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Geschichte in Wissenschaft und Unterricht heute Gedanken zu einer nach-historistischen Konzeption der Geschichtswissenschaft und zur sozialen Funktion des Geschichtsunterrichts | APuZ 41/1974 | bpb.de

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APuZ 41/1974 Artikel 1 Zwischen Marx und Stalin Kritische Anmerkungen zur marxistischen Periodisierung der Weltgeschichte Geschichte in Wissenschaft und Unterricht heute Gedanken zu einer nach-historistischen Konzeption der Geschichtswissenschaft und zur sozialen Funktion des Geschichtsunterrichts Bemerkungen zum Geschichtsunterricht im Übergang: Gesellschaftslehre als Alternative? Die Krise des Geschichtsunterrichts und ihre Vermarktung

Geschichte in Wissenschaft und Unterricht heute Gedanken zu einer nach-historistischen Konzeption der Geschichtswissenschaft und zur sozialen Funktion des Geschichtsunterrichts

Heide Barmeyer

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die vielzitierte Krise der Geschichtswissenschaft zeigt sich nicht nur in der Problematisierung des Unterrichtsfaches Geschichte an den Schulen — was zumindest seit den heftig umstrittenen Hessischen Rahmenrichtlinien allgemein bekannt ist —, sondern darüber hinaus in einer prinzipiellen Infragestellung der Geschichte als Wissenschaft. Die Ursachen der Krise liegen primär in der einseitigen Prägung der Geschichtswissenschaft durch den Historismus und der daraus resultierenden Verengung ihres Gegenstandsbereiches samt den methodischen Konsequenzen. Herausgefordert durch den sozio-ökonomischen Wandel seit der Industriellen Revolution, durch die Sozialwissenschaften, die moderne Wissenschaftstheorie und den Marxismus kann ein konservatives Bemühen, das unaufgebbare Positionen des Historismus unter gewandelten Umständen retten will, nur Erfolg haben, sofern es gelingt, eine die vierfache Infragestellung beantwortende nach-historistische Konzeption zu entwickeln. Folgendes Programm zeichnet sich dabei ab: Der Forschungsbereich der Geschichtswissenschaft muß vom überwiegend geistig-sittlich geprägten Individualitätsbegriff auf die temporalen und sozialen Tiefenstrukturen menschlichen Handelns ausgeweitet werden. Eine solche Neubestimmung des Gegenstandes der Geschichtswissenschaft nimmt die oben genannten vier Herausforderungen auf. Verglichen mit dem klassischen Historismus beinhaltet sie eine Neudefinition des vorausgesetzten Individualitätsbegriffes, eine Revision des jeder Einzelforschung voraufgehenden und zugrunde liegenden Menschenbildes und ein überdenken der Kategorie forschenden Verstehens. Die sozialen Funktionen einer so erneuerten Geschichtswissenschaft werden sich in einem wissenschaftsorientierten Geschichtsunterricht auf allen Schularten und -stufen, zeigen. Gerade angesichts der heutigen Überlegungen zur Schul-und Unterrichtsreform, die einhellig auf eine Lernzielorientierung hinauslaufen, muß dem Fach Geschichte eine besonders wichtige, durch nichts zu ersetzende Aufgabe zufallen. Emanzipation, welche mit der Befähigung zu Selbst-und Mitbestimmung gleichzusetzen ist, kann nur dann innerhalb unserer freiheitlich-demokratisch konzipierten politischen Ordnung der modernen Leistungsgesellschaft erreicht werden, wenn sie sich auf kritische, historisch fundierte Aufklärung stützt. Nur die zweckfreie Beschäftigung mit der Vergangenheit als solcher lehrt mit der Einsicht in die Zeitlichkeit und Relativität aller Erscheinungen alternatives und gleichzeitig realistisches, nüchternes und sachgerechtes Denken, das den Raum des realistischerweise Möglichen aufzeigt und die Zukunft dem Wandel offenhält, gleichzeitig aber gegen proportionslose Totalkritik und dogmatisches Festschreiben von Utopien immunisiert. Mit der Kenntnis des Fremden, Andersartigen, wächst die Bereitschaft zu Toleranz, das Aufzeigen von Alternativmodellen setzt schöpferische Kräfte der Phantasie frei und fördert das intellektuelle Spiel. Beides ist wesentlich, um in einer sich auf Sachzwänge berufenden Leistungsgesellschaft durch deren Relativierung den Freiheitsraum des einzelnen zu verteidigen. Unsere demokratische Lebensform kann nur bewahrt werden, wenn die Wurzeln zur Vergangenheit nicht abgeschnitten werden, und das heißt konkret, wenn der Geschichtsunterricht im Sinne einer nach-historistischen. Geschichtswissenschaft an den Schulen seinen Platz behält.

I. Geschichte als Problem

Die sogenannte Krise der Geschichtswissenschait ist in aller Munde und Gegenstand einer lebhaften Diskussion. Zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht einmal im Grundsätzlichen Konsensus erreicht ist, ist es zweifellos ein Wagnis, sich in die Suche nach dem verlorenen Selbstverständnis der Geschichtswissenschait einzuschalten. Wenn ich mich trotz vieler Skrupel dennoch darauf einlasse, so mit der Bitte, meine Ausführungen als Diskussionsbeitrag anzusehen, der trotz der Bedenken gegen ein solches Unterfangen durch die prinzipielle Frag-Würdigkeit, die Bedeutung des Themas und die Aktualität der angeschnittenen Fragen legitimiert wird

Denn: Weniger denn je kann heute die Geschichtswissenschaft von einer selbstverständlichen, allgemeinen Anerkennung ausgehen. Sie muß sich nicht nur, wie andere Wissenschaften auch, neuen Fragen zuwenden und ungewohnten Ansprüchen begegnen. Wenn das so wäre, dann wäre die Situation recht harmlos; dann handelte es sich im Grunde nur um eine Neuauflage der alten Frage nach dem Sinn und Zweck der Beschäftigung mit Geschichte. Diese Frage haben sich bekanntermaßen schon Schiller, Nietzsche und Troeltsch gestellt — um nur drei Namen zu nennen. Aber mir scheint die Lage ernster als früher zu sein. Denn die Geschichtswissenschaft kann heute dem für jede Wissenschaft notwendigen und heilsamen Nachdenken über die Grundlagen und Voraussetzungen ihres Tuns nicht mehr vom gesicherten Ort innerhalb eines etablierten, allgemein akzeptierten Bildungskanons aus nachgehen, innerhalb dessen nur gewisse Modifikationen wissenschaftlich-methodischer Art vorgenommen werden. Vielmehr muß sie es sich gefallen lassen, radikal in Frage gestellt zu werden und in jedem Fall aus der Defensive heraus zu argumentieren. Es geht also nicht mehr um die fachinterne Reformdiskussion eines als solchen nicht angetasteten Faches, sondern um den Nachweis der Existenzberechtigung angesichts grundsätzlichen Infragegestelltseins und der durchaus realen Möglichkeit, als Fach — zumindest in den Schulen als Unterrichtsfach — vollständig aufgegeben zu werden.

Es scheint mir auch kein Zweifel daran möglich, daß es sich bei der viel zitierten Krise der Geschichtswissenschaft nicht um modisches Gerede in Anlehnung an attraktiv drapierte Krisen allerorts handelt, so daß sich nun auch die Geschichte ihre Krise leistet. Die Historiker sehen sich vielmehr einem vielfältig begründeten, nicht länger zu ignorierenden Tatbestand gegenüber. Diese Behauptung läßt sich sowohl durch allgemeine Beobachtungen in der Gegenwart als auch durch Hinweise auf die wissenschaftliche Auseinandersetzurg belegen.

Aus der Fülle allgemeiner Beobachtungen, die der interessierte Zeitgenosse und Zeitungsleser täglich machen kann, sei nur an einiges erinnert. Erstens: Die Zahl der Studenten des Faches Geschichte geht auffallend, und zwar nicht nur relativ sondern auch absolut, zurüc. Zweitens: Ein Teil der Kultusministerien und Schulverwaltungen hat die Tendenz, den Geschichtsunterricht zugunsten eines mit Politik und Sozialkunde integrierten Unterrichts stark zurückzudrängen. Sofern das Fach als solches überhaupt noch bestehen bleibt, wird sein Unterrichtsstoff häufig auf die Zeit seit der Französischen Revolution beschränkt. Andernfalls wird die Geschichte innerhalb eines umfangreichen Lernbereiches auf einen Aspekt unter anderen reduziert. Erinnert sei hier nur an die heftig umstrittenen Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre Sekundarstufe I des Hessischen Kultusministers, deren Auswirkungen auf die einschlägigen Rahmenrichtlinien sich auch in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen abzeichnen

Schließlich sei noch die in den fünfziger Jahren häufig beschworene allgemeine Geschichtsmüdigkeit erwähnt. Wie es sich damit verhält, ist fraglich, schwer zu fassen und zu belegen; denn Auflagenhöhen, Bücherleihsta'tistiken und ähnliche Daten als exakte Unterlagen können, wenn vorhanden, nur in Verbindung mit weiteren empirischen Angaben aussagekräftig werden. Eine jüngst erschienene Untersuchung über die Geschichtsvereine, ihre Mitgliederbewegung und das aus ihnen hervorgegangene Schrifttum nach 1945 kommt zu einem überraschend positiven Ergebnis. Das muß der These von der Geschichtsmüdigkeit gegenüber sehr nachdenklich stimmen und sie zumindest in ihrem allgemeinen Geltungsanspruch einschränken Häufig wird von der angenommenen Geschichtsmüdigkeit im Zusammenhang mit einer allgemeinen Kulturkritik pessimistischer Prägung gesprochen. Dabei fließen dann so viele unbewiesene Voraussetzungen und unausgesprochene Wertprämissen in die Diagnose mit ein, daß es unmöglich wird, Rationales und Emotionales auseinanderzuhalten. Auffallend ist die schon von Max Weber und später Hans Freyer von verschiedenen Fragestellungen her beobachtete paradoxe Tendenz, daß ausgerechnet die industrielle Gesellschaft — die mehr als jede frühere Gesellschaft Ergebnis menschlichen Planens ist und deren Signum Veränderlichkeit und Machbarkeit sind, weil sie sich stärker als jede vorangegangene Gesellschaft von Naturverhaftetheit und biologischen Vorgegebenheiten frei gemacht hat — sich von ihren Wurzeln in der Vergangenheit abzuschneiden bestrebt ist, Fragen nach ihrem Gewordensein beiseite schiebt und zum „sekundären System" hindrängt

II. Geschichte als Wissenschaft

Vor diesem generellen Hintergrund ist nun die wissenschaftliche Kontroverse um das Selbstverständnis der Geschichtswissenschaft oder der Streit um den Ausweis der Existenzberechtigung der Geschichte als Wissenschaft angesichts vielfältiger Herausforderungen darzustellen. Folgende These soll Angelpunkt meiner Überlegungen sein: Die Krise der Geschichtswissenschaft ist die einer historistischen Geschichtswissenschaft und besteht vor allem in der Theoriebedürftigkeit dieser Disziplin

Diese nicht originelle, vielfach vertretene These geht mit einem bestimmten Wissenschaftsbegriff an die traditionelle Geschichtswissenschaft heran und fragt, wie diese den heute auf sie zukommenden Anforderungen begegnet. Dabei kommt die Feststellung heraus, daß die von einer bestimmten Strömung des Historismus wesentlich geprägte Geschichtswissenschaft — trotz Anerkennung aller Verdienste und unaufgebbaren Erfolge, die dieser Position zu verdanken sind — in ihren Methoden und Fragen und in ihrem gegenständlichen Forschungsschwerpunkt zu eng definiert war. Deshalb ihr Versagen gegenüber wesentlichen und legitimerweise an sie herangetragenen Ansprüchen. Von der hier charakterisierten Position her kann m. E. ein im Wortsinne konservatives Bemühen um eine Überwindung der Krise der historistischen Geschichtswissenschaft nur folgendermaßen mit einiger Aussicht auf Erfolg vorgenommen werden: Die Problematisierung traditioneller Geschichtswissenschaft muß von ihren Ursachen her begriffen werden, um zwischen ephemer zeitbedingten und längerfristig überdauernden Fragestellungen unterscheiden zu können. Daraus ergeben sich Konsequenzen, denen eine moderne Geschichtswissenschaft entsprechen muß, wenn sie den Herausforderungen auf dem Stand der Zeit und auf der Höhe der wissenschaftlichen Kontroverse begegnen will. Gelänge dies, so würde damit eine nach-historistische Position entwickelt, in der im Sinne Hegels das Erbe des Historismus aui-gehoben wäre und gleichzeitig modernen Maßstäben entsprochen würde.

Im Anschluß an die Literatur sehe ich eine vierfache Infragestellung der traditionellen Geschichtswissenschaft:

Erstens aufgrund des sozio-ökonomischen Wandels;

zweitens durch die Herausforderung der Sozialwissenschaften;

drittens durch die Anforderungen der modernen allgemeinen Wissenschaftstheorie und viertens infolge der Kritik durch den Marxismus.

Was verbirgt sich im einzelnen hinter diesen vier Herausforderungen?

Mit dem Stichwort sozio-ökonomischer Wandel wird alles das angesprochen, was sich aufgrund der Industriellen Revolution an Änderungen vollzogen hat. Die hiermit zu setzende Zäsur, welche zeitlich, von regionalen Verschiebungen abgesehen, etwa auf ein Datum vor eineinhalb Jahrhunderten anzugeben ist, entspricht in ihrer Bedeutung dem Übergang zum Seßhaftwerden des Menschen und ist in ihren Auswirkungen bis heute nicht abzuschätzen oder beendet. Im Gefolge dieses Wandels machte der Mensch stärker als je zuvor die elementare Erfahrung von der Geschichtsmächtigkeit gesellschaftlicher Strukturen, von der Ausgesetztheit gegenüber „sekundären Systemen", von ihm anonym gegenübertretenden und ihn bedingenden funktionalistischen Apparaturen. Methodische Konsequenzen für die Geschichtsschreibung aus dieser von ihm konstatierten objektiven Veränderung des historischen Prozesses zog der Holländer Johan Huizinga in einem berühmt gewordenen Akademievortrag „über eine Formveränderung der Geschichte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts“

Ein bis heute aufrechterhaltener Vorwurf gegenüber der traditionellen Geschichtswissenschaft besteht darin, daß gesagt wird, sie sei mit ihrem Instrumentarium den seit der Industriellen Revolution vermehrt in Erscheinung tretenden quantitativen Veränderungen nicht gewachsen, bekomme sie nicht in den Griff. In engem Zusammenhang mit dieser Feststellung steht der. zweite Einwand: Den verstärkt auftretenden Massenphänomenen würden die Sozialwissenschaften mit ihren verfeinerten empirischen Untersuchungsmethoden besser gerecht. Diese Verfahrensweisen müsse sich eine moderne Geschichtswissenschaft zunutze machen. Der dritte Vorwurf gegen die bisherige Geschichtswissenschaft lautet: Der für ihr historistisches Selbstverständnis zentrale (hermeneutische) Verstehensbegrifi verhindere, daß sie an jede moderne Wissenschaft anzulegenden Rationalitätskriterien und der Forderung nach intersubjektiver Überprüfbarkeit ihrer Schritte und Ergebnisse genüge. Schließlich sei viertens die Kritik des Marxismus am Realitätsverhältnis in den Voraussetzungen bürgerlichen Geschichtsdenkens genannt Dahinter verbirgt sich der ideologiekritische Vorwurf, die vom Historismus geprägte Geschichtswissenschaft habe — indem sie sich, von der idealistischen Geschichtsphilosophie geprägt, als Geisteswissenschaft verstand — unreflektiert klassengebundene Grundannahmen über Geschichte und Gesellschaft und die Bedeutung der materiellen Lebensverhältnisse in ihr Selbstverständnis einfließen lassen und in ihre Begriffe aufgenommen. Dieser Vorwurf kann m. E. leicht von einer Geschichtswissenschaft widerlegt werden, die mit dem Historismus ganz ernst macht, ihn auch auf sich selbst anwendet, sich damit relativiert uni für neue Ansätze frei wird. Im übrigen ist der Hinweis auf die Mißachtung der materiellen Ibensverhältnisse schon im erstgenannten Vorwurf aufgegriffen worden.

Das Bemühen, sich den genannten Herausforderungen zu stellen, und zwar nicht mit einem geschlossenen System, wohl aber mit einer neuen Definition dessen, was Geschichte ist also mit einem neuen Wissenschaftsverständnis zu antworten, hat zur Herausarbeitung unterschiedlicher Standpunkte geführt. Es ist nun unmöglich, die Vielfalt der Ansätze auf eine gemeinsame Formel zu bringen, reichen doch die verschiedenen Positionen von fast unveränderter Übernahme konventionellen Selbstverständnisses bis zur Selbstaufgabe und Aufgehen in den benachbarten Sozialwissenschaften. Wenn ich trotzdem im folgenden den Versuch einer Abgrenzung mache, so gehe ich bei dieser vorläufigen Definition stillschweigend von der Voraussetzung aus, daß die konstatierte Pluralität der Meinungen nicht als ein zu überwindendes Übergangsstadium angesehen werden sollte, sondern prinzipiell zu bejahen ist und ggf. nur in einem spannungsreichen „offenen System“ aufgefangen werden könnte.

Einen für nicht-marxistische Historiker repräsentativen größten gemeinsamen Nenner kann man vielleicht in einer Definition von Vierhaus finden. Diese ist ihrerseits wieder interpretationsbedürftig und läßt unterschiedliche theoretische und methodische Schwerpunkte zu. Sie lautet: , Geschichte ist die von der Gegenwart her unternommene wissenschaftliche Interpretation überlieferten menschlichen Handelns in seinen temporalen und sozialen Strukturen und im Zusammenhang einer Kontinuität, die seine Kenntnisse für die Gegenwart relevant macht"

Meine weiteren Ausführungen werden so angelegt sein, daß ich die einzelnen Bestandteile dieser Definition so zu erklären versuche, daß die skizzierten vier Herausforderungen traditioneller Geschichtswissenschaft berücksichtigt werden. Denn, um es zu wiederholen, erklärte Absicht meiner Überlegungen ist es, eine nachhistoristische Position zu umreißen, die sowohl die gesicherten, unumstrittenen Grundlagen des Historismus bewahrt als auch die genannten neuen, unabweisbaren Ansprüche erfüllt. Nach der zitierten Definition ist Gegenstand (Objekt) historischen Forschens vergangenes menschliches Handeln, sofern es überliefert ist, d. h. sofern es Spuren, Reste hinterlassen hat, die für uns zu Quellen der Erkenntnis werden können. So einleuchtend und problemlos die Formulierung menschliches Handeln in der Vergangenheit auf den ersten Blick er-scheint, so schwierig erweist sie sich bei näherem Hinsehen. Relativ einfach ist es noch, eine negative Abgrenzung vorzunehmen, also festzustellen, was nicht in den Forschungsbereich der Geschichtswissenschaft fällt. Geschichte als Geschichte des handelnden Menschen klammert zeitlich und sachlich diejenigen Bereiche, die Gegenstand der Geologie, der historischen Geographie sowie der Vor-und Frühgeschichte sind, aus — obwohl sich hier Berührungspunkte ergeben können. Gleichzeitig wird mit der Herausstellung der Handlungskomponente der Bereich sittlich-moralischer Entscheidungen angesprochen, dem überwiegend naturwissenschaftlich arbeitende Disziplinen wie z. B. Anthropologie, Medizin und Biologie, die sich auch mit dem Menschen beschäftigen, nicht gerecht werden können und wollen. Der Hinweis auf die Vergangenheit schließlich grenzt gegen Wissenschaften ab, die menschliches Handeln der Gegenwart oder der Zukunft zu ihrem Gegenstand machen, also z. B. die Politologie, die Wirtschaftswissenschaften, weitgehend die Soziologie und die Futurologie. Mit den Worten Nipperdeys kann man die bisherigen Überlegungen folgendermaßen zusammenfassen: »Die Geschichtswissenschaft ist ... eine Wissenschaft vom Menschen, wobei zunächst die Kategorien der Zeitlichkeit, genauer der Vergangenheit, und die Kategorien des , Mehr-'-Biologischen’ sie von anderen Wissenschaften vom Menschen unterscheiden“

Versucht man nun jedoch positiv festzustellen, was als Gegenstand der Geschichtsforschung anzusehen ist, so wird es sogleich Meinungsverschiedenheiten geben. Denn was verbirgt sich konkret hinter der Formulierung „vergangenes menschliches Handeln"? Für den klassischen Historismus bedeutete das: Vergangenes menschliches Handeln ist individuelles, prinzipiell sinnhaftes, intentionales Handeln, welches prinzipiell intelligibel ist und unter Zuhilfenahme der Kategorien einer empirischen Individualpsychologie auf der Grundlage eines Verständnisses vom Menschen als eines sittlichen Wesens erfaßt werden kann Diese recht komplizierte Formulierung faßt komprimiert ein ganzes Bündel von wichtigen Grundannahmen des Historismus zusammen. Ich will versuchen anzudeuten, welche wichtigen Vorentscheidungen sich dahinter verber-gen. Dreierlei scheint mir hier vor allem von Bedeutung: Der spezifische Individualitätsbegriff, das Menschenbild und die Kategorie forschenden Verstehens.

Der Individualitätsbegriff, der nicht nur einzelne Personen und große historische Persönlichkeiten, sondern durchaus auch Völker und Staaten als individuelle Totalitäten umfaßt, hat wesentlich zur methodischen Sonderstellung der Geschichtswissenschaft beigetragen. Zwar ging der Historismus von der durchweg gültigen Überzeugung aus, daß „die individuellen geschichtlichen Erscheinungen verschiedene Ausprägungen allgemeiner, sich in der Geschichte entfaltender Prinzipien sind" oder mit den Worten Rankes: „Alles ist allgemeines und individuelles geistiges Leben" Für diese Grundannahme des Historismus vom prinzipiell untrennbaren Ineinanderverflodtensein von Individuellem und Allgemeinem, im Grunde von der Identität von Allgemeinem und Besonderem, welches immer nur eine konkrete Ausfaltung des Allgemeinen sei, — für diese Grundannahme des Historismus ließen sich Beispiele aus den Werken Droysens, Meineckes, Troeltschs u. a. bringen. Aber in der konkreten historischen Forschung traf diese geschichtsphilosophische Annahme immer mehr hinter der Betonung der Einmaligkeit und Besonderheit aller geschichtlichen Ereignisse zurück. Dies bewirkte einerseits einen ungeheuren Aufschwung präziser Detailforschung, entging andererseits jedoch nicht den Gefahren, die darin liegen, wenn die Individualität zur schlechthin bestimmenden Kategorie historischen Erkennens erhoben wird. Die Absolutsetzung dieses methodischen Prinzips führte dazu, daß man nicht immer der Gefahr einer einseitigen Überspannung zur „Situationsdeterminiertheit"

entging. Angesichts der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller historischen Ereignisse war es nur konsequent, wenn man die direkte Vergleichbarkeit historischer Vorgänge leugnete. Quantifizierende und komparatistische Methoden entfielen, historische Gesetze wurden prinzipiell als un-wissenschaftlich abgelehnt.

Hinzu kam ein Menschenbild, das im Menschen ein intelligibles, und d. h. verstandes-begabtes, mit freiem Willen entscheidendes sittliches Wesen sah, dessen Handeln sich vor allem in schriitlichen Zeugnissen niederschläc .

Indem diese zur Hauptquelle der Historiker wurden, wandte man sich bevorzugt der Verfeinerung philologischer Methoden, der Quellenkritik, zu und kam hier im 19. Jahrhundert zu unumstrittenen und unaufgebbaren Erfolgen. Die Geschichtswissenschaft na Jahrhundert zu unumstrittenen und unaufgebbaren Erfolgen. Die Geschichtswissenschaft nahm unter dem Einfluß des Historismus eine Entwicklung, die von akribischer Detailforschung und Verfeinerung der Methoden gekennzeichnet war.

Aus der Grundannahme des Historismus, die unerschöpfliche Vielfalt individueller Erscheinungsformen lasse sich nicht (quantitativ) messen, sondern nur (qualitativ) deuten 18), folgt der der Geschichtswissenschaft ihr besonderes Gepräge gebende, aller konkreten Forschung vorausgehende Verstehensbegrili. Dieser beruht — wie der Individuelles und Allgemeines gleichermaßen umfassende Individualitätsbegriff — auf der idealistischen Identitätsphilosophie. Der von Droysen und Dilthey zum Erkenntnisprinzip der Geisteswissenschaften erklärte Verstehensbegriff setzt die innere Verwandtschait von Subjekt und Objekt voraus. Der spezifisch historische Erkenntnisakt ist mehr als nur Produkt der Verstandesttigkeit. „Er umfaßt die intuitiven und sinnlichen Kräfte, die gemüthaften, ästhetischen und sittlichen Empfindungen sowohl wie Phantasie und Anschauungsvermögen" 19). Forschendes Verstehen wird nur möglich auf dem Hinter-grund der Verwandtschaft von Subjekt und Objekt geschichtlichen Erkennens in der Person des Historikers. „Dadurch, daß Subjekt und Objekt in denselben Werdestrom des geschichtlichen Lebens getaucht sind, ergibt sich die Möglichkeit eines tiefgreifenden historischen Verstehens" „Als individuelle Totalität, als sittliches und sich selbst frei bedingendes Wesen, besitzt der Mensch ein Vorverständnis der durch Menschenhand und -geist geschaffenen Erscheinungen, und das befähigt ihn, sie als individuelle und eigenständige Ganzheiten zu erkennen, auch wenn sie ihm nur in einzelnen Äußeiungen, in den bruchstückhaften Spiegelbildern der Quellen, ent-gegentreten" Mit anderen Worten: Erkenntnis in der Geschichtswissenschaft wird erst möglich durch den notwendigen, die mühsam erarbeiteten Fakten vergangener Wirklichkeit ergänzenden Akt historischen Verstehens. Erst durch ihn — der allerdings, wie gezeigt, eine gewisse anthropologische Grund-befindlichkeit annimmt und diese aufgrund der vorausgesetzten Identität von Subjekt und Objekt und gleichzeitig von Individuellem und Allgemeinem als allgemein menschliche Lebenserfahrung in den wissenschaftlichen Erkenntnisprozeß mit aufnimmt — wird es möglich, die prinzipiell niemals zu beseitigende Lückenhaftigkeit der Überlieferung in einem umfassenden Sinnzusammenhang aufzufangen. Hier zeigen sich m. E. besonders deutlich die Möglichkeiten-und Grenzen historischen Verstehens. Die Geschichtswissenschaft kann nie exakte Wissenschaft sein und sollte sich meiner Ansicht nach auch nicht bemühen, eine solche zu werden. Denn dann würde sie ihrem Gegenstand, dem handelnden und leidenden Menschen, nicht gerecht. Hingegen kann nur der Grad der Inexaktheit des Verstehens strittig sein. Ich stimme Faber zu, der feststellt, auch kontrolliertes Verstehen könne nie zu Erkenntnissen „von absoluter Evidenz, sondern immer nur (zu) Aussagen über den wahrscheinlichen Sinn des zu erklärenden Handelns im Lichte des Wissens über die mögliche Zuordnung von Zeichen und Intentionen führen. Ergebnisse historischer Forschung, die sich immer aus Lebenserfahrung plus historischem Wissen zusammensetzen, können nur unter-

schied" che Grade von Wahrscheinlichkeit, nie aber vollständige Exaktheit erreichen und behalten damit letztlich hypothetischen Charakter — was übrigens prinzipiell auf alle emp -rischen Wissenschaften zutrifft, also auch auf die Natur-und die Sozialwissenschaften. Der Forderung nach erhöhter Rationalität, nach intersubjektiver Überprüfbarkeit innerhalb der Geschichtswissenschaft kann auf die Weise Rechnung getragen werden, daß jeweils der Punkt anzugeben ist, an dem die eindeutigen Quellenaussagen überschreitende Behauptungen aufgestellt werden. Der nicht zu rationalisierende Anteil intuitiven Verstehens, der am intentionalen Handeln des letztlich freien Individuums orientiert bleibt kann jedoch nach dem sozio-ökonomischen Wandel nicht mehr die Bedeutung einnehmen wie zuvor. Vielmehr wird eine nach-historistisehe Position, die sich stärker den mensch-

lichem Handeln vorgegebenen Sachzwängen zuwendet, hinter bewußte Intentionen zurück-fragen und stärker kausal erklärend und objektiv messend vorgehen.

Begründet in dem charakterisierten spezifi-

schen Individualitätsbegriff, der die Freiheit sittlichen Handelns und die unwiederholbare Einmaligkeit allen geschichtlichen Geschehens betont, tendiert der Historismus dahin, die Bedingungen menschlichen Handels außer acht zu lassen oder aber als zu gering zu veranschlagen. Dieses Versäumnis im Hinblick auf den dem politischen Handeln in engerem Sinne vorgegebenen Rahmen — womit vorwiegend die sozio-ökonomischen Voraussetzungen gemeint sind — versucht Vierhaus in seiner Definition aufzufangen, indem er von temporalen und sozialen Strukturen spricht. Damit wird auf die oben genannte Herausforderung durch den sozio-ökonomischen Wandel eingegangen. Die sich hieraus ergebende methodische Konsequenz ist, daß das Verfahren forschenden Verstehens nicht mehr den Vorrang behält, den es bisher besaß. Statt dessen werden zur Erfassung von sozialen, ökonomischen und sozialpsychologischen Strukturen von den Sozialwissenschaften — vor allem der Soziologie, Politologie, Ökonomie und Psychoanalyse — entwickelte quantifizierende und komparatistische Methoden und deren Ergebnisse für die Geschichtswissenschaft fruchtbar gemacht. Dabei kann es nicht darum gehen, sozialwissenschaftliche Methoden zu den spezifisch historischen hinzuzufügen, also sie vom einen auf den anderen Bereich zu übertragen und damit durch einfache Addition das methodische Instrumentarium des Historikers zu vergrößern. Vielmehr kann eine wirkliche Integration nur in fortwährendem Bezug auf die Überlieferung, also die historischen Quellen und durch Kontrolle und laufende Über-prüfung an ihnen erfolgen.

Neben die vom Historismus zur Perfektion entwickelten Methoden wie die geisteswissenschaftliche Hermeneutik, die Methoden der Philologie und der Textinterpretation treten oft der stärkeren Heranziehung nichtschriftlicher Quellen typologisierende Verfahren un 1 Versuche, zu allgemeinen Aussagen im Rahmen von Theorien mittlerer Reichweite zu gelangen. Es sei noch einmal ausdrücklich betont, daß auch sozialwissenschaftliche Methoden in der Geschichtswissenschaft nur unter der Voraussetzung angewandt werden sollten, die für das hermeneutische Verfahren allgemein gilt, nämlich: Die Erkenntnis des Gegenstandes darf nicht dadurch verdunkelt werden, daß inadäquate Begriffe an ihn von außen herangetragen werden. Individualisierende und generalisierende Methode in der Geschichtswissenschaft sind gleichermaßen dadurch ausgezeichnet, daß fortwährend ein Rückkopplungsprozeß zwischen Gegenstand und Begriff bzw. zwischen messendem, kategorisierendem Verfahren und zu messendem Gegenstand stattfindet, oder, mit anderen Worten, daß die Methoden gewissermaßen dem historischen Stoff selbst abgewonnen werden

Die vorangegangenen Überlegungen zusammenfassend, möchte ich folgendes Programm aufstellen:

Der Forschungsbereich der Geschichtswissenschaft muß vom überwiegend geistig-sittlich geprägten Individualitätsbegriff auf die temporalen und sozialen Tiefenstrukturen menschlichen Handelns ausgeweitet werden. Nur so kann der „Formveränderung der Geschichte“ infolge der Industriellen Revolution Rechnung getragen werden. Eine solche Neubestimmung des Gegenstandes der Geschichtswissenschaft impliziert eine Revision des jeder Einzelforschung voraufgehenden Menschenbildes und nimmt insofern die Kritik des Marxismus am ungenügenden Realitätsbewußtsein des Historismus auf. Als notwendige methodische Konsequenz erhebt sich die Forderung nach Aufnahme sozialwissenschaftlicher Arbeitsweisen wie quantifizierender, komparatistischer und theoriebildender Verfahren in die Geschichtswissenschaft, soweit dies nach den vorhandenen historischen Quellen möglich ist. Gelingt es, dieses anspruchsvolle Konzept durchzuführen und es in praktische historische Forschung umzusetzen, so wird eine solche nach-historistische Geschichtswissenschaft auch den Erfordernissen der modernen Wissenschaftstheorie mit ihren Rationalitätsansprüchen weitgehend Genüge tun. Sie kann dann der Forderung nach intersubjektiver Überprüfbarkeit eher gerecht werden als die traditionelle Geschichtswissen-schäft, die aufgrund des Verstehensbegriffs dem intuitiven, letztlich nicht rationalisierbaren Verfahren zu weiten Raum ließ.

III. Geschichte und Gegenwart

Ein wichtiger Aspekt der Definition, die meinen Überlegungen zugrunde liegt, wurde bisher nicht beachtet. Ich meine den zweifach angeführten Gegenwartsbezug. Vierhaus spricht einmal davon, daß die Interpretation der Vergangenheit „von der Gegenwart her“ unternommen werde und zum anderen davon, daß die so gewonnene Kenntnis infolge einer Kontinuität „für die Gegenwart relevant" sei.

Mit der ersten Feststellung — jede Interpretation der Vergangenheit werde von der Gegenwart her unternommen — spricht Vierhaus die unaufhebbare Standortgebundenheit des Historikers an. Relativ unproblematisch schlägt sie sich als vorwissenschattliches Interesse, als Neugier des Forschers in einer bestimmten Ausgangsfrage nieder. Das ist in allen Wissenschaften so und braucht der Wissenschaftlichkeit der weiteren Untersuchung keinen Abbruch zu tun. Gefährlicher wird es, sobald die Standortgebundenheit in die interpretierende Darstellung durch Werturteile einfließt. Hier ist in erhöhtem Maße kritische Distanzierung und ständige Kontrolle der Aussageform (z. B. durch bewußten Gebrauch des Konjunktivs) notwendig.

Da die Geschichte sich einem totalen Zugriff entzieht, immer aspekthaft und perspektivisch bleiben muß und stets mehreren Zugängen offen ist, können monokausale Erklärungen nie beanspruchen, das geschichtliche Geschehen schlechthin sichtbar werden zu lassen. Dennoch können Erkenntnismodelle, die von einem monokausalen Ansatz ausgehen, durchaus ihre Berechtigung haben, um bestimmte Zusammenhänge besonders deutlich hervortreten zu lassen. Nur muß die erkenntnisfördernde, quellenmäßig zu rechtfertigende und arbeitstechnisch sinnvolle Beschränkung auf einen Ausschnitt in der Aussage-und Darstellungsform zum Ausdruck kommen. Dann braucht die Standortgebundenheit des Forschers die wissenschaftliche Leistung nicht zu beeinträchtigen.

Was nun den Begriff der Relevanz angeht, so schwingen in ihm mehrere Bedeutungen mit. Nach Nipperdey können drei Bezüge gemeint sein: erstens der unmittelbare Gegenwartsbezug, zweitens der Handlungsbezug und drittens der Zukunftsbezug. Alle drei Färbungen des Relevanzbegriffes gehen ganz legitim davon aus, daß das menschliche Interesse an der Vergangenheit mit dem Interesse an Gegenwart und Zukunft zusammenhängt. In allen dreien aber stecken, unterschiedlich stark ausgeprägt, Gefahren, sobald eine Beziehung vordergründig-eindimensional verabsolutiert wird. So droht der unmittelbare Gegenwartsbezug die Geschichte zur Vorgeschichte der Gegenwart zusammenschrumpfen zu lassen. Die Vergangenheit wird dann nur der Beachtung wert erachtet, sofern sie als Vorgeschichte der Gegenwart, als Zeitgeschichte oder als Geschichte gegenwärtiger, uns heute vornehmlich wichtiger Phänomene orientierende Erklärungen für die Gegenwart abgibt. Konkret heißt das: Geschichte seit der Französischen Revolution bzw.seit der Industriellen Revolution oder Geschichte demokratischer Bewegungen oder Geschichte von Konflikten zwischen Herrschenden und Unterdrückten. Die Gefahr eines solchen Ansatzes besteht darin, daß alle Epochen oder Phänomene, die diesem Relevanzbegriff nicht entsprechen, als uninteressant abgetan und die Beschäftigung mit ihnen als antiquarisch diffamiert wird.

Die Bedeutung von Relevanz als Handlungsanweisung für die Gegenwart stellt Geschichte in den Dienst politischer Pädagogik. „Geschichte soll politisch-moralische Wertordnungen unserer Gesellschaft, sofern über sie mehrheitlich Konsensus besteht, stabilisieren, z. B.den Wert von Freiheit und Demokratie, Frieden und sozialem Fortschritt und den damit verbundenen Institutionen, Zielen und Verhaltensweisen wie die Gefahren des Nationalismus oder des Autoritätsglaubens verdeutlichen. ... Von diesem pädagogisch-moralischen Ziel her bestimmen sich nicht nur die Auswahl von Gegenständen und Themen, sondern vor allem auch die Perspektive histori scher Arbeit und Darstellung" Einem solchen Vorgehen liegt das Mißverständnis zugrunde, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen ließen sich logisch stringent Handlungsnormen für gesellschaftliche oder politische Praxis aufstellen. Wie Max Weber aber un-widerlegt nachgewiesen hat, ist die Wissenschaft nicht kompetent, etwas über den Wert von Nonnen zu sagen. Sie kann sich nur zu deren sozialer Funktion, zu den Bedingungen ihres Entstehens etc. äußern. Oder sie kann z. B. darlegen, welche Mittel bei vorgegebenen normativen Zielen ergriffen werden müssen, um in einer bestimmten historischen Situation diese durchzusetzen, über die Berechtigung von Normen kann nur weltanschaulich oder glaubensmäßig, nicht aber wissenschaftlich-rational entschieden werden. Sofern Parteilichkeit in diesem Sinne in die Wissenschaft Eingang findet, gerät diese in Konflikt mit dem wissenschaftlichen Anspruch nach intersubjektiver Überprüfbarkeit. Es ergibt sich dann ein folgenschwerer Widerspruch: „Wo das pädagogisch-politische Interesse zur Norm gemacht wird, kann die geschichtliche Erkenntnis gerade etwas für die Praxis Wesentliches, nämlich Erweiterung des Erfahrungsraumes ... nicht erreichen; sie bleibt in der Selbstbestätigung einer Gesellschaft oder ihrer Gruppen stecken und bietet nichts Neues mehr“ Andererseits kann gerade eine Beschäftigung mit der Geschichte scheinbar nur um ihrer selbst willen, die also nicht auf unmittelbare gesellschaftlich-praktische Verwendbarkeitb-gestellt ist, von bewußter moralischer Relevanz absieht und sich der Vergangenheit als Vergangenheit zuwendet, sich eher von einer perspektivischen Verkürzung und Festschreibung gegenwärtiger Normen freihalten. Paradoxerweise kann so ausgerechnet eine heute häufig als antiquarisch und „konservativ“ abgelehnte Geschichtsforschung die Stabilisierung des Status quo leichter vermeiden und einer verändernden politisch-gesellschaftlichen Praxis größere Chancen eröffnen als eine unter dem Primat unmittelbaren Praxisbezuges stehende, auf direkte Handlungsanweisung ausgerichtete Geschichtsforschung.

Hier kommt nun der Zukunftsbezug im Relevanzbegriff zum Zuge. Meist meint man damit unter starker Betonung der Handlungskompo-* nente Weltveränderung aufgrund von Kritik an der Gegenwart. Das führt — wie gezeigt — leicht zu dem paradoxen Ergebnis, daß gerade das herbeigeführt wird, was abgelehnt wird, nämlich Verfestigung des Status quo und Lähmung der Aktivität. Denn angenommen, „eine Gesellschaft oder eine Mehrheit der Gesellschaft wäre über ihre Zukunft, das . wahre Interesse der Gesellschaft'einig und verlangte von der Historie, sich in den Dienst an der Realisierung dieser Zukunft zu stellen, diesen ihren . Auftrag'zu erfüllen. In diesem Falle handelte es sich in Wahrheit darum, daß die angesprochene Zukunft ganz aus der Gegenwart gesehen wird, daß sie vorweggenommene, mediatisierte Zukunft ist. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit dient dann nicht mehr der Zukunft, sondern nur dieser gegenwärtigen Zukunftsperspektive, sie stabilisiert diese Perspektive. Gerade die Orientierung an der Zukunft bleibt auf diese Weise statisch, sie verfestigt ein bestimmtes gegenwärtiges Bewußtsein, das utopisch-ideologische Gehäuse einer selbstgerechten Gegenwart und ihren totalen oder relativen Absolutheitsanspruch und sie arbeitet damit an einer geschlossenen und präfixierten Zukunft. ... Historie als Wissenschaft dagegen lehrt ... die Skepsis gegen die Neigung aller auf Relevanz Eingeschworenen zu geschlossenen Geschichtsbildern, sie hält das Fragwürdige, das Nichtgewußte und Nichtwißbare bewußt. Diese Relativierung gegenwärtiger Absolutheitsansprüche an die Zukunft, auch wenn sie im Namen der menschlichen Freiheit auftreten, diese Skepsis gegen ein Totum von Wissen und Wißbarkeit, ist geradezu die Bedingung dafür, die endliche und relative Freiheit des Menschen und die schöpferischen Möglichkeiten, die Kreativität, in einer offenen Zukunft aufrechtzuerhalten. Offenheit der Zukunft und Zuwendung zur Vergangenheit als solcher bedingen einander. Geschichtswissenschaft hat eine Funktion, Zukunft offenzuhalten" „Die Unterscheidung von Relevantem und Irrelevantem tritt unter diesem Aspekt zurück: Das jetzt scheinbar Irrelevante mag schon morgen eine enorme Relevanz haben, es wäre kurzsichtig, Bedürfnisse der Gegenwart -u verabsolutieren. Darüber hinaus aber: das scheinbar Irrelevante, das Alte, das Andersartige, das Fremde, das Untergegangene und nicht mehr Nachwirkende, das Fremde, mit dem sich die Geschichtswissenschaft herkömmlicherweise auch beschäftigt, ist es gerade, das die Befangenheit im Eigenen relativiert, ohne das Engagement im Eigenen unmöglich zu madien, und den Raum des Möglichen erweitert" Nipperdey rührt hier an einen Zug des Historismus, der lange verschüttet war und übersehen wurde: nämlich die revolutionäre Implikation eines relativierenden historischen Denkens, das alles Seiende verflüssigt, es als entstanden, sich wandelnd und darum auch als vergehend und veränderbar darstellt.

IV. Geschichte im kritisch-aufklärerischen (emanzipatorischen) Unterricht

Nach den vorangegangenen Überlegungen scheint es mir leicht, die „altmodische" Frage zu beantworten, welchen Nutzen die Historie für das Leben habe, oder, moderner ausgedrückt, was ihre sozialen Funktionen seien oder, enger auf das Unterrichtsfach Geschichte an den Schulen bezogen, wie sein Beitrag zu einer kritisch-aufklärerischen, also emanzipatorischen Erziehung aussehe. Folgende soziale Funktionen der Geschichte erscheinen mir von besonderem Gewicht:

Die fundamentale Einsicht in den genetischen Charakter allen menschlichen Daseins umschließt alles das, was aus der Geschichte zu lernen und nur aus ihr zu lernen ist. „Jedes Sein ist ein Gewordensein, in dem die Stationen seines Werdens aufbewahrt sind. Die Eigenart eines Seienden ist darum vollgültig nur zu erfassen, wenn man den Werdezusammenhang zu rekonstruieren vermag. Die Geschichte stellt dem Menschen die Zeitlichkeit seiner Existenz vor Augen. Sie vermittelt ihm die Erfahrung der Jeweiligkeit und Relativität jeder historischen Situation" Das Gewordensein aller menschlichen Institutionen und Normen, ihre Zeitlichkeit und ihre Relativität bedeuten, daß diese auch weiterhin wandlungsfähig und prinzipiell veränderbar sind. Damit eröffnet historisches Wissen den Horizont des Möglichen und setzt Aktivitäten frei, die vom Optimismus getragen werden, daß Gegenwart und Zukunft veränderbar sind. Gleichzeitig jedoch erfährt der Wille zu politischer Gestaltung der Gegenwart eine realistische, nüchterne und sachgerechte Begrenzung. Aus der Endlichkeit und Vorläufigkeit menschlichen Handelns erwächst die Warnung vor „utopischer, proportionsloser Totalkritik" vor fanatischer Verabsolutierung weltanschaulicher Modellentwürfe. „Die Erfahrung der Komplexität von Handlungssituationen oder der Perspektivität von Handlungszielen immunisiert ein wenig gegenüber sich selbst verabsolutierenden, rücksichts-und maßlosen Totalentwürfen und -ansprüchen der verschiedensten Arten in der Gegenwart"

Die hier aufgezeigte politisch-soziale Funktion der Geschichte berührt sich mit dem, was Rohlfes als Ergebnis geschichtlicher Bildung ansieht: „Geschichte leistet die Bewältigung der Vergangenheit, indem sie Traditionen bewahrt und kritisiert. Solche Bewältigung ist unumgänglich, weil die Vergangenheit auch und gerade da mächtig ist, wo sie verdrängt oder ignoriert wird. Die Geschichte hat die Funktion der Aufklärung, indem sie historische Mythen entlarvt und falschen historischen Legitimationen den Boden entzieht. Sie nimmt dem historisch Gewordenen den Schein der Naturwüchsigkeit und bricht seine pure Selbstverständlichkeit auf, indem sie seine Verursachung durch menschliche Entscheidungen erkennbar und seine , relative'Veränderbarkeit bewußt macht" Der hier aufgestellte Tatbestand, der in vielfältigen Wendungen als Infragestellen politisch direkt verwendeter Geschichtsmythen, als Entlarven oder Entmythologisieren von Ideologien bezeichnet worden ist, hat offenbar zwei Seiten: zum einen zerstört er den verführerischen pseudoreligiösen Charakter jeder Ideologie, ihren Absolutheitsanspruch. Er führt nach der Konfrontation von Modell und Realität zu kritischer (Selbst) Kontrolle. Zum anderen aber appellieren weltanschauliche Entwürfe gleichzeitig an die Freiheit menschlichen Handelns trotz aller Begrenztheit; sie erinneia damit an 4as „Prinzip Hoffnung". Historiuche Ertahrmg zeigt, „welche ungehqure, produktive Steue rungsfunktion radikobe, ju sogar utepische Entwürfe menschlidhenZusmmmenlebens tu die Gesellschaft auszuüben vermögen"

Diese doppelte historische Erkenntnis mit der gegenseitigen Ausbalancierung von Ansporn und nüchterner Begrenzung läßt sich nach Prinz folgendermaßen zusammenfassen: Beschäftigung mit der Geschichte ist „ein Mittel, den Menschen aus seiner .selbstverschuldeten Unmündigkeit'und Abhängigkeit von Klischees jeglicher Provenienz zu befreien, es bewirkt Entmythologisierung zu vernünftigem Handeln in der und für die Gesellschaft“

Soll dieses gesellschaftliche und damit politische Handeln den Forderungen Max Webers an den Politiker entsprechen, also sich durch sachliches Verantwortungsgefühl, Augenmaß und Distanz auszeichnen so muß das durch historisches Erkennen vertiefte Potential an kritischer Rationalität jeweils die Multidimensionalität und Multikausalität allen historischen Geschehens, die Heterogenität der Motiv- und Kausalketten, die Diskrepanz zwischen Absicht und Tat, die Rolle des Zufalls und das Neben-und Ineinander von Freiheit und Determiniertheit bedenken. Das Resultat wird dann ein verantwortungsethisches, nüchternes politisches Handeln sein, das den Freiheitsraum der Gegenwart gerade durch Einbeziehung der historischen Tiefendimension auszuschöpfen imstande ist. Reflektiertes Geschichtsbewußtsein fungiert hier als „Korrektiv für ausschließlich gegenwartsbezogene und systematisch gewonnene Analysen und Theorien, Prognosen und Entwürfe und kann damit zu einer'Art kritischem Organon gegenüber leitbedingten Werthaltungen und Ideologien werden. Die Geschichte erweitert das Beobachtungsfeld in die Tiefe der Zeit und bereichert die Befunde der Gegenwart um ein nahezu unerschöpfliches Vergleichsmaterial

Die Überwindung eines kurzschlüssigen Verhaftetseins an gegenwärtige gesellschaftliche Werte als Voraussetzung für veränderndes Handeln wird außerdem gefördert durch die Erfahrung des ganz Anderen und Fremden: Dem eigenen Erfahrungsbereich verschlossene Weisen des menschlichen Lebens aus historisch weit zurückliegenden Zeiten und stark unterschiedenen soziokulturellen Um-welten wirken im Sinne eines , Verfremdungseffekts'“ Auch dieses mündet wieder in die typisch historische Arbeits-und Denkweise, die „Abstand von apodiktischen, verabsolutierenden, eindimensionalen Betrachtungsformen gewinnen (läßt) und offen macht für relativierendes, dialektisches, alternatives Denken“ Eine im engeren Sinne zweckfreie Beschäftigung mit der Vergangenheit stellt durch historisches Wissen und historische Kenntnisse Anschauungsmaterial zur Verfügung, welches die Erfahrung des „frappierend Anderen" vermittelt und damit dem „Zweck der . Verflüssigung'des Bildes von Wirklichkeit dient" Dies wird allerdings nur dann erreicht, wenn die Geschichte nicht im Dienst einer unter einem „unreflektierten Relevanzaktualismus" stehenden politisch-normativen Didaktik zum Arsenal für die Bereitstellung von Anschauungsmaterial herabgewürdiIgt wird Wie Nipperdey m. E. überzeugend in den oben referierten Ausführungen zum Relevanzbegriff dargelegt hat, schlägt eine Beschäftigung mit der Geschichte, die zum „Erfüllungsgehilfen für die Einlösung" von Lernzielen degradiert wird, entgegen ihrem proklamierten Ziel, der gesellschaftlichen Veränderung zu dienen, in eine Festschreibung des Status quo um. „Geschichte verkommt zum großen Kasten subjektiv ausgewählter Beispiele und Illustrationen, die Versatzstücke haben lediglich Beweisiunktion für vorgegebene Thesen (Veränderbarkeit), niemals aber Korrektivfunktion"

Ein so pervertierter Geschichtsunterricht würde nicht nur die besonderen Chancen des Faches verspielen, sondern — was sicher noch bedenklicher ist — einer gerade heute notwendigen gesellschaftlichen Funktion nicht Rechnung tragen. Idi denke dabei erstens an die schon genannten spezifischen Möglichkeiten des Faches, alternative Gesellschaftsmodelle aufzuzeigen und damit konkrete Entwürfe für Veränderung vorzustellen. Zweitens meine ich die aktuelle Notwendigkeit, Gefahren der modernen rationalen Lebensführung abzuwehren. Diese hat Max Weber wohl am eindringlichsten prophetisch warnend in seiner Herrschaftssoziologie beschrieben. Ausgehend von der konstatierten Schicksalhaftigkeit einer universellen Bürokratisierung, von der er sagte, sie sei „überall der unentrinnbare Schatten der voranschreitenden . Massendemokratie'" kam er zu dem eindrucksvoll bildhaft formulierten Resümee: „Eine leblose Maschine ist geronnener Geist. ... Geronnener Geist ist auch jene lebende Maschine, welche die bürokratische Organisation mit ihrer Spezialisierung der geschulten Facharbeit, ihrer Abgrenzung der Kompetenzen, ihrer Reglements und hierarchisch abgestuften Gehorsamsverhältnissen darstellt. Im Verein mit der toten Maschine ist sie an der Arbeit, das Gehäuse jener Hörigkeit der Zukunft herzustellen, in welche vielleicht dereinst die Menschen sich, wie die Fellachen im altägyptischen Staat, ohnmächtig zu fügen gezwungen sein werden, wenn ihnen eine technisch gute und das heißt: eine rationale Beamten-Verwaltung und -Versorgung der letzte und einzige Wert ist, der über die Art der Leistung ihrer Angelegenheiten entscheiden soll"

Soll die hier aufgezeigte, tendenziell zweifellos vorhandene Möglichkeit nur eine solche bleiben und nicht zur Realität werden, so müssen zur Rettung der Freiheit des Individuums folgende Konsequenzen gezogen werden: Erstens sollte historisches, relativierendes Denken den Weberschen Albtraum erkennen und beurteilen; und zweitens sollte eine dem historischen, alternativen, die Phantasie anregenden Denken verwandte menschliche Fähigkeit berücksichtigt werden, die erstaunlicher-weise heute selten erwähnt wird — ich meine das Spiel. Mir scheint, gerade eine nadi-historistische Geschichtskonzeption, die trotz Einbeziehung sozialer Strukturen sich vor „der Überspannung der ökonomisch-gesellschaftlichen Determiniertheit alles geschichtlichen Geschehens" hüten will, muß als Gegengewicht zur Stärkung der Freiheit schöpferische menschliche Fähigkeiten wie Kontemplation und Spiel akzentuieren. Nipperdey hat kurz darauf hingewiesen, daß Kontemplation und Spiel als Beschäftigungen ohne Handlungsansprüche „eine kompensatorische Bedeutung in einem Gesamthaushalt des menschlichen, sozialen wie industriellen Lebens“ haben können. Und er fährt fort: „Vielleicht haben nicht nur die Künste, sondern vielleicht hat auch die historische Erkundung menschlicher Möglichkeiten jenseits unserer Möglichkeiten die Funktion, die individuelle Freiheit gegenüber technischen, institutionellen oder sozialen Zwängen — gegenüber der . Entfremdung'— zu sichern"

Spiel als geistige oder körperliche Tätigkeit, die keinen unmittelbaren praktischen Zweck verfolgt und deren einziger Beweggrund die Freude an ihr selbst ist, müßte eigentlich bei den Didaktikern einen hohen Stellenwert erhalten, die, der kritischen Frankfurter Schule nahestehend, funktionalistische und strukturalistische Theorien als systemstabilisierend ablehnen. Das Spiel in seinen vielfältigen Formen müßte als Möglichkeit, schöpferische Energien und Phantasie freizusetzen, von denen begrüßt werden, die Veränderungen zum erstrebenswerten Erziehungsziel erklären, die sich gegen Leistungsdrill und Anpassungsdruck wehren und der „Entfremdung" einen zweckfreien Raum gegenüberstellen wollen. Darüber hinaus drängt sich nach dem von Johan Huizinga erbrachten Nachweis vom Ursprung aller Kultur im Spiel die Vermutung auf, daß bei der engen Verbindung von Spiel und Kultur eine Vernachlässigung des einen auch Schaden für das . andere nach sich zieht. Nimmt man die Ergebnisse der neueren anthropologischen Forschung hinzu, die vom Menschen als biologischem Mängelwesen ausgeht, daraus die Notwendigkeit einer diese „organische Mittellosigkeit" kompensierenden kulturschaffenden Tätigkeit ableitet und ne-ben der Kultur als menschlichem Spezifikum die Weltoffenheit des durch Instinkte nicht festgelegten Menschen betont so scheinen weitere Gründe zu den genannten aktuellen hinzuzukommen, um den eng zusammengehörenden Begriffen Kultur, Spiel, Phantasie, intellektuelle Beweglichkeit eine überzeitliche Bedeutung zu geben. Wie gezeigt, vermag zweckfreie Beschäftigung mit Geschichte mittelbar einen wesentlichen Beitrag zu diesen Werten zu geben. Innerhalb der Erziehung kommt dem Spiel eine wesentliche Funktion bei der Persönlichkeitsfindung des Menschen zu Diese aber ist zweifellos eine Voraussetzung zu dem Erziehungsziel, das nach allgemeinem Konsensus, aber nichtsdestoweniger vage, unklar und vieldeutig, als Selbst-und Mitbestimmung politisch mündiger Bürger bezeichnet wird.

Ausgehend von der gesellschaftlich gesetzten, nicht wissenschaftlich deduzierbaren Forderung, in einer pluralistischen, demokratisch verfaßten Gesellschaft sei oberstes Lernziel aller Erziehung allgemein die Befähigung zu Selbst-und Mitbestimmung, muß gefragt werden, wie diese Leerformel konkret mit Inhalt zu füllen ist. Selbst-und Mitbestimmung des politisch mündigen Bürgers können nur sinnvoll praktiziert werden innerhalb der prinzipiell akzeptierten, nur im einzelnen in Frage gestellten Ordnung. Es ist eine sozial, individualpsychologisch und pädagogisch gefährliche Überschätzung und Überforderung, wenn man das oberste allgemeine Lernziel auf eine einengende Interpretation des Demokratiegebotes des Grundgesetzes in einer Weise festlegt, daß Selbst-und Mitbestimmung gleichgesetzt werden mit Teilhabe des einzelnen an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen zum Zweck der Aufhebung ungleicher Lebenschancen, bzw. wenn man vorgibt, der mündige Bürger sei in der Lage, aus dem institutionellen Nichts heraus „gegenüber der Gesamtheit der politischen und sozialen Institutionen“ sich frei für ihre Anerkennung oder Ablehnung entscheiden zu können. Die unter bestimmten Bedingungen legitime Konsequenz einer kritischen Distanzierung muß angesichts des zu bewahrenden und zu schützenden Wertpluralismus eine Möglichkeit unter anderen bleiben und kann außerdem erst nach erfolgter prinzipieller Identifikation und das heißt auf einem Grundbestand und Vorschuß an Vertrauen erfolgen Danach kann der solcherart politisch mündige, und das heißt „emanzipierte“ Bürger, sich für gesellschaftliches Handeln verantwortlich engagieren.

Eine wesentliche Voraussetzung aber für realistisches, reformierendes Handeln ist historisch fundierte kritische Aufklärung. Sie zu vermitteln ist Aufgabe der Beschäftigung mit Geschichte. Emanzipation als Bewußtwerden überkommener Traditionen, angeblicher Sachzwänge und vorgeblich auf anthropologische Grundkonstanten fundierter Normen, kann allein zu Selbst-und Mitbestimmung und damit zu politischer Mündigkeit in unserer Gesellschaft befähigen. Sie ist nur unter Berücksichtigung der historischen Dimension erreichbar, weshalb ein eigenständiger Beitrag des Faches Geschichte unabdingbar notwendig ist und nicht zugunsten einer wissenschaftlich nicht begründeten Integration mit Erdkunde und Politologie in einen Lernbereich unter Vorrang des letztgenannten Aspektes aufgegeben werden darf Gerade der Fachunterricht jedoch, der stärker als die Fachwissenschaft auch gesellschaftlich-politischen Zielen dient muß vor jedem wie überzeugend auch immer begründeten totalen, politische Absolutheitsansprüche stellenden Zugriff geschützt werden. Deshalb darf die wissenschaftliche Fundierung nicht aufgegeben werden. Im Gegenteil: Sie kann und muß nach den neuesten Ergebnissen der Pädagogik auf allen Schulstufen gefordert werden.

Wie eine Geschichtswissenschaft jenseits des Historismus, die dem Schulunterricht Maßstäbe setzen soll, auszusehen hätte, wurde dargestellt. Mit ihrer Hilfe könnte der Freiheitsraum des einzelnen gesichert werden. Eine hochindustrialisierte Massengesellschaft, die zunehmend von Sachzwängen bestimmt wird, hat nur dann eine Chance, als Demokratie zu überleben, wenn über der Forderung nach mehr Gleichheit — als Ruf nach Chancengleichheit in die Erziehungsreformen eingegangen — die Freiheit des Individuums nicht vergessen wird. Damit der einzelne seinen Freiheitsraum erkennt und in Anspruch nehmen kann, bedarf er der Hilfe einer Geschichtswissenschaft, die ihm durch fundiertes historisches Wissen seinen Horizont erweiternde Handlungsmöglichkeiten aufzeigt. Somit leistet eine nach-historistische Geschichtswissenschaft einen wesentlichen Beitrag zu einer von vergangenen und gegenwärtigen gesellschaftlichen Normen sich kritisch emanzipierenden und damit die Freiheit bewahrenden, in diesem Sinne konservativen politischen Haltung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die etwa seit den sechziger Jahren lebhaft geführte Diskussion um das Selbstverständnis der heutigen Geschichtswissenschaft kann hier nicht im einzelnen wiedergegeben werden. Statt dessen sei nur auf wenige Titel verwiesen, die m. E. einen guten Einstieg in die Kontroverse vermitteln, selbst eine anregende Position vertreten oder durch eine ausführliche Bibliographie weiterführen: Georg G. Iggers /Wilhelm Schulz, Artikel „Geschichtswissenschäft", in: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft, Bd. 2, Freiburg 1968, S. 914— 959; Peter Christian Ludz, Soziologie und Sozialgeschichte. Aspekte und Probleme, Opladen 1972 (= Sonderheft 16 der Kölner Ztschr. für Soziologie und Sozial-Psychologie); Joachim Radkau, Geschichtswissenschaft heute — Ende der Selbstmystifikation?, in: Neue politische Literatur 17, 1972, S. 1— 14, 141— 167 Hams-Ulrich Wehler, Theorieprobleme der modernen deutschen Wirtschaftsgeschichte (1800 bis 1945). Prolegomena zu einer kritischen Bestandsaufnahme der Forschung und Diskussion seit 1945, in: Entstehung und Wandel der modernen Gesellschaft, Festschrift für Hans Rosenberg zum 65.

  2. Vgl.den Rahmenlehrplan für den Lernbereich Gesellschaft/Politik an Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen und die Konzeption der Arbeitsgemeinschaft Gesamtschulen Niedersachsen, Fachbereich Welt-, Umweltkunde.

  3. Vgl. Gesamtverein der Deutschen Geschichtsund Altertumsvereine, Mitgliederverzeichnis, Stand 1972/73, bearb. v. Erich Kittel, Marburg/Köln 1974.

  4. Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1956.

  5. Diese These wird besonders in mehreren Veröffentlichungen von Jörn Rüsen vertreten. Auch

  6. Unter konservativ verstehe ich — vom Wortstamm „conservare" ausgehend — ein bewahrendes Verhalten. Dieses kann nur dann das als bewahrenswert Erkannte für Gegenwart und Zukunft sichern, wenn es aufgrund historischen Wissens die durch den (geschichtlichen) Wandel notwendig gewordenen Konsequenzen sach-und situationsgerecht zu ziehen imstande ist. Beschäftigung mit der Geschichte lehrt, daß überkommene Werte nur durch (Form-) Wandel zu erhalten sind. Reform als genuin konservatives Bemühen steht sowohl im Gegensatz zu starrem, reaktionärem Festhalten an überkommenem als auch zu Bejahung von Veränderungen um ihrer selbst willen und um jeden Preis. Vgl. dazu neuerdings die Ausführungen von Hermann Lübbe: „Wer ist konservativ?“, in: Die Welt, Nr. 154, 6. 7. 1974: „Konservativ ist die Kultur der Trauer über die Verluste an unwiederbringlich Gutem, die der Fortschritt kostet. Diese Trauer impliziert keine blinde Absage an den Fortschritt. Sie setzt die Einsicht, sei es in die praktische Notwendigkeit, sei es in die tatsächliche Unaufhaltsamkeit des Fortschrittes voraus, nimmt an ihm teil oder besorgt ihn sogar... Konservativ ist die Praxis der Bewahrung des Unverzichtbaren gegen seine gegenwärtigen oder vorhersehbar zukünftigen Gefährdungen. Damit ist zugleich gesagt, daß die so definierte konservative Praxis nicht durch das Interesse bestimmt ist, alles beim alten zu lassen. Wer, was er für gut, ja für unverzichtbar hält, unter bedrohlich sich verändernden Umständen retten will, muß die Bedingungen seiner Fortexistenz unter den veränderten Umständen schaffen, das heißt, er verändert, insoweit, die Umstände kompensatorisch noch einmal. Solche kompensatorische Änderung der Verhältnisse kann sogar revolutionäre Dimensionen annehmen."

  7. Die dreifache Bedeutung des Wortes auf-heben, auf die im Text angespielt wird, ist auf die von Hegel entwickelte Methode der Dialektik zurück-zuführen. Aufheben bedeutet danach sowohl emporheben (elevare), als auch bewahren (conservare), als auch vernichten, negieren (tollere). Die dialektische Methode nimmt die drei genannten Möglichkeiten in drei Schritten folgendermaßen vor: Das in der Thesis Gesetzte wird in der Antithesis aufgehoben, d. h. negiert, und dann durch Negation der Negation von neuem gesetzt, jetzt aber auf einem erhöhten, über den Ausgangspunkt der dialektischen Bewegung emporgehobenen Niveau. Daraus ergibt sich die Synthesis, die die Thesis in erhöhter Form in sich bewahrt, d. h. aufhebt. Nach: Kröner, Philosophisches Wörterbuch, Stuttgart 91974.

  8. Vgl. Rudolf Vierhaus, Geschichtswissenschaft und Soziologie, in: Geschichte heute. Positionen, Tendenzen, Probleme, hrsg. v. Gerhard Schulz, Göttingen 1973, S. 69— 83; Jörn Rüsen, Für eine erneuerte Historik. Vorüberlegungen zur Theorie der Geschichtswissenschaft, in: Denken über Geschichte. Aufsätze zur heutigen Situation des geschichtlichen Bewußtseins und der Geschichtswissenschaft, hrsg. v. Friedrich Engel-Janosi, Grete Klingenstein, Heinrich Lutz, Wien 1974, S. 227— 252.

  9. Vgl. Werner Conze, Die Strukturgeschichte des technisch-industriellen Zeitalters als Aufgabe für Forschung und Unterricht (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften, H. 66), Köln/Opladen 1957. Reinhart Koselleck spricht in mehreren Veröffentlichungen von der sogenannten „Sattelzeit“ zwischen 1750 und 1850; vgl. z. B.seine Ausführungen in: über die Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft, in: Theorie der Geschichtswissenschaft und Praxis des Geschichtsunterrichts, hrsg. v. Werner Conze, Stuttgart 1972, S. 10— 28, S. 14.

  10. Johan Huizinga, Uber eine Formveränderung der Geschichte seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Im Bann der Geschichte. Betrachtungen und Gestaltungen, Amsterdam 1942.

  11. Vgl. Jörn Rüsen, Für eine erneuerte Historik, a. a. O., S. 230.

  12. Rudolf Vierhaus, Was ist Geschichte?, in: Probleme der Geschichtswissenschaft, hrsg. v. Alföldy, Seibt, Timm, Düsseldorf 1973, S. 7— 19, S. 16.

  13. Thomas Nipperdey, Die anthropologische Dimension der Geschichtswissenschaft, in: Geschichte heute, a. a. O„ S. 225— 255, S. 225.

  14. Vgl. Rudolf Vierhaus, Was ist Geschichte?, a ». O„ S. 12.

  15. Hans Mommsen, Historische Methode, in: Fischer Lexikon Geschichte, Frankfurt/M 1961, S. 78— 91, S. 84.

  16. Der vielzitierte Ausspruch Rankes war auf die englische Geschichte bezogen, hat jedoch bei ihm durchaus allgemeine Bedeutung. Auf die Voraussetzungen aus dem deutschen Idealismus, besonders Wilhelm von Humboldts, die hier einfließen, bis zum spannungsreichen Verhältnis Rankes zu Hegel kann hier nicht näher eingegangen, sondern nur hingewiesen werden.

  17. Theodor Schieder, Zum gegenwärtigen Verhältnis von Geschichte und Soziologie, in: GWU 3, 1952, S. 27— 33.

  18. Hans Mommsen, Historische Methode, a. a. O , S. 85.

  19. Ebenda.

  20. Ebenda.

  21. Karl-Georg Faber, Theorie der Geschichtswissenschaft, München 1971, S. 142.

  22. Vgl. Rudolf Vierhaus, Geschichtswissenschaft und Soziologie, a. a. O., S. 77.

  23. Nach dem Voraufgehenden dürfte deutlich sein, daß die Gegenüberstellung von individualisierendem und generalisierendem Verfahren hier nur zur abkürzenden Verständigung verwendet wird. Neben der erfolgten Eingrenzung generalisierenden Vorgehens durch die Forderung nach Überprüfung an der Quellenlage ist weiter darauf hinzuweisen, daß jede sprachliche Benennung von individuellen Erscheinungen einen Abstraktionsvorgang beinhaltet. Die vom Historismus angenommene Verschränkung von Individiellem und Allgemeinem (s. o.) madit(e) dies Verfahren jedoch scheinbar unproblematisch.

  24. Hans Mommsen, Historische Methode, a. a. O„ S. 87.

  25. Monokausale Erklärungsversuche sind zu unterscheiden von der immer vorhandenen Notwendigkeit zur Auswahl und damit zum Setzen von Prioritäten, vom Unterscheiden nach wichtig und unwichtig und damit zur Bewertung.

  26. Thomas Nipperdey, Uber Relevanz, in: GWU 10. 1972, S. 577— 596.

  27. Ebenda, S. 584.

  28. Max Weber, Der Sinn der „Wertfreiheit" der Sozialwissenschaften, in: Soziologie. Weltgeschichtu*e Analysen, Politik, Stuttgart 1956, S. 263— 310.

  29. Thomas Nipperday, Uber Relevanz a. a. O.,

  30. Ebenda, S. 590.

  31. Ebenda, S. 590 f.

  32. Joachim Rohlfes, Welchen Beitrag kann der Geschichtsunterricht zur politischen Bildung leisten?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 30/72, S. 6.

  33. Jürgen Kocka, Zu einigen sozialen Funktionen der Geschichtswissenschaft, in: Geschichte und Sozialwissenschaften. Ihr Verhältnis im Lehrangebot der Universität und der Schule (6. Sonderheft der Neuen Sammlung), Göttingen 1972, S. 12— 17, S. 15.

  34. Jürgen Kocka

  35. Joachim Rohlfet " 1-10 S. 6.

  36. Friedrich Prinz, Wozu heute noch Geschichtsunterricht?, in: Zeitschrift für bayerische Landes-beschichte 35, 1972, S. 1032— 1037, S. 1034

  37. Ebenda.

  38. Max Weber, Der Beruf zur Politik, in: Sozio10960: a. a. O„ S. 167— 185.

  39. J. oachim Rohlfes, Welchen Beitrag .... a. a. O.,

  40. Jürgen Kocka, Zu einigen sozialen Funktionen ..., a. a. O., S. 14.

  41. Joachim Rohlfes, Welchen Beitrag .... a. a, O., S. 7.

  42. Jürgen Kocka, Zu einigen sozialen Funktionen ..., a. a. O„ S. 14.

  43. Thomas Nipperdey /Hermann Lübbe, Gutachten zu den Hessischen Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre (= Heft 1 der Schriftenreihe des Hessischen Elternvereins e. V.), Bad Homburg v. d. H. 1973, S. 16, S. 11 und S. 14

  44. Vgl. Hans Mommsen, Die hessischen Rahmen-richtlinien für das Fach „Gesellschaftslehre" in der Sicht des Fachhistorikers, in: Was sollen Schüler lernen? Die Kontroverse um die hessischen Rahmenrichtlinien für die Fächer Deutsch und Gesellschaftslehre. Dokumentation einer Tagung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, hrsg. v. Gerd Köhler und Ernst Reuter, Frankfurt/M. 1973 (Fischer TB 1460), S. 88— 97: „Die Historie wird dadurch tendenziell zum bloßen Anschauungsmaterial zur besseren Beurteilung politisch sozialer Problem-lagen reduziert. Dies ist ein Rückfall in die vorhistoristische Geschichtsschreibung, die den genetischen Bezug ebenfalls vernachlässigte, damit freilich der Gefahr manipulativer Verwendung ausgesetzt war." S. 92.

  45. Hermann Giesecke, Die neuen hessischen Rahmenrichtlinien für den Lernbereich „Gesellschaftskunde, Sekundarstufe I", ebenda, S. 61— 74, S. 71.

  46. Thomas Nipperdey /Hermann Lübbe, Gutachten a. a. O„ S. 14.

  47. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Studienausgabe hrsg. v. Joh. Winckelmann, Köln/Berlin 1964, S. 166.

  48. Ebenda, S. 1060.

  49. Hans Mommsen, Artikel Sozialgeschichte, in Fischer Lexikon Geschichte S. 314.

  50. Thomas Nipperdey, Uber Relevanz, S. 595.

  51. Johan Huizinga, Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Hamburg 1972 (rde 21). (Ers druck 1938).

  52. Arnold Gehlen, Anthropologische Forschung. Zur Selbstbegegnung und Selbstentdeckung des Men-shen, Hamburg 1961 (rde 138); vgl. auch Adolf Portmann in: Zoologie und das neue Bild des Menschen, Hamburg 51962 (rde 20), Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Aphorismus 62, spricht vom Mensdien als dem „noch nicht festgestellten Tier" und meint damit das, was man auch als embryo-nisch, unspezialisiert, als Unfertigkeit und Risikobehaftetheit seiner Konstitution bezeichnet hat.

  53. Schiller hat den Spieltrieb als schöpferischen ueb bezeichnet und die seitdem viel zitierte, Pointierte Formulierung geprägt, der Mensch spiele nur, . wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ES und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt", nedrich Schiller, Uber die ästhetische Erziehung des Menschen, 1795.

  54. Hermann Lübbe, FAZ 26. 6. 1974, Nr. 144, S. 25.

  55. Ebenda.

  56. In der Grundkonzeption des Fachbereiches Gesellschaft der niedersächsischen Gesamtschulen heißt es zur Frage der Integration: „Beim derzeitigen Wort-und Begriffsverständnis wird Integration als Zusammenführung und Vereinheitlichung von zunächst getrennt geschehenen, verstandenen oder empfundenen Bereichen, Erscheinungen und Verfahrensregeln definiert. Damit ist weder die Addition eines Nacheinander oder Nebeneinander noch eine Kooperation von im Prinzip selbständigen Einheiten gemeint, sondern eine spezielle Qualität: das einheitliche, ungeteilte Ganze." (ungedr. MS, S. 15/6) Hier wie in den heftig diskutierten Hessischen Rahmenrichtlinien und in den aus ihnen entwickelten Rahmenlehrplänen für die Gesamtschulen in Nordrhein-Westfalen wird ein Integrationsmodell vorgeführt, das weder vom Ansatz her noch in der unterrichtspraktischen Durchführung gelungen ist. Hinzu kommt eine sich in der Herleitung aus der angeblichen Einheit der Lebenserfahrung manifestierende Wissenschaftsfeindlichkeit, die dazu führt, daß an die Stelle von Fächern Lernbereiche treten.

  57. Zur Problematik des diffizilen Ausbalancierens von Ansprüchen der Geschichtswissenschaft und der Geschichtstheorie im gesellschaftlichen Kontext innerhalb der Fachdidaktik vgl. Jörn Rüsen, Zum Verhältnis von Theorie und Didaktik der Geschichte (ungedrucktes Manuskript eines Aufsatzes, erscheint demnächst in GWU).

Weitere Inhalte

Heide Barmeyer, Dr. phil., geb. 1940; Studium der Geschichte, Soziologie und Anglistik in Münster, Tübingen und Göttingen. Akad. Rätin an der Technischen Universität Hannover. Veröffentlichungen u. a.: Andreas Hermes und die Organisationen der deutschen Landwirtschaft. Christliche Bauernvereine, Grüne Front, Reichsnährstand 1928 bis 1933. Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte Bd. XXIV, Stuttgart 1971; Armand Freiherr von Dumreicher und das gewerbliche Bildungswesen in Österreich, in: Die Deutsche Berufs-und Fachschule 67, 1971, 14— 22; Annektion und Assimilation. Zwei Phasen preußischer Staatsbildung, dargestellt am Beispiel Hannovers nach 1866, in: Niedersächsisches Jahrbuch 45, 1973, 303— 336.