Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Kontinuität, Konflikt, Wandel Überlegungen zu einer Neuorientierung der Didaktik der Politik | APuZ 29/1975 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 29/1975 Artikel 1 Kontinuität, Konflikt, Wandel Überlegungen zu einer Neuorientierung der Didaktik der Politik Dimensionen sozialen Lernens Zum gegenwärtigen Diskussionsstand eines aktuellen Themas

Kontinuität, Konflikt, Wandel Überlegungen zu einer Neuorientierung der Didaktik der Politik

Uwe Dietrich Adam

/ 46 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die heutige Welt ist gekennzeichnet durch eine immer schnellere Veränderung sozialer, ökonomischer und technologischer Verhältnisse, Die Lebensbedingungen des einzelnen, sein individuelles Verhalten wie sein soziales und politisches Handeln werden mittelbar oder unmittelbar von diesen Veränderungen beeinflußt, wenn nicht sogar entscheidend bestimmt. Wenn es richtig ist, daß die Dynamik der beobachtbaren Wandlungserscheinungen von erheblicher Bedeutung für das Verständnis gesellschaftlicher und politischer Prozesse ist, dann besteht ein berechtigter Grund, diese Tatsache zum Gegenstand politischen und sozialen Lernens zu machen. Eine solche Absicht erfordert eine Umorientierung bisheriger didaktischer Konzeptionen. Insbesondere wird hier auf die „Konfliktdidaktik" eingegangen. Sie scheint wenig geeignet, vergangene und anstehende Veränderungen im strukturellen Gefüge von Gesellschaften adäquat didaktisch zu erfassen und umzusetzen. Der Verfasser hält es deshalb für nützlich, den Begriff des „Konflikts“ enger mit Aspekten des Sozialen Wandels zu verbinden. Zu diesem Zweck werden einige Ansätze zum Forschungsbereich des Sozialen Wandels vorgestellt, um an diesen Beispielen sodann aufzuzeigen, welchen Fragestellungen ein darauf basierender didaktischer Ansatz zu folgen hätte und welche besonderen Vorteile gerade aus fachdidaktischer Sicht zu erhoffen sind.

In diesem Beitrag geht es um die immer schnellere Veränderung unserer Lebensgewohnheiten und Lebensbedingungen. In Verbindung mit diesem Tatbestand muß die Frage gestellt werden, ob es für nützlich oder wünschenswert gehalten wird, jene Wandlungsvorgänge, in deren Mittelpunkt sich der Mensch als passiv oder aktiv Handelnder befindet, dem einzelnen bewußt zu machen. Sofern man diese Frage bejaht — und es gibt gute Gründe, sie positiv zu beantworten —, so verweist dies auf die Aufgabe eines Unterrichtsfaches, das unter den verschiedensten Bezeichnungen auftritt (Politischer Unterricht, Sozialkunde, Gemeinschaftskunde, Weltkunde etc.), im weitesten Sinn jedoch den Zweck hat, den jüngeren Staatsbürger in den politisch-sozialen Bereich von Staats-und Gesellschaftsordnungen einzuführen.

Damit sind zwangsläufig die bestehenden didaktischen Theorien, Modelle und Konzeptionen angesprochen, die für den Politischen Unterricht entwickelt wurden. Schließt man sich der Auffassung an, daß das zentrale Problem dieses Beitrags von nicht unerheblicher Bedeutung für das Verhalten des politischen Bürgers ist, so kann gleichzeitig die Behauptung gewagt werden, daß die bestehenden didaktischen Überlegungen über die Aufgaben, Ziele und Inhalte einer Didaktik der Politik den Sachverhalt der Veränderung unseres Lebens kaum hinreichend berücksichtigten.

Diese Feststellung wird am Beispiel des wohl meistverwendeten und meistdiskutierten didaktischen Entwurfs, der gemeinhin unter dem Begriff „Konfliktdidaktik“ bekannt wurde, näher verdeutlicht werden. Damit ist auch der Rahmen des Beitrags vorgegeben. Der Begriff . Kontinuität" wird dabei als gleichsam apriorisch angesehen, auf Grund der Tatsache, daß Wandlungen und Veränderungen nur dann ins Bewußtsein treten, wenn sie sich vom kontinuierlich Bestehenden abheben. Auf die zweifellos interessanten Beziehungen zwischen Kontinuität und Wandel kann wegen der Komplexität des Themas hier nicht näher eingegangen werden.

Es geht an dieser Stelle nicht um den Entwurf einer neuen didaktischen Theorie für die Ziele und Inhalte eines Unterrichtsfachs, sondern einzig um einige Hinweise auf und um Belege für einen Sachverhalt, den wir hier noch ganz allgemein als „Veränderung“ bezeichnen und von dem wir annehmen, daß er sich als pädagogisch und didaktisch fruchtbar erweisen kann, wenn wir ihn in Anlehnung an ein sich fortlaufend erweiterndes Forschungsfeld unter dem Terminus „Sozialer Wandel“ betonter generalisieren und charakterisieren können.

Vom Leser wird Verständnis dafür erwartet, daß die Fragestellungen und Forschungsbereiche, die für Sozialen Wandel relevant sind, nur sehr grob angerissen werden können. Ein gleiches gilt für die Beschreibung von Theorie-ansätzen zur Didaktik der Politik. Sie werden nur insoweit berücksichtigt, als sie in unmittelbarer Verbindung zu den Überlegungen dieses Themas stehen.

In der methodischen Darstellung wird folgender Weg für zweckmäßig erachtet: Am Beispiel einiger Entwicklungen, die einmal in die Vergangenheit, dann in die Zukunft weisen, soll aufgezeigt werden, in welchem Ausmaß sich unsere Umwelt änderte und welche tiefgreifenden Einwirkungen zukünftige Entwicklungen auf das Leben des einzelnen ausüben können. Sodann wird belegt werden, aus welchen theoretischen Beschränkungen heraus die Konfliktdidaktik wenig geeignet ist, die beschriebenen Entwicklungen adäquat zu erfassen und inhaltlich umzusetzen. Nach einem Überblick über einige differierende Ansätze zu Theorien des Sozialen Wandels, unterteilt in die Begriffe „Fortschritt" „Modernisierung" und „Sozialer Wandel", wird abschließend der Versuch unternommen, einige allgemeine Erkenntnisse festzuhalten, um sie in einem Begründungszusammenhang für eine Neuorientierung der Didaktik der Politik zu strukturieren.

Allgemeine Entwicklungen und aktuelle Probleme

Wer, sofern er einer älteren Generation angehört, erinnerte sich nicht des simplen Vorgangs, in einem Kolonialwarenladen einen Gegenstand des persönlichen Bedarfs einkaufen zu müssen: Zucker wurde umständlich aus einem Sack in eine Tüte gefüllt und abgewogen, Speiseöl aus einem Faß in einen mitzubringenden Behälter gefüllt, jeder oder die meisten Gegenstände gingen zuerst durch die Hand des Händlers. Der Vorgang des Umfüllens, Einpackens und des Wiegens nahm Zeit in Anspruch, die zumeist durch ein mehr oder weniger belangloses Zwiegespräch verkürzt wurde. Oder man denke an die Zeit, als das Fernsehen noch nicht oder nur wenig verbreitet war, als man nicht unmittelbar am aktuellen Geschehen teilnehmen konnte, der Besuch von Filmtheatern zur Freude dieser Branche noch zur Regel gehörte und die Popularität eines Schauspielers oder Politikers selten nur von einer Vielheit optisch und akustisch überprüft werden konnte. Wie verlebte man die Wochenenden oder den Ferienurlaub, als das Kraftfahrzeug noch keine Innenstädte überfüllte und Flugzeuge noch nicht dem Massentourismus an betonbebaute „Sonnenstrände" dienten?

Die hier aufgezählten Vorgänge liegen kaum mehr als fünfzehn, höchstens dreißig Jahre zurück. Vergegenwärtigt man sich nur die in den angesprochenen Bereichen zu vergleichenden Entwicklungen, so wird erkennbar, daß sie zu sozialen und wirtschaftlichen Umbrüchen von erheblichem Ausmaß führten. Der Supermarkt, das Fernsehen als Massenmedium, die Autoindustrie und der Massentourismus stehen nicht allein für gewaltige neuartige Industrie-und Arbeitsbereiche, noch stärker greifen sie in unser Leben ein; ja sie haben die Struktur des sozialen Systems „Bundesrepublik" in einem Ausmaß verändert, das beispiellos erscheint, vergegenwärtigt man sich den Einfluß, der von diesen Bereichen auf das Gesamtsystem ausgeht und das individuelle Schicksal und die Lebensgewohnheiten von Hunderttausenden entscheidend bestimmt.

Reichen die skizzierten Entwicklungen in die Vergangenheit zurück, so weisen jüngere Ereignisse in die Zukunft. Wissenschaftliche Computersimulationen von Weltmodellen führten zur Frage nach den Überlebenschancen der Menschheit Mit drastischer Eindringlichkei mußte die Bevölkerung der Industrienationei im Zusammenhang mit der Ölkrise die Tatsache zur Kenntnis nehmen, daß ihre technologisch-ökonomischen Systeme höchst verwundbar und auf längere Sicht Umstellungen größeren Ausmaßes kaum vermeidbar sind. Diese Umstellungen berühren nicht allein die Ausgaben-politik der öffentlichen Hände, die Investitionspolitik und die Veränderung ganzer Industriezweige, sondern sie werden infolge tief-greifender Wandlungen der Arbeits-und Wirtschaftsprozesse auf längere Sicht auch die Einstellungen und Erwartungen breiter Bevölkerungsschichten fühlbar beeinflussen.

Diese weltweite Situation ist nicht allein gekennzeichnet durch die Verknappung des Lebensraums bei progressiver Zunahme der Weltbevölkerung, durch immer stärkere Industrialisierung und Umweltverschmutzung, sondern noch durch zusätzliche Tendenzen: einmal die Akkumulierung riesiger Geldkapitalien auf Seiten der erdölproduzierenden Länder und internationaler Konzerne zum anderen die Verschiebung der Gewichte im Welthandel durch den schnellen Anstieg der Rohstoffpreise Ferner läßt sich die Beobachtung machen, daß sich nicht nur die Kluft zwischen den Ländern der armen und reichen Welt beständig ausweitet, sondern daß unter den Ländern der „Dritten Welt" weitere „Unterklas-, sen" von Staaten entstehen, die weder über Kapitalien noch über Rohstoffvorkommen verfügen und deren Wachstumsraten kontinuierlich sinkende Tendenz aufweisen

Was sich im globalen Umfang in der Summe seiner Erscheinungen als eine Beschleuni-gung von Entwicklungsvorgängen darstellt, ist nicht minder auch auf der Ebene staatlich verfaßter Gesellschaften wirksam, wenn auch transformiert nach je gegebenen historischen, sozialen, politischen und ökonomischen Vorausbedingungen. Die Phänomene, vor denen wir zur Zeit stehen, signalisieren Krisen und Konflikte; sie sind indes wiederum gleichzeitig Antworten auf Veränderungen, denen unsere Gesellschaft stärker denn je zuvor ausgesetzt ist. Wollte man nach einem Terminus suchen, mit dem sich die aufgezeigten Veränderungen allgemein erfassen ließen, so bietet sich der Begriff des „Sozialen Wandels" an.

Nun ist der Wandel von und innerhalb von Gesellschaften keinesfalls ein neuartiges oder nur für die Gegenwart relevantes Problem. Zumindest den sogenannten abendländisch-christlichen Gesellschaften ist diese Eigenschaft eigentümlich, wenn nicht sogar immanent, so daß man diese besondere Gruppe auch in der Kategorie der „Wandlungsgesellschaften“ zusammenfaßt. Dieser einstmals nur für den spezifischen Typ des westlichen Kulturkreises beobachtbare Wandel, dessen dynamisierende Faktoren sich vorwiegend auf das Syndrom „technologischer Wandel" verengt haben, ist in der Gegenwart zu einem beherrschenden Gesichtspunkt der Weltgesellschaften geworden und treibt mit einer Intensität und Schnelligkeit voran, der vergangene historische Epochen beinahe als statisch erscheinen läßt. Ausmaß und Richtung dieses Wandels sind in einem Maß umstritten, die Ziele von Gesellschaften derart abhängig von vermutlichen Entwicklungen, daß der Begriff des „Wandels“ zu einem wissenschaftlichen und politischen Kriterium ersten Ranges wird.

Die Veränderung der Lebensbedingungen und die Didaktik des Konflikts

Gleichgültig, ob man die Entwicklungen der letzten dreißig Jahre oder die Probleme kommender Jahrzehnte beschreibt, nur professionelle Optimisten oder Ignoranten werden die Relevanz der aufgezeigten Wandlungserscheinungen für unser Leben bestreiten. Damit ist jedoch gleichzeitig bereits ein didaktisches Prinzip angesprochen, wenn wir nämlich die Bedeutung eines Sachverhalts zum Kriterium für die Auswahl der Gegenstände machen, denen sich unsere Aufmerksamkeit zuwenden soll. Dies muß noch kurz verdeutlicht werden. Es gilt, sich daran zu erinnern, daß jeglicher Erziehung ein Katalog von Erwartungen zugrunde liegt, indem man, von einer bestimmten Zukunft ausgehend, Wissensnotwendigkeiten und Verhaltensnormen deduziert, von denen man glaubt, der Educandus werde niit ihrer Hilfe befähigt werden, gegenüber den Anforderungen Seiner Umwelt zu bestehen. Der Anspruch eines Politischen Unterrichts, sofern er nicht als bloße Institutionenkunde verstanden wird, geht über dieses Ziel hoch hinaus. Der künftige Staatsbürger soll nicht nur den Anforderungen seiner Umwelt gerecht werden, er soll bewußt und aktiv für ein Gesellschaftssystem eintreten, das ihm . als „Umwelt" erstrebenswert erscheint. Die allgemeine pädagogische Erwägung, der Schüler möge sich in einer künftigen Gesellschaft zurechtfinden, ist insbesondere im Politischen Unterricht nur dann realisierbar, wenn dem Schüler die Erkenntnis bewußtgemacht wird, daß seine Lebensbedingungen und Lebenschancen in einen Prozeß eingebunden sind, der als Sozialer Wandel erklärt werden kann.

Wenn wir als didaktischen Ort dieser Aufgabe den Politischen Unterricht voraussetzen, so fragt sich, ob die didaktischen Konzeptionen dieses Unterrichtsfachs geeignet sind, diesen allgemein formulierten Anforderungen zu genügen, d. h.den Prozeß Sozialen Wandels bewußt zu machen. Diese Frage soll hier betont auf diejenigen didaktischen Konzeptionen eingeengt werden, die auf dem Konfliktbegriff aufbauen.

Seit dem erstmaligen Erscheinen von Hermann Gieseckes „Didaktik der politischen Bildung" ist der Konfliktbegriff zum Drehpunkt nahezu aller Ansätze der „politischen" Didaktik geworden. Dies sollte nicht in dem Sinne mißverstanden werden, als würde die Anwendung dieses Begriffes und dessen inhaltliche Implikationen allgemein akzeptiert. Es sind zur Didaktik des Konflikts aus zum Teil sehr unterschiedlichen Lagern lebhafte Einwände* erhoben worden die indessen die schnelle Ausbreitung und Anwendung dieser Konzeption nicht ernsthaft behindern konnten. Ohne auf die sehr abstrakten Auseinandersetzungen einzugehen und ohne die weitreichenden Modifikationen zu erläutern, denen Giesecke die eigene Position unterzog soll hier nur der Frage nachgegangen werden, welche Funktionen der Konfliktbegriff erfüllt und was er leistet. Da Giesecke die fundamentalen Aussagen über den Konfliktbegriff unzweifelhaft von Ralf Dahrendorf übernommen hat, soll zuvor dessen Konflikttheorie Erwähnung finden.

Nach Dahrendorf sind Konflikte allgegenwärtig, d. h., wo immer Leben als gemeinccnaftliches Leben abläuft, liegt es in der Natur der Sache, daß Konflikte auftreten Unter »Konflikt" versteht Dahrendorf „alle strukturell erzeugten Gegensatzbeziehungen von Normen und Erwartungen, Institutionen und Gruppen“ Damit ist ausgesagt, daß Konflikte auf allen Ebenen und Stufen sozialer Organisationsbeziehungen auftreten Bedeutsam ist noch, daß Dahrendorf der US-amerikanischen Unterscheidung in funktionale (=systemerhaltende) und disfunktionale (=systemzerstörende) Konflikte nicht folgt, sondern jeder Art und Form von Konflikten eine wichtige soziale Funktion zuspricht, insofern jeder Konflikt soziale Beziehungen, Verbände und Institutionen lebendig erhält und vorantreibt Neben einem allgemein heuristischen Aspekt dieser Theorie, der sich in der Zuversicht äußert, mittels der Konfliktanalyse Gesellschaften und deren Bewegungen besser begreifen und erfassen zu können steht ein pragmatischer Gesichtspunkt: Die Manifestation von Konflikten — unter der Voraussetzung, daß jene als soziale Tatsache anerkannt werden — erleichtert die Feststellung sozialer Spannungen und deren Regelung

Die allen Konflikten letztlich zugrunde liegenden Ursachen sind bestimmt durch die Begriffe „Herrschaft“ und „Zwang“. Sie erst bringen die Konflikte in der Gesellschaft hervor bzw. halten sie wach Herrschaft wird somit zu einem Immanenzprinzip von Gesellschaften schlechthin; sie ist nicht monokausal an die Verfügungsgewalt über Eigentum geknüpft, sondern eine „universelle Erscheinung, die auch ohne das Bestehen kapitalistischer Eigentumsverhältnisse die ausschlaggebende Rolle im sozialen Leben spielt" Herrschaft entstehe aus einer anthropologischen Tatsache, nämlich aus der wenig sozialen Natur des Menschen, die die sozialen Instanzen immer wieder zwinge, auf die Befolgung jeweils gültiger sozialer Regeln zu dringen Im Prozeß zunehmender Funktionsdifferenzierungen entstehen positioneile Differenzierungen und damit auch Interessendifferenzierungen; beides führt zu individuellen über-und Unterordnungsverhältnissen und somit potentiell zu Konflikten

„Herrschaft“, legitimiert durch die Erwartung, die sich an gesellschaftliche Positionen knüpft, und abgesichert durch ein System von Sanktionen, bezeichnet demnach eine bestimmte Position innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie, die nach je gegebenen Funktionen mit spezifischen Kontrollrechten ausgestattet ist Giesecke übernimmt nun aus der Dahrendorfsdien Theorie des sozialen Konflikts primär den Konflikt, begriff" und dessen Begründung wobei er für seine didaktischen Zielsetzungen das theoretische Aussagensystem vereinfacht. Ausgehend von der Annahme, daß der Konflikt eine gesellschaftliche Tatsache darstelle, entwirft Giesecke ein didaktisches Modell, dessen wesentlichen Elemente aus Fragestellungen gebildet werden, die unmittelbar auf die Bedeutung und Funktion von Konflikten abzielen Definiere ich „Didaktik“ als das wissenschaftliche Fragen nach dem Warum, Wozu, Was und Wie des Lehrens und Lernens so vermag ein am Konfliktbegriff ausgerichteter Politischer Unterricht diese Fragen geschlossen zu beantworten. Läßt man die methodische Frage (Wie) außer Ansatz, so erhält man folgendes Raster: Der Konflikt ist ein allgegenwärtiges Phänomen in allen Gesellschaften, von überragender Bedeutung für den Ablauf sozialer Interaktionen und zugleich der nähere Bestimmungspunkt dessen, was als „politisch“ verstanden werden soll: „Politisch ist das, was in einer Gesellschaft umstritten ist oder wird." Die Bedeutung der sozialen Tatsache „Konflikt“ rechtfertigt insofern den darauf basierenden didaktischen Ansatz.

Läßt man bei der Frage nach dem „Wozu“ die obersten Lernziele außer Betracht, so kann man vereinfachend sagen, daß der Schüler Einstellungen, Verhaltensweisen und Fähigkeiten erlernen soll, die ihn in den Stand setzen, sich in einer von Konflikten beherrschten Welt ein eigenes Urteil zu bilden Letztlich gestattet die Anwendung des Konfliktbegriffs unter den prinzipiell unendlichen Fakten und Begebenheiten aes „Politischen", den Gegenstand des Unterrichts einzugrenzen. Er bestimmt also die Frage nach dem „Was" und erleichtert somit die Auswahlproblematik

Gleichgültig, ob man nun die Reduktion von Lerninhalten auf den Konflikt als „verschleierte Ideologisierung“ oder als „Hypostasierung der Konflikt-Idee“ kennzeichnet, es bleibt die Erkenntnis, daß noch am ehesten der Konfliktbegriff geeignet erscheint, gewisse typische Merkmale des Politischen in einen didaktischen Zusammenhang zu bringen. Indes muß der Zweifel angemeldet werden, ob der Politische Unterricht sich darin erschöpfen kann, vornehmlich der Vorbereitung auf ein Leben in und mit Konflikten zu dienen Eine der Gefahren der Konfliktdidaktik liegt sicherlich in der Verengung einer soziologischen Theorie genereller Reichweite auf eine ständig wechselnde politische und soziale Realität, ein Verfahren, vor dem auch Dahrendorf gewarnt hat Die mögliche Folge liegt zum einen darin begründet, daß wegen des Vorhandenseins von Konflikten auf allen Ebenen ein genuin politischer Konflikt kaum noch erkannt wird. Eine andere negative Folge könnte darin bestehen, daß die ständige Darstellung von Konfliktpotentialen in der Gesellschaft zu einer gewissen Indolenz gegenüber Konflikten überhaupt führt Und zuletzt muß angemerkt werden, daß die am Konfliktbegriff orientierte Definition des „Politischen" in der Didaktik derart weit von fach-wissenschaftlichen Definitionen abweicht, daß eine Übereinstimmung der Objekte, auf die sich Politik bezieht, nur schwer zu erzielen ist

Die Fruchtbarkeit der Konfliktdidaktik steht, trotz mancher Bedenken, außer jedem Zweifel. Was vermag sie aber nicht oder nur unvollkommen zu leisten? Erinnern wir uns: Die Konfliktanalyse bezweckt die Aufdeckung einer strukturell erzeugten Gegensatzbeziehung; diese Gegensatzbeziehung kann sowohl dualistisch — wie bei Dahrendorf — oder als Antinomie — wie in marxistisch orientierten Ansätzen — gesehen werden Damit ist aber auch der neuralgische Punkt der Konfliktdidaktik bereits genannt: Wenn Gegensatzbeziehungen strukturell erzeugt werden, die Struktur jedoch selbst sich sukzessive verändert, dann muß doch offensichtlich die Analyse einer Konfliktsituation wesentlich von vollzogenen und anstehenden Strukturveränderungen mitbestimmt werden. Versteht man unter Struktur die Menge der Relationen, die die Elemente eines (gesellschaftlichen) Systems miteinander verbinden, so dürfte zugleich klar sein, daß sich sowohl die Elemente als die Beziehungen zwischen ihnen fortlaufend verändern. Der Konflikt indessen ist nur der Ausdruck eines gegebenen Beziehungsgefüges, das unter der verkürzten Perspektive einer aktuellen Handlungssituation eine Bedeutung gewinnt, die einzig durch den Ist-Bezug legitimiert ist, vergangene und künftige Strukturveränderungen jedoch negiert Es sollte also nicht Sinn und Zweck einer Didaktik der Politik sein, vorwiegend statische Relationen abzubilden, sondern entscheidend sind die Veränderungen von Strukturen und Funktionen, die ihnen möglicherweise zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten und allgemeinen Entwicklungstendenzen. Die einleitend angesprochenen Probleme, in denen sich Wandlungsvorgänge spiegelten, geraten einer Konfliktdidaktik zum Teil deshalb aus dem Blickfeld, weil in ihnen entweder ein Konflikt nicht angelegt ist (man erinnere sich an die Veränderungen der Kaufgewohnheiten) oder weil die anstehenden Probleme derart komplex sind (man denke an die Differenzierung zwischen armen und sukzessive verarmenden Staaten), daß die Reduzierung auf eine Gegensatzbeziehung den Sachverhalt eher verschleiert als zu analysieren imstande ist Es wird ein erstaunliches Phänomen bleiben, daß die gegenwärtig führende Richtung in der Didaktik der Politik zwar dem Konflikt derart viel Aufmerksamkeit widmete, den dem Konflikt zugeordneten Komplementärbegriff des „Wandels" jedoch weitgehend ignorierte. Innerhalb der Konflikttheorie bildet der Konflikt keine isolierte Größe, sondern wird zum Agens einer Entwicklung, die in der Frage kumuliert „Was treibt Gesellschaften voran?" Unter der Voraussetzung, daß „Wandel“ ein ebenso allgegenwärtiges Phänomen wie „Konflikt" darstellt, kann die Schlußfolgerung gewagt werden, daß Konflikte Wandel erzeugen der Wandel wiederum jeweils neue, nicht erwartbare Konfliktsituationen hervorbringt. Wandel und Konflikt können allerdings kausal nicht eindeutig einander zugeordnet werden Bedeutsam ist allein, daß neben allen weiteren möglichen Ursachen und Faktoren für Sozialen Wandel Konflikte einen wesentlichen, wenn nicht sogar den entscheidenden Faktor abgeben Diese Annahme verweist auf die funktionale Interdependenz von (Konflikt und Wandel, indem die Intensität oder Gewaltsamkeit von Konflikten zu Parametern für das Tempo und die Radikalität von Wandlungsvorgängen werden eine Annahme, die auch vice versa Gültigkeit beanspruchen muß

Während nun der Konfliktbegriff im weitesten Umfang in didaktische Ansätze und Modelle zum Politischen Unterricht eingegangen ist, wurde selbst in theoretischen Überlegungen dem Gesichtspunkt des Wandels wenig Beachtung geschenkt, obgleich nur wenige Autoren es unterlassen, über die Notwendigkeit von „Veränderungen" zu sprechen Aspekte des Wandels werden zwar erwähnt, indessen sind sie eher Randerscheinungen, die im Umfeld sogenannter „aktueller Probleme“ angesiedelt werden Nicht wesentlich anders zeigt sich dieser Sachverhalt in den neueren Lehrplänen einzelner Bundesländer: Die ausgeworfenen obersten oder allgemeinen Lernziele weisen zwar auf die Notwendigkeit bzw. Möglichkeit von Veränderungen in den Gesellschaftsformationen hin ohne daß jedoch diesen Hinweisen eine adäquate didaktische Hinführung auf Wandlungserscheinungen angeschlossen würde. Dies ist um so erstaunlicher, als keiner dieser Lehrpläne den Begriff „Konflikt" vermissen läßt und von diesem Ansatz her zumindest ein Weg zum Faktum von Wandlungsvorgängen sich förmlich aufdrängt. Wenn indessen einmal auf Wandlungserscheinungen hingewiesen wird oder wenn gesellschaftliche Veränderungen in ihrem Prozeßcharakter dargestellt werden, dann obsiegen zumeist die Inhalte; Wandel wird solcherart eher zu einem marginalen, zufälligen Begleitprodukt inhaltlicher Stoffangaben als zu einem wesentlichen Faktor des Gegenstands selbst

Sozialer Wandel, Modernisierung, Fortschritt

Der Begriff des „Sozialen Wandels", mit dem eine Fülle unterschiedlicher Sachverhalte und Tendenzen zusammengebunden wird, entstammt zwar einer relativ jungen Forschungsrichtung, der Gegenstand, um den es geht, scheint jedoch so alt zu sein wie das Bedürfnis des Menschen nach dem Wissen selbst. Von Heraklits „Alles fließt“ bis in unsere Tage galt das bevorzugte Interesse vieler Wissenschaftler der Frage, wohin sich die Menschheit entwickle, ob diese Entwicklung gesetzmäßig oder regellos verlaufe und an welchen Tendenzen oder mittels welcher Indizien sich diese Entwicklung verfolgen ließe. Die hierzu geleisteten Forschungsvorhaben sind bereits Legion, so daß an dieser Stelle nur einige Ansätze vorgestellt werden können, wobei als Leitlinie primär die Fragestellung dient, einmal diejenigen Theorieansätze vorzustellen, die noch heute aktuell sind, zum anderen nur solche zu skizzieren, die in ihrer Allgemeinheit exemplarisch für die Bandbreite vieler Arbeiten sind Die bestehenden Ansätze sollen der besseren Übersichtlichkeit wegen zwei Richtungen zugeordnet werden, deren eine mehr auf die Idee des Fortschritts abzielt, während die andere stärker den technologischen Aspekt der „Modernisierung“ be-• tont.

Wenn man Dahrendorfs Prämisse folgt — und damit auch unausgesprochen manchen Überlegungen in der Konfliktdidaktik —, dann sind die Bedingungen und die Intensität des Wandels weitgehend abhängig von der Existenz von Konflikten und der Rationalität ihrer Regelungen Insofern müßte auch die Behauptung richtig sein, daß ohne Konflikte auch keine technischen Wandlungen stattfinden oder zumindest nur geringe Auswirkungen zeitigen. In einer erweiterten Fragestellung lautet das Problem: Inwieweit gibt es autonomen- technischen Wandel, der quasi als „Sachzwang" Gesellschaften zu Veränderungen zwingt, ohne daß der Konfliktmechanismus hierbei wirksam wird?

Eine der möglichen Antworten liegt sicherlich im Bereich der mehr zufälligen Erfindungen, die im Sinn ihres augenscheinlichen, dem technischen Standard eines sozialen Systems adäquaten Nutzens von weittragenden Wirkungen sein können. So ließe sich z. B. zeigen, daß Erfindungen oder deren Einführung zu größeren Umwälzungen führten, als dies mit kon-flikttheoretischen Ansätzen vereinbar wäre, was für eine relative Autonomie des technischen Sektors spräche

Man könnte für den Beleg, daß technische Erfindungen Wandlungsprozesse einleiten und verstärken, noch genügend Beispiele anführen William F. Ogburn hat den Prozeß technologischer Entwicklungen zum Anlaß genommen, darauf seine Theorie des „cultural lag“ aufzubauen. Diese „kulturelle Phasenverschiebung" ist gekennzeichnet durch das „Vorauseilen“ des technischen Teilsystems, das die anderen Teilsysteme (politische, soziale) mittelbar oder unmittelbar beeinflußt und zum Reagieren zwingt Dieser technologische Druck wird insbesondere vom politischen und kulturellen Teilsystem nur mit Verzögerungen nachvollzogen wodurch sich schwerwiegende Systemkrisen oder Systemstörungen ergeben, die mit den „nachhinkenden" Wertvorstellungen, Einstellungen und Verfahrensweisen nur schwer bewältigt werden können

Als Fazit zu dieser Annahme des in schneller Veränderung befindlichen technologischen Teilsystems, der verspätet einsetzenden Wandlungen anderer Systeme mit ihren unzureichenden Regulierungsmechanismen, verbleibt die Erkenntnis, daß „unsere Gesellschaft mit ihren zahlreichen Institutionen und Organisationen sich bei der Anpassung an die wirbelnde technische Umwelt einer beinahe unlösbaren Aufgabe gegenübersieht" Unter Berücksichtigung der Konflikttheorie würde diese Aussage dergestalt modifiziert werden müssen, daß die wesentlichen gesamtgesellschaftlichen Konflikte erst dann manifest werden, wenn technologische Veränderungen einen Schwellenwert erreicht haben, der mit den verfügbaren Instrumentarien nicht mehr beeinflußbar erscheint

Die letzte Überlegung verweist auf einen Aspekt, der heftig umstritten ist und unter dem Rubrum „Abhängigkeit der Gesellschaft von der Technik" oder „Beeinflussung des technischen Wandels durch gesamtgesellschaftliche Zielsetzungen" jeweils partielle Gesichtspunkte einer allgemeinen Gesellschaftstheorie in den Mittelpunkt rückt. Die widerstreitenden Positionen lassen sich dabei letztlich auf konfligierende wissenschaftstheoretische Überzeugungen und Wertvorstellungen zurückführen. Während z. B. Gehlen und Schelsky die Auffassung vertreten, die technologische Entwicklung vollziehe sich mit einer gewissen Eigengesetzlichkeit, die das Individuum mangels entsprechendermoralischer Fortschritte sukzessiv auf die Wahl vorgegebener, immer schmaler werdender Alternativmöglichkeiten beschränke behauptet Habermas die prinzipielle Freiheit des Menschen, sich diejenigen Ziele zu setzen, die ihm vermittelst der Technik zu einem Leben in Freiheit und ohne Zwang verhelfen Die Überzeugung von Habermas beruht ohne Zweifel auf Grundgedanken von Marx, der zwar die eigenständige Rolle der Technologie betonte, diese aber gemäß seiner Gesellschaftstheorie immer in Beziehung setzte zu einem jeweils gegebenen Stand der Produktionsverhältnisse Für Marx sind die Produktivkräfte — also die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften — ein autonom forttreibender Prozeß, dem im übergreifenden Feld der Produktionsweise die jeweils adäquaten Produktionsverhältnisse nachfolgen Während indes nach marxistischer Theorie die technische Entwicklung von selbst fortschrittlich verläuft und allenfalls von den Produktionsverhältnissen beschleunigt oder gehemmt werden kann ist nach Habermas die Lenkung dieses „Fortschritts" möglich, ja zwingend notwendig Diese Idee des „Fortschritts" gibt dabei die ursprüngliche Anschauung des Wandels wieder. Es handelt sich hierbei um den Gedanken einer notwendigen, auf innere oder äußere Zwecke abhebende Entwicklung, verbunden mit der Überzeugung eines finalen Prozesses. Diese Idee findet sich bereits bei antiken Autoren wird vom Christentum aufgenommen und hat in der Gegenwart ihre engagierten Vertreter in den Anhängern von Marx.

Während das Christentum Fortschritt als ein Zeichen der Annäherung des Menschen an den göttlichen Heilsplan definierte oder als eine immer tiefer greifende kontemplative Erkenntnis vom Wesen Gottes verkehrt sich Fortschritt seit dem Zeitalter der Aufklärung zum Glauben an die Bestimmung des Menschen selbst. Nicht mehr ein transzendentes Prinzip, das letztlich den Menschen nur als Objekt sieht, sondern die Überzeugung von der Vernunft des Menschen beherrscht fortan die Idee Dieser Fortschrittsglaube, konkretisiert in einer Vermehrung des Wissens, erhielt von Kant seine ihm eigentümliche deutsche Wendung, insofern der technische und institutionelle Aspekt bei ihm in den Hintergrund rückte und Fortschritt von nun an ganz wesentlich als ein „Fortrücken der Kultur" und der „Moralität" angesehen wurde Diese kulturspezifische Idee des Fortschritts wurde in England und Frankreich nicht in gleichem Umfang geteilt. Während in Deutschland Hegel seinen Fortschrittsglauben an die gesetzlich-dialektische Entwicklung eines Weltgeistes band, rückten Saint-Simon und, in dessen Nachfolge, Augustin Comte die wissenschaftlich-technischen Errungenschaften in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Für Saint-Simon bot die sich anbahnende Industrialisierung zum erstenmal die Möglichkeit eines geplanten, wissenschaftlich kalkulierbaren Wandels. Fortschritt wird bei ihm primär die Erfüllung menschlicher Bedürfnisse, für Comte im „positiven“ Stadium die fortschreitende Erkenntnis von den Gesetzen der Natur und des Menschen

Diesen weitgehend spekulativ-idealistischen Fortschrittslehren, die weit mehr eigenen Wünschen und Vorstellungen als einer „positivistischen" Betrachtung der Wirklichkeit folgten stellte Marx sein materialistisches Weltkonzept des Fortschritts gegenüber. Er erkannte als erster die Natur des Sozialen Wandels in den interdependenten Beziehungen zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, zwischen Basis und überbau, Mehrwert und Verelendung, Kapital und Arbeitsteilung Nach Marx setzte der für ihn eigentlich interessante kapitalistische Entwicklungsprozeß zu dem Zeitpunkt ein, als man erkannte, daß die Umsetzung von handwerklicher in Manufakturarbeit einen höheren Ausnutzungsgrad der Arbeitskraft ermöglichte und durch die „Umwälzung der gesellschaftlichen Betriebsweise" dem Manufakturbesitzer ein „Mehr" an Kapital garantierte. Dieser Prozeß der wachsenden Kapitalakkumulation wird somit auch zu einem Motor des technischen Fortschritts, da der Kapitaleigner daran interessiert war, nach Erreichen der physisch-technischen Grenzen der menschlichen Arbeitskraft künstliche Antriebs-und Arbeitsmittel zu entwickeln, welche ihm einmal den notwendigen Vorsprung auf dem Markt sicherten, ihm zum anderen aber auch eine höhere Mehrwertrate garantierten

In diesem Wechselwirkungsgefüge aus Kapital — Arbeit — Technik — Kapital ist der dynamische, sich selbst forttreibende Prozeß sozialer Wandlungsvorgänge eingeschlossen, wobei die diesem Prozeß innewohnenden Widersprüche selbst wieder zur Beschleunigung und letztlich zum Untergang dieses Systems beitragen Sozialer und technologischer Wandel sind bei Marx untrennbar verbunden; Fortschritt läßt sich quantifizierend benennen als Grad der Annäherung an einen mit absoluter Sicherheit eintreffenden Zustand der geschichtlichen Entwicklung von Gesellschaften

Mit Marx fand ein letztlich optimistischer, final ausgerichteter Fortschrittsglaube sein Ende. Im weiteren Verlauf der wissenschaftlichen Aufarbeitung von Aspekten des Wandels dominierten geschichtsphilosophische und kultursoziologische Überlegungen, die sich an ein biologistisches Denken anlehnten und Gesellschaften als sich entwickelnde Organismen begriffen, die gegenüber den Veränderungen ihrer Umwelt bestrebt sind, sich anzupassen, um zu überleben Herbert Spencer und Arnold Toynbee sind wohl die namhaftesten Vertreter einer Richtung, die als „biologistischer Evolutionismus" bezeichnet wird. Für beide sind Gesellschaften charakterisiert durch einen beständigen Wachstumsprozeß, der bei Spencer durch das Kriterium des völligen Gleichgewichts, bei Toynbee durch den Begriff der „Zivilisation" überprüfbar gemacht werden kann Dem Wandel oder der Veränderung von Gesellschaften ist sowohl bei Spencer wie bei Toynbee trotz einer unterschiedlichen Terminologie gemeinsam, daß sich Wachstumsprozesse der Gesellschaft als Anpassung an die Uniwelt darstellen lassen, die entweder durch Komplexität und Differenzierung (Spencer) oder durch die Formel vom „challenge and response" (Toynbee) erzwungen werden. Dieser Entwicklungsprozeß von primitiven, unstrukturierten Gesellschaften bis hin zu „Hochkulturen" oder dem funktionsdifferenzierten Ausgleich aller inneren und äußeren Kräfte wird mit einem normativen Zielaspekt gekoppelt, der bei Spencer als „größte Vollkommenheit und ungetrübte Glückseligkeit" auftritt, bei Toynbee als immer größere Selbstbestimmung der Individuen

Während bei Spencer und Toynbee Kulturen bzw. Gesellschaften scheitern oder untergehen können, ist bei Oswald Spengler in seinem biologistischen Organismusdenken die Veränderung von Gesellschaften ein zwanghafter Prozeß, analog der kreatürlichen Entwicklung von Geburt, Reifezustand und Tod. Spengler bindet seinen Kulturbegriff an diesen Entwicklungsvorgang, wobei der Zustand der „Zivilisation" als „das unausweichliche Schicksal einer Kultur" bezeichnet wird, die an diesem Punkt abzusterben beginnt

Entgegen den mehr an Begriffen wie „Fortschritt“, „Kultur" oder „Zivilisation" orientierten Theoretikern, die immer wieder Gesamtgesellschaften oder universale Entwicklungen zu ihrem Untersuchungsgegenstand machten sind neuere Ansätze bescheidener und beabsichtigen höchstens den Entwurf von „Theorien mittlerer Reichweite" (Merton). Sie sind weitgehend beeinflußt durch den rapiden technischen und sozialen Wandel und beschränken sich auf längs-oder querschnitt-artige Untersuchungen zu einzelnen Aspekten der Ursachen und Auswirkungen moderner Veränderungsvorgänge. Die bewußte Verengung des Forschungsfeldes auf klar umrissene Objekte zwingt zu einer stärkeren Rücksichtnahme gegenüber empirischen Daten und ermöglicht eindeutigere Aussagen über Art, Richtung und Intensität von Veränderungen. Ansätze dieser Art können grundsätzlich in zwei verschiedene, sich jedoch ergänzende Bereiche zerlegt werden: Wie und warum entstehen „technologische" Gesellschaften? und: In welchem Zusammenhang stehen Gesellschaftssystem und ein gegebener Stand der Industrialisierung? Sofern man dieser Fragestellung folgt, hat man eine bedeutsame Vorentscheidung getroffen, da die finale Interpretation eines Geschichtsoder Kulturverlaufs abgelöst wird durch die kausale Zuordnung von Wandlungsvorgängen zu ihren exogenen oder endogenen Ursachen. Ansätze und Arbeiten in dieser Richtung können wir unter den Begriff der „Modernisierung" zusammenfassen, wobei darunter jener beispiellos sich immer schneller beschleunigende Wandlungsprozeß verstanden wird, der durch die Verdrängung tradierter Normen und Gesellschaftsformationen gekennzeichnet ist und die Merkmale Industrialisierung, Urbanisierung, Verweltlichung und Rationalität aufweist

Eine der bahnbrechenden Arbeiten auf diesem Gebiet verdanken wir sicherlich Max Weber. In betontem Gegensatz zu Karl Marx vertrat er die Mächtigkeit auch „ideeller Interessen", zu deren Nachweis er einen Prozeß entwikkelte, der sich als „rationale Vergesellschaftung“ kennzeichnen läßt So ist für Weber die protestantische Ethik in einer ihr spezifischen Ausprägung, dem Puritanismus, ein soziales Agens von größter Bedeutung für die Entstehung des modernen, kontinuierlich betriebenen, kapitalintensiven Wirtschaftens Aus der geistigen Haltung des Puritanismus heraus — genauer: der kalvinistischen Prädestinationslehre —, die dem einzelnen eine strenge Disziplinierung seiner Lebensführung zur Pflicht machte und den Erwerb materieller Güter oder das Wohlergehen des einzelnen als Zeichen religiösen Auserwähltseins wertete, entstanden „die inneren Antriebe für eine unablässige Kapitalakkumulation und eine stetige Intensivierung der Produktion bei gleichzeitigem Konsumverzicht" Gerade die eigentümlich geistig-religiöse Haltung und das daraus resultierende wirtschaftlich-orientierte Verhalten, das sich z. B. auch in einer betont pragmatischen Einstellung gegenüber dem Staat äußerte, ist für die Folge-zeit von erheblicher Bedeutung. Die Übertragung des reglementierten Tagesablaufs nach dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit auf die Produktion bedeutet deren Rationalisierung. Von hier nimmt jener Wandlungsprozeß seinen Anfang, der sich heute in der Rationalisierung nahezu aller Lebensbereiche niederschlägt, da der einmal in Gang gesetzte Mechanismus dieses „kapitalistischen" Wirtschaftens nach zweckrationalen Gesichtspunkten keines weiteren Anstoßes mehr bedarf, sondern der gemäß der ihm innewohnenden Rationalität eine eigene Dynamik entwickelt. Diese Dynamik, die insbesondere in der Bürokratie als technischem Instrument und als rationalster Form der Herrschaftsausübung ihren Ausdruck findet ergreift alle nur denkbaren Lebensbereiche von der Erziehung und Bildung bis zur persönlichen Lebensführung Der wirtschaftliche und soziale Prozeß, den Weber hier zeichnet, hat mit dem zentralen Begriff der „rationalen Vergesellschaftung" aller Lebensbereiche — eine Erkenntnis, worin sich Weber nicht grundsätzlich von Marxschen Schlußfolgerungen unterscheidet — breite und noch anhaltende Wirkungen auf zentrale Ansätze von Modernisierungstheorien ausgeübt. Im Mittelpunkt jener Forschungsrichtung steht die Frage nach den spezifischen Bedingungen und Leistungen, die einmal ein System befähigen, sich zu wandeln, zum anderen, mittels welcher Mechanismen Wandel bewirkt und innergesellschaftlich umgesetzt wird. Die hier einschlägigen Vorhaben sind bereits sehr zahlreich, jedoch insofern einheitlich klassifizierbar, als sie überwiegend auf systemtheoretische Ansätze im weiteren Sinne rekurrieren Die Webersche Feststellung eines Prozesses der „rationalen Vergesellschaftung" wendet sich bei systemtheoretischen Ansätzen in die Frage nach den Anpassungsleistungen sozialer Systeme im Hinblick auf die Veränderung exogener und endogener Faktoren. Vergesellschaftung oder Gesellschaft schlechthin wird dabei unter der (apriorischen) Prämisse betrachtet, daß der Wirkungszusammenhang eines Elementes mit der Gesamtheit struktureller, d. h. relativ beständiger Handlungsmuster dahin tendiert, den Fortbestand oder einen geordneten Wandlungsprozeß des Systems zu ermöglichen Vergesellschaftung wird solcherart zum Prozeß zunehmend beweglichen Gleichgewichts zwischen den vielzähligen Mechanismen und Faktoren des Sozialsystems wobei z. B. Parsons, gemäß dem umfassenden Anspruch seines Theorieentwurfs, auch Probleme des Systemwandels auf einer sehr hohen Abstraktionsstufe behandelt und unter „Wandel“ die Anpassung an neuartige Normen und Werte versteht

Auch in späteren Theorien spielt die bürokratische Organisation und deren Bedeutung für Wandlungs-und Modernisierungsvorgänge noch immer eine herausragende Rolle. Während sie bei Parsons zu einem wesentlichen Strukturfaktor für die Anpassungsfähigkeit sozialer Systeme wird steht sie bei anderen Autoren geradezu als Ausgangspunkt gesamtgesellschaftlichen Wandels Dies zeigt sich beispielhaft an der ständigen Erweiterung der Regierungs-und Verwaltungskapazitäten, eine unmittelbare Folge vermehrter Staatsaufgaben. Diese wiederum lassen auf einen hohen Grad an sozialer Mobilität, einen hohen Stand der Technologie und einen wachsenden Bedarf des Staates am Anteil des Sozialprodukts schließen Diese für Modernisierungsgesellschaften typische Erscheinung mündet in die übergreifende Frage nach der Legitimität von Herrschaft und Planung und damit in letzter Konsequenz nach den Chancen der Demokratie. Moderne Gesellschaften sind unzweifelhaft immer stärker an die Planung aller Lebensbereiche gebunden. Versteht man unter „Plan“ allgemein die kausale Verknüpfung zu realisierender Ereignisse und Vorhaben mit deren zeitlicher Dauer, dann ist der Plan ein überaus gewichtiges Kriterium zur Beurteilung jeder ziel-und zweckgerichteten Veränderung und insofern ein Erfordernis hochkomplexer sozialer Systeme Der Plan ist ein Stück historischer Erfahrung, die in die Zukunft übertragen wird, und somit Ausdruck einer erwünschten, artifiziellen Zukunft oder geplanten sozialen Wandels. In der Frage, welcher Plan denn nun der „richtige" sei, kann man Freyer beipflichten, wenn er dies als ein Problem der politischen Ethik — wohl besser: der politisch-normativen Zielsetzungen — versteht Angefangen von der Undurchschaubarkeit komplexer Ordnungsgefüge bis hin zur „Vermeidungsstrategie" der öffentlichen Bürokratien spannt sich ein Bogen, unter dem der angeblich „wissenschaftliche" Plan, ja der Planungsvorgang selbst, den demokratischen Instanzen entzogen wird und fernab öffentlicher Einwirkungsmöglichkeiten unter der Herrschaft von „Spezialisten“ einem angeblichen Sachzwang folgt. Hier nun besteht die Gefahr, daß sich ein Gesellschaftsteil unter dem Vorwand, die Ziele und Anforderungen der Gesellschaft zu kennen, sich der Gesellschaft bemächtigt und seine eigenen normativen Verhaltenserwartungen für diejenigen der Gesamtgesellschaft ausgibt

Diese hypothetischen Vermutungen zeigen jene Krisen und Probleme, die sich für den einzelnen und die Gesamtheit aus den Tendenzen zur Modernisierung ergeben können. Ein Bewußtsein für die Dynamik dieser Wandlungsvorgänge und ihrer Folgen ist vielfach überhaupt nicht vorhanden. Diese Feststellung muß in besonderem Maße für Zukunftserwartungen im sozialen Bereich gelten. Sofern Demokratie als ein immer neu zu erkämpfendes Ziel menschlicher Organisationsformen angesehen wird, scheinen die im Gefolge der wirtschaftlichen und sozialen Wandlungsprozesse jeweils neu gestellten Legitimationsprobleme von Macht und Herrschaft nur ansatzweise beachtet Es wird deshalb wohl kaum abweichende Meinungen von der Feststellung geben, daß das Handeln und Verhalten des einzelnen sich an Normen und Erwartungen orientiert, die als gesellschaftliche Phänomene dem Wandel unterworfen sind.

Wenn es gilt, am Beispiel der angezeigten Theorieansätze die Begriffe „Sozialer Wandel" — „Foftschritt“ — „Modernisierung" einem kritisch-begrifflichen Resümee zu unterziehen, dann scheinen die Grenzen fließend, die vorgestellten Sachverhalte und Tatbestände bis zu einem gewissen Grad austauschbar. Sofern man „Fortschritt" mit einer ansteigenden Linie der Industrialisierung gleichsetzt, wird sich der Begriff weitgehend mit „Modernisierung" dekken. Wenn man „Modernisierung" als Idealfall Sozialen Wandels ansieht, so besteht die Gefahr, daß man wegen der idealtypischen Konstruktion dieses Begriffs entweder jegliche Modernisierungstendenz mit Sozialem Wandel gleichsetzt oder Sozialen Wandel grundsätzlich mit Modernisierung und dessen normativen Komponenten identifiziert

Es empfiehlt sich aus diesen Gründen auch nicht, den Wandel in der Struktur eines sozialen Systems als Wandel von dessen normativer Kultur zu definieren da hier Aporien im Hinblick auf das Kausalitätsproblem auftauchen Man sollte sich vielleicht mit einer Definition begnügen, die derart allgemein ist, daß sie die potentiell unbegrenzte Zahl, von Wandlungsvorgängen einbegreift und deshalb unter Sozialem Wandel die Gesamtheit der in einem Zeitabschnitt erfolgten Veränderungen in einer Gesellschaft versteht Sowohl „Fortschritt" wie „Modernisierung“ sind demnach derart zu definieren, daß sie unter Angabe ihrer normativen Prämissen operationalisierbar sind und sich als Ableitung aus der Definition des Sozialen Wandels ergeben.

Sozialer Wandel und Didaktik der Politik

Ehe die theoretischen Ansätze und Erkenntnisse zum Begriff des Sozialen Wandels im Zusammenhang mit der Didaktik der Politik behandelt werden, sollen die konkreten Auswirkungen und Bedingtheiten von Wandlungsvorgängen zuvor an einigen Beispielen noch einmal verdeutlicht werden. Ein nicht unbekannter Didaktiker der politischen Bildung schrieb vor wenigen Jahren: „Die intellektuellen und materiellen Ressourcen reichen vermutlich schon heute, mit Sicherheit aber in* einigen Jahrzehnten für eine weltweite, alle Menschen umfassende Gesellschaft im Überfluß."

Diese, entgegen dem sonstigen kritischen Gestus des Autors unkritisch übernommene Aussage eines weitbekannten Wirtschaftswissenschaftlers wird zur Grundlage aller weiteren didaktischen Deduktionen, an deren Ende die Chance zur Emanzipation steht Tatsache ist heute, daß sich die Bedingungen und Voraussetzungen, unter denen diese optimistische didaktische Konzeption entworfen wurde, grundsätzlich und nachhaltig gewandelt haben.

Ein anderes Beispiel berührt nicht die theoretischen Voraussetzungen, sondern die ideellen Forderungen, die innerhalb gegebener politischer Situationen gestellt werden, z. B. die Forderung nach einer „demokratischen" Schule, in der ein erwartetes Verhalten und Handeln ein-geübt werden kann Dies läuft letztendlich auf die Zurückdrängung staatlicher und behördlicher Instanzen hinaus, und kulminiert im Postulat der Selbstbestimmung aller am eigentlich schulischen Geschehen Beteiligten

Eine derartige Forderung ist ohne Zweifel positiv zu bewerten, zeigt indessen aber eher den verkürzten Blickwinkel der am Bildungssystem partizipierenden „pressure groups“ als die Erfordernisse anderer Entwicklungen. So erzwingen zum Beispiel die Forderungen nach Chancengleichheit in der Bildung, nach möglichst hoher Vergleichbarkeit und Gleichheit der Lehrpläne und nach weitestgehender Lehr-und Lernmittelfreiheit den Eingriff einer koordinierenden, mit Herrschaftsgewalt ausgestattenen Instanz: des Staates. Vergleichbare Daten der wichtigsten Industrieländer führen deshalb zu dem Schluß, daß die Vereinheitlichung von Lebenschancen und die Durchsetzung des Sozialstaatsprinzips konform laufen mit einer intensiveren Eingriffsgewalt des Staates in das System von Bildung und Erziehung

Ein letztes Beispiel berührt eine Aussage, die in Verkennung der Umstände — nämlich faktischer Wandlungen — zu einem ideologischen Faktor transformiert wird. Nehmen wir die Aussage, die Bildungskrise der kapitalistischen Staaten spiegle die Furcht der herrschenden Gruppen vor den emanzipatorischen Effekten von Bildung wider Dies mag in vielen Bereichen eine durchaus zutreffende Aussage sein, indessen simplifiziert sie einen Prozeß, der unter dem Gesichtspunkt des Wandels zu völlig anderen Aussagen und Ergebnissen führt. Man verfährt hier in der Weise, daß man die eigenen Erwartungen auf einen Zustand bezieht, der allenfalls einen segment-artigen Ausschnitt wiedergibt. Weiterhin glaubt man, daß Wissen allein durch die Schule vermittelt wird, und letztlich hängt man der Auffassung an, es genüge, eine bestimmte „Bildung" zu vermitteln, und eine bestimmte, durch herrschende Gruppen bestimmte Gesellschaftsformation erhalte sich von selbst. Sämtliche Behauptungen sind im wesentlichen empirisch widerlegt Ohne den Begriff „Bildung" und „herrschende Gruppen" definitorisch abzugrenzen und empirisch dingfest zu machen entlarvt sich die Behauptung als das, was sie sein will: eine polemische Floskel in wissenschaftlichem Gewand. Die „Bildungskrisen“ in den industrialisierten Ländern spiegeln viel eher Anpassungskrisen wider, denen Bildungsinstitutionen im schnellen Strukturwandel der Gesellschaft ausgesetzt sind

Bringt man die angeführten Beispiele auf einen gemeinsamen Nenner, so erweist sich, daß die didaktische Prämisse, die konkrete Forderung und die inhaltliche Aussage ihren Gegenstand verfehlen bzw. unreflektiert angehen, da wesentliche Ursachen und Bedingtheiten, die als Wandlungserscheinungen relevant werden, nicht ins Blickfeld kommen. Ein gleiches läßt sich von einer Anzahl an Unterrichtsmodellen sagen

Auch wenn man der hier aufgestellten These von der Relevanz eines Phänomens wie Sozialer Wandel für Theorie und Praxis des Politischen Unterrichts nicht ohne weiteres beipflichtet, so sollte zumindest deutlich geworden sein, daß die Berücksichtigung die-ser Tatsache für eine Vielzahl von Fragen und Problemen von Vorteil ist. Der wohl wichtigste Gesichtspunkt ist bereits häufig angesprochen worden: Es ist dies die Überlegenheit der vom Sozialen Wandel ausgehenden Ansätze gegenüber der Konflikttheorie, weil erstere geeignet sind, einen Gesamtzusammenhang zu begründen, der in der Konfliktdidaktik nicht in gleichem Umfang geleistet werden kann. Sozialer Wandel ist eine ebenso allgegenwärtige Tatsache wie der Konflikt, indessen insofern didaktisch von größerem Nutzen, als nicht allein statische Gegensatzbeziehungen abgebildet werden, sondern diese Gegensätze innerhalb eines Entwicklungsprozesses auftreten und somit als fließend oder relativ erkannt werden können. Zum anderen gestattet die stärkere Berücksichtigung von Wandlungserscheinungen, auf Sachverhalte und Tendenzen aufmerksam zu machen, die von der Konfliktdidaktik kaum oder nur auf Umwegen als relevante Unterrichtsgegenstände wahrgenommen werden

Schließlich scheint von Vorteil, daß unter dem Diktum von Wandlungsaspekten der möglichen Gefahr vorgebeugt werden kann, das soziale und politische Leben in den Gegenständen des Politischen Unterrichts einzig als Konflikt wiederzufinden.

Die behaupteten Vorteile können indes noch nicht die Frage ausreichend beantworten: Warum und wozu eine stärkere Berücksichtigung von Wandlungsaspekten im Politischen Unterricht?

Neben die oben angedeuteten Gründe, die dafür sprechen, Lerninhalte stärker auf Wandlungsvorgänge zu beziehen, treten ein wissenschaftsdidaktischer und ein fachdidaktischer Aspekt, die kurz dargestellt werden sollen.

Der Gesichtspunkt der „Wissenschaftsdidaktik", wie v. Hentig ihn zum erstenmal in der Bundesrepublik ausführte gilt der explosionsartigen Zunahme des Wissens Die lawinenartig anwachsenden Informationsmengen machen das politische und soziale Geschehen immer undurchsichtiger und verführen dazu, „auftretende Schwierigkeiten oder Schäden immer zuerst als Einzelprobleme anzugeben* Wissenschaftsdidaktik hat die Auf-12 gäbe, den Wissensstoff Insoweit zu reduzieren, als primär die in allen Wissenschaften enthaltenen, „auf Belehrung angelegten" Prinzipien reflektiert und systematisch kritisiert werden Nun hat es der Soziale Wandel als übergreifendes Phänomen ohne Zweifel mit der Gesamtheit der Sozialwissenschaften zu tun. Die Fragestellungen, Methoden und Theorien der in den Sozialwissenschaften vereinigten Disziplinen sind zweifellos äußerst unterschiedlich; sofern einige allgemeine Strukturen und Prinzipien angesprochen werden, die im weiteren Umfeld allen sozialwissenschaftlichen Disziplinen gemeinsam sind, sind diese in die übergreifende Frage eingebettet, weshalb ein durch menschliches Handeln und Verhalten bestimmtes Untersuchungsobjekt sich so und nicht anders verhält und welche Veränderungen es durch innere oder äußere Einwirkungen erfährt. Der letzte und eigentliche Zweck besteht dann in der Aufstellung von Regelhaftigkeiten oder Verallgemeinerungen mit der Absicht, ein vergangenes oder zukünftiges Ereignis zu „erklären" Begreift man nun die ständige Veränderung menschlicher Lebensbedingungen und ihrer Umwelt als Regelhaftigkeit und anerkennt man dies für alle Disziplinen der Sozialwissenschaften 8, so haben wir es mit einem allgemeinen Prinzip zu tun, dem eine „belehrende" Funktion immanent ist. Da sowohl im politischen wie im sozialen, ökonomischen und auch wissenschaftlichen System der Wandel von Strukturen, Funktionen, Inhalten und Bedingungen ein jederzeit beobachtbares Phänomen darstellt, scheint von diesem Prinzip aus ein adäquater Bezugsrahmen für wissenschaftsdidaktische Fragestellungen gegeben.

Von zweifellos größerer Bedeutung ist der Gesichtspunkt des Sozialen Wandels indessen, wenn man ihn unter fachdidaktischen Aspekten betrachtet. Dies zielt auf die am Politischen Unterricht beteiligten Fächer. Neben Politik-und Erziehungswissenschaft treten in unterschiedlicher Gewichtung Geschichte, Soziologie, Wirtschaftswissenschaften, Psychologie und Rechtskunde zum nicht geringen Teil auch Geographie. Da nun eine Didaktik der Politik im Schnittpunkt nahezu aller sozialwissenschaftlichen Fächer steht, sind nicht selten Schüler und Lehrer gegenüber den teilweise immensen Stoffanforderungen, unterschiedlichen theoretischen Ansätzen und Methoden sowie wechselnden Inhalten relativ indifferent, wobei das böse Wort vom „Konfusionsfach" ein weit-verbreitetes Unbehagen ziemlich deutlich artikuliert. Die didaktische Strukturierung des Stoffes wird mit unterschiedlichen methodischen Verfahren versucht, die naturgemäß auch Ausdruck von unterschiedlichen didaktischen Programmen sind. So werden didaktische Grundkategorien entworfen, die entweder von einer Systematisierung politikwissenschaftlicher Fragestellungen abgezogen werden auf ein Programm normativ-politischen Handelns ausgerichtet sind oder, ausgehend von einem Schlüselbegriff wie „Konflikt" oder „Herrschaft", auf einem Fragemodell aufbauen, das von dem Schlüsselbegriff abgeleitet ist Die Folge dieser didaktischen Strukturierung des Stoffes nach vorgegebenen Kategorien ist aber, daß die beteiligten sozialwissenschaftlichen Disziplinen nach Inhalten befragt werden, die nicht oder doch nur begrenzt ihren spezifisch eigenen Fragestellungen und Forschungsansätzen entsprechen Sucht man bei den beteiligten Disziplinen jedoch nach einem gemeinsamen, nicht von außen vorgegebenen Bezugspunkt, der sowohl geeignet ist, den jeweils spezifischen Beitrag eines Faches erkennen zu lassen als auch differierende Inhalte und Aussagen unter einem übergreifenden Gesichtspunkt zu behandeln, so ist hier in erster Linie auf die Wandlungs-und Veränderungserscheinungen im politisch-sozialen Bereich hinzuweisen.

An dieser Stelle zeigt sich auch bereits die Interdependenz von Geschichte und Politik und damit auch der didaktische Beitrag der Historie für den Politischen Unterricht. Gleichgültig, welche Forderungen an den Geschichtsunterricht gestellt werden die genuine Aufgabe sowohl von Geschichtswissenschaft wie -unterricht liegt im Bereich der Erforschung und Vermittlung von Veränderungsprozessen Der eigentliche Unterschied zur Politik ist darin zu sehen, daß die zeitlich vergangenen Prozesse menschlichen Einwirkungen und Gestaltungsmöglichkeiten endgültig entzogen sind, während im Prozeß der Politik heutige und künftige Entscheidungen noch prinzipiell zur Disposition stehen. Für den Geschichtsunterricht bedeutet dies, sich nicht ständig zwanghaft dadurch legitimieren zu müssen, daß für eine bestimmte historische Situation ein Gegenwartsbezug zu einem jeweils relevanten politisch-gesellschaftlichem Problem hergestellt wird vielmehr gilt die Maxime, daß ein jeweils als relevant empfundenes politisch-gesellschaftliches Problem überhaupt nur im Kontext seiner Entwicklung verständlich wird und daß es innerhalb dieser Entwicklung selbst nur den gegebenen Stand eines Veränderungsprozesses widerspiegelt Die relative Unverbindlichkeit, mit der gerade die Geschichtswissenschaft und die Soziologie einander zur Kenntnis nehmen könnte zumindest auf dem Gebiet der Didaktik der Politik einem kooperativen Miteinander weichen, wenn beide Disziplinen unter dem Gesichtspunkt befragt werden, welche Ergebnisse und Erkenntnisse sie vorzuweisen haben, um eine Frage des Politischen Unterrichts in ihrer Zeitbedingtheit zu erklären. Ein gleiches gilt für Sachverhalte ökonomischer Natur. Die Produktionsfaktoren und deren Anteil am Bruttosozialprodukt sind beständiger Veränderung unterworfen. Politische Prozesse werden immer stärker von anscheinend vorgegebenen ökonomischen Daten abhängig ökonomische Krisen hemmen politische Zielvorstellungen oder bewirken Anpassungsprozesse in jedweder Gesellschaft. Themen des Politischen-Unterrichts, die über bloßes Räsonnieren an den Faktizitäten hinausgehen und sich nicht in einem stereotypen Schema von Gesellschaftskritik erschöpfen wollen, erfordern die Einbeziehung der Phänomene des ökonomischen Wandels sowie deren kritische Begutachtung. Hier eröffnet sich demnach ein Ansatzpunkt, wirtschaftliches Wachstum (nebst den zugehörigen Ziel-konflikten), Fragen des Umweltschutzes und der Entwicklungsländer als Wandlungsprozesse bewußtzumachen sowie gleichzeitig die Komplexität moderner Industriegesellschaften vorzustellen. Zweifellos ist diese Zwecksetzung eine Aufgabe vieler sozialwissenschaftlicher Fächer.

Die didaktische Frage, wozu Elemente sozialen Wandels zum Gegenstand des Lehrens und Lernens im Politischen Unterricht werden sollen, wurde bereits kurz gestreift, muß jedoch noch etwas ausführlicher dargestellt werden

Hierbei sei das Problem der obersten Lernziele einmal außer Betracht gelassen und es möge die Feststellung genügen, Politischer Unterricht beabsichtige die Erziehung zum »mündigen, autonomen Menschen, der Subjekt der Gesellschaft und ihrer Entwicklung ist" Ganz allgemein sollen nun die Verhaltensdispositionen erworben werden, die einer erwünschten oder gewollten politischen Struktur angemessen sind. Von dieser Ausgangssituation kommt also das politische System und seine politische Kultur ins Blickfeld, die durch den Prozeß schulisch betriebener politischer Sozialisation in einer bestimmten Richtung beeinflußt werden sollen Die Konfliktdidaktik löst diese Aufgabe dergestalt, daß sie den Konflikt vorwiegend zwischen einem erwünschten Ziel (Mitbestimmung) und einer tatsächlichen Situation ansiedelt Die aus einer solchen Konzeption möglicherweise entstehenden Gefahren sind nun aber ganz offensichtlich: Werden die Ziele absolut gesetzt und legitimatorisch dadurch abgesichert, daß man ein Telos der Geschichte behauptet, eine historisch-gesetzmäßige Entwicklung zu einem bestimmbaren Ziel dann verkehren sich strukturell erzeugte Gegensatzbeziehungen in solche zwischen Sein und Sollen. Diese Didaktik unterteilt die Gesellschaft in zwei Gruppen: die Anhänger und Gegner bestimmter Zielvorstellungen. Hiermit wird aber sicherlich die gesellschaftliche Realität überzogen, kann es doch kaum Aufgabe des Politischen Unterrichts sein, die Komplexität des sozialen Gefüges auf eine Modellvorstellung zu reduzieren, die nur eine normative Typisierung widergibt. Bedenklicher noch muß der Einwand stimmen, daß die erwünschten Ziele final festgeschrieben werden. Was innerhalb eines mit naturgesetzlicher Notwendigkeit ablaufenden Prozeses geschieht, bedarf ja keiner gesonderten didaktischen Legitimation. Es reiche dann aus, sich diese oder jene Qualifikationen, Kenntnisse und Verhaltensweisen zu erwerben, weil unser System notwendigerweise auf dieses Ziel zusteuert. An dieser Stelle liegt nun die eigentliche Crux einer solchen Didaktik der Politik: Wenn man weiß, daß eine Entwicklung final gerichtet ist, dann stellt sich die Frage, welche besonderen Anstrengungen überhaupt noch erforderlich sind, dem Ziel entgegenzustreben? Statt des erwünschten politischen Engagements könnte das Gegenteil eintreten und einem gewissen Quietismus und resignativem Denken geradezu Vorschub geleistet werden. Wie vielleicht bereits erkannt wurde, entsprechen diese didaktischen Begründungen weitgehend den -Fortsdirittstheorien, die wir kurz vorgestellt haben und beziehen von dort her ihre Legitimation. Sofern also eine didaktische Konzeption auf dem Telos der Geschichte aufbaut, sollte oder muß sie im Zusammenhang mit Theorien des Fortschritts behandelt werden, um dem Lernenden die idealistischen Implikationen dieses Ansatzes offenzulegen.

An dieser Stelle werden final gerichtete didaktische Konzeptionen nur insoweit vertreten, als zwar die allgemeinen Werte Selbst-und Mitbestimmung auch hier oberste Lernziele bleiben, allerdings mit dem bedeutsamen Unterschied, daß sie Zielvorstellungen darstellen, die immer wieder neu durchgesetzt und erkämpft werden müssen. Diese Zielvorstellungen verbinden wir mit kausalen Interpretationsschemata und orientieren uns deshalb an Vorstellungen, die sich an die Begriffe „Modernisierung“ oder „Sozialer Wandel" anlehnen. Daraus erhalten wir auch eine andere Begründung für die Frage, warum und wozu Wandlungserscheinungen im Politischen Unterricht behandelt werden sollen. Die moderne Welt wird hier zu einem komplexen Gefüge sich gegenseitig bedingender Faktoren, die im weiten Horizont der Möglichkeiten auch Raum läßt für andere Entwicklungen. Die Beantwortung von Fragen entscheidet sich nicht allein in der Alternative zwischen Ziel und Realität, sondern in der sorgfältigen Analyse von Richtung des Wandlungsprozesses und vorgestellten gesellschaftlichen Erwartungen. Die didaktische Beziehung zwischen Lernziel und Lerninhalt wird also nicht dadurch bestimmt, daß man bestimmte Inhalte starr auf ein Ziel ausrichtet, sondern durch die immerwährende Veränderung aller sozialen Erscheinungen und damit der Ziel-Mittel-Konstellationen. Da-hinter steht die Erwägung, daß das Sozialisationsobjekt lernen muß, sich in einer verändernden Umwelt zurechtzufinden. Es soll die Bedingungen und Ursachen verstehen lernen, die es als Subjekt einer künftigen Gesellschaft betreffen. Es sollte lernen, welche Veränderungen möglich sind und welche Beeinflussungschancen es besitzt, um den als negativ erkannten Entwicklungen entgegentreten zu können. Damit verknüpft sich die Hoffnung, daß derjenige, der lernt, in welchem Ausmaß er beständig dem Druck Sozialen Wandels ausgesetzt ist, auch befähigt wird, sich zielgerichtet in einer sich verändernden Welt zurechtzufinden. Es wurde in diesem Zusammenhang bewußt darauf verzichtet, die Tatsache Sozialen Wandels innerhalb eines didaktischen Modells näher zu umreißen. Die vorgestellten theoretischen Ansätze und Erkenntnisse von Wandlungserscheinungen sollten deutlich machen, daß der Didaktiker der Politik sich beim Entwurf einer didaktischen Konzeption auf mehrere mögliche Ansätze berufen kann. Dies ist kein Nachteil, sondern entspricht dem Gebot eines pluralistischen Methoden-und Theorieverständnisses. Zumindest sollte man Sozialen Wandel als ein Lernziel verstehen, wobei die Auswahlproblematik, darauf ausgerichtet werden kann, nach Sachverhalten zu fragen, die eine Konflikt-und/oder Veränderungssituation widerspiegeln.

Es kann die Behauptung gewagt werden, daß bestehende didaktische Ansätze und die Forschungsbereiche einzelner sozialwissensdiaftlieber Disziplinen sowie deren Ergebnisse leichter einander zugeordnet werden können, wenn man die Didaktik der Politik auf Sozialen Wandel einen als eigenständigen, umfassenden Prozeß bezieht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl.den Abschnitt „Sozialer Wandel und Didaktik der Politik".

  2. Der Begriff soll keine didaktische Vorentscheidung implizieren. Es wird damit nur angedeutet, daß für jedes Unterrichtsfach, das auf den gesellschaftlich-sozialökonomischen Bereich abhebt, der Begriff der „Politik“ von herausragender Bedeutung

  3. Erinnert sei hier an die Studie von Dennis L. Meadows u. a., The Limits to Growths, New York 1972 (dt.: Die Grenzen des Wachstums, Stuttgart 1972), die eine weltweite Diskussion auslöste. Zur kritischen Rezeption siehe H. v. Nussbaum (Hrsg.), Die Zukunft des Wachstums. Kritische Antworten zum Bericht des „Club of Rome", Düsseldorf 1973. Zu einer modifizierten Weltstudie vgl. M. Mesarovic/E. Pestel, Menschheit am Wendepunkt, Stuttgart 1974.

  4. Hierzu „Der Spiegel" Nr. 22/1974, S. 90; Nr. 42/1974, S. 84 ff. und Nr. 46/1974, S. 105.

  5. Vgl. „Entwicklungspolitik", Materialien Nr. 44, hrsg. v. BMZ.

  6. R. Jochimsen, Die Kluft zwischen Nord und Süd, in: M. Bohnet (Hrsg.), Das Nord-Süd-Problem, München 1971, S. 28; Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung, hrsg. v. BMZ, November 1973, S. 10.

  7. 1. Aufl. München 1965; 7. völlig neu bearb. Aufl. 1972.

  8. Zum einen, so können wesentliche Stimmen zusammengefaßt werden, werde der Konfliktbegriff als gesellschaftliche Tatsache überdehnt und treffe nicht die Gesamtheit gesellschaftlicher Interaktionen. Vgl. H. -G. Assel, Kritische Gedanken zu den Denkansätzen der politischen Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 31/69, S. 16; Heinrich Bußhoff, Politikwissenschaft und Pädagogik. Studien über den Zusammenhang von Politikwissenschaft und Pädagogik, München 1969, S. 125. Auf der Gegenseite wird der Konfliktbegriff nicht als hinreichend angesehen, die wirklichen Widersprüche innerhalb der Gesellschaft zu erklären. Statt vieler siehe K. Wallraven/E. Dietrich, Politische Pädagogik. Aus dem Vokabular der Anpassung, München 1970, S. 60.

  9. Zu den veränderten theoretischen und didaktischen Positionen in den einzelnen Auflagen der „Didaktik" siehe A. Holtmann, Sozialisation, Lernen und Theoriebildung, in: Historischer Unterricht im Lernfeld Politik (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 96), Bonn 1973, S. 127 f.

  10. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, München 1965, S. 126.

  11. A. a. O., S. 125.

  12. Ein Überblick über die möglichen Konfliktbeziehungen gibt Dahrendorf, a. a. O., S. 213.

  13. Ralf Dahrendorf, Pfade aus Utopia, München 1967, S. 272 f.

  14. Ders., Zu einer Theorie des sozialen Konflikts, in: W. Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels (NWB 31), Köln 19713, S. Ulf.

  15. A. a. O., S. 120, und ders., Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965, S, 222, 235. Hierbei gilt dies immer unter der Voraussetzung rationaler Herrschaftsverhältnisse und der Möglichkeit, die Konflikte frei austragen zu können.

  16. Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, S. 110.

  17. Gabor Kiss, Soziologische Theorien II (UTB 238), Opladen 1973, S. 226.

  18. Dahrendorf, Zu einer Theorie, S. 115. Die historische Entwicklung dieses Erzwingungscharakters durch kollektiv-bindende Entscheidungen zeigt anschaulich N. Luhmann, Rechtssoziologe, 2 Bde (rororo 580/81), Hamburg 1972, Bd. 1, S. 162 f., 169f.

  19. Ralf Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassen-konflikte, Stuttgart 1957, S. 253 f.

  20. Dahrendorf, Zu einer Theorie, S. 115.

  21. Giesecke, Didaktik, 4. Aufl. 1969, S. 20, 102.

  22. Giesecke spricht selbst explizit nicht von einem „Konfliktmodell", es ist indessen implizit vorausgesetzt; vgl. Didaktik, 4. Aufl., S. 67 ff., 73.

  23. W. Billigen, Zum Problem der Ableitung und Operationalisierung von Lernzielen im gesellschaftspolitischen Bereich, in: Umweltschutz als fächerübergreifendes Curriculum (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politsche Bildung, Heft 99), Bonn 1974, S. 65 f.

  24. Giesecke, Didaktik, 4. Aufl., S. 100.

  25. A. a. O., S. 54; ähnlich auch K. Chr. Lingelbach, Vom Verhältnis der allgemeinen zur besonderen Didaktik. Dargestellt am Beispiel der politischen Bildung, in: Funk-Kolleg Erziehungswissenschaft, Bd. 2, S. 114.

  26. Vgl. K. Chr. Lingelbach, Der Konflikt als Grundbegriff der politischen Bildung, in: Pädagogische Rundschau 20 (1966), S. 43 ff., 125 ff.

  27. Siehe z. B. K. G. Fischer, Einführung in die politische Bildung, Stuttgart 19722, 2S 7. 2984.

  28. G. Stein Plädoyer für eine politische Pädagogik, Ratingen 1973, S. 60.

  29. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie, München 1971, S. 159.

  30. Dies gilt z. B. auch für die in der primären und sekundären Sozialisation auftretenden Probleme. Vgl. J. Habermas, Thesen zur Theorie der Sozialisation, 1968, S. 48 (Ms).

  31. Dieses Problem, obgleich von herausragender Wichtigkeit für die Beziehungen zwischen Fachdidaktik und Fachwissenschaft der Politik, kann hier nicht weiter erörtert werden. Vgl. Robert Dahl, What is Political Science?, in: American Politics and Government. Washington 1973, S. 6 ff. Siehe auch K. v. Beyme, Die politischen Theorien der Gegenwart. Eine Einführung (PSW 12), München 1972, S. 168 ff.

  32. Zu den gegensätzlichen Positionen siehe Dahrendorf, Soziale Klassen, S. 256 f., und Urs Jaeggi, Kapital und Arbeit in der Bundesrepublik (FTB 6510), Frankfurt/M 1973, passim, insbes. S. 48 f.

  33. Man sollte sich einmal daran erinnern, daß die Themen, die in der Schulzeit von großer Bedeutung im politischen Untericht waren, wenige Jahre später durch völlig andere Themen ersetzt werden. Hier liegt der Vorteil marxistischer Ansätze, im Besonderen immer wieder das Allgemeine zu erkennen.

  34. Man denke etwa an die Konfliktsituation im Verhältnis der unterentwickelten zu den entwikkelten Staaten, bei der übersehen wird: Das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Tunesien z. B. ist strukturell anders zu sehen als

  35. Dahrendorf, Zu einer Theorie, S. 109.

  36. Dahrendorf, Pfade aus Utopia, S. 292.

  37. Dahrendorf betont ausdrücklich, daß Fragestellungen aufgegeben werden müssen, die nach den Ursachen Sozialen Wandels suchen. Vgl.: Sozialer Wandel, S. 745.

  38. Dahrendorf, Zu einer Theorie, S. 114.

  39. Dahrendorf, Sozialer Konflikt, S. 750.

  40. Vgl. Anm. 37.

  41. Dies gilt für die einschlägigen Arbeiten von Giesecke, Fischer, Sutor, Roloff, Schmiederer, Engelhardt u. a. Implizit sind Veränderungsvorgänge bei diesen und vielen anderen Autoren durchaus als Probleme enthalten. Erstaunlich ist, daß der immer wieder mitschwingende Aspekt des Wandels so wenig bewußt gemacht wird.

  42. Vgl. Schmiederer, Zur Kritik, S. 86 ff., wo er von der Utopie in der politischen Bildung spricht, einem typischen Aspekt sozial geplanten Wandels; Wulf, Das politisch-sozialwissenschaftliche Curriculum, S. 108, 186, übernimmt aus amerikanischen Curricula Vorlagen, die explizit auf den Gesichtspunkt des Wandels eingehen, ohne diese Tatsache weiter zu erwähnen.

  43. W. Behr, Politikwissenschaftliche und politisch-didaktische Grundkategorien, in: GSE 17 (1972), S. 291, betont als politische Kategorie den „sozioökonomischen Wandel", der als didaktischer Gliederungspunkt nützlich gemacht werden kann.

  44. HessRR, S. 7 f.; Freie und Hansestadt Hamburg: Richtlinien und Lehrpläne, Bd. II (Sozialkunde und Politik), S. 5; Der KM des Landes Nordrhein-Westfalen, Richtlinen für den politischen Unterricht, S. 23.

  45. Vgl. HessRR, Lernfeld Sozialisation, Lemziele 17, Lernfeld Wirtschaft, Lernziele 2-7 sowie die •Richtlinien" des Landes NWR.

  46. W. Zapf (Hrsg.), Theorien des sozialen Wandels (NWB 31), Köln 19713, S. 13 (Einleitung).

  47. Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, S. 90 f.

  48. So zeigt Lynn White, Medieval Technology and Social Change, New York 1966, am Beispiel der Einführung des Steigbügels bei den Franken die tiefgreifenden sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Folgen.

  49. Vgl. Neil J. Smelser, Social Change in the Industrial Revolution, Chicago 1959; Eli Ginzberg (Hrsg.), Technology and Social Change, New York 19653.

  50. William F. Ogburn, Kultur und sozialer Wandel. Ausgewählte Schriften, Neuwied 1964, S. 130.

  51. Vgl. Ogburn, Kultur und sozialer Wandel, S. 189 f., wo am Beispiel der amerikanischen Distriktsregierungen und der schneller werdenden Verkehrsverbindungen das „Nachhinken“ politischer Institutionen aufgezeigt wird.

  52. A. a. O., S. 191 f., am Beispiel von Gesetzgebungslobby und Regierungsstruktur.

  53. A. a. O., S. 132.

  54. Diese Annahme wird z. T. gestützt durch die gegenwärtige Diskussion über Umweltbelastung und Individualverkehr. Auch Dahrendorf scheint in jüngerer Zeit sein vernichtendes Urteil über die Theorie des „cultural lag“ (vgl. Gesellschaft und Freiheit, S. 210) revidiert zu haben (vgl. Stichwort „Sozialer Wandel", Wörterbuch der Soziologie, Bd. 3, S. 7531.).

  55. Arnold Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, Hamburg 1957, S. 54; Helmut Schelsky, Der Mensch in der wissenschaftlichen Zivilisation (AG für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, H. 96), Köln 1961, S. 63.

  56. Jürgen Habermas, Technik und Wissenschaft als Ideologie, Frankfurt/M, 19692, passim, bes. S. 93 ff.

  57. K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin (Ost) 1954, S. 585 f.

  58. A. a. O„ S. 17 f.; Das Kapital I, S. 194 f.

  59. A. Kosing u, a., Marxistische Philosophie, Lehrbuch, Berlin (Ost) 1967, S. 659 ff. Eine ein-prägsame Formulierung findet sich auch bei L. Kola-kowki. Der Mensch ohne Alternative, München 1967, S. 13.

  60. J. Habermas, Praktische Folgen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, in: ders., Theorie und Praxis, Neuwied 1972, S. 339.

  61. So ist z. B. die Philosophie Heraklits, daß alles in ewiger Bewegung und Veränderung sei, daß es kein beharrendes Sein gebe, der vielleicht erste Ausdruck des Wandels; wie Popper in anderem Zusammenhang sagte, war Heraklit der Philosoph, .der die Idee der Veränderung entdeckte" (Der Zauber Platons, Bern 19733, S. 35).

  62. So Th. v. Aquin. Vgl. Baumann, Gesamtge-geschichte der Philosophie, Gotha 19032, S. 230.

  63. H. -P. Dreitzel (Hrsg.), Sozialer Wandel, Neuwied 19723, S. 27 f. (Einleitung).

  64. Siehe Condorcet, Esquisse d'un tableau des progres de Tesprit humain, in: Dreitzel a. a. O„ S. 96 f.

  65. I. Kant, Vom Verhältnis der Theorie zur Praxis im Völkerrecht, in: Kleinere Schriften zur Geschichtsphilosophie, Ethik und Politik, hrsg. v. K. Vorländer, Hamburg 1974, S. 108 f.

  66. Vgl. L'Industrie ou Discussions Politique, Morale et Philosophique, sowie: Catediisme des Industriels, in: Oeuvre de C. H.de Saint-Simon, B. 1, 4 Paris 1966. Th. Ramm, Die großen Sozialisten als Rechts-und Sozialphilosophen, Bd. 1, Stuttgart 1955, S 211 ff.

  67. Dies gilt insbesondere für Comte und Fourier.

  68. Hierzu Ralf Dahrendorf, Soziale Klassen und Klassenkonflikte, Stuttgart 1957, S. 210, und ders., Pfade aus Utopia, S. 241.

  69. Diesen Ausnutzungsgrad sieht Marx zweiseitig: einmal durch Zusammenfassung der Arbeiter, zum anderen durch Verteilung der Arbeit. Das Kapital 1, MEW Bd. 23, S. 356 f.

  70. A. a. O„ S. 496.

  71. A. a. O„ S. 398, 404, 498.

  72. Marx, Kapital 1, S. 404 ff.

  73. Gg. Klaus/M. Buhr, Marxistisch-leninistisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1 (rororo 6155), Reinbek 1972, S. 373 f.

  74. Zu einer Kurzdarstellung dieser und ähnlicher Modellvorstellungen siehe K. W. Deutsch, Politische Kybernetik. Modelle und Perspektiven, Freiburg 19702, S. 70 ff.

  75. Vgl. K. H. Tjaden, Soziales System und Sozialer Wandel (dtv-WR 4127), Stuttgart 1972, S. 15, 17, und E. K. Francis, Wissenschaftliche Grundlagen soziologischen Denkens (dalpTB 339), Bern 19652, S. 130 f.

  76. Tjaden, a. a. O., S. 17; Dreitzel, a. a. O., S. 59.

  77. Francis, a. a. O., S. 131.

  78. An dieser Stelle müssen noch Alfred Weber und Teilhard de Chardin erwähnt werden. Bei Weber ist es die interdependente Beziehung zwischen gesellschaftlicher Organisation, Kultur und Zivilisation, die Fortschritt bestimmt, bei Teilhard ist es der Prozeß der Verbindung von Natur und Kultur.

  79. D. Apter, The Politics of Modemization, Chicago 1966; im übrigen sei auf die Beiträge in: Zapf, Sozialer Wandel, verwiesen.

  80. M. Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 3. erw. Aufl. Tübingen 1968, S. 442 ff., und ders., Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 3 Bde 1920/21, Bd. 1, S. 252.

  81. Max Weber, Die protestantische Ethik, München 1965, S. 53— 60. Hierzu siehe auch die Beiträge in S'N. Eisenstadt (Hrsg.), The Protestant Ethic and Modemization, New York 1968.

  82. W. Mommsen, Max Weber. Gesellschaft, Politik und Geschichte (stw 53), Frankfurt/M 1974, S. 115 f.

  83. Zweckrational handelt derjenige, der sein Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt. In: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, 2 Bde., Köln 1965, Bd. 1, S. 18.

  84. Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 1, S. 164.

  85. A. a. O., Bd. 2, S. 735 ff.

  86. A. a. O„ S. 885.

  87. Mommsen, S. 152.

  88. Unter „Systemtheorie* lassen sich drei Haupt-typen wissenschaftstheoretischer Ansätze zusammenfassen: die General System Theory, der Strukturfunktionalismus und die kybernetische System-theorie. Vgl. auch W. D. Narr, Theoriebegriffe und Systemtheorie (Einführung in die moderne politische Theorie Teil I), Stuttgart 19723, S. 97 ff.

  89. Talcott Parsons, The Social System, New York 1966, S. 24.

  90. Richtigerweise wird immer wieder darauf hingewiesen, daß Parsons sein früher entworfenes Begriffssystem, das ein „statisches Konzept" widerspiegelte, einer begrifflichen Revision unterworfen hat, die nunmehr auch den dynamischen Aspekt sozialer Systeme berücksichtigt. Siehe Dreitzel, Sozialer Wandel, S. 80; Kiss, Soziologische Theorien II, S. 192 ff.

  91. T. Parsons, Das Problem des Strukturwandels: Eine theoretische Skizze, in: Zapf, Theorie, S. 35 ff., insbes. S. 43.

  92. Parsons, Evolutionäre Universalien, S. 64.

  93. D. Lockwood, Soziale Integration und Systemintegration, in: Zapf, Theorien, S. 113. Ähnlich K. Mannheim, Freiheit auf der Stufe der Planung, in: Dreitzel, Sozialer Wandel, S. 429.

  94. K. W. Deutsch, Soziale Mobilisierung und politische Entwicklung, in: Zapf, Theorien, S. 338 f.

  95. Klaus/Buhr, Marx. -leninist. Wörterbuch, Bd. 3, S. 846, 853.

  96. H. Freyer, Herrschaft und Planung, Hamburg 1933, S. 24.

  97. C. Offe, Politische Herrschaft und Klassenstrukturen. Zur Analyse spätkapitalistischer Gesellschaftssysteme, in: Kress/Senghaas, Politikwissenschaft, S. 161. Offe erkennt richtig, daß sich die Verwaltung auf „Legitimation" beruft, die auf einem angeblich wertneutralen Imperativ der (Verwaltungs-JTechnik beruht. Eben dies war auch Freyers Problem.

  98. Vgl. J. J. Hagen, Die Desintegration von Recht und Gesellschaft, in: ZRP 4 (1971), S. 82, und H. Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Neuwied 1968, S. 21 f.

  99. Hierzu sollten verglichen werden: W.D. Narr/F. Naschold, Theorie der Demokratie, Stuttgart 1971, insbes. S. 13 ff. und 47 ff., sowie J. Habermas, Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus (es 623), Frankfurt/M 1973, passim.

  100. Idealtypisch insofern, als es sich nur um eine gedankliche Konstruktion mit Annäherungswerten an die Wirklichkeit handelt.

  101. Diese normativen Komponenten können sowohl positiv wie negativ fixiert sein, so z. B. in der Frage, ob wirtschaftlicher Wandel „erfolgreicher" ist, wenn er in der Form der Zentralplanwirtschaft oder der Marktwirtschaft erfolgt.

  102. So Parsons, Probleme des Strukturwandels, S. 43.

  103. Vgl. N. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität Frankfurt/M 1973, S. 196.

  104. P. Heintz, Sozialer Wandel, in: Fischer Lexikon Soziologie, Frankfurt/M 1958, S. 268.

  105. Schmiederer, Zur Kritik, S. 32.

  106. Logische Kette Schmiederers: Die Gesellschaft kann auf den Zwang zur Arbeit verzichten, das Leistungsprinzip wird immer überflüssiger (S. 32); mit Wegfall des Zwangs zur Leistungssteigerung entfällt auch . die Notwendigkeit von Herrschaft, dies bedeutet die Chance für Emanzipation.

  107. Siehe Giesecke, Didaktik, 7. Aufl., S. 145; Roloff, Erziehung zur Politik, S. 52 ff., 132 f.

  108. Vgl. Weiler, Politische Emanzipation, S. 179 ff., und H. v. Hentig, Systemzwang und Selbstbestimmung. über die Bedingungen der Gesamtschule in der Industriegesellschaft, Stuttgart 1968, S. 71.

  109. K. Davis, Sozialer Wandel und internationale Beziehungen, in: Zapf, Theorien, S. 495. Ein historischer Beleg, sofern man die obige Hypothese nicht bereits durch Entwicklungen in der Gegenwart belegt sieht, zeigt sich in der preuß. Bildungsreform nach 1807, nämlich in der Paradoxie, „daß eben das Jahrhundert, das die Freiheit der Bildung, Forschung und Lehre durchsetzte, zugleich das äußerste Maß an staatlicher Leitung und Verwaltung im Schulwesen schuf“ (Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, S. 265).

  110. Schmiederer, Zur Kritik, S. 19.

  111. Christopher Jencks, Chancengleichheit, Reinbek 1973, S. '275 f.; Friedrich Edding, ökonomische Forschung im Dienste des Bildungswesens, in: Eugen Lemberg (Hrsg.), Das Bildungswesen als Gegenstand der Forschung, Heidelberg 1963, S. 120.

  112. Hierzu allgemein Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 2. Halbbd., S. 735.

  113. Man denke z. B. an Unterrichtsmodelle, die das Thema „Wohnen" oder „Bodenrecht" zum Gegenstand haben und in ihren Lernzielen im weitesten Sinn den Konflikt zwischen Boden als Ware und Boden als gesellschaftliches Erfordernis bewußtmachen wollen (M. Grönemeyer, Wohnen und Wohnumwelt in der Industriegesellschaft, in: H. Endlich (Hrsg.), Politischer Unterricht in der Haupt-und Realschule. Beiträge aus Theorie und Praxis, Frankfurt/M 1972, S. 159 ff.). Richtigerweise wird in nahezu allen Fällen auf die oft untragbaren Zustände hingewiesen, die durch die private Verfügungsgewalt über den Boden als Spekulationsobjekt entstehen, wobei als Ursache auf die kapitalistische Wirtschaftsordung der Bundesrepublik verwiesen wird. Dabei geraten Tendenzen aus dem Blickfeld, die „Urbanisierung“, „Industrialisierung“ lauten und die letztendlich die Ursachen für derartige Mißstände sind.

  114. Siehe die Beispiele S. 3.

  115. H. v. Hentig, Wissenschaftsdidaktik, in: Neue Sammlung, Sonderheft 5, Göttingen 1970, S. 25.

  116. Das Fachwissen der Menschheit hat sich jeweils vervierfacht von: 1800— 1900, von 1900—-1950, von 1950— 1960. D.de Solla Price, Little Science — Big Science, New York 1971, S. 7 f.

  117. H. v. Hentig, Magier oder Magister? Uber die Einheit der Wissenschaft im Verständigungsprozeß, Stuttgart 1972, S. 167.

  118. v. Hentig, Wissenschaftsdidaktik, S. 25, 37.

  119. „Erklärung“ soll heißen, ein Ereignis logisch auf ein anderes zu beziehen bzw. aus einem anderen abzuleiten. Siehe J. M. Bochenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden (UTB 6), München 19715, S. 101.

  120. Für Psyschologie und Geschichte wird die Bezeichnung als Sozialwissenschaft häufig bestritten.

  121. Hierzu U. D. Adam, Rechtskuij.de, in: Sozialwissenschaftliche Informationen für Wissenschaft und Studium 2 (1973) H. 3, S. 93 ff.

  122. K. D. Hartmann, Ein Vortest über Schülerein-Stellungen zum Politikunterricht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 44/71, S. 16.

  123. Behr, Grundkategorien, S. 291.

  124. Vgl. z. B. B. Sutor, Didaktik des Politischen Unterrichts, S. 56 ff.

  125. Hierfür beispielhaft Giesecke, Didaktik, 7. Aufl., S. 159 ff., und E. A. Roloff, Erziehung zur Politik. Eine Einführung in die politische Didaktik, Bd. 1, Göttingen 19722, S. 27.

  126. Es kann hier nicht das Problem angegangen werden, was z. B. Geschichte oder Wirtschaftswissenschaften zu leisten imstande sind, wenn man sie nach dem Konflikt-oder Herrschaftsansatz selektiert. Sofern man die Wirtschaftswissenschaften nicht allein auf Politische Ökonomie verengt und in Geschichte nicht primär die Auseinandersetzungen von Klassen sieht, sondern für einen pluralen Wissenschaftsbegriff auch in der Didaktik der Politik optiert, muß die Berechtigung derartiger Verfahren umstritten sein.

  127. Vgl. K. G. Fischer u. a., Welchen Beitrag kann der Geschichtsunterricht zur politischen Bildung leisten?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 30/72.

  128. Siehe Joachim Rohlfes, Zu einigen Lernpotentialen des Faches „Geschichte", in: Historischer Unterricht im Lernfeld Politik (Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Heft 96), Bonn 1973, S. 87 f.

  129. Hess. Rahmenrichtlinien, Gesellschaftslehre, S. 18 f.

  130. Eine derartige Betrachtung bietet sich nicht nur im Bereich der politischen Ideengeschichte an, sondern insbesondere in der Sozial-und Wirtschaftsgeschichte, die unter Einbeziehung politischer, sozialer und ökonomischer Faktoren immer einen Prozeßcharakter betont.

  131. Siehe H. -P. Dreitzel, Theorielose Geschichte und geschichtslose Soziologie, in: H. -U. Wehler (Hrsg), Geschichte und Soziologie (NWB 53), Köln 1972, S. 37 ff.

  132. Man sollte es an dieser Stelle aussprechen: Es ist eine mehr als ärgerliche Tatsache nahezu aller Ansätze in der politischen Didaktik, daß zwar die Zielvorstellungen breitesten Raum finden, wenn es um politisches Verhalten geht, indessen typisch wirtschaftliche Zielkonflikte (Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit oder Vollbeschäftigung, Preisstabilität, Zahlungsbilanzgleichgewicht) keine Rolle spielen. Die Aufstellung und Gliederung eines Haushaltsplans, vormals die wichtigste Aufgabe eines Parlaments, findet in bundesrepublikanischen Schulen kaum statt. Selbst die Hess. RR belassen es bei allgemeinen Reflexionen grundsätzlicher Natur, gleichsam als ob es nur den Bereich der Produktion gebe und der der staatlichen Distribution einem willkürlichen Belieben anheimgestellt wäre. Natürlich wird ein Haushaltsplan bei diesen wichtigen Fragen weder vorgestellt noch problematisiert.

  133. Siehe auch S. 6

  134. Schmiederer, Zur Kritik, S. 38, 40.

  135. Vgl. G. C. Behrmann, Bedingungen politischer Partizipation und die Grenzen politischer Bildung, in: P. Ackermann (Hrsg.), Politische Sozialisation, Opladen 1974, S. 321.

  136. Giesecke, Didaktik, 7. Aufl., S. 140, 143.

  137. A. a. O., S. 143 „Daß es solche Konflikte unvermeidlich geben wird, resultiert schon aus dem noch nicht zu Ende geführten historischen Demokratisierungsprozeß.

  138. Vgl. S. 11.

Weitere Inhalte

Uwe Dietrich Adam, Dr. phil., geb. 1940; Studium der Neueren Geschichte und der Zeitgeschichte, Politikwissenschaft und des öffentlichen Rechts in Tübingen; Assistent im Fach Wissenschaftliche Politik/Gemeinschaftskimde der Päd. Hochschule Reutlingen. Veröffentlichungen u. a.: Judenpolitik im Dritten Reich (Tübinger Schriften zur Sozial-und Zeitgeschichte 1), Düsseldorf 1972; Abgeordnetenmandat und Parteienwechsel, in: Politische Vierteljahresschrift 13 (1972); Anteil und Möglichkeiten des Rechts in einem Curriculum Sozialwissenschaften, in: Sozialwissenschaftliche Informationen für Wissenschaft und Studium 2 (1973); A General Plan of Anti-Jewish Legislation in the Third Reich?, in: Yad Washem Studies Bd. XI; Liberalismus und Dialektik, in: liberal 16 (1973); Systemveränderung als Ideologie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 51-52/74; Anmerkungen zu methodologischen Fragen in den Sozialwissenschaften: Das Beispiel Faschismus und Totalitarismus, in: Politische Vierteljahresschrift 16 (1975).