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Maos Strategie in Vietnam | APuZ 15/1967 | bpb.de

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APuZ 15/1967 Artikel 1 Die amerikanische Chinapolitik 1949-1950 Zum Einfluß innenpolitischer Faktoren auf die US-Außenpolitik Maos Strategie in Vietnam

Maos Strategie in Vietnam

Hemen Ray

Chinesische Ansprüche auf Südostasien

Unter den südostasiatischen Ländern sehen die kommunistischen Führer Chinas Vietnam als das natürliche Tor an, durch das sie ihren Einfluß über die Grenzen Chinas hinaus ausdehnen können. Chinas Ziele in Vietnam sind einmal in der historischen Tradition begründet, zum zweiten entspringen sie dem revolutionären Sendungsbewußtsein. Im Verlaufe von 2000 Jahren haben chinesische Kaiser mehrfach Vietnam dem Königreich der Mitte einverleibt. Einen langen Zeitraum hindurch hat China sich Vietnam tributpflichtig gemacht. Bis 1885 wurden die Herrscher Vietnams von Peking in ihr Amt eingesetzt, und es wurde von ihnen erwartet, daß sie alle vier Jahre Peking besuchten und alle zwei Jahre eine Gesandtschaft mit Tributen nach China schickten. Am Ende des Zweiten Weltkrieges versuchte die Regierung Nationalchinas, Vietnam unter ihre Herrschaft zu bringen und der Vietnamesischen Nationalpartei zur Macht zu verhelfen. Im Jahre 1960 erklärte der Ministerpräsident des kommunistischen Chinas, Tschou En-lai, China und Vietnam seien wie „Lippen und Zähne"

Seit die Kommunisten im Sommer 1949 in China zur Macht gekommen sind, haben sie proklamiert, daß es ihr grundlegendes Ziel sei, die territoriale Einheit des kaiserlichen Chinas wiederherzustellen. Sie haben überdies angedeutet, daß eine Reihe von Gebieten, die dem kaiserlichen China in den früheren Jahrhunderten entrissen worden waren, wiedergewonnen werden sollten. Das Gemeinsame Programm verkündete das Recht Chinas, die Rückkehr der „verlorenen" Gebiete zu fordern, erklärte alle vor 1949 von China getroffenen Vereinbarungen sowie alle eingegangenen Verpflichtungen für ungültig und stellte schließlich fest, daß die neue Regierung „die Verträge und Vereinbarungen zwischen der Kuomintang und ausländischen Regierungen einer Prüfung unterziehen und sie je nach ihrem Inhalt anerkennen, aufheben, revidieren oder erneuern würde."

Schon 1939 hatte Mao Tse-tung Vietnam neben anderen Ländern als eines der China verlorengegangenen Gebiete aufgeführt, die wiedergewonnen werden sollten

Weltrevolutionäres Sendungsbewußtsein

Die chinesischen Kommunisten haben außerdem ein starkes revolutionäres Sendungsbewußtsein entwickelt, aus dem heraus sie ihre Ideen der Weltrevolution verbreiten. Sie sehen die Welt als in einer dialektischen revolutionären Entwicklung begriffen an und sind überzeugt, daß sie die Hauptrolle bei der Gestaltung der Zukunft Asiens spielen müßten. Sie haben oft verkündet, ihre Revolution sei der Prototyp aller zukünftigen Revolutionen in Asien und in anderen unterentwickelten Ländern der Welt, und die Kolonialvölker ermuntert, den Weg einzuschlagen, den das chinesische Volk gegangen ist Wang Tschia-hsiang, Stellvertretendes Mitglied des Sekretariats des Zentralkomitees der Chinesischen Kommunistischen Partei, erklärte, „es sei nur natürlich, daß der Sieg des chinesischen Volkes in weitem Maße die Aufmerksamkeit der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas erregt hat" „Das China von heute ist ihr Morgen", lautet eine andere Losung. Marschall Tschen Ji empfahl die chinesische Revolution den anderen unterentwickelten Ländern als Vorbild. Der Erfolg der Chinesen in der Revolution und beim Wiederaufbau sei eine „enorme Ermutigung aller unterdrückten Nationen und der um ihre Befreiung kämpfenden Völker der Welt. Im chinesischen Volk sehen sie ihre eigene Zukunft. Sie spüren, daß alles, was die Chinesen erreicht haben, ihnen auch zu erreichen möglich sein sollte. Der Sieg des chinesischen Volkes erfüllt sie mit unbegrenztem Vertrauen und mit Ermutigung. Das chinesische Volk seinerseits sieht in allen unterdrückten Völkern seine eigene Vergangenheit."

Voller Sendungsbewußtsein verbreiten die chinesischen Kommunisten ihre Ideen, um die Weltrevolution mit dem Endziel der Herstellung eines dauernden Friedens und der Liquidierung des „Imperialismus" zu beschleunigen. Die Liquidierung des „Imperialismus" hat eine besondere Bedeutung im Weltbild der chinesischen Kommunisten angenommen. Sie glauben, daß ein dauernder Friede nur möglich ist, wenn die „Imperialisten", und vor allem die Vereinigten Staaten, eliminiert werden und eine kommunistische Welt unter Führung von Peking errichtet wird: Dieses Thema ist immer wieder von allen chinesischen Führern, angefangen mit Mao Tse-tung, variiert worden.

Mao Tse-tung glaubt, daß Frieden auf Einheit beruht und Einheit auf der rücksichtslosen Ausschaltung jedweder Opposition in der Welt. Er ist ein Chauvinist; seine Unkenntnis von der Welt außerhalb Chinas und sein Mißtrauen gegen sie sind bestürzend. Er kennt k Ine Furcht vor dem Atomkrieg. Menschen zählen mehr als Material, und es gibt 650 Millionen Chinesen. Er glaubt fanatisch an seine Theorien; ihm schwebt eine atemberaubende Vision der neuen Welt vor. Er hat beschlossen, die ganze Welt umzustürzen, um seine goldene Zukunft zu erreichen..

Revolutionäre und gerechte Kriege

Mao hat verkündet, daß alle Widersprüche in der Welt nur durch „revolutionäre und gerechte Kriege" gelöst werden können. „Es gibt zwei Arten von Kriegen in der Geschichte, gerechte und ungerechte," heißt es bei Mao, „wir unterstützen die gerechten Kriege und widersetzen uns den ungerechten. Alle revolutionären Kriege sind gerecht." Durchdrungen von revolutionärem Eifer und seinem fanatischen Glauben an „revolutionäre und gerechte Kriege" prahlte Mao im Jahre 1939: „Wir sind Verfechter der Allmacht des revolutionären Krieges, und das ist gut. Es ist eine wahrhaft marxistische Auffassung. Die Welt kann nur mit dem Gewehr umgestaltet werden." Im April 1960 betonten die chinesischen Kommunisten in drei umfangreichen Erklärungen zum Gedächtnis des 90. Jahres-tages von Lenins Geburt die Notwendigkeit, den bewaffneten Kampf in Form von „revolutionären und gerechten Kriegen zu führen" Schon wenige Wochen, nachdem die Kommunisten in Peking die Macht ergriffen hatten, begannen sie ihre Pläne, „die Welt mit dem Gewehr umzugestalten", in die Praxis umzusetzen. Sie versprachen allen prokommunistischen Bewegungen in verschiedenen südostasiatischen Ländern ihre bewaffnete Unter-Stürzung. Zunächst gaben sie Nord-Korea moralische Rückendeckung bei seinem Angriff auf Süd-Korea im Juni 1950 und intervenierten später ganz offen. Um ihre historischen Ansprüche in die Tat umzusetzen, okkupierten sie ferner Tibet mit Waffengewalt.

Aber die Ansichten der chinesischen Kommunisten über „revolutionäre und gerechte Kriege" haben eine besondere Bedeutung im Falle Vietnams gewonnen. 1950 erkannte China die „Demokratische Republik Vietnam" der Vietminh an und sandte ihr Militärhilfe zur Vertreibung der Franzosen aus Nord-Vietnam. Auf der Genfer Konferenz von 1954 proklamierte Ministerpräsident Tschou En-lai Chinas „Monroe Doktrin" und forderte die anderen Mächte auf, sich von Asien fernzuhalten Während der ganzen Dauer der Verhandlungen hing der Schatten der militärischen Drohung Chinas wie ein Damoklesschwert über dem Konferenztisch. Die ständige Drohung eines Einmarsches in Indochina führte zum Waffenstillstand vom Juli 1954. Vietnam wurde am 17. Breitengrad in Nord-und Süd-Vietnam geteilt.

Seitdem hat sich Nord-Vietnam als zuverlässiger Verbündeter und als wertvoller Stützpunkt für die Ausbreitung des chinesischen Einflusses in Süd-Vietnam und im übrigen Südostasien erwiesen. Einen Tag nach der Genfer Konferenz forderte Ho Chi Minh, unterstützt von den chinesischen Kommunisten, eine Wiederaufnahme des Kampfes im südlichen Teil von Vietnam, um auch dieses Gebiet zu „befreien". Aber die antikommunistische Politik der süd-vietnamesischen Regierung und die Präsenz der Vereinigten Staaten in Süd-Vietnam führten zu einer Wandlung der kommunistischen Strategie in Vietnam. Die Chinesen zeigten sich in zunehmendem Maße besorgt über das amerikanische Engagement in Vietnam. Um ihre Ziele durchzusetzen, verstärkten sie ihren Druck auf die süd-vietnamesische Regierung und auf die Vereinigten Staaten. „Druck", sagt Mao Tse-tung, „ist das Wesen der Politik. Wenn Du Erfolg bei der Ausübung von Druck hast, so zeigt das, daß Deine Politik gut ist.“

Als die Hoffnungen auf eine Machtübernahme in Süd-Vietnam dahinschwanden, verfolgten sowohl das kommunistische China wie NordVietnam eine Politik des Guerillakrieges in Süd-Vietnam, um die Regierung Ngo Dinh Diem zu stürzen. In Süd-Vietnam selbst schlossen sich die süd-vietnamesischen Kommunisten und die Vietcong Peking und Hanoi an und führten einen Guerillakrieg gegen die südvietnamesische Regierung, um ein kommunistisches Regime einzusetzen.

Propagandistisches Trommelfeuer gegen die USA

Als die Vereinigten Staaten ihre Militär-und Wirtschaftshilfe für die süd-vietnamesische Regierung in ihrem Kampf gegen die Vietcong verstärkten, begannen die chinesischen Kommunisten zunehmendes Interesse an der Entwicklung in Süd-Vietnam zu zeigen und die Vietcong zu unterstützen. Allmählich wurde der Kampf in Vietnam immer heftiger und richtete sich mehr und mehr gegen die USA. Im Juli 1959 setzte das kommunistische China eine scharfe antiamerikanische Kampagne in Gang und klagte die „Kreaturen" der Amerikaner in Süd-Vietnam an, sie wichen von den Genfer Vereinbarungen ab. Peking inszenierte Massenversammlungen in allen großen Städten, bei denen die Amerikaner aufgefordert wurden, sich aus Süd-Vietnam zurückzuziehen, und bei denen die „friedliche Wiedervereinigung von Vietnam“ verlangt wurde. Das kommunistische China brachte seine volle Sympathie für die „gerechte Sache des Volkes im benachbarten Vietnam“ zum Ausdruck

China begann überdies die Vereinigten Staaten anzuklagen, sie bereiteten eine „enge Verbindung" zwischen Süd-Vietnam und der SEATO vor, und erklärten: „Noch nicht zufrieden mit all dem, bereitet Washington ein Militärbündnis zwischen Süd-Vietnam, Laos und Thailand vor, das Süd-Vietnam und Laos in aller Form mit dem aggressiven SEATO-Block verbinden würde, um diese Länder so vollständig in ihre fernöstlichen Kriegspläne einzubeziehen.“ Die chinesischen Kommunisten vertraten die Ansicht, daß die Aktionen der USA in Süd-Vietnam Teil eines Planes seien, ein Netz von Militärstützpunkten zu errichten, das Süd-Korea, Japan, die Ryukyu-Inseln, Okinawa, Taiwan und den indochinesischen Raum miteinander verbinden solle, „um die Sicherheit der Volksrepublik China zu bedrohen"

Wenige Monate später startete China erneut eine Kampagne gegen die Vereinigten Staaten mit einer Serie von Massenversammlungen und kündigte die entschlossene Unterstützung der Vietcong gegen die amerikanische Aggression und für die friedliche Wiedervereinigung von Vietnam an. Liu Ning-ji, Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, erklärte, daß im Südteil von Vietnam der Kampf gegen die „finstere Herrschaft der US-Ngo Dinh Diem-Clique sich täglich ausdehnt", daß „die US-Ngo Dinh Diem-Clique vom vietnamesischen Volk eingekreist ist und ihre Tage gezählt sind“ und daß „der patriotische und gerechte Kampf des vietnamesischen Volkes einen bedeutenden Bestandteil des Kampfes der Völker der Welt gegen die amerikanische imperialistische Aggression" darstellt. Weiter sagte er, „die Siege des vietnamesischen Volkes sind Siege des chinesischen Volkes", und versprach dem vietnamesischen Volk die „volle Unterstützung des 650 Millionen-Volkes der Chinesen"

Vietnam wurde für das kommunistische China die entscheidende Probe, um die Richtigkeit der Theorien Mao Tse-tungs von den „Befreiungs-und gerechten Kriegen" zu beweisen. Die Chinesen sahen überdies in Vietnam ihre letzte Chance, der Weltmachtposition der Vereinigten Staaten den entscheidenden Schlag zu versetzen, und zwar nicht nur in Asien, sondern in der ganzen Welt.

In Verfolgung seines Zieles bezeichnete China den Guerillakrieg in Süd-Vietnam als „Kampf für die nationale Befreiung" und kennzeichnete die Vereinigten Staaten als den Haupt-feind des vietnamesischen Volkes. Die chinesischen Kommunisten begannen darüber hinaus die Vereinigten Staaten der Intensivierung ihrer „interventionistischen und aggressiven" Aktionen in Süd-Vietnam anzuklagen. Im April 1961 wies Marschall Tschen Ji, der Außenminister des kommunistischen Chinas, die USA warnend darauf hin, daß China als Garantiemacht der Genfer Vereinbarungen und enger Nachbar Vietnams „nicht umhin kann, seine ernste Besorgnis über die Tatsache auszudrücken, daß die Vereinigten Staaten ihre Intervention gegen den südlichen Teil Vietnams verstärken", und erklärte, daß China es als das „geheiligte Recht des Volkes von Süd-Vietnam ansehe, den patriotischen und gerechten Kampf zu führen, in den sich keine auswärtige Macht einmischen darf“

Als im Dezember desselben Jahres General Maxwell Taylor in Saigon ankam, um die militärische Situation in Süd-Vietnam zu untersuchen, beklagte sich Peking voller Zorn über die „interventionistische und aggressive" Betätigung der USA in Süd-Vietnam. Diese Tätigkeit habe in letzter Zeit ernste Ausmaße angenommen, hieß es, und „die Tatsache, daß die US-Regierung ihre Marine-und Luft-streitkräfte und eine große Anzahl von Boden-truppen nach Süd-Vietnam verlegt, zeigt, daß sie in ihrer bewaffneten Intervention gegen Süd-Vietnam sogar noch skrupelloser wird." Die chinesische Regierung erklärte, sie könne sich „absolut nicht gleichgültig gegen die abenteuerlichen Handlungen der Vereinigten Staaten verhalten" und sie spreche „hiermit die ernste Warnung aus, daß die US-Regierung, sofern sie ihre aggressiven Handlungen nicht einstelle, die volle Verantwortung für den Bruch des Friedens in Indochina und Süd-asien tragen müsse".

Kampagne zugunsten der Vietcong

Sie klagte überdies die Vereinigten Staaten an, sie versuchten, eine „halbmondförmige Kette von Stützpunkten zu schaffen, die Süd-Korea, Japan, Okinawa und Taiwan mit den SEATO-Mitgliedern Philippinen und Thailand sowie den „CENTO-Mitgliedern Iran und Türkei verbinde" Zur gleichen Zeit traf eine starke chinesische Militärdelegation unter Führung von Marschall Jeh Tschien-jing in Nord-Vietnam ein, um der Regierung Ho Chi Minh die Unterstützung Pekings zu versichern. Unmittelbar danach setzte Peking eine massive Kampagne zugunsten der Vietcong in Gang. Versammlungen und Massendemonstrationen wurden überall in China veranstaltet, auf denen den Vietcong Unterstützung bis zum „Endsieg" versprochen wurde. Liu Tschang-scheng, der Vorsitzende des Gesamtchinesischen Gewerkschaftsbundes, warnte die Vereinigten Staaten, daß „es höchst gefährlich für sie ist, im Süden Vietnams mit dem Feuer zu spielen“, und erklärte, daß „das chinesische Volk überzeugt ist, die nationalen Bestrebungen des vietnamesischen Volkes nach der Einigung seines Vaterlandes würden gewiß Wirklichkeit werden". „Süd-Vietnams Kampf ist der unsrige", sagte er, „und die Völker Süd-Vietnams und Chinas haben ein gemeinsames Ziel einen Feind Rin und gemeinsamen in ihrem -gen"

China und Nord-Vietnam drängten die Internationale Kontrollkommission, sie solle den Rückzug der amerikanischen Militärberater und die Einstellung der Militär-und Wirt-schaftshilfe für die süd-vietnamesische Regierung erwirken. China wies die Anklagen Süd-Vietnams, es betreibe eine subversive Tätigkeit, zurück und beschuldigte die indischen und kanadischen Mitglieder der Kommission, sie leisteten der amerikanischen Intervention und der Verletzung der Genfer Vereinbarungen Vorschub. Der indische Delegierte der Internationalen Kontrollkommission wurde speziell angegriffen, er plappere die Lügen der US-Imperialisten nach, wonach der patriotische und gerechte Kampf der Süd-Vietnamesen in Wirklichkeit eine Subversion und Aggression Nord-Vietnams sei: „Der indische Delegierte sollte verstehen, daß Vietnam dem vietnamesischen Volk gehört." Peking empfahl dem indischen und dem kanadischen Mitglied der Kommission, gleich dem polnischen Delegierten das amerikanische „Abenteuer“ in Süd-Vietnam zu verurteilen und die USA dazu zu bringen, ihre Militärberater aus Saigon abzuberufen

Offene Unterstützung der Nationalen Befreiungsfront"

Der Kommunismus hat den Chinesen sowohl die organisatorischen Voraussetzungen wie die Ideologie geliefert, die für die Durchführung der Revolution notwendig sind. Die chinesischen Kommunisten glauben fanatisch, daß die Geschichte auf ihrer Seite steht und daß die Länder an der Peripherie Chinas eines Tages zum Kommunismus übergehen und sich dem Reich der Mitte anschließen würden. Im Herbst 1962 besuchte eine Delegation der südvietnamesischen Nationalen Befreiungsfront, des politischen Zweiges der Vietcong, Peking und traf mit Mao Tse-tung, Liu Schao-tschi und anderen chinesischen Führern zusammen. In einer gemeinsamen Verlautbarung der chinesischen Regierung und der Delegation der süd-vietnamesischen Nationalen Befreiungsfront versprachen die Chinesen die Politik der Befreiungsfront voll zu unterstützen

Im August 1963 ging Mao Tse-tung schließlich zur offenen Unterstützung der süd-vietnamesischen Nationalen Befreiungsfront über. Das Volk von Süd-Vietnam, hieß es in seiner Erklärung, habe einen bedeutenden politischen und militärischen Sieg in seinem „gerechten und patriotischen Kampf gegen die Vereinigten Staaten und die Ngo Dinh Diem-Clique" errungen. „Wir, das chinesische Volk, unterstützen entschlossen seinen gerechten Kampf."

Die Führer der Nationalen Befreiungsfront drückten Mao sofort ihre „tiefe Dankbarkeit" für diese „großartige Inspiration" aus und versprachen, der Methode des „hinhaltenden revolutionären Kampfes, der von Ihnen bei der Erringung des Sieges in China angewandt wurde", nachzueifern

Die sogenannte hinhaltende Strategie beruht auf dem Glauben an den schließlichen Erfolg einer beharrlichen, vorsichtigen und flexiblen Aggression gegen imperialistische Länder, von denen man annimmt, ihnen fehlte es an Entschlossenheit und Mut und sie würden daher angesichts einer entschiedenen Drohung in der Regel zurückweichen. Diese Strategie basiert auf dem Vertrauen in die Überlegenheit der Kommunisten beim ideologischen und politischen Ringen mit dem Westen. Sie ist in Süd-Vietnam durch Chinas direkte Opposition gegen die USA und durch die Unterstützung der Vietcong angewandt worden. Es ist jedoch für das kommunistische China wichtig, den direkten Zusammenstoß mit einer überlegenen Macht wie den Vereinigten Staaten in einem großen Krieg zu vermeiden. Zugleich bleibt die Drohung mit einer massiven chinesischen Intervention als Druckmittel bestehen, um die Vereinigten Staaten von Vergeltungsschlägen gegen Nord-Vietnam, der Hauptbasis der Vietcong, abzuhalten.

Hoffnung auf den Zerfall Südvietnams

Süd-Vietnam ist ein idealer Boden für die Anwendung von Maos Strategie, überall gibt es Dschungel, der den Guerillaaktionen natür-liehen Schutz bietet. Die Regierung Ngo Dinh Diem in Saigon war ebenso schwach wie die Regierung Tschiang Kai-schek auf dem chinesischen Festland es war. Ngo Dinh Diems unfähige Regierung und die drückende Besteu-erung ließen ihn zu einer unpopulären Figur bei der Bevölkerung auf dem Lande, vor allem bei den Bauern, werden. Die Kommunisten waren zuversichtlich, daß das Diem-Regime bald stürzen würde.

Als Diem im Herbst 1963 stürzte, riefen die chinesischen Kommunisten die antikommunistischen Führer Süd-Vietnams auf, ihre Unterstützung der Vereinigten Staaten einzustellen und nannten das Schicksal Präsident Ngo Dinh Diems ein sprechendes Beispiel für alle „Speichellecker, die sich von den US-Imperialisten völlig beherrschen lassen." Ihre einzige Hoffnung sei, den falschen Weg aufzugeben und den richtigen einzuschlagen. „Gegenwärtig ist die Lage in Süd-Vietnam außerordentlich günstig für das Volk und ungünstig für den US-Imperialismus und seine Lakaien, die sich bereits im Griff des süd-vietnamesischen Volkes befinden; der Sturz des Marionetten-regimes zeigt, daß die schließliche Niederlage des US-Imperialismus und der Reaktionäre in Süd-Vietnam unvermeidlich ist", hieß es in der chinesischen Verlautbarung Das chinesische Angebot war jedoch nicht einmal für die schärfsten Gegner der süd-vietnamesischen Regierung verlockend. Die buddhistischen Führer, die gegen die Regierung agitierten, lehnten es ab, in die chinesische Falle zu tappen.

Die chinesischen Kommunisten glaubten, daß Süd-Vietnam schließlich auseinanderfallen und so der Weg für die Machtübernahme der Kommunisten frei gemacht würde. Anfang 1964 erklärte Mao Tse-tung einer Gruppe von französischen Abgeordneten, die Peking besuchten: „Es (Süd-Vietnam) wird dort enden, wo China geendet hat. Wir haben unsere Revolution mit amerikanischen Waffen gemacht. Die Vereinigten Staaten gaben Tschiang für 11/2 Milliarden Dollar Waffen, aber wer hat sie jetzt? Er hat sie uns übergeben. Dasselbe wird in Vietnam passieren."

Zugleich machte das kommunistische China klar, daß nur die Anwesenheit der amerikanischen Macht den Zerfall Süd-Vietnams verhindere. Während eines Besuches in Pakistan im Februar 1964 forderte Ministerpräsiden Tschou En-lai die USA auf, aus Süd-Vietnam herauszugehen Wenige Tage später gab sich Tschou in Ceylon überzeugt, daß die Vereinigten Staaten den Krieg in Vietnam niemals gewinnen könnten Das Organ der Kommunistischen Partei Chinas, Jen minh jihpao, stimmte in den Chor des Drängens auf Abzug der USA aus Süd-Vietnam mit den Worten ein: „Wenn die US-Regierung aus der Patsche herauskommen will, in die sie in Süd-Vietnam geraten ist, besteht der einzige Weg darin, die Genfer Vereinbarungen von 1954 gewissenhaft einzuhalten und zu erfüllen und das süd-vietnamesische Volk seine Probleme selbst lösen lassen." Der Fehlschlag der von den amerikanischen Beratern gegen die Aufständischen angewandten Taktik habe bewiesen, daß die revolutionären Kräfte der überlegenen militärischen Macht der Vereinigten Staaten Herr werden könnten und daß die USA lediglich ein durchlöcherter und entlarvter Papiertiger seien, hieß es in der Zeitung weiter. Das Volk eines jeden Landes oder Gebietes, das der Aggression der Vereinigten Staaten ausgesetzt sei, könne den Sieg erringen, wenn es sich nur nicht von ihrer scheinbaren Stärke beeindrucken lasse und den Kampf wage und zu führen wisse

Kampf bis zum letzten Vietnamesen

Trotz der scharfen Verurteilung der amerikanischen „Einmischung" in Süd-Vietnam waren die chinesischen Kommunisten nicht bereit, sich in einen kostspieligen und riskanten Krieg für die „Befreiung" Süd-Vietnams verwickeln zu lassen. Diese vorsichtige Haltung ist auf die Lektion zurückzuführen, die die Chinesen in Korea erhalten haben. Sie sind jedoch bereit, hochfliegende Erklärungen abzugeben, mit denen die USA wegen ihrer Entschlossenheit, die Chinesen an der Machtübernahme in Vietnam zu hindern, angegriffen werden. Im September desselben Jahres versicherte das kommunistische China erneut die Vietcong der entschlossenen Unterstützung des chinesischen Volkes in ihrem gerechten Kampf und warnte die Vereinigten Staaten, „falls sie eine erneute bewaffnete Aggression gegen die Demokratische Republik Vietnam unternehmen und ihren Aggressionskrieg in Indochina weiter ausdehnen sollten, würde das chinesische Volk dem Volk von Vietnam und dem von ganz Indochina entschieden Beistand leisten und die US-Aggressoren gemeinsam mit ihnen bekämpfen, bis sie vollständig besiegt sind" Die Vietcong hätten „wertvolle Erfahrungen geliefert und eine gewaltige Stärkung aller unterdrückten Nationen und Völker der Welt bewirkt“; ihr Kampf sei der Kampf „aller unterdrückten Nationen und Völker"

Doch die chinesischen Kommunisten wollten zeigen, daß das Gleichgewicht der Kräfte in der Welt verändert werden könne, indem man das atomare Patt der Supermächte umgeht, Nord-Vietnam und der Vietcong dienten als Mittel zur Erreichung dieses Ziels.

Vor die Tatsache der zunehmenden chinesischen und nord-vietnamesischen Unterstützung der Vietcong gestellt, beschlossen die Vereinigten Staaten, ihrerseits Schritte zu unternehmen, um diese Hilfe für die Vietcong zu unterbinden.

Als im Februar 1965 die Vereinigten Staaten mit der Bombardierung militärischer Ziele in Nord-Vietnam zur Unterbindung von Ho Chi Minhs Unterstützung der Vietcong begannen, zeigten sich die chinesischen Kommunisten höchst erbittert. In einer scharf formulierten Erklärung prangerte die chinesische Regierung die „Kriegsprovokation" der Vereinigten Staaten an und kündigte den „brillanten Sieg des großartigen vietnamesischen Volkes" an. Sie warnte Washington, es würde „seine Schuld am vietnamesischen Volk mit Blut bezahlen müssen. Die 650 Millionen Chinesen unterstützen entschlossen ihre Brüder und werden den Kampf gegen den US-Imperialismus zu Ende führen."

Das Organ der Kommunistischen Partei Chinas, Jen-min jih-pao, ließ der Erklärung der Regierung einen Leitartikel folgen, in dem es schrieb, daß „die USA auf dem Wege der Ausweitung des Krieges in Indochina sehr weit fortgeschritten sind." Wenn die Vereinigten Staaten „einen weiteren Schritt auf diesem Wege machen, wird es ihnen nicht besser, sondern schlechter ergehen. Da der US-Imperialismus den Krieg anderen aufgezwungen hat, kann er nicht hoffen, der verdienten Bestrafung zu entgehen"

Die chinesischen kommunistischen Führer setzten nunmehr einen wilden Propagandafeldzug gegen die Vereinigten Staaten in Gang. Sie riefen pro-kommunistische Bewegungen in anderen Teilen der Welt auf, es den Vietcong gleichzutun. In ihren Augen fand in Süd-Vietnam ein Kampf statt, dessen Ausgang den Verlauf des ideologischen Ringens zwischen Ost und West beeinflussen würde. Die amerikanischen Rückschläge in Vietnam hätten revolutionäre Aktionen in Asien, Afrika und Lateinamerika ermutigt und die Siege der Vietcong in Süd-Vietnam hätten eine universale Bedeutung gegenüber der globalen „konterrevolutionären Strategie" der Vereinigten Staaten

Die chinesischen Kommunisten legten nicht nur kein Interesse an der friedlichen Lösung des Vietnam-Problems an den Tag, sondern griffen Dritte, die ihre guten Dienste für eine Regelung auf dem Verhandlungswege anboten, heftig an. Nach ihrer Meinung gingen sie im Vietnamkrieg ein außerordentlich geringes Risiko ein; sie waren entschlossen, ihn bis zum letzten Kommunisten in Nord-Vietnam fortzusetzen.

Zurückweisung aller Friedensappelle

Als im April 1965 17 asiatische und afrikanische Länder zum Frieden in Vietnam aufriefen, wies das kommunistische China dies sofort mit den Worten zurück: „Das vietnamesische Volk wird niemals Verhandlungen ohne irgendwelche Vorbedingungen zustim-men. Es hat diesen seinen Standpunkt bei mehr als einer Gelegenheit klargelegt." Peking beschuldigte die 17 Nationen, sie kämen den Bedürfnissen des US-Imperialismus entgegen, und griff Marschall Tito an, er betätige sich als trojanisches Pferd des US-Impe-rialismus, um das Ringen der Völker um die Erlangung und Bewahrung der nationalen Unabhängigkeit zu sabotieren

Am 17. April 1965 wies China einen Friedensappell Präsident Johnsons zurück. Die chinesische Zeitung Kuang-ming jih-pao bezeichnete den Friedensappell in einem Kommentar als Täuschungsmanöver und fügte hinzu, die Vereinigten Staaten beabsichtigten in Süd-Vietnam zu bleiben, um dieses Gebiet in eine US-Kolonie zu verwandeln. Der einzige Ausweg für den US-Imperialismus sei, die Nationale Front Süd-Vietnams als wahre Vertretung des süd-vietnamesischen Volkes zu akzeptieren und seine Streitkräfte aus Süd-Vietnam zurückzuziehen Gleichzeitig rief das Ständige Komitee des Nationalen Volkskongresses des kommunistischen China das chinesische Volk auf, „alle Vorbereitungen zu treffen, um eigene Leute auszusenden, damit sie zusammen mit dem vietnamesischen Volk kämpfen und die US-Aggressoren aus Vietnam herausjagen". Die großen Organisationen des Landes wurden aufgerufen, eine „machtvolle Massenbewegung" ins Leben zu rufen, um die US-Aggressoren zum Abzug aus Vietnam zu zwingen, den amerikanischen imperialistischen Plan einer Ausweitung des Aggressionskrieges zu vereiteln und Frieden und Sicherheit in Südostasien zu garantieren

Als Ende April 1965 der indische Staatspräsident Radhakrishnan vorschlug, eine afroasiatische Streitmacht aufzustellen, die die Grenze zwischen Nord-und Süd-Vietnam bewachen und sichern solle, wies Peking auch diesen Vorschlag zu einer friedlichen Lösung der Vietnamfrage zurück. Die chinesische Regierung beschuldigte Indien, es versuche einen Ausweg für die US-Aggressoren zu finden, damit sie Vietnam auf die Dauer teilen und Süd-Vietnam in Besitz nehmen könnten; Indien spiele eine „aktive Rolle als Komplice der Vereinigten Staaten"

Das Verhalten der chinesischen Kommunisten zeigt auch deutlich, daß sie bei jedem ihrer Schritte zwar große Reden führen, aber zurückhaltend in ihren Taten sind. Jedesmal, wenn sie sich aggressiv und kriegerisch gaben, haben sie sich gehütet, die Grenze zu überschreiten. Die chinesischen Kommunisten haben eine neue Technik lautstarker Demonstrationen in die internationalen Beziehungen eingeführt. Wenn sie andere in Furcht versetzen wollen, veranstalten sie Massenversammlungen als Mittel ihrer Propagandakampagne. Solche Massendemonstrationen lassen zweifellos ihre organisatorischen Fähigkeiten erkennen, aber sie besagen nichts über die militärische Schlagkraft Pekings. Unter den gegebenen Umständen sind die chinesischen Kommunisten gewillt, mit der Übernahme der Macht in Süd-Vietnam zu warten. Zu einer Gruppe französischer Beamter, die China im April 1965 besuchten, sagte Mao Tse-tung: „Diese Krise (in Vietnam) wird keine rasche Lösung finden. Wir müssen auf den Tag warten, an dem die USA sich gezwungenermaßen zurückziehen. Es ist erforderlich, zu kämpfen, bis die Amerikaner nicht mehr kämpfen. Aber wenn sie den Kampf fortsetzen, was kann man dann tun? Es wäre gut, morgen eine Vierzehn-Mächte-Konferenz einzuberufen. Aber die USA sind dagegen. Und auch unser Genosse, die Sowjetunion, tritt nicht aktiv dafür ein."

Angriff gegen die sowjetischen „modernen Revisionisten"

Im Mai 1965 wurde in einem Artikel der Zeitung Hongqi erklärt, der Vietnamkrieg sei ein wichtiger Bestandteil des gemeinsamen Kampfes der Völker der Welt gegen ihren erbittertsten Feind, den US-Imperialismus. Die Vietcong verteidigten den südöstlichen Vorposten des Sozialistischen Lagers, stärkten den revolutionären Kampf der Völker und sicher-ten den Frieden in Asien und in der Welt. Der Artikel wandte sich dann gegen die „modernen Revisionisten" der Sowjetunion, „die die Gesetze des Volkskrieges nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Sie huldigen der Macht des US-Imperialismus und haben kein Vertrauen in die Stärke des vietnamesischen Volkes. Sie fürchten sich sogar davor, daß das vietnamesische Volk sie in eine Katastrophe* hineinziehen könnte ... Die Vietnamfrage ist der Brennpunkt des gegenwärtigen internationalen Klassenkampfes und der Prüfstein für alle politischen Kräfte in der Welt". Die . modernen Revisionisten" wurden angeklagt, die Rolle „sogenannter Supermächte" zu spielen und die anderen am Widerstand gegen den US-Imperialismus zu hindern. Die Sowjets mögen so tun, als ob sie das vietnamesische Volk unterstützten, aber tatsächlich fürchteten sie sich davor, bei ihrem amerikanischen Oberherrn Anstoß zu erregen. Ihre Taten stimmten nicht mit ihren Worten überein. Sie gäben sich als Wohltäter aus und machten eine Menge Tamtam um ihre Hilfe für das vietnamesische Volk

Im Jahre 1965 verkündeten chinesischen die Kommunisten zum erstenmal, daß die Nord-Vietnamesen das Recht zur Unterstützung der Vietcong im Süden hätten, um das Land unter einem von Peking und Hanoi gesteuerten kommunistischen Regime wiederzuvereinigen. Die Nord-Vietnamesen hätten das Recht, in Süd-Vietnam Krieg zu führen, verkündeten die Chinesen, denn „Vietnam ist ein Land und sein Volk hat das Recht, es wiederzuvereinigen. Die Demarkationslinie ist nicht als Grenze anzusehen. Der 17. Breitengrad ist eine temporäre Demarkationslinie"

Das Organ der KPCh, Jen-min jih-pao, schrieb sogar ganz offen, daß die temporäre Demarkationslinie am 17. Breitengrad aufgehört habe zu existieren und daß die Menschen im Norden sich bei der Unterstützung ihrer Landsleute im Süden keine Beschränkungen mehr aufzuerlegen brauchten. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden die Vereinigten Staaten den Aggressionskrieg in Vietnam zu einem „begrenzten Krieg von der Art des Koreakrieges" ausweiten. Die Regierung Johnsons sei willens, den Krieg in Indochina auf das übrige Südostasien und sogar auf China übergreifen zu lassen. Die amerikanischen Bombenangriffe auf Nord-Vietnam, hieß es weiter in dem Artikel, hätten „die Sicherheit Chinas in immer ernsterer Weise bedroht“ und das chinesische Volk sei daher berechtigt, jede weitere notwendige Maßnahme zu ergreifen.

Chinesen riskieren keinen großen Krieg

Damit gaben die chinesischen Kommunisten zum erstenmal offen zu, daß sie durch die Bombenangriffe auf Nord-Vietnam ihre Sicherheit bedroht sahen. Zugleich gaben sie zu verstehen, daß ein etwaiges bewaffnetes Eingreifen Chinas in Vietnam nicht auf dieses Gebiet beschränkt bleiben würde, sondern sich auch auf Laos und sogar Thailand ausdehnen würde, da die Vereinigten Staaten aus den Grenzen zwischen Laos, Vietnam und Thailand eine Farce gemacht und den gesamten Raum in ein Schlachtfeld verwandelt hätten, auf dem sie sich bewegten, wie sie wollten.

Zugleich aber gaben die Chinesen zu verstehen, daß die Vietnam-Krise nicht den großen Krieg zur Folge haben würde Die Ansicht, daß die chinesischen Kommunisten wahrscheinlich keinen Krieg mit den Vereinigten Staaten in Vietnam riskieren würden, ist auch von einem Fachmann für chinesischen Fragen, dem Jesuitenpater La Dany, vertreten wor-32 den. La Dany, der lange Jahre in China gelebt hat, sagte in einem Zeitungsinterview, daß Mao Tse-tung sich voraussichtlich heraus-halten und eher eine kommunistische Niederlage in Vietnam mitansehen würde, als einen Krieg mit den Vereinigten Staaten zu riskieren. „Peking ist in erster Linie an der Bewahrung seines eigenen Gebietes interessiert. Die rotchinesischen Führer sind vielleicht sogar bereit, ganz Nord-Vietnam besetzt zu sehen, ohne in den Krieg einzugreifen, so lange sie sicher sind, daß das chinesische Festland nicht bedroht ist."

Als im Herbst 1965 Präsident Johnson die Bereitschaft der Vereinigten Staaten erklärte, ohne Vorbedingungen mit Nord-Vietnam über den Frieden zu verhandeln, nannten die Chinesen das amerikanische Friedensangebot ein Windei und verhöhnten Präsident Johnson, er hänge der Illusion nach, daß die USA das vietnamesische Volk niederhalten könnten. „Mit seinem Friedensschwindel hofft John-son törichterweise, seine Gegner mundtot zu machen und mit der Ausdehnung des Aggressionskrieges gegen Vietnam fortfahren zu können. Es sollte den USA niemals gestattet werden, mit diesem Schwindel der Friedens-gespräche Erfolg zu haben."

China hat Nord-Vietnam immer wieder in seiner Haltung bestärkt, die Friedensangebote der USA zurückzuweisen, und wiederholt die Forderung nach sofortiger Einstellung der Bombenangriffe auf Nord-Vietnam und Rückzug aller amerikanischen Streitkräfte aus Vietnam als Vorbedingungen eines Friedens in Vietnam erhoben. Das Organ der Kommunistischen Partei Chinas, Jen-min jih-pao, attackierte Außenminister Rusk wegen seiner Bemerkung, es könne schon morgen Frieden sein, wenn Hanoi Süd-Vietnam in Ruhe ließe, und schrieb: „Nach Meinung der US-Imperialisten bestehen die Bedingungen des Friedens in Vietnam nicht darin, daß Washington seine Aggression einstelle, sondern daß das vietnamesische Volk die Waffen niederlege und den Kampf beende und daß das nord-vietnamesische Volk mit der Unterstützung seiner Brüder im Süden aufhöre". Zwischen dem vietnamesischen Volk und den Vereinigten Staaten gebe es einen unversöhnlichen Kampf auf Leben und Tod In Peking erklärte Außenminister Tschen Ji, daß China bereit sei, falls die Vereinigten Staaten einen Krieg planten, und fügte hinzu: „Sie sollen nur alle kommen, die Inder, die Briten, die japanischen Militaristen und die Revisionisten (die Sowjets) aus dem Norden. Auch dann noch wird China den Sieg erringen." Das kommunistische China habe 16 Jahre auf den Angriff der amerikanischen Imperialisten gewartet, sagte Tschen Ji, und darüber sei sein Haar weiß geworden

Vietnam als Keil zwischen den USA und der Sowjetunion

Gegen Ende 1965 attackierten die chinesischen Kommunisten nicht nur die Vereinigten Staaten wegen ihrer Entschlossenheit, Peking an der Beherrschung Süd-Vietnams zu hindern, sondern griffen auch die Sowjetunion propagandistisch an. Sie sahen in Vietnam jetzt einen wertvollen Hebel, mit dessen Hilfe sie die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion auseinanderhalten und daran hindern konnten, zu einer Übereinkunft in anderen wichtigen weltpolitischen Fragen zu gelangen.

Anfang November 1965 griffen die Chinesen die Sowjetunion heftig an, weil sie China gedrängt hatte, den Vereinigten Staaten zu einem Ausweg aus der Situation in Vietnam zu verhelfen. Ein von Jen-min jih-pao veröffentlichter Artikel sagte, dieser Schritt sei vom sowjetischen Ministerpräsidenten Alexeij Kossygin unternommen worden, als er auf dem Wege nach Vietnam in Peking Station machte. Die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten, schrieb die Zeitung, arbeiteten zusammen in der Absicht, die Welt zu beherrschen, und zu diesem Zwecke seien sie dringend darauf angewiesen, die lodernden Flammen der Revolution des vietnamesischen Volkes auszulöschen. Im Januar 1965 hätten die Vereinigten Staaten die Sowjetregierung ge-beten, ihren Einfluß in Nord-Vietnam geltend zu machen, damit es die Unterstützung der Vietcong in Süd-Vietnam einstelle, und die Sowjetführer hätten dieses Ersuchen offiziell an Nord-Vietnam weitergegeben. „Als Kossygin im Februar 1965 auf seiner Reise nach Vietnam in Peking mit den chinesischen Führer konferierte, hob er die Notwendigkeit hervor, den Vereinigten Staaten zu helfen, einen Ausweg in Vietnam zu finden. Dies wurde von den chinesischen Führern entschieden zurückgewiesen." Die Taktik der Sowjetführer hinsichtlich Vietnams sei „verschlagener und heuchlerischer als die Chruschtschows

Anläßlich des fünften Jahrestages der Gründung der Nationalen Befreiungsfront im Dezember 1965 feierte Peking die Vietcong, weil sie den Willen aller unterdrückten Nationen stärkten und allen anderen revolutionären Völkern ein leuchtendes Beispiel gäben. Die US-Aggressoren seien in eine passive und verwundbare Rolle gedrängt worden und Süd-Vietnam sei zu einem Friedhof für sie geworden. Zugleich aber gaben die chinesischen Kommunisten zu, daß es keine leichte Sadie sei, die Vereinigten Staaten zu besiegen, weil sie über eine Vielzahl moderner Waffen verfügten Die Entschlossenheit der USA, die militärischen Operationen gegen die Vietcong und die Luftangriffe auf Nord-Vietnam fortzusetzen, schuf eine neue Lage für die Politik Pekings. Die Chinesen sahen die amerikanische Entschlossenheit als Beweis für die unbegrenzte Fähigkeit der USA an, ihren Plan für eine baldige Beherrschung Süd-Vietnams zu durchkreuzen. Sie mußten sich eingestehen, daß die Vereinigten Staaten den greifbar nahe erscheinenden Sieg verhindert hatten.

Alleinvertretungsrecht der Vietcong als Vorbedingung für Verhandlungen

Zur gleichen Zeit verstärkten die chinesischen Kommunisten ihre Rückendeckung für Ho Chi Minh, damit er der „amerikanischen Aggression“ widerstehe. Sie erklärten, es würde keinen Frieden in Vietnam geben, wenn die Vereinigten Staaten nicht die Vietcong als alleinige Vertretung des süd-vietnamesischen Volkes anerkennen und sich aus Vietnam zurückziehen würden. Sie verteidigten Nord-Vietnams Hilfe für die Vietcong als ein grundlegendes nationales Recht und fügten hinzu: „Es ist eine typische Gangsterlogik, zu sagen, das vietnamesische Volk habe eine Aggression gegen Vietnam begangen. Kein Land und keine Nation in der Welt kann jemals solch eine phantastische Logik hinnehmen. Sie (die Völker von Nord-und Süd-Vietnam) haben sich zu einem Volk vereinigt und führen den antiamerikanischen patriotischen Kampf, um das Recht der vietnamesischen Nation auf Einheit sowie das Recht des Nordens und des Südens, sich zu einer Familie zusammenzuschließen, zu sichern. All das ist eine absolut natürliche Sache und vollkommen gerechtfertigt." Zugleich wurden wieder die „modernen Revisionisten" der Sowjetunion kritisiert, weil sie gemeinsame Interessen mit den Vereinigten Staaten hätten, ein anderes sozialistisches Land, das einer skrupellosen Aggression ausgesetzt sei, im Stiche ließen und eine Verständigung mit dem Aggressor suchten

Als die Vereinigten Staaten nach einer langen Pause im Februar 1966 die Bombenangriffe auf Nord-Vietnam Wiederaufnahmen, sagte Peking voraus, daß „dies den US-Aggressoren nur weitere katastrophale Niederlagen bringen würde", und versprach, das chinesische Volk werde „um jeden Preis das vietnamesische Volk entschlossen unterstützen, damit es den Kampf gegen die amerikanische Aggression bis zum Ende führen kann" In einer Erklärung des chinesischen Außenministeriums hieß es: „Das 650 Millionen-Volk der Chinesen ist voller Zorn über die ruchlosen Verbrechen, die vom US-Imperialismus begangen werden . . . China und Vietnam sind brüderliche Nachbarn, die so eng verwandt sind wie die Lippen und Zähne. Wir Chinesen sind erschüttert von den Leiden des vietnamesischen Volkes und unterstützen es aus vollem Herzen in seinem gerechten Kampf. Wir sehen es als unsere Pflicht und Schuldigkeit an, unnachsichtig die scheußlichen Verbrechen der Vereinigten Staaten zu verurteilen." Die Sowjetregierung wurde heftig getadelt, weil sie es nicht wagte, die skrupellosen Verbrechen der Vereinigten Staaten zu verurteilen. Sie habe nicht nur ihr „Klassengefühl" verloren, sondern auch jeden Sinn für Gerechtigkeit eingebüßt

Gegen Behandlung der Vietnam-Frage vor den Vereinten Nationen

Als die Vereinigten Staaten die Vietnamfrage vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen brachten, damit eine friedliche Lösung des Problems gefunden werden könne, weigerten sich sowohl das kommunistische China wie auch Nord-Vietnam sofort, die Weltorganisation als Friedensvermittler in Vietnam zu akzeptieren. Die Chinesen erklärten, daß jede Resolution der UN null und nichtig sein würde. Die Vereinten Nationen hätten keine Befugnis, die Vietnamfrage zu diskutieren, und kein Land hätte das Recht, in den Vereinten Nationen die Beratung dieses Themas zu beantragen

Mitte Februar 1966 feierte das kommunistische China den fünften Jahrestag der „Vereinigung der südvietnamesischen Befreiungskräfte" mit großem Aufwand. In einem Artikel zu diesem Anlaß rief das Organ der Kommunistischen Partei, Jen-min jih-pao, alle unterdrückten Völker und Nationen in der Welt auf, „revolutionäre Volksstreitkräfte" aufzustellen, um die konterrevolutionären Armeen der Imperialisten und ihrer Lakaien zu bekämpfen. „Ohne Volksstreitkräfte," schrieb Jen-min jih-pao, „wird es keine Befreiung und keine Freiheit des Volkes, keine nationale Unabhängigkeit und überhaupt nichts für das Volk geben." Der Krieg in Vietnam sei der Brennpunkt des gegenwärtigen Kampfes der Völker der Welt gegen den US-Imperialismus und ein großartiger Beitrag zur Sache der Befreiung der asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Völker. Die Vereinigten Staaten wurden mit den Worten verhöhnt: „Wenn die amerikanischen Streitkräfte schon in Vietnam hoffnungslos in die Patsche geraten sind, kann man sich leicht vorstellen, welche Katastrophen in Zukunft auf den Yankee-Imperialismus warten, wenn sich alle unterdrückten Völker gegen ihn erheben"

China sei geehrt, die Vereinigten Staaten zum Feind zu haben, und der US-Imperialismus habe einen „wohltätigen Effekt" auf die chinesische Bevölkerung. Diese ironischen Achtungsbezeigungen waren in einem längeren Artikel von Jen-min jih-pao enthalten, der auf eine Rede von William Bundy, eines hohen Beamten des amerikanischen Außenministeriums, antwortete, in der Bundy sich dafür ausgesprochen hatte, China „einzudämmen". Die Rede Bundys erweise die Entschlossenheit des US-Imperialismus, auf ewig der Feind des chinesischen Volkes zu bleiben und decke seine Absicht auf, die Aggression zu verstärken und den Krieg in Asien auszuweiten, hieß es in dem Artikel. „Der eingefleischte Haß und die unversöhnliche Feindschaft der Vereinigten Staaten gegen die Chinesen sind als solche schon Beweis genug, daß das chinesische Volk zu den revolutionärsten und fortschrittlichsten Völkern gehört. Wäre dem nicht so, so würde der US-Imperialismus uns nicht bekämpfen, wie er es jetzt tut. Von solch einem Feind bekämpft zu werden, ist keine schlechte Sache; es ist eine Ehre."

Bei einem Empfang zu Ehren des ehemaligen Präsidenten von Ghana, Dr. Kwame Nkrumah, gab Liu Schao-tschi zu verstehen, daß Peking an einem Frieden in Vietnam nicht interessiert sei; er verteidigte die chinesische Politik der Fortsetzung des Krieges mit einer seltsamen Logik. „Unter diesen Umständen“, sagte Liu, „dient jede Initiative für Friedens-gespräche, welche Wünsche subjektiv auch dahinter stehen mögen, objektiv dazu, den Vereinigten Staaten zu helfen, ihr Ziel der Verlängerung der Okkupation Süd-Vietnams zu erreichen." Es sei der Wunsch Chinas, „das Ringen bis zum Ende durchzustehen, indem es den Kampf des vietnamesischen Volkes gegen die US-Aggressoren für die nationale Befreiung und die Einstellung der amerikanischen imperialistischen Aggression unterstützt." Er sei fest davon überzeugt, daß die Vietcong letzten Endes siegreich sein würde, „gleichgültig, wie viele Verstärkungen die Vereinigten Staaten zusätzlich herüberschicken und welche neuen Waffen sie noch verwenden würden. Es gibt keinen Weg für sie, sich der vorherbestimmten Niederlage zu entziehen"

Hoffnung auf Rückzug der Amerikaner

Die chinesischen Kommunisten kamen allmählich zu der Überzeugung, daß sie es mit ihrer Propaganda und mit politischem Druck schaffen würden, die Vereinigten Staaten eines Tages zu demoralisieren und zum Ab-zug aus Süd-Vietnam zu zwingen. Auf diesem vagen Glauben basieren ihre Hoffnungen, Süd-Vietnam zu beherrschen. Die chinesische Technik im Wettstreit mit den Vereinigten Staaten gründet sich auf das leninistische Prinzip, daß die Vertreibung der Vereinigten Staaten aus Süd-Vietnam schließlich zu ihrem Niedergang als Weltmacht und zur Ausdehnung des chinesischen Einflusses nicht nur in Asien, sondern in der ganzen Welt führen wird.

In ihrer Propaganda fuhren die Chinesen fort, zu drohen, daß das 650-Millionen-Volk der Chinesen kampfbereit sei. Wenn die Vereinigten Staaten nochmals die Kräfte mit ihm messen wollten, sollten sie nur kommen, wann immer sie wollten, allein oder mit ihren Verbündeten. Wenn sie kämen, so würden sie nicht nur hinausgejagt, sondern ausgelöscht werden. Für die große Sache der Menschheit würde das chinesische Volk die notwendigen Opfer bringen, mit den Völkern aller Länder gemeinsam kämpfen und seinen Anteil zu dem schließlichen Begräbnis des US-Imperialismus, des Erzaggressors und Erzkriegstreibers der Gegenwart, beitragen Außen-minister Marschall Tschen Ji sagte einer philippinischen Delegation, die Peking besuchte, China habe bisher keine Truppen nach Nord-Vietnam entsandt, werde das aber unverzüglich tun, falls die USA den Krieg nach dem Norden ausweiteten. Sein Land, sagte er, sei bereit, mit den Vereinigten Staaten einen langen Krieg zu führen. Ein amerikanisch-chinesischer Krieg würde nicht notwendigerweise ein kalter Krieg sein. Sollte ein solcher Krieg ausbrechen, so würde sein Schauplatz das chinesische Festland sein und er würde nicht auf andere Länder ausgedehnt werden. Tschen Ji rechtfertigte das Eingreifen Chinas in den Vietnamkrieg für den Fall, daß die Vereinigten Staaten Hanoi oder Haiphong bombardierten, denn der Hafen Haiphong sei das Tor zum chinesischen Festland

China gegen alle

Als im Mai Senator Mike Mansfield zu Verhandlungen zwischen der amerikanischen Regierung Und Nord-Vietnam aufrief, um das Vietnamproblem friedlich zu lösen, nannten die Chinesen dies „eine bloße Wiederholung der abgeleierten Melodie der US-Imperialisten" und griffen die amerikanische Regierung an, weil sie „die Unverfrorenheit habe, diesen vollkommen absurden Vorschlag vorzubringen und dem chinesischen und dem vietnamesischen Volke zuzumuten, ihn anzunehmen". Zugleich attackierten die Chinesen die indischen „Reaktionäre", die japanischen „Militaristen", die sowjetischen „Revisionisten", UN-Generalsekretär U Thant und die britische Labourregierung, weil sie dem „Schwindel der Friedensverhandlungen" ihre Unterstützung liehen. Besonders verärgert waren die chinesischen Kommunisten über die sowjetischen „Revisionisten". „Es muß mit allem Ernst ausgesprochen werden, daß die modernen sowjetischen Revisionisten am meisten mit dem imperialistischen Schwindel der . Friedensverhandlungen'hausieren gehen. Während des ganzen vergangenen Jahres haben die sowjetischen Führer hinter den Kulissen zugunsten von , Friedensverhandlungen'agiert. Sie haben im internationalen Rahmen am lautesten nach Friedensverhandlungen geschrieen. Bewußt haben sie das imperialistische konterrevolutionäre Doppelspiel mitgemacht und das Friedensverhandlungs-Rezept der Johnson-Regierung angepriesen, um so die lodernde Flamme der Revolution im vietnamesischen Volk zu ersticken und seine fundamentalen Interessen zu verraten."

Als die amerikanische Luftwaffe im Juli Ziele im Gebiet von Hanoi und Haiphong bombardierte, machte China seiner Erbitterung Luft. Am 3. Juli bekräftigte die chinesische Regierung in einer Erklärung den „unerschütterlichen Standpunkt" des chinesischen Volkes, Vietnam in seinem Widerstand gegen die amerikanische Aggression beizustehen. Der Erklärung der Regierung folgte ein Kommentar im Jen-min jih-pao, der ausführte, nunmehr seien alle Beschränkungen, die sich Nord-Vietnam und China bei ihrer Hilfe für die Vietcong auferlegt hätten, hinfällig, weil die Vereinigten Staaten die Grenze zum offenen Krieg hin überschritten hätten. „Alle Maßnahmen, die das nordvietnamesische Volk zur Unterstützung seiner Brüder im Süden ergreift, sind richtig und sein geheiligtes Recht. Auch Chinas Hilfe für Vietnam gegen die amerikanische Aggression kennt keine Grenzen." Die Zeitung warnte die Vereinigten Staaten, China würde möglicherweise Truppen nach Vietnam senden. „Es hängt nicht von den Vereinigten Staaten ab, wie der Krieg in Zukunft aussehen wird. Wenn sie ihn aus der Luft und von See her führen, warum können andere nicht auf dem Boden kämpfen?" Die Luftangriffe der Amerikaner auf Hanoi und Haiphong seien das Ergebnis eines „schmutzigen politischen Handels" zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Die Sowjetunion, versicherte das Blatt, sei im voraus über die Bombenangriffe auf das Gebiet von Hanoi und den Hafen von Haiphong unterrichtet worden. Es klagte die Sowjet-führer überdies der schweren Beleidigung des vietnamesischen und des chinesischen Volkes und der beflissenen Unterstützung der amerikanischen imperialistischen Erpressungspolitik an. Die sowjetische Haltung im Vietnamkrieg werde erweisen, „ob jemand ein wahrer oder ein falscher Anti-Imperialist, ein wahrer oder falscher Revolutionär, für oder gegen die Revolution, ein Marxist-Leninist oder ein Revisionist ist." Die revisionistische Führungsclique der Sowjetunion wolle die Vietnam-frage im Rahmen der amerikanisch-sowjetischen Kollaboration bei der Beherrschung der Welt behandelt wissen, und die Sowjetunion wolle Frieden um den Preis eines Friedens, den die „amerikanischen Oberherren" ihr gewähren, verkaufen

Wenige Wochen später erklärte die chinesische Regierung, infolge der amerikanischen Bombenangriffe im Gebiet von Hanoi und Haiphong hätten die Genfer Vereinbarungen aufgehört zu existieren. Indiens Ministerpräsident, Frau Indira Gandhi, wurde getadelt, weil sie sich für die Wiedereinberufung der Genfer Konferenz zur Diskussion der Vietnamfrage ausgesprochen hatte. Den sowjetischen Führern erging es ebenso, weil sie Moskau zum „Angelpunkt des schmutzigen politischen Spiels" gemacht habe, durch das das Ringen des vietnamesischen Volkes gegen die Amerikaner verraten werden solle. Die Chinesen wiederholten, sie und das vietnamesische Volk hingen so eng zusammen wie „Lippen und Zähne" und teilten Wohl und Wehe. Die Geschichte habe es so gefügt, daß beide Völker „sich vereinigen und gemeinsam kämpfen und den Sieg erringen müßten". Das chinesische Volk würde dem vietnamesischen Volk entschlossen zur Seite stehen, koste es, was es wolle, und niemals in seiner Unterstützung Vietnams wanken, bis der endgültige Sieg errungen sei

Alle Friedensinitiativen wurden von nun an als Schwindel bezeichnet, der lediglich den amerikanischen Aggressionskrieg in Vietnam bemänteln solle. Auch Nord-Vietnam wies alle Appelle zu friedlichen Verhandlungen zurück und bestand auf dem Abzug der Amerikaner als Vorbedingung für die Aufnahme von Gesprächen. Ein sowjetischer Vorschlag zur Einberufung einer neuen internationalen Konferenz über Indochina ohne Vorbedingungen wurde gleichfalls von der nord-vietnamesischen Regierung abgelehnt. Präsident Ho Chi Minh äußerte vor einiger Zeit, daß der Krieg in Vietnam 20 Jahre oder länger dauern könne.

Bedrohung ganz Südostasiens

Da in erster Linie die Vereinigten Staaten dem chinesischen Drang zur Beherrschung Süd-Vietnams entgegenstehen, versuchen die Chinesen auf zwei Wegen, ihr Ziel doch noch zu erreichen. Der eine besteht darin, einen Keil zwischen die Vereinigten Staaten und ihre wichtigsten westlichen Verbündeten zu treiben, der andere, den amerikanischen Einfluß in den südostasiatischen Ländern auszuschalten. Sollte dies letztere eines Tages gelingen, so hinderte niemand die chinesischen Kommunisten daran, ein Reich zu schaffen, das größer ist als alles, was die chinesischen Kaiser je erträumt haben.

Die Art der chinesischen Bedrohung der süd-ostasiatischen Länder liegt offen zutage. Alle kommunistischen Parteien Südostasiens blicken auf Peking. Auch die kommunistischen Parteien von Burma, Indonesien, Malaya und Thailand nehmen ihre Befehle von Peking entgegen, überdies werden auch die Pathet Lao-Streitkräfte in Laos von den chinesischen Kommunisten gesteuert. Peking kann diese kommunistischen Bewegungen nach Belieben dazu bringen, sich gegen die schwachen Regierungen ihrer Länder zu erheben.

Daß China entschlossen ist, seinen Einfluß auf Südostasien auszudehnen, liegt bereits seit 1949 auf der Hand. Die chinesischen Kommunisten unternehmen alle Anstrengungen, den amerikanischen Einfluß in diesem Raum zu vermindern. Auf jede Weise versuchen sie, anti-amerikanische Gefühle zu ihren Gunsten auszunützen. Ihre Propaganda spricht ständig davon, daß alle Asiaten durch gemeinsame Ideale und besondere Interessen verbunden sind und deshalb gegen den amerikanischen Imperialismus zusammenstehen müßten.

Folgen des Genfer Abkommens 1954

Seltsamerweise machen sich nur wenige Men-schen klar, daß die heutigen Leiden Vietnams lediglich das Ergebnis des Friedens sind, den das Genfer Abkommen scheinbar heraufgeführt hat. Diesem Abkommen von 1954 verdankt das Land es, daß es künstlich geteilt wurde, obwohl es nach Rasse, Geschichte und Geographie eine untrennbare Einheit bildet.

Das Genfer Abkommen hätte einen Sinn gehabt, wenn die beiden Parteien, die direkt von ihm betroffen waren, auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens eine gütliche Einigung angestrebt hätten. Das ist nicht geschehen, hauptsächlich weil die nord-vietnamesi-schen und die chinesischen Kommunisten das Abkommen lediglich zu einer Verschnaufpause benützten, bevor sie erneut versuchten, die 14 Millionen Einwohner Süd-Vietnams gewaltsam zum Kommunismus zu bekehren.

Als die Kommunisten auf Grund des Genfer Abkommens sich bereit erklärten, die Waffen niederzulegen, blieb eine große Anzahl von Ho Chi Minhs Leuten in Süd-Vietnam zurück, die später den Kern der kommunistischen Guerillaverbände bildeten. Sehr bald aber fügten ihnen die Streitkräfte der süd-vietnamesischen Regierung schwere Verluste zu. Diese Verluste waren so hoch, daß der Kampf nicht hätte fortgesetzt werden können, wenn nicht Verstärkungen von außerhalb herangeführt worden wären. Diese Verstärkungen und Nachschub für die kommunistischen Guerillas aus Nord-Vietnam kamen über den Ho Chi Minh-Pfad nach Süd-Vietnam, der an der vietnamesisch-laotischen Grenze entlangläuft. Niemand anderes als der neutralistische Ministerpräsident von Laos, Prinz Souvanna Phouma, hat bestätigt, daß dieser Transportweg existiert und von den Nord-Vietnamesen benützt wird. Eine Zeitlang hat die kleine laotische Luftwaffe versucht, den Ho Chi Minh-Pfad unbenützbar zu machen. Wegen der natürlichen Beschaffenheit des Geländes — das Gebiet ist hügelig und mit dichtem Dschungel überzogen — war die laotische Luftwaffe nicht imstande, ihren Auftrag auszuführen. Es liegt an den Beherrschern Nord-Vietnams, daß es ein Vietnam-Problem in der Welt gibt. Die nord-vietnamesischen und chinesischen Kommunisten haben dieses Problem in die Welt gesetzt, und sie allein können es wieder aus der Welt schaffen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Nachrichtenagentur Neues China, 14. Mai 1960.

  2. Artikel 51 des Gemeinsamen Programms, verkündet am 1. Oktober 1949.

  3. Mao Tse-tung, Chinese Revolution and the Chinese Communist Party, Yenan 1939, in: Current Background, No. 135.

  4. People’s China, 1. Juli 1951.

  5. Hongqi (Rote Fahne), 1. Oktober 1959.

  6. Nachrichtenagentur Neues China, 3. Oktober 1959.

  7. Selected Works of Mao Tse-tung, Bd 1, S. 180.

  8. Mao Tse-tung, Problems ot War and Strategy, Yenan, in: Chinese Communism, Selected Documents, D. N. Jacobs & H. H. Baerwald, Harper, New York 1963, S. 52.

  9. Hongqi, 16. April 1960.

  10. Nachrichtenagentur Neues China, 28. April 1954.

  11. Siao-yu, Mao Tse-tung and I were Beggars, Syracuse University Press, New York 1959, S. 192.

  12. Peking Review, 26. Juli 1959, S. 11— 12.

  13. Jen-min jih-pao, 24. Juni 1960.

  14. Peking Review, 26. Juli 1960, S. 11— 12.

  15. Peking Review, 21. April 1961, S. 13.

  16. Peking Review, 8. Dezember 1961, S. 1— 10.

  17. Peking Review, 9. März 1962, S. 5— 6.

  18. Jen-min jih-pao, 25. Mai 1962.

  19. Peking Review, 28. September 1962, S. 11.

  20. Nachrichtenagentur Neues China, 30. August 1963.

  21. Ebenda, 7. September 1963.

  22. Peking Review, 8. November 1963, S. 28— 29.

  23. Times Weekly Magazine, 4. März 1964, S. 27.

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  25. Daily Star, 1. März 1964.

  26. Jen-min jih-pao, 4. März 1964.

  27. Survey of China Mainland Press, 28. September 1964, S. 35.

  28. Nachrichtenagentur Neues China, 19. Juli 1964.

  29. Jen-min jih-pao, 4. März 1965.

  30. Jen-min jih-pao, 4. März 1965.

  31. Ebenda, 22. April 1965.

  32. Kuang-ming jih-pao, 22. April 1965.

  33. Nachrichtenagentur Neues China, 21. April 1965.

  34. Ebenda, 27. April 1965.

  35. Hindustan Times, 9. April 1965.

  36. Nachrichtenagentur Neues China, 4. Mai 1965.

  37. Nachrichtenagentur Neues China, 8. Mai 1965.

  38. Newsweek, 28. Juni 1965, S. 11.

  39. U. S. News and World Report, 28. Februar 1965, S. 56.

  40. Jen-min jih-pao, 7. August 1965.

  41. Jen-min jih-pao, 8. November 1965.

  42. Times, 30. September 1965.

  43. Jen-min jih-pao, 10. November 1965.

  44. Ebenda, 19. Dezember 1965.

  45. Jen-min jih-pao, 30. Januar 1966.

  46. Jen-min jih-pao, 1. Februar 1966.

  47. Nachrichtenagentur Neues China, 3. Februar 1966.

  48. Jen-min jih-pao, 2. Februar 1966.

  49. Ebenda, 15. Februar 1966.

  50. Jen-min jih-pao, 20. Februar 1966.

  51. Nachrichtenagentur Neues China, 24. Februar 1966.

  52. Nadirichtenagentur Neues China, 18. März 1966.

  53. Manila Times, 24. März 1966.

  54. Jen-min jih-pao, 5. Mai 1966.

  55. Jen-min jih-pao, 5. Juli 1966.

  56. Nachrichtenagentur Neues China, 20. Juli 1966.

Weitere Inhalte

Hemen Ray, Journalist, geb. 12. Februar 1927 in Kalkutta, zur Zeit Korrespondent der indischen Nachrichtenagentur NAFEN in Berlin. Veröffentlichungen: Die Stellung Nepals zwischen Indien und China, Hamburg 1962; Südostasien in der indischen Außenpolitik, Hamburg 1965; Kommunismus in Indien (Mitautor), Hannover 1966; ferner zahlreiche Aufsätze über die sowjetische und chinesische Außenpolitik in wissenschaftlichen Zeitschriften.