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Zur Kritik der Publizistik des antisemitischen Rechtsextremismus. Vorbemerkung zu der Untersuchung von Ino Arndt und Wolfgang Scheffler | APuZ 19/1976 | bpb.de

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APuZ 19/1976 Artikel 1 Zur Kritik der Publizistik des antisemitischen Rechtsextremismus. Vorbemerkung zu der Untersuchung von Ino Arndt und Wolfgang Scheffler Organisierter Massenmord an Juden in nationalsozialistischen Vernichtungslagern

Zur Kritik der Publizistik des antisemitischen Rechtsextremismus. Vorbemerkung zu der Untersuchung von Ino Arndt und Wolfgang Scheffler

Martin Broszat

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Zusammenfassung

Martin Broszat: Zur Kritik der Publizistik des antisemitischen Rechtsextremismus. Vorbemerkung zu der Untersuchung von Ino Arndt und Wolfgang Scheffler

Der folgende Beitrag beansprucht nicht, durchweg das Resultat originärer Erforschung bisher unbekannter Tatsachen zu sein. Durch ihn soll vielmehr auf der Basis wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse zusammenhängende Grundinformation gegeben werden über einen zentralen nationalsozialistischen Verbrechenskomplex, den die Verantwortlichen des Dritten Reiches selbst sorgsam abzuschirmen versuchten und dessen Spuren sie noch nachträglich systematisch zu beseitigen suchten: die Massenvergasung von Juden während des Zweiten Weltkrieges. Es muß angenommen werden, daß dieser Verbrechenskomplex, trotz der umfangreichen historischen und — vor allem — gerichtlichen Ermittlungen, die seiner Aufklärung dienten, und obwohl auf ihn innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik so häufig Bezug genommen wird, sich auch heute noch im Halbdunkel ungenauen Wissens befindet, wobei zuzugeben ist, daß sich die historische Detail-aufhellung z. T. noch immer in einem fragmentarischen Zustand befindet. Dieser Mangel an gesichertem Wissen hat — wie schon in früheren Jahren — den Boden bereitet für mancherlei, neuerdings wieder ins Kraut geschossene apologetische Tendenzliteratur und Agitation mehr oder weniger eindeutig rechtsextremistischer Provenienz, die die Existenz jener mit Vergasungsanlagen ausgestatteten Massentötungs-Stätten, die seit 1941/42 in den besetzten polnischen Gebieten errichtet und „in Betrieb" genommen wurden, in Zweifel zu ziehen, wenn nicht überhaupt abzuleugnen sucht.

Die technisch-fabrikmäßige Tötung von wohl mindesten 3 Millionen jüdischen Menschen durch Gas in diesen Lagern (Chelmno, Sobibor, Belzec, Treblinka, Majdanek und Auschwitz-Birkenau) stellt innerhalb des Gesamtkomplexes der nationalsozialistischen Juden-

Vernichtung den quantitativ größten Teilvorgang dar. Daneben fanden systematische Massenerschießungen von Juden statt, exekutiert vor allem durch die mobilen Einsatzgruppen und spätere stationäre Kommandos der Sicherheitspolizei sowie allgemeine Polizeieinheiten in den besetzten sowjetischen Gebieten (die Zahl der jüdischen Opfer überschritt hier sicher die Millionengrenze) und durch örtliche Einheiten der Sicherheitspolizei und der Polizei im Generalgouvernement. Als dritter Groß-Komplex der „Endlösung der Judenfrage" kommt hinzu die zahlenmäßig besonders schwer abzuschätzende, aber hoch anzusetzende Zahl von Juden aus dem gesamten europäischen Machtbereich des NS-Regimes, die zwar nicht direkt getötet, aber mittelbar Opfer nationalsozialistischer Verfolgung wurden, weil sie in den Deportationstransporten, den Auffang-und Zwangsarbeitslagern, Zwangs-Ghettos (auch durch Epidemien) und noch in den letzten Kriegs-Monaten als Folge überstürzter Evakuierungen und zusammengebrochener Versorgung auf den Landstraßen, in Eisenbahnzügen oder in den überfüllten Konzentrationslagern des Altreiches zu Tausenden dahinstarben.

Die Vernichtung durch Gas, obwohl nur ein Teilvorgang innerhalb dieses Gesamtkomplexes, symbolisiert wohl am schärfsten sowohl die perverse rassenideologische Ungeziefer-Vorstellung des Hitlerschen Antisemitismus als auch den perfekten und mechanisch-kaltblütigen Charakter ihrer subalternen Durchführung: technischer Genocid ohne Pogromstimmung bei den Tätern, ohne unmittelbar motivierende und erregende religiöse, nationale oder soziale Feindschaftsgefühle, weder schlüssig herzuleiten aus dem ideologischen Haß-Komplex gegen den „jüdischen Bolschewismus" noch aus jenem aus Angst, Aggression, Vergeltungsbedürfnis heillos gemischten Erregungszustand, der unter bestimmten Bedingungen in allen kriegführenden Armeen „Kriegsverbrechen" auszulösen vermag. Dieser planmäßige Judenmord in den Gaskam3 mern fällt aus den Vergleichs-und Aufrechnungsspekulationen heraus.

Hier liegt unverkennbar ein gewichtiger psychologischer Ausgangspunkt für diejenigen, die sich und anderen gegen die unerschütterliche Evidenz der Fakten einreden wollen, die Judenvergasung habe es gar nicht gegeben, sie ließe sich nicht einwandfrei beweisen, sie sei eine Erfindung der Siegermächte, gestützt auf erpreßte Schuldgeständnisse der vor Gericht gestellten Angeklagten aus den Reihen der SS, Ergebnis systematisch verbreiteter Lüge, mit dem Ziel, das deutsche Volk auf ewig zu belasten, der sich auch die durch „Umerziehung" korrumpierte professionelle Geschichtswissenschaft ebenso wie die mit den Vernichtungslagern befaßte Strafjustiz der Bundesrepublik angeschlossen habe. Die Pathologie solchen Amok-Laufes gegen die Wirklichkeit ist in der diesbezüglichen Broschüren-Literatur mit ihren bezeichnenden Titeln („Auf der Suche nach der Wahrheit" „Warum werden wir Deutschen belogen" „Hexeneinmaleins einer Lüge" „Die Auschwitz-Lüge" evident. Sie äußert sich in der Weigerung der betreffenden Autoren und ihrer Gläubigen, ihnen nicht passende historische Informationen überhaupt aufzunehmen und zu verarbeiten (hier hat das Institut für Zeitgeschichte vielfältige einschlägige Erfahrungen), in der armseligen Exklusivität, mit der die betreffenden Winkel-Autoren sich ständig gegenseitig selbst zitieren und aufeinander berufen (ein krasses Beispiel: Heinz Roths Zitat-Broschüren, wohl auch zur Absicherung gegen gerichtliches Vorgehen wegen falscher Tatsachenbehauptungen so kaschiert ebenso in der — freilich mit bewußtem propagandistischen Kalkül betriebe-neu Benutzung immer der gleichen falschen Argumente, nicht belegter vermeintlicher Gegen-Dokumente, denen durch solche Wiederholung Glaubwürdigkeit attestiert werden soll

Für die Machart der Argumente sei noch ein Beispiel angeführt aus der schon genannten Broschüre von Heinz Roth, das sich auf eine Auskunft des Instituts für Zeitgeschichte be-zieht und sie mit wenigen hurtigen Griffen in ihr Gegenteil verkehrt. Es heißt dort

„Das Institut für Zeitgeschichte, an das ich eine diesbezügliche Anfrage richtete, gab mir zur Antwort: , ... Was den Führerbefehl zur Ermordung der Juden betrifft ..., so ist ein solcher in schriftlicher Form nicht aufgefunden worden, jedoch ergibt sich aus vielen Zeugnissen, daß er mündlich erteilt worden sein muß".

Man nimmt also an, daß er , mündlich erteilt worden sein muß'. Ein solcher Bescheid sagt meines Erachtens so gut wie gar nichts. Wenn eine staatliche Einrichtung wie das Institut für Zeitgeschichte zugeben muß, daß es in einer so wichtigen Angelegenheit keinen schriftlichen Befehl, sondern nur Vermutungen gibt, daß , er mündlich erteilt worden sein muß'(noch nicht einmal , ist‘), dürfte jeder Kommentar hierzu überflüssig sein.

Es ist also einwandfrei erwiesen, daß es keinen Befehl von höchster Stelle zur Vernichtung der Juden gegeben hat.“

Der französische Journalist Paul Rassinier hat schon vor über 15 Jahren das Muster solcher Apologie-Argumentation in seinen von rechtsgerichteten Verlagen in der Bundesrepublik vertriebenen „Enthüllungs" -Schriften geprägt Sieht man davon ab, daß auch die häufige Wiederholung von plumpen Erfindungen oder Entstellungen von der zuvor gezeigten Art bei einem in dieser Frage vielfach kenntnislosen, deshalb kaum kritikfähigen und leicht in Verwirrung zu bringenden Publikum ihre Wirkung zu tun vermag, so kam Rassinier und seinen Nachahmern zugute, daß sie sich auch auf einzelne tatsächlich unrichtige oder übertreibende (etwa im Nürnberger Prozeß vorgebrachte) Aussagen von ehemaligen Häftlingen oder Zeugen berufen konnten oder auf sonstige Ungereimtheiten, die in Presse und Literatur über die Judenvernichtung, die Konzentrationslager u. ä. irgendwann und irgendwo verlautbart worden waren. Auf der Basis solcher berechtigten Einzelkritik (etwa an Falschdarstellungen über die — gar nicht in Betrieb genommene —

Gaskammer in Dachau oder an Widersprüchen in den Aussagen von Rudolf Höß über die Zahl der in Auschwitz vernichteten Juden, die längst bekannt, von ihm selbst eingestanden und von der Zeitgeschichtsforschung natürlich berücksichtigt wurden wird dann systematisch der Eindruck zu erwecken versucht, als stehe die ganze Kenntnis der Massenvernichtung der Juden quellenmäßig auf völlig unsicherem Boden.

Zu den Ursachen der Verwirrung trägt u. a. bei, daß die schon institutionell und zuständigkeitsmäßig innerhalb der SS und Sicherheitspolizei klar getrennten Komplexe „Konzentrationslager" und „Judenvernichtung" vielfach in der allgemeinen öffentlichen Erörterung nicht genügend unterschieden werden (zumal in Auschwitz tatsächlich eine Verbindung beider Komplexe gegeben war). So werden z. B. häufig die hohe Sterblichkeit von Häftlingen (auch von Juden) in den Konzentrationslagern und die besonderen vielfältigen Tötungsaktionen, die es in den Konzentrationslagern gegeben hat (Erschießung oder Ermordung von politischen Gegnern, sowjetischen Kommissaren, von Geiseln, kranken oder nicht mehr arbeitsfähigen Häftlingen, Tötung im Zusammenhang mit medizinischen Versuchen an Häftlingen u. a.), mit dem gesonderten institutioneilen Vollzug der „Sonderbehandlung der Juden" in Verbindung gebracht — was an sich leicht begreiflich ist —, auch z. B. hinsichtlich des Bestehens von Gaskammern. Wie schon bemerkt, haben Juden-Vernichtungen im institutioneilen Sinne (Durchführung des Programms der „Endlösung") mittels Vergasungsanlagen ausschließlich in den genannten Lagern in den besetzten polnischen Gebieten stattgefunden. Im allgemeinen gab es dagegen in den Konzentrationslagern zwar Krematorien (zur Verbrennung der im Krieg in großer Zahl gestorbenen oder der getöteten Häftlinge), aber keine Vergasungsanlagen. Wo dies im einzelnen doch der Fall war (Ravensbrück, Natzweiler, Mauthausen sollten sie nicht der Juden-Vernichtung im Sinne des Programms der „Endlösung" dienen. Sie sollten vielmehr den Tötungskommandos ihre „Arbeit", die bislang durch Erschießung, Phenol-Injektionen u. a. ausgeführt wurde, psychisch erleichtern. Die Verwechslung von Konzentrationslagern mit Vernichtungslagern war unmittelbar nach Kriegsende z. T. auch dadurch bedingt, daß in einzelnen Konzentrationslagern, wie z. B. in Bergen-Belsen, bei der Befreiung durch britische Truppen Tausende von Leichen jüdischer Häftlinge aufgefunden wurden, so daß der Eindruck entstehen konnte, es habe sich hier um eines der berüchtigen Vernichtungslager gehandelt. Tatsächlich entstammten viele der in den letzten Wochen vor Kriegsende in Bergen-Belsen ebenso wie in den Außenlagern von Dachau umgekommenen Juden den rasch improvisierten Rückverlegungen und Evakuierungen von jüdischen Arbeitskräften aus noch bestehenden Ghettos, Arbeitslagern und Konzentrationslagern im Osten (Auschwitz), zu denen sich das Regime in der letzten Kriegsphase entschloß.

In der gesamten apologetischen Literatur werden in der Regel die Mengen von Zeugnissen über die Erschießungsaktionen der Einsatzgruppen mit der Fülle ihrer Zahlenangaben über die Ausmaße der einzelnen Aktionen ebenso verschwiegen wie die von Auschwitz und anderen Vernichtungslagern z. T. erhalten gebliebenen Lager-Dokumente und Listen mit ihren Angaben über Juden-Transporte und „Selektionen" und die zahlreichen Unterlagen über die „Auflösung" der Ghettos in Polen in den Jahren 1942/43 und den Abschub dieser Juden in die Vernichtungslager oder die Dokumente über die oft genau rekonstruierbaren Judendeportationen aus Deutschland, Frankreich, Holland, Belgien, Ungarn, Griechenland und anderen besetzten Ländern in den Jahren 1941— 1944. Diese Dokumente und Zeugnisse, die teilweise schon in den großen Darstellungen von Reitlinger und Hilberg erwähnt wurden sind später im Eich-mann-Prozeß und nicht zuletzt in den großen Prozessen gegen Lager-Funktionäre in den Vernichtungslagern Auschwitz, Chelmno, Sobibor, Treblinka und Belzec vor Gerichten in der Bundesrepublik erneut kritisch gewertet und durch weitere Feststellungen und Ermittlungsergebnisse ergänzt worden. Angesichts dessen muß die Leugnung der Massenvernichtung der Juden durch die genannten Autoren und ihre sich auch im Ausland verzweigenden Agitationszirkel geradezu gespenstisch erscheinen. Oft wirksamer als über den Buchmarkt operieren sie durch Flugzettel, die „graue Literatur" sogenannter Aufklärungsschriften — seit einiger Zeit auch durch eine „Deutsche Bürgerinitiative" —, und offenbar in der „Provinz" mehr als in den Großstädten. Es hängt aber wohl nicht nur mit dem propagandistischen Aufwand, sondern auch mit der immer noch vorhandenen psychologischen Sperre gegenüber diesem Verbrechenskomplex zusammen, wenn Bürger — und nicht wenige Akademiker — der Bundesrepublik z. B. in Schreiben an das Institut für Zeitgeschichte von dieser Propaganda induzierte Fragen stellen, die erkennen lassen, wie gering die gesicherte Kenntnis auf diesem Gebiet ist und in welchem Maße man noch ernstlich zweifelt, ob es das alles — die Judenvernichtung — überhaupt gegeben habe.

Zur Veranschaulichung sei aus einigen solchen Anfragen an das Institut zitiert:

Ein Fritz J. aus Freudenstein (7131) fragt am 7. 1. 73: „Aus den Veröffentlichungen der Autoren Heinz Roth und Paul Rassinier ist u. a. folgendes zu entnehmen 1. Die UNO stellt fest, daß die Verluste der jüdischen Bevölkerung in den Jahren 1939 bis 1945 200 000 Personen betrugen.

2. Die KL auf reichsdeutschem Boden hatten keine Gaskammern.

3. In Dachau wurden nach dem Kriege (1945) auf Anordnung der Amerikaner durch gefangene SS-Leute Gaskammern ausgebaut...

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zu diesen Punkten Stellung nehmen könnten . . .".

Unter Bezug auf Schriften von H. Roth und die angebliche UNO-Feststellung über nur 200 000 jüdische Todesopfer während des Krieges (vgl. oben Anm. 7) fragt Dr. N. aus Gelnhausen am 29. 3. 73: „Als Vater von drei schulpflichtigen Kindern fühle ich mich verpflichtet, mich mit dem Wahrheitsgehalt beider Nachrichten auseinanderzusetzen und wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir bei der Wahrheitsfindung helfen würden." Am 22. 8. 73 fragt Pfarrer B. aus Helmstedt: „Wie kommt es, daß in den meisten Geschichtsbüchern und deutschen Lexica mit einer Zahl von 5— 6 Millionen durch die Nazis umgebrachte Juden gerechnet wird, wohingegen die UNO nur mit 200 000 im letzten Krieg getöteten Juden rechnet?"

Der Filialleiter H. aus Augsburg schreibt am 25. 10. 73: „Ein gewisser Herr Heinz Roth, dessen Bücher Ihnen möglicherweise bekannt sind, hat mir unaufgefordert die beiliegenden Schriften zugeschickt . . . Gab es in Auschwitz Gaskammern und wieviele? Wodurch ist bewiesen, daß diese nicht etwa nachträglich eingebaut wurden . . .?"

Herr E. aus Weiden fragt am 30. 1. 74: „Ein Bekannter von mir ist kürzlich in den Besitz einer Broschüre . Deutsche Bürgerinitiative'gekommen, die den Titel Die Auschwitz-Lüge'trägt. Im wesentlichen geht es dabei um die Gaskammern zur Judenvernichtung Herr B. aus Neumünster schreibt am 13. 3. 74: „Ich bitte um Auskunft, ob in Bergen-Belsen Gasöfen (sic!) gebaut wurden und in der NS-Zeit Menschen darin vergast worden sind?"

Major a. D. F. aus München teilt am 20. 2. 74 mit, einer seiner Freunde, „ein ehemaliger Lehrer am Goethe-Institut", habe ihm das beiliegende, von Heinz Roth stammende Flugblatt geschickt, das, wie er mitteilte, „in der Bahn verteilt wurde".

Der Lehrer F. aus Gütersloh fragt am 20. 8. 74: „Ich unterrichte Geschichte ... In einer Unterprima kursiert dort ein Heft von Heinz Roth ... Mich interessiert vor allem, wie es mit der angeblichen Erklärung der UNO aussieht . ..".

Der Bundesbahndirektor a.

D. W. schreibt am 27. 10. 74: „In letzter Zeit kommen mir immer wieder Veröffentlichungen vor Augen, die Art und Ausmaß der Judenvernichtung wenigstens infrage stellen, meist aber in einer Weise darstellen . . ., daß 1. die allgemeine Schätzung von 6 000 000 durch das . Dritte Reich'vernichteter [Juden] weit übertrieben ist, 2. es regelrechte Gaskammern, z. B. in Auschwitz, nie gegeben habe . . .".

Nicht das wahrscheinlich hoffnungslose Bemühen, festgelegte Apologeten — ihre durchschaubaren Fangfragen sind hier auch nicht zitiert worden — eines Besseren belehren zu wollen, leitet diesen Beitrag, sondern die Erfahrung mit den meist aufrichtig gemeinten Anfragen, die vorstehend auswahlweise wiedergegeben wurden. Der Beitrag wurde im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte von Frau Dr. Arndt, die sich in diesem Institut seit Jahren mit einschlägigen Anfragen und Gutachten zu befassen hat, geschrieben. Herr Dr. Scheffler (Berlin) wurde gebeten, sie mit kritischem Rat und ergänzenden Informationen zu unterstützen. Der Artikel kann als Sonderdruck einzeln beim Institut für Zeitgeschichte bezogen werden. Für den Tatbestand der Menschenvernichtung durch Vergasungsanlagen und vor allem die großen Juden-Vernichtungslager in den besetzten polnischen Gebieten legt er die wichtigsten Fakten und Zusammenhänge dar. Er stützt sich dabei auch auf die Ergebnisse gerichtlicher Untersuchungen und Verfahren, die die Kenntnis dieser Vorgänge unter kritischer Verwendung sämtlicher einschlägiger Dokumente erheblich bereichert haben. Oft wegen ihrer vorsichtigen, im Zweifelsfalle für den Angeklagten oder für Nichtbeweisbarkeit plädierenden Urteile gescholten, hat die Justiz in der Bundesrepublik gerade im Bereich der Vernichtungslager mit ihrem umfangreichen, viele Jahre lang tätigen Ermittlungsapparat zur Aufklärung dieses nationalsozialistischen Verbrechenskomplexes vielfach mehr geleistet, als es den Historikern möglich gewesen wäre. Es steht zu erwarten, daß sie die Hunderte von Seiten der Urteils-begründungen, in denen sie die Verhältnisse in Chelmno, Sobibor, Belzec und Treblinka aufzeichnete, in absehbarer Zeit in der Form einer von der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen besorgten Edition auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Reihentitel mehrerer von Heinz Roth seit 1970 in dessen Selbstverlag in Odenhausen/Lumda (bei Marburg) herausgegebenen Schriften.

  2. Titel einer von Heinz Roth 1973 im Refo-Druck u. Verlag H. F. Kathagen in Witten herausgebrachten Broschüre.

  3. Titel eines 1970 von Emil Aretz im Verlag Franz von Bebenburg in Pähl herausgegebenen Buches.

  4. Titel einer Schrift von Thies Christophersen, 1972 beim Kritik-Verlao in Mohrkirch (Postleitzahl 2341) erschienen. Der Herausgeber, Rechtsanwalt Manfred Röder, wurde am 23. Februar 1976 von einer Darmstädter Strafkammer wegen Volksverhetzung verurteilt (Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 46, 24. Februar 1976, S. 3). Vgl. auch das Urteil des Richterdienstsenats des Oberlandesgerichts Hamburg vom 1. Juli 1975 (Az. RDS 1— 47) in: Deutsche Richterzeitung, November 1975, S. 373.

  5. Ein, allerdings eingestelltes, Ermittlungsverfahren gegen Heinz Roth wegen der Beschuldigung der Volksverhetzung fand bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts Gießen 1973/74 statt.

  6. Ein Beispiel bildet die deutschsprachige Schrift von Alexander Scronn [wahrscheinlich Pseudonym], General Psychologus, Eine Studie der psychologischen Kriegführung gegen das Deutschtum, 1965 in Brasilien erschienen (als Verlag ist angegeben:

  7. Heinz Roth, Warum werden wir Deutschen belogen?, Witten 1973, S. 40. Hervorhebung durch den Verfasser.

  8. Zu nennen sind hier vor allem P. Rassinier, „Die Lüge des Odysseus" und „Was nun Odysseus?", beide im Priester-Verlag (1959 bzw. 1960) herausgegeben, und die im Druffel-Verlag (Leoni am Starnberger See) 1962 erschienene Schrift „Zum Fall Eichmann. Was ist Wahrheit? oder Die unbelehrbaren Sieger".

  9. Vgl. hierzu Rudolf Höß, Kommandant in Auschwitz, Stuttgart 1958, S. 162 f.

  10. Die zum Zwecke der Vernichtung deportierten Juden wurden überhaupt nicht Konzentrationslagerhäftlinge oder nur dann, wenn sie — wie z. T. in Auschwitz — von der Vernichtung vorläufig ausgenommen („selektiert") und zur Arbeit als Häftlinge in die KL überstellt wurden.

  11. Vgl. hierzu u. a. die einschlägigen Aufsätze in: Studien zur Geschichte der Konzentrationslager, Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Nr. 21, Stuttgart 1970; K. Z. -Lager Natzweiler Struthof, herausgegeben von dem Comite National pour TErection et la Conservation d’un Memorial de la Deportation au Struthof, 1966.

  12. Vgl. hierzu Eberhard Kolb, Bergen-Belsen. Geschichte des „Aufenthaltslagers" 1943— 1945, Hannover 1962.

  13. Gerald Reitlinger, Die Endlösung. Hitlers Versuch der Ausrottung der Juden Europas 1939 bis 1945, Berlin 1956 (1. Aufl.), 1961 (4 verb. Aufl.); Raul Hilberg, The Destruction of the European Jews, Chicago 1961. Hinzuweisen ist auch auf eine Reihe regionaler Studien, von denen als Beispiel die von Paul Sauer herausgegebene Dokumentation über die Verfolgung der jüdischen Bürger in Baden-Württemberg durch das nationalsozialistische Regime 1933 bis 1945, 4 Bde, Stuttgart 1966 ff. (Veröffentlichung der staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg, Bd. 16, 17, 20 und Beiband 20), genannt sei.

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Martin Broszat, Dr. phil., geb. 14. 8. 1926 in Leipzig. Studium in Leipzig und Köln 1946 bis 1952. Hon. Prof, an der Universität Konstanz. Seit 1955 Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte, München; seit 1972 Direktor des Instituts. Veröffentlichungen u. a.: Der Nationalsozialismus. Weltanschauung, Programm und Wirklichkeit, Stuttgart 1961; Zweihundert Jahre deutsche Polenpolitik, München 1963; Konzentrationslager, Kommissarbefehl, Judenverfolgung (zus. mit H. -A. Jacobsen und H. Krausnick), Freiburg 1965; Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, München 1971.