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Die Strategie des Terrorismus | APuZ 13/1976 | bpb.de

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APuZ 13/1976 Artikel 1 Sicherung oder Aushöhlung des Rechtsstaats? Zum Thema: „Politischer Terrorismus und Rechtsordnung“ Die Strategie des Terrorismus

Die Strategie des Terrorismus

David Fromkin

/ 27 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Am historischen Beispiel von nationalen Untergrundbewegungen in Irland, Palästina und Algerien werden die Unterschiede zwischen dem Guerillakampf und dem Terrorismus dargelegt — eine Unterscheidung, aus der sich bedeutsame politische Konsequenzen ergeben. Die Guerilla-Kriegführung zielt auf die Vernichtung von strategisch wichtigen Objekten und Menschen und ähnelt damit gewissermaßen der regulären Kriegführung. Abwehrmaßnahmen lassen sich dementsprechend direkt und kalkulierbar durchführen. Der Terrorismus hingegen verfolgt eine ganz andere Strategie: für ihn ist es relativ gleichgültig, wer oder was vernichtet wird — entscheidend ist die Reaktion des Gegners. Je massiver und rigoroser diese provozierte Reaktion ausfällt, desto mehr begünstigt sie in der Regel die politischen Ziele der Terroristen. Das trifft sowohl für die erwähnten Beispiele nationaler Befreiungsbewegungen als auch für die gegenwärtig agierenden Terroristengruppen zu. Diese Strategie der Terroristen gegenüber Bevölkerung und Ordnungsmacht ist leider in der Vergangenheit nicht genügend berücksichtigt worden. Eine erfolgreiche Bekämpfung des internationalen Terrorismus erscheint daher nur möglich, wenn die strafrechtlichen, technischen und organisatorischen Schutzmaßnahmen ergänzt werden durch eine besonnene Reaktionsweise der Exekutive wie der Bevölkerung. Der Terrorismus kann nur dann Erfolg haben, wenn man in der von den Terroristen erhofften Weise reagiert. Worauf es in Zukunft entscheidend ankommt, ist die Weigerung, das zu tun, was die Terroristen als Reaktion provozieren wollen.

I.

Die schrecklichen Vorfälle auf dem Athener Flughafen am 5. August 1973 waren in gewissem Sinne symbolisch. Für die betroffenen Menschen waren die Ereignisse dieses Tages furchtbare Wirklichkeit; doch — Mythen vergleichbar — überschritten sie auch an Bedeutung ihre Eigenrealität, da sie einen ganzen Aspekt gegenwärtigen Lebens in einem einzigen dramatischen Augenblick einfingen.

Als die Handgranaten in die Abflughalle geschleudert wurden und die Terroristen mit Maschinengewehren die Passagiere niedermähten, die auf den Abflug nach New York warteten, schien es unbegreiflich, daß eine so harmlose Gruppe das Ziel des Angriffs sein sollte. Ein einziger Blick auf die Schnorchel und Kameras in ihrem Handgepäck hätte gezeigt, daß sie ihre Zeit mit so friedlichen Beschäftigungen wie Schwimmen, Sonnenbaden und dem Fotografieren des Parthenon verbracht hatten. Der Überfall wurde im Namen eines arabischen Palästina unternommen. Die Fluggäste jedoch hatten den Arabern keinen Schaden zugefügt, sie hatten nur eine Reise nach Griechenland unternommen. Palästina war ein ihnen fremdes Land jenseits des Meeres; für die Entstehung seiner Probleme trugen sie keine Verantwortung. Darüber hinaus stand Athen der arabischen Sache wohlwollend gegenüber — ebenso wie Paris, dessen Flughafen auch zum Schauplatz von Angriffen auf Luftfahrtgesellschaften wurde.

Ähnliche Vorkommnisse ereigneten sich mit erschreckender Häufigkeit während der sechziger und siebziger Jahre. Die Generation, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa und Amerika herangewachsen ist, möchte nur auf der Sonnenseite der Welt leben; aber statt dessen wird ihr Dasein mehr und mehr von den tödlichen Auseinandersetzungen anderer Menschen überschattet. Gruppen politisch motivierter Freischärler sind in ihr tägliches Leben ein-gebrochen und erzwingen die Aufmerksamkeit aller für ihre lokalen Fehden.

Zugegeben, auch andere Generationen litten unter Verbrechen und Gewalttätigkeiten, aber was wir heute erleben, geht darüber hinaus. Wenn die Terroristengruppen auch zu klein sind, um ihren Willen mit politischen Mitteln durchzusetzen, können sie doch genügend Schaden verursachen, um die Regierungen einzuschüchtern und zu erpressen. Erst die moderne Technologie macht dies möglich: die Bazooka, die Plastikbombe, die Maschinenpistole und vielleicht demnächst die Mini-Atombombe. Diese Veränderungen geben dem Terrorismus eine neue Bedeutung; er ist nicht länger nur Ausdruck von Verbrechen, Wahnsinn oder emotionaler Verwirrung wie in der Vergangenheit, sondern er kann die politische Arena als Verfechter von bestimmten ideologischen Zielen betreten.

Politischer Terrorismus ist eine spezifische Krankheit der modernen Welt. Als Begriff entstand er vor weniger als zwei Jahrhunderten. Aus dieser Zeit datiert auch seine Anwendung. Aber erst in der Gegenwart bekam er weltweite Bedeutung. Während beide, die organisierte wie die irreguläre (oder Guerilla-) Kriegführung, so alt sind wie die Menschheit, hatte der politische Terrorismus als Begriff seinen Ursprung erst im Jahre 1793. Als politische Strategie ist er neu und einzigartig; m. E. hat man sein Wesen noch nicht in allen Einzelheiten analysiert.

Zwar kann niemandem das Ansteigen des weltweiten Terrorismus während der letzten Jahre verborgen geblieben sein. Nicht erkannt aber wurde das Neue und Ungewöhnliche daran. Gewalt hat schon immer Angst erzeugt und Angst war schon immer eine zusätzliche Waffe. In den Händen der Terroristen jedoch wurde die Angst selbst auf eine besondere und komplizierte Weise zur Waffe.

II.

Die Angst als etwas Eigenständiges — losgelöst von der Gewalt — trat im Zusammenhang organisierter Politik zuerst unter der Schreckensherrschaft auf, jener Episode (von 1793 bis 1794) in der Geschichte des revolutionären Frankreichs, aus der sich die englischen und französischen Wörter für Terrorismus ableiten. Als Terroristen sind hier natürlich Robespierre und seine Anhänger — Saint Just und Couthon — zu verstehen. Als Frak21 tion im Ausschuß für Öffentliche Sicherheit brachten sie die Menschen in Scharen auf die Guillotine, indem sie Anklage wegen Landes-verrats erhoben. Durch die bloße Androhung einer Anklage gegen die übrigen Mitglieder des Ausschusses sicherten sie sich deren Mitarbeit und konnten so den Nationalkonvent und andere öffentliche Körperschaften der französischen Republik beherrschen.

Robespierre wurde gestürzt, als sein System gegen ihn selbst eingesetzt wurde. Sein Fehler war, Joseph Fouche wissen zu lassen, daß er als nächstes Opfer ausersehen sei. Fouche, der raffinierte Intrigant und spätere Polizei-minister Napoleons, nutzte die ihm noch verbleibenden Tage zu seinem Vorteil. Er überzeugte die untereinander verfehdeten Politiker, daß sie sich gegen die Triumvirn vereinigen müßten, da sonst einer nach dem anderen mit seiner Hinrichtung rechnen müßte; die Angst vor dem Regime sollte sie nicht veranlassen, ihm zu dienen, sondern vielmehr, es zu stürzen. Am 8. Thermidor (dem 26. Juli 1794) beging Robespierre einen weiteren Fehler, als er dem Konvent mitteilte, daß er eine neue Liste von Verrätern aus seiner Mitte vorbereitet habe, sich aber weigerte, die Namen bekanntzugeben. Fouches Vorhersagen hatten sich bestätigt. Man folgte seinem Rat. Als Robespierre am 9. Thermidor den Nationalkonvent betrat, fand er eine Gruppe Delegierter vor, die durch den Vorsatz geeint waren, ihn zu ermorden, bevor er sie ermorden konnte. Das war sein Ende.

Robespierre hatte eine Nation von 27 Millionen Menschen unter seine Gewaltherrschaft gezwungen. Seine Anhänger sandten Tausende ins Gefängnis oder in den Tod; nach Schätzung eines Gelehrten kam es zu 40 000 Todesurteilen und 300 000 Verhaftungen. Doch als die Vergeltung kam und Robespierre und seine Anhänger hingerichtet wurden, stellte sich heraus, daß diese Gruppe nur aus 22 Männern bestand.

Natürlich soll nicht behauptet werden, hiermit sei der Terror in Frankreich umfassend dargestellt. Jede Betrachtung der damaligen Geschehnisse wird jedoch eines überdeutlich werden lassen: das dramatische Mißverhältnis zwischen der objektiven Schwäche der Gruppe um Robespierre, deren Anzahl klein und deren militärische Mittel begrenzt waren, und ihrer enormen indirekten Machtfülle, die es ihnen gestattete, so viele Menschen zu töten, ins Gefängnis zu werfen oder zu überwachen.

Der einzige Grund, die Triumvirn zu fürchten, lag in der Tatsache, daß andere Menschen sie fürchteten und deshalb ihre Befehle ausführten. Ihre Macht war irreal; sie war der Trick eines Zauberkünstlers. Keine Zitadellen mußten gestürmt und keine Armeen mußten überwältigt werden, um sie zu stürzen. Sobald die Öffentlichkeit ihre Äußerungen ignorierte, wurden die Terroristen wieder politische Niemande. Ihre Gewaltherrschaft löste sich augenblicklich auf, als Robespierre und seine Anhänger daran gehindert wurden, am 9. Thermidor die Rednerbühne zu betreten.

Schließlich waren die Terroristen zu weit gegangen; man durchschaute sie und setzte sich gegen sie zur Wehr. Dann — und erst dann — wurde klar, daß Frankreich von ihnen nichts hatte zu fürchten brauchen als nur die Furcht selbst.

Am ehesten vergleichbar mit der Methode Robespierres ist wohl die des verstorbenen Senators Joseph McCarthy in den Jahren 1950 bis 1954. Wie Robespierre so behauptete auch McCarthy, Listen von Verrätern zu besitzen, deren Namen er nicht sofort enthüllte; viele führten seine Weisungen aus, um von ihm nicht des Landesverrates angeklagt oder eines Mangels an Patriotismus beschuldigt zu werden. Wie bei Robespierre hörte seine Macht auf, als er zu weit ging und Joseph Welch, sein Fouche, sich in einer Fernsehsendung gegen ihn zur Wehr setzte. Aber weder bemächtigte sich McCarthy der obersten Regierungsgewalt im Lande noch brachten seine Anklagen Menschen auf die Guillotine. In dieser Hinsicht, so kann man sagen, hatte Robespierre keine Nachfolger.

Dagegen erreichte der politische Terrorismus in der Zeit nach Robespierre eine gewisse Berühmtheit durch seine Anwendung zu einem anderen als dem von Robespierre verfolgten Zweck. Man bediente sich seiner, um Regierungen zu stürzen — und nicht, um sie an der Macht zu halten. Als politische Strategie erschien der Terrorismus in einem neuen Licht, das auch das Ansehen der Terroristen veränderte und sie als Revolutionäre für viele zu romantischen Figuren machte. Ihr Leben mit seinen Gefahren und Verstellungen, Wagnissen und Verrat, seinen Verschwörungen und geheimen Versammlungen übte eine starke Faszination aus.

III.

Trotz ihres romantischen Image schienen die Terroristen bis vor kurzem erfolglos zu sein. Vor dem Irischen Vertrag von 1921 hatten sie keine bedeutenden politischen Erfolge zu verzeichnen. Die berühmteste Terroristengruppe in der Zeit davor war die Terroristenbrigade der russischen Sozialrevolutionäre; sie waren aber nicht nur außerstande, die zaristische Regierung nach ihren Vorstellungen zu verändern, es gelang ihnen auch nicht, die Regierungsgewalt zu übernehmen, als der Umsturz durch andere herbeigeführt wurde. Plechanow, Lenin, Trotzki und die übrigen russischen Schüler von Marx hatten mehr Weitblick bewiesen, als sie ihre Anstrengungen auf die Organisation der Massen konzentrierten und nicht auf individuellen Terror. Die Bolschewiken kamen an die Macht, als sie die Arbeiter der großen Städte, die Matrosen der Ostseeflotte und die Soldaten für sich gewannen. Organisation erwies sich als der Schlüssel zum Sieg. Es waren keine einzelnen Kämpfer, sondern bewaffnete Massen, die die Macht in Rußland an sich rissen. Revolution ist — wie der Krieg — die Strategie der Starken, Terrorismus die Strategie der Schwachen.

Es ist eine zweifelhafte und indirekte Strategie, die die Furcht als Waffe auf eine besondere Weise einsetzt, um Regierungen zum Handeln zu zwingen. Ist Angst eine wirkungsvolle Methode? Ist Furcht überhaupt eine Waffe? Was können Terroristen zu erreichen hoffen, wenn sie Furcht verbreiten, und wie kann diese ihnen beim Kampf gegen ihre Gegner helfen? Offenbar ist das auf vielerlei Art möglich. Angst kann die Willenskraft lähmen, den Verstand verwirren und die Widerstandskraft eines Feindes erschöpfen. Außerdem kann sie einen Gegner überzeugen, daß ein bestimmter politischer Standpunkt von seinen Anhängern so tödlich ernst genommen wird, daß es vernünftiger ist, deren Forderungen entgegenzukommen als sie zu unterdrücken und dafür Jahr um Jahr Verluste in Kauf zu nehmen.

Alle diese Elemente kamen zum Beispiel im Unabhängigkeitskampf der Iren zusammen. Es ist schwierig, die Rolle des Terrorismus von den anderen daran beteiligten Elementen abzugrenzen und festzustellen, was letztlich zum Erfolg führte, denn die Iren führten auch eine Art Guerillakrieg. Außerdem hatten die liberalen Mitglieder der damals in Großbritannien regierenden Koalition eine politische Verpflichtung, die sich aus ihren schon ein Vierteljahrhundert zurückliegenden Bestrebungen für eine irische Selbstregierung ergab. Es bestehen jedoch kaum Zweifel darüber, daß der Terrorismus entscheidend dazu beitrug, daß Großbritannien schließlich des Kampfes müde wurde.

Der Terrorismus bewirkt auch, daß Freischärler zu Helden werden und so die Sympathie der Öffentlichkeit gewinnen. Jedoch stellt sich hier das Problem, daß zu dem Zeitpunkt, da die für Friedensverhandlungen nötigen Kompromisse geschlossen werden müssen, sie aufhören, strahlende Helden zu sein und dadurch die politische Unterstützung verlieren. Michael Collins war eine romantische Figur, der ganz Irland in seinen Bann zog, solange er ein Geächteter war; als er aber in Friedensverhandlungen eintrat, erschien er vielen in einem ganz anderen Licht. 1921, bei der Unterzeichnung des Irischen Vertrages, sagte Lord Birkenhead, der Vertreter Großbritanniens, zu Collins: „Vielleicht habe ich heute abend mein politisches Todesurteil unterzeichnet", worauf Collins erwiderte: „Ich habe vielleicht mein wirkliches Todesurteil unterzeichnet." Acht Monate später lag Michael Collins, von einer tödlichen Kugel getroffen, auf einer irischen Straße.

Wenn terroristische Provokationen aus Verbrechern Helden machen können, dann können sie auch aus Polizisten Schurken machen. Die Black-and-Tans, eine gegen die irischen Revolutionäre eingesetzte Spezialeinheit, waren — objektiv betrachtet — so erfolgreich, daß Michael Collins später einem Vertreter Englands im Zusammenhang mit den Friedensverhandlungen vom Juli 1921 mitteille: „Wir standen kurz vor der Niederlage. Wir hätten uns keine drei Wochen mehr halten können." Doch die Methoden der Black-and-Tans ließen einen solchen Haß aufkommen, daß Großbritannien den Kampf nicht fortsetzen konnte und einen anderen Weg wählen mußte.

Die Brutalität, zu der sich die Regierungen herausgefordert sehen, kann sich wieder gegen sie selbst richten. Gerade diese Fähigkeit, die Methoden der Unterdrückung auf vielfältige Weise gegen die Unterdrücker einzusetzen, ermöglichte es oft den terroristischen Strategien, in solchen Situationen Erfolge zu erzielen. >>IV.

Entsprechend diesen Grundsätzen wurden ausgeklügelte Methoden entwickelt. Eine davon wurde mir und anderen bei einer Tagung in New York im Jahre 1945 von einem der Begründer der Irgun Zwai-Le’umi erläutert, einer kleinen Gruppe jüdischer Militanten im damaligen Mandatsgebiet von Palästina. Seine Organisation umfaßte nicht mehr als 1 000 oder 1 500 Mitglieder und war mit der jüdischen Gemeinschaft in Palästina fast so uneins wie mit der Mandatsmacht. Dennoch schlug er vor, gegen Großbritannien zu kämpfen — damals eine Weltmacht, deren Truppenstärke sich im Zweiten Weltkrieg auf Millionen belief — und Großbritannien aus Palästina zu vertreiben.

Wie konnte ein solcher Kampf — gegen eine tausendfache Übermacht — gewonnen werden? Um dies zu erreichen, so erklärte er, würde seine Organisation Gebäude angreifen. Nach vorheriger Warnung, um die Evakuierung zu ermöglichen, würde seine kleine Anhängerschar sie in die Luft sprengen. Dies, sagte er, würde zu einer verstärkten Reaktion der Briten führen, wobei sie das Land mit einem riesigen Heer besetzten, das vorher aus anderen Teilen der Welt abgezogen worden war. Aber das Nachkriegsbritannien hatte nicht die finanziellen Mittel, um eine so große Armee an irgendeiner Stelle über einen längeren Zeitraum hinweg zu unterhalten. Großbritannien war gezwungen, zu demobilisieren. Die Belastung könnte nicht verborgen bleiben; schließlich würde der wirtschaftliche Druck die Attlee-Bevin-Regierung dazu bringen, sich entweder aus Palästina zurückzuziehen oder sonst irgendein möglicherweise verlustbringendes Wagnis einzugehen in dem Bestreben, die Situation zu retten.

Man kann behaupten, daß dies tatsächlich der Gang der Ereignisse war. Natürlich hätte sich Großbritannien zu einem anderen Zeitpunkt oder aus einem anderen Grund ohnehin zurückgezogen. Aber das ist hier unerheblich, denn die Irgun wollte die sofortige Unabhängigkeit, um das Land den Flüchtlingen aus Hitlers Europa zu öffnen.

Es gab zwei Fehler bei dieser Strategie. Sie wäre gescheitert, hätten die Briten nicht auf die Zerstörung der Gebäude reagiert. Hätten sie nichts unternommen und nur eine bescheidene militärische Garnison unterhalten, ohne Nachschub anzufordern, wäre nichts weiter geschehen, als daß noch einige Häuser in die Luft gejagt worden wären. Die Eigentümer hätten die Versicherungssumme kassiert und die Gebäude wieder aufgebaut — und die Irgun hätte einen Fehlschlag hinnehmen müssen.

Zweitens erwies sich die Annahme als unrealistisch, daß Gebäude angegriffen werden könnten, ohne daß Menschen verletzt würden. Unfälle sind unvermeidlich, sobald Gewalt angewandt wird. Fast hundert Menschen wurden getötet, als die Irgun das Hotel „König David" in Jerusalem in die Luft sprengte. Laut Plan hätten sie vor der Explosion evakuiert werden sollen. Bei der Ausführung kam es entweder zu Mißverständnissen, oder eine Telefonleitung war nicht besetzt, oder jemand hatte vergessen, die Nachricht rechtzeitig zu übermitteln.

Der Terrorismus schafft sich so eine Eigengesetzlichkeit: das Töten wird bald zur Absicht. Das von der Irgun verursachte Blutvergießen isolierte sie politisch und entfremdete sie der übrigen jüdischen Gemeinschaft Palästinas. Den Briten gelang es nicht, diese Situation zu erfassen und sie auszunutzen. Das aber tat Ben Gurion: 1948 nutzte er diese Tatsache, um die Irgun zu vernichten; denn die israelische Armee wäre vielleicht nicht bereit gewesen, den Befehl zum Angriff auf diejenigen auszuführen, die die „Altalena", das Schiff der Irgun, ausluden, wenn die Irgun ihren politischen Kredit nicht schon vorher durch das Töten so vieler Menschen verspielt hätte.

Trotz ihrer Fehler war die Strategie so durchdacht, daß die Irgun entscheidend dazu beitrug, die Briten zum Rückzug zu veranlassen. Ihre Genialität bestand darin, die Stärke eines Gegners gegen ihn einzusetzen. Es war eine Art Jiu-Jitsu. Zuerst mußte der Gegner in Angst versetzt werden, dann würde er voraussichtlich aus dieser Angst heraus mit einer Vergrößerung seines militärischen Potentials reagieren, und dann würde allein dessen Gewicht ihn zu Boden ziehen. Anders formuliert: Als die Irgun erkannte, daß sie zu klein war, um Großbritannien zu besiegen, kam sie zu der umgekehrten Einsicht, daß Großbritannien groß genug war, um sich selbst zu schlagen. In den fünfziger Jahren entwickelten die nationalistischen Aufständischen in Algerien eine ähnliche Methode: die Stärke einer Besatzungsmacht gegen diese selbst einzusetzen. Sie bestand darin, Frankreich zu veranlassen, daß es durch seine Reaktion dazu beitrug, die Bevölkerung vom Vorhandensein bestimmter für die Revolution nötiger Vorbedingungen zu überzeugen.

Das Problem, vor dem die kleine Gruppe algerischer Nationalisten stand, die sich FLN nannte, war, daß Algerien zu jener Zeit wenig Voraussetzungen für eine nationale Identität besaß. Seine Bevölkerung war nicht homogen: die Berber, die Araber und die Siedler europäischer Abstammung waren völlig unterschiedliche Völker. Der Name Algerien und seine Existenz als eigenständiges Gebilde sind erst jüngeren Datums. In den meisten geschichtlichen Aufzeichnungen war Algerien nichts weiter als der mittlere Teil Nordafrikas ohne eigene Geschichte. Politisch war es nur der südliche Teil Frankreichs. Die Franzosen hatten Marokko und Tunesien als Protektorate mit getrennten Identitäten behandelt, aber nicht Algerien, das Frankreich einverleibt wurde. Den Amerikanern, die auf die Unabhängigkeit Algeriens drängten, antworteten die Franzosen gewöhnlich mit der sarkastischen Bemerkung, daß dann auch die Vereinigten Staaten Wisconsin freigeben oder South Carolina in die Unabhängigkeit entlassen sollten.

Diese Stichelei traf die Sache im Kern. In den fünfziger und sechziger Jahren hörten die Kolonialreiche auf zu bestehen. Wenn Algerien eine Nation war, würde es seine Unabhängigkeit erhalten; nur als echter Teil Frankreichs konnte es weiterhin von Paris aus regiert werden. Alles hing deshalb davon ab, wer die einheimische Bevölkerung von seinem Standpunkt überzeugen konnte: ob es Frankreich gelang, daß sich Algerien auch weiterhin nicht als separates Land verstand, oder ob die FLN die Bevölkerung dazu bringen konnte, sich für eine eigenständige Nation zu halten.

Die terroristische Strategie der FLN konzentrierte sich auf diese entscheidende und zentrale Frage. Wie bereits angeführt, kann der Terror allein keine politischen Ziele erreichen; er kann sich nur bemühen, eine Reaktion herbeizuführen, die ihn zu diesem Ziel führt. So ging die FLN vor, als sie die Franzosen zu Handlungen trieb, die ihre Behauptung vom Nichtvorhandensein einer eigenständigen algerischen Nation widerlegten. Anders als die Irgun richtete die FLN ihre Angriffe nicht nur gegen Sachwerte, sondern auch gegen Menschen. Sie setzte ziellos Gewalt ein, indem sie auf Marktplätzen und an anderen bevölkerten Orten Bomben legte. Die instinktive Reaktion Frankreichs war, alle Personen nicht-europäischer Abstammung als Verdächtige zu behandeln. Raymond Aron schrieb: „Als Verdächtige fühlten sich alle Moslems von der bestehenden Gemeinschaft ausgeschlossen." Ihr Gefühl wurde bestätigt, als Mitte der fünfziger Jahre die Behörden noch weitergingen und die aus moslemisch-algerischen Truppen gebildeten Armeeinheiten aus Algerien abzogen und ins Mutterland verlegten. Sie wurden ersetzt durch europäische Truppen. Mit solchen Aktionen zeigten die Behörden auf unmißverständliche Weise, daß sie die Algerier — mit Ausnahme der europäischen Siedler — nicht als Franzosen betrachteten. Sie sprachen von „wir" und „uns" und „sie" und „ihnen" und wurden sich nicht bewußt, daß das das Ende der Algerie Franaise bedeutete.

So verzichteten die Franzosen schon bei Ausbruch des Krieges auf einen für sie erfolgreichen Ausgang. Sie verwarfen die potentielle Unterstützung des moslemischen Algeriens, weil sie an der Möglichkeit zweifelten, sie zu erhalten. Von diesem Augenblick an stand das Ergebnis des Konfliktes fest. Sobald sich die Sympathien der Bevölkerung auf die Seite der FLN verlagert hatten, konnte sie dem reinen Terrorismus entwachsen und eine Guerilla-Kampagne organisieren. Sie war auch in der Lage, im Namen eines für seine Freiheit kämpfenden Volkes an die Sympathien der Welt zu appellieren. Vom französischen Standpunkt aus war jede Hoffnung zunichte geworden; denn keine noch so große Macht kann eine Bevölkerung gegen deren Willen auf unbegrenzte Zeit unterdrücken. Wenn auch die FLN das Drehbuch geschrieben hatte, so gingen die Franzosen mit selbstmörderischer Logik daran, die ihnen zugedachte Rolle zu spielen.

Der Erfolg der FLN war deshalb ein besonderer Fall. Er erforderte einen besonderen Gegner. Unter veränderten Umständen und Bedingungen konnte er nicht wiederholt werden.

VI.

Den revolutionären Terroristen des letzten Jahrzehnts gelang es nicht, die besonderen Charakteristika der kolonialen Situation zu erkennen, die den Erfolg für die Terroristen Irlands, der Irgun und Algeriens erleichterten. Dies traf z. B. auf Extremistengruppen zu, die danach trachteten, die liberal-pluralistischen Regierungen während der sechziger Jahre zu stürzen. Sie vertreten die Theorie, daß ihre terroristischen Anschläge eine bislang liberale Regierung zwingen würden, repressiv zu werden; dadurch käme es zu einem Umschwung, der die Verbindung zu den Massen zerstören und damit der Revolution das Feld bereiten würde. Aber in der Praxis funktionierte es nicht in dieser Weise. In den Vereinigten Staaten z. B. haben terroristische Bombenanschläge keinerlei Änderung der Regierungsform erreicht, geschweige denn Amerika in einen Polizeistaat verwandelt. Andererseits führte der Terror der Tupamaros in Uruguay — der einstigen Modelldemokratie Lateinamerikas. — zu einer militärischen Gewaltherrschaft, die die Tupamaros brutal vernichtete, was aber nicht — oder noch nicht — einherging mit der vorausgesagten Reaktion der Massen zugunsten der revolutionären Aktion. Andere revolutionäre Gruppen haben einen etwas unterschiedlichen Weg eingeschlagen. Sie argumentierten, daß liberale Demokratien bereits Polizeistaaten seien. Das Ziel revolutionärer Terrorakte sollte sein, dem Volk diese versteckte Realität voll vor Augen zu führen. Die unbesonnene Reaktion der Obrigkeit auf die terroristischen Provokationen würde das gewünschte Ergebnis liefern. Das Ziel des Terrorismus wäre somit, die Regierung zur Demaskierung zu verleiten.

In offenen Gesellschaften wie Großbritannien und den Vereinigten Staaten erwiesen sich die liberalen Züge als wahres Gesicht und nicht als Maske: die Demaskierung konnte nicht stattfinden; die Strategie schlug fehl, weil ihre Prämisse nicht stimmte.

In geschlossenen Gesellschaften sollte bewiesen werden, daß autoritäre Regime trotz ihres Anscheins von Stärke tatsächlich hilflos sind. Hier kann eine Terrorkampagne den Zusammenbruch einer Regierung herbeiführen, vermutlich dadurch, daß sie die Unfähigkeit der Regierung, Recht und Ordnung zu schaffen, demonstriert. Der Fehler in der Theorie ist aber, daß die Terroristen meistens nicht stark genug sind, eine neue Regierung zu bilden. Entweder wird eine Gruppe mit breiterer Basis die Macht übernehmen, oder aber private Gruppen werden — wie in Argentinien — das Recht in ihre Hände nehmen und mit den gleichen Waffen gegen Mord und Erpressung zurückschlagen, so daß die Gesellschaft in einen halb-anarchistischen Zustand der Unterdrückung und der Blutfehden zurückfällt, in dem die Terroristen zusammen mit ihren Opfern begraben werden.

VII.

Vor diesem Hintergrund hat sich der arabisch-palästinensische Terrorismus der Aufmerksamkeit der heutigen Welt bemächtigt. Er ist gegen Israel gerichtet, gegen die Araber, die innerhalb der Grenzen des israelischen Staates leben, und gegen die Welt außerhalb. Er ist, mit anderen Worten, eine gemischte Strategie. Jeder ihrer vermischten Aspekte muß getrennt betrachtet werden. Alles, was arabischer Terrorismus in dem Land, das so vielen Menschen verheißen wurde, erreichen kann, ist, die arabischen Bewohner Israels in Furcht zu versetzen und zu bedrohen, damit sie nicht mit den israelischen Behörden Zusammenarbeiten. Israel selbst kann nicht so terrorisiert werden, daß es aus eigenem Antrieb verschwindet; es ist jedoch schon lange das erklärte Ziel der arabischen Terroristen-bewegung, Israel auf der Landkarte auszuradieren.

In kolonialen Situationen kann der Terrorismus eher zu Erfolgen führen als in Palästina, weil eine Kolonialmacht unter dem Nachteil leidet, daß sie fern vom eigenen Stützpunkt kämpfen muß. Hinzu kommt, daß eine Kolonialmacht — mit einem Mutterland, in das sie sich zurückziehen kann — nicht gezwungen ist, bis zum bitteren Ende auszuhalten. Die Israelis — obwohl von den Arabern als Kolonialisten bezeichnet — kämpfen auf ihrem eigenen Territorium und haben kein anderes Land, in das sie sich zurückziehen könnten; sie kämpfen mit dem Rücken zum Meer. Sie können dazu getrieben werden, sich selbst eine Niederlage zu bereiten, aber solange sie das nicht zulassen, kann die öffentliche Meinung in ihrem Lande nicht dahin beeinflußt werden, daß sie die Zerstörung Israels ermöglicht. Die arabischen Terroristen haben sich deshalb ein anderes Angriffsziel gesucht: Sie verüben Anschläge aut internationale Verkehrsadern in der Hoffnung, daß eine Welt, die der arabisch-israelischen Kontroverse gleichgültig gegenübersteht, sich gegen die Israelis wenden wird, um das Ärgernis eines gestörten Flugverkehrs zu beseitigen.

Dabei haben sie eine Grenze überschritten und sind in die unheimliche Welt McLuhans eingedrungen; sie haben Terrorismus zu einer Form der Massenkommunikation gemacht, aber zu einer Kommunikation, die sich an die ganze Welt — und nicht wie im Falle Algeriens hauptsächlich an die einheimische Bevölkerung —-wendet. Ihre Kampagne braucht Publicity, um Erfolg zu haben, und deshalb machten sie sich die Erfahrungen der Werbung und der Massenmedien zunutze: sie bewegen sich in der Welt der Kinos, der Extravaganzen und der Pop Art, in der Superlative das Bild bestimmen und der Nervenkitzel den höchsten Verkaufswert hat. Wenn aber das Publikum überall in der Welt mit Entsetzen reagieren und sich gegen das politische Anliegen wenden würde, in dessen Namen so viele unschuldige Menschen verletzt und getötet werden, hätte die Strategie sich gegen sich selbst gerichtet.

VIII.

Wenn wir uns tatsächlich im Zeitalter des Terrorismus befinden, ist es für uns um so wichtiger, zu verstehen, was Terrorismus genau bedeutet. Terrorismus ist — wie wir gesehen haben — die Waffe derjenigen Menschen, die bereit sind, Gewalt anzuwenden, die aber glauben, daß sie einen reinen Machtkampf verlieren würden. Was noch längst nicht alle erkannt haben, ist die Einzigartigkeit der Strategie: sie erreicht ihr Ziel nicht durch ihre Handlungen, sondern durch die Reaktion auf ihre Handlungen. In jeder anderen derartigen Strategie ist die Gewalt der Anfang, und ihre Folgen sind das Ende. Was jedoch den Terrorismus betrifft, so sind die Folgen der Gewalt nur der erste Schritt und bilden ein Sprungbrett für weiter entfernt liegende Ziele. Während militärische und revolutionäre Aktionen ein physisches Ergebnis anstreben, handelt es sich bei den Aktionen der Terroristen eher um etwas Psychologisches. Aber auch dieses psychologische Ergebnis ist nicht das Endziel. Terrorismus ist Gewalt mit der Absicht, Angst zu erzeugen; jedoch will er Furcht auslösen, damit diese Furcht wiederum jemand anderen — nicht den Terroristen — dazu bringt, in irgendeiner ganz unterschiedlichen Form darauf zu reagieren. Auf dem Umweg über diese Reaktion erreicht der Terrorist sein Ziel. Anders als der Soldat, der Partisan oder der Revolutionär befindet sich der Terrorist immer in der paradoxen Situation, Handlungen zu begehen, deren unmittelbare physische Folgen nicht eigentlich von ihm gewollt sind. Ein gewöhnlicher Mörder tötet jemanden, weil er dessen Tod will, aber ein Terrorist erschießt jemanden, obwohl es ihm völlig gleichgültig ist, ob diese Person lebt oder stirbt. Er würde dies zum Beispiel tun, um brutale Maßnahmen der Polizei herauszufordern, die nach seiner Meinung das politische Klima schaffen für revolutionäre Agitation und Organisation mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen. Die eigentliche Tat, der Mord, ist in beiden Fällen dieselbe, aber ihr Zweck ist unterschiedlich; jede Tat spielt in der Strategie der Gewalt eine andere Rolle.

Nur wenn wir begreifen, zu welchem Zweck eine solche Tat ausgeführt wird, wird uns ihr Wesen offenbar. Als Julius Cäsar im Römischen Senat ermordet wurde, war es ein Attentat traditioneller Art, das eine bestimmte Person von der politischen Szene entfernen sollte; wäre er aber dort von einem Vertreter einer subversiven Partei getötet worden, der die erste führende Persönlichkeit Roms, mit der er zusammentraf, erdolchen wollte, um beim Senat eine bestimmte politische Reaktion zu bewirken, wäre es statt dessen ein Akt politischen Terrorismus gewesen.

Gerade weil ein und dieselbe Handlung von zwei verschiedenen Gruppen mit zwei ganz unterschiedlichen Absichten begangen werden kann, wird Terrorismus so oft mit Guerilla-Kriegführung verwechselt, denn Terroristen und Guerilleros scheinen oft die gleichen Dinge zu tun. Beide z. B. versuchen, den Verkehr durch Sabotage lahmzulegen. Als T. E. Lawrence seinen klassischen Guerillakampf gegen die türkische Herrschaft in Arabien führte, sprengte er systematisch Gleisanlagen und Brücken. Lawrence'Strategie wurde später folgendermaßen von Winston Churchill erläutert: „Die gegen Ägypten operierenden türkischen Einheiten waren auf die Bahnlinie durch die Wüste angewiesen. Dieser schmale Schienenstrang führte Hunderte von Meilen durch brennend heiße Wüste. Gelang es, ihn für einen längeren Zeitraum zu unterbrechen, mußten die türkischen Einheiten zugrunde gehen." Deshalb ritt Lawrence auf dem Kamel durch die Wüste, um die Bahnlinie in die Luft zu jagen und so die feindliche Armee zu vernichten. In den letzten Jahren haben diejenigen, die nach eigenen Äußerungen den israelischen Staat vernichten wollten, auch Verkehrsmittel in der arabischen Wüste gesprengt: in diesem Fall Düsenflugzeuge, die zivilen Luftfahrtgesellschaften gehörten. Selbst wenn dadurch der Flugverkehr für eine längere Zeit lahmgelegt worden wäre, hätte das nicht den Untergang der israelischen Armee bewirkt. In der Tat ist das Schicksal der betroffenen zivilen Fluggesellschaften für die Terroristen unwichtig. Lawrence, der Guerilla-Führer, griff eine Bahnlinie an, weil er sie zerstören wollte, wohingegen arabische Terroristen eine Fluglinie angreifen, obwohl sie sie nicht zerstören wollen. Der Unterschied ist nicht nur von rein akademischer Bedeutung. Die Franzosen verloren ihre Herrschaft über Algerien, als sie den Terrorismus für Guerilla-Kriegführung hielten. Wenn die FLN eine Bombe in einen Bus legte, glaubten sie, daß dies geschah, um den Bus in die Luft zu jagen; das eigentliche Ziel der FLN beim Bombenlegen war aber nicht die Sprengung des Busses, sie wollte vielmehr die Behörden zu einer bestimmten Reaktion verlocken, nämlich alle Nicht-Europäer in dem Gebiet als Verdächtige zu verhaften.

Der Terrorist ist wie ein Zauberer, der durch Tricks sein Publikum so täuscht, daß es seine rechte Hand beobachtet, während die linke unbemerkt den notwendigen Handgriff ausführt. Es ist verständlich, daß die französischen Behörden in Algerien von der Notwendigkeit besessen waren, verbrecherische Anschläge unmöglich zu machen, aber dieses Vorgehen war verhängnisvoll für ihre Politik, denn die gewalttätigen Angriffe waren nur von untergeordneter Bedeutung. Die kleine FLN-Gruppe von Geächteten hätte jeden Bus in Algerien in die Luft sprengen können und trotzdem niemanden dazu bekehrt, ihren Freiheitskampf zu unterstützen. Da die Franzosen die Strategie des Terrorismus nicht begriffen, erkannten sie nicht, daß es nicht die Aktionen der FLN waren, sondern vielmehr die französische Reaktion, die über Sieg oder Niederlage der FLN entschied. Möglicherweise ist die gegenwärtige Politik Israels, arabische Terroristenlager im südlichen Libanon anzugreifen, ein anderes Beispiel dafür, daß der Verhinderung von Terror-anschlägen zuviel Beachtung geschenkt wird und der Vereitelung der Pläne der Terroristen zu wenig. Die israelische Politik ist sicherlich aus verschiedenen Gründen verständlich (und stichhaltige Argumente können zu ihrer Verteidigung angeführt werden); aber die Schwächung einer im Grunde wohlwollenden libanesischen Regierung ebenso wie das sinkende Ansehen in der Weltöffentlichkeit sind Ergebnisse der israelischen Einfälle in den Libanon, die den Wert dieser Art der Terroristenbekämpfung aufheben.

Für die Israelis, die von Feinden außerhalb ihrer Gesellschaft bedroht werden, ist das Problem ungeheuer schwierig. Gesellschaften, die nur von inneren Feinden bedroht werden, haben es da wesentlich einfacher. Gerade seine moralische Schlechtigkeit machen den Terrorismus in einer solchen Gesellschaft zu einem leicht anzugreifenden Gegner. Andere Strategien töten manchmal versehentlich Unschuldige, der Terrorismus tut es vorsätzlich; denn nicht einmal der Terrorist glaubt unbedingt, daß gerade die Person, die zufällig sein Opfer wird, es verdient, getötet oder verwundet zu werden. Nicht die Tat als solche ist so erschreckend, sondern ihre scheinbare Sinnlosigkeit. Wenn man gegen die Vereinigten Staaten für die Unabhängigkeit Puerto Ricos Krieg führen will, warum jagt man dann ein historisches Gasthaus in New Yorks Finanzdistrikt in die Luft? Was hat „Fraunces Tavern" mit Puerto Rico zu tun? Wenn man durch die Anwendung von Gewalt gegen die Fortsetzung der amerikanischen Militärhilfe für Süd-vietnam kämpft, warum droht man dann, die „Smithsonian Institution" zu zerstören? Was haben ihre Pflanzensammlung und ihre ichthyologischen Exemplare mit der amerikanischen Südostasienpolitik zu tun? Die Zerstörung scheint so sinnlos zu sein, daß es eine natürliche Reaktion ist, sich in Haß und Zorn gegen die Täter zu wenden.

Die tragischen Unglücksfälle, die berühmten Persönlichkeiten widerfahren, können zuweilen verdient erscheinen; aber wenn der Mann auf der Straße aufs Geratewohl wegen einer Sache getötet wird, mit der er nichts zu tun hat, so ist das etwas anderes und ruft eine andere Reaktion hervor. In einer homogenen Gesellschaft jedenfalls führt es zu einer Reaktion gegen den Terrorismus, es macht ihn angreifbar für eine Kampagne, die ihn politisch isoliert, um ihn physisch zu zerstören; denn das Wesen der Anschläge tendiert eher dazu, Terroristen als Feinde des Volkes und nicht lediglich als Feinde der Regierung erscheinen zu lassen. Aus diesem Grunde warnte Che Guevara, ein Theoretiker und Praktiker der Guerilla-Kriegführung, vor der Strategie des Terrorismus mit der Begründung, daß sie „den Kontakt mit den Massen erschwert und die Einigung für Aktionen unmöglich macht, die in einem kritischen Augenblick notwendig werden".

Sogar auf internationaler Ebene sind Terroristenbewegungen verwundbar, wenn sie nämlich durch ihre Aktionen Sympathien verlieren. Dies wurde stillschweigend von der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) anerkannt, als sie am 29. Januar 1975 ihren Entschluß verkündete, in Zukunft die Entführung von Flugzeugen, Schiffen oder Zügen als Verbrechen zu behandeln und die Entführer, deren Aktionen den Verlust von Menschenleben zur Folge hätten, mit dem Tode zu bestrafen. Ob die PLO wirklich ihre Terrorkampagnen gegen internationale Verkehrsmittel einstellen wird, bleibt abzuwarten. Doch allein die Tatsache, daß sie sich zu einem solchen Verhalten bereit erklärt, ist bezeichnend, denn sie deutet die Erkenntnis an, daß der Punkt erreicht ist, an dem eine öffentliche Identifizierung mit den Aktivitäten der Terroristen eher schadet als nützt.

Es ist dennoch bemerkenswert, wie viele politische Erfolge die Strategie des Terrorismus trotz der ihr anhaftenden Schwäche in den letzten Jahrzehnten erringen konnte. Der Grund dafür scheint im Mißverstehen der Strategie durch ihre Gegner zu liegen. Sie haben die wichtigere der beiden Ebenen vernachlässigt, auf denen der Terrorismus operiert. Sie haben es unterlassen, ihre Aufmerksamkeit auf den entscheidenden Punkt zu konzentrieren: wie sich die Art, in der sie als Gegner reagieren, auf die politischen Ziele der Terroristen auswirkt. Statt dessen hat sich die Diskussion hauptsächlich auf die strafrechtlichen Aspekte dieser Frage beschränkt: auf Vorbeugung und Strafe.

Eine Menge wurde z. B. über technologische Schutzmaßnahmen geschrieben, die gegen den Terrorismus entwickelt wurden oder entwikkelt werden könnten, um Anschläge zu verhindern. Dies kann ein äußerst brauchbarer Ansatzpunkt sein, wie der erfolgreiche Einsatz elektronischer Überwachungsgeräte auf Flughäfen zu beweisen scheint. Die Forderung könnte sogar ratsam sein, daß jeweils neu entwickelte Technologien eine Art innerer Schutzvorrichtung gegen Anschläge enthalten sollten, vergleichbar der Argumentation der Umweltforscher, daß auf Kosten der Hersteller Kontrolleinrichtungen gegen Umweltverschmutzung in die Anlagen eingebaut werden sollten. Doch keine Technologie ist vollkommen, und es wird immer jemandem gelingen, nicht im Netz der Schutzvorkehrungen gefangen zu werden.

Die Verhütung des Terrorismus auf nicht-technologische Art scheint keine Diskussion wert zu sein. Vielleicht werden uns eines Tages die Sozialwissenschaften lehren, wie man die Sümpfe des Elends trockenlegt, in denen Haß und Fanatismus gedeihen, aber im Augenblick scheint dieser Tag noch fern. Der hohle Formalismus des Rechts bietet — wenn überhaupt — noch weniger Hilfe an. Es wurden geniale Systeme neuer internationaler Gerichte und Verfahrensweisen vorgeschlagen, die aber den Kern der Sache keineswegs treffen. Die deutliche Abneigung vieler Regierungen, die bestehenden Rechtsmittel gegen den Terrorismus einzusetzen, zeigt, daß das eigentliche Problem der fehlende Wille ist und nicht die fehlende Methode. Zum Beispiel mußte erst ein Angriff auf den Pariser Flughafen inszeniert werden, ehe der französische Innenminister internationale Abmachungen anregte, um Maßnahmen zur Bestrafung terroristischer Handlungen zu ergreifen. Es ist ohnehin keine echte Lösung, aber es wird interessant sein, zu sehen, ob Michel Poniatowski an einer solchen ritualistischen Gegenmaßnahme festhält, nachdem die flüchtige Erinnerung an verletzten Nationalstolz verblaßt ist. Es gibt nur allzu viele, die erst gegen den Terrorismus protestieren, wenn sie selbst die Opfer sind.

Bei weitem wirkungsvoller als die Reaktion M. Poniatowskis war die der französischen Presse. Die Zeitungen brachten den Vorschlag, die proarabische Politik der französischen Regierung zu revidieren, weil sie den Anschlag auf den Flughafen Orly nicht hatte verhindern können. Innerhalb von Tagen verurteilte die PLO den Anschlag aufs schärfste. Außerdem verkündete sie, daß sie Maßnahmen zur Bestrafung von Personen eingeleitet habe, die sich an der Entführung von Flugzeugen, Schiffen oder Eisenbahnen beteiligen. Die französischen Journalisten hatten richtig erfaßt, daß der eigentliche Ort des Geschehens nicht der Flughafen Orly war, sondern der Elysee-Palast und der Quai d'Orsay.

Die übergeordneten Fragen sind nicht rechtlicher oder technologischer Art; sie sind philosophisch und politisch. Terrorismus ist eine indirekte Strategie, deren Sieg oder Niederlage allein von den Reaktionen der anderen abhängt. Die Entscheidung, wie entgegenkommend oder unnachgiebig man sich verhalten sollte, wirft Fragen auf, die primär in den Bereich politischer Philosophie fallen.

IX.

Diejenigen, die die Zielscheibe des Terrorismus sind — und die darauf vorbereitet sind, sich selbst zu verteidigen, indem sie alles für einen Gegenschlag Notwendige tun —, haben einen großen Vorsprung, der darin liegt, daß Erfolg oder Mißlingen von ihnen selbst abhängen. Der Terrorismus kann nur siegreich sein, wenn man in der von den Terroristen gewollten Form reagiert; das bedeutet, daß sein Schicksal in unseren und nicht in ihren Händen liegt. Wenn man es vorzieht, überhaupt nicht oder aber in einer anderen als von ihnen gewünschten Weise zu reagieren, wird es ihnen nicht gelingen, ihre Ziele zu erreichen. Die entscheidende Schwäche des Terrorismus als Strategie ist, daß seine Gegner die Wahl haben. Das bedeutet, daß Terrorismus, obwohl er nicht immer verhindert werden kann, jedoch immer besiegbar ist. Man kann sich immer weigern, das zu tun, was die Terroristen von einem erwarten.

Ob man den Preis für den Sieg über den Terrorismus bezahlt, wird in zunehmendem Maße zu einer bedeutenden Frage unserer Zeit. Solern es um Entführungen und Lösegeld geht, ist die Antwort meistens relativ einfach: Die Erfahrung hat gezeigt, daß Erpresser gewöhnlich einen zweiten Versuch unternehmen, wenn man beim ersten Mal ihren Forderungen nachgegeben hat. Wenn möglich, sollte man deshalb die Konsequenzen einer unnachgiebigen Haltung — so schrecklich sie auch sein mögen — tragen, um eine endlose Folge schmerzlicher Ereignisse zu vermeiden.

Aber der Preis dafür steigt ständig, weil die Technologie den Spielraum und das Ausmaß schrecklicher Möglichkeiten vergrößert. Wenn sich terroristische Gewalttaten ereignen, werden sie zwangsläufig immer tödlicher. In zunehmendem Maße werden wir unter dem Druck stehen, unsere Rechte und Freiheiten einzuschränken, um uns gegen den Terrorismus zur Wehr zu setzen. Es ist ein Druck, dem wir widerstehen sollten.

In unserem Privatleben haben wir manchmal zwischen folgenden Alternativen zu wählen: ob wir ein gutes oder ein langes Leben führen wollen. Die politische Gesellschaft der kommenden Jahre wird wahrscheinlich vor eine ähnliche Wahl gestellt werden. Eine offene Gesellschaft wie die unsrige ist besonders anfällig für terroristische Gewalttätigkeit, deren schreckliche Drohungen sich zu eskalieren scheinen. Haben wir den Gleichmut, trotzdem durchzuhalten? Werden wir versucht sein, unsere politischen und moralischen Werte aufzugeben? Werden wir bereit sein, weiterhin einen ständig steigenden Preis für den Sieg zu zahlen, indem wir uns weigern, auf die von den Terroristen gewollte Art zu reagieren?

Fussnoten

Weitere Inhalte

David Fromkinist Rechtsanwalt in den Vereinigten Staaten und Autor des Buches: „The Question of Government".