte die finanziellen Zuwendungen bis zum Spruch des Senats unterlassen.
Nach diesem Mißerfolg sann die NPD auf weitere prozessuale Nadelstiche und stellte am 3. Februar 1966 den Antrag nach § 19 BVerfGG, den Richter beim Zweiten Senat, Professor Gerhard Leibholz, wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Am 11. Februar 1966 stellte die BP denselben Antrag. Die Antragsteller begründeten ihr Begehren damit, daß sich Leibholz in seinem Referat auf der Staatsrechtslehrertagung 1965 in Würzburg für die Finanzierung der politischen Parteien aus Staatsmitteln ausgesprochen und dabei die These vertreten habe, „Liberale und Demo-
kratieablehner" hätten sich zu einer „unheiligen Allianz“ gegen die staatliche Parteien-finanzierung verbunden. Die NPD trug vor, sie habe begründeten Anlaß zu fürchten, daß Richter Leibholz das Grundgesetz, hier nament-lich die im Mittelpunkt des Verfahrens stehenden Art. 20 und 21 GG, nicht „objektiv", also nicht in einer unbestechlichen, freiheitlichen und demokratischen Intention auslegen und handhaben werde. Die BP argumentierte, ein Richter, der während des schwebenden Verfahrens sich herabsetzend über die eine Gruppe der Prozeßparteien äußere, habe dadurch „mindestens den argen Schein der Befangenheit in einem Ausmaß verbreitet, daß die Antragstellerin sich gehalten sieht, ihn wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen“. Obgleich der abgelehnte Richter sich nicht für befangen erklärte und nachweisen konnte, daß die ihm unterstellten Sätze in der vorgehaltenen Form nicht gefallen waren und er das Problem der staatlichen Parteienfinanzierung nur beiläufig erwähnt hatte, tat der Senat etwas, was in der fünfzehnjährigen Geschichte des BVerfG, trotz zahlreicher Ablehnungsgesuche, noch nie geschehen war er erklärte am 2. März 1966 das Ablehnungsgesuch der NPD und am 3. März 1966 das der BP für begründet. Am 25. März 1966 nahm er eine vermeintliche, tatsächlich aber nicht vorliegende Selbstablehnung von Professor Leibholz als begründet an Der Senat begründete seine Beschlüsse damit, daß die am Verfahren Beteiligten bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß hätten, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln. Es komme ausschließlich auf die Wirkung an, die Äußerungen des Rich-ters Leibholz auf einen unbefangenen Dritten haben konnten und diese erweckten deutlich den Eindruck der abwertenden Beurteilung derjenigen, die die Finanzierung der Parteien durch den Staat für unzulässig halten. „Bei vernünftiger Würdigung sind daher die Äußerungen des Richters Dr. L. geeignet, bei einem Verfahrensbeteiligten die Befürchtung wach-zurufen, der Richter, der sich während der anhängigen Verfahren in derart dezidierter Form geäußert hat, werde an der bevorstehenden Entscheidung nicht mehr unvoreingenommen mitwirken können. Dies begründet die Besorgnis der Befangenheit."
Die Ablehnung von Professor Leibholz, auf die unten noch näher einzugehen sein wird, hatte zur Folge, daß der erkennende Senat nur noch mit sieben Richtern besetzt war, da beim BVerfG ein abgelehnter Richter, anders als bei allen anderen Gerichten, nicht ersetzt wird. Inwieweit der Ausschluß Leibholz'die Entscheidungen beeinflußt hat, mag hier noch dahingestellt bleiben. Frage steht, daß dieser Ausschluß in weiten Kreisen der Öffentlichkeit mit Besorgnis ausgenommen worden ist, nicht nur deswegen, weil dieser Beschluß die Argumente der Antragsteller übernahm, sondern vielleicht noch mehr deshalb, weil er den Gegnern der Parteiendemokratie bessere Ausgangschancen gab 4. Das Gericht hatte — nachdem es die Beteiligung der SPD, CDU, FDP und CSU an dem verfassungsgerichtlichen Streit von BP und GP aus verfahrensrechtlichen Gründen am 22. März 1966 abgelehnt hatte 38a) — für den 19. April 1966 eipe neue mündliche Verhandlung angesetzt, bei der das Normenkontrollverfahren und die Organklagen von BP und* GP sowie von NPD verhandelt wurden, die bis zum 21. April 1966 dauerte. Obgleich diese Verhandlung in der Öffentlichkeit großes Interesse fand und die am Normenkontrollverfahren Beteiligten mit einem breiten Aufgebot an wissenschaftlichen Beiständen erschienen waren und deren Vorbringen ein einmaliges staatsrechtliches und politikwissenschaftliches Kolleg über Stellung und Funktionen der politischen Parteien in der modernen Demokratie boten, konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Verhandlung an der schon getroffenen Meinungsbildung über den Sachverhalt kaum mehr etwas ändern konnte. Selbst als die sensationelle Wendung eintrat, daß Adolf Arndt für die Hessische Landesregierung erklärte, auch das Land Hessen erachte die staatliche Parteienfinanzierung nicht mehr grundsätzlich als mit Art. 21 GG unvereinbar, sondern nur noch ihr Ausmaß und die derzeit betriebene Art und Weise, geschah von der Richterbank her nichts. Verfahrensrechtlich nicht korrekt war das Verhalten des Vorsitzenden, der dem Rechtsbeistand des Deutschen Bundestages, Professor Ernst Friesenhahn, das Wort entzog, als dieser Rechtsausführungen zur ordnungsmäßigen Besetzung der Richterbank machen wollte. Merkwürdig mutete auch an, daß der Senat das von Professor Rudolf Wildenmann erstattete „Gutachten zur Frage der Subventionierung politischer Parteien aus öffentlichen Mitteln" zwar angenommen hatte, aber auf eine mündliche Einvernahme dieses Experten als Sachverständigen, wie es § 28 BVerfGG vorsieht und wie es Professor Ulrich Scheuner als Vertreter der CDU angeregt hatte, verzichtete. Nicht minder seltsam war das Schweigen der Senatsmitglieder, als die wiederum als Zeugen vernommenen Schatzmeister der SPD, CDU, FDP und CSU ihre finanziellen Saltos bei der Angabe der sogenannten „geldwerten Dienste“ von Parteimitgliedern als Einnahmen vollführten, wodurch das Verhältnis von finanziellen Eigenleistungen zu staatlichen Zuwendungen grotesk verzerrt wurde. So hinterließ die mündliche Verhandlung vom 19. bis 21. April 1966 keinen erhebenden Eindruck und entließ Beteiligte und Zuhörer, ausgenommen vielleicht die Antragsteller in den Organstreitigkeiten, mit einem unguten Gefühl
II. Die öffentliche Reaktion auf die Urteile und ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die Parteien
Hatten schon der Prozeßverlauf sowie die mündliche Verhandlung bei den Kommunikationsmitteln erhebliches Interesse gefunden so daß der Problemkomplex der staatlichen Parteienfinanzierung in der öffentlichen Debatte ein vieldiskutierter Gegenstand war und die Öffentlichkeit mit einiger Spannung die Urteile des BVerfG erwartete, so nahmen sich jene mit Eifer der Entscheidungen an. Nicht minder selbstverständlich taten das die politischen Parteien, denn sie waren und sind ja die unmittelbar Betroffenen, ihre Funktionen und Wirkungsweisen wurden direkt vom Spruch des Zweiten Senats tangiert. Insoweit es für das demokratische Selbstverständnis einer politischen Gesellschaft von geradezu existentieller Bedeutung ist, inwieweit ihre relevanten Probleme allgemein bekannt sind und in der Öffentlichkeit diskutiert werden, dürfte es für unseren Zusammenhang nicht unwichtig sein, kurz auf die öffentliche Reaktion auf die Urteile einzugehen und die unmittelbaren Konsequenzen für die politischen Parteien zu skizzieren. Dadurch vermag ein kleiner Einblick in das politische Selbstverständnis der relevanten Publizistik und der politischen Parteien der Bundesrepublik gewonnen werden und gleichzeitig können die Urteile des BVerfG, wie angestrebt, auch in den größeren Zusammenhang unserer innerpolitischen Ordnung gestellt werden. a) Die publizistische Reaktion Bei der Beurteilung und Interpretation der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen in der relevanten Publizistik fällt auf, daß nur wenige Stimmen die Urteile begrüßen — und das nicht ohne Einwände und Bedenken Ernst Müller-Meiningen jr„ einer jeglichen staatlichen Parteienfinanzierung abholden Redaktion angehörig, bezeichnete es als wider den Geist der demokratischen Staatsverfassung verstoßend, wenn die Parteien vom Staat bezahlt würden. Er begrüßte die Entscheidung im Normenkontrollverfahren als überzeugend und schlüssig, soweit sie die staatliche Parteien-finanzierung mit Art. 21 GG für unvereinbar erklärte. Dann aber warf er dem Senat vor, er habe gleichsam einen Salto mortale begangen, weil er die Erstattung der Wahlkampfkosten zugelassen hat. Dadurch seien neue Unsicherheiten, neue Unklarheiten, neue verfassungsrechtliche Probleme entstanden. Er gibt der Befürchtung Ausdruck, daß sich diese verfassungsgerichtliche Lösung als Kuckucksei erweisen könne Solche Gefahren sieht auch Rudolf Augstein drohen, doch er glaubt, wacher demokratischer Bürgersinn könne gegen eine zu starke Ausdehnung der Wahlkampf-kosten als Korrektiv wirken. Obwohl nicht ganz mit dem „Durcheinander politischer und verfassungsrechtlicher Argumente" des BVerfG einverstanden, spricht er doch von einem ungeheuren Fortschritt in bezug auf das bisherige Finanzierungsgebaren der politischen Parteien Weitaus weniger zustimmend ist der Berliner Tagesspiegel, der auf die „tiefe Zäsur für die politischen Parteien und das ganze politische Leben" hinweist, deren weitreichende Folgen noch gar nicht abzusehen seien. Einerseits wird in dem nicht namentlich gekennzeichneten Artikel von der produktiven Unruhe und der den Parteien erteilten Lektion zur Gewinnung eines Selbstverständnisses ihrer politischen Funktion gesprochen, andererseits wird mit großem Ernst auf den Wähler hingewiesen, an dem es liege, ob den Parteien eine Entwicklung erspart werde, die sie um viele Jahre zurückwetfen würde Kein relevantes Presseorgan fand sich, das vorbehaltslos den Entscheidungen des BVerfG zugestimmt hätte. Dagegen fanden sich in führenden Zeitungen überaus negative und das Urteil ablehnende Stimmen. So sprach Friedrich Karl Fromme, der sich lange gegen die staatliche Parteienfinanzierung ausgesprochen hatte, von einem im Effekt sozusagen salomonischen Theaterdonner. Es sei nicht überzeugend, wie die Karlsruher Richter in ihrer jetzigen Entscheidung versuchten, die Bindungswirkung des Satzes aus dem Jahre 1958 wegzuschieben Fromme bemängelte die Zwiespältigkeit in der Sachentscheidung, die Richter hätten es sich zu leicht gemacht Auch Wilfried Herz-Eichenrode fällt auf, daß sich das Gericht selbst widerspricht und daß es sich so sehr von der politischen Realität entfernt hat. „Es wäre ein frommer Wunsch", meint er, „wolle man annehmen, die Bürger würden plötzlich scharenweise in die Parteien eintreten.“ Die schärfste publizistische Kritik übte Rudolf Zundel, der in zwei Artikeln, überschrieben „Ein Urteil ohne Logik" und „Die wirklichkeitsfremden Bundesrichter" von einem seltsamen Kunststück und von einem Buchhaltungstrick der Bundesverfassungsrichter spricht. Er wirft den Richtern vor, sie seien von einer Wunschvorstellung ausgegangen, wenn sie annehmen, alle Bürger seien in der Demokratie bereit, selbst die Organisation zu schaffen, ohne die das Volk sich heute nicht mehr artikulieren kann und ohne die es politische Entscheidungen nicht zu fällen vermag, nämlich die politischen Parteien. Das Karlsruher Urteil könnte niemals dazu führen, die Parteien in Mitgliederparteien zu wandeln, denn die Parteimitgliedschaft sei eben nicht die typische Form des politischen Engagements. Zwischen den Zeilen ist deutlich der Vorwurf der Träumerei herauszulesen, so wenn Zundel davon spricht, daß gerade Parteispenden vom do-ut-des-Prinzip bestimmt würden, oder daß Bundesregierung und Landesregierungen noch mehr als bisher der Versuchung ausgesetzt seien, ihre propagandistische Selbstdarstellung in den Dienst der Wahl-werbung zu stellen. Es wird die Befürchtung ausgesprochen, die Parteien müßten künftig gerade an der falschen Stelle sparen, nämlich am Parteiapparat und auf der Organisationsebene. Zünde/spricht vom Popanz, der anscheinend in der Bundesrepublik aufgebaut worden sei: die Parteien, die vom Staat ausgehalten werden und deshalb zwangsläufig degenerieren. „Diesen Popanz konnte man um so leich-ter verdammen, weil sich damit zugleich auch das Ressentiment gegen die Parteien abladen ließ. Bisher hat noch niemand schlüssig bewiesen, daß eine Teilfinanzierung aus staatlichen Mitteln korrumpierende Wirkung hätte." Neben solchen überaus kritischen Anmerkungen, die in der Presse überwogen, kamen noch die zahlreichen die Urteile ebenfalls kritisierenden, ja ablehnenden Kommentare in Rundfunk und Fernsehen, auf die hier jedoch nicht näher eingegangen werden kann Die hier wiedergegebenen Kommentare und Stellungnahmen zeigen jedenfalls, daß ernst zu nehmende Träger der öffentlichen Debatte den Urteilen skeptisch, wenn nicht gar negierend gegenüberstehen. b) Die Reaktion der politischen Parteien Für den demokratischen Prozeß maßgebender war die Reaktion der politischen Parteien als den unmittelbar von den Urteilen Betroffenen, insbesondere der im Bundestag vertretenen Parteien. Während die SPD so gut wie keine öffentliche Reaktion zeigte, äußerten sich führende Vertreter von CDU und FDP um so lebhafter, wenngleich sich ihre Reaktion allgemein dadurch auszeichnete, daß sie den Spruch des BVerfG akzeptierte und nicht in billige Urteilsschelte ausartete, und so demokratischen Habitus und politisches Stilgefühl bewies So äußerte sich der Presse-Sprecher der CDU, Arthur Rathke, in einem Artikel im Rheinischen Merkur Rathke ging davon aus, daß sich die Parteien durch die Entscheidung des BVerfG in ihrer eigentlichen, von der Verfassung gesetzten Aufgabe in Frage gestellt sehen würden. Denn statt kontinuierlich den Prozeß der Willensbildung durch Aufklärung und Information zu fördern, habe ihnen das BVerfG nur noch den Charakter von Wahl-maschinen zuerkannt. Eine solche Auffassung sei vom Geist des 19. Jahrhunderts getragen, sie treffe die Parteien im innersten Kern ihres Selbstverständnisses. Rathke legt überzeugend dar, daß keine Partei sich aus Mitgliedsbeiträgen allein finanzieren kann und warum die Ausweitung der Parteimitglieder in der Bundesrepublik so schwierig ist, daß die Volkspartei im Gegensatz zur Patronagepartei und zur politischen Sekte auf weitere Finanzierungsquellen als die Mitgliederbeiträge angewiesen sei, um gegen Korrumpierung gefeiter zu sein. Aus seinen Zeilen spricht ein Staunen über den Realitätsverlust des BVerfG, das nicht sehe, daß seine Vorstellungen vom mündigen Bürger erst in später Zukunft durch einen langwierigen Erziehungsprozeß verwirklicht werden könnten. Rathke nennt das Urteil verfassungsfremd, weil es nicht erkannt habe, daß die Parteien als Organisationen, die sich dem Allgemeinwohl der Gesellschaft widmen, zwischen den Mühlsteinen der Verbands-und Staatsbürokratie zerrieben werden, weil es die Notwendigkeit ständiger Präsens der Parteien nicht erkannt habe, weil es nicht sehe, daß es die großen Volksparteien sind, auf denen die Demokratie in der Bundesrepublik ruht.
Der Sprecher der CDU artikulierte mit seinem Beitrag mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Ansichten aller im Bundestag vertretenen Parteien. Hatten sich doch schon kurz nach der Urteilsverkündung die Schatzmeister der CDU und der FDP in ähnlichem Sinne geäußert und schien man sich in den Führungskreisen der Regierungsparteien darüber einig zu sein, daß das Urteil „verhängnisvoll" sei und darin eine allgemeine Aversion der Verfassungsrichter gegenüber den Bonner Parteien zum Ausdruck komme. Offensichtlich hätten die Richter eine Vorstellung von Parteiapparaturen, die der heutigen Zeit nicht mehr entspreche So gab es bei den Bundestagsparteien, in erster Linie den Regierungsparteien, zumindest eine formale Gemeinsamkeit in der Ablehnung des Urteils, was nicht überraschen konnte, da sie sich in der mündlichen Verhandlung einmütig für die staatliche Teilfinanzierung der Parteien ausgesprochen hatten und da sie von den Urteilen unmittelbar betroffen sind. Wer zufrieden war, waren die erfolglosen Splitterparteien GP und BP sowie die rechtsradikale NPD
c) Die unmittelbaren Auswirkungen auf die politischen Parteien Unmittelbar haben die Urteile des BVerfG vom 19. Juli 1966 nur negative Auswirkungen, indem aus dem Bundeshaushalt keine finanzielle Zuwendungen mehr an die Bundestagsparteien gezahlt werden. Positive Auswirkungen, indem auch die nicht im Bundestag vertretenen Parteien Wahlkampfkosten erstattet bekommen, sind erst nach Erlaß eines Parteiengesetzes zu erwarten. Wir werden abschließend noch auf die damit zusammenhängenden Probleme zu sprechen kommen.
1. Das BVerfG hat § 1 des Bundeshaushaltsgesetzes für das Rechnungsjahr 1965 insoweit für nichtig erklärt, als dadurch der Bundesinnenminister ermächtigt wurde, gemäß Einzelplan 06 Kapitel 02 Titel 612 38 Millionen DM für die Aufgaben der Parteien nach Artikel 21 GG auszugeben. In den tragenden Gründen hat es die finanziellen Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt an die politischen Parteien für verfassungswidrig erklärt. Damit entfielen für die Parteien spätestens ab dem Termin der Urteilsverkündung alle Zuwendungen aus dem Bundesetat. In welchen Größenordnungen bewegten sich diese bis dahin?
Im Haushaltsjahr 1966 sollten den im Bundestag vertretenen Parteien folgende Beträge zur Verfügung stehen:
SPD: 14 635 000, — DM CDU: 13 755 000, — DM FDP: 4 835 000, — DM CSU: 4 775 000, — DM Die Mittel wurden monatlich ausgezahlt, die letzte Auszahlung erfolgte am 15. Juli 1966 schon für den Monat August 1966. Die monatlichen Ratenbeträge betrugen im Jahre 1966: SPD: 1 219 594, — DM CDU: 1 146 235, — DM FDP: 402 863, — DM CSU: 397 972, — DM Da diese Regelung seit 1964 galt (auch wenn bis 1966 mit etwas anderen Endsummen für die einzelnen Parteien) und da sie gesetzlich gesichert war, konnten die Parteien fest mit diesen Summen rechnen und stellten dementsprechende Etatpläne auf. Sie bauten ihre Organisation aus, stellten hauptamtliches Personal an, gaben neue Informationsschriften heraus und führten Bildungskurse auf lange Sicht durch.
Während bei der SPD die Einnahmen aus anderen Finanzierungsquellen (Mitgliederbeiträge, Spenden, Eigenbetriebe, Abgaben der Mandatsträger) die staatlichen Zuwendungen bei weitem überstiegen (um etwa das Doppelte), hielten sich eigene Einnahmen und staatliche Zuwendungen bei der CDU etwa die Waage, bei der FDP waren die eigenen Einnahmen etwas höher, bei der CSU ebenfalls. Die Parteien mußten ab September 1966 auf die Finanzzuweisungen aus dem Bundeshaushalt verzichten. Der finanzielle Bruch war abrupt, mehr oder weniger unvorbereitet, die Folgen für Struktur und Wirksamkeit der in der Bundesrepublik relevanten politischen Parteien sind noch keineswegs völlig abzusehen.
Am wenigsten dürften die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen die SPD berühren. Denn diese kommt mit ca. 726 000 beitragzahlenden Mitgliedern dem Modell der Mitgliederpartei schon recht nahe und erhält aus Mitgliedsbeiträgen allein über 16 Millionen DM jährlich. Obgleich auch sie die staatlichen Beiträge aus dem Bundeshaushalt nicht ungern in Empfang genommen hatte, bedurfte sie diese nicht zum Ausbau ihres Organisationsapparates. Sie verwendete die Staatsgelder fast ausschließlich für politische Bildungsarbeiten wie Seminare, Schulungen, Informationsbriefe, Buchspenden, Stipendien zu wissenschaftlichen Arbeiten über die politische Ordnung der Bundesrepublik. Diese für die demokratische Bewußtseinsbildung unerläßliche Tätigkeit wird die SPD jetzt weitgehend einstellen müssen. Ob sie auch die seit 1960 infolge der stetig wachsenden staatlichen Zuwendungen eingestellten Bildungssekretäre reduzieren muß, die aus diesen Mitteln bezahlt wurden, ist noch offen
Auch die CSU dürfte von den Urteilen nicht allzu stark tangiert werden, da es ihr allem Anschein nach gelungen ist, sich finanziell weitgehend unabhängig zu machen. Zwar wurden und werden auch bei ihr Sparmaßnahmen durchgeführt, doch scheint das Urteil Organisation und Parteiarbeit nicht allzu sehr zu beeinträchtigen Kritischer ist die Situation bei der FDP, deren Bundesgeschäftsstelle weitgehend aus den staatlichen Zuschüssen finanziert wurde, so daß die Bonner Parteiarbeit der FDP recht unsanft getroffen wurde. Obgleich die Partei nach Aussagen ihres Geschäftsführers ihre Schulden aus dem Wahlkampf zu den Bundestagswahlen 1965 vollständig zurückgezahlt hat, muß sie zu einschneidenden Sparmaßnahmen greifen, durch die vor allem die Öffentlichkeitsarbeit radikal reduziert werden wird. Als erste konkrete Maßnahme wurde der Plan, 200 Informationszentren in der Bundesrepublik einzurichten, weitgehend fallengelassen Das ist deshalb zu bedauern, weil gerade durch solche Informationsstellen eine wesentliche Funktion der politischen Parteien, die Integration der politischen Einheit durch Verbindung von Regierenden und Regierten, wahrgenommen und endlich eine publikumsnahe Form der Selbstdarstellung der Parteien gefunden werden kann.
Am härtesten dürfte aber die CDU von den verfassungsgerichtlichen Erkenntnissen getroffen worden sein. Die Partei hatte in den letzten Jahren begonnen, den Mitarbeiterstab auf einen Stand zu bringen, der einen Vergleich mit der Staats-und Verbandsbürokratie annähernd aushalten konnte, sie hatte ihre Informations-und Öffentlichkeitsarbeit erheblich ausgeweitet, das heißt, sie hatte mit Hilfe der staatlichen Finanzzuweisungen sich einen einer modernen Partei adäquaten Organisationsapparat geschaffen Für den Wahlkampf zur Bundestagswahl 1965 hatte sie Darlehen von ca. 6 Millionen DM ausgenommen, die bei der Urteilsverkündung noch nicht vollständig zurückgezahlt waren Die unmittelbaren Folgen waren einschneidende Maßnahmen auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit und der politischen Bildung, in erster Linie in Bezug auf das Informationsmaterial für Funktionäre und Mitglieder Im Parteiapparat befürch-tet man Personalabbau, so daß die organisatorischen Voraussetzungen für eine wirksame Parteiarbeit nicht unbeträchtlich gefährdet sind 62a).
Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Entscheidung des BVerfG über die Verfassungswidrigkeit der finanziellen Zuwendungen aus Mitteln des Bundeshaushalts die Wahrnehmung der Funktionen der im Bundestag vertretenen Parteien erheblich gestört hat. Diese Störungen drohen sich zu Gefährdungen der Parteifunktionen in der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik auszuweiten. Der Parteiendemokratie wurde in einer relevanten Entwicklungsphase ein harter Schlag versetzt.
2. Dieser könnte sich bedrohlich auswachsen, wenn die politischen Parteien verpflichtet würden, die bisher geleisteten Zahlungen oder auch nur einen Teil von ihnen zurückzuzahlen. Das Urteil im Normenkontrollverfahren — das zu diesem Problem schweigt — vernichtete die Rechtsgrundlage, die den Bundesinnenminister ermächtigte, an die SPD, CDU, FDP und CSU Zahlungen in der Höhe bis zu 38 Millionen DM zu leisten. Es hat nach § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft; seine tragenden Gründe, das heißt hier die die Verfassungswidrigkeit begründenden Urteilssätze, binden nach Art. 31 Abs. 1 BVerfGG die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder. Daraus folgt, daß auch die Bestimmungen des Haushaltsgesetzes für das Rechnungsjahr 1966 nichtig sind, die den Parteien finanzielle Zuwendungen für ihre Aufgaben nach Art. 21 GG gewähren. Nicht aber können die Bestimmungen früherer Haushaltsgesetze des Bundes nachträglich nichtig werden Doch nicht das Flaushaltsgesetz ist die Rechtsgrundlage für die Auszahlungen an die politischen Parteien, sondern der die Auszahlung anordnende Verwaltungsakt, der sich auf die Bestimmungen des Haushaltsgesetzes als Ermächtigungsnorm stützt. Nun zieht die Nichtigkeit einer Norm nicht notwendig die Nichtigkeit aller Akte nach sich, die im Vertrauen auf die durch jene Norm geschaffene Rechtslage vorgenommen worden sind § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG spricht dies klar aus und bestimmt, daß unter anderem Verwaltungsakte als solche (vorbehaltlich von Einschränkungen, die sich aus einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde und aus besonderen Gründen ergeben — die hier nicht vorliegen) grundsätzlich unberührt bleiben, und zwar mit dem Status, mit der Kraft und mit der Schwäche des Rechtsakts, die nach allgemeinen Grundsätzen mit ihm verbunden sind Eine Rückzahlungsverpflichtung der politischen Parteien für die 1965 und 1966 erhaltenen finanziellen Zuwendungen aus dem Bundeshaushalt entfällt damit
In den folgenden beiden Teilen unserer Untersuchung wollen wir das Urteil in prozessualer und materiellrechtlicher Hinsicht analysieren, wobei auch hier dem gesamtheitlichen politischen Aspekt der Vorrang vor enger juristisch-dogmatischer Betrachtungsweise gegeben werden soll.
III. Verfahrensrechtliche Probleme bei Prozessen über die staatliche Parteienfinanzierung
Die Urteile des BVerfG vom 19. Juli 1966 werden in der Geschichte der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung dadurch eine Sonderstellung einnehmen, als sie nur durch mehr oder weniger rigorose Handhabung pro- Bestimmungen des BVerfGG zustande kommen konnten. Zwar sind Prozeßrechtsnormen nur technische Instrumentarien, um einen Verfassungsrechtsstreitfall in Gang zu bringen und ihn einer Entscheidung zuzu-führen, jedoch hängt von ihrer sachgerechten Wahrnehmung nicht selten entscheidend ab, ob und inwieweit eine Sachentscheidung abwägend, erschöpfend und befriedigend getroffen wird. Durch entsprechende Handhabung der Prozeßrechtsnormen gelang es dem BVerfG schon Male, Entscheidung einer verfassungsrechtlichen die Streitigkeit, hinter der eine eminent politische Auseinandersetzung stand und deren Entscheidung weittragende Auswirkungen auf den politischen Prozeß gehabt hätte, zu vermeiden Andererseits können prozessuale Rechtsnormen auch dazu dienen, zu einer ganz bestimmt gearteten Entscheidung zu gelangen. Ein solcher Eindruck konnte bei den hier behandelten Verfassungsprozessen was aber entstehen, keinesfalls besagt, daß der Zweite Senat mit Hilfe der Verfahrensvorschriften und im Rahmen der Prozeßautonomie des BVerfG tatsächlich ein bestimmtes Ergebnis angestrebt hätte.
Bei den Verfassungsprozessen um die staatliche Parteienfinanzierung waren folgende verfahrensrechtliche Fragen problematisch: die Ablehnung eines Mitglieds des erkennenden Senats wegen der Besorgnis der Befangenheit; die Rechtskraftwirkung der Entscheidung des BVerfG im Jahre 1958 der Beitritt der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zu dem Organstreit der GP und der BP die Frage, ob Haushaltsgesetze und Haushaltspläne Gegenstand der abstrakten Normenkontrolle sein können. Während es sich bei den letzteren Fragen mehr um rechtstechnische Probleme handelte, die je nach dogmatischem Standort verschieden beurteilt werden und wissenschaftlich irrelevant sind, handelt es sich bei den erstgenannten um Grundfragen des Verfassungsprozesses, von deren jeweiliger Beantwortung die Funktionsgerechtigkeit verfassungsgerichtlicher Verfahren abhängt. Diesen beiden Problemen soll etwas mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden a) Die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit Wie oben dargestellt, entschied der Senat, daß sein Mitglied Leibholz wegen der Besorgnis der Befangenheit nach § 19 BVerfGG von der weiteren Mitwirkung an den Verfahren über die staatliche Parteienfinanzierung ausgeschlossen ist. Damit war die Besetzung des Gerichts, die nach § 2 Abs. 2 BVerfGG acht Richter umfaßt und die nur in dieser Besetzung dem von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG normierten Anspruch auf den gesetzlichen Richter entspricht, auf sieben Richter reduziert. Eine solche Reduzierung stellt nicht einen Eingriff in die -nur ge setzlich vorgeschriebene Besetzung der Richterbank in dar, sondern auch einen Eingriff ein Verfassungsorgan, der weittragende Konsequenzen für die gesamte innerpolitische Ordnung, nicht nur für Beteiligte, unmittelbar nach sich ziehen kann. Denn der Ausschluß eines Mitglieds kann die Sachentscheidung erheblich beeinflussen — zum Beispiel durch möglicherweise entscheidende Änderung des Stimmenverhältnisses im Senat — und kann demzufolge zu Entscheidungen führen, die die Autorität des BVerfG, das ja mit letzter rechtlicher Verbindlichkeit über Wesensfragen des Verfassungsrechtskreises als des den die gesamte politische Existenz tragenden Rechts-kreises entscheidet in nicht geringem Ausmaße mindern. Wenn daher in die Besetzung des BVerfG eingegriffen wird, was nur bei Vorliegen eines gesetzlichen Grundes möglich ist, so hat dies mit größter Behutsamkeit zu geschehen, und der entscheidende Senat hat sich dabei stets der Besonderheit des verfassungsgerichtlichen Verfahrens und seiner Wirkung auf das Ganze der verfassungsrechtlichen Ordnung bewußt zu bleiben 1. § 19 BVerfGG eröffnet die Möglichkeit, einen Richter des BVerfG wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, stellt somit die gesetzliche Grundlage für den Eingriff in die gesetzmäßige Besetzung des erkennenden Senats dar. Als Ablehnungsgründe kommen unter anderem Äußerungen des Richters über die Sache, die eine Voreingenommenheit erkennen lassen, in Frage. Der Senat entscheidet über den Ablehnungsantrag ohne Beteiligung des abgelehnten Richters. Seine Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß Die Antragsteller behaupteten von einer Äußerung von Professor Leibholz, sie lasse eine Voreingenommenheit erkennen, und der Senat folgte ihren Argumenten. Der Wortlaut des Beschlusses läßt erkennen, daß Inhalt und Form der Äußerung nicht einer genaueren Prüfung unterzogen, geschweige denn die Frage der Voreingenommenheit durch eine wissenschaftliche Lehrmeinung im verfassungsgerichtlichen Verfahren hinreichend erörtert wurden.
Der Senat ging auf Form und Inhalt der Äußerung und auf das Forum, vor dem die Äußerung gemacht wurde, viel zu summarisch und allgemein ein. Die Äußerung zur Sache geschah beiläufig auf einer wissenschaftlichen Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer, einem Gremium, das wie kein anderes berufen ist, sich mit der verfassungsrechtlichen Stellung und Funktion der politischen Parteien in der modernen Demokratie zu befassen. Leibholz hielt eines der Hauptreferate zum Thema „Staat und Verbände", in dem er — nur auf Manuskriptnotizen gestützt — das Verhältnis von Parteien und Verbänden unter verfassungsrechtlichen, politik-wissenschaftlichen, soziologischen und historischen Aspekten analysierte. Es ergab sich aus dem Sachzusammenhang, daß er kurz auf das Problem der Parteien-finanzierung einging, und er sprach davon, daß sich heute offenbar Liberale mit Kräften verbunden hätten, die der heutigen Form der Demokratie ablehnend gegenüberstünden und daß diese Verbindung ihm ein „unheiliges Bündnis" zu sein scheine. Es ist mehr als fraglich, ob hier eine „Äußerung zur Sache", so wie sie § 19 BVerfGG verlangt, vorliegt. Wenn darunter jeder gegenüber Dritten geäußerte Ausspruch zu verstehen ist, dann ist die eine von der Gesetzesbestimmung geforderte Voraussetzung gegeben. Wenn man diese aber nur restriktiv interpretiert, so daß darunter nur Äußerungen zu verstehen sind, die präzise sich mit den Anträgen, Antragstellern und Beteiligten befassen, dann ist eine Anwendung des § 19 BVerfGG im vorliegenden Fall ausgeschlossen. Der Senat ist aber auf dieses Problem nicht eingegangen, sondern rügt statt dessen, daß der Richter Leib-holz in seiner Eigenschaft als Hochschullehrer überhaupt öffentlich auf die Frage der Parteien-finanzierung zu sprechen kam und warf ihm unzweideutig vor, er habe es an der erforderlichen Sorgfalt fehlen lassen, die dem Richteramt zukomme, das vom Amt des Hochschullehrers nicht zu trennen sei Inwieweit ist eine solche vom Senat stipulierte Sorgfalt begründet? Ist sie nicht in erster Linie am Modell des Zivil-und Strafrichters orientiert, und zwar in erster Linie in bezug auf den Tatbestand? Zeichnet es nicht gerade den qualifizierten Richter aus, daß er über möglichst viele Rechts-Probleme qualifizierte Rechtsansichten hat, Rechtsansichten, die nicht nur dogmatisch begründet sind, sondern in geistigen Grundhaltungen wurzeln 2. Den qualifizierten Richter zeichnen seine Rechtsansichten über die von ihm möglicherweise zu entscheidenden Fälle aus; seine Qualität wird gesteigert, wenn er diese Rechts-ansichten in den wissenschaftlichen Kommunikationsprozeß einführt, sie damit zur Kritik stellt, zur Diskussion darüber einlädt und sie gegebenenfalls auf Grund besserer gegnerischer Argumente ändert. Niemand würde daran denken, irgendeinem Richter in der Bundesrepublik zu untersagen, seine Rechtsansichten zu einem prozessualen oder materiellrechtlichen Problem zu publizieren, Rechtsansichten, die untrennbar mit seinem täglichen Handeln als Richter verbunden sind und die sich auf sein künftiges richterliches Tun auswirken werden. Im Gegenteil, je fruchtbarer die publizistische und öffentliche Diskussion ist, desto größer werden die Chancen für geistige Offenheit und Transparenz in Rechtsfragen. Dies alles soll dem Richter am BVerfG untersagt sein? Der Bundesgesetzgeber hat zu Recht an die Kandidaten für das Richteramt am BVerfG in § 3 BVerfGG hohe Anforderungen gestellt Das wird unter anderem auch in der Intention manifest, Hochschullehrer für das Amt des Bundesverfassungsrichters zu gewinnen. Der Bundesgesetzgeber brachte aber auch den Mitgliedern des BVerfG großes Vertrauen in Bezug auf ihre innere Souveränität entgegen, als er in § 18 Abs. 3 BVerfGG bestimmte, daß ein Richter nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil er in derselben Sache im Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt hat Zutreffend führt daher Werner Sarstedt aus, dem Richter am BVerfG würde also zugetraut, daß er sogar dem von ihm selbst geschaffenen Gesetz objektiv gegenübersteht, um es gegebenenfalls für grundgesetzwidrig zu erklären. Was von einem Gesetz gelte, an dem der Richter mitgewirkt hat, müßte von seinen Veröffentlichungen und Vorträgen doch wohl erst recht gelten Doch der Zweite Senat hat sich gegen einen solchen Gebrauch seiner Meinungsfreiheit erklärt, einer Meinungsfreiheit, die in Bezug auf die Äußerung von Rechtsansichten nicht vom besonderen Gewaltverhältnis her eingeschränkt werden kann, wie Sarstedt besonders hervorhebt
So muß gegen die Ansicht des Senats gesagt werden, daß es dem Richter am BVerfG prinzipiell erlaubt sein muß, über alle verfassungsrechtlichen Probleme Rechtsansichten öffentlich, mündlich oder schriftlich, zu äußern, sich der Diskussion zu stellen, um Konsensus zu werben
3. Professor Leibholz befaßt sich seit über 35 Jahren mit den Problemen der modernen Demokratie und ihrer Entwicklung zum Parteienstaat. In geistig dürftiger Zeit hatte er auf der Staatsrechtslehrertagung 1931 in Halle gegen den Widerstand nicht weniger Kollegen den Mut, umrißhaft die Lehre vom modernen Parteienstaat zu entwickeln Die Erfahrungen des Zusammenbruchs der Weimarer Republik, die Verfolgung durch das NS-Regime, die Emigration nach England, wo sein demokratischer Geist die ihm kongeniale Umwelt fand, die Erfahrungen der angelsächsischen Demokratie veranlaßten ihn — der in den bitteren Jahren der Emigration sich stetig mit Geist, Struktur und institutioneilen Möglichkeiten demokratischer Ordnung befaßte —, sich nach seiner Rückkehr nach Deutschland mit ganzer Kraft den politisch-theoretischen und verfassungsrechtlichen Problemen ebenso wie den politisch-praktischen Fragen einer neuen Demokratie zu widmen, einer Demokratie, in der den politischen Parteien die zentralen Funktionen im Institutionengefüge zukommen. Die von ihm in zahlreichen Publikationen entwickelte Lehre von der Parteien-demokratie trug entscheidend zum politischen Selbstverständnis der Bundesrepublik bei und wurde zu einem wesentlichen Bestandteil der Staatsrechtslehre und der politischen Theorie in der Bundesrepublik Er hat mit seinen wissenschaftlichen Lehrmeinungen die Rechtsprechung des BVerfG zur verfassungsrechtlichen Stellung der politischen Parteien und zu ihren Funktionen mitgetragen und mitgeformt So war und ist die wissenschaftliche Lehrmeinung von Professor Leibholz allgemein bekannt. Sie ist seit Beginn der Rechtsprechung des BVerfG ein Bestandteil der politik-wissenschaftlichen, staatsrechtlichen und öffentlichen Debatte. Niemals dachte eine beim BVerfG klagende politische Partei, ein Antragsgegner oder ein Beteiligter daran, den Richter Leibholz wegen der Besorgnis der Voreingenommenheit abzulehnen. Alle vor dem BVerfG in den entsprechenden Verfahren Agierenden kannten nicht nur die wissenschaftliche Lehrmeinung des Professors Leib-holz, sondern auch die über jeden Zweifel erhabene persönliche und politische Integrität des Richters Leibholz, der mit strengster Sachgebundenheit und Objektivität jedem Verfassungsrechtsstreitfall gegenübertritt. So scheint es uns nicht gerechtfertigt, aus der -wissenschaftlichen Äußerung eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen Bleibt die letzte offene Frage, ob die beiläufige Äußerung von Professor Leibholz eine Voreingenommenheit zu begründen vermochte.
Das von Professor Leibholz vertretene parteienstaatliche Verständnis der modernen Demokratie, das sich mehr und mehr durchgesetzt hat, droht durch restaurative Tendenzen im politischen Prozeß und in der Staatsrechtslehre der Bundesrepublik, die scharf zwischen „Staat" und „freier Gesellschaft" unterscheiden und die die politischen Parteien im Sinne des liberalen Staatsverständnisses betrachten, grundsätzlich in Frage gestellt zu werden Solche Tendenzen, die sich vom liberalen Gedankengut des 19. Jahrhunderts nähren, werden nicht nur der Funktion und Bedeutung der Parteien nicht gerecht, sie gefährden auch deren Leistungsfähigkeit und mindern damit die Substanz der freiheitlichen Demokratie. Erschwerend tritt zu solchen Tendenzen der in Deutschland seit Beginn demokratischer Bemühungen unterschwellig vorhandene, aber sehr wirksame Anti-Parteien-Affekt, nicht selten verbunden mit antidemokratischen Entwicklungstendenzen, so daß die demokratie-verneinenden und demokratie-feindlichen Kräfte im Wachsen sind. Es dürfte sich daher für einen verantwortungsbewußten Hochschullehrer und Mitglied eines Gerichts und Verfassungsorgans, das der oberste . Hüter der Verfassung'ist, von selbst verstehen, daß er sich mit derartigen Tendenzen auseinandersetzt, sie analysiert und ihre möglichen Auswirkungen auf die konkrete demokratische Ordnung der Bundesrepublik aufzeigt. Dabei ist evident, daß bei einer solchen wissenschaftlichen Auseinandersetzung wissenschaftliche Urteile gefällt werden, und zwar Urteile, die mit höchst möglicher Präzision die Sachverhalte bezeichnen. Wenn Leibholz vom „unheiligen Bündnis" zwischen Liberalen und denjenigen gesprochen hat, die der heutigen Form der Demokratie ablehnend gegenüberstehen, dann hat er mit wissenschaftlicher Exaktheit einen politisch-sozialen Sachverhalt so gekennzeichnet, wie man es von einem Wissenschaftler erwarten muß
Bei einer abgewogenen Beurteilung hätte man zu der Erkenntnis gelangen können, daß in dem wissenschaftlich begründeten Urteil von Professor Leibholz keine Abwertung irgendeines Prozeßbeteiligten zu erblicken war. Bei einer grundsätzlichen Prüfung der gesamten Ablehnungsproblematik hätte man zu dem Ergebnis kommen müssen, daß aus Inhalt und Form der Äußerung von Professor Leibholz und bei verständiger Würdigung von wissenschaftlicher Leistung, richterlicher Tätigkeit, demokratischem Habitus und persönlicher Integrität von Professor Leibholz auch nicht subjektiv der geringste Anschein für die Gefahr der Voreingenommenheit vorlag. Der Senat hätte bei Abwägen aller Umstände bei den Antragstellern darauf hinwirken können, ihre Besorgnis zu zerstreuen, und er hätte sie mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit beseitigen können Doch der Senat hat die Gesamtproblematik nicht hinreichend untersucht. Als er dann auch noch die Ablehnung für das Normenkontrollverfahren beschloß, konnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, daß die Ablehnungsanträge nicht unwillkommen waren, um auf diese Weise die Gruppierungen im Senat zu ändern b) Res judicata?
Es ist nicht Zweck der Verfassungsgerichtsbarkeit, jeden Streit, dessen Entscheidung durch Präjudizien klar ist, erneut mit Begründung zu entscheiden. Vielmehr hat sie sich auf die Klärung bisher nicht entschiedener Fragen zu konzentrieren, so daß unter anderem bei jenen Anträgen eine summarische Verwerfung gerechtfertigt ist, denen die Rechtskraft einer früheren Entscheidung in derselben Sadie ent-gegensteht Das aber war der Fall beim Antrag der Hessischen Landesregierung, so daß deren Antrag als unzulässig nach § 24 BVerfGG hätte verworfen werden müssen, ohne daß in eine Erörterung der materiellen Verfassungsrechtsprobleme hätte eingetreten werden dürfen.
1. Im Jahre 1957 hatte die Hessische Landesregierung beim BVerfG den Antrag gestellt, eine Reihe von Steuerrechtsnormen für verfassungswidrig zu erklären Der Hessische Ministerpräsidentbezweckte schon damals, eine Grundsatzentscheidung des BVerfG in Bezug auf die Verfassungswidrigkeit staatlicher Zuwendungen an politische Parteien herbeizuführen, lautete doch der erste Punkt der Begründung des Hessischen Antrags: „Die Finanzieiung der politischen Parteien ist keine Staats-aufgabe, da die freiheitliche demokratische Grundordnung keine Staatsparteien duldet“ Somit ging es in jenem Normenkontrollverfahren in erster Linie eindeutig um die Verfassungsrechtsfrage, ob finanzielle Zuwendungen aus staatlichen Haushaltsmitteln mit dem Grundgesetz vereinbar sind oder nicht. Die Überprüfung der Steuerrechtsnormen war nur das prozessuale Instrument, mittels dessen das BVerfG dazu gebracht werden sollte, diese Verfassungsrechtsfrage zu entscheiden. Der Zweite Senat hat, wie wir unten noch sehen werden, diese Verfassungsrechtsfrage präzise entschieden Zwar erklärte der Senat die vom Antragsteller zur Überprüfung gestellten Steuerrechtsnormen für verfassungswidrig, aber nur deswegen, weil sie gegen das Grund-recht der politischen Parteien auf Chancen-gleichheit und das Grundrecht des Bürgers auf Gleichheit verstießen Der Urteilstenor er-wuchs nach § 31 Abs. 2 BVerfGG in Gesetzes-kraft, während die tragenden Gründe des Urteils, das heißt die Sätze der Begründung, die aus den Bestimmungen des Grundgesetzes eine Folgerung ableiten, mit der der Tenor steht und fällt die bindende Wirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG hatten, also alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden banden
Die BindungsWirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG ist eine Erweiterung der materiellen Rechtskraft, indem sie über die am Verfahren Beteiligten hinaus auch am Verfahren Nicht-beteiligte bindet. Sie ist eine Verstärkung der materiellen Rechtskraft, impliziert diese also, was für unser Problem bedeutet, daß der tragende Grund des Urteils, die Grundgesetzmäßigkeit der staatlichen Parteienfinanzierung, einem erneuten Verfahren in der gleichen Sache — zudem vom selben Antragsteller beantragt — als ein von Amts wegen zu beachtendes Prozeßhindernis entgegensteht Das wird zwar vom Zweiten Senat ohne weitere Begründung bestritten — wobei ohne Berücksichtigung des Leitsatzes 1 und des Aufbaus des Urteils vom 24. Juni 1958 den genannten Passagen aus den Urteilsgründen nicht mehr die Qualität von . tragenden Gründen'zugesprochen wird —, doch wird dabei übersehen, daß die Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG kein , aliud'gegenüber der materiellen Rechtskraft ist, sondern ein , mehr', außerdem wird mehr oder weniger willkürlich ein allgemein anerkannter Grundsatz des Prozeßrechts in Abweichung von der herrschenden Meinung und den Kommentatoren für den verfassungsgerichtlichen Prozeß als unbekannt bezeichnet. 2. Das BVerfG argumentierte gegen das von Professor Ernst Friesenhahn als Prozeßvertreter des Deutschen Bundestages geltend gemachte Prozeßhindernis, die Frage, ob ein wiederholter Antrag unter bestimmten Voraussetzungen (zum Beispiel bei Vortrag neuer rechtlicher Gesichtspunkte oder grundlegen-dem Wandel der Lebensverhältnisse oder der allgemeinen Rechtsauffasung) zulässig sei, stelle sich nur, wenn der Antrag einen Gegenstand betreffe, über den bereits in einem früheren verfassungsgerichtlichen Verfahren entschieden worden ist. Das wird aber für das vorliegende Verfahren bestritten mit der Begründung, hier sei über die Gültigkeit einer Norm des Bundeshaushaltsgesetzes 1965 zu entscheiden, während das frühere Urteil über die Gültigkeit steuerrechtlicher Vorschriften befunden habe. Diese Argumentation läßt außer Betracht, daß der Antragsteller sowohl 1957 als auch 1965 eine verfassungsgerichtliche Entscheidung über .denselben Gegenstand'erreichen wollte und nur aus prozessualen Gründen, um überhaupt ein Normenkontrollverfahren in Gang zu bringen, jeweils verschiedene Rechtsnormen zu überprüfen beantragte. Der strittige Sachverhalt war jeweils derselbe, nämlich — um es zu wiederholen — die Verfassungsrechtsfrage der staatlichen Zuwendungen an politische Parteien. Für den strittigen Sachverhalt gilt, daß es ausgeschlossen ist — auf jeden Fall nicht vom selben Antragsteller —, ihn noch einmal vor das BVerfG zur Nachprüfung zu bringen, es sei denn unter den genannten Voraussetzungen. Diese lagen nicht vor, denn der Vertreter der Hessischen Landesregierung brachte dieselben grundsätzlichen Argumente wie im Jahre 1957 vor
Der Senat verneinte also aus formalistischer Betrachtung verfahrensrechtlicher Grundsätze das Prozeßhindernis der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung über denselben Gegenstand und hielt den Antrag der Hessischen Landesregierung für zulässig. Hätte er, wie es verfahrensrechtlich geboten gewesen wäre und wie es der bisherigen Praxis des BVerfG entsprochen hätte, den Antrag nach § 24 BVerfGG abgewiesen, so hätte er die nachfolgend zu analysierende Entscheidung vermeiden können. Durch ein solches Verfahren hätte das BVerfG seiner bisherigen Rechtsprechung entsprochen. Es wäre nur das wiederholt worden, was schon öfters erfolgreich angewandt wurde, wenn es darum ging, nicht in den Handlungsbereich von Regierung und Parlament einzugreifen, sondern sich in , self-restraint', in Selbstbescheidung, zu üben
IV. Die verfassungsrechtliche Problematik des Verbots der staatlichen Finanzierung der Parteien
Aus unseren bisherigen Darlegungen wurde ersichtlich, daß sowohl das verfassungsgerichtliche Procedere als auch die Handhabung bestimmter Prozeßnormen durch den erkennenden Senat Skepsis hinsichtlich der zu erwartenden Urteile erwecken mußte. Solche Skepsis schlug um in eine weitgehend ablehnende Reaktion der Publizistik und, verständlicherweise, der betroffenen politischen Parteien. Doch die Reaktion der unmittelbar Betroffenen und die erste Antwort der Kommunikationsmittel ist nur eine , common-sense'-Reaktion, die die politischen und verfassungsrechtlichen Probleme der Urteile zwar aufzureißen vermag, nicht aber tiefer in sie eindringen kann. Im folgenden soll versucht werden, einige relevante verfassungsrechtliche und politisch-theoretische Probleme der Urteile vom 19. Juli 1966, in erster Linie des Urteils im Normenkontrollverfahren, einer kritischen Untersuchung zu unterziehen. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG zur Frage der staatlichen Parteienfinanzierung und vom Schweigen des Grundgesetzes zu diesem verfassungsrechtlichen Problem wird das Verständnis des BVerfG von . Volk', Parteien und , Staat'analysiert werden, um von da aus die Vorstellungen des Senats über Funktionen der politischen Parteien und ihrer Finanzierung darzulegen und abschließend auf die Problematik einzugehen, die darin liegt, daß das BVerfG eine allgemeine Parteienfinanzierung für unzulässig erklärte, es aber für zulässig erachtet, den Parteien ihre im Wahlkampf entstandenen Kosten zu ersetzen. a) Die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zur staatlichen Finanzierung der politischen Parteien 1. Der Senat gestand im Urteil auf die Normenkontrollklage der Hessischen Landesregierung zu daß die früheren Ausführungen des Gerichts über die Bereitstellung finanzieller Mittel an die politischen Parteien von Staats wegen von den gesetzgebenden Körperschaften dahin gehend verstanden werden konnten und auch verstanden wurden, daß es verfassungsrechtlich zulässig sei, den Parteien aus Haushaltsmitteln Zuschüsse für ihre gesamte politische Tätigkeit zu bewilligen In seinen weiteren Ausführungen versucht er nicht, die früheren Entscheidungen als obiter dicta (beiläufig) herunterzuspielen, wie das in der Literatur zuweilen geschieht Er läßt vielmehr erkennen, daß er nicht mehr seiner bisherigen Rechtsprechung folgt.
Die grundlegende Entscheidung wurde, wie oben schon angedeutet, im Jahre 1958 getroffen. Das Gericht ging damals davon aus, daß der Bundesgesetzgeber, indem er Spenden an politische Parteien für abzugsfähig erklärt, auf einen Teil der Steuern verzichtet, der an sich auf diese Beträge entfallen würde. Dieser Verzicht wirkt sich zugunsten der politischen Parteien aus. „Die Anerkennung der Parteispenden als abzugsfähige Ausgaben bedeutet also, daß der Staat mittelbar in Höhe des ihm verlorengehenden Steueranteils an der Finanzierung der politischen Parteien teilnimmt." Eine solche Regelung würde mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sein, „wenn das Grundgesetz, wie der Antragsteller behauptet, jede unmittelbare oder mittelbare Förderung der politischen Parteien von Staats wegen verböte. Dies aber ist nicht der Fall." Anknüpfend an die frühere Rechtsprechung weist der Senat auf die Funktionen der Parteien als Wahlvorbereitungsorganisationen hin und stellt fest: „Da die Abhaltung von Wahlen eine öffent101) liehe Aufgabe ist und den Parteien bei der Durchführung dieser öffentlichen Aufgabe von Verfassungs wegen eine entscheidende Rolle zukommt, muß es auch zulässig sein, nicht nur für die Wahlen selbst, sondern auch für die die Wahlen tragenden politischen Parteien finanzielle Mittel von Staats wegen zur Verfügung zu stellen." Die Aussage ist eindeutig und bildet ein wesentliches Urteilselement der damaligen Entscheidung. Auf sie beruft sich das BVerfG in einer Reihe späterer Entscheidungen, die gleichzeitig den Zweck staatlicher Zuwendungen noch verdeutlichen.
Am 15. März 1961 lehnte der Zweite Senat einen Antrag des Gesamtdeutschen Block/BHE auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ab, die dem Bundesminister des Innern aufgeben sollte, keine Zahlungen an die politischen Parteien für politische Bildungsarbeit zu leisten Der Antrag wurde abgelehnt, unter anderem mit der Begründung, das BVerfG habe bereits entschieden, daß den die Wahlen tragenden politischen Parteien finanzielle Mittel von Staats wegen zur Verfügung gestellt werden können. „Die Aussetzung des Vollzugs einer solchen Maßnahme, die es den begünstigten Parteien ermöglicht, ihre Aufgabe als Verfassungsorgan unabhängiger von sachfremden Finanzierungsquellen als zuvor gerecht zu werden, würde das Gemeinwohl auch und zwar mehr beeinträchtigen als der möglicherweise vorübergehende Ausschluß einer im Bundestag nicht vertretenen Partei von der staatlichen Finanzierung." Damit wurde ein weiterer Aspekt für die Zulässigkeit der staatlichen Parteienfinanzierung gezeigt, der schon etwas früher angeklungen war nämlich die Parteien unabhängiger von sachfremden Finanzierungsquellen zu machen, damit sie der ihnen durch Art. 21 GG zugewiesenen Aufgabe als Verfassungsorgan gerechter werden können als bisher Nimmt man zu diesen eindeutigen Aussagen des BVerfG diejenigen über die Funktionen der Parteien in der parteienstaatlichen Demokratie hinzu — auf die weiter unten noch einzugehen sein wird —, so muß man feststellen, daß das BVerfG die verfassungsrechtliche Frage nach der staatlichen Finanzierung der politischen Parteien positiv beurteilt hat. Seine gesamte Rechtsprechung führt folgerichtig zu der These, daß es dem Staat (wer immer darunter zu verstehen ist!) erlaubt ist, den Parteien eine finanzielle Beisteuer zu leisten 2. War also die verfassungsrechtliche Streitfrage der staatlichen Parteienfinanzierung vom BVerfG unzweideutig entschieden, so hätte man erwarten müssen, daß der Senat die Frage als endgültig geklärt ansehen würde und demzufolge die Anträge als unbegründet abweist, die auf eine Verfassungswidrigkeitserklärung jeglicher staatlichen Parteienfinanzierung hinausliefen. Zwar gilt die Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht für das BVerfG selbst. Jeder Senat kann von seiner eigenen Rechtsauffassung in einem späteren Urteil, abgehen er kann die in einer früheren Entscheidung vertretene Rechtsauffassung aufgeben, auch soweit sie für die damalige Entscheidung tragend war Nur wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Rechtsauffassung des anderen Senats abweichen will, hat er die Entscheidung des Plenums nach § 16 Abs. 1 BVerfGG einzuholen. Bis zum 19. Juli 1966 hat keiner der beiden Senate die Freiheit von der Bindungswirkung beansprucht. Man schien im BVerfG zutreffend von der Gesamtverantwortung verfassungsrichterlichen Handelns auszugehen und sich bewußt zu sein, daß die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder, alle Gerichte und Behörden, die Entscheidungen des BVerfG zum Maßstab ihres Handelns machen und auf deren Beständigkeit vertrauen. Aber nicht nur diese, sondern auch die nicht im Rechtssinne des § 31 Abs. 1 BVerfGG Gebundenen, die Bürger, die Verbände, die politischen Parteien vertrauen auf die Beständigkeit und Kontinuierlichkeit verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung. Gibt es doch in einem demokratischen Gemeinwesen so etwas wie ethisch-politische Bindungen und Selbstbindungen, ohne die eine auf dem Prinzip der Freiheit gegründete politische Ord-nung leicht in die Absurdität absinken, das heißt sich selbst zerstören kann Zu dieser Art Bindung gehört auch die Selbstbindung des BVerfG, die — wie Ernst Friesenhahn zu Recht hervorhebt — „um so intensiver wird, je stärker der politische Akzent ist, je zentraler die Frage für die Verfassungsstruktur und das Verfassungsleben der Bundesrepublik Deutschland ist." Die Wirksamkeit des Verfassungsgerichts beruht ja noch mehr auf seiner geistig-politischen Autorität als auf der Durchsetzbarkeit seiner positiv-rechtlichen Entscheidungen Durch eine solche Selbst-bindung würde diesem Umstand am besten Rechnung getragen.
Der Zweite Senat hat es für richtig gehalten, von der bisherigen Rechtsprechung abzurük-ken und Entscheidungen des Bundesgesetzgebers, die dieser im Vertrauen auf die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung getroffen hat und die dem vom BVerfG als Leitsatz proklamierten Verfassungsgrundsatz entsprochen haben, für verfassungswidrig zu erklären. Der Spruch bindet und wird Beachtung finden. Ob er allerdings den Rechtsfrieden für die Zukunft sichern wird, was nach Aussage des BVerfG eine besondere Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit ist muß bezweifelt werden. Die Gefahr erheblicher Erschütterungen des politischen Gefüges der Bundesrepublik ist vielmehr nicht auszuschließen. Besonders deshalb, weil die Begründung der die bisherige Rechtsprechung aufgebenden Entscheidung in den geschriebenen Verfassungsrechtsnormen kaum eine Grundlage findet. b) Das Schweigen des Grundgesetzes zur staatlichen Parteienfinanzierung 1. Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung bedarf wie jede echte richterliche Tätigkeit der justiziablen Norm. Voraussetzung für das Tätigwerden des BVerfG ist, daß die der Kognition (Untersuchung) des Gerichts unterstellte Streitigkeit oder Meinungsverschiedenheit unter eine klare Rechtsnorm subsumiert werden kann, die inhaltlich einer näheren rechtlichen Auslegung fähig ist und durch deren vernünftige Interpretation der Verfassungsrechtsstreit entschieden werden kann. Ohne rational Standards', an denen das BVerfG in seiner Eigen-114) schäft als richterliche Institution seine Entscheidungen orientieren kann, ist das Gericht nicht in der Lage, in einem materiellen Sinne rechtsprechend tätig zu sein Die . rational Standards'sind das Kriterium, durch die sich das BVerfG als Gericht ausweist und sich von den anderen Verfassungsorganen unterscheidet. Durch sie unterscheidet es politische Rechtsstreitigkeiten von rein politischen Streitigkeiten, für deren Entscheidung es nicht zuständig ist
Die justiziable Norm ist allein in der Verfassung zu finden. Die Verfassungsrechtsnormen des Grundgesetzes sind der Maßstab, an Hand dessen das BVerfG ihm vorgelegte Verfassungsrechtsstreitigkeiten zu entscheiden hat. Das erste Problem in allen verfassungsgerichtlichen Streitigkeiten ist somit, ob es eine Verfassungsrechtsnorm gibt, unter die der Streitfall subsumiert werden kann. Bietet das Grundgesetz einen Maßstab, an dem der strittige Verfassungsstreitfall gemessen werden kann? Vor diesem Problem stand der Zweite Senat auch in den Verfassungsrechtsstreitigkeiten über die staatliche Parteienfinanzierung. 2. Sucht man im Grundgesetz nach einer Rechtsnorm, die über die staatliche Finanzierung der Parteien etwas aussagen könnte, so muß man feststellen, daß es keine solche gibt. Die Verfassungsrechtsnormen schweigen über dieses Problem. Ein Verbot der staatlichen Parteienfinanzierung, so wie es das BVerfG ausgesprochen hat, ist im Grundgesetz expressis verbis nicht zu finden. Die einzige Verfassungsrechtsnorm, an die man denken könnte, ist die des Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG, die bestimmt: „Sie (die politischen Parteien) müssen über die Herkunft ihrer Mittel öffentlich Rechenschaft legen." Kann dieser Bestimmung ein Verbot der staatlichen Parteien-finanzierung entnommen werden? Werfen wir zur Beantwortung dieser Frage zunächst einen Blick auf die Genesis dieser Verfassungsrechtsnorm. Der Verfassungskonvent von Herrenchiemsee, der in Art. 47 seines . Entwurfs eines Grundgesetzes'vorsah, die Parteien verfassungsrechtlich zu legitimieren, befaßte sich überhaupt nicht mit dem Problem der Parteien-finanzierung, weder der privaten noch der staatlichen. Das Problem der staatlichen Par118) teienfinanzierung tauchte nicht auf Im Parlamentarischen Rat spielte bei den Verhandlungen über den jetzigen Art. 21 GG die Finanzierung der politischen Parteien bis kurz vor Schluß der Beratungen keine Rolle. Als der Organisationsausschuß seine Beratungen über den Parteiartikel abgeschlossen und der Hauptausschuß schon in vierter Lesung sich damit befaßt hatte, stellte am 5. Mai 1949 der Zentrums-Abgeordnete Brockmann den Antrag, einen Passus in Art. 21 Abs. 1 GG einzufügen, nach dem die Parteien durch Offenlegung der Finanzquellen gegen undemokratische Einflüsse gesichert sein müssen. Der Hauptausschuß lehnte den Antrag ab, doch das Plenum nahm ihn an und stimmte der vom SPD-Abgeordneten Zinn vorgeschlagenen und als endgültig in das Grundgesetz aufgenommenen Formulierung zu Zinn begründete seinen Antrag, es solle dadurch Vorsorge getroffen werden, daß die Öffentlichkeit Kenntnis über die Herkunft der Mittel der Parteien erhält, damit ersichtlich ist, wer hinter einer politischen Gruppe steht; eine polizeiliche Finanzkontrolle sei keineswegs beabsichtigt. Die Anträge von Brockmann und Zinn wurden weder im Plenum des Parlamentarischen Rates ausgiebig beraten noch einem Ausschuß zur Beratung überwiesen. Hätte man die Anträge gründlich und mit politischer Phantasie beraten, hätte man sich notwendigerweise ausführlich mit der Parteienfinanzierung befassen müssen und wohl auch mit der Frage der staatlichen Parteienfinanzierung Das aber unterblieb, so daß aus der Entstehungsgeschichte des Art. 21 GG nur zu entnehmen ist, daß der Verfassungsgeber die Unabhängigkeit der politischen Parteien von privaten, der Öffentlichkeit verborgenen Geldgebern bewahren und jeglichen unkontrollierten Einfluß auf die Parteien und damit auf die politische Willensbildung des Volkes verhindern wollte Ein verfassungsrechtliches Verbot der staatlichen Parteienfinanzierung ist aus der Entstehungsgeschichte des Art. 21 GG nicht zu entnehmen, denn irgendwelche subjektiven Vorstellungen des Verfassungsgebers, wie sie zum Beispiel beim Abgeordneten Zinn über das absolute Verbot der staatlichen Parteienfinanzierung schon damals bestanden haben könnten, haben für die Auslegung dieser Vorschrift keine Bedeutung.
Helmut Ridder interpretiert Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG dahin gehend, daß der Grundgesetzgeber nur die herkömmlichen Methoden der Parteienfinanzierung ins Auge gefaßt habe, aber mit Sicherheit nicht eine staatliche Parteienfinanzierung. Er gesteht zu, daß es sicher zu weit ginge, aus dieser Vorschrift ein absolutes Verbot staatlicher Zuwendungen zu folgern Dann aber glaubt er, in Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG ein Leitbild erkennen zu können, „nach welchem unmittelbare staatliche Zuwendungen nur eine Ausnahmeerscheinung sein könnten, die jedenfalls eine bei Erlaß des Grundgesetzes noch nicht bestehende und auch nicht antizipierte Situation voraussetzt". Ridder stellt solcher Ausnahmesituation die . Normalität'von 1949 gegenüber, die direkte staatliche Finanzierung politischer Parteien verbietet, solange sie in ihren wesentlichen tatbestandlichen Elementen noch vorhanden und nicht gefährdet ist Eine solche Auslegung argumentiert mit viel zu vagen Begriffen, als daß sie für eine Interpretation des objektivierten Willens des Grundgesetz-gebers in Betracht kommen könnte. Dem Moment der Willkür wird dadurch Tür und Tor geöffent; hier wird die Verfassungsrechtsnorm allzuleicht zum Instrumentarium der herrschenden Gruppen. Der Interpretationsaspekt der . Ausnahmesituation'überzeugt nicht, um aus Art. 21 Abs. 1 Satz 4 GG ein Verbot der staatlichen Parteienfinanzierung herzuleiten
So ist festzustellen, daß die einzige Verfassungsrechtsnorm, die als Maßstab für die Frage der Zulässigkeit oder des Verbots der staatlichen Parteienfinanzierung überhaupt herangezogen werden könnte, dazu nichts sagt. Daher wurde mit Recht bisher angenommen, daß das Grundgesetz über dieses Problem schweigt, somit der Zulässigkeit der staatlichen Parteienfinanzierung nicht im Wege steht Nun könnte das Grundgesetz aber auch mittelbar die staatliche Parteienfinanzierung verbieten, indem aus anderen Verfassungsbestimmungen, aus einer Kombination von Verfassungsrechtsnormen oder aus allgemeinen Verfassungsprinzipien heraus sich die Unzulässigkeit staatlicher Parteienfinanzierung ergibt. Da diese vom BVerfG bejaht worden ist, kann es sie nur mit einem mittelbaren Verbot begründen. Bevor wir darauf näher eingehen, aber erst noch eine Bemerkung zum Problem eines solchen Beurteilungsmaßstabes und der Rechtsfindung aus ihm.
3. Die Verfassungsrechtsnormen unterscheiden sich von den Normen des Zivil-, Straf-
und Verwaltungsrechts dadurch, daß sie in erheblich größerem Ausmaß als diese hochgradig abstrakt und unbestimmt sind. Die Allgemeinbegriffe beherrschen das Verfassungsrecht, und wenn es als Maßstab für verfassungsgerichtliche Entscheidungen dienen soll, entsteht häufig das Problem, daß sich für den zu entscheidenden Sachverhalt keine inhaltlich hinreichend bestimmte Norm findet.
Demzufolge ist der Verfassungsrichter weit stärker als der Richter in anderen Gerichts-zweigen gezwungen, dehnbare allgemeine Begriffe und weitgespannte Formeln zu verwenden.
Er ist weiter denn jemals ein Richter davon entfernt, der Mund des (Verfassungs-) Gesetzgebers zu sein, wie Montesquieu noch das Amt des Richters aufgefaßt hat. Die Interpretation der Verfassungsrechtsnorm gehört deshalb zu den schwierigsten Aufgaben des Verfassungsrichters, besonders dann, wenn die Verfassungsvorschriften nicht völlig eindeutig sind. Denn von solcher Interpretation hängt ja nicht irgendeine Rechtsentscheidung zwischen irgendwelchen Beteiligten ab, sondern eine Entscheidung, die sich im Regelfall auf die gesamte Verfassungsrechtsordnung auswirkt, die politische Konsequenzen für die gesamte innerstaatliche Ordnung hat, die das politische Kräfteverhältnis in der Gesellschaft verändern kann
Der interpretativen Anwendung der Verfassungsrechtsnorm, dem Erschließen ihrer verschiedenen Funktionen, der Entwicklung der Verfassungsrechtsnormen durch die Verfassungsrichter sind eine Vielzahl immanenter Grenzen gesetzt. Sie müssen sich vor jeder eigenwilligen Deutung hüten sie müssen ihre Entscheidung in den Gesamtzusammenhang der Verfassung einordnen sie müs-128 sen den einzelnen Verfassungssatz in die politische Wirklichkeit hineinstellen, ohne jedoch die Verfassung zugunsten der politischen Wirklichkeit zu vergewaltigen sie müssen — anders als der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich noch argumentierte — die politischen Folgen und Wirkungen ihrer Entscheidungen in den Bereich ihrer Erwägungen ziehen
Wenn daher, wie in der Frage der staatlichen Parteienfinanzierung, die Verfassungsrechts-normen schweigen und die Entscheidung nur durch Auslegung von allgemein formulierten Verfassungsrechtsnormen und von Verfassungsprinzipien getroffen werden kann, dann hängt diese weitgehend von der Verfassungskonzeption, vom vorverfassungsrechtlichen Verständnis, vom Demokratieverständnis, von der politischen Beurteilung der innerstaatlichen Ordnung, ihren Strukturen, ihrem Institutionsgefüge und ihren politischen Machtverhältnissen ab. Politikwissenschaftliche Doktrinen, historisches Verständnis, juristisch-beruflicher Werdegang, eigene Erfahrungen, geistiger Habitus, politisches Engagement müssen dann bei der Rechtsfindung eine entscheidende Rolle spielen. Damit wächst die jeglicher Verfassungsgerichtsbarkeit immanente Gefahr, daß das grundsätzliche Gebot der Selbstbescheidung, des , self-restraint', wie es der amerikanische Supreme Court genannt hat mißachtet und die oft sehr fließende Grenze von Rechtsfindung zu Rechtsschöpfung überschritten wird. c) Volk, Parteien und Staat im Demokratieverständnis des BVerfG 1. Der Senat beginnt seine Begründung der Unvereinbarkeit der staatlichen Parteienfinanzierung mit dem Grundgesetz damit, daß er die freiheitliche demokratische Grundordnung als „einen freien und offenen Prozeß der Meinungs-und Willensbildung des Volkes" interpretiert Zu diesem Zwecke arbeitet er mit einer Reihe von Hypostasen wie . Volk', . Willensbildung des Volkes", , Staat", , Staatswille'oder wie , Vorformung der politischen Willensbildung" und . Staatsgewalt". Auf diese Weise wird ein politisches System von . Volk", Parteien und , Staat'in der Demokratie entwickelt, aus dem dann gefolgert wird, daß die staatliche Parteienfinanzierung verfassungswidrig ist.
Der Senat konstatiert zwei Bereiche, den der . Willensbildung des Volkes'und den der . Staatswillensbildung', die er in Anlehnung an seine frühere Rechtsprechung aus Art. 20 Abs. 2 und Art. 21 Abs. 1 GG herausliest und die im Grunde der altliberalen Trennung von Staat und Gesellschaft im 19. Jahrhundert entsprechen. Er muß dabei zwei Entitäten voraussetzen, nämlich . Volk’ und , Staat'— Entitäten, die als solche in der politischen Realität nicht vorkommen Diese müssen irgendwie miteinander in Verbindung gebracht werden. Das geschieht durch den , Akt der Parlamentswahr und durch die Beeinflussung der Entschlüsse der . Staatsorgane'. Im Akt der Parlamentswahl „fällt die Äußerung des Volkswillens mit der Bildung des Staatswillens zusammen" und durch die Parteien nimmt das Volk Einfluß auf die Bildung des Staatswillens Die Verbindung wird vom BVerfG also durch die genannten Hypostasen . Volks-wille'und . Staatswille'hergestellt. Der Vor-formung und Bildung des politischen Willens des Volkes kommt nun nach Auffassung des Senats grundsätzlich Freiheit zu; sie muß sich frei, offen und unreglementiert vollziehen. Entscheidend sei vor allem, daß sich die Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen und nicht umgekehrt vollziehe, so daß dieser Prozeß prinzipiell staatsfrei bleiben muß. Den Staatsorganen sei es grundsätzlich verwehrt, sich in Bezug auf den Prozeß der Meinungsund Willensbildung des Volkes zu betätigen Solche Vorstellungen über die freiheitliche demokratische Grundordnung sind zwar ganz im Sinne der deutschen staatsrechtlichen Tradition, sie vermögen aber kaum das sie initiierende Demokratieproblem zu erfassen. Audi wenn der Text der Verfassung vom . Volk'spricht und dessen . politischer Willensbildung'und von der . Staatsgewalt" und den (Staats-) Organen, so bedeutet das noch nicht, daß diesen Sprachsymbolen in der politischen Realität tatsächlich etwas entspricht. Man kann in der demokratischen Ordnung nicht . Volk" und , Staat" oder . Gesellschaft" und . Staat'als etwas je für sich Existierendes, voneinander Getrenntes und sich Gegenüberstehendes bezeichnen Das Problem, um das es dabei geht, ist das Problem der demokratischen Repräsentation — Repräsentation verstanden als Kriterium einer existierenden politischen Gesellschaft Demokratische Repräsentation liegt dann vor, wenn alle Glieder einer politischen Gesellschaft ihr eigener Repräsentant sind, wenn die Repräsentation bei allen Bürgern liegt Das ist der Inhalt des Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus". Diese Bedeutung wird jedoch vom Senat nicht hinreichend wahrgenommen, dagegen wird mit dem Symbol , Volk'operiert und ständig vom . Volkswillen'gesprochen. Es wird diesem . Volk'ein Freiheitsrecht gewährt, ohne daß klar wird, warum (weil es im Grundgesetz steht?) und zu welchem Zwecke. Doch das Prinzip der Freiheit ist das die Selbst-Repräsentation der politischen Gesellschaft konstituierende Prinzip. Freiheit wird nicht dem . Volk" vom . Staate'gewährt, sondern auf Grund der Freiheit gibt es überhaupt erst so etwas wie staatliche Institutionen. Die Selbst-Repräsentation ist aus einer Vielzahl von ontischen und zivilisatorischen Gründen nicht realisierbar, sondern die politische Gesellschaft bedarf eines Korpus von Personen, der die Repräsentation für sie ausübt
Dies geschieht mittels Institutionen oder Ämtern, hat aber mit , Staat'im Verständnis des BVerfG gar nichts zu tun. Denn so wie das Gericht vom , Staat'spricht, ist darunter . Staat'im Sinne einer metaphysischen Wesenheit zu verstehen, so wie man sich ihn seit Hegel in Deutschland vorstellt Doch die Institutionen demokratischer Repräsentation sind nicht der , Staas im herkömmlichen deutschen Sprachgebrauch. Sie sind Repräsentativ-Insti-tutionen, die für die Bürger als den eigentlichen und ursprünglichen Repräsentanten die Repräsentation ausüben, und zwar demokratische Repräsentation, die nicht originär ist, sondern abgeleitet, die zeitlich und funktional begrenzt ist, die auf Konsensus angewiesen ist und kontrolliert wird, ohne dadurch ihren Repräsentationscharakter zu verlieren Das zentrale demokratische Ordnungsproblem ist das des ständigen politischen Prozesses zwischen den Bürgern als den ursprünglichen Repräsentanten und den Repräsentativ-Insti-tutionen. Dieser Prozeß erschöpft sich nicht im Bestellungsakt der Amtsinhaber, das heißt in der parlamentarischen Demokratie in der Parlamentswahl. Es ist ein Prozeß der ständigen Kommunikation, der participatio, der Teilnahme der Bürger an der aktuellen Repräsentation kraft seiner Repräsentationspotenz. Im demokratischen Prozeß werden nicht nur die Amtsinhaber der Repräsentativ-Institutionen bestellt, sie werden darin auch kontrolliert, die Vorbereitung ihres relevanten Handelns wird diskutiert und beeinflußt, die Auswirkungen politischen Entscheidungshandelns werden beobachtet, Revisionsmöglichkeiten erörtert, die Abberufung der Amtsinhaber ermöglicht. Diese Probleme des demokratischen Prozesses lassen sich nicht mit Hypostasen wie . politische Willensbildung'oder . Staatswillen'und durch Trennung von Volk und Staat erfassen. Wenn man freiheitliche demokratische Grundordnung von dieser theoretischen Grundlage aus betrachtet, dann wird die vom BVerfG vertretene Trennung und Gegenüberstellung von , Volk‘ und , Staas gegenstandslos, dann wird aber auch der Topos vom , staatsfreien Bereich'hinfällig. Darauf fußt aber die Begründung des Verbots der Parteienfinanzierung, denn ihr entscheidender Ansatzpunkt ist der Dualismus von Volk und Staat und die Zuordnung der Parteien , zum staatsfreien'Bereich. Bevor wir darauf eingehen, aber noch ein Wort zu dem vom BVerfG angeführten Problem der , Willensbildung von unten nach oben'.
Der demokratische Prozeß, in dem sich Bürger, soziale Gruppen und Amtsinhaber der Reprä-
sentativ-Institutionen befinden, ist ein wechselseitiger Prozeß der Kommunikation. Es ist eine zu einseitige Interpretation demokratischer Ordnung, wenn der Zweite Senat feststellt, dieser Prozeß sei ein einseitiger Prozeß , vom Volk zu den Staatsorganen Zwar kommt der Manifestation der Repräsentationspotenz der Bürger die Primär-Funktion im demokratischen Prozeß zu, aber in keiner demokratischen Gesellschaft ist es so — und wird es niemals sein —, daß ein durchlaufender Entscheidungsprozeß von den Bürgern zu den Amtsinhabern sich vollzieht und diese jeweils das vollziehen, was die Bürger bzw. die Mehrheit will. Das stünde zum einen im Widerspruch zu der jetzt vom Senat angenommenen . repräsentativen Demokratie widerspricht zum anderen aber allen Erfahrungen politischer Ordnung. Die Amtsinhaber demokratischer Repräsentativ-Institutionen, besonders die von Parlament und Regierung, treiben nicht nur Öffentlichkeitsarbeit, was ihnen das BVerfG gerade noch zugestehen will sondern nehmen an dem Kommunikationsprozeß entscheidenden Anteil, wozu die Verfassung wiederum durch Schweigen einlädt. Sie greifen in diesen Prozeß ein und gestalten ihn mit. Zum Beispiel durch ihre Informationspolitik durch ihre Erziehungsund Bildungspolitik, durch ihre Entscheidungen in den immer zahlreicher werdenden Bereichen der Daseinsvorsorge. Die Begründung des BVerfG berücksichtigt nicht, daß Regieren (die Repräsentation wahrnehmen) in der Demokratie nicht die Qualität des Führens und Leitens verliert daß die Repräsentation durch die Amtsinhaber auch Gestalten der politischen Gesellschaft bedeutet und daß deshalb diese Amtsinhaber sich nicht nur an der öffentlichen Debatte beteiligen können (in der Sprache des BVerfG „am freien Prozeß der Mei-nungs-und Willensbildung"), sondern gelegentlich die Pflicht haben, wie Alexander Hamilton schon vor fast 200 Jahren geschrieben hat, gegen die politischen Vorstellungen der Mehrheit der Bürger zu regieren was aber konkret bedeutet, den . Meinungsbildungsprozeß'von . oben nach unten'zu lenken. 2. Das BVerfG hat in ständiger Rechtsprechung die politischen Parteien mit zahlreichen Qualitäten ausgestattet; es bezeichnet sie als . Faktoren des Verfassungslebens als verfassungsrechtliche Institutionen als . notwendige Bestandteile des Verfassungsaufbaus als . verfassungsrechtlich relevante Integrationsfaktoren es verlieh ihnen .organschaftliche Qualiät in Ausübung der Punktionen eines Verfassungsorgans es nannte sie . Kreationsorgane Diese verwirrende Fülle von Bezeichnungen und Qualitäten, die von den Gegnern jeglicher staatlicher Par-teienfinanzierung zu Recht gerügt wird hatte zur Folge, daß die politischen Parteien — in der Sprache der deutschen Staatsrechtswissenschaft — in die Nähe der . verfaßten Staatsorgane'rückten oder gar zu den . obersten Staatsorganen’ gerechnet wurden. Das veranlaßte den Zweiten Senat im Normenkontrollverfahren klar auszusprechen: „Die Parteien gehören jedoch nicht zu den obersten Staatsorganen. Sie sind vielmehr frei gebildete, im gesellschaftlich-politischen Bereich wurzelnde Gruppen." Damit wurde nichts Neues gesagt, jedoch zur Klärung der bundesverfassungsgerichtlichen Interpretation des Status der politischen Parteien beigetragen. Aus dieser scharfen Trennung interpretierte der Senat jedoch weiter, daß jede staatlich-institutionelle Verfestigung der Parteien abzulehnen und ihre Einfügung in den Bereich der .organisierten Staatlichkeit'verboten sei
Auch hier wieder die Hypostasen der . Staatlichkeit'. Es handelt sich aber auch hier um das Problem der demokratischen Repräsentation. Die politischen Parteien sind nicht die Repräsentativ-Institutionen, sie sind aber auch nicht das . Volk’. Sie sind politische Institutionen sui generis, mit dem veralteten Begriffs-schema der Staatslehre nicht zu fassen Das hat des BVerfG durchaus erkannt und auch gezeigt, wie sich der Bogen von den Bürgern als den potentiellen Repräsentanten zu den Amtsinhabern der Repräsentativ-Institutionen als den aktuellen Repräsentanten spannt was aber dann die Schwenkung zu der . Verschränkung der Parteien mit dem staatlich-organschaftlichen Bereich'begründen soll, wie das Gericht sie vornimmt, ist nicht verständlich. Im Urteilstext ist da ein Sprung. Er hängt offensichtlich mit der oben kritisierten Trennung von . Volk'und . Staat'zusammen und bezweckt anscheinend, die Gefahr zu markieren, daß die Parteien aus dem freien gesellschaftlich-politischen Bereichen heraus und hinüber in den Bereich der .organisierten Staatlichkeit'gleiten würden. Daraus wird die Schlußfolgerung gezogen, die Staatsfinanzierung würde die Parteien mit dem staatsorganschaftlichen Bereich verschränken und die Parteien der staatlichen Vorsorge überantworten, so daß die Staatsorgane auf den Prozeß der Meinungs-und Willensbildung einwirken würden.
Der Senat gibt für seine Verschränkungsthese keinerlei Begründung; sie wird einfach aufgestellt. Die Urteilsfindung läßt offensichtlich unberücksichtigt, daß einmal die enge personelle Verflechtung von Partei und Repräsentativ-institutionen gerade eines der Kennzeichen der Parteiendemokratie (nicht nur in der Bundesrepublik) ist daß zum anderen eine
Verschränkung oder gar Identität von politischer Partei und Repräsentativ-Institutionen in einer einigermaßen stabilen, geistig fundierten Demokratie ausgeschlossen ist. Wie stellt sich der Senat diese Verschränkung eigentlich vor? Meint er, daß dann Regierungsparteien und . Staat'identisch sind? Eine solche Identität ist vor allem ein Problem des wenig entwickelten demokratischen Bewußtseins und hätte im gegebenen Falle darin seine Wurzel. Was macht der Senat aber dann mit der Opposition? Inwieweit soll sich diese mit der .organisierten Staatsgewalt'verschränken? Der Senat gibt keine Begründung dafür, daß staatliche Parteienfinanzierung einen solchen Verschränkungs-oder Identifizierungsprozeß herbeiführen muß, er führt dafür überhaupt kein Argument an und bleibt den Beweis für seine These schuldig. Ein solcher Beweis ist derzeit überhaupt nicht zu führen, es sei denn, man flüchtet sich in phantasievolle Vermutungen Hier würde die Interpretation vom demokratischen Verfassungsgrundsatz, von Art. 20 und Art. 21 GG bedenklich. Denn hier begäbe man sich in den Bereich der politischen Spekulation. Der Senat versucht die Trennung von „verfaßten Staatsorganen" und „staatsfreiem Bereich" durchzuhalten. Er trennt nämlich wieder einmal scharf zwischen politischer Partei und ihrer im Parlament vertretenen Fraktion. Diese sei eine . Gliederung der organisierten Staats-lichkeit', weshalb ihr Zuschüsse aus dem Bundesetat gewährt werden können Doch die Partei selbst bleibt außerhalb der .organisierten Staatlichkeit', weshalb sie leer ausgeht. Auch das wird kaum der Realität der Parteien-demokratie gerecht. Partei und Fraktion sind zwar rechtstechnisch zu trennen, in der Verfassungspraxis ist die Fraktion der tragende und führende Teil der Partei. Die Bindung von Fraktion und Partei ist weitaus enger als die von Fraktion und Parlament. Das politische Handeln von Fraktion und Partei ist eine Einheit; es findet eine ständige Koordination statt Durch die Fraktionen sind die Parteien aber auch mit der .organisierten Staatlichkeit'verbunden, sind die Parteien wesentlicher Bestandteil der wichtigsten Repräsenta-tiv-Institution im parlamentarischen Regierungssystem, von der alle anderen Institutionen abhängen. Muß das nicht der vorher vom Gericht geäußerten Ansicht widersprechen? Der Senat geht schweigend über dieses Problem hinweg. Andernfalls hätte er seine oben kritisch betrachtete Äußerung vom . Verbot der staatlichen Verschränkung'modifizieren müssen. Eine Auffassung, die den Fraktionen staatliche Finanzzuwendungen zubilligt, ihren Parteien aber nicht, und die davon ausgeht, daß die Fraktionstätigkeit von der allgemeinen Parteiarbeit säuberlich getrennt werden könnte, trägt der Wirklichkeit keine Rechnung: Fraktionsarbeit wird erst möglich, wenn vorher Parteiarbeit geleistet wurde.
3. Auch der Beurteilung der Funktionen der politischen Parteien liegt ein Widerspruch zugrunde. Auf Seite 24 des Urteils wird ausge-führt, wie sich der Senat die Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes vorstellt. Das geschieht nicht erschöpfend, aber doch einigermaßen realitätskonform. Auf Seite 30 des Urteils wird betont, daß die Parteien vornehmlich Wahlvorbereitungsorganisationen sind und ihre gesamte Tätigkeit eigentlich auf den Wahlkampf hinauslaufe. Eine solche Auffassung von den Funktionen der politischen Parteien wirkt anachronistisch. Der Senat begeht hier den gleichen Rückfall in das politische Denken des 19. Jarhhunderts wie bei der Trennung von . Volk'und Staat’. Er reduziert die Parteien auf Wahlvorbereitungsorganisationen und gesteht ihnen nur Funktionen in Bezug auf den Wahlkampf zu. Es darf dann nicht wundernehmen, wenn er den Finanzbedarf der Parteien ebenfalls nur unter dem Blickwinkel des Wahlkampfes sieht. Ein derartig reduziertes Verständnis von den Funktionen der Parteien in der modernen Demokratie ist irreal zu nennen. Wer den politischen Prozeß in der Bundesrepublik beobachtet, weiß, daß die Parteien mehr sind als Wahl-maschinen Die Beteiligung am Wahlkampf ist zwar die deutlichste Manifestation des Parteiwirkens im demokratischen Prozeß, aber sie ist nur eine von zahlreichen anderen Funktionen, ohne deren Wahrnehmung die Parteien-demokratie funktionsunfähig würde.
Der Kampf um den Konsensus der Bürger setzt voraus, daß die Parteien Kandidaten für die Repräsentativ-Institutionen präsentieren
Das politische Personal muß aus dem Reservoir der Mitglieder ausgewählt und herangebildet werden, was die ständige Mitgliederwerbung und deren politische Bildung voraussetzt. Die als künftige Amtsinhaber präsentierten Personen müssen Konzeptionen künftigen politischen Handelns und Verhaltens den Bürgern als Werbung und zur Auswahl vorweisen, Konzeptionen, die aber nicht nur als Blickfang für den Wahlkampf dienen können, sondern die geeignet sind, die immer komplizierter werdenden politischen Entscheidungen zu tragen Derartige Zielsetzungen politischen Handelns und die Pläne zu seiner Durchführung können aber heute nicht mehr von Mandatsträgern so nebenbei geschaffen werden. Darüber hinaus haben die Parteien die Funktion, am Integrationsprozeß der politischen Einheit ständig mitzuwirken, für die stetige Verbindung zwischen Bürger und Repräsentativ-Institutionen zu sorgen, am Prozeß der demokratischen Bewußtseinsbildung mitzuwirken Das alles kann aber nicht, wie offensichtlich das Gericht annimmt, beiläufig von Abgeordneten, Mitgliedern und Anhängern geleistet werden, sondern bedarf der dauernd bestehenden, festgefügten Organisation, die über einen Apparat mit hauptamtlichem, hochqualifiziertem Personal verfügen muß Eine solche funktionsnotwendige Apparatur ist aber ohne die Aufwendung reichlicher finanzieller Mittel nicht möglich.
Die Parteien sind es, die den demokratischen Prozeß als den Existenzprozeß der politischen Gesellschaft tragen, und nicht ein , Staat'oder ein Beamtenkörper oder das , Volk'. Die Parteien tragen zur demokratischen Bewußtseinsbildung als unerläßliche Vorausetzung für die Existenz einer demokratischen Gesellschaft mit am meisten bei. Ob nun die politische Bildungsarbeit von der allgemeinen Werbetätigkeit der Parteien zu trennen ist oder nicht (u. E. ist sie zu trennen), scheint uns irrelevant. Sie erfüllen hier eine der vordringlichsten Aufgaben für die Gesellschaft, und dafür soll die Gesellschaft via Staatsapparatur keine finanziellen Leistungen erbringen Soll al-lein der , Staat’ die politische Bildung betreiben? Oder ausschließlich private Gruppen? Hier ist eine klare Feststellung nötig, die der Begründung des Urteils nicht zu entnehmen ist. d) Die Vorstellungen des BVerfG über die Parteieniinanzierung Der erkennende Senat hat die staatliche Finanzierung der . gesamten politischen Tätigkeit der Parteien'als mit Art. 20 Abs. 2 und Art. 21 GG für unvereinbar erklärt. Der Senat ist zu dieser Entscheidung gekommen — wie wir gesehen haben —, weil er den Verfassungsgrundsatz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Verbindung mit den genannten Grundgesetzartikeln von der dualistischen Konstruktion von . Volk'und . Staat’ her interpretiert und die Parteien als dem . staatsfreien Bereich’ zugehörig betrachtet. Von dieser Auslegung her wurde dann gefolgert, durch die staatliche Parteienfinanzierung würden die . Staatsorgane’ auf den freien Prozeß der Meinungsund Willensbildung einwirken. Das aber sei verfassungswidrig. So wenig diese Folgerung begründet wurde, wurde die aus ihr resultierende Verfassungswidrigkeit der staatlichen Zuwendungen begründet. Sie ergibt sich andererseits auch nicht zwingend aus der Interpretationskonstruktion. Eine solche Handhabung von Verfassungsgrundsätzen und Verfassungsrechtsnormen widerspricht den oben genannten Auslegungsgrundsätzen der Verfassungsrechtsprechung, die um so maßgeblicher erscheinen, je unbestimmter und allgemeiner die Verfassungsrechtsnorm in Bezug auf den zu entscheidenden Verfassungsrechtsstreit ist und je folgenreicher die verfassungsrechtliche Entscheidung für die gesamte politische Ordnung ist.
1. Im Urteil ist ständig von der staatlichen Finanzierung , der gesamten politischen Tätigkeit'der Parteien die Rede Es wird nicht deutlich, ob damit gesagt werden soll, die Geldmittel aus dem Bundeshaushalt werden für die zahlreichen divergierenden Aufgaben der Parteien verwendet ohne jegliche sachliche Beschränkung, oder ob das bedeuten soll, sämtliche Parteiaufgaben werden ausschließlich aus Staatsmitteln finanziert. Die vom Gericht verwendete Formulierung ist mißverständlich und weckt die Assoziation, es gehe darum, zu entscheiden, ob der gesamte Finanz-bedarf der politischen Parteien aus Haushalts-mitteln gedeckt werden solle. Denn die Urteilsgründe enthalten keinen Hinweis, daß es bei den Verfassungsprozessen um staatliche Zuwendungen, Beihilfen, Unterstützung ging (die viel zu knappe Wiedergabe der Beweisaufnahme über die Zeugenvernehmung der Schatzmeister vermag die negative Assoziation nicht zu verhindern). Man hätte erwarten müssen, daß das Urteil die Finanzierungsprobleme differenzierter betrachtet hätte, und zwar nach einer sorgfältigen Sachverhalts-analyse, das heißt einer Analyse der Finanzsituation der einzelnen Parteien
In der Urteilsbegründung wird mit keinem Wort darauf eingegangen, daß die Parteien nur Zuschüsse zur Finanzierung ihrer Aufgaben erhielten und daß niemand die Absicht hatte, zu einer Totalfinanzierung überzugehen Alle Demokratie-Freunde in politischer Praxis, Politik-Wissenschaft und Staatsrechtslehre sind sich einig, daß eine totale Finanzierung der Parteien aus staatlichen Finanzmitteln indiskutabel ist und dem demokratischen Ordnungsmodell, wie es hinter dem Grundgesetz steht, wahrscheinlich widersprechen würde. In den Verfassungsprozessen ging es materiell nicht um die totale staatliche Parteienfinanzierung, sondern um die konkret in der Bundesrepublik stattfindende Teilfinanzierung, deren Ausmaß und Grenze. Man hätte in diesem Verfahren bei sorgfältiger Tatbestands-analyse und behutsamer Interpretation des Grundgesetzes erwarten können, daß mindestens die Möglichkeit der Teilfinanzierung von Staats wegen, das Problem des Verhältnisses von Staatsmitteln und Eigenmitteln und die Grenzen der Staatsfinanzierung behandelt worden wären, so wie das vorbildlich in den Urteilen über die Sendezeiten für Wahlpropaganda im Rundfunk geschehen ist Der Senat begnügte sich damit, zu sagen, der , Staat'habe keinerlei Verpflichtung, für die Finanzierung der Parteien zu sorgen. Man muß hier schließlich doch einmal fragen, wer dieser im Urteil so häufig zitierte , Staat'ist und wer darüber befindet, welche Aufgaben der , Staat'hat und zu was er verpflichtet ist. Man braucht den Staat nicht mit der Regierung und der Regierungsmehrheit zu identifizieren und man braucht die überkommene Lehre von der . Allzuständigkeit'des Staates nicht ohne weiteres zu akzeptieren um festzustellen, daß in der parlamentarischen Demokratie die Parlamentsmehrheit entscheidet, was durch Gesetz geregelt und durch die Verwaltung vollzogen werden soll. Solange die Verfassung, besonders ihre Grundrechtsnormen, dafür keine Schranke aufstellt, kann die Parlamentsmehrheit sehr viel und alles Mögliche zur Aufgabe des , Staates'erklären — auch die Parteienfinanzierung, wenn die Verfassung kein eindeutiges Verbot ausspricht. Dem BVerfG steht primär nicht zu, zu entscheiden, welche Sachverhalte die Parlamentsmehrheit regeln darf. Erst wenn strittig ist, ob eine von Parlament und Regierung als . Pflicht des Staates'verstandene und demzufolge rechtlich geregelte Aufgabe mit der Verfassung übereinstimmt oder nicht, kann gegebenenfalls das BVerfG darüber befinden. Bisher hat das BVerfG diese Funktionentrennung sorgfältig beachtet 179a).
2. Der Senat ist der Ansicht, die politischen Parteien sollten sich um möglichst viele Mitglieder bemühen und ihren Finanzbedarf vor allem durch Mitgliederbeiträge decken. Der , Staas könne den Parteien das Risiko des Fehlschiagens eigener Bemühungen um ihre Finanzierung nicht abnehmen Das Gutachten von Rudolf Wildenmann, einem der qualifiziertesten Wissenschaftler in Bezug auf Parteisoziologie und Wahlsystemfragen, hat sehr deutlich klargestellt, daß es für jede Partei, die ihre Funktionen in der modernen Demokratie ernst nimmt, ausgeschlossen ist, sich aus Mitgliederbeiträgen zu finanzieren Selbst wenn der demokratische Reifegrad der politischen Gesellschaft der Bundesrepublik — der ohne Zweifel noch nicht genügend entwickelt ist — ganz erheblich zunehmen würde, würden die Mitgliederzahlen der Parteien nicht merklich zunehmen und damit auch nicht das Finanzaufkommen aus Mitgliedsbeiträgen
Der Verweis auf gesteigerte Mitgliederwerbung zieht die Realität nicht in Betracht Das gilt auch für die vom BVerfG implizierte Annahme, Staatsfinanzierung beseitige das Risiko des Parteiwirkens und Parteierfolges bzw. Mißerfolges Es ist irrig, anzunehmen, finanzielle Sicherheit beseitige das Risiko demokratischer Existenz (wie es genau so irrig ist, wirtschaftliche Blüte sei die Garantie für demokratische Stabilität). Die Freiheit als konstituierendes Prinzip demokratischer Ordnung ist nicht ökonomisch zu sichern. Eine einigermaßen gesicherte finanzielle Lage bei einer politischen Partei kann zwar eine Voraussetzung für erfolgreiches Wirken im demokratischen Prozeß sein, aber eben nur eine von zahlreichen Voraussetzungen und keinesfalls eine Garantie für eine dauerhafte Existenz Um das Risiko des freien Parteiwirkens zu bestehen, müssen noch viele andere Voraussetzungen erfüllt sein, wie zum Beispiel politisch fähige, demokratisch profilierte, ethisch integere Parteiführer und Mandatsträger bzw. Kandidaten, politische Konzeptionen mit Aussicht auf Realisierbarkeit, Parteistruktur etc. Dem Risiko der Freiheit ist nicht mit Geld zu begegnen, es muß von den Bürgern, Parteien und Amtsinhabern habituell bewältigt werden, wie andererseits finanzielle Mittel substantielle Freiheit nur in Grenzen gefährden oder gar zerstören können
3. Der Senat weist auf weitere Finanzierungsquellen, die Spenden von Verbänden oder von einzelnen Bürgern, hin und überträgt den Parteien die Verantwortung dafür, den sachwidrigen Einfluß finanzkräftiger Interessenten vom sachgerechten zu unterscheiden und dem auf sie eindrängenden sachwidrigen Druck der In-teressenten zu widerstehen. Die Verfassung gewährleiste nur Schutz der Parteien vor dem , Staat', nicht aber jedoch Schutz vor dem Einfluß finanzkräftiger Einzelpersonen, Unternehmer oder Verbänden Auch hier finden wir wiederum eine Verhaftetheit im Denken des liberalen Konstitutionalismus, das die Grundrechtsnormen der Verfassung nur als Abwehrrechte des einzelnen bzw. — als Zugeständnis an die Parteiendemokratie — der Parteien gegen den Staat versteht. In der durchartikulierten pluralen demokratischen Gesellschaft nach der zweiten industriellen Revolution wird die freiheitliche demokratische Existenz und die Freiheit des demokratischen Prozesses viel weniger von den Repräsentativ-Institutionen und ihren Amtsinhabern als in viel stärkerem Maße von sozialen Gruppen (nicht Parteien) gefährdet. Die Interpretation, Art. 21 GG gewährleiste den Parteien nur Freiheit , vom Staas, hängt mit der schon mehrmals kritisierten dualistischen Konstruktion zusammen, die davon ausgeht, daß im .freien gesellschaftlich-politischen Bereich'eben alles frei zugehe, alle Gefahr vom , Staat'drohe. Doch die freie Wirksamkeit der politischen Parteien im demokratischen Prozeß kann von einzelnen Bürgern genauso gefährdet werden wie von Interessentenverbänden oder von sozialen Schichten, ebenso wie von den Amtsinhabern der Repräsentativ-Institutionen, das heißt, die freiheitliche demokratische Grundordnung kann von allen Bürgern, mit oder ohne Amt, sozial-wirksam in Frage gestellt werden. Soll ein institutioneller Schutz gegen die Gefährdung der freiheitlichen Demokratie überhaupt errichtet werden, dann darf das nicht einseitig, sondern muß umfassend geschehen. Dazu gehört aber auch der Schutz der politischen Parteien gegen ein Übermaß an Beeinflussung durch Interessentengruppen. Soweit dazu kein Rechtsinstrument vorhanden ist, kann dies prophylaktisch durch staatliche Parteienfinanzierung geschehen, wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben und wie das BVerfG in seiner früheren Rechtsprechung selbst als Argument für die staatliche Parteienfinanzierung ausführte
Der Senat nimmt an, das erübrige sich und die Parteien seien selbst schuld, wenn sie sich von Geldgebern unter Druck setzen ließen.
Er sieht nicht die Gefahren, die dadurch für die freiheitliche Demokratie in der Bundesrepublik entstehen können, obwohl er andernfalls die Gefahr bei . Verschränkung der Parteien mit dem organschaftlichen Bereich'stipuliert hat.
Mit Recht hat Rudoli Zundel das mit den Parteispenden der Interessentengruppen verbundene altrömische Prinzip des do-ut-des hervorgehoben.
Eine Partei mag zuweilen gegen die Interessen ihrer Geldgeber handeln können, aber eben nur zuweilen. Will sie finanziell gesichert bleiben, so wird sie im Regelfall mehr oder weniger versuchen müssen, Entscheidungen im Parlament, Regierung und Verwaltung im Sinne ihrer Geldgeber zu fällen. Die Gefahr, daß nicht mehr das politische Gesamtinteresse, sondern das Interesse der finanz-starken Gruppen für das politische Handeln ausschlaggebend ist ist ebenso im Wachsen wie die, daß die tragenden Parteien der Bundesrepublik in ihrer Entwicklung zu Volksparteien gehemmt werden und sich wieder stärker dem Typ der Interessentenpartei annähern
e) Zum Problem der Zulässigkeit der Erstattung der Wahlkampfkosten Unter den hier diskutierten Widersprüchen in der Begründung der Verfassungswidrigkeit einer staatlichen Parteienfinanzierung ist die Feststellung des Senats, daß es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, den Parteien aus Haushaltsmitteln die notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes zu erstatten in besonderem Maße überraschend und verwirrend
1. Die Funktionen der politischen Parteien wurden vom Senat, wie oben gezeigt, in Widerspruch zu früheren Interpretationen auf die Wahlvorbereitung reduziert. Alle sonst genannten und bekannten Funktionen der Parteien sind nach der jüngsten Auffassung des BVerfG gewissermaßen nur Sub-Funktionen dieser für die Willensbildung des Volkes einzig relevanten Funktion. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß eine solche verkürzte Betrachtungsweise der Funktionen der Parteien ein Rückfall in die politische Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts ist. Sie wird aber verständlich im Kontext der Urteils-gründe, die immer wieder Assoziationen mit dieser Vorstellungswelt wecken. Sie leuchtet besonders ein in Bezug auf die objektive Inkonsequenz, die subjektiv natürlich keine Inkonsequenz ist. Denn wenn man Art. 21 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 GG so wie der Senat interpretiert, dann wird der Wahlakt zur ausschließlichen Manifestation des , Volkswillens'und die Parteien zu seinem Mittler. Man kann aus dem Urteil fast die Vorstellung herauslesen, treten jeweils Parteien einige Zeit vor den periodisch wiederkehrenden Wahlen aus einem verborgenen Dasein hervor, treiben Wahlkampf, indem sie ihre Programme und Ziele verkünden, um nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses für vier Jahre wieder abzutreten. Eine solche Vorstellung ist durchaus konsequent im Sinne der in dem Urteil zum Ausdruck kommenden Demokratievorstellung. Ob sie jedoch einer sachgerechten Auslegung des Art. 20 Abs. 2 und Artikel 21 GG im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts entspricht, muß bezweifelt werden.
Ebenso muß bezweifelt werden, ob die Vorstellung des BVerfG, die Aufwendungen der Parteien für den Wahlkampf könnten von ihren übrigen Aufwendungen getrennt werden auf einer zutreffenden Analyse der Parteiendemokratie und ihres politischen Prozesses beruht. Zwar dürfte es möglich sein, den Wahlkampf im technischen Sinne zeitlich abzugrenzen und damit auch die Kosten des Wahlkampfes einigermaßen zu umreißen: als die Ausgaben der Partei, die in dieser Zeitspanne für technische Ausgaben der Wahl-werbung (Plakate, Inserate, Kleinschriften, Saalmieten, Werbekolonnen, Reisekosten der Führungskräfte etc) entstehen. Das erinnert an das viel strapazierte Beispiel von den schwimmenden Eisbergen, von denen man in der Regel nur etwa ein Zehntel ihres Volumens sehen kann, während neun Zehntel sich unter Wasser befinden. Der Wahlkampf und mit ihm die . eigentlichen Wahlkampfkosten'sind das wenige Sichtbare von den Parteifunktionen, während die überwiegenden Funktionen für den Durchschnittsbürger unsichtbar bleiben. Jeder aufmerksame Beobachter der Wirkungsweise der politischen Parteien in der Bundes-republik ist sich bewußt, daß die Wahlkampf-tätigkeit der Parteien überhaupt nur möglich ist, wenn die Parteien ihre oben genannten Funktionen zwischen den Wahlen rationell wahrnehmen, und daß jede Partei scheitern muß, wenn sie nur jeweils vor Parlamentswahlen (Programme und Ziele im Wahlkampf’ verkündet. Die Parteifunktionen sind eine Einheit, die ebenso untrennbar in den demokratischen Prozeß verwoben sind, wie die Parteien mit den Bürgern und den Repräsentativ-Institutionen. Die politische Realität wird nicht erfaßt, wenn man annimmt, hier gäbe es eine säuberliche Trennung
2. Der Senat regte den Bundesgesetzgeber an, durch Bundesgesetz die Erstattung der Wahlkampfkosten zu regeln. Dabei entwickelte er gleichzeitig einen verfassungsrechtlichen Rahmen, in dem sich der Bundesgesetzgeber zu bewegen hat. Inwieweit das BVerfG dazu befugt ist, mag hier auf sich beruhen; ohne Probleme ist eine solche Rahmenziehung nicht. In diesen vom Gericht umschriebenen verfassungsrechtlichen Rahmen gehören die Kosten eines angemessenen Wahlkampfes, worunter eine angemessene und werbende Darstellung der Programme und Ziele und der notwendigen Auseinandersetzung der um die politische Macht kämpfenden Parteien verstanden wird Das Gericht regte dazu an, gegebenenfalls nur einen bestimmten Vom-Hundert-Satz der notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes zu ersetzen. Als wichtigsten Inhalt eines solchen Gesetzes über die Erstattung der Wahlkampfkosten bezeichnete der Senat, entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung, die Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien und steckte die Grenzen ab, die zu beachten sind: Wahlkampfkosten für alle Parteien, die am Wahlkampf teilgenommen haben, aber auch nur für sie und nicht für politische Adhoc-Gruppierungen, und nur dann, wenn sie einen Mindestanteil an Stimmen erreicht haben, der jedoch erheblich unterhalb der 50/0-Grenze liegen muß, deren Erreichung für die Zuteilung von Mandaten erforderlich ist Die Chancengleichheit im Sinne des BVerfG bedeutet nicht, daß alle Parteien denselben Aufwand ersetzt bekommen müssen, sondern eine Differenzierung vorgenommen werden darf je nach Größe und politischem Gewicht der Partei. Eine solche Differenzierung darf aber nicht die Ungleichheit der Wettbewerbs-chancen verschärfen. Deshalb empfiehlt der Senat dem Gesetzgeber, bei der Erstattung der Wahlkampfkosten von dem Verhältnis auszugehen, in dem die Aufwendungen zueinander standen, die die Parteien in der Vergangenheit gemacht haben
Es wäre interessant zu wissen, ob sich der Senat bei der Abfassung dieser Urteilsgründe bewußt war, daß nicht nur die prinzipielle Zulassung der Erstattung der Wahlkampf-kosten, sondern vor allem die dem Gesetzgeber aufgezeigten Leitlinien bei einer eventuellen gesetzlichen Regelung zur Ursache ständiger politischer Auseinandersetzungen und verfassungsgerichtlicher Streitigkeiten werden können. Denn abgesehen von dem grundsätzlichen Gebot der Chancengleichheit, das nach dem Urteil vom 21. Februar 1957 auch den nicht im Parlament vertretenen Parteien einen Anspruch auf staatliche Zuwendungen einräumte enthalten die Richtlinien’ so viele Allgemeinbegriffe und Unbestimmtheiten, daß fortlaufend Organstreitigkeiten vor dem BVerfG zu erwarten sind, in denen jeweils vorgetragen werden wird, diese oder jene Regelung der Erstattung der Wahlkampfkosten liefen dem Urteil des BVerfG entgegen. Wann liegt zum Beispiel , ein angemessener Wahlkampf'vor? Wenn die eine Partei Schallplatten mit Marschmusik und zünftigen Sprüchen in hundertausend Exemplaren verschenkt oder die andere Partei Jazzkapellen auffahren läßt und Riesenfeuerwerke veranstaltet? Welcher Vom-Hundert-Satz der notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes entspricht dem Grundsatz der Chancengleichheit? Ein gleichmäßiger Vom-Hundert-Satz begünstigt die Parteien, die große Finanzmittel investieren können, und benachteiligt die Parteien, denen nur geringe Mittel zur Verfügung stehen. Was ist ein erheblicher Prozentsatz unter der 5 °/o-Grenze? 0, 5 % oder 3 0/o oder 1, 5 %? Nach welchen Kriterien ist die Differenzierung der Kostenerstattung vorzunehmen? Ausschließlich nach der Zahl der errungenen Mandate oder nach der Zahl der für die Partei abgegebenen Stimmen? Wer entscheidet über die Aufwendungen, die die Parteien in der Vergangenheit gemacht haben? Die Parteien selbst oder eine neutrale Institution oder eine Parteienkommission? Der Bundesgesetz-geber steht vor schwierigen Aufgaben, und wie immer er sie zu lösen versuchen wird, mit Sicherheit kann gesagt werden, daß es stets Parteien geben wird, die sich benachteiligt fühlen werden, selbst wenn die das Gesetz beschließende Mehrheit sich größte Mühe gegeben haben mag, möglichst gerechte Entscheidungen zu treffen. Hinzu kommt die Möglichkeit des Mißbrauchs durch radikale und demokratiefremde Parlamentsmehrheiten Die Entscheidung über die Wahlkampfkostenerstattung birgt die Gefahr ständiger Verfassungsprozesse in sich. Dem BVerfG drohen zahlreiche Organstreitigkeiten.
Zusammenfassend können wir feststellen: Die aufsehenerregenden Entscheidungen des Zweiten Senats vom 19. Juli 1966 sind ungenügend begründet. Die Begründungen entsprechen nicht den vom BVerfG selbst und der Verfassungsrechtslehre entwickelten Auslegungsgrundsätzen. Sie sind rechtstechnisch unzulänglich gearbeitet und von einer außergewöhnlichen Eigenwilligkeit. Sie tragen der Realität unzureichend Rechnung und sind nicht in den Gesamtzusammenhang der Verfassung hineingestellt. Die Begründung des Verbotsurteils zwingt zu der Erkenntnis, daß man auf Grund der Verfassungspraxis, der geschriebenen Verfassungsrechtsnormen und der Verfassungsgrundsätze auch zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können.
Das Ergebnis läßt ein Problem verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung in das wieder Licht der öffentlichen Debatte treten, das des Sondervotums. Wir haben bei unserer Urteils-analyse stets vom „Zweiten gesprochen. Doch es muß offen bleiben, ob die grundsätzliche Entscheidung über das Verbot der staatlichen Parteienfinanzierung und ihre Begründung einheitlich von den sieben Senatsmitgliedern getroffen wurden. Die herausgearbeiteten Divergenzen in der Urteils-begründung lassen vielmehr vermuten, daß sich im Senat gegensätzliche Meinungen gebildet hatten. Doch die derzeitige Praxis der Urteilsbildung und Urteilsveröffentlichung läßt etwaige Divergenzen im Senat nicht an die Öffentlichkeit treten. Bei einem so problematischen Verfassungs-rechtsstreit, bei dem die Verfassung eine bestimmte Entscheidung ebenso gut tragen kann wie eine andere, wäre es dringend geboten, der gesamten politischen Gesellschaft zu zeigen, welche Gründe für und welche gegen die Entscheidung oder für und gegen eine andere Entscheidung gesprochen haben. Man würde dadurch weder die Autorität des BVerfG mindern noch die Wirksamkeit des richterlichen Spruches beeinträchtigen Vielmehr würde der Öffentlichkeit das verfassungsrechtliche Problem in all seinen Dimensionen vor Augen -ge führt. Es würde gezeigt, daß man gegebenenfalls auch anders entscheiden kann, daß es keine absolute glatte und einwandfreie Entscheidung in vielen Verfassungsrechtsfragen gibt. Einer Legendenbildung könnte dadurch vorgebeugt werden, die Arcana der Rechtsprechung — die Ursache der Rechtsfremdheit in Deutschland — könnten langsam abgebaut werden. Die Veröffentlichung des Sondervotums in der bundesverfassungsgericht-lichen Rechtsprechung könnte die demokratische Bewußtseinsbildung der Gesellschaft fördern und die Richter im BVerfG im politischen Bewußtsein der Bürger stärker verankern. Es könnte sie aber gleichzeitig veranlassen, noch sorgfältiger, noch abwägender, noch gründlicher das jeweilige pro und contra im Urteil abzuwägen. Die Urteile vom 19. Juli 1966 sollten der letzte Anstoß für das BVerfG sein, im Rahmen seiner Prozeßautonomie mittels der Geschäftsordnung zu regeln, daß abweichende Urteilsbegründungen (concurring opinion beim Supreme Court) und gegensätzliche Auffassungen zur Entscheidung der Mehrheit (dissenting opinion) durch Sondervotum unter Namensnennung des dis-sentierenden Richters veröffentlicht und in die offiziöse Entscheidungssammlung ausgenommen werden Nachdem der Erste Senat im sogenannten Spiegel-Urteil hier eine Bresche geschlagen hat, dürfte einer endgültigen Regelung nichts mehr entgegenstehen
V. Möglichkeiten des politischen Handelns für den Bundesgesetzgeber und die politischen Parteien
Die Urteile des BVerfG vom 19. Juli 1966 haben eine Zäsur im demokratischen Prozeß der Bundesrepublik hinterlassen. Ihre Auswirkungen sind, so sagten wir oben, heute noch nicht abzusehen. Sie eröffnen aber auch Chancen — Chancen für die politischen Parteien der Bundesrepublik, die sehr energisch auf ihr Selbstverständnis zurückgeworfen wurden und die als Bundesgesetzgeber (Verschränkung der Parteien mit den , verfaßten Staats-organen'!) ein wenig rationalisierend in den demokratischen Prozeß eingreifen können. Einige Hinweise mögen unsere Untersuchung abschließen und zur Belebung der öffentlichen Debatte beitragen. 1. Änderung der Verfassung Die Bundestagsparteien könnten daran denken, Art. 21 GG dahin gehend zu ändern, daß es künftig dem Bundesgesetzgeber gestattet ist, den Parteien zur Wahrnehmung ihrer Funktionen bei der Mitwirkung an der Willensbildung des Volkes finanzielle Zuwendungen aus dem Bundesetat zu gewähren. Verfassungsrechtlich könnte dagegen nichts eingewandt werden, doch würde eine solche Verfassungsänderung vermutlich an der mangelnden Zwei-Drittel-Mehrheit scheitern, die nach Art. 79 Abs. 2 GG dafür erforderlich ist Vor allem aber würde eine Verfassungsänderung, durch die der Spruch des BVerfG aufgehoben werden soll, eine Brüskierung des BVerfG bedeuten, die jedem demokratischen Stil Hohn sprechen würde. 2. Erlaß eines Parteiengesetzes Die im Bundestag vertretenen Parteien ließen sich fast siebzehn Jahre Zeit, um dem Gesetzesbefehl des Art. 21 Abs. 3 GG nachzukommen. Wären sie rechtzeitig dem Auftrag des Verfassungsgebers nachgekommen, so hätte es vielleicht keine Prozesse um die staatliche Parteienfinanzierung gegeben, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wären Urteile wie die vom 19. Juli 1966 nicht erforderlich gewesen. Jetzt ist es vordringlich, ein Parteiengesetz gemäß Art. 21 Abs. 3 GG zu erlassen, denn bevor nicht ein solches Gesetz vom Bundesgesetzgeber verabschiedet und nach Ausfertigung im Bundesgesetzblatt verkündet ist, gibt es für die politischen Parteien kein Geld aus öffentlichen Kassen.
Nach neuesten Informationen scheinen sich die Bundestagsparteien zu bemühen, so rasch wie möglich ein Parteiengesetz, das den Anforderungen des Art. 21 GG entspricht, zu verabschieden Ein interfraktioneller Arbeitskreis soll inzwischen einen „Entwurf eines Gesetzes über die politischen Parteien" fertig-gestellt haben Wichtigster Inhalt des Ent-wurfes dürfte die Regelung der Erstattung der Wahlkampfkosten sein. Da alle im Bundestag vertretenen Parteien mehr oder weniger der staatlichen Bezuschussung bedürfen, versuchen sie offensichtlich eine Regelung zu finden, nach der sie wenigstens einen Teil der früher erhaltenen Mittel bekommen, und diesen nicht nur einmal im Verlauf von vier Jahren, sondern kontinuierlich. Zu diesem Zwecke sehen sie jedoch nicht vor — wie es nahe gelegen hätte —, die Kosten für den Wahlkampf 1965 ersetzen zu lassen, was durchaus zulässig gewesen wäre, da die Parteienfinanzierung schon für das Rechnungsjahr 1965 für unstatthaft erklärt wurde und deshalb auch schon für den in diesem Jahr stattgefundenen Bundestagswahlkampf die Zulässigkeit der Erstattung der Wahlkampfkosten gelten muß Die Konzeption der Bundestagsfraktionen sieht vielmehr eine Wahlkampfkosten-Pauschale von DM 2, 50 je Wahlberechtigten bei der letzten vorausgegangenen Bundestagswahl vor. Das würde derzeit eine Summe von 94 Millionen DM je Wahlperiode (normalerweise also auf vier Jahre verteilt) im Bundesetat betragen, gegenüber der Summe von 152 Millionen DM nach der bisherigen Parteienfinanzierung im selben Zeitraum. Ob die vorgesehene Summe, die nach den jeweils erreichten Zweitstimmen auf die Parteien verteilt werden soll, den strengen Anforderungen des BVerfG in Bezug auf die . notwendigen Kosten eines angemessenen Wahlkampfes'entspricht, muß offenbleiben. In der vorgesehenen Summe steckt jedenfalls eine der oben angedeuteten Gefahren permanenter Verfassungsprozesse
Als Mindestvoraussetzung für die Erstattung der Wahlkampfkosten sieht der Gesetzentwurf vor, daß eine Partei, die am Wahlkampf teilgenommen hat, 2, 5 °/o der gültigen Zweitstimmen erreichen muß. Dieser Prozentsatz dürfte bei objektiver Auslegung dem vom BVerfG gezogenen Rahmen in Bezug auf die Chancen-gleichheit entsprechen, denn er liegt, erheblich'unter der 5 °/o-Grenze. Ferner sieht der Entwurf vor, den Parteien auf die zu erwartende Kostenerstattung Abschlagzahlungen zu leisten. Diese sollen im zweiten Jahr der Wahlperiode 10%, im dritten 15% und im Wahljahr 35 % betragen dürfen. Die restlichen 40 % sollen nach der Wahlentscheidung ausgezahlt werden. Hat eine Partei hierbei weniger Stimmen erhalten als in der vorausgegangenen Wahl, so soll dies bei der letzten Zahlung verrechnet werden. Parteien, die weniger als 2, 5 % der Zweitstimmen erhalten haben, sollen die schon ausgezahlten Gelder zurückerstatten müssen
Der interfraktionelle Gesetzentwurf der im Bundestag vertretenen Parteien dürfte nach seinem bisher bekanntgewordenen Inhalt die aussichtsreichste Methode darstellen, um die durch das Urteil des Zweiten Senats hervorgerufene Finanzsituation bei den Parteien etwas zu verbessern. Er schöpft die im Rahmen des Urteils gegebenen Möglichkeiten voll aus und scheint auch eine dauerhafte Lösung zu sein Er stellt eine Lösung dar, die nicht nur ein Ausweg aus der momentanen Misere ist, sondern vielmehr und vor allem einen schon längst fälligen Verfassungsauftrag erfüllt 3. Abgabe eines Bürgerpfennigs Das BVerfG hat jegliche staatliche -Parteien finanzierung Ausnahme der mit Erstattung der Wahlkampfkosten für verfassungswidrig erklärt. dieses Verbot aber auch für eine Gilt direkte allgemeine Abgabe der Wahlberechtigten zugunsten der politischen Parteien? Manche halten auch eine solche Abgabe für unzulässig Doch Theodor Eschenburg fragt mit Recht, ob man wirklich den Wähler nicht zwingen dürfe, Beiträge an eine von ihm ausgewählte Partei zu leisten Die Parteien sollten den Anregungen von Theodor Eschen-burg folgen und mit Phantasie überlegen, in-210) wieweit man einen Pflichtbeitrag der Bürger zugunsten der politischen Parteien einführen könnte, ohne gegen das Urteil des BVerfG zu verstoßen. 4. Größere finanzielle Zuwendungen an die Parlamentsfraktionen Der Zweite Senat hat die Zulässigkeit finanzieller Zuwendungen aus öffentlichen Haushalten grundsätzlich bejaht. Gleichzeitig hat er jedoch darauf hingewiesen, daß es ein die Verfassung verletzender Mißbrauch wäre, wenn die Parlamente den Fraktionen Zuschüsse in einer Höhe bewilligen würden, die durch die Bedürfnisse der Fraktionen nicht gerechtfertigt wären, also eine verschleierte Parteienfinanzierung enthielten Geht man davon aus, daß ein wesentlicher Teil der Parteiarbeit für die jeweiligen Parteifraktionen in den Parlamenten geleistet wird, dann ist in der derzeitigen Handhabung der Fraktionszuschüsse noch ein erheblicher Spielraum. Die Parlamente könnten die Fraktionszuschüsse nicht unbeträchtlich erhöhen, dadurch die Parteikassen entlasten, ohne dabei gegen das Urteil des BVerfG zu verstoßen. 5. Änderung der internen Parteiarbeit Die Parteien müssen nicht nur ihre Funktionen gegenüber der politischen Gesamtgesellschaft und den Repräsentativ-Institutionen wahmeh-men, sie müssen sie, um attraktiv, vital, sozial-wirksam zu sein, auch gegenüber sich selbst, das heißt in ihrem internen Bereich wahrnehmen. Die gigantischen Aufbauarbeiten, vor denen die Bundesrepublik in den ersten fünfzehn Jahren ihres Bestehens gestanden hat, haben die Parteien in ihren Außenfunktionen total beansprucht, für die innerparteiliche Ordnung blieb wenig Zeit und Kraft. Hier könnte das Urteil des BVerfG ermunternd und anregend wirken. Konzentration der Parteifunktionen nach innen, die Parteien innerlich durchlässig machen, Plattform des demokratischen Engagements und reale Chance des Aufstiegs werden, die überkommenen Störungsfaktoren beseitigen, der politischen Apathie — Bestandteil jeder politischen Gesellschaft — entgegenwirken. Die nicht sehr erfreulichen Urteile des BVerfG könnten sehr wirkungs-voll werden, wenn die die Bundesrepublik tragenden Parteien sie als Aufforderung zur permanenten Reform betrachten würden.
Heinz Laufer, Dr. jur. utr.; geb. am 22. April 1933 in Würzburg; nach dem Studium der Rechtswissenschaft, Philosophie und Politischen Wissenschaft juristische Staatsprüfung und Promotion, Assistententätigkeit an den Universitäten Würzburg und München; derzeit Lehrbeauftragter für Politische Wissenschaft an der Universität München und Dozent an der Hochschule für Politische Wissenschaften in München; Hauptarbeitsgebiete innerhalb der Politischen Wissenschaft: Regimelehre (go-vernment) und Politische Theorie. Veröffentlichungen: Das Kriterium politischen Handelns, München 1961; Die demokratische Ordnung — Eine Einführung, Stuttgart 1966. Aufsätze u. a.: Homo homini homo (1962); Die freiheitliche Demokratie (1964); Die Schiedsgerichtsbarkeit der deutschen Parteien (1965); Das demokratische Regime der Bundesrepublik (1965); Kooperativer Föderalismus (1966); Typus und Status des Bundesverfassungsgerichts (1966).
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