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Einige Bemerkungen aus polnischer Sicht zum Thema „Informations-, Meinungsund kultureller Austausch" | APuZ 38/1975 | bpb.de

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APuZ 38/1975 Einige Bemerkungen aus polnischer Sicht zum Thema „Informations-, Meinungsund kultureller Austausch" Praktische Probleme bei der Begegnung, beim Dialog und beim Informationsaustausch zwischen Ost und West Vietnam und die Folgen

Einige Bemerkungen aus polnischer Sicht zum Thema „Informations-, Meinungsund kultureller Austausch"

Eugeniusz Guz

/ 49 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

E. Guz geht in seiner Stellungnahme zu dem von G. Wettig in dieser Zeitschrift veröffentlichten Beitrag („Freiere Begegnungen und Dialoge zwischen Ost und West. Zur Problematik einer umfassenden Koexistenz in Europa", B 11/75) von der These aus, daß der Austausch von Informationen und Meinungen sowie die kulturellen Kontakte zwischen Ost und West bereits einen beachtlichen Umfang erreicht hätten und daher die Forderungen mancher westlicher Länder an den Osten nach verstärkten Austauschbeziehungen — also nach einer stärkeren Auffüllung des „Dritten Korbes“ der KSZE — nicht so recht verständlich seien. Dies um so mehr, da auf einigen Gebieten noch ein erhebliches Defizit des Westens in der kulturellen Austauschbilanz bestünde, wie der Autor mit Zahlenbeispielen verdeutlicht. Mißverständnisse und Konflikte in den Austauschbeziehungen würden zumeist in den jeweils anderen Organisationsformen dieser Kontakte in Ost und West begründet sein. Aber auch die unterschiedlichen WertVorstellungen und gesellschaftlichen Leitbilder spielten bei den Konflikten eine Rolle, z. B. bei der Publizistik, deren Kommerzialisierung und damit mangelnde politisch-gesellschaftliche Relevanz in westlichen Ländern E. Guz beklagt. Es sei nicht angängig, daß diese Fehlentwicklungen mittels der vom Westen auf der KSZE gewünschten Aufhebung staatlicher Kontrollen in die östlichen Länder „exportiert" würden. In seinem Schlußwort zu dieser Kontroverse geht G. Wettig u. a. auch auf diesen Punkt ein, indem er dem Osten den Vorwurf macht, lediglich systemkonforme Informationen und Meinungen aus dem Westen zuzulassen, während es in westlichen Ländern keine Einschränkungen in dieser Hinsicht gäbe. Besonders die DDR betreibe — ihren eigenen Anspruch, einer der „weltoffensten Staaten“ zu sein, ad absurdum führend — nach wie vor die schärfsten Restriktionen. Problematisch sei ferner das von östlicher Seite oft benutzte Postulat einer „Entpolitisierung" der kulturellen Beziehungen: sie selbst nehme sich bei ihrer auswärtigen Kulturpolitik von dieser Forderung aus, da nach ihrem Selbstverständnis auch bzw. gerade die Kultur eine wichtige politische Dimension habe. Zum Ausdruck komme diese Haltung in der trotz Helsinki und KSZE weiter verfolgten Strategie gegenüber dem Westen, in der die auswärtige Kulturpolitik in zunehmendem Maße der offensiven ideologischen Konfrontation zu dienen habe.

Nach Abschluß der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa scheint es der Redaktion ein günstiges Zeichen, im Rahmen des von beiden Seiten (mehr oder weniger) angestrebten Dialogs die Anregung eines polnischen Journalisten aufgreifen und einen Kontroversbeitrag zu einer in dieser Zeitschrift veröffentlichten Studie von Gerhard Wettig („Freiere Begegnungen und Dialoge zwischen Ost und West. Zur Problematik einer umfassenden Koexistenz in Europa“ B 11/75) publizieren zu können. Gerhard Wettig nimmt seinerseits zu den kritischen Anmerkungen Stellung und interpretiert zugleich die entscheidenden Passagen aus der Schlußakte von Helsinki zum „Dritten Korb“, in dem — last, not least — der „Informations-und Meinungsaustausch“ sowie die „menschlichen Begegnungen“ einen Platz gefunden haben.

Zu einem Problem, von dem manche im Westen behaupten, daß der Erfolg der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von ihm abhänge, wurde der „Austausch von Kulturgütern und der Durchfluß von Ideen “ erklärt. Es ist charakteristisch, daß diese Angelegenheit so dargestellt wird, als widersetzten sich die sozialistischen Staaten, darunter auch Polen, diesem Austausch und daß es beinahe unmöglich wäre, den . Dritten Korb’ zu füllen. Sind die sozialistischen Länder aber wirklich dem Thema „freier Meinungsaustausch“ so grundsätzlich abgeneigt — wie es aus den hiesigen Kommentaren zu entnehmen ist und beispielsweise besonders kraß zum Ausdruck kam in der Abhandlung von Gerhard Wettig „Freiere Begegnungen und Dialoge zwischen Ost und West“. Ich greife hier gern das Thema auf als Gelegenheit, eine für bundesdeutsche Medien typische;'Betrachtungsweise auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen.

Haben wir in Ost und West beim . Dritten Korb’ wirklich ein Neuland zu beschreiten? Sicherlich liegt noch manches im argen, das beide Seiten zu beseitigen haben. Man sollte aber nicht den Eindruck erwecken, als träten wir hier beinahe auf der Stelle. Das Problem wird m. E. hier einseitig und tendenziös dargestellt und die Leser über die Stellung der sozialistischen Länder hierzu falsch informiert. So wie es eingeprägte Stereotypen gibt über die Eigenschaften einzelner Nationen, so gibt es leider auch Stereotypen über die Einstellung sozialistischer Staaten zur Dritten-Korb-Problematik. Der sozialistische Osten trat mehrmals mit Vorschlägen zur Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit auf den Gebieten der Kultur, Information usw. auf. Es gibt heute schon eine ganze Menge von Möglichkeiten, die Nachbarvölker kennenzulernen. In dieser Beziehung sind wir auf manchen Gebieten ziemlich fortgeschritten. Mehr noch! Das Problem ist heute nicht so sehr, neue Möglichkeiten zu schaffen, sondern — wie es mir scheint — die schon bestehenden Formen der Zusammenarbeit voll zu nutzen. In der oben genannten Abhandlung fand ich kein gutes Wort für die bisherigen Ergebnisse der Dritten-Korb-Problematik, obwohl doch schon seit ein paar Jahren manches auch im Westen Anerkennung fand. Der Autor will scheinbar um jeden Preis beweisen, daß es im Grunde genommen keinen gemeinsam getragenen . Dritten Korb’ geben kann. Ich möchte den Gegenbeweis vorbringen und werde mich natürlich vorwiegend auf polnische Beispiele berufen, obwohl sie aus anderen sozialistischen Ländern noch eindrucksvoller sein können (Beispiel Touristik).

1. Immer mehr Reisende— immer weniger Probleme

Am weitesten ist man bis jetzt in der Touristik vorwärts gekommen, obwohl Hotelkapazitäten und Devisen-Probleme diese Sache den sozialistischen Ländern nicht leicht machen. Die Westdeutschen und die Westler überhaupt haben schon seit Jahren Möglichkeiten, touristisch die sozialistischen Länder zu besuchen, und machen auch seit Jahren davon massenweise Gebrauch. Um möglichst vielen den Besuch zu ermöglichen, überstrapazieren wir die Hotelkapazitäten in einer Weise, die sich ein westlicher Hotelinhaber schon im eigenen Interesse nicht leisten würde. Polen hatte 1973 über 7 Millionen ausländische Touristen aufgenommen, darunter 560 000 aus den kapitalistischen Ländern. 1974 waren 10 Millionen Polen im Ausland, also beinahe jeder Dritte. Gibt es viele westliche Länder, wo so zahlreich Bürger ins Ausland fahren, und das noch bei den großen Devisen-Problemen, die man im Westen nicht kennt? Ein weiterer Unterschied, der meistens unbeachtet bleibt: Für einen Bürger der sozialistischen Staaten ist ein Urlaub im westlichen Ausland mit viel mehr Ausgaben verbunden; für den bundesdeutschen Touristen und nicht nur für ihn — ist es oft umgekehrt. Unsere Bürger engagieren sich also finanziell mehr, um ins Ausland zu fahren, was die Zahl der Auslandsreisenden noch beeindruckender macht. Die meisten Bürger fahren dabei individuell und nicht in Gruppenreisen.

Im Jahre 1969 kamen aus Polen insgesamt 9 000 Besucher in die Bundesrepublik Deutschland, 1974 waren es schon 130 000. In Ungarn waren 1971 fast 900 000 Westtouristen, 1/3 davon waren 1974 Bundesdeutsche; 216 000 Ungarn bekamen 1971 die Möglichkeit, ins kapitalistische Ausland zu reisen. 1974 sind 3 800 000 Auslandsurlauber nach Bulgarien gekommen, 18, 2 % mehr als 1973. Von den über eine Million Westurlaubern kamen die meisten, nämlich 210 000, aus der Bundesrepublik. Die Zahl der ausländischen Touristen, die 1974 die Sowjetunion besuchten, hat sich gegenüber 1973 um 18 °/o auf mehr als 3, 4 Millionen Besuchern aus 153 Ländern erhöht; davon kamen 60 °/o aus den sozialistischen Ländern (aus der Bundesrepublik waren es 126 000). Wer Sich beschwert, noch nicht überall in der Sowjetunion reisen zu dürfen, sollte erst mindestens einen Teil der 16 für den Touristen-verkehr erschlossenen Autotouren sowie die über 100 Städte kennenlernen. Im Jahre 1973 bereisten 2, 8 Millionen Sowjetbürger 126 Länder, darunter auch westliche Staaten.

In Anbetracht der oben skizzierten touristischen Entwicklung zu behaupten, daß es auf dem Gebiet der Liberalisierung der Touristik noch viel zu tun gäbe, hieße Böswilligkeit und Ignoranz zugleich. Niemand hindert heute jemanden, sich an der bulgarischen anstatt an der italienischen Küste zu sonnen. Die sozialistischen Länder widerum müssen ihre Devisenprobleme selbst lösen, um noch mehr Bürgern die Möglichkeit zu bieten, auch in Richtung Westen eine Fahrkarte zu buchen. Prozentual an der Bevölkerungszahl gemessen, fährt man aber in manchen sozialistischen Ländern heute öfter ins Ausland als in manchen hochentwickelten kapitalistischen Ländern, was sicherlich auch für einen gut informierten Westbürger sensationell klingen wird. Auch nicht alle diesen zur Verfügung stehenden Plätze werden ausgebucht, was auf ein normales touristisches Interesse hindeutet Man sollte es daher unterlassen, ein riesiges, angeblich noch nicht befriedigtes Interesse an Fahrten in Richtung Osten vorzutäuschen. Falls es sinkende Zahlen in der Touristik geben sollte, ist die Schuld eher in der westlichen Währungskrise und in der Inflation zu suchen.

Angesichts der vielen hunderttausend aus den sozialistischen Staaten in den Westen Reisenden wäre es auch unsinnig, zu behaupten, nur Staatsfunktionäre dürften reisen. Es scheint, man verdächtigt außerdem unsere Reisenden pauschal als Spione, um das weitere Beharren auf den alten NATO-Visum-Bestimmungen zu entschuldigen. Gleichzeitig tut man so, als wäre im Westen noch niemand auf den Gedanken gekommen, sich bei Reisen in die sozialistischen Staaten auch . untouristisch'im Lande umzuschauen. Das Messen mit zweierlei Maß, die Einstellung, alles Schlechte komme vom Osten, alles Gute aber vom Westen, hat sich ziemlich tief in den Gemütern — nicht nur der einfachen Leute, sondern auch der Verantwortungstragenden — eingenistet; bei manchen so tief, daß sie es schon gar nicht mehr merken. Überheblichkeit und Anmaßung sind aber keine guten Ratgeber für den . Dritten Korb'. Der sowjetische Schriftsteller Konstantin Simonow, vom SPIEGEL im November 1974 auf die Authentizität von Scholochows „Der stille Don" angesprochen, traf in seiner Antwort des Übels Kem: Was für Entrüstung und Kopfschütteln würde es hier geben, hätte man in der Sowjetunion die Authentizität z. B. von Bölls Werken angezweifelt und gefragt, ob Böll wirklich alles das selbst geschrieben habe. Den sozialistischen Staaten gegenüber glaubt man aber, sich alles erlauben zu können. Das ist eben der wunde Punkt, wo man all den eigenartigen Interpreten des . Dritten Korbs'sagen muß: medice, cura te ipsum.

Jede kleine Schwierigkeit mit der Visum-Beschaffung oder dem Aufenthalt in Polen wird hier großgeschrieben, dagegen werden noch größere Schwierigkeiten mit der Visum-Be-B Schaffung, z. B. nach Israel, übersehen. Dabei stände es unseren Visa-Behörden doch auch zu — wie es die Israelis tun — von gewissen Jahrgängen der Bundesdeutschen vorher schriftliche Erklärungen darüber zu verlangen, was der Betreffende im Großdeutschen Reich getan hat. Nicht erst seit heute bekommt man das Visum eines sozialistischen Staates viel schneller und problemloser als Bürger unserer Länder, die sich ins westliche Ausland begeben. Auch in dieser Beziehung reitet man aber weiter auf dem hohen Roß der angeblichen Überlegenheit. Sogar der gut informierte SPIEGEL (19. 5. 1975) fragte etwas provokativ den ungarischen Außenminister Puja:

SPIEGEL: „Sehen Sie im freien Fluß der Ideen und Menschen über die Grenzen einen Fortschritt oder ein Werkzeug, mit dem der Westen die sozialistischen Länder untergräbt?"

Puja: „Der freie Fluß sieht so aus, daß die ungarischen Behörden innerhalb von zwei Tagen ein Visum erteilen, und auf dem Budapester Flughafen Ferihegy oder an der Grenze innerhalb von zehn Minuten. Wir haben bei diesem Verfahren Gegenseitigkeit vorgeschlagen. Aber die großen westlichen Länder machen nicht mit. Wer will, der kann bei uns auch westliche Sender hören. Das Österreichische Fernsehen bestrahlt etwa die Hälfte des Landes."

Vergleichen Sie bitte die Zahl der Paßbilder oder den polnischen Antrag auf ein Reisevisum — kleines Zettelchen — mit den plakat-artigen Anträgen mancher westlicher Länder, von den unendlichen und oft kuriosen Fragen ganz zu schweigen. Von dieser unverändert bürokratischen Praxis sind sogar Personen betroffen, die auf Einladung ihrer Verwandten reisen oder durch westliche wissenschaftliche Institute persönlich eingeladen wurden.

Die Abschaffung des Visum-Zwangs haben manche sozialistischen Länder den kapitalistischen vorgeschlagen, sind aber auf Ablehnung oder Zurückhaltung gestoßen. Polen hat bis jetzt die Visa-Abschaffung vereinbart mit Österreich, Finnland und Schweden.

Nicht nur in Sachen Visum-Beschaffung reagieren die sozialistischen Staaten elastischer.

Beispielsweise hat sich auf Anweisung der amerikanischen Regierung das Düsseldorfer Generalkonsulat der USA geweigert, zwei DKP-Politikern das Einreisevisum in die USA zu erteilen, um ihnen die Teilnahme am Parteitag der KP USA Ende Juni 1975 zu ermöglichen. — Ich mußte gar nicht intensiv in den Archiven , graben', um meine kritischen Bemerkungen mit weiteren Beispielen zu belegen, sondern brauchte einfach das zu nehmen, was während der Abfassung dieses Artikels laufend auf den Tisch kam — ein weiterer Grund für die westlichen Partner des Dialogs, in den . Dritten Korb'mal auch etwas selbstkritisch hineinzuschauen. So hatte sich gegen die Einschränkung von Reisen in die Deutsche Demokratische Republik durch die bayerische Landesregierung der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen, Franke, im Dezember 1974 gewandt: Der Minister nahm Stellung zu einer Anordnung der Landesregierung in München, nach der öffentliche Bedienstete bis hinunter zum Kanalarbeiter Reisen in die DDR vier Wochen zuvor anmelden müssen und darüber eine Eintragung in die Personalakten erfolgt.

Nadi meiner Kenntnis wurden bis jetzt auch noch nicht offiziell die alten Bestimmungen aufgehoben, denen zufolge SPD-Mitglieder und andere mehr oder weniger politisch Aktive nicht ohne vorherige Genehmigung in die DDR fahren können. Es ist jedenfalls für unsere Funktionäre viel leichter, in den Westen zu fahren als umgekehrt für die westlichen in Richtung Osten.

Noch anschaulicher ist das Bild der menschlichen Begegnungen, was die Deutsche Demokratische Republik anbetrifft. 1973 reisten in die DDR 17, 3 Millionen Personen ein, 1971 waren es erst 5, 9 Millionen — solche Dynamik kennt kein westliches Land. Von den erwähnten 17, 3 Millionen kam beinahe die Hälfte aus den kapitalistischen Ländern, davon ungefähr 7 Millionen aus der Bundesrepublik und Westberlin. Aus der Deutschen Demokratischen Republik wiederum sind 1973 12 Millionen Menschen ins Ausland gefahren, also proportional viel mehr als aus der Bundesrepublik. Davon reisten gut 20 °/o nach Westdeutschland. Gewiß, meistens sind es Rentner, aber warum die Niedrigschätzung der Rentner-Fahrten? Haben die älteren Leute kein Urteilsvermögen?

Minister Franke stellte am 6. Mai 1975 mit Genugtuung eine starke Zunahme des Reiseverkehrs zwischen den beiden deutschen Staaten fest. Im ersten Quartal 1975 haben fast 700 000 Westdeutsche im Verhältnis zu rund 220 000 Reisenden im ersten Quartal 1974 die Möglichkeit einer Reise in die DDR genutzt, was eine Zunahme des Reiseverkehrs um 216% bedeutet. Auch umgekehrt beginnt der Strom zu fließen: In der Zeit vom 1. 1. 1972 bis 30. 11. 1974 sind 5, 5 Millionen DDR-Bürger in die Bundesrepublik bzw. nach Westberlin gereist. Seit einiger Zeit sind es nicht nur Rentner. Es wird auch die Familienzusammenführung berücksichtigt. Seit Inkrafttreten des Verkehrsvertrages am 17. 10. 1972 sind mehr als 90 000 DDR-Bewohner in dringenden Familienangelegenheiten in die Bundesrepublik gekommen (Stand Anfang 1975). Laut Erklärung des Parlamentarischen Staatssekretärs Herold vom 19. 2. 1975 sind 1974 von der Deutschen Demokratischen Republik in 638 Fällen Ausreisen von Kindern aus der DDR in die Bundesrepublik genehmigt worden. Laut Minister Franke sind im ersten Halbjahr 1975 3 000 Personen aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt, mehr als im gesamten Jahr 1974.

Man könnte zwar sagen, daß all die erwähnten Zahlen nur eine unmittelbare Auswirkung der zwischen den zwei deutschen Staaten geschlossenen Verträge sind, aber es geht doch nicht, all diese Erscheinungen vom . Dritten Korb'zu trennen. In welchen Korb denn sonst würden diese Tatsachen passen? Nebenbei gesagt, sind längst nicht alle hier aufgezählt.

Bemerkung zum Argument: , Aber eine volle Freizügigkeit gibt es noch nicht'.

Die Bundesrepublik braucht keine Beschränkungen im Personenverkehr, weil bei ihr kein breiteres Bedürfnis besteht, in Richtung Osten auszuwandern. Käme es aber zu solch einer Situation, würde man solche Beschränkungen vielleicht noch drastischer und schneller durchführen, als sie in den sozialistischen Ländern bestehen. Es genügt nur, auf den blitzartig durch die bundesdeutschen Behörden eingeführten Ausländerstopp hinzuweisen. Als sich Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar machten, ging man bei diesen Beschränkungen sogar sehr weit, um seine ökonomischen Interessen zu wahren. Man verweigerte das Einreisevisum sogar Montagearbeitern, die kommen sollten, um mit den sozialistischen Firmen abgeschlossene Verträge zu erfüllen. Man spricht über absolute Freizügigkeit, aber verschweigt oder vergißt, daß es in den westlichen Ländern scharfe Vorschriften gibt gegen die Immigration. Die meisten Landesgesetze erschweren oder verbieten sogar eine ständige Aufenthaltsgenehmigung für Ausländer.

Mit dem Ausnutzen von humanitären Aspekten der hier erwähnten Problematik für politische Zwecke sollte man sich auch aus anderen, über das Thema Freizügigkeit hinausgehenden Gründen Zurückhaltung auferlegen. Zu oft werden hier in der Bundesrepublik die Ankommenden von den Verhältnissen enttäuscht. Die sehr gut bekannten schmerzlichen Probleme und Enttäuschungen der auswandernden Juden aus Osteuropa oder anderer Personen im Rahmen der Familienzusammenführung bestätigen nur, daß man sehr behutsam und vorsichtig an die Lösung der Probleme herangehen soll, anstatt sie politisch zu mißbrauchen. So klagte die BILD-Zeitung vom 23. 11. 1974: „Erwartungsfroh, mit klopfendem Herzen kommen sie über die Grenze, die 1, 2 Millionen Rentner aus der , DDR', die im Jahr ihre Verwandten bei uns besuchen. Aber manche fahren schon nach einem Tag zurück, enttäuscht und verzweifelt. Ihre Verwandten wollen häufig gar nichts von ihnen wissen." Dieses Problem ist für Besucher aus der DDR, älnlich wie für Reisende aus Polen, viel schmerzlicher als es in den hiesigen Massenmedien zum Vorschein kommt, denn aus verständlichen Gründen hüllt man sich besser über diese peinliche Angelegenheit in Schweigen. Das polnische Konsulat in Köln hat augenblicklich 2 000 Anträge auf Rückwanderung nach Polen aus der Bundesrepublik vorliegen, gestellt von Umsiedlern, die enttäuscht sind und zurück wollen. Der Mensch ist aber keine Ware, die man hin und her schieben darf.

Einige Stichworte zum Thema: Teure Reisen in die sozialistischen Länder, weil auch in

dieser Hinsicht unkorrekte Vorstellungen kolportiert werden. Für 25 DM hier ein Hotelzimmer mit Vollpension zu erhalten, ist heute nur ein Wunscngedanke, vielleicht nicht so ganz in kleinen Ortschaften. Wenn aber die sozialistischen Länder einen obligatorischen Umtausch von 25 DM pro Person festsetzen, nennt man das gleich pejorativ „Zwangsumtausch" und klagt: Viel zu teuer.

Seien wir ehrlich: Es ist viel zu teuer für den Schwarzmarkthändler. Man kann aber nicht im Ernst erwarten, daß der Staat den Schwarzmarkt noch fördert. Ich habe noch nirgendwo gelesen oder gehört, daß jemand hier den Schwarzmarkt-Valuta-Handel öffentlich verurteilte, was zumindest — wenn nicht eine Hilfe für uns— so doch eine klare Distanzierung bedeuten würde. Der offizielle Kurs, den man im Osten für die Umtausch-quote bekommt (Camping-Touristen zahlen die Hälfte), erlaubt jedem, viel leichter über den Tag zu kommen als mit denselben 25 DM im Westen, mit denen ein Einzeltourist nicht auskommt, es sei denn, er zieht die Bahnhofs-bank dem Hotel vor. Daß diese Umtauschquote noch unter den realen Kosten im Westen liegt, ist der beste Beweis dafür, daß die sozialistischen Länder die Westtouristik fördern wollen. Gewiß, manchen Reisenden wird der obligatorische Umtausch trotzdem zu teuer, weil sie eben bei Verwandten und Bekannten den Unterhalt bestreiten können. Die Zollbehörden sind leider nicht imstande, zwischen wirklichen Verwandten-Reisenden und den übrigen zu unterscheiden. Außerdem würde es bedeuten, die Touristen in Klassen einzuteilen.

Mißbrauchte Touristik

Noch einige Bemerkungen am Rande in diesem touristischen Kapitel. Es gibt längst keine abgekapselte Welt mehr und es wird sie morgen noch weniger geben. Trotzdem sollte man die Begegnungen zwischen den Menschen nicht mißbrauchen. Die sozialistischen Länder möchten Touristik nicht verstanden wissen als Mantel für heimliche Aktivitäten oder Tarnkappen für die Realisierung von besonderen Wünschen besonderer Behörden, so wie es z. B.der „STERN" vom 23. 8. 1973 geschildert hatte: „Die DDR-Jugend bekundet zunehmend Interesse an Bonner Politik und Prominenz. Dies geht aus einem Geheimreport hervor, der für das Bundeskanzleramt angefertigt wurde und über Gespräche mit rund 1 000 Jugendlichen in Dresden, Leipzig, Erfurt, Magdeburg und Schwerin kurz vor und nach den Ostberliner Weltjugendfestspielen berichtet. In dem Report heißt es, daß Fragen nach Willy Brandt (87%), dem Juso-Vorsitzenden Wolfgang Roth (58%), Georg Leber (32 %) und Helmut Schmidt (31 %) nicht nur auf die Funktion, sondern auch auf die Person abzielten. (Was ist der Brandt eigentlich für ein Mensch?) Außerdem wollte über die Hälfte aller Angesprochenen Auskünfte über bundesdeutsche Bildungspolitik, Aufstiegschancen in der Wirtschaft, über den Automobil-sport, Urlaubsreisen und das Bonner Verhältnis zu Amerika bekommen."

Ähnliches trifft auf westliche Meinungsforschungsinstitute zu, wenn sie z. B. Touristen speziell aus den sozialistischen Ländern aussuchen, um ihnen Fragen zu stellen wie: „Wen würden Sie wählen, wenn es bei Ihnen freie Wahlen gäbe?" Ausführlich berichtete darüber die „Bonner Rundschau" vom 26. 3. 1973. Diese Angelegenheit wurde auch Gegenstand einer Anfrage im Bundestag. Es ging um eine Meinungsumfrage, durchgeführt in der Zeit vom Frühjahr 1971 bis Ende 1972 in sechs westeuropäischen Ländern unter mehr als 3 700 Besuchern aus Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei. Bei den Befragten handelte es sich um Touristen und um Teilnehmer von Kongressen sowie um dienstliche Besucher von Industriekonzernen. Durch journalistische Ungeschicklichkeit wurde die Initiative publik. Es stellt sich die Frage, wieviele ähnlich organisierte Unternehmen durchgeführt wurden und werden, ohne daß die Öffentlichkeit etwas darüber erfährt. Wir befragen auch nicht westdeutsche Jugendliche über die inneren Angelegenheitien ihres Landes, z. B. wie sie sich es vorstellen, die Macht der Großbourgeoisie zu brechen. Wir betrachten westliche Touristen als Touristen und dürfen hier Gegenseitigkeit erwarten.

Wie weit die menschlichen Kontakte mißbraucht werden können, zeigt auch die zum kommerziellen Geschäft gewordende Flucht-hilfe. Auch wird hier zweierlei Maß genommen. Wenn z. B. die englischen Gerichte Menschenschmuggel bestrafen, ist für die bundesdeutschen Massenmedien alles in Ordnung. Wenn aber die DDR dasselbe tut, wird es gleich gegen sie politisch umgemünzt. Man könnte auch darüber nachdenken, auf welcher rechtlichen Grundlage im Westen jedem aus Osteuropa Kommenden im Namen der Freizügigkeit politisches Asyl problemlos gewährt wird, falls ein entsprechender Wunsch geäußert wird. In solchen Fällen nimmt man nicht einmal Rücksicht darauf, daß der Asyl-Suchende sich in seinem Land kriminell strafbar gemacht hat. Jedenfalls ist kein Fall bekannt, das jemanden das politische Asyl nicht zuerkannt wurde, obwohl sich unter den Antragstellenden nicht nur Unpolitische befanden, sondern auch kriminelle Gestalten. Auch diese Praxis kann doch nicht im Sinn des . Dritten Korbes'liegen.

Noch einige Beispiele für das oft vorkommende zweierlei Maß, das der Grundidee der KSZE eindeutig widerspricht: In der „Frankfurter Rundschau" fand ich im Mai 1975 eine Mini-Notiz, daß 1974 allein in Holland über 1 000 Bundesbürger im Schnellverfahren von den holländischen Gerichten zu Geldstrafen zwischen 25 und 500 Gulden verurteilt wurden. Nur in einem Lande wegen eines einzigen Deliktes waren es so viele Bestrafte — andere Verfahren nicht mitgezählt. Die Reisenden trugen nämlich Selbstverteidigungswaffen bei sich. Viele Bundestouristen werden auch in anderen westlichen Staaten vor den Kadi gezogen. Man kann sich vorstellen, welcher Protest in den Massenmedien ausbrechen würde, sollten nur annähernd so viele Bundesbürger von der Ordnungspolizei in den sozialistischen Staaten bestraft werden. Man nimmt ferner Anstoß an beschlagnahmten Atlanten oder Büchern durch die Zollbeamten der sozialistischen Staaten, erfährt aber nicht, daß Ähnliches auch durch den bundesdeutschen Zoll praktiziert wird. Die Grenzkontrollstelle Bebra hatte im Mai 1975 einer DKP-Delegation, aus der DDR kommend, 22 Bücher beschlagnahmt. Darunter waren Wörterbücher der Philosophie und Ökonomie und das Manifest der kommunistischen Partei. (Ich zitiere hier nur den letzten mir bekannten Fall). Außerdem kann man den Touristenverkehr, die menschlichen Kontakte, den wissenschaftlichen Austausch nicht so betrachten, als zähle hier nur die Richtung Ost-West. Es besteht doch auch unter den sozialistischen Staaten ein sehr reger, allseitiger Verkehr, den wir nicht weniger schätzen als die westlichen Länder diejenigen Kommunikationsformen, die sie untereinander pflegen. In der letzten Zeit wurde der . Dritte Korb'kräftig aufgefüllt, auch mit verschiedenen kleinen Dingen, die der Öffentlichkeit in diesem Zusammenhang gar nicht bewußt sind, obwohl sie im Grunde genommen auch dazu gehören. Nehmen wir als Beispiel die Verbindungsmöglichkeiten, die der automatische Selbstwähldienst im Fernsprechverkehr schafft, was doch den Menschen zugute kommt. Zwischen den beiden deutschen Staaten bestehen derzeit 479 Telefonleitungen — nur 34 Leitungen waren es Anfang 1970. 5, 8 Millionen Telefongespräche wurden 1973 zwischen Ost und West geführt — 0, 7 Millionen waren es 1970. 1973 wurden in die DDR und nach Berlin 107 Millionen Briefe und aus der DDR rund 128 Millionen Briefe geschrieben. Die Zahl der versandten Pakete und Päckchen betrug 1973 in Richtung West-Ost rund 30 Millionen; in umgekehrter Richtung rund 15 Millionen. Auch der Selbstwählverkehr in Osteuropa bezieht immer mehr die westlichen Staaten ein, beschränkt in seinem Tempo nur durch die Kostenfrage. Außer dem Selbstwählverkehr zwischen den beiden deutschen Staaten gibt es ihn auch zwischen der Bundesrepublik und Polen, der Bundesrepublik und Ungarn sowie der CSSR und Österreich. All das ist auch ein Teilstück des . Dritten Korbes'. DDR-Bürgern ist jetzt der Besitz von Bargeld anderer Währungen gestattet. Sie können damit in Intershop-Läden oder ähnlichen Einrichtungen in der Deutschen Demokratischen Republik einkaufen. Daraus ergibt sich, daß man bei Reisen in die DDR dort lebenden Verwandten und Bekannten auch DM-West schenken darf. Bei der Rückreise reicht es aus, auf Befragen anzugeben, wem man das Geld geschenkt hat. Schließlich können jetzt auch Besucher aus der DDR bei ihrer Rückreise aus der Bundesrepublik bis zu 500 DM mitnehmen. Ähnliche Regelungen — in Details unterschiedlich — bestehen in Polen und Ungarn, und sie tragen beträchtlich dazu bei, den . Dritten Korb'mit Leben zu erfüllen, denn dieser Korb bedeutet doch in vielerlei Hinsicht letztlich eine Devisenfrage.

2. Kulturaustausch — Wer hat hier nachzuholen?

Der Begriff „Kulturaustausch" setzt Aktivitäten mindestens in zwei Richtungen voraus: Er bedeutet nicht nur Gegenseitigkeit in Quantität sondern auch in Qualität. Der Kulturaustausch setzt ebenfalls die Notwendigkeit voraus, die Gesetze und Sitten des Partners zu achten, d. h., es wäre eine eindeutige Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates, ihn seiner gesetzlichen Verpflichtungen entbinden zu wollen. In den sozialistischen Staaten sind eben die Behörden federführend in der . Dritten Korb'-Thematik; es gibt keine privaten, mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatteten Institutionen für diese Angelegenheit. Umgekehrt erwarten auch wir nicht, daß die westlichen Länder für den kultuieiien Austausch und den Informationsfluß ihrerseits die Struktur der sozialistischen Länder übernehmen. Man möge außerdem bedenken, daß die KSZE eine Zusammenkunft von Staaten und nicht von privaten Persönlichkeiten ist.

Indessen ist nicht zu verschweigen, daß die Bereitschaft zur Gegenseitigkeit im Verhältnis zur polnischen Literatur und Kultur bei unseren westlichen Partnern nicht immer über verbale Deklamationen hinausgeht. Die sozialistischen Länder — darunter auch Polen — haben keinen Grund, die Entwicklung des Kulturaustausches mit den westlichen Ländern zu befürchten. Wir sind jedoch berechtigt, mit Zurückhaltung Tendenzen zu betrachten, die gegen Entspannung und Zusammenarbeit gerichtet sind. Polen hat genug Beweise für sein Interesse an kultureller Zusam-B menarbeit mit der Welt erbracht. Wir unterhalten mit 80 Ländern in der Welt Kontakte im Bereich der Kultur, wobei die Initiative dazu des öfteren von uns kam. Es ist keine Übertreibung, zu behaupten, daß ein durchschnittlich gebildeter Pole sich in den aktuellen Kulturereignissen in der Welt besser auskennt als so mancher ihm in der Bildung ebenbürtige Vertreter in den hoch entwickelten kapitalistischen Ländern, ganz zu schweigen von den zu unseren Gunsten ausfallenden Unterschieden beim Vergleich von Spezialisten. Konzerte von beinah 3 000 polnischen Künstlern in 34 Ländern, 32 polnische Musikensembles mit 2 500 Mitgliedern in 24 Ländern, ferner 300 Künstler fest engagiert im Ausland — 1 533 ausländische Künstler (Musik, Ballett, Oper) zu Konzertreisen in Polen: das ist eine weit unvollständige Bilanz des Jahres 1974. Prozentual genommen weilen im Ausland mehr polnische Künstler als bundesdeutsche. Manche Laien betrachten Polen dennoch weiterhin als ein kulturelles Hinterland (im großen und ganzen bezieht sich das auf den Osten überhaupt) und merken gar nicht — eben weil sie zu selbstsicher sind —, daß Polen eine kulturelle Großmacht geworden ist und auf manchen Gebieten wie zeitgenössische Musik, Plakatkunst, Denkmalpflege usw. viele westliche Länder übertrifft. Aus Popularitäts-und materiellen Gründen hätten unsere Künstler oft Auslandsfahrten bevorzugt, doch ihre erste Pflicht ist, die kulturellen Bedürfnisse des eigenen Volkes zu befriedigen.

Trotzdem wird die Diskussion um den kulturellen Inhalt des . Dritten Korbes'so geführt, als wären wir dem Westen vieles schuldig. Allein aus der Bundesrepublik hatte Polen 1973 über 80 000 Bücher importiert. Aus England und den USA kaufen wir noch mehr; außerdem in kleineren Mengen aus anderen kapitalistischen Ländern. Westliche Verlage bekommen auch Gelegenheit, eigene Buchausstellungen in Polen zu organisieren (so letztlich eine Ausstellung medizinischer Literatur aus der Bundesrepublik in Warschau oder landwirtschaftlicher Bücher in Posen). Wir importieren 16 800 Titel an Tageszeitungen und Periodika aus über 100 Ländern. Von dieser Zahl kommen 12 500 Titel, also die überwiegende Zahl, aus den kapitalistischen Staaten. Im Jahre 1973 wurden in Polen 47 Millionen Exemplare der Auslandspresse verkauft, davon 35 ’/o im freien Verkauf. Unter den westlichen Titeln finden sich solche wie New

York Times, The Times, Newsweek, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Figaro, Le Monde,

Der Spiegel, Die Welt-, außerdem über 200 Titel von Zeitschriften, denen man auch keine Sympathie für den Sozialismus nachsagen kann. Die über 100 Clubs der internationalen Presse sind eine Erscheinung ohne Beispiel, denn nirgends kann man so viele Titel aus der ganzen Welt kostenlos an einem Platz durchblättern. Auf einen Durchschnitts-Westeuropäer, der mit ganz irrigen Vorstellungen in Richtung Osten schaut, müssen solche Zahlen schockierend wirken.

Wenn man bedenkt, daß die Preise der Zeitungen und die Papierpreise überhaupt in der kapitalistischen Welt unaufhaltsam und rapide gestiegen sind (bei manchen Titeln jährlich bis zu 25 °/o), kann man sich leicht ausrechnen, daß für dieselbe Zahl von Titeln jährlich immer mehr Devisen reserviert werden müssen. Es ist uns, aber unmöglich, mit den Inflationspreisen westlicher Zeitungsund Buchverlage zu wetteifern. Die Konsequenz: im Jahr 1974 kaufte Polen in der Bundesrepublik nur 70 0000 Bücher, mußte dafür aber mehr bezahlen. Trotzdem importieren wir generell aus dem Westen viel mehr an Büchern und Zeitschriften als wir in dieselbe Richtung exportieren. Es ist also für uns ein permanentes Defizit. Es geht aber darum, daß das Defizit nicht zu groß wird. Was die Bundesrepublik betrifft, so hat Polen 1973 für 3, 3 Millionen DM an Büchern importiert und nur für 1, 5 Millionen DM (teils in deutscher Sprache) exportiert — und das in ein Land mit doppelt so großer Bevölkerungszahl wie Polen.

Dabei ist die Befriedigung unserer Bedürfnisse durch die Buchverlage der DDR nicht zu vergessen, sowohl was deutsche Klassik anbetrifft wie auch Gegenwartsliteratur und technisch-wissenschaftliche Bücher.

Die Bundesrepublik bestreitet aus den sozialistischen Ländern nur 5 % ihres Gesamtimports an Büchern. Haben sie denn wirklich nur einen 5°/oigen Anteil an der Welt-Literatur? Noch unerklärlich ist, warum diese Zahl seit 1964 (!) konstant bleibt. All die oben genannten Proportionen sehen für uns in den Kultur-beziehungen mit anderen kapitalistischen Ländern noch ungünstiger aus als mit der Bundesrepublik. Umso mehr stellt sich die Frage, wer hier eigentlich etwas nachzuholen hat. Ähnlich sieht es bei den Zeitungen und Zeitschriften aus. Hier ist das Verhältnis 2, 5 : 1 zu unseren Ungunsten. Aus der Bun9 desrepublik importierten wir jährlich 2 000 Titel, davon 80 % wissenschaftliche.

Erste große Kluft — Übersetzungen

Ähnlich wie beim Import/Export-Verhältnis sieht die Situation bei den Übersetzungen fremdspachlicher Literatur aus; die Disproportionen kommen da noch krasser zum Vorschein. In Polen übernehmen wir viel mehr westliche Werke als umgekehrt. Laut UNESCO-Statistik wurden in den Jahren 1948 bis 1965 — also in den politisch nicht besonders freundlichen Jahren zwischen Ost und West — insgesamt 539 Bücher aus dem Polnischen ins Deutsche übersetzt, dagegen aus dem Deutschen ins Polnische 1 240 Werke. Zum Vergleich: Aus dem Schwedischen hatte man ins Deutsche in demselben Zeitraum 959 Bücher übersetzt.

In den Jahren 1945 bis 1973 — um einen anderen Vergleich zu bringen — wurden in Polen insgesamt 1 137 Titel aus der englischen Literatur verlegt, in Großbritannien dagegen in derselben Zeit nur 87 polnische Titel. Entsprechende Zahlen für Frankreich lauten: 1 351 französische Titel übernommen durch Polen und 139 polnische verlegt in Frankreich; ferner 800 Bücher verlegt in Polen aus den USA und 97 polnische übersetzt in Amerika. Ähnlich sehen die Proportionen aus beim Film und bei Theaterstücken. Sicherlich geht es nicht darum, ein Verhältnis 50 : 50 zu erreichen. Es geht auch nicht um die Festlegung starrer Proportionen. Die oben genannten kann man aber nur als Mißverhältnis bezeichnen. Der westliche Durchschnittsbürger, wahrscheinlich auch die sehr gebildeten Leute, sind sich dieses Mißverhältnisses gar nicht bewußt. Dabei sind die Bücher und die Theaterstücke nicht das einzige , Dritte-Korb'-Gebiet, wo die sozialistischen Länder in einer besseren Ausgangslage sind als die westlichen. Der ehemalgie Leiter und Gründer von INTER NATIONES, Richard Mönning, — Autor von über 50 Übersetzungsbibliographien — schrieb in „DIE ZEIT“ vom 11. 10. 1974 ein Lob über die Übersetzungstätigkeit der Polen: „Vorbildlich sind die Bemühungen der Polen um ihre Übersetzer im Ausland. Sie registrieren nicht nur die Übersetzungen — allein 4 465 schöngeistige polnische Werke von 1945 bis 1971 —, sie bemühen sich auch um persönliche Kontakte zu den mehr als 300 Übersetzern in aller Welt, versorgen sie mit Neuerscheinungen, Zeitschriften und Nachschlagwerken, bringen sie mit Verlegern zusammen, lassen ihre Übersetzungen in der Presse besprechen, laden sie nach Polen ein und geben ihnen Preise. Wenn wir das auch tun wollten, müßten wir zu mehr als 3 000 Übersetzern freundliche Beziehungen aufnehmen." Weiter lesen wir in demselben Artikel: „Die Nationalbibliothek in Sofia legte eine 5059 Titel umfassende Bibliographie der bulgarisch-deutschen Kulturbeziehungen der letzten hundert Jahre vor. In Moskau ist soeben ein 614 Seiten umfassendes . Verzeichnis der russischen Übersetzungen und der kritischen Literatur in russischer Sprache über Johann Wolfgang von Goethe 1780 bis 1971'erschienen. Im Katalog der Lenin-Bibliothek in Moskau fand ich 1972 nicht weniger als 408 deutsche Ausgaben und Übersetzungen der Werke von Heinrich Böll. Die Hermann-Hesse-Welle, die zuvor die Vereinigten Staaten, Japan und Indien erfaßte, hat 1974 auch die SU erreicht. Das , Glasperlenspiel'kam russisch in einer Erstauflage von 100 000 Exemplaren heraus.“ Der Autor fand keinen Grund, sich in dem Artikel über die Art der Aufnahme fremdsprachiger Literatur durch die sozialistischen Staaten kritisch zu äußern.

In der Bundesrepublik ist jeder 10. Buchtitel eine Übersetzung. Die sozialistischen Länder haben daran aber nur einen Anteil von 5 % (darunter Polen 0, 9 % der Gesamtübersetzungen). Dabei ist die Bundesrepublik im Verhältnis zu anderen kapitalistischen Ländern buchstäblich eine Macht, was Übersetzungen aus dem Osten betrifft.

Das Echo auf die Internationale Buchmesse in Warschau ist hier meistens positiv. Wie stark der Westen da vertreten ist, zeigen die Zahlen von 1973. So schrieb die Franklurter Rundschau am 10. 9. 1973: „Krasse Disproportion herrscht im Ost-West-Austausch von Druckerzeugnissen. Wie stark westliche Literatur, wie auch Sachbücher in Osteuropa verbreitet sind, zeigt ein Blick in die Schaufenster der dortigen Buchläden. Bezeichnend ist die Ausstellerliste der letzten Warschauer Buchmesse: Von den insgesamt 265 Ausstellern kamen 54 aus Polen, 57 aus anderen kommunistischen Ländern und nicht weniger als 154 aus dem Westen. Selten gelangen hingegen östliche Autoren auf die Regale der Buchhandlungen in den kapitalistischen Ländern, wenn man von einigen (im Westen verlegte) Bestseller wie Solschenizyn absieht.“ über die Leipziger Buchmesse schrieb der Kölner Stadtanzeiger vom 12. 3. 1975: „Bölls Erzählung , Die verlorene Ehre der Katharina Blum'soll auch in der DDR erscheinen und wird jetzt vom Leipziger Insel-Verlag angekündigt. Wie denn überhaupt in diesem Jahr eine verhältnismäßig große Zahl von westlichen Titeln im Programm der DDR-Verlage erscheint." Schneidet die Bundesrepublik insgesamt in Bezug auf die Übernahme von DDR-Publikationen besser ab? Die in der Zeitung gegebene Erklärung, es bestehe in der DDR ein „großer Nachholbedarf", läßt umgekehrt die Fragte zu, ob in der Bundesrepublik nicht zumindestens derselbe, wenn nicht noch ein größerer Nachholbedarf besteht.

Mit etwa 60 Titeln pro Jahr wird französische Belletristik vor allen anderen romanischen Literaturen in der DDR am häufigsten übersetzt. Wie die Zeitschrift des DDR-Schriftstellerverbandes, die Neue Deutsche Literatur, im April 1974 berichtete, sind von 1954 bis 1972 etwa 1 800 französische Buchtitel von DDR-Verla-gen herausgebracht worden. Es würde inter-essant sein zu erfahren, wieviel DDR-Bücher in Frankreich in diesem Zeitraum verlegt worden sind. Es steht außer Frage, daß aus einem so riesigen Buchvolumen, wie er in der Deutschen Demokratischen Republik besteht, sicherlich jedes westliche Land manches Wertvolle für sich finden könnte, auch wenn man andere ideologische oder politische Maßstäbe setzt. Wenn die Deutsche Demokratische Republik täglich 100 000 Bücher in über 100, Länder exportiert, dann ist das doch auch ein wichtiges Element des . Dritten Korbes'und man kann es nicht disqualifizieren, nur weil bei diesen hunderttausend Exemplaren kein Buch von Solschenizyn dabei ist.

Dies sind nicht nur meine kritischen Beobachtungen. Das sinkende Interesse der bundesdeutschen Verlage haben auch die ungarischen Aussteller auf der Frankfurter Buchmesse 1974 beklagt. Die Frankfurter AllgemeineZeitung schrieb nach der Messe in einem Artikel über die osteuropäische Literatur auf dem bundesdeutschen Markt: „Dabei muß man sagen, daß die Literatur der sechziger Jahre aus der Bundesrepublik in der Sowjetunion besser vertreten ist als entsprechende russische Titel bei uns. Herausragende Autoren sind dabei natürlich Böll, Lenz und im vergangenen Jahr auch Koeppen, der mit drei Romanen in einem Band herausgekommen ist" (FAZ vom 15. 10. 1974). Die Süddeutsche Zeitung brachte in der Nummer vom 8. /9. 1973 eine Äußerung von Ottmar Pertschi vom Institut für slawische Sprachen und Kulturen in Germersheim, wo zu lesen ist: „Meine erste Behauptung lautet: unsere westdeutschen Verlage sind an einem sowjetischen Schriftsteller erst dann interessiert, wenn er schon irgendwie — egal auf welchem Gebiet, nur nicht auf dem literarischen — reputiert ist." Es ist wirklich nicht zu bestreiten, daß die westlichen Verlage (sicherlich nicht immer) die Auswahl unserer Buchautoren bei Übersetzungsvorschlägen nach einem bestimmten Modus treffen: je kritischer der Autor sich äußert, desto größere Chancen hat er, im Westen gedruckt zu werden. Das aber hat mit Kultur wenig gemeinsam, eher mit der Politik.

Man kann sich übrigens nicht nur auf die reine Buchtitelaufzählung beschränken, denn die Auflagen sind in den sozialistischen Ländern fast immer wesentlich höher als im kapitalistischen Westen. Wenn man eine Verlagsbilanz zieht, kommt man schnell zu der Feststellung, daß die westlichen Autoren unvergleichbar mehr präsent sind in den sozialistischen Staaten als unsere Autoren im Westen.

Für den Autor der eingangs erwähnten Abhandlung in „Aus Politik und Zeitgeschichte“ scheinen aber all diese Zahlen und Tatsachen nicht zu existieren. Sein Resümee sieht folgendermaßen aus: „Der Wunsch, die eigenen Staatsbürger gegen Einwirkungen aus dem Westen abzuschirmen, veranlaßt die östlichen Behörden auch dazu, den Zugang zu westlichen Presseerzeugnissen, Büchern, Filmen und anderen Informationsträgern entweder völlig unmöglich zu machen oder aber in den engen Grenzen eines entpolitisierten und überwachten Kulturaustausches zu halten. Natürlich werden westliche Rundfunksendungen in erheblichem Umfang gestört, damit sie so wenig Hörer wie möglich in Osteuropa erreichen sollen. Das Fernsehen stellt bisher, von einigen Randzonen wie namentlich in der DDR abgesehen, praktisch noch keinen Faktor westlicher Einwirkung dar." (Seite 5) Bis jetzt dachte ich, daß die westlichen Länder einen politisierten Kulturaustausch ablehnen, ähnlich wie einen politisierten Sport. Dachte auch, daß von den unzähligen westlichen Rundfunk-stationen nur ein paar spezifische Sender wie Radio Freies Europa und Radio Liberty Schwierigkeiten haben, in Richtung Osten vorzudringen. Glaubte auch, daß das westliche Fernsehen nicht nur die DDR, sondern auch weite Teile Ungarns und der Tschechoslowakei erreicht. Jetzt wurde ich eines besseren belehrt. Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß der Westen den Osten kulturell als minderwertig betrachtete und manches davon ist noch gell blieben. So erschien in der angesehenen Zeitschrift „DIE ZEIT" eine Buchbesprechung einer in der Bundesrepublik herausgegebenen Publikation der polnischen Wissenschaftlerin Maria Wawrykowa. Ihr Thema: Deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts. In einer fairen Besprechung entdeckt der Rezensent „erstaunliche Objektivität“ der Ich erinnere mich an eine ähnliche Situation vor ein paar Jahren, als eine westdeutsche historische Zeitschrift ein Buch des polnischen Historikers Franciszek Ryszka besprach. Auch da war man erstaunt, wie weitgehend der Au-tor in seiner Arbeit Publikationen westlicher Historiker berücksichtigt hatte. Solche Entdeckungen findet man hier oft. Sie beruhen auf einer Unkenntnis der wirklichen Situation und auf Vorstellungen, daß Objektivität ein westliches Reservat sei.

Zweite große Kluft — Filme

Sehen wir uns die Fernsehprogramme an: Im ARD-Programm des Fernsehens wurden 1974 insgesamt 155 Spielfilme gesendet. Uber die Hälfte davon kam aus den USA, den Rest bestritten andere westliche Länder. Für die sozialistischen Staaten reservierte man nur insgesamt neun Titel. Im Jahre 1973 sind von 144 Filmen nur acht aus den sozialistischen Ländern vorgeführt worden. Dabei ist es allgemein bekannt, daß das Niveau der sozialistischen Filmproduktion gewiß nicht schlechter ist als das der westlichen. Wie kann man also die krassen Disproportionen erklären? Vielleicht hatte sie die Politik diktiert? Noch schlechter als im Fernsehen sieht es in den Filmtheatern aus. Es ist schon eine Leistung, in hiesigen Filmtheatern auf einen Titel aus dem Osten zu stoßen. Höchstens findet man sie in den Filmclubs. Im Vergleich zu den 170 Spielfilmen aus 19 Ländern, die Polen 1972 importierte — darunter viele aus dem Westen — sieht die Wirklichkeit der Bundesrepublik in dieser Beziehung miserabel aus. In anderen westlichen Ländern ist es noch schlimmer. Obwohl Devisenprobleme unsere Schwierigkeiten sind und nicht die des Westens, bekommen unsere Bürger einen größeren, repräsentativen Überblick über den Filmmarkt im Weltmaßstab als die westlichen Länder. Dies trifft auch auf die anderen sozialistischen Länder zu. Nach Angaben des Verleihs ist der Defa-Film „Lotte in Weimar" der erste DDR-Film überhaupt, der von einer amerikanischen Firma ins Programm übernommen wurde. Es würde in diesem Zusammenhang allgemein sehr interessant sein, zu untersuchen, wie weit der Inhalt des . Dritten Korbs'in den USA berücksichtigt wird. Es gäbe eine lange Liste, wollte man alle amerikanischen Filme aufzählen, die in den DDR-Filmtheatern schon aufgeführt wurden.

Obwohl es keine Übersetzungsprobleme gibt, hat es ein DDR-Film äußerst schwer, das westdeutsche Kinopublikum zu erreichen. Eine Vorstellung davon gibt die Antwort von Minister Franke auf eine Anfrage der Opposition vom 16. Oktober 1974. Der Minister stellte fest, daß die Bundesregierung einzelne Filme der DEFA beschafft, aber nur für geschlossene Veranstaltungen in Seminaren, Vortragsreihen und ähnliches. In den Jahren 1969 bis 1973 hat das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen insgesamt 41 Filme erworben, die nur für die politische Bildungsarbeit bestimmt waren.

Im März 1975 gab es in Moskau und Leningrad die erste Westdeutsche Filmwoche, bei der acht Spielfilme gezeigt wurden. An eine ähnliche Woche mit gleich vielen sowjetischen Spielfilmen in der Bundesrepublik kann ich mich nicht erinnern. Es genügt ferner, die Programme der Filmtheater in unserer Presse mit den hiesigen zu vergleichen, um zu entsprechenden Schlußfolgerungen zu kommen.

Immerhin tut sich schon manches auf dem Gebiet der Kulturtage und Kulturwochen. Laut einer Stellungnahme von Staatsminister Mörsch vom 19. August 1974 gab es seit der Ratifizierung des Warschauer Vertrages zahlreiche polnische Kulturwochen in der Bundesrepublik. Allein 1973/74 waren es rund 17. Staatsminister Mörsch sagte, daß das Auswärtige Amt versuche, „regelmäßig die Städte zu Gegenveranstaltungen in Polen zu bewegen und hätte in diesen Fällen auch sachliche und finanzielle Hilfe leisten können. Hierzu waren die Städte, mit Ausnahme von Kiel und Göttingen, die je eine Kulturwoche in Polen durchgeführt haben bzw. zur Zeit vorbereiten, bisher nicht bereit." Auf weitere Anfragen stellte Mörsch fest: „Insgesamt ist die kulturelle Repräsentanz der Bundesrepublik Deutschland in Polen vielfältig. Eine weitere quantitative Ausdehnung, die theoretisch durchaus möglich wäre, würde angesichts der angespannten Haushaltslage zur Zeit allerdings auf Schwierigkeiten sto-ßen... Die vom Auswärtigen Amt für deutsche Gastspiele und Ausstellungen in Polen aufgewandten Mittel sind von rund 30 000 DM (1969) auf über 700 000 gestiegen. Ähnlich verhält es sich bei den für die Zusammenarbeit in den Bereichen Film/Funk/Fernsehen, Sport, gesellschaftliche Gruppen aufgewandten Mittel."

Was die Frage der Finanzierung betrifft, so kam die Deutsche Zeitung/Christ und Welt vom 11. April 1975 zur folgenden Feststellung: „Die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik ist weitgehend Subventionspolitik.“ Selbstverständlich ist es gleichzeitig eine gezielte Subventionierung, denn für alle Interessierten reichen die Zuschüsse nicht aus. Es bleibt also dem Geldgeber überlassen, wen er mit der Subvention beglückt. Immerhin ist es eine große Summe. Das Auswärtige Amt bestimmt 40 Prozent seines Gesamtbudgets für die Finanzierung der Kulturarbeit im Ausland. Bei gut 1, 2 Milliarden DM im laufenden Haushalt sind das etwa 500 Millionen — eine enorme Summe, die in keinem Vergleich steht zu den Quoten, die dem polnischen Auswärtigen Amt dafür zur Verfügung stehen (nur 5 Prozent seines Gesamtbudget). Sicherlich wird dafür bei uns auch aus dem Fond des Ministeriums für Kultur noch manches bestritten, aber für die Bundesrepublik ist das Auswärtige Amt auch nicht die einzige und letzte Quelle der Zuschüsse für Auslands-aktivitäten. 3. Grünes Licht für Wissenschaft und Technik Bedeuten internationale Tagungen, Kongresse, Seminare — deren Zahl und Qualität sprunghaft gestiegen ist — keine Ausfüllung des . Dritten Korbes'? Hatte sich der sozialistische Osten geweigert, internationale Kongresse zu organisieren oder an ihnen teilzunehmen? Hat sich jemand beklagt, er durfte bei diesen wissenschaftlichen Zusammenkünften in den sozialistischen Ländern nicht freimütig sprechen? Die sich dynamisch entwikkelnde wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit zwischen den sozialistischen und kapitalistischen Ländern zieht auch einen starken persönlichen Gedankenaustausch nach sich.

Der wissenschaftliche Austausch zwischen Polen und der Bundesrepublik hatte im Jahre 1969 106 Personen erfaßt, im Jahre 1973 schon 575. Von den in den Jahren 1969 bis 1973 insgesamt etwa 1 700 ausgetauschten bundesdeutschen und polnischen Wissenschaftlern sind etwa 900 Deutsche in die

Volksrepublik Polen gereist; es war also keine Einbahnstraße, wie manche es vermuteten. Bei der Humboldt-Stiftung übertreffen die Anträge polnischer Nachwuchswissenschaftler schon um das Vielfache die Möglichkeit der Aufnahme. Andererseits dürfte es wenig bekannt sein, daß umgekehrt die Stipendien-möglichkeiten, die der polnische Staat westlichen Interessenten zur Verfügung stellt, noch längst nicht ausgenutzt werden. Für die von der polnischen Regierung über die UNESCO angebotenen Stipendien hatte sich im Jahr 1970/71 nur eine Person beworben und mit Erfolg. 1971/72 waren es sechs Bewerber, aber nur drei kamen durch. 1972/73 wurden bei fünf bundesdeutschen Bewerbern nur zwei Stipendien vergeben. Die durchgefallenen Kandidaten erfüllten nicht die Mindestanforderungen. Um sich nicht zu kompromittieren, hatte sie bereits die bundesdeutsche Seite abgelehnt.

Es ist nicht das einzige Beispiel, wo die Beteuerungen der westdeutschen Seite über das Interesse für Austausch nicht Schritt halten mit dem Tempo der Nutzung bestehender Möglichkeiten. Die Friedrich-Ebert-Stiftung kann im bilateralen Austausch mit den polnischen West-Institut in Posen zwei Stipendien-plätze pro Jahr besetzen; die Bundesdeutschen haben bisher (1974) aber diese Stipendien kaum genutzt.

Die Süddeutsche Zeitung schrieb am 2. 7. 1975 über die Schwierigkeiten beim Studentenaustausch: „Der Austausch mit osteuropäischen Nachbarländern ist gering, das Interesse deutscher Studenten daran noch geringer. Nur 22 Deutsche fanden sich zu einem Jahresstudium in Osteuropa bereit, 84 Plätze belegten östliche Studenten an den deutschen Hochschulen." Es hat wenig Sinn nach weiteren Möglichkeiten des Austausches zu suchen, wenn nicht mal die bestehenden ausgenützt werden. Der Abgeordnete Prof. Dr. C. C. Schweitzer fragte am 19. Dezember 1974 im Bundestag:

„Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung im Bereich der Besuchsreisen und des Austausches von Wissenschaftlern zwischen der Volksrepublik Polen und der BRD seit Abschluß des Warschauer Vertrages?" Die Antwort des Staatsministers im Auswärtigen Amt, Mörsch, dazu: „Die Entwicklung im Bereich des deutsch-polnischen Wissenschaftsaustausches ist als äußerst positiv zu bezeichnen. Polen hat an unserem gesamten internationalen Wissenschaftsaustausch einen hohen prozentualen Anteil. Dies gilt insbesondere für die Einladung polnischer Wissenschaftler aus allen Disziplinen und für die Vergabe von Stipendien."

In „Aus Politik und Zeitgeschichte" vom 9. September 1973 („Gesamteuropäische Kooperation 1970-1973") stellte man für die Sowjetunion folgendes fest: „Seit 1969 können deutsche Wissenschaftler nicht nur an den großen Staatsuniversitäten in Moskau und Leningrad, sondern grundsätzlich an allen Universitäten der Republikhauptstädte aufgenommen werden." Aus der Zusammenstellung des wissenschaftlichen Austausches ging hervor, daß in den Jahren 1969-1972 in die Sowjetunion 317 westdeutsche Wissenschaftler entsandt und 311 sowjetische in die Bundesrepublik gekommen waren (S. 29). 1973 entsandten sowohl die Bundesrepublik wie die Sowjetunion je 100 Wissenschaftler zu Informationsaufenthalten und Forschungsaufträgen; im Jahre 1974 wurde die Zahl wesentlich erhöht. Nach den ungarischen Angaben reisten 1972 3 592 ungarische Wissenschaftler ins Ausland, davon 1465 in den Westen. Es stellt sich die Frage, ob die bundesdeutschen Wissenschaftler prozentual zu ihrer Gesamtzahl viel mehr ins Ausland fahren.

Allein in der DDR gab es 1974 ca. 550 Kongresse und Tagungen mit internationaler Besetzung. Es dürfte bekannt sein, daß die persönlichen Möglichkeiten und Perspektiven eines wissenschaftlich-technischen Austausches zwischen Ost und West noch größer sind als die jetzt praktizierten. Nur politische Differenzen, die woanders zu suchen sind als im . Dritten Korb', z. B. West-Berlin, verzögern unterschriftsreife Abkommen.

Man sollte auch nicht den in viele Milliarden gehenden westdeutschen und westlichen industriellen Export in die sozialistischen Länder unbeachtet lassen. Er schafft einen beachtlichen Kontakt mit der materiellen Kultur der westlichen Länder. Das kulturelle Niveau eines Volkes, sein geistiger Reichtum, drückt sich nicht nur in rein künstlerischen Ausdrucksformen aus, sondern strahlt nach außen auch durch seine materiellen Güter. Die Herkunft der durch die sozialistischen Länder reichlich importierten Güter wird nicht ver-heimlicht. Die Kosten dieser zusätzlichen Reklame für die Bundesrepublik zahlt der sozialistische Staat. Die enorme Steigerung der Wirtschaftsbeziehungen wirkt sich also auch auf den . Dritten Korb'aus. Nebenbei bemerkt. Auch hier ist es notwendig, einer weitverbreiteten Legende entgegenzuwirken, die besagt, der sozialistische Osten sei in bezug auf technisches , know-how'der Nehmende und nicht der Gebende. In der Zeit von 1964 bis 1971 kauften die Länder Osteuropas im Westen 31 927 Patentrechte, verkauften aber gleichzeitig dem Westen 25 877 Patente (Analytical report on industrial co-operation among ECE countries, UN, Genf 1973).

Es stellt sich die Frage, ob das Informations-und Studienbedürfnis, ob das Interesse an der Problematik der sozialistischen Länder nicht hier hochgespielt wird und größer erscheint als es wirklich ist. Viele Informations-und Studienreisen nach Polen werden doch von verschiedenen hiesigen Stellen mitfinanziert. Sollten die Zuschüsse ausfallen, würde die Zahl der Reiselustigen sicherlich sinken. Das die Fahrtzuschüsse oft mit strikten Auflagen verbunden sind, ist eine Binsen-wahrheit. Allein die Jugendreisen nach West-Berlin werden durch die Behörden mit 8 Millionen DM (1974) mifinanziert. Auch bei vielen Reisen in die sozialistischen Staaten bekommt man Zuschüsse, also hat der finanzielle Aspekt bei einer Auslandsreise doch großes Gewicht. Es ist eine Bestätigung unserer Devisenprobleme, wobei es im Westen nicht mal um Devisen, sondern nur um Geld geht. 4. Disce puer latine Ein freier Meinungsaustausch, der auf Gegenseitigkeit beruhen soll, ist auch bedingt — und das in sehr hohem Grade — durch die Sprachkenntnisse. Sie sind das A und O jedes realen Infomationsund Meinungsaustausches. Im Westen ist die Kenntnis der östlichen Sprachen gleich null. Schon der Sprach-barrieren wegen könnte beispielsweise die polnische Presse in Frankreich niemals annähernd so viele Leser gewinnen wie die französische Presse in Polen. Hier sind wir leider sehr ungleiche Partner. Soll also der Meinungsaustausch eine Einbahnstraße werden? Die bekannte Formel: Wir hindern hier niemanden, sich Publikationen und Bücher aus den sozialistischen Staaten schicken zu lassen und zu lesen, bleibt eine Phrase, weil nur ein winziger Prozentsatz der Bevölkerung überhaupt sprachlich fähig ist, sich mit den Titeln vertraut zu machen. Daß auf dem sprachlichen Gebiet im Westen sehr viel nachzuholen wäre, wird niemand bestreifen. Was tut aber die Öffentlichkeit, um das Fremdsprachenin-B teresse zumindest etwas auch in die östliche Richtung zu lenken?

In nicht Polen gibt es nur Fremdsprachenunter-richt in den Schulen, wo die westlichen Sprachen stark zum Zuge kommen, sondern sogar ganze Schulen, in denen der gesamte Unterricht in der Fremdsprache geführt wird. Es gibt 26 Schulen in französischer Sprache, 25 in englischer und 18 in deutscher. Soweit ich informiert bin, gibt es im ganzen Westen nicht eine Schule, in der Beispiel zum nur in russischer Sprache unterrichtet wird. Höhere germanistische Studien können in Polen an den Universitäten in Warschau, Krakau, Posen, Breslau, Lodz, Lublin, Thom und Kattowitz aufgenommen werden. Im akademischen Jahr 1974/75 haben sich um die Aufnahme etwa 1 400 Personen beworben, für die es nur 590 Plätze gab. Insgesamt studieren jetzt über 2 300 Personen deutsche Philologie.

Auch auf diesem Gebiet ist also eine klare Überlegenheit aller sozialistischer Staaten nicht zu verleugnen. Während zum Beispiel in Dänemark Deutsch als Pflichtfach jetzt ganz abgeschafft wird zugunsten von Englisch, steigen in den sozialistischen Staaten die Zahlen der Deutschlernenden. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes wird in Polen ein zunehmendes Interesse am deutschen Sprachunterricht beobachtet. In Bulgarien existieren 678 Schulen mit deutschem Sprachunterricht, acht davon haben Deutsch als Pflichtfach. In Rumänien gibt es sechs rein deutschsprachige Gesamtschulen für die deutschsprachige Minderheit und weitere 378 Primarschulen mit Deutschunterricht. In der CSSR wird Deutsch zusammen mit Französisch und Englisch als Wahlfremdsprache gelehrt. Aus der Sowjetunion fehlen einschlägige Statistiken; man schätzt, daß an rund 300 Schulen Deutschunterricht statttfindet. Für die Ausbildung von Lehrern, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten sollen, hat die DDR u. a. mit ihren Herder-Instituten vorzügliche Bedingungen geschaffen.

Es genügt, sich die westlichen wissenschaftlichen Publikationen anzuschauen, um festzustellen, wie verheerend sich die Unkenntnis der Sprachen auswirkt. Die Arbeiten sind nämlich beinahe ausschließlich (noch im Jahre 1975!) auf westlichen Quellen aufgebaut. Daß sich jemand auf eine Quelle aus den sozialistischen Ländern beruft, ist eine Seltenheit. Praktisch sind also durch die Sprachbarrieren nicht unsere Wissenschaftler von dem Westen, sondern der Westen vom Osten abgeschnitten. Ich erwarte nicht, daß ein westdeutscher Historiker Polnisch speziell lernt, nur um zu erfahren, was seine polnischen Kollegen über ein bestimmtes Sachgebiet Neues herausgebracht haben. Daß aber sogar die Kenntnis der russischen Sprache unter der westlichen Intelligenz eine so seltene Erscheinung ist — daß sie im Grunde genommen gar nicht existiert —, kann man zwar erklären, aber nicht Auf entschuldigen. die eigentliche Dimension dieser Problematik machte der ehemalige Warschauer WDR-Korrespondent Peter Bender in der Westfälischen Rundschau vom 21. 1. 1975 aufmerksam: „Im Kern geht es um eine Frage der Einstellung: Gehört die Kenntnis Osteuropas (was elementare Sprachkenntnisse einschließt) ebenso zur Bildung wie die Vertrautheit mit Westund Südeuropa? Wenn sich die vielen Erklärungen über das Kennenlernen, die Verständigung und den Kulturaustausch nicht als Gerede erweisen sollen, wird ernstlich etwas geschehen müssen. Der Ostteil des Kontinents wird in den Lehrplänen stärker und der Westteil schwächer bedacht werden müssen.“

5. Quod licet Jovi ..?

Man wird den Eindruck nicht los, daß man bei der Auseinandersetzung über den , Dritten Korb'gerne nach dem lateinischen Sprichwort „Quod licet Jovi non licet Bovi“ verfahren möchte. Nun, wir haben nicht die Absicht, uns als Bovi behandeln zu lassen. Handelsrestriktionen des Westens gegenüber den sozialistischen Staaten findet man hier in Ordnung. Die restriktive Einstellung der sozialistischen Länder gegenüber manchen Produkten des Informations-und Meinungsaustausches dagegen werden im Westen als verwerflich bezeichnet. Dem sozialistischen Staat nimmt man übel, wenn er im Einklang mit seinen Gesetzen die kulturellen Beziehungen mit dem Ausland mit gestaltet. Ist das nicht eine seltsame Logik? Unseren Wünschen und Erwartungen in puncto Schulbuchrevision stellt man die Kulturhoheit der Länder und die autonomen Entscheidungen des Lehrers entgegen. Die sozialistischen Länder sollen aber ihre Gesetze den westlichen anpassen. Ein holländischer Delegierter auf der KSZE meldete zum Beispiel Bedenken an gegenüber einer Empfehlung, die Schulbücher sollten keinen Völkerhaß propagieren. Sein Argument: Die holländischen Gesetze gehen von einer vollen Freizügigkeit aus und lassen keine Beschränkungen zu. Der Einwand wurde von den Kon15 ferenzteilnehmern respektiert. Warum sollte wiederum unser Staat, dessen Verfassung ganz eindeutig den Völkerhaß verbietet, sich der holländischen Gesetzgebung anpassen?

Man spricht viel über die Notwendigkeit des Abbaues der letzten Kalte-Kriegs-Schranken, behält aber noch heute zugleich viele alte Gesetze und Verordnungen, die seinerzeit durch einen extrem feindlichen oder aus Mißtrauen geborenen Geist gegenüber den sozialistischen Staaten geformt wurden. Sogar Bestimmungen, die es nicht gestatten, die sozialistischen Länder aktiver in die Bekämpfung von Nazi-Verbrechen einzubeziehen, haben hier weiter ihre Gültigkeit. Man kann nicht einerseits an eigenen Vorschriften und Grundsätzen festhalten, andererseits erwarten, daß die sozialistischen Länder ihre Grundsätze ändern. Wenn wir die Existenz grundsätzlich unterschiedlicher politisch-gesellschaftlicher Systeme akzeptieren, müssen wir auch logischerweise die Gesetze dieser Systeme respektieren.

6. Journalisten — viel gereist — weniger geschrieben

Auch das unzweifelhaft komplizierte Gebiet der Arbeitserleichterungen für Journalisten, über das hart in Genf verhandelt wurde, ist kein Neuland mehr. Für Journalisten, die aus den sozialistischen Ländern berichten, gibt es keine Zensur. Auch die Einreise in diese Länder wird ihnen nicht verweigert. Von'maßgeblichen bundesdeutschen Behörden wurde mir bestätigt, daß es in den letzten Jahren Visumsschwierigkeiten nur in Ausnahmefällen gegeben habe und das nur „in ganz geringen Fällen, wo äußerst spezifische Gründe vorlagen". In die Sowjetunion reisen jährlich — außer den offiziell Eingeladenen — Hunderte von Journalisten auch im Rahmen der touristischen Möglichkeiten. Den sowjetischen Stellen in der Bundesrepublik sind Visa-Verweigerungen für Journalisten-Fahrten in die Sowjetunion nicht bekannt.

über 1 400 ausländische Journalisten waren 1973 beruflich in Polen zu Gast, darunter 330 Westdeutsche. Im vorigen Jahr haben über 300 bundesdeutsche Korrespondenten Polen besucht. Wenn die beachtliche Zahl nicht noch größer wurde, lag es nicht an den polnischen Visa-Stellen. Rund 2 300 Journalisten aus der Bundesrepublik besuchten nach Angaben der DDR-Nachrichtenagentur ADN im Jahre 1974 die DDR. 42 Jounalisten aus kapitalistischen Staaten seien gegenwärtig in der DDR ständig akkreditiert; die Gesamtzahl der ständig akkreditierten Korrespondenten ist auf 123 angewachsen. 1974 hatten über 4 000 Journalisten die DDR besucht, davon über 800 aus den kapitalistischen Industriestaaten.

Der Strom von Journalisten ist auch ein Beweis dafür, daß das Thema Informations-und Meinungsaustausch sich nicht im Wunschdenken erschöpft, sondern seit einigen Jahren Wirklichkeit ist. Sicher würde es der Sache nur dienen, wenn die Zahl der Berichte und Reportagen, die nach diesen Reisen hier erschienen sind, 'nicht in einem relativ bescheidenen Verhältnis zu der Zahl der Journalisten-Besuche gestanden hätte.

Erst nachdem bereits über 700 amerikanische Journalisten die DDR besucht hatten, hatte sich Washington entschlossen, den ersten Journalisten aus der DDR als Reisekorrespondenten zum Angela-Davis-Prozeß einreisen zu lassen. In den amerikanischen Massenmedien wird aber tagtäglich die Pressefreiheit der einen Seite und die Unfreiheit der anderen beschworen. Die Entwicklung der Journalisten-Reisen in Richtung DDR ist interessant. Einerseits beklagt man sich, daß die Deutsche Demokratische Republik bisher nur 30 Journalisten westdeutscher Zeitungen die Akkreditierung gewährt habe, andererseits hat aber nur die Hälfte der schon zugelassenen überhaupt die Arbeit dort aufgenommen. Obwohl — wie man hört — die Bonner Stellen das Ihre tun, um noch mehr Zeitungen für eine Korrespondenten-Tätigkeit in der DDR zu ermuntern, kommt man offenbar über diese 15 nicht hinaus. Die zweite Hälfte hatte es sich wohl anders überlegt. Ich glaube, es ist ein weiteres Beispiel dafür, daß das wirkliche Interesse für die Ost-West-Problematik gar nicht so groß ist, wie man es bei den Verhandlungen und Diskussionen vorgibt. Die Arbeitsbedingungen in der DDR waren doch längst bekannt, etwa durch die anderen dort akkreditierten westlichen Korrespondenten. Ich darf aber erinnern, wie die Akkreditierung seinerzeit politisch ausgespielt wurde und man den Eindruck bekam, daß viele hinein wollen, aber nur wenige hineingelassen werden.

Obwohl Polen sich über ein mangelndes Interesse der Auslandsjournalisten nicht beklagen kann, gibt es auch bei uns ähnliche Beispiele. So hatte das Büro des polnischen Handelsrats in Köln große Schwierigkeiten, einige bundesdeutsche Journalisten zu finden, die auf unsere Kosten 1974 zu der Posener Herbstmesse fahren würden. Das holländische Auswärtige Amt suchte ohne Erfolg drei Journalisten, die wiederum auf Kosten Polens den Gegenbesuch unserer Journalisten in Holland erwidern würden.

Das der Ost-West-Problematik nicht immer gerecht werdende Interesse widerspiegelt sich auch in der täglichen Berichterstattung. Wie ist es zu erklären, daß die Eröffnung der größten tschechoslowakischen Wirtschaftsausstellung in Düsseldorf, verbunden mit einer Kulturwoche, in der westdeutschen überregionalen Presse beinahe ganz übersehen wurde? Ein so angesehenes Blatt wie die SüddeutscheZeitung befand sie keiner Zeile für wert. In der Frankfurter Rundschau fand ich ganze neun Zeilen unter der Überschrift „Wichtiges in Kürze", in direkter Nachbarschaft einer ebenso umfangreichen Meldung über „Kondensmilch aus Argentinien". Die „Polnischen Kulturtage" in Dortmund, obwohl sie ein außerordentlich gelungenes Ereignis waren, fanden nur in der Lokalpresse Beachtung. In Polen wurde über diese Woche mehr geschrieben, als in der Presse des Gastgeber-landes. Dabei müßte es doch gerade die Aufgabe der Presse sein, die Korb-Thematik zu popularisieren. Ich mußte mich um Beispiele dieser Art gar nicht weiter bemühen, nahm einfach die allerletzten, als ich dieses Kapitel zu schreiben begann. Auch die bundesdeutsche Präsenz in Polen, sei es in Form von Ausstellungen oder künstlerischen Ereignissen, findet bis jetzt nur ein spärliches Echo in den hiesigen Massenmedien.

In den Beziehungen Bundesrepublik-Sowjetunion stoßen wir ebenfalls auf das schon erwähnte Problem eines Mißverhältnisses zwischen den zu Hunderten jährlich reisenden Journalisten und der Zahl der Reiseberichte, die dann hier erscheinen. Es läßt sich nicht bestreiten, daß in den einzelnen sozialistischen Ländern über die Bundesrepublik viel mehr geschrieben wird, als umgekehrt — von manchen anderen westlichen Ländern ganz zu schweigen. Gewiß, niemand pocht hier auf stur ausgewogene Proportionen. Es geht nur darum, das zu große Gefälle zu ändern. Es bezieht sich auch auf den Inhalt. Letzlich bemerkte der Moskauer Korrespondent des Kölner Stadtanzeigers, die sowjetische Presse habe sich viel mehr von Unfreundlichkeiten der Bundesrepublik gegenüber befreit als die hiesige der Sowjetunion gegenüber. Auf das Thema Pressefreiheit kann leider wegen des begrenzten Rahmens dieses Artikels nicht näher eingegangen werden. Es gibt jedenfalls zu denken, daß die Pressefreiheit in dem Teil der

Welt so oft gepriesen wird, wo unzählige Abhandlungen darüber erschienen sind, wie unfrei die Massenmedien in der westlichen Welt seien. Man fragt sich auch, wie es eigentlich kommt, daß trotz der angeblich guten und objektiven Berichterstattung in den Massenmedien die Bevölkerung oft so schlecht informiert ist über die wirklichen Verhältnisse in den sozialistischen Staaten. Unsere Bürger dagegen verfügen über eine unvergleichbar bessere Kenntnis der westlichen Wirklichkeit. Wenn die Bürger der Bundesrepublik nicht an die Unabhängigkeit des westdeutschen Fernsehens glauben (45, 5 Prozent meinen, es ist das Sprachrohr der Mächtigen — siehe Umfrage des Hans-Bredow-Instituts im „Stern“ vom 24. 4. 1975), warum sollen wir in den sozialistischen Staaten besserer Meinung sein?

Der ständige Vertreter der Bundesrepublik in der DDR, Günter Gaus, äußerte in einem Gespräch mit der Bonner Rundschau vom 23. Mai 1975 die Meinung, man verfüge hier nicht über ein korrektes Bild der Verhältnisse in der DDR. Wieso denn, müßte man fragen? Kein Land auf der Welt wird hier so genau unter die Lupe genommen wie eben die DDR. Millionen von Bundesbürgern reisen da mit sehr offenen Augen und Ohren, nicht zuletzt die bundesdeutschen Journalisten. Eine große Zahl von Instituten und Institutionen versorgt die Interessen mit Material und klopft jeden Bereich der DDR behutsam ab. Wenn die breite Masse dennoch ein nicht korrektes Bild über die DDR hat, muß es doch an der unkorrekten Widergabe des Bildes liegen.

Wieso ist man überhaupt so sicher, daß das Modell der Massenmedien der bürgerlichen Demokratien dem unseren so hoch überlegen ist? Als über Pompidous Krankheit gemunkelt wurde, das offizielle Frankreich aber Stillschweigen anordnete, munkelte man zwar weiter, aber ohne dabei dem offiziellen Paris Vorwürfe zu machen. Beginnt man aber über Krankheiten von Politikern der sozialistischen Staaten zu munkeln, wird auf das Stillschweigen der offiziellen Stellen gleich mit Seitenhieben gegen die Informationspolitik reagiert. Warum auch hier dieses Messen mit zweierlei Maß? Als die Ergebnisse der letzten Wahl in Portugal noch nicht vorauszusehen waren, wurde der Wahlmodus durch die Massenmedien von vornherein als undemokratisch disqualifiziert. Sobald das Ergebnis feststand, nämlich der Sieg der Sozialisten, wurden auf Anhieb alle abfälligen Bemerkungen über manipulierte Wahlen vergessen und auf einmal waren es demokratische Wahlen. Solche Beispiele finde ich in meiner journalistischen Praxis buchstäblich jeden Tag. Ich sehe darin Beweise, daß auch hier eine klassenbewußte Medienpolitik betrieben wird — nur mit dem Unterschied, daß wir uns zu einer solchen klassenbewußten Politik offen bekennen.

Es genügt, auf die letzte Abhöraffäre und die sehr umstrittene Rolle des „Stern" dabei hinzuweisen, um zu sehen, daß wir es hier mit einem großen Problem des alltäglichen Mißbrauchs der Pressefreiheit zu tun haben. Helmut Kohl äußerte sich sicherlich nicht nur aus Verärgerung, sondern auch aus eigener Erfahrung gegenüber dem Generalsekretär Biedenkopf über die Praktiken von Journalisten in einer Weise die von jedem auf seinen Beruf stolzen Journalisten als Schmähung empfunden werden muß. Er sprach von Journalisten, die die eigene Mutter verkaufen würden, wenn sie nur dadurch die Auflage um fünftausend erhöhen könnten. Es ist zu natürlich, daß sich die sozialistischen Staaten dagegen wehren, ein Opfer solchen Mißbrauchs zu werden und darum Gesprächen mit westlichen Journalisten zurückhaltend gegenüberstehen. Ähnlich schaut sich der Staat sehr kritisch die Produkte an, die auf einem alltäglichen Mißbrauch der Pressefreiheit basieren — bedingt durch die kommerzielle Einstellung zu den Massenmedien. Es ist, glaube ich, nicht zu viel verlangt, Verständnis für diese kritische Einstellung zu haben. Selbst die KSZE-Berichterstattung durch die westlichen Medien brachte zahlreiche Beispiele von Falschinformation, verzerrter Darstellung, Jagd nach Tagessensationen. Man schrieb zum Beispiel, daß die sozialistischen Länder die Konzeption einer gesamteuropäischen Zeitschrift torpedierten, obwohl die USA und andere westliche Staaten den britischen Vorschlag zu Fall gebracht hatten. Man hatte sich im Juni 1975 breit ausgelassen über einen angeblichen Vorschlag des Vatikans zur Glaubensfreiheit, obwohl die Diskussion darüber schon im Oktober des vorigen Jahres stattgefunden und mit der Annahme eines gemeinsamen Dokuments geendet hatte.

Wir betrachten die Gebiete der Kultur, der Presse und der Meinungsäußerung nicht als eine Art Kaufhof, wo jeder alles Mögliche und Wünschenswerte kaufen kann, wo nur der Markt darüber entscheidet, ob etwas geboten wird oder nicht. Daß man dabei die Pressefreiheit dem politischen Standpunkt oft unterordnet, zeigen — um sich wieder nur auf die allerletzten Beispiele zu berufen — die Schwierigkeiten mit dem UZ-Fest in Düsseldorf oder die Kündigung des ARD-Korrespon-denten in Rom durch den Bayerischen Rundfunk. Eben weil es hier nur eine bestimmte Art von Pressefreiheit gibt, wird die Kritik Heinrich Bölls an den Verhältnissen in der Sowjetunion großgeschrieben. Die Antwort darauf von der Literaturnaja Gazieta, obwohl in deutsch der ganzen Presse hier zugänglich gemacht, ist nur von manchen Zeitungen, dazu noch sehr, sehr spärlich, beachtet worden.

Gewiß, der Verbreitung von Meinungen und Informationen sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt und der Zugang zu Informationen erleichtert werden. Sollte man aber nicht gleichzeitig auch ein Wort über die Qualität der Information, über das 'Verantwortungsbewhßtsein des Journalisten verlieren, wenn wir im allgemeinen immer so großen Wert auch auf die Qualität der Ware wert legen?

Die ganze Problematik des , Dritten Korbes'kann man nicht abstrakt behandeln, sondern man muß auch die zehn Grundprinzipien der KSZE beachten. Der . Dritte Korb'ist ein Versuch, die ideologische Auseinandersetzung in einer fairen Weise zu führen. Wir bedienen uns jedenfalls nicht solcher Hetzsendermethoden wie sie beim Radio Free Europe oder Radio Liberty existieren; staatliche Rundfunkanstalten wie BBC, Stimme Amerikas, Deutsche Welle werden nicht gestört.

Trotz der großen Auffassungsunterschiede, die das emotionsgeladene Thema „Joumalistentätigkeit" aufwirft, muß objektiv festgehalten werden, daß die gegenseitige Berichterstattung und Kommentierung zwischen Polen und der Bundesrepublik in den letzten Jahren weitgehend von einer verständigungsfeindlichen Polemik befreit wurde. Erfreulicherweise haben wir — abgesehen von gelegentlichen Rückwärtsschaltungen — keinen Stillstand bei den Versuchen, die gegenseitige Berichterstattung noch mehr zu versachlichen. Ist dies nicht ein weiteres wichtiges Beispiel, daß wir auf dem Gebiete des Informationsaustausches schon mit der positiven Praxis zu tun haben?

Ich bin weit davon entfernt, das Problem der Arbeitsbedingungen für Journalisten zu verharmlosen. Das verbietet mir schon die berufliche Kollegialität. Nicht von ungefähr gehörte das Dokument über die Arbeitsbedingungen der Journalisten zu den letzten Texten, über die man sich in Genf einigte. Es ist selbstverständlich notwendig, sich Gedanken zu machen, wie man die Arbeit der Presse er-B leichtern kann. Andererseits sollte man mit dem Klageruf auch nicht übertreiben und nicht die Sache so darstellen, als wären hier die Journalisten überhaupt ohne Schuld, wenn sie die Erwartungen ihrer Redaktion nicht befriedigen. Man hatte doch alle möglichen Arbeitserleichterungen bei der tschechoslowakischen Ausstellung oder in Dortmund bei den Polnischen Kulturtagen, und trotzdem ... Ich glaube nicht, daß zum Beispiel der westdeutsche Korrespondent in Moskau, Uwe Engelbrecht, der so oft und vielseitig sein journalistisches Können in der bundesdeutschen Presse präsentiert, einen speziellen Draht „nach oben" hat, bevorzugt behandelt wird. Er ist einfach ein guter Journalist und das genügt. Ich weiß, daß bestimmte Krankheiten bestimmter Politiker aus den sozialistischen Ländern ein gefragtes Thema darstellen, aber man muß sich damit abfinden, daß es für unsere Pressebegriffe kein Thema ist. Sogar aus der Dokumentation im Auslands]ournal des ZDF, ausgestrahlt am 6. Juni 1975, ging eindeutig hervor, daß sich Klagen bundesdeutscher Ausländskorrespondenten über Schwierigkeiten längst nicht auf die sozialistischen Länder beschränken, sondern Alltagsbrot in vielen Ländern der westlichen Welt sind, darunter auch in den hochindustrialisierten.

Sicherlich kann man hier manches an Gegenargumenten vorbringen, und ich schreibe hier auch kein Lob auf unsere Massenmedien, die nota bene auch bei uns kritisch beurteilt werden. Es geht auch nicht darum, sich hier zu streiten, welche Presse besser ist, denn das führt zu nichts. Mir geht es einzig und allein darum, hinzuweisen, daß man hier mit großer Selbstsicherheit und Überheblichkeit immer mit dem Finger auf die sozialistischen Staäten zeigt und dabei vergißt, daß die immer komplizierter werdende Wirklichkeit der Massenmedien niemandem ein Recht zu Pauschalurteilen gibt. 7. Schlußbemerkungen Trotz unbestreitbarer Schwierigkeiten und Differenzen ist es evident, daß der . Dritte Korb'seit Jahren kein Wunschdenken mehr ist. Er ist noch nicht voll, aber auch nicht leer. Der Meinungsaustausch wird immer reger und strahlt auch positive Impulse aus. Er befruchtet uns gegenseitig und beschleunigt dadurch die Entwicklung der Welt. Gleichzeitig bringt er schöpferische Unruhe herein, schafft Wettbewerbsverhältnisse, in denen sich auch die Gegensätzlichkeit und Rivalität beider Systeme ausdrückt. Genf und Helsinki sollen dazu beitragen, daß die beiden Welt-systeme in einer mehr als bis jetzt entspannten Atmosphäre miteinander rivalisieren können.

Es hat wenig Sinn, sich gegenseitig vorzurechnen, wer wieviel noch zu dem . Korb’ beitragen sollte. Jedes Land gestaltet seine Beziehungen zum Ausland nach eigenem Ermessen und weiß am besten, was es vom Ausland braucht und was es ihm geben kann. Weil man im Westen von der Position absoluter Überlegenheit die Thematik betrachtet, schien es mir zweckmäßig, dem Leser möglichst viele konkrete Fakten vorzutragen, damit er sieht, daß zur Überheblichkeit wirklich kein Grund besteht und daß beide Seiten mit einer äußerst komplizierten Materie zu tun haben. Sicherlich bleibt noch Verschiedenes zu regeln; nicht alles, was in den . Dritten Korb'gehört, ist schon drin oder zufriedenstellend für alle Teilnehmer geregelt. Für 35 Staaten, dazu noch gegensätzlicher Staatsformen, ist es schwer, eine gemeinsame Basis zu finden. Die noch nicht geklärten Punkte oder solche, die keine Chance haben, geklärt zu werden, können aber nicht all die großen und kleinen Fortschritte überschatten, die man schon getan hat. Wenn man bedenkt, daß die Dritte-Korb’-Problematik anfangs überhaupt nicht auf der Tagesordnung der KSZE stand, ist die Verabschiedung eines so umfangreichen Katalogs von Themen im Bereich des Meinungsund Informationsaustausches ein großer Erfolg und ein optimistisches Signal zugleich. Der Leiter der bundesdeutschen Delegation, Botschafter Klaus Blech, bezeichnete am 6. Juli 1975 die fertiggestellten Texte des . Dritten Korbes'als „zufriedenstellend. Wir glauben, daß sie gute Regelungen enthalten." Trotzdem gibt es weiter Besserwisser vom Schlage der Ewiggestrigen, die in dem , Korb'nichts Befriedigendes finden können. Beim Juni-Besuch von Präsident Giscard in Polen vereinbarten beide Länder einen Informations-und Kulturaustausch, der weit über das hinaus geht, was der in Genf ausgehandelte . Dritte Korb'beinhaltet.

Gegen den eventuellen Einwand, ich hätte mich zu oft auf polnische Beispiele bezogen anstatt noch eingehender auf die Entwicklung auch der anderen sozialistischen Staaten einzugehen (Beispiele aus der Sowjetunion, der DDR und Ungarn sind reichlich vorhanden), darf ich nicht nur auf den begrenzten Rahmen dieses Artikels hinweisen. Als polnischer Jour19 nalist kenne ich außerdem die eigenen Probleme am besten. Ich darf noch darauf aufmerksam machen, daß ich meine Vergleiche beinahe ausschließlich auch nur auf ein westliches Land bezogen habe, nämlich auf die Bundesrepublik Deutschland. Wie allgemein bekannt, ist sie hier allen anderen westlichen Ländern weitgehend voraus. Vergleiche mit anderen westlichen Ländern würden ein für die kapitalistische Welt noch ungünstigeres Bild ergeben. Neuerdings, nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in Italien, fand ich mein Urteil nur bestätigt.

Gewiß läßt sich heute mit Statistiken und Zitaten alles belegen oder wiederlegen. Es war auch nicht der Sinn dieser großen Anhäufung von Beispielen, durchblicken zu lassen, es gehe hier um ein künstliches Problem. Andererseits sind wir auf diesem Gebiet längst nicht so schlecht, wie man hier meint, und der Westen längst nicht so gut, wie man sich hier einbildet. Für ein schöpferisches Zusammenwirken bei der Auffüllung des . Dritten Korbes'kann dieser Ausgangspunkt eine vernünftige Basis werden.

Für ein fruchtbares, von Mißverständnissen befreites Zusammenwirken bedarf u. a., daß die Beschlüsse der Konferenz von Helsinki der Bevölkerung jedes Teilnehmerstaates — wie vereinbart — in vollem Umfange zur Kenntnis gebracht werden. Meines Wissens hat dies zwar der sozialistische Osten, nicht aber der kapitalistische Westen — die Bundesrepublik ausgenommen — getan. In der DDR wurden die Konferenzdokumente in den führenden Zeitungen „Neues Deutschland", „Berliner Zeitung", „Horizont" und „Deutsche Außenpolitik" abgedruckt, also insgesamt in etwa zwei Millionen Exemplaren bei einer 17 Millionen zählenden Bevölkerung. Für den kapitalistischen Westen ist weit und breit kein nur annäherndes Beispiel zu sehen.

Nach Genf und Helsinki ist die ganze , Dritte-Korb'-Thematik Bestandteil einer gesamteuropäischen Friedensordnung geworden. Sie stellt einen Teil der gesamten Beschlüsse dar und sollte in diesem Zusammenhang gesehen werden. Dadurch erst erreicht sie ihren vollen Wert. Keiner der , Arbeitskörbe'stellte etwa Isoliertes, Gesondertes dar — sozusagen ein Korb für sich. Die vielen detaillierten und konkreten Formulierungen für den Informa-tionsund Meinungsaustausch können voll gedeihen, wenn sie im Einklang mit den zehn Grundsätzen der internationalen Zusammenarbeit bleiben, die in Helsinki verabschiedet wurden.

Nicht ohne Bedeutung wird auch das Klima sein, in dem die KSZE-Beteiligten den . Korb’ ausfüllen werden. Optimismus, nicht Zweckpessimismus wird hier gefragt. Letzteres hatten leider manche Massenmedien bevorzugt, als sie schon unmittelbar nach der Unterzeichnung der Dokumente eine Diskreditierung der Konferenzergebnisse und ihrer Chancen begannen. Anstatt eine wohlwollende, trugen sie eine destruktive Einstellung zur Schau.

Die einzelnen Länder können jetzt die sie besonders interessierenden Fragen und Angelegenheiten zusätzlich durch bilaterale, zwischenstaatliche Vereinbarungen bekräftigen oder erweiterte, ergänzende Fassungen formulieren. Diesen Gedanken hatte sowohl die polnische wie die französische Delegation in Helsinki formuliert. Man konnte doch von der KSZE nicht erwarten, daß sie die spezifischen Probleme der einzelnen Länder berücksichtigt. Diese Art von Bekräftigung müßte auch im Interesse der einzelnen Staaten selbst liegen. Die in Helsinki geführten Gespräche zwischen dem Ersten Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiter-Partei, Edward Gierek und Bundeskanzler Helmut Schmidt sowie die erreichte Vereinbarung, waren eben vom „Geist von Helsinki" getragen, dem Realitätsbewußtsein und Kompromißbereitschaft als Pate zur Seite stehen.

In einer Hinsicht sind sich die in Helsinki beteiligten Staats-und Regierungsvertreter immer einig gewesen, daß nämlich die KSZE-Beschlüsse die ideologische Rivalität zwischen den Staaten unterschiedlicher Systeme nicht mindern werden, geschweige denn abschaffen. Dies wurde durch kompetente Persönlichkeiten beider Seiten sowohl in der Vorbereitungsrunde Helsinki-Genf-Helsinki wie auch nachher ausdrücklich betont, was übrigens der elementaren Logik der Sache entspricht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Inzwischen stellte sich in Warschau Bremen vor; die Städte Hamburg und Dortmund sind als Erwiderung von Polnischen Wochen nach Polen eingeladen worden.

Weitere Inhalte

Eugeniusz Guz, geb. 1929. Von 1961 bis 1966 Chefkorrespondent der Polnischen Presseagentur in Berlin. 1968/69 Stipendienaufenthalt in der Bundesrepublik. Seit 1972 Chefkorrespondent der PAP in Bonn. Mitarbeiter der Wochenzeitung „Polityka". Veröffentlichungen u. a. (in polnischer Sprache): Zwischen Berlin und Bonn, Warschau 1967; Wie Goebbels den September vorbereitete, Warschau 1969 (Dokumentation der geheimen Presseanweisungen von Goebbels); Metamorphosen eines Deutschen hinter der Elbe, Warschau 1971; Das Alltagsleben in der Bundesrepublik, Warschau 1972; Schuldige suchen Schuldige, Kattowitz 1972 (Kritische Beurteilung der westdeutschen Historiographie im Zusammenhang mit dem Kriegsausbruch 1939).