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„Innere" und „äußere" Pressefreiheit — Eine medienpolitische Zwischenbilanz | APuZ 24/1974 | bpb.de

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APuZ 24/1974 Artikel 1 „Innere" und „äußere" Pressefreiheit — Eine medienpolitische Zwischenbilanz Intellektuelle und Politik Professionalisierung durch Wissenschaft Journalistenausbildung zwischen Berufung und Beruf

„Innere" und „äußere" Pressefreiheit — Eine medienpolitische Zwischenbilanz

Ulrich Eicke

/ 27 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

1. Pressefreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung sind für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung „schlechthin konstituierend“ (BVG). Erklärtes Ziel der Medien-politiker aller Parteien ist die Sicherung der Pressefreiheit. 2. Noch heute dominiert. die „klassische Vorstellung, die einzig denkbare Methode zur Einschränkung der Pressefreiheit sei eine staatliche Zensur. 3. An einigen Beispielen wird gezeigt, daß die Pressefreiheit von verschiedensten — nichtstaatlichen — Seiten bedroht wird und wie viele Tagesprobleme sich als Medienprobleme entpuppen. 4. Fünf Kontroversen zwischen Verlegern und Medienpolitikern werden angesprochen: Soll das Grundgesetz die Presse nur vor Eingriffen des Staates schützen, oder ist der Staat für die „institutioneile“ Gewährleistung einer freien Presse verantwortlich? Erfüllt die Presse eine öffentliche Aufgabe? Bedeutet die Pressefreiheit die Freiheit eines Verlegers zur Schaffung einer Zeitung „nach seinem Ebenbild" oder die Freiheit jedes einzelnen Redakteurs zur Verbreitung seiner persönlichen Meinung? Ist eine Verstärkung journalistischer Mitbestimmung gleichbedeutend mit einer Mehrung der Pressefreiheit? Bedeutet Pressekonzentration zwangsläufig eine Minderung von'Pressefreiheit? 5. Eines der zentralen medienpolitischen Probleme ist die örtliche Berichterstattung in den sogenannten Ein-Zeitungs-Kreisen. Die vorliegenden Medienpapiere berücksichtigen diese Problematik nur in unzureichendem Maße. Marktanteilsbegrenzungen erscheinen — auch aus verfassungsrechtlichen Gründen — als untaugliches Mittel zur Wiederbelebung der regionalen Pressevielfalt. 6. Die Medienpapiere der Parteien werden unter drei Gesichtspunkten beleuchtet: privatwirtschaftliche Struktur der Presse und öffentlich-rechtliche Organisation des Rund-funkwesens; Abgrenzung der Entscheidungskompetenzen zwischen Verlegern und > Redakteuren, -Vorschläge zur Schaffung von Kontrollinstanzen zwecks Mißbrauchsaufsicht.

Der Begriff „Medienpolitik" ist merkwürdig abstrakt geblieben, und es scheint der allgemeine Eindruck vorzuherrschen, Medienpolitik sei nur eine Angelegenheit von Experten.

Wolfgang Bergsdorf Intellektuelle und Politik ................... S. 15 Kurt Koszyk Professionalisierung durch Wissenschaft. Journalistenausbildung zwischen Beruf und Berufung ................... S. 27

Der Eindruck täuscht. Bei der Medienpolitik geht es um den Nerv der Demokratie. Das ist keine Übertreibung. Denn hier ist die Pressefreiheit angesprochen. Pressefreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung aber sind laut . Fernseh-Urteil" des Bundesverfassungsgerichtes (1961) für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung „schlechthin konstituierend“. Im „SPIEGEL-Urteil" (1966) formulierte das Bundesverfassungsgericht: „Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig, erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich. Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muß er umfassend orientiert sein, aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben."

Es ist das erklärte Ziel der Medienpolitiker aller Parteien, die Pressefreiheit zu sichern. Sie gehen mehr oder weniger davon aus, daß der Pressefreiheit Gefahren drohen. Sie unterscheiden sich in der Beurteilung dieser Gefahren und in den beabsichtigten Maßnahmen. Von verlegerischer und teilweise auch von journalistischer Seite jedoch kann man den Standpunkt hören, die beste Medienpolitik sei, überhaupt keine Medienpolitik zu betreiben. So bewegt sich die medienpolitische Diskussion in einem weiten Spannungsfeld.

Das Verhältnis zwischen Presse und Staat In Deutschland mußte die Pressefreiheit oder wedernfreiheit" Ende des 18. Jahrhunderts Königen und Fürsten abgetrotzt werden. Christian Schubart hat damals mehr als zehn Jahre Festungshaft — ohne von einem Gericht verurteilt worden zu sein — verbüßt, weil er in seiner Zeitung über den Verkauf von 3000

Soldaten durch seinen Landesherren Karl Eugen von Württemberg geschrieben hatte. Die Empörung über diese Tyrannei hat in Schillers Jugenddramen ihren Niederschlag gefunden. Christoph Martin Wieland schrieb über die Pressefreiheit die prophetischen Worte: „Man raube uns diese Freiheit, so wird das Licht, dessen wir uns gegenwärtig erfreuen, bald wieder verschwinden; Unwissenheit wird bald wieder in Dummheit ausarten, und Dummheit uns wieder dem Aberglauben und dem Despotismus Preis geben. Die Völker werden in die Barbarei der finsteren Jahrhunderte zurück-sinken; und wer sich dann erkühnen wird Wahrheiten zu sagen, an deren Verheimlichung den Unterdrückern der Menschheit gelegen ist, wird ein Ketzer und Aufrührer heißen und als ein Verbrecher bestraft werden."

Im 19. und 20. Jahrhundert ist die Pressefreiheit mehrfach durch staatliche Zensurmaßnahmen eingeschränkt oder sogar abgeschafft worden. Hitler nannte sie in einem seiner Tischgespräche bezeichnenderweise „die gefährlichste Gefahr für den Staat". Es ist kein Zufall, daß das nationalsozialistische Regierungsdebüt an einem Verfassungskonflikt über die Pressefreiheit scheiterte. Im Jahre 1930 war in Thüringen mit Wilhelm Frick zum erstenmal ein Nationalsozialist Minister geworden, und zwar für Inneres und Volksbildung. Eigenmächtig verbot er drei Zeitungen, von denen er sich persönlich beleidigt gefühlt hatte. Diese Verbote wurden vom Reichsgericht aufgehoben. Frick ließ auch das Theaterstüdc „Frauen in Not § 218" verbieten. Dieses Verbot wurde vom Thüringischen Oberverwaltungsgericht aufgehoben. Wegen dieser Vorgänge wurde Frick nach einjähriger Amtszeit durch einen Mißtrauensantrag des Landtages zum Rücktritt gezwungen. Es hat symbolische Bedeutung, daß Frick stürzte, weil er die Pressefreiheit mißachtet hatte und weil er die Opposition — die die Ziele der NSDAP und die Methoden eines ihrer führenden Männer entlarvt hatte — mundtot machen wollte. Aber dieses Menetekel an der Weimarer Wand blieb unbeachtet. Was sich hier deutlich sichtbar angekündigt hatte, wurde unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung rücksichtslos und brutal verwirklicht. Schon am 4. Februar 1933 wurde die Presse-und Meinungsfreiheit durch eine Verordnung „zum Schutze des deutschen Volkes“ eingeschränkt und am 18. Februar 1933 ganz außer Kraft gesetzt.

Noch heute dominiert die „klassische" Vorstellung, staatliche Zensur sei die einzig denkbare Methode zur Einschränkung der Pressefreiheit. Auch aus dem Satz des Grundgesetz-Artikels 5. 1 „Eine Zensur findet nicht statt“ wird deutlich, daß das Grundrecht auf Pressefreiheit als gewährleistet gilt, wenn der Staat auf das Instrument der Zensur verzichtet. Dieselbe Optik liegt dem Jahresbericht 1973 des Internationalen Presse-Instituts in Zürich zugrunde, wenn es der Bundesrepublik „keine wirklichen Pressefreiheitsprobleme “ bescheinigt.

Durch den von Adenauer verlorenen „Fernsehprozeß" und die SPIEGEL-Krise wurde der Staat in seine Schranken verwiesen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu Problemen der Pressefreiheit gehört zu den rühmlichsten Markierungspunkten in der demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik. Die ständige geistige Auseinandersetzung im Kampf der Meinungen sei ein „Lebenselement" der Demokratie, weil sich nur im Wettbewerb der frei geäußerten Meinungen der demokratische Meinungs-und Mehrheitsbildungsprozeß vollziehen könne. Dabei gesteht das Bundesverfassungsgericht dem einzelnen Staatsbürger ausdrücklich das Recht zu, seine private Meinung nicht nur zu äußern, sondern auch „Meinung mit Offentlichkeitswert" zu bilden. Es gibt ihm sogar das Recht, zum Boykott aufzurufen, solange sich dieser Kampf allein auf die Überzeugungskraft der Argumente stützt und kein wirtschaftlicher Drude ausgeübt wird. Soweit die Presse Staat und Gesellschaft'öffentlich kritisiert, sei nicht zu verlangen, daß die Wahrheit von Nachrichten und Behauptungen nach Maßstäben gerichtlicher Wahrheitsermittlung festgestellt wird — eine Überprüfung mit „pressemäßiget Sorgfalt" gilt als ausreichend.

Aktuelle Bedrohungen der Pressefreiheit Aber die Gefahr, die Pressefreiheit könne verkürzt und die demokratische Meinungsbildung behindert werden, ist trotzdem nicht geringer geworden. Neue Bedrohungen aus ganz anderen Ecken sind hinzugekommen und erfordern äußerste Wachsamkeit. Besonders betroffen von meinungseinschränkenden Tendenzen und Maßnahmen ist natürlich der Berufsstand der Journalisten, Zahlreiche Fälle sind bekannt, in denen mißliebige Redakteure mit fadenscheinigen Begründungen ausgebootet oder sogar — auch dieser Ausdruck aus dem Wörterbuch des Unmenschen fand Verwendung„abgeschossen" wurden. Nicht bekanntgeworden sind die zahllosen Fälle, in denen Redakteure auf die volle Ausübung ihres Rechtes auf Meinungsfreiheit verzichteten, um Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. Gelegentlich ist von interessierter Seite sogar versucht worden, eine Art Zensur einzuführen, um kritische Stimmen zum Schweigen bringen zu können. Der Bund der Vertriebenen z. B. hat sich nicht gescheut, bei den Landes-regierungen eine „Negativliste" einzureichen und damit die grundgesetzwidrige Forderung zu verbinden, vor den jeweiligen Sendeterminen die Sendungen und Kommentare über Vertriebenenfragen einsehen und zensierenzu dürfen.

Einige aktuelle, nur mosaiksteinartig herausgegriffene Vorkommnisse der letzten Monate lassen Gefahren für die Pressefreiheit erkennen, von denen sich die Väter des Grundgesetzes (und auch die meisten Väter von Medienpapieren) noch nichts träumen ließen. Wer aufmerksam die Tagespresse verfolgt, wird leicht feststellen können, wie viele Tagesprobleme und Kontroversen in Wirklichkeit Medienprobleme sind.

Da schreibt ein keineswegs gewerkschatts feindlicher Journalist in der „Neuen Ruhr Zeitung" einen Leitartikel, in dem er kritisch zu einem beabsichtigten Druckerstreik Stellung nimmt. Die Drucker sind mit dem Inhalt seines Artikels nicht einverstanden und entfernen ihn aus der Zeitung, so daß den Lesern eine leere Seite geboten (und die Möglichkeit der Meinungsbildung genommen) wird. Nur ein Einzelfall?

Da wird der „Saarbrücker Zeitung" — die sich gegen gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen ausgesprochen hatte — während eines Schwerpunktstreiks für 12 Stunden der Strom abgeschaltet, so daß nur eine stark eingeschränkte Notausgabe erscheinen kann. Da kein anderes Unternehmen der freien Wirtschäft eine ähnliche Produktionseinschränkung hinnehmen mußte, wurde von einer „gezielten Aktion" gesprochen, die sich auch gegen die Pressefreiheit richtete.

Da veröffentlichte die italienische, zum FIAT-Konzern gehörende Zeitung „LA STAMPA"

einen kritischen Bericht über den libyschen Staatschef Khadafi, der daraufhin die sofortige Entlassung der verantwortlichen Journalisten verlangte. Andernfalls werde er die diplomatischen Beziehungen zu Italien abbrechen und in der arabischen Welt für einen Boykott sämtlicher FIAT-Erzeugnisse sorgen.

Da mißbilligen sämtliche 27 Stadträte der Bielefelder SPD-Fraktion eine Meinungsäußerung des Chile-Repräsentanten der Dresdner Bank und beschließen, die Geschäftsbeziehungen zu dem Bankinstitut abzubrechen.

Da formuliert der Verleger einer Medizin-Zeitschrift als publizistische Grundhaltung seines Blattes, „Ideologien, die unsere Gesellschaftsform verändern wollen, ... lehnt die Tendenz des Verlages ab". Ein Journalist, der diesen Tendenzvertrag nicht zu unterschreiben bereit ist und der sich kritisch über die Arzneimittel-werbung geäußert hat, wird fristlos entlassen Wenn — wie von Medienpolitikern beabsichtigt — jeder Verlag seine Tendenz festschreiben wird: bedeutet das dann, daß viele Journalisten entweder zu Kreuze kriechen oder ihre Stellung verlieren müssen?

Da sitzen sich im NDR-Verwaltungsrat vier SPD-Vertreter und vier CDU-Vertreter monadang in einer Patt-Situation gegenüber, ohne sich auf einen neuen Intendanten einigen zu Können. So bleibt eine der größten öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mehr als drei Molate ohne Indendanten. Und es wird deutlich, wie fest die Parteipolitiker diesen und andere ander in ihrem Griff haben (und wie wenig 6 Medienpolitiker derselben Parteien sich mit an hier überdeutlich sichtbar werdenden Pro-Porz-Mißständen zu befassen bereit sind).

Da erhebt Professor Steinbuch den Vorwurf des „publizistischen Feudalismus". Nicht gegen Axel Springer oder einen anderen Verleger, deren Entmachtung oder gar Enteignung das Ziel vieler Medienpolitiker ist. Nein: Gegen den Chefredakteur der ZEIT.

Da geben Interessenten und Konkurrenten Empfehlungen, in bestimmten — der SPD/FDP-Bundesregierung wohlgesonnenen — Zeitschriften nicht mehr zu inserieren. Nicht nur, um die Konkurrenzverlage zu schwächen, sondern auch um selbst In den Genuß zusätzlicher Anzeigen zu kommen Aber bekanntlich hatte schon Bundeskanzler Adenauer seine Geringschätzung gegenüber jenen Werbungtreibenden öffentlich bekundet, die im SPIEGEL inserieren. Als sei die Anzeigenwerbung eines Unternehmens nicht eine absatzwirtschaftliche Maßnahme, sondern eine Belohnung für redaktionelles Wohlverhalten.

Da steigen die Papierpreise so stark an, daß sich die wirtschaftliche Situation gerade der schwächeren Verlage rapide verschlechtert und daß sich der Prozeß der Pressekonzentration weiter beschleunigen muß. Da wird das Zeitungspapier in England knapp, weil in kanadischen Papiermühlen die Arbeiter streiken — einige englische Zeitungen erscheinen nUr in vermindertem Umfang oder überhaupt nicht. Da stellt das „Papier-Scheichtum" Finnland für 1974 eine Drosselung seiner „Papierförderung" um 20 Prozent in Aussicht.

Da beschließt die Bundespost eine beträchtliche Erhöhung der Gebühren für den — in der Tat stark defizitären — Postzeitungsdienst, so daß in Zukunft für manchen Leser ein Abonnement im Postversand zu teuer werden dürfte. Da soll die Zahl der zum Postzeitungsdienst zugelassenen Zeitschriften von derzeit 7597 Titeln auf etwa 1500 reduziert werden. Und welche Verluste an Informationsfreiheit werden entstehen, wenn die Post eines Tages ihre Sonnabendzustellung aufgibt und Abonnenten ihre Sonnabendzeitung zusammen mit der Montag-zeitung erhalten?

Da erfahren die Redakteure einer Hausfrauen-und Familienzeitschrift, daß ihr Blatt an einen fremden Großverlag verkauft worden ist und daß sie nicht mehr gebraucht werden: Es sei nicht beabsichtigt, die Redaktion zu übernehmen, und keinem Redakteur werde ein Angebot gemacht. Da trifft ein Sender alle Vorbereitungen, um in einigen Bremer Stadtteilen versuchsweise das sogenannte Kabelfernsehen als viertes Programm einzuführen. Die Zeitungsverlegerverbände protestieren gegen dieses „verlegerfeindliche“ Experiment, das sich „gegen die ureigensten Interessen der Lokalpresse" richtet. Bundespostminister Ehmke verweigert im letzten Augenblick die benötigte Richtfunk-Lizenz: Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des umstrittenen Versuches solle noch einmal mit allen Beteiligten darüber diskutiert werden. Als besonders problematisch gilt das befürchtete Ausweichen der Einzelhandelswerbung in das neue Medium und ein entsprechender Anzeigenverlust für die Zeitungen. Außerdem befürchtet man die Möglichkeit, große und nicht ganz ideologiefreie Wohnungsbaugesellschaften könnten eines Tages ihre „verkabelten“ Mieter mit Informationen besonderer Couleur versorgen.

Sorgerecht des Staates zur Gewährleistung einer freien Presse?

Angesichts dieser und einer Vielzahl anderer Bedrohungen der Pressefreiheit möchte man den Medienpolitikern zurufen: „Greift nur hinein ins volle Menschenleben!" Es stellt sich die Frage, mit welchem medienpolitischen Instrumentarium eine Sicherung der Pressefreiheit möglich ist. Die vorliegenden Medienpapiere der Parteien und die Aussagen ihrer maßgeblichen Repräsentanten sind ebenso unbefriedigend wie die unflexiblen Stellungnahmen von verlegerischer Seite. Das beginnt schon bei der wichtigen Frage nach dem Sinn eines Grundrechtes schlechthin und insbesondere nach der Interpretation des Grundgesetz-Artikels 5. 1: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht Statt.“

In „konservativer" Sicht ist es die Aufgabe des Grundgesetz-Artikels 5, die Presse nur vor Eingriffen des Staates zu schützen. Zum Schutz gegen Pressionen aus anderen Richtungen seien die einfachen Gesetze ausreichend. Dieser Ansicht steht die weitergehende Auffassung gegenüber, der Artikel 5 sei primär kein subjektives Abwehrrecht gegen den Staat, sondern die „institutioneile" Gewährleistung einer freien Presse.

Sowohl die historische Entwicklung bis zu den oben skizzierten Beispielen als auch die Rea. sprechung des Bundesverfassungsgerichts spie-eben für die zweite Auffassung und für ein entsprechendes Sorgerecht des Staates. Der Staat trägt dafür Verantwortung, daß sich öffen. liehe Meinung in Freiheit bilden kann. Adolf Arndt sagte dazu: „Öffentliche Meinung erscheint als ein Rechtsgut, dem die Staatsmacht zu dienen hat. Dem Staat wird eine Verantwortung für Entstehen, Dasein und Wirken zugesprochen, und zwar in der besonderen Weise, daß der Staat für die freiheitliche Art dieses Entstehens, Daseins und Wirkens einzustehen hat." Nach dieser Auffassung ist der Staat also aufgerufen, für Bedingungen zu sorgen, unter denen Pressefreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung uneingeschränkt möglich sind. Das bedeutet zugleich, daß Medienpolitik eine legitime Aufgabe des Staates ist. „Öffentliche Aufgabe" oder „öffentliche Funktion" der Presse?

Eine zweite Kontroverse besteht über die Frage, ob sich aus dem Grundgesetz-Artikel 5 ein Rechtsanspruch der Bürger auf möglichst umfassende Information ableiten läßt. Sie äußert sich auch in den Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die Presse — wie in einigen Landespressegesetzen definiert — eine „öffen liehe Aufgabe" erfüllt oder nur eine „öffentliche Funktion" hat. Hier geht es um mehr als Worte. Wo eine Aufgabe zu erfüllen ist und wo ein einklagbarer Rechtsanspruch besteht, da konstituiert sich früher oder später eine Kontrollinstanz, die darüber wacht, daß die öffentliche Aufgabe erfüllt wird, und die im Zweifelsfall reglementierend eingreift. Momentan sind Bestrebungen erkennbar, die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe daran zn messen, ob die Interessen der Lohnabhängig® vertreten werden.

Welcher Mißbrauch mit der „öffentlichen Aufgabe der Zeitungspresse" getrieben werd® kann und wie sich dieser Begriff sogar gegen die Pressefreiheit auslegen läßt, zeigt die Erinnerung an den sogenannten „Lüders-En wurf" von 1952. Dieser im Bundesinnenminisie rium erarbeitete Gesetzentwurf — in dem Ü rigens schon Landespresseausschüsse und eil Bundespresseausschuß vorgesehen waren sollte den gesamten Bereich der periodisch e scheinenden Presse umfassend regeln. In § hieß es wörtlich: „Die Presse darf nicht das Ansehen der Bundesrepublik und ihrer demokratischen Grundordnung schädigen oder das friedliche Zusammenleben stören." Dabei blieb offen, wann eine Schädigung dieses Ansehens vorlag. Schließlich konnte ja das „Ansehen der Bundesrepublik" auch durch wahrheitsgemäße Berichte über Korruptionsaffären und Verfehlungen von Regierungsmitgliedern „geschädigt” werden 5). Im übrigen kann der Grundrechtsschutz der Pressefreiheit nicht auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben eingeschränkt werden; auch private, politisch und gesellschaftlich irrelevante oder schlechthin . wertlose“ Äußerungen genießen den Schutz dieser Bestimmung.

Die Definition einer „öffentlichen Aufgabe“ wäre ein Versuch zu medienpolitischem Perfektionismus, der nicht zu mehr, sondern nur zu weniger Pressefreiheit führen kann. Selbstverständlich können Zeitungsleser, Radiohörer und Fernsehzuschauer erwarten, daß die Journalisten — ihren Berufsgrundsätzen getreu — nach bestem Wissen und Gewissen Bericht erstatten. Aber es wäre weltfremd, von jedem Redakteur zu jeder Stunde Höchstleistungen zu erwarten. Und man muß ganz deutlich sagen, daß zum Grundrecht der Presse-und Meinungsfreiheit auch das Recht auf Irrtum — eine der wichtigsten Freiheiten überhaupt — gehört. Darum unterscheidet das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich zwischen dem Wahrheitsgehalt journalistischer Recherchen und gerichtlicher Ermittlungen, an die ein strengerer Maßstab gelegt wird. Wer jede journalistische Fehlleistung als einen Verstoß gegen die Pressefreiheit gewertet wissen will, fügt der Pressefreiheit mehr Schaden zu, als durch die unqualifizierte Berichterstattung entstanden ist.

Die „innere Pressefreiheit“

Mit der dritten Kontroverse gelangen wir ins Zentrum der medienpolitischen Diskussion: zur Frage der „inneren Pressefreiheit". Während man unter der „äußeren Pressefreiheit" die Freiheit von politischem und wirtschaftlichem Druck versteht, bezieht sich der Begriff der inneren Pressefreiheit auf das Verhältnis zwischen Verleger (bzw. Intendant) und Redakteur. Ist die Pressefreiheit die Freiheit eines Verlegers, sozusagen eine Zeitung nach seinem Ebenbild zu schaffen und auf das Blatt gestaltenden Einfluß auszuüben? Oder bedeutet Pressefreiheit die Freiheit jedes einzelnen Journalisten, zu schreiben und zu verbreiten, was er persönlich für richtig hält?

Eines der vordringlichsten Ziele der Medien-politiker ist die Kompetenzabgrenzung zwischen Verlegern und Redakteuren zwecks Schaffung eines ausgewogeneren Verhältnisses. Da dieses Vorhaben gleichbedeutend mit einer Ausweitung der Mitbestimmungsrechte von Redakteuren und einer Eingrenzung der verlegerischen Vollmachten ist, braucht man sich über den Widerstand der Verleger nicht zu wundern. Daß es in diesem Bereich zu Verschiebungen kommen wird, ist sicher. Fraglich ist nur, wo die Grenzen zu ziehen sind und wieviel die Verleger von ihrer Macht abgeben müssen.

Paul Sethe hatte 1965 den inzwischen vielzitierten Satz geschrieben: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten." Dieser Satz zählt nicht zu den Glanzleistungen dieses bedeutenden Journalisten. Eine sorgfältige Analyse der wirklich einflußreichen Meinungsverbreiter und ihrer privaten Vermögensverhältnisse liegt ihm nicht zugrunde. Er suggeriert, die privatwirtschaftliche Struktur der Presse sei das eigentliche Übel. Er ignoriert völlig die handfeste Machtausübung der Funk-und Fernsehgewaltigen, die ihren Einfluß keineswegs eigenem Reichtum, sondern dem Vertrauen der sie entsendenden Parteien verdanken. Wären die Dinge so einfach, wie sie durch die antikapitalistische Brille aussehen, dann dürfte es im Fernsehen überhaupt keine Pressefreiheitsprobleme geben.

Die Entwicklung verläuft jedoch in umgekehrter Richtung und läßt gerade in den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten Veränderungen erkennen, die bis ins Mark der Redakteure gehen und für die die politischen Parteien die Verantwortung tragen: Entlassung unbequemer Mitarbeiter und Boykottierung kritischer Autoren; Verunsicherung von Redakteuren, die deshalb „gefährliche" Themen meiden und im Zweifelsfall ihre Formulierungen abschwächen; Ausweichen ins Unverbindliche, Unprofilierte und Apolitische; Resignation, Ratlosigkeit und Existenzangst.

„Aber es ist weniger eine Frage konkreter Fälle als die einer Stimmung, einer indirekten, schwer nachweisbaren, anonymen Zensurierung. Sendungen werden gestoppt, neu be7 arbeitet, politisch relativiert, beschnitten, verschoben, ins Archiv gesteckt; Redakteure und Mitarbeiter werden kaltgestellt, versetzt, in Diskussionen . überzeugt'..

Diese Hinweise sollen natürlich nicht von dem großen Ärgernis ablenken, das sich in der Figur von Verlagskonzernherren personalisiert und das die gesamte freie Unternehmer-wirtschaft belastet. Die Zuteilung von zweieinhalb Zeitungslizenzen an Axel Springer war nach dem Krieg gleichbedeutend mit dem Privileg zur Ausbeutung einer riesigen Goldgrube. Er hat es verstanden, diese phantastischen Startvorteile durch besondere Tat-kraft voll auszunutzen. Man kann jedoch beim besten Willen nicht behaupten, dieses Privileg — und das gilt auch für die anderen damaligen Lizenznehmer und heutigen Zeitungsverleger — sei für alle Ewigkeit festgeschrieben. Zumindest gibt das Zustandekommen des Eigentums von Zeitungsverlegern ihnen keine Legitimation, den Status quo als unveränderlich zu verteidigen und medienpolitische Reformen grundsätzlich abzulehnen. Ebensowenig läßt sich aus diesem Privileg ein Anspruch darauf ableiten, die Lizenzen für etwaige private Fernsehsender zugeteilt zu erhalten. Ob allerdings die unter dem Motto „innere Pressefreiheit“ anvisierten Veränderungen sinnvoll sind — und zwar im Sinne einer Mehrung und zumindest nicht einer Verkürzung der Pressefreiheit —, ist eine andere Frage.

Die Affäre „Blinkfüer"

Es ist ausgerechnet der Springer-Verlag gewesen, der vom Bundesverfassungsgericht wegen eines schweren Verstoßes gegen die Pressefreiheit verurteilt worden ist. Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 hatte der Springer-Verlag mit einem Rundschreiben die Zeitungs-und Zeitschriftenhändler aufgefordert, „in dieser Bewährungsprobe unseres Volkes" keine Blätter mehr zu vertreiben, die DDR-Fernsehprogramme abdrucken und so „der Ulbricht-Propaganda Vorschub leisten". Damit war die indirekte Drohung verbunden, die Geschäftsbeziehungen mit jenen Händlern abzubrechen, die weiterhin Zeitungen mit DDR-Programmen — wie z. B. die Zeitung „Blinkfüer" — verkauften. Die von „Blinkfüer" erhobene Schadenersatzklage wurde vom Oberlandesgericht Hamburg bestätigt, vom Bundesgerichtshof jedoch aufgehoben. Der daraufhin eingelegten Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht stattgegeben In dem bemerkenswerten Urteil heißt es, der Bundesgerichtshof habe die Bedeutung der Pressefreiheit verkannt: „Eine auf politischen Motiven beruhende Aufforderung zum Boykott eines Presseunternehmens, der vornehmlich mit wirtschaftlichen Machtmitteln durchgesetzt werden soll, ist nicht durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung geschützt und verstößt gegen das Grundrecht der Pressefreiheit."

Stärkung der Pressefreiheit durch Mitbestimmung?

Die meisten medienpolitischen Diskussionen gehen von zwei unbewiesenen Behauptungen aus. Erstens sei eine Vermehrung der journalistischen Mitbestimmungsrechte identisch mit einer Stärkung der Pressefreiheit. Zweitens bedeute jeder Zusammenschluß von Presseunternehmen automatisch eine Minderung von Pressefreiheit.

So wird oft der Eindruck erweckt, die Pressefreiheit sei um so besser gesichert, je unabhängiger die Journalisten von den Verlegern sind und je mächtiger ein von den Redakteuren zu wählender Redaktionsrat ist. Ein nicht geringer Teil medienpolitischer Aktivitäten basiert auf dieser unbewiesenen und nicht einmal logischen Prämisse. Dazu braucht man nur die Gewerkschaftszeitung „druck und papier" vom 9. 7. 1973 zur Kenntnis zu nehmen: Die Journalisten wären „gut beraten ..., wenn sie im ringen um publizistische mitbestimmung vom sockel des Sachwalters der Pressefreiheit herabsteigen würden. Mit recht bestreiten wir dem Verleger den anspruch, treuhänder der Pressefreiheit zu sein und damit die gegenwärtige herrschaftsordnung der verlagshäuser auf ewig zu zementieren. Journalisten sollten ihrerseits nicht in denselben fehler verfallen. Publizistische mitbestimmung ist kein instrument sogenannter innerer Pressefreiheit und kann und soll von dort nicht ihre rechtferti gung ableiten. Was verbirgt sich im übrigen hinter jenen Schablonen der meinungsvielfal und informationsbreite? Werden dadurch die grenzen der derzeitigen bürgerlichen Öffentlichkeit überschritten? Nein, wir sollten deutlicher argumentieren: es geht um mitbestin mung, also um durchsetzung von arbeitnehmerinteressen." Dieser Beitrag zeigt mit aller Deutlichkeit, in welchem Maße es bei der Medienpolitik um Machtfragen geht und daß es neben den Ver legem und Journalisten noch um die Gewerkschäften als den dritten Partner geht, der Macht fordert.

Das unter der Führung der IG Druck und Papier im September 1972 entworfene Medienpapier läßt keinen Zweifel daran, was die Gewerk-

schaften mit der redaktionellen Mitbestimmung letztlich beabsichtigen: „Machtkontrolle durch die abhängig Beschäftigten und Ausrichtung der Medienpolitik an gesellschaftspoliti-schen, von den Gewerkschaften zu entwickelnden Zielen." Hier ist nicht mehr die Rede davon, daß die redaktionelle Mitbestimmung dem Leser dient und daß das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit im Vordergrund steht. Hier erscheint Medienpolitik nur noch als ein Instrument, um die Gruppeninteressen der in den Presseunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer durchzusetzen. Das Mittel, durch das dem Druckereipersonal Einfluß auf personelle, wirtschaftliche und letztlich auch publizistische Entscheidungen verschafft werden soll, heißt „Abschaffung des Tendenz-Schutzes".

Der sogenannte Tendenzschutzparagraph 118 des Betriebsverfassungsgesetzes beschränkt die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats und der gewerkschaftlichen Vertreter in Presseunternehmen. Aus gutem Grund: Denn wenn das Druckereipersonal über den Betriebsrat Einfluß auf die Berufung von Redakteuren ausüben könnte, dann hätte es damit die Möglichkeit, Redakteure mit mißliebigen Meinungen abzuwehren oder sich umgekehrt für solche zu entscheiden, die mit dem Betriebsrat meinungskonform gehen. Der Tendenzschutzparagraph soll diese Beeinträchtigung der Pressefreiheit ausschließen. Es verdient angemerkt zu werden, daß der im Bundesarbeitsministerium erstellte erste Gesetz-entwurf zur Mitbestimmung eine Abschaffung des Tendenzschutzes vorsah.

Einschränkung der Pressefreiheit durch Pressekonzentration?

Die zweite Behauptung, die Pressekonzentration bedeute eine Einschränkung der Pressefreiheit, ist ebensowenig stichhaltig. Zwischen diesen beiden Erscheinungen besteht keinerlei Ursache-Wirkungs-Verhältnis, und die Quantität der „publizistischen Einheiten" ist. ein untauglicher Maßstab für die Qualität der hessefreiheit. Selbst die Auflagenhöhe einer eitung hat nur wenig mit ihrem Einfluß auf e öffentliche Meinungsbildung zu tun. Es ist allerdings auch nicht einleuchtend, daß — wie von verlegerischer Seite behauptet wird — Zeitungen mit einem Lokalmonopol „meinungsvielfältiger“ sind und ein breiteres Informationsangebot bringen. Die Erfahrung spricht dagegen. Man kann sich zwar durchaus vorstellen, daß solche Zeitungen die verschiedensten Bevölkerungsgruppen ihres Einzugsgebietes ansprechen wollen und eine größere Bandbreite aufweisen. Aber was hindert sie daran, einen „Journalismus mit Schlagseite“ zu praktizieren? Die publizistische Qualität einer Zeitung ist und bleibt von der Qualität ihrer Redakteure abhängig, und ihr Spektrum wird um so pluralistischer sein, je mehr Mitarbeiter unterschiedlicher Meinung sie zu Wort kommen läßt.

Eine große Zahl publizistischer Einheiten ist an sich noch keine Garantie für größtmögliche Pressefreiheit. Der bedenklichste Aspekt bei den Konzentrationsprozessen im Pressewesen ist vielmehr die Tatsache, daß sie die Mobilität und die beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten der Journalisten einengen, indem die Zahl der journalistischen Arbeitsplätze schrumpft. Wer sich darüber im klaren sein muß, daß er im Falle einer Kündigung nicht mehr mit einem gleichwertigen Arbeitsplatz rechnen kann, ist in Gefahr, ein Stück Freiheit einzubüßen.

Lokale Informationsmonopole In Ein-Zeitungs-Kreisen Das drängendste Problem in der Zeitungslandschaft ist die örtliche Berichterstattung in den sogenannten Ein-Zeitungs-Kreisen. Zwar werden fehlende oder mangelhafte Informationen aus der großen Politik durch Fernsehen und Rundfunk ausgeglichen. Ein echtes Informations-und Meinungsmonopol aber gibt es bei lokalen Ereignissen, die für die überregionalen Massenmedien ohne Informationswert sind. Gespräche, Versammlungen, Bürgerinitiativen, Vereinszeitungen, Schaukästen oder Flugblätter von Parteien können kein Gegengewicht bilden und etwaige Informationsdefizite nicht kompensieren.

Einer Untersuchung von Professor Noelle-Neumann zufolge ergab die Analyse einer repräsentativen Zahl westdeutscher Lokalzeitungen, daß sich die Blätter mit einer Monopol-Stellung in der lokalen Berichterstattung mit den örtlichen Politikern, Amtspersonen, Gremien und Behörden in Kommentaren weniger beschäftigen und tendenziell eher schonend mit ihnen umgehen als die Zeitungen ohne Monopolstellung. Und Theodor Eschenburg hat beobachtet: „Es gibt eine beachtliche Reihe von Gemeinden, in denen die örtliche Presse auf eine unabhängige Kritik an der Gemeindeverwaltung und an der Kommunalpolitik verzichtet, weil die Spitze der Kommunalverwaltung sie nicht duldet, weil sie ein verfassungswidriges Zensurrecht für sich in Anspruch nimmt, ja schlechthin als Zensor fungiert." In diesem Zusammenhang erinnert man sich mit Unbehagen daran, daß es 1933 die „Heimatpresse" war, die sich am schnellsten und willfährigsten von den Nationalsozialisten gleichschalten ließ

Erschwerend kommt hinzu, daß die Lokal-zeitungen wegen ihrer niedrigen Auflage und ihres unterdurchschnittlichen Anzeigenaufkommens auf relativ schwachen Füßen stehen und wirtschaftlichem Druck gegenüber weniger standfest sind. So rühmte z. B. eine Lokalzeitung nach einem Anzeigenboykott des Einzelhandels wochenlang den vorteilhaften Einkauf in der eigenen Stadt, wobei sie vorher behauptet hatte, in den Städten der näheren Umgebung könne man billiger einkaufen

Die angesprochene Problematik der Regional-presse wird in den vorliegenden Medienpapieren nur unzureichend berücksichtigt. Man ist in zu einseitiger Weise auf die Bekämpfung von „Meinungsmonopolen" fixiert und weiß nur, was man nicht will. Viel wichtiger wäre es jedoch, vorhandene Strukturschwächen zu beseitigen und Entwicklungen zu größerer Meinungsvielfalt innerhalb einer Zeitung zu fördern. Die Begrenzung von Marktanteilen kann kaum als taugliches Mittel zur Wiederbelebung der Pressevielfalt angesehen werden. Auf Bundesebene würde sie sich gezielt gegen Großverlage richten, die jedoch wahrscheinlich flexibel genug sind, um Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. In Ein-Zeitungs-Kreisen jedoch, in denen die finanzielle Basis für zwei Zeitungen zu schmal ist, könnte eine Marktanteilsbegrenzung eine weitere Schwächung der ohnehin mit Schwierigkeiten kämpfenden Kleinverlage bedeuten. Wo es Ausweichmöglichkeiten auf eine Zeitung gibt, die sich bisher im freien Wettbewerb nicht durchsetzen konnte, da wird eine solche Konkurrenzzeitung nicht plötzlich nur darum mit größerer Begeisterung gelesen, nur weil das erfolgreich-begehrtere Blatt zwangsweise zur Mangelware geworden ist. Vertriebserleichte. rungen für Zeitungen aus anderen Einzugs-gebieten könnten zwar das bundes-oder landespolitische Meinungsspektrum vielfältiger gestalten; der Informations-und Meinungswettbewerb im Lokalbereich wird davon nicht profitieren. Es bleibt festzustellen, daß die Experten aller Parteien bisher die Antwort auf diese wirklich wichtige — und nicht künstlich hochgespielte — medienpolitische Frage schuldig geblieben sind.

Auf einem ganz anderen Blatt steht natürlich die verfassungsrechtliche Seite von Marktanteilsbegrenzungen für Presseerzeugnisse. Eine solche Festlegung kommt einer Rationierung und Zuteilung von Informationen gleich. Wollte jemand eine Zeitung abonnieren und würde sein „Antrag" mit der Begründung abgelehnt, der zulässige Marktanteil sei bereits ausgeschöpft und dürfe nicht überschritten werden, dann wäre die Verfassung verletzt. Schließlich garantiert der Grundgesetz-Artikel 5. 1 jedem das Recht, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten." Wer besitzt?

Abstrahiert man die medienpolitischen Ziele der Parteien, Gewerkschaften und Interessenverbände, so kristallisieren sich drei Kernfragen heraus: Wer besitzt? Wer entscheidet? Wer kontrolliert?

Die außerparlamentarische Opposition hatte sich 1967 unter der Parole „Enteignet Springer!" formiert. Im selben Jahr verabschiedete der Sozialistische Deutsche Studentenbund SDS eine Resolution, in der „Befreiung der Presse vom Meinungsmonopol und vom Diktat des Profitinteresses durch ihre Entflechtung und Überführung in öffentliches Eigentum und demokratische Kontrolle" gefordert wurde. Auch innerhalb der SPD sprechen einflußreiche Stimmen davon, Demokratie und privat-kapitalistischer Besitz an den Produktionsmitteln seien unvereinbar und „die Presse konzerne" müßten vergesellschaftet werden Diesen Forderungen — soweit sie nicht nur als klassenkämpferische Scheinargumente dienen — liegen fehlerhafte Analysen zugrunde: denn die publizistische Macht eines Presseorgans beruht überhaupt nicht auf dem Besitz von Rotationsmaschinen, sondern auf der Arbeit eines profilierten Journalistenteams, einem funktionierenden Vertriebssystem und einem Stamm guter Anzeigenkunden. Das aber sind Faktoren, die nichts mit den Marx'schen „Produktionsmitteln" zu tun haben, sondern mit kaum zu materialisierenden geistig-organisatorischen Leistungen.

Den geforderten Enteignungen steht der Grundgesetz-Artikel 14 über die Gewährleistung des Eigentums im Wege. Die offiziellen Stellungnahmen aller drei Parteien gehen davon aus, daß die Presse privatrechtlich und das Rundfunkwesen öffentlich-rechtlich organisiert bleibt, wobei CDU und CSU jedoch — im Unterschied zu SPD und FDP — auch an die Errichtung privater Sender denken, die sich aus Werbeeinnahmen finanzieren sollen. Dabei wird u. a. argumentiert, die öffentlich-rechtliehe Struktur des Rundfunkwesens widerspreche dem marktwirtschaftlichen Wettbewerbsprinzip. Von der Knappheit der Sendefrequenzen und den sich durch eine Lizenzierung ergebenden neuen nichtmarktwirtschaftlichen Wettbewerbsverzerrungen einmal abgesehen, wäre durch Privatsender eine tiefgreifende Veränderung der Kommunikationslandschaft zu erwarten. Kommerzielle Programme wären kaum etwas anderes als verfilmte BILD-Zeitungen mit einem riesigen Anzeigenteil. Schließlich sind die Interessenten für Privatsender keine Mäzene, die kostenlose Kunstgenüsse bieten oder politische Bildungslücken schließen wollen. Es sind Kaufleute, die die von den Werbungtreibenden vorgelegten Gelder wieder einspielen wollen, indem sie die Zuschauer in großer Zahl herbeilocken und sie in fleißige Käufer der dargebotenen Seifenpulver-, Tüten-suppen-und Hundefuttermarken verwandeln. . Die Erfahrung lehrt, daß selbst gut gemachte Informationssendungen dem Konkurrenzdruck simpler Unterhaltungsware erliegen . . . Will man die Informationsfunktion des Fernsehens relativieren und außer Kraft setzen, dann gibt es kein besseres Mittel als die Einrichtung von zusätzlichen kommerziellen Fernsehprogrammen unter dem Vorwand, die publizistische Vielfalt auch auf diesem Gebiet herzustellen.“ So kann zum Beispiel das ZDF auf sei-nen „Erfolg" stolz sein, mit Sendungen wie „Der goldene Schuß" und „Vergißmeinnicht“ systematisch die meisten Zuschauer von den zur gleichen Zeit im ARD-Programm gezeigten großen, oft zeitkritischen Fernsehspielen abgezogen zu haben.

Zusamenfassend läßt sich sagen, daß die Teilung des Medienmarktes in eine privatwirtschaftliche Presse und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten zu einem halbwegs ausbalancierten Verhältnis geführt hat, das durch Privatsender aus dem Gleichgewicht gebracht werden würde.

Wer entscheidet?

Wenn die Frage nach den Besitzverhältnissen der Zeitungsverlage von den maßgeblichen Medienpolitikern kaum unterschiedlich beantwortet wird, so sind die Meinungsverschiedenheiten über die aus diesem Besitz abzuleitenden publizistischen Kompetenzen — Grundsatzkompetenz, Richtlinienkompetenz und Detailkompetenz — sowie um die personal-politischen Entscheidungsbefugnisse heftig umstritten. Hier geht es um eine Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Verleger, Chefredakteur und Redakteuren, wobei die Gewichte mehr vom Verleger zur Redaktion verschoben werden sollen.

Die Grundsatzkompetenz bedeutet das Recht, die publizistische Grundhaltung einer Zeitung sowie die Aufmachung des Blattes zu bestimmen. Die SPD-und FDP-Medienpapiere sowie der Entwurf der CDU/CSU-Medienkommission sind sich darin einig, dem Verleger die Festlegung dieses grundsätzlichen publizistischen Charakters zu überlassen. Eine Änderung der einmal festgeschriebenen Grundhaltung — z. B. die Umwandlung einer politisch geprägten Zeitung in ein Boulevardblatt oder einer Illustrierten in eine Sexpostille — soll nicht ohne Mitwirkung der Redaktion möglich sein. Eine solche Festschreibung würde jedoch gleichzeitig bedeuten, daß z. B.der Verleger der WELT nicht von sich aus die Möglichkeit hätte, seine Zeitung in ein liberales Blatt umzuwandeln, falls er eines Tages zu geänderten Überzeugungen kommen sollte. Bedenkt man, daß Meinungsänderung zu den demokratischen Tugenden gehört, kann die Notwendigkeit zu derart starrer Fixierung nur schwer einleuchten.

Die Richtlinienkompetenz bezieht sich darauf, welche Position das Blatt bei neu auftretenden Fragen von grundsätzlicher Bedeutung — z. B. § 218 oder die Beurteilung der arabischen Ölboykott-Politik — beziehen soll. Die SPD will dem Verleger in solchen Fällen kein Entscheidungsrecht zubilligen. Nach FDP-Vorstellungen soll der Chefredakteur „im Benehmen mit dem Verleger und nach Anhörung der Redaktionsvertretung und der zuständigen Ressortleiter" entscheiden. Der CDU/CSU-Entwurf überläßt die Richtlinienkompetenz dem Verleger „nach eingehender Aussprache mit dem Chefredakteur und den sachlich betroffenen Redaktionsmitgliedern".

Unter Detailkompetenz ist das Recht auf die Gestaltung des redaktionellen Teils gemeint. Prinzipiell besteht Einigkeit zwischen den Parteien und den Zeitungsverlegern, daß es sich hier um den Entscheidungsbereich der Redaktion handelt. Das FDP-Papier trägt jedoch außerdem noch der wichtigen Tatsache Rechnung, daß bestimmte redaktionelle Veröffentlichungen von einem schwerwiegenden wirtschaftlichen Risiko belastet sein können. Da dieses Risiko allein vom Verleger getragen werden muß, soll in solchen Fällen zwischen Redaktion und Verleger Einvernehmen hergestellt werden, (wobei jedoch auch die „öffentliche Aufgabe der Presse" zu berücksichtigen ist).

Die Kontroverse über die Entscheidungsbefugnisse spitzt sich — vom Problem der Richtlinienkompetenz abgesehen — auf die Frage zu, wie der Chefredakteur zu berufen oder abzuberufen ist. Der medienpolitische Abwehr-kampf der Verleger konzentriert sich besonders darauf, sich das Recht auf volle Entscheidungsfreiheit nicht streitig machen oder beschneiden zu lassen. Während die SPD dem Redaktionsrat bei der Ernennung ein Vorschlagsrecht und bei der Abberufung ein Vetorecht zubilligt, soll nach dem FDP-Papier die Redaktionsvertretung die Berufung eines Chefredakteurs mit Zweidrittelmehrheit verhindern können und bei der Abberufung ein Anhörungsrecht haben. CDU und CSU beschränken das Mitwirkungsrecht der Redaktion oder ihrer gewählten Vertreter auf ein Anhörungsrecht bei der Einstellung und bei der Abberufung.

Wer kontrolliert?

Schwerwiegende Verstöße gegen die journalistischen Berufsgrundsätze werden im Deutschen Presserat — einem Organ zur freiwilligen Selbstkontrolle — zur Sprache gebracht und notfalls gerügt. Die FDP denkt an einen Ausbau dieses Presserates, „um in besonders schweren Fällen unausgewogener Berichterstattung . . . einen Darstellungsanspruch in angemessener Frist durchzusetzen".

Die SPD hatte in ihrem Medienpapier vom November 1971 die Einrichtung von „Landespresseausschüssen" zwecks „Mißbraudisaufsicht'vorgesehen. In ihnen sollten die „gesellschaft. lieh relevanten Gruppen angemessen repräsentiertwerden". Nach ziemlich einhelliger Ablehnung dieses Vorschlages durch die Öffentlichkeit, die hier die Absicht einer Nadizensur vermutete, scheint die Idee einer Kontrolle durch Landespresseausschüsse nicht mehr aktuell zu sein. Auch Plänen zur Schaffung von Leser-Beiräten oder eines Leserforums werden keine Chancen eingeräumt.

Ein anderer Versuch (im sogenannten „Strelitz-Entwurf" der Hessischen SPD-Landtags-fraktion) galt der Einrichtung eines Schlichtungsausschusses, der bei Konflikten zwischen Verleger, Chefredakteur und Redakteuren eine Einigung herbeiführen sollte. Bei „Eilbedürftigkeit" — und welche Redaktion steht nicht unter Zeitdruck? — sollte der Chefredakteur zwar Entscheidungsbefugnis behalten, jedoch nur vorläufig und auf Widerruf: Da er sich am nächsten Tag vor dem Schlichtungsausschuß rechtfertigen muß (und da er nur mit Zustimmung des Redaktionsrates eingestellt oder entlassen werden kann), würde er in ein Abhängigkeitsverhältnis geraten; das könnte dazu führen, daß er im Zweifelsfall — um dem Konflikt auszuweichen — auf bestimmte Veröffentlichungen verzichtet oder pointierte Formulierungen abschwächt. Das aber wäre im Endeffekt eine Verminderung der Pressefreiheit. Dieser Strelitz-Entwurf wurde von der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag zwecks Novellierung des Landespressegesetzes eingebracht, vom FDP-Koalitionspartner jedoch nicht unterstützt, sondern heftig kritisiert. Ein großer Teil der medienpolitischen Diskussion kreist um die in Redaktionsstatuten festzulegenden Mitbestimmungsrechte der Redakteure. Sollen solche Redaktionsstatute zur Regelung der „inneren Pressefreiheit" gesetzlich vorgeschrieben werden oder sollen freiwillige Vereinbarungen genügen? In jedem Fall besteht die Absicht, den Einfluß der Redakteure auszuweiten, so daß sie eine Kontrollfunktion oder womöglich eine Schlüsselposition gewinnen.

Es ist jedoch weder logisch noch in demokratischer Hinsicht optimal, wenn das der Redaktion einzuräumende Mitbestimmungsrecht Grundsätzlich nur von einem Redaktionsrat ausgeübt werden soll. Wenn schon die Redaktion bei der nur selten erfolgenden Berufung oder Abberufung eines Chefredakteurs mitwir-

ken soll, dann gibt es keinen vernünftigen Grund, ihn nicht von der ganzen Redaktionsversammlung wählen zu lassen. Die Zahl der Redakteure ist nie so groß, daß es notwendig erscheint, ihr Stimmrecht auf einige wenige Delegierte zu übertragen. Das vorgesehene Rätesystem — wie man auch immer die Redaktionsvertretung nennen mag — kann dazu führen, daß sich der Einfluß einer heterogenen Redaktion in das Machtinstrument einer homogenen Funktionärsgruppe verwandelt. Die von dem früheren Intendanten von Radio Bremen, Bölling, in einem Gespräch mit der ZEIT geäußerten Worte sollten zu denken geben: „Manche von denen, die nach mehr Mitbestimmung in den Sendern rufen, so ist mein Argwohn, wollen nur einen Machtwechsel und nicht eine innere Erneuerung." Sie gelten in gleichem Maße auch für die Mitbestimmung bei Verlagen. Dabei ist die Gefahr unübersehbar, daß sich innerhalb der Redaktion Fraktionen bilden und daß bei der Einstellung von Bewerbern nicht nur ihre berufliche'Eignung, sondern ihre Gesinnung und ihre Zuordnung zu der einen oder anderen Fraktion eine Rolle spielen wird. Bei der zu befürchtenden Polarisierung und der Versuche zur Mehrheitsgewinnung werden vor allem die liberalen, ideologisch nicht festgelegten und darum auch keiner Fraktion hundertprozentig zurechenbaren Journalisten sowie die Meinungen redaktioneller Minderheiten auf der Strecke bleiben.

Schlußbemerkungen Vieles in den medienpolitischen Konzepten erscheint stark theoretisch-perfektionistisch. Wie schwer es ist, Theorie und Praxis in Übereinstimmung zu bringen, zeigt das Verhalten der SPD gegenüber ihren eigenen Zeitungen. Während sie auf Parteitagen weitreichende Beschlüsse faßt, an deren Verwirklichung in den parteieigenen Zeitungen — solange neue gesetzliche Regelungen noch auf sich warten lassen — sie niemand hindern würde, behandelt sie die in ihrem Solde stehenden Redakteure in einer Weise, die nach den Worten des Berliner DGB „an übelste kapitalistische Unternehmerpraktiken" erinnert. Und zwar nicht nur in einem Einzelfall, sondern in einer Serie von Fällen. Das erste in einer SPD-Zeitung gültige Redaktionsstatut (bei der „Neuen Hannoverschen Presse") wurde sofort außer Kraft gesetzt, als es kritisch wurde. Bei demselben Blatt fungierte in krassem Gegensatz zu den medienpolitischen Grundsätzen der Partei der Verlagsleiter als Chefredakteur. „Telegraf" -Redakteure wurden unter Mißachtung des Betriebsverfassungsgesetzes, ohne Mitteilung an den Betriebsrat und ohne Sozialplan entlassen, wobei sie aus dem Radio oder dem dpa-Fernschreiber erfuhren, daß ihre Zeitung kurzfristig eingestellt werden sollte.

Bestimmte wichtige Aspekte der Medienpolitik — besser: Kommunikationspolitik — sind bisher noch kaum ins Blickfeld gerückt. Der schnelle, sich immer weiter beschleunigende Austausch’ von Informationen beschwört die Gefahr herauf, daß viele Menschen in kritischen Situationen falsch reagieren und dadurch eine — bei besonnenem Handeln vermeidbare — Katastrophe verursachen. Meldungen über vereinzelte Pocken-oder Cholerafälle können wegen ihrer psychologischen (und auch wirtschaftlichen) Auswirkungen sehr viel gefährlicher als die Krankheiten selbst sein. Als kürzlich ein gefährlich infizierter Patient in die Lüneburger Heide transportiert werden sollte, beeinträchtigte diese Meldung sofort den Fremdenverkehr. Man erinnere sich daran, daß Orson Welles 1938 in den USA unbeabsichtigt eine Massenpanik durch ein mißverstandenes Hörspiel „Invasion vom Mars" erzeugt hat. Massenhaftes Fehlverhalten als Folge von Massenkommunikation gehört für eine auf engem Raum zusammenlebende Industriegesellschaft zu den größten Bedrohungen überhaupt. Man braucht sich nur vorzustellen, daß aufgrund von bestimmten Informationen ein großer Teil der Bevölkerung gleichzeitig telefonieren, Eisenbahn oder Auto fahren oder seine Spargelder abheben will: Solche schlagartigen Überlastungen kompliziert ausbalancierter Systeme führen unweigerlich zu Zusammenbrüchen, die ihrerseits wiederum gesteigerte hysterische Reaktionen auslösen.

Man möchte hoffen, daß den Medienpolitikern mehr als die Formalisierung der inneren Pressefreiheit einfällt und daß sie vor allem auch die vielen aktuellen Bedrohungen der Pressefreiheit — von denen einige oben genannt worden sind — in ihr Kaikühl einbeziehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Christoph Martin Wieland, Uber die Rechte und Pflichten der Schriftsteller, in: Von deutscher Republik (Sammlung insel 41/2).

  2. SPIEGEL 22/1973, S. 151.

  3. ZEIT vom 8. 9. 1972.

  4. Löffler /Arndt /Noelle-Neumann /Haacke, öffentliche Meinung, München 1962.

  5. Dieter Czajka, Pressefreiheit und „öffentliche auigabe" der Presse, Stuttgart 1968.

  6. ZEIT vom 13. 3. 1971.

  7. Noelle-Neumann, Empirische Prüfung von Thesen der Pressekommission, Zeitungs-Verlag und Zeitschriften-Verlag (ZV + ZV), 65. Jahrgang 1968, Heft 38/39.

  8. Theodor Eschenburg, Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik, München 1964.

  9. Joseph Wulf, Presse und Funk im Dritten Reich, rororo-Band 815/817, S. 171.

  10. Zit. bei Hermann Meyn, Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1968.

  11. Harry Ristock in „konkret“ vom 21. 10. 1971.

  12. ZEIT vom 6. 3. 1970.

Weitere Inhalte

Ulrich Eicke, Dr. phil., geb. 1927 in Kiel; Studium der Literaturwissenschaft, Psychologie und Philosophie (1946 bis 1950); mehrjährige Tätigkeit in der Industrie-(Werbung, Public Relations), seit 1962 freier Werbeberater BDW und Publizist. Veröffentlichungen über kommunikationswissenschaftliche Themen, über gesellschaftspolitische Aspekte der Werbung und über Medienpolitik („liberal" 10/1973, „SPIEGEL" 45/1973); zur Zeit Arbeit an einem Buchmanuskript über Werbung und Politik.