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Zum politischen und ökonomischen System des Patriarchalismus Kritik und Ergänzung zum Beitrag von Rosemarie Nave-Herz u. a. in der Ausgabe B 50/75 | APuZ 31/1976 | bpb.de

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APuZ 31/1976 „Zeitsouveränität''durch flexible Arbeitszeit Zum politischen und ökonomischen System des Patriarchalismus Kritik und Ergänzung zum Beitrag von Rosemarie Nave-Herz u. a. in der Ausgabe B 50/75 Die Ziele der Frauenbewegung

Zum politischen und ökonomischen System des Patriarchalismus Kritik und Ergänzung zum Beitrag von Rosemarie Nave-Herz u. a. in der Ausgabe B 50/75

Hannelore Schröder

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Zusammenfassung

Der vorliegende Beitrag ist eine Stellungnahme zu dem im Dezember vorigen Jahres erschienenen Beitrag von R. Nave-Herz und ihren Mitarbeitern — einer Inhaltsanalyse der Emanzipations-Literatur der letzten fünf Jahre. Zentraler Ausgangspunkt für die Kritik ist, daß Nave-Herz die analysierte Literatur nicht grundsätzlich nach dem Kriterium der Indienstnahme für die Emanzipation oder Reaktion beurteilt, sondern davon ausgeht, daß es sich stets um , Emanzipations'-Literatur, wenn auch von graduell unterschiedlicher Radikalität, handelt. Der reaktionäre, patriarchale und antifeministische Charakter vieler Schriften bleibt oft ungeklärt. Eben dieses versucht die Autorin mit der vorliegenden Studie nachzuweisen, indem sie auf wiederkehrende, ideologische und apologetische Denkfiguren aufmerksam macht. Ursache für das Nicht-Erken-nen politisch-reaktionärer Positionen ist der Verzicht auf Ideologiekritik und auf Klärung des Emanzipationsbegriffes, an welchem die untersuchte Literatur hätte gemessen werden müssen. Es wird daher versucht, in die allgemeine Begriffsverwirrung in der Emanzipationsdiskussion etwas Klarheit zu bringen, indem die Meh. rfach-Ausbeutung der Frau zum Ausgangspunkt eines radikal-feministischen Begriffes von Frauenemanzipation gemacht wird. Des weiteren wird die These, der traditionelle Tätigkeitsbereich der Hausfrau sei so geschrumpft, daß er keine Beachtung mehr verdiene, konfrontiert mit der Gegenthese, daß eben dort ein großes Maß von unbezahlter Arbeit von Frauen erbracht wird. Daran knüpfen sich Überlegungen zur politökonomischen Einschätzung der Hausarbeit als einer Quantität von Arbeit, die in der Theorie von Lohnarbeit und Kapital ausgeklammert wird und die theoretisch zu erfassen dringende Aufgabe der Frauenbewegung ist. Im Gegensatz zu Nave-Herz sieht die Autorin in dieser Bewußtwerdung ein radikal-emanzipatorisches, nicht ein konservatives Moment der neuen Frauenbewegung.

I. Vorbemerkung

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können alle wissenschaftlichen Äußerungen zur „Frauenbewegung", auch bei größter Sorgfalt, nur [Fragment sein, weil die Bearbeitung dieser Thematik in Forschung und Lehre gerade und'sehr bescheiden, beginnt — wieder*, beginnt nach einer Unterbrechung von rund 40 Jahren durch den Faschismus. Die Initiatij ve von Frau Nave-Herz und ihren Mitarbei-

j fern ist daher ausdrücklich zu begrüßen.

Die wissenschaftliche Diskussion der Frauenfrage läßt jedoch Beschaulichkeit gar nicht erst aufkommen, weil die politische Bewegung aus ihrer Praxis in schneller Folge im[mer neue Erkenntnisse produziert, die ihren I theoretischen Niederschlag finden. Die Frau-[enbewegung — und ich denke namentlich an . die amerikanische — hat in den letzten zwölf ! Jahren Erkenntnisschritte vollzogen, zu wel[chen vergleichsweise Philosophen des Natur-rechts 200 Jahre benötigten. Frauen, rund zweieinhalbtausend Jahre von geistiger, professioneller wissenschaftlicher Arbeit ausgeschlossen und noch immer extrem unterprivilegiert, haben nicht die Zeit, ihre Kritik, ihre Wissenschaft, ihre Philosophie in patriarcha-Muße und Gemächlichkeit zu entfalten; sie müssen schneller denken. Einmal Erarbeitetes kann nicht lange konserviert werden, sondern muß durch konstruktive und radikale Kritik zu neuer Erkenntnis vorangetrieben wer-• den.

Die Nave-Herz-Arbeitsgruppe geht trotz einiI ger Bedenken von der Prämisse aus,, daß die I Ziele der Frauenbewegung mit denen der Au-f toren auf dem Buchmarkt im Prinzip konveri gieren. Ich möchte dazu folgende Bedenken I anmelden-: 1. Von den 221 genannten Titeln stammen nur 40 (bei großzügiger Einschätzung) von Frauen aus der Frauenbewegung; das sind noch nicht einmal 20 °/o! Das heißt, 80 °/o der Literatur stammt von Autoren außerhalb der Frauenbewegung. Bei ihnen fallen Theorie und Praxis auseinander, sogar doppelt, wenn sie als Männer keine Ausbeutungserfahrung als Frau haben.

2. Der weitaps größte Teil der 221 Titel wird von den Frauen der Frauenbewegung nicht gelesen; sie bevorzugen Literatur von Frauen aus der Bewegung. Ein sehr hoher Prozentsatz der Autorinnen/Autoren und Leserinnen/Leser hat also mit der Frauenbewegung nichts gemeinsam. Folglich können die Ziele der politischen Bewegung nicht oder doch nur sehr bedingt aus dieser Literatur hergeleitet werden.

3. Die Ziele des Buchmarktes werden von Profitinteressen bestimmt; hinzu kommt aber eine ändere äußerst wichtige Komponente: die Verlage und ihre Lektorate, die Vertriebe und der Buchhandel sind praktisch ausschließlich in Männerhand. Es besteht von daher nicht das geringste Interesse an der Verbreitung von kritischer Literatur zur Frauenfrage. Im Gegenteil, Ignoranz, versteckter und offener Antifeminismus verhindern gerade die kritischsten und radikalsten Veröffentlichungen; daher sieht sich die Frauenbewegung zum Selbstverlegen bzw. zur Gründung eigener kleiner Verlage gezwungen.

4. Die Ziele der Frauenbewegung sind weit eindeutiger zu ermitteln aus ihren Flugblättern und den allerdings nur in winzigen Auflagen und unregelmäßig erscheinenden eigenen Zeitungen 1), die zu sammeln mühsam und schwierig ist.

5. Viele Programme, Ziele und theoretische Entwürfe der Frauenbewegung und der ihr angehörenden Frauen sind überhaupt doch nicht gedruckt, weil kein Verlag sie veröffentlichen will und weil die Frauen und die Bewegung so arm sind, daß sie den Druck nicht selbst finanzieren können. Viele Zielvorstellungen sind überhaupt noch nicht geschrieben, weil die Frauen mit Arbeit und Existenzsorgen so überlastet sind daß sie nicht die Zeit und Ruhe zu geistiger Arbeit haben, und weil sie in so extremem Maße unter der negativen Erwartungshaltung ihrer Umgebung und der Angst vor Verurteilung und Verfolgung leiden, daß sie, arbeitsunfähig, nichts produzieren können. Es gibt noch keine weibliche kritische Intelligenz in nennenswerter Zahl; sie kann erst aus Seminaren erwachsen, wie einzelne kritische Wissenschaftlerinnen sie an den Universitäten einzuführen suchen; sie kann erst fruchtbar werden, wenn sie nicht ständig ums überleben ringen muß. Männliche Wissenschaftler und Theoretiker hatten und haben ja oft ihr ganzes Leben lang Zeit, politisch-philosophische und politökonomische Probleme zu durchdenken. Frauen haben diese Chance noch nie gehabt.

Ich möchte im Gegensatz zur Arbeitsgruppe Nave-Herz vielmehr die Antithese zur Diskussion stellen, daß die Ziele der Frauenbewegung und die Ziele der Autoren des Buchmarktes — von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen — divergieren, daß vielmehr die Ziele der Reaktionäre, die der veröffentlichten Autoren und der Manager des Buchmarktes, weitestgehend konvergieren. Beweis dafür ist die Veröffentlichung und das Lancieren von antifeministischen Schriften und patriarchaler Propaganda reaktionärster Art, z. B. N. Mailer, E. Vilar, J. Fast, L. Tiger, R. Boschmann Ch. Meves und viele andere

II. Zur Problematik eines Verzichts auf Ideologiekritik

Nave-Herz und ihre Mitarbeiter wollen eine Literatur-Expertise über Emanzipationsziele erstellen und inhaltsanalytische Ergeb-nisse vorlegen. Leider soll die Untersuchung „keine ideologiekritische Studie sein" (S. 11). Diese Zurückhaltung im selbstgestellten Anspruch scheint mir ein Mangel mit weitreichenden Folgen. Denn wenn man das, was sich auf dem Buchmarkt als „EmanzipationsLiteratur" ausgibt, nicht daraufhin untersucht, welche Autoren einen ideologiekritischen Anspruch vertreten (Ideologiekritik an der patriarchalen und kapitalistischen Ideologie) und welche, zwar unter dem Etikett „Emanzipation", lediglich wieder alte und neue Ideologie und Apologie produzieren, so unterläuft es, daß kritische Arbeiten mit unkritischen, ausgesprochen reaktionären und antifeministischen in eine Liste von „Emanzipations-Literatur" geraten, wiewohl sie das Gegenteil, nämlich „Reaktions-Literatur" darstellen.

Extrem antifeministische Schriften wie die von Mailer („Gefangen im Sexus" und Vilar („Der dressierte Mann") bzw. versteckte und offene patriarchal-reaktionäre Propaganda für die Beibehaltung der Unterjochung der Frau wie die von J. Fast („Typisch Frau! Typisch Mann!"), L. Tiger („Warum die Männer wirklich herrschen") und der den Kirchen verpflichteten Autoren müssen als solche diagnostiziert, kompromißlos kritisiert und dürfen gar nicht erst unter „Emanzipations-Literatur" subsumiert werden. Aus ihnen spricht eine so unverhüllte Frauenverachtung und ein aggressiver Macht-und Zerstörungswille, wie man ihn gegenüber anderen — Arbeitern, Negern, Juden, Gastarbeitern z. B. — nicht wagen würde zu äußern. Das ist im Falle der Frauen noch immer möglich, weil die heutige patriarchale Gesellschaft kaum ein Unrechtsbewußtsein angesichts der Verelendung der Frauen entwickelt hat: daß Frauen weit rechtloser und ausgebeuteter sind als Männer, ist selbstverständlich, daß sie bösartiger diffamiert und erniedrigt werden als selbst ein sozial sehr tiefstehender Mann, ist die patriarchale Norm.

Dieser fanatische politische Antifeminismus, der generell als solcher nicht benannt und nicht diagnostiziert wird ist eine politische Realität und eine große Gefahr für alle Frauen; er hat seine historische Parallele im politischen Antisemitismus: Die böswillige und dumme Herabsetzung der Frau, die Nicht-Anerkennung ihrer Leistungen, der irrationale, weil unbegründete und unbegründbare Frauenhaß von selten des Mannes, das immer wieder sich häufende Auftreten des Sündenbock-Syndroms „die Frau, die Mutter ist schuld", propagiert und legitimiert Unrecht und Verbrechen an Frauen und rechtfertigt, ja verlangt geradezu die Verfolgung der Feministinnen, die die politischen Verbrechen der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft beim Namen nennen: Millionen Abtreibungstote, geschlagene, vergewaltigte, ermordete Frauen, ökonomische, intellektuelle, physische und psychische Verelendung aller Frauen in bisher nicht benanntem Ausmaß. Diese extremen Mißstände werden mit einem enormen Aufwand an Ideologie und Apologetik zugedeckt, mit einer Liebes-, Opfer-und Naturideologie verschleiert, die, weil sie „wissenschaftlich" betrieben und mit männlicher Autorität geschmückt wird, für Frauen fast undurchschaubar ist. Sie liefert die scheinwissenschaftliche Begründung und folglich Entschuldigung für die Verbrechen bzw. Privilegierung des Mannes (z. B.sein angeblich angeborener Aggressionstrieb, sein angeblich stärkerer Sexualtrieb, seine geschlechtsspezifische größere Intelligenz usw., andererseits die angeblich angeborene Eignung der Frau für Haus-, Kinder-und Fließbandarbeit usw.). Sind diese sozialen Mißstände „naturbedingt", folglich „ewig", da zugleich ein ahistorischer Begriff von Natur vorausgesetzt wird, können sie als unabänderlich dargestellt werden, und da sie aus der Sicht patriarchaler Apologeten überhaupt als relativ harmlos und unwichtig betrachtet werden — schließlich sind „nur" Frauen davon betroffen —, können und brauchen sie nicht abgeschafft zu werden.

Verzichtet man von vornherein auf Ideologie-kritik, so begibt man sich der Methode, die Geister nach ihrem progressiven bzw. reaktionären politischen Interesse zu scheiden, zu scheiden nach Negation bzw. Affirmation der bestehenden Mißstände im Verhältnis Frau — Mann. Diese Grenze verläuft in der Frauenfrage im Prinzip eindeutig zwischen den Geschlechtern, was nicht ausschließt, daß einzelne Frauen noch die patriarchalen Interessen reproduzieren und in seltenen Fällen ein Mann die politischen Interessen der Frauen partiell unterstützt: Einen radikalfeministischen, männlichen Autor gibt es nach meiner Kenntnis nicht. Verzichtet man auf die ideologiekritische Analyse des Textes und seiner Begrifflichkeit, kann man die versteckten reaktionären Absichten nicht erkennen; folglich registriert man nicht einmal den Mangel an einer Kategorie, die hier dringend als Gegen-begriff zur Emanzipations-Literatur gebraucht wird, nämlich Reaktions-Literatur! Diese grundsätzliche Differenzierung hätte der erste und wichtigste Schritt einer Inhaltsanalyse sein und in einer entsprechenden Aufteilung der Literaturliste sichtbar gemacht werden müssen

Einige Kriterien und ideologische Denkfiguren der Reaktions-Literatur sind: 1. Sie ist geschrieben als Reaktion auf die Frauenbewegung; in der Regel von Männern, in Einzelfällen auch von Frauen, die sich lieber mit den herrschenden Patriarchen als mit der unterdrückten Eigengruppe identifizieren, was ihnen Gratifikationen, mitunter sehr hohe erbringt. 2. Es ist der explizite oder implizite Zweck der Publikationen, die Anklagen der Frauen-bewegung als falsch, irrelevant, zumindest weit übertrieben hinzustellen und folglich die Ziele der Bewegung als unsinnig, unwichtig und illegitim zu erklären.

3. Die Ausbeutung und Unterdrückung der Frauen durch die Patriarchen werden generell bestritten bzw. völlig verharmlost und die Opfer verhöhnt. Die Frauen allgemein, besonders die der Bewegung und namentlich bekannte Einzelpersonen, werden verunglimpft, herabgesetzt, lächerlich und verächtlich gemacht. 4. Es wird offen oder versteckt Partei ergriffen für die Männer als Patriarchen; sie, ihre Herrschaft und ihre Privilegien werden mit der Behauptung ihrer höherwertigen Muskel-und Geisteskraft, ihrem höherwertigen Sexual-organ und mit dem Hinweis auf vermeintliche Verdienste, die die Beibehaltung der Privilegien und der Herrschaft über die Frauen rechtfertigen, verteidigt. Alle Verbrechen, Ungerechtigkeiten und Ausbeutungspraktiken werden apologetisch heruntergespielt, die enorme Macht und die horrenden Vorteile des Patriarchen auf Kosten der Frauen gar als „Bürde" dargestellt, um die Frauen zum Verzicht auf ihre legitimen Rechte und Forderungen zu bewegen.

5. Der maßlosen, irrationalen Panegyrik des Patriarchats auf sich selbst korreliert die von ihm dekretierte Minderwertigkeit der Frauen:

Für die angebliche Überlegenheit des Mannes wird pausenlos Propaganda gemacht und zugleich werden immer neue „wissenschaftliche" Fakten in Umlauf gebracht, die beides bestätigen sollen. Das Machtmonopol des Mannes als Patriarch, das politische System des Patriarchalismus, wird als Politikum generell bestritten, seine Auswüchse gerechtfertigt, oder es wird die historische Realität total auf den Kopf gestellt, indem behauptet wird, die Frauen herrschten bereits oder würden demnächst die Diktatur über die Männer errichten. Kulminierte die antisemitische Hetze einst in der Lüge der Weltverschwörung der Juden zwecks Machtergreifung, so führt die antifeministische Hetze mitunter zur Lüge der Verschwörung der Frauen, die angeblich die Diktatur über die Männer errichten wollen. Die um ihr Recht kämpfenden Frauen werden dann mit Faschisten verglichen 9

Das extremste Beispiel der Reaktions-Literatur ist das von Frauenhaß und Vernichtungswünschen, wüsten Beschimpfungen und Größenwahn triefende Machwerk von Norman Mailer: „Gefangen im Sexus", das sich gegen die amerikanische Frauenbewegung richtet Dieses Dokument eines exzessiven Antifeminismus', das hemmungslos Propaganda macht für grauenerregenden, männlichen sexuellen Terror, wurde in den USA und in Deutschland ohne Protest toleriert — toleriert wie die Tatsache, daß sein Autor vor Jahren eine Frau mit Messerstichen lebensgefährlich verletzte (und doch nie strafrechtlich verfolgt wurde!): Die von Männern beherrschte Öffentlichkeit findet sich offenbar in Übereinstimmung mit diesen faschistischen Hetztiraden Eben diese applaudierte einem ande-* ren Stück Reaktions-Literatur, dem von E. Vilar, die als Überläuferin zum Patriarchat mindestens so antifeministisch sein mußte wie ein Patriarch, um ihre totale Unterwürfigkeit zu beweisen und um akzeptiert zu werden

Geschickter, weil verschleierter, teils mit „wissenschaftlichen" Anstrich, und dadurch schwerer durchschaubar namentlich von akademisch nicht gebildeten Frauen, versetzt mit scheinbarem Wohlwollen, geben sich andere Reaktionäre, z. B. J. Fast: „Typisch Frau! Ty; Mann!" Es ist ein oberflächliches, geschwätziges Machwerk auf dem Niveau von Herrenwitzen, mit der dumm-brutalen „Argumentation": die Geschlechtsorgane sind verschieden, folglich „denken Frauen anders als Männer" (als biologische Konstante!), folglich müssen sie immer verschieden bleiben, d. h. ungleich. Frau und Mann sind Gegensätze, Gleichheit ist ausgeschlossen. Der Mann ist zum Herrschen geboren, weil er Mann ist („er besitzt den Penis"), und die Frauen sollen endlich ihren Emanzipationskampf aufgeben und in dieser „Harmonie" glücklich und zufrieden sein Der Mann ist ein „Raubtier mit Intelligenz" und Penis, im Prinzip das gleiche wie die blonde Bestie mit der Peitsche.

Es erscheint ferner gerechtfertigt, nahezu allen Schriften, die aus kirchlichen Institutionen hervorgehen öder von Theologen und kirchlichen Mitarbeitern verfaßt werden, reaktionäre und antifeministische Inhalte zuzuschreiben. Rund 2 000 Jahre Frauenverfolgung und -diffamierung sind zuviel, als daß aus dieser Richtung anderes als eine Apologie der Männerherrschaft erwartet werden dürfte Reaktion in Form ökonomischer Perversion ist erreicht, wenn die „häusliche Leibeigene" (Horkheimer) als „Managerin" bezeichnet wird. In dem Buch „Madame und ihr Management" wird allen Ernstes unterstellt, daß die kapitallose, unbezahlte Hausarbeiterin — ohne 8-Stunden-Tag, ohne Rentenversicherung und Urlaub — das weibliche Gegenstück des männlichen Managers in der Industrie sei, dessen Privilegien (die es wiederum erlauben, sich eine Ehefrau als Dienstmädchen zu halten) dreist unterschlagen werden. Würden in einem anderen Fall die ökonomischen und politischen Tatsachen derart plump pervertiert, würde dieser ideologische Non-sens nirgends gedruckt; Sind dagegen Frauen betroffen, so findet auch noch die tollste Verdrehung der Wahrheit offenbar Zustimmung und Beachtung — und zwar von Männern, denen auch noch der naivste Legitimationsversuch für die Beibehaltung des Status quo der unbezahlten Hausarbeit willkommen, da nützlich ist

Hiermit mögen die Beispiele aus der Reaktions-Literatur beendet werden. Erinnern wir uns: Nave-Herz hatte vier Grundkonzepte der Frauenbewegung genannt: das humanistisch-aufklärerische, das marxistisch-und radikal-sozialistische. das Gleichberechtigungskonzept und das radikal-feministische. Sie war zu dem Resultat gelangt, daß „alle Buchveröffentlichungen des Zeitraumes von 1968 bis 1973 den vier Grundkonzepten zuord-nungsbar waren. . (S. 15). Dem kann ich nicht folgen. Vertreten etwa Fast, Tiger, Vilar, Mailer, die klerikalen Autoren usf. ein humanistisch-aufklärerisches oder gar ein Gleichberechtigungs-Konzept? Das scheint mir ein fundamentaler Irrtum zu sein, der darauf zurückzuführen ist, daß auf die ideologiekritische Sonde verzichtet, daß vielmehr der Usus der patriarchalen Öffentlichkeit übernommen wurde, auch noch die übelste reaktionäre und antifeministische Denkart und Hetze unter dem Etikett „Emanzipations-Literatur" laufen zu lassen — um die Verwirrung perfekt zu machen. Die Ideologen des Patriarchats haben die Frauen und ihre „Verhältnisse wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt" (K. Marx, Die deutsche Ideologie); es ist die wichtigste Aufgabe kritischer weiblicher Wissenschaftlerinnen, durch Ideologiekritik die Verhältnisse, die Frauen betreffend, wieder auf die Füße zu stellen, das falsche Bewußtsein (von der Hausarbeiterin als Managerin! vom Mann als dem geborenen Herrscher! z. B) als solches zu diagnostizieren. Das ist eine sehr schwierige, das Denken revolutionierende historische Aufgabe, denn „die herrschenden Gedanken" sind die der Patriarchen, der über Frauen herrschenden Männer, die als „die herrschende geistige Macht" das Denken der Frauen beherrschen.

III. Die allgemeine Begriffsverwirrung in der Emanzipationsdiskussion

Das Erkennen und Unterscheiden von Emanzipations-und Reaktions-Literatur ist sicher auch deshalb so schwierig, weil die Apologeten und Ideologen des Patriarchats den gleichen Begriffsapparat benutzen wie kritische Theoretikerinnen der Frauenbefreiung. Der ersteren reaktionäres Interesse liegt im Begriff verborgen, dem sie einen pervertierten oder gegensätzlichen Inhalt unterschieben: das geschieht mit den Begriffen Gleichberechtigung, Emanzipation, Revolution, Gesamtgesellschaft usf. Allgemein herrscht ein fataler Mißbrauch des Begriffes Emanzipation, besonders Frauenemanzipation — er ist banal, verschwommen, verflacht, wenn nicht gar in sein Gegenteil umgemünzt.

Männliche Autoren z. B. halten allen Ernstes die um sich greifende Pornographie für ein Zeichen der „Emanzipation". Kritikerinnen des Patriarchats bezeichnen Pornographie als Sexualfaschismus, da das männliche Geschlecht das weibliche zum Objekt degradiert, mit dum sadistisch und zerstörerisch verfahren wird. In diesem „kulturellen" Uber-

bauphänomen manifestiert sich die totalitäre Macht der Männergesellschaft über alle Frauen, seien sie direkt verwertete Opfer oder noch Zuschauerinnen Pornographie ist die Propaganda für sexuelle Gewalttätigkeiten und Mittel zur Einschüchterung aller Frauen, die in der täglichen Realität durch sexuelle Gewalttaten bedroht werden

Dogmatische Marxisten halten die Lohnarbeit der Frau auch unter den Bedingungen der Doppelarbeit und , LeichtIohn‘-Bezahlung (die verharmlosende Kategorie „Doppelrolle", ein Terminus bürgerlich-patriarchaler Soziologie, muß zurückgewiesen werden) noch für einen Schritt zur Emanzipation der Frau, ohne die mehrfache Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft zur Kenntnis zu nehmen. Kritikerinnen aus der Frauenbewegung hingegen weisen diesen Weg zur „Emanzipation" als unzumutbar zurück, weil er vielmehr das Gegenteil, ein Mittel verdoppelter Ausbeutung ist:

1. als Lohnarbeiterin, 2. als 35— 65 °/o unter-bezahlte Arbeiterin und 3. als unbezahlte Hausarbeiterin.

Der Begriff „Frauenemanzipation" muß also genau definiert werden; das scheint mir eine der wichtigsten Voraussetzungen der politischen und wissenschaftlichen Diskussion zu sein. Die Nave-Herz-Arbeitsgruppe analysiert sogenannte „Emanzipations-Literatur", ohne diesen Begriff vorher zu definieren, und verweist statt dessen auf die Spezialliteratur. Die-ser Hinweis geht ins Leere, denn in dieser, zwar umfangreichen, Literatur zur Emanzipation ist die der Frau ausgespart Der Sammelband von Martin Greiffenhagen „Emanzipation" (1973) enthält nur Beiträge von männlichen Autoren; es befindet sich nicht eine einzige Autorin darunter. Folglich behandelt kein einziger Beitrag die Emanzipation der doppeltausgebeuteten und auch historisch am längsten von Unterdrückung betroffenen Frau! Es besteht offensichtlich unter männlichen Wissenschaftlern nicht das geringste Erkenntnisinteresse an der Problematik der Emanzipation der Frauen. Der Herausgeber, Professor für Politikwissenschaft, kam nicht auf die Idee, weibliche Wissenschaftlerinnen, die zur Frauenfrage gearbeitet haben (z. B. Luc Jochimsen, Ingrid Langer-El Sayed, Helge Pross, Mechthild Merfeld und viele andere) zur Mitarbeit aufzufordern. Die Ignoranz der etablierten Wissenschaft beweist nur zu deutlich: Das männliche Forschungssubjekt kann sein Eigeninteresse nicht einmal ansatzweise transzendieren und sich einem Forschungsobjekt zuwenden, das die größere Hälfte des Gemeinwesens ausmacht! Die Emanzipation der weiblichen Hälfte der Bevölkerung kommt wissenschaftlich überhaupt nicht ins Blickfeld — das bedeutet doch, daß hier ein so beschränkter und bornierter Emanzipationsbegriff zugrunde liegt, daß er die Frauen , hinausdefiniert'!

Dieser Emanzipationsbegriff, ‘der nur die „Emanzipation" des bürgerlichen bzw.des proletarischen Mannes aus dem Feudalismus bzw. Kapitalismus beinhaltet, ist für allgemeine politische Zwecke nicht brauchbar, weil die Befreiung der Frau darin nicht enthalten ist. Die „menschliche" Emanzipation — die bürgerliche und die Marxsche — war allemal nur die des männlichen Menschen! Die Emanzipation der Frauen aus dem Patriarchalismus wird — das wäre auch ein Widerspruch in sich selbst — von den patriarchalen Theoretikern und Wissenschaftlern nicht erörtert. Die Befreiung vom Patriarchalismus ist aber das dringende und primäre politische Bedürfnis der betroffenen Frauen: Hier nun nehme ich Greiffenhagen beim Wort, wenn er sagt, daß „die Bedürfnisse des Menschen . . . von den Beteiligten selber am besten definiert werden", d. h., die Bedürfnisse des weiblichen Menschen werden von den beteiligten Frauen selber am besten definiert. Frauen, und nur sie, können den Begriff der Frauenemanzipation definieren. Mit Gewißheit nicht diejenigen, denen die absolute Bedürfnislosigkeit der Frauen stets die selbstverständliche Voraussetzung ihrer privilegierten Bedürfnisbefriedigung ist, die Frauen aus jeder geplanten Emanzipation eskamotieren, sich jedoch zugleich anheischig machen, die Emanzipation der Frauen theoretisch mitzuerledigen

Die weibliche Forderung nach Freisein von ungewollter Schwangerschaft und unbezahlter Hausarbeit artikuliert kein linker Politökonom und Emanzipationstheoretiker, denn hinter die ansatzweisen theoretischen Erkenntnisse eines Fourier und Bebel sind heutige Klassentheoretiker weit zurückgefallen. Die „Notwendigkeit autonomer Bedürfnisdefinition durch die jeweils Betroffenen" (Greiffenhagen), sonst jedem Unterdrückten und Ausgebeuteten selbstverständlich eingeräumt, wird den Frauen auch heute noch abgesprochen: Patriarchen wollen, wenn es denn schon sein muß, definieren, welcher Grad von „Emanzipation" und bis zu welcher „Grenze" diese bestenfalls erlaubt bzw. gehen darf. Demokratische Partizipation von Frauen gemäß ihrem Volksanteil, nämlich 53 °/o, wie ihn radikale Feministinnen unter anderen Zielen anstreben, geht jenen zu weit, die sie zwar für Arbeiter beanspruchen, ja sogar die Diktatur des Proletariats wünschen, aber solche radikal-demokratischen Ziele der Frauen-bewegung nicht als legitim anerkennen Fragt man mit Marx: „Von welcher Art der Emanzipation handelt es sich?'', so ist das Fazit der Prüfung der Spezialliteratur: Von Frauenemanzipation handelt sie nicht.

Der Begriff der Frauenemanzipation muß also von Frauen definiert werden, und man hätte die Vorstellungen einiger Autorinnen aus der Bewegung referieren können, um daran die Vorstellungen der Emanzipations-Befürworter und der Reaktionäre zu messen. Frauenemanzipation ist die Befreiung aller Frauen aus dem kapitalistischen Patriarchalismus, der sich in drei Verhältnissen manifestiert:

1. Das Verhältnis der häuslich-leibeigenen Frau zu ihrem Familienpatriarchen, der sie als sein persönliches Privateigentum (Ehe) besitzt. Emanzipation bedeutet die Befreiung der weiblichen Arbeitskraft aus der unbezahlten Hausarbeit und der aufgezwungenen, nicht honorierten und nicht als Arbeit anerkannten Gebärarbeit, schließlich aus den zwangsweisen sexuellen Diensten. Die befreite Frau verfügt über ihre Person, ihre Arbeitskraft und ihre Gebärkraft.

2. Das Verhältnis der weiblichen Lohnarbeiterin zu dem (in der Regel) patriarchalen Kapitaleigner, der aus ihrer Arbeitskraft nicht nur den gewöhnlichen, sondern den zusätzlichen, geschlechtsspezifischen Mehrwert preßt, indem er ihr 35—-65 °/o weniger Lohn als dem männlichen Lohnarbeiter zahlt. Dieser erhält nicht Individuallohn, sondern Patriarchenlohn, der ihm das Halten einer ehelichen Leibeigenen gestattet. Emanzipation bedeutet in diesem Verhältnis die Befreiung der weiblichen Arbeitskraft aus der doppelten Ausbeutung durch doppelten Mehrwert. Die Frauen müssen in gleicher Weise über Produktionsmittel und Land verfügen, wie alle anderen Mitglieder der Gesellschaft. 3. Das Verhältnis der weiblichen Subproletarierin zu dem männlichen Arbeiteraristokraten, der seine Arbeits-und Lohn-Privilegien auf ihre Kosten erhält, indem nicht die Leistung, sondern das patriarchale Vorrecht des männlichen Geschlechts zählt. Auch als Arbeiteraristokrat (und das trifft zu auf alle bezahlte Berufsarbeit) ist jeder Mann im Verhältnis zur Frau Teilhaber am Ausbeutungssystem, das alle Frauen auch durch ihn zu Ausgebeuteten macht.

Die Abschaffung dieser Verhältnisse bedeutet die Abschaffung der unbezahlten Hausarbeit, der Doppelarbeit und der unterbezahlten (Leichtlohn, Leichtgehalt) Arbeit der Frau und in der Folge die Abschaffung der Prostitution und Pornographie, die nur möglich sind, weil die Frau durch ihre extreme ökono-mische Verelendung im kapitalistischen Patriarchalismus zu diesem Gelderwerb gezwungen wird.

Frauenemanzipation ist die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, die Aufhebung des Unterschieds zwischen „Frauen" arbeit und „Männer" arbeit, die Aufhebung'von körperlicher Arbeit für die Frau und geistiger Arbeit für den Mann und in der Folge der gleiche Anteil der Frauen an den Produkten der Arbeit. Diese Emanzipation bedeutet die radikale ökonomische und radikal-demokratische Gleichheit aller Menschen des Gemeinwesens, d. h. die geschlechtsparitätische Besetzung aller politischen Organe und gesellschaftlichen Institutionen und folglich die Abschaffung des patriarchalen Staates und seiner Institutionen. Emanzipation heißt die Abschaffung der patriarchal-kapitalistischen Kultur, des patriarchalen Rechts, der Religion und der Doppelmoral.

IV. Zur Einschätzung der Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts

Generell ist festzuhalten, daß eine endgültige, sachliche und gerechte Beurteilung der Frauenbewegung noch nicht möglich ist, da sie bisher kaum erforscht wurde. Die vorschnelle Beurteilung beruht oft auf Unkenntnis, patriar-chaler Parteilichkeit, antifeministischer Befangenheit, Denken in dogmatisch-marxistischen Schablonen und unhaltbaren Kategorien, die revidiert werden müssen, da sie inadäquat sind . Die eigenständige politische Bewegung der Frauen ist in Deutschland über 130 Jahre alt (in Frankreich und in den USA etwa 200 Jahre). Das muß ausdrücklich festgehalten werden, weil häufig bestritten wird, daß Frauen für Frauen kämpften sehr lange, bevor bürgerliche „Revolutionäre" und männliche Lohnarbeiter bereit waren, die „Frauenfrage" überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Wo Frauen miteinbezogen wurden in den politischen Kampf, geschah es für die Ziele der bürgerlichen oder proletarischen Männer. Die politischen Männerorganisationen — Bünde, Vereine, Parteien, Gewerkschaften — waren Frauen lange Zeit grundsätzlich, d. h. wegen ihres Geschlechts, verschlossen. Solidarisierung und Ansätze zur Organisation von Frauen in ihrem eigenen Interesse entstanden als Protest gegen diesen Ausschluß, gegen die Freiheitsbewegungen von Bürgern bzw. Arbeitern. Luise Otto, die als politische Lyrikerin der 48er Revolution einen gewissen Ruf hatte, klagt vielfach, daß sie als Frau ausgeschlossen sei vom politischen Kampf, ja sogar verhöhnt werde, weil sie sich daran beteiligen will Sie zieht die Konsequenzen. Nur sehr wenige Männer unterstützten um 1848 die Frauen in ihren Freiheitsund Gleichheitsbestrebungen. Die Schriften der geschiedenen Frau George Sand, die man als Frühfeministin und Frühsozialistin charakterisieren kann, wurden von Frauen und Freidenkern gelesen. So auch von L. Otto. Der deutsche Idealismus hingegen war im Verhältnis zu Frauen patriarchal-reaktionär und selbst einige frauenfreundliche Romantiker gingen nicht so weit, bürgerrechtliche Freiheit und Gleichheit auch für Frauen zu fordern Im Ausland hatte es früh einzelne Stimmen für die Gleichberechtigung der Frau gegeben, so Olympe Marie Gouges und J. A.de Cordorcet in Frankreich sowie M. Wollstonecraft in England, aber sie blieben einsame und verfolgte Außenseiter.

Der Gleichberechtigungsanspruch der Frauen war keineswegs „das Selbstverständlichste", denn die bürgerlich-patriarchale Gesellschaft vertrat die „Gerechtigkeitsidee", nach der sie de jure angetreten war, keineswegs so konse-quent, daß sie auch Frauen einbezogen hätte, wie Nave-Herz meint. Im Gegenteil, Frauen waren von Anbeginn aus dem bürgerlichen Rechtsstaat ausgeschlossen und dort, wo sie bürgerrechtliche und ökonomische Forderungen anmeldeten, trafen sie auf den geschlossenen Widerstand aller -Patriarchen, den der „Revolutionäre" einbegriffen, und wurden grausam verfolgt. O. M. Gouges, die 1791 der Erklärung der Männerrechte die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" entgegensetzte, wurde mit ihren Anhängerinnen 1793 von Robespierre hingerichtet. Die autonome Frauenbewegung in der Französischen Revolution würde also von den kleinbürgerlichen Revolutionären zerschlagen — für. Frauen war ein allgemeines Versammlungsverbot verhängt. Das bürgerliche System beruhte und beruht auf der Rechtlosigkeit aller Frauen, bezog sich in seinem radikalen Selbstverständnis (in der Verfassung von 1793) nur auf alle Männer.

Die strikte Polarisierung der modernen patriarchalen Gesellschaft nach dem Kriterium des weiblichen bzw. männlichen Sexus ist das Produkt der bürgerlichen Revolutionen, deren Prinzip lautete, daß alle männlichen Menschen gleich, aber alle weiblichen Menschen ungleich seien. Privateigentum war nur, ein sekundäres Kriterium. Die feministische Theorie vom Antagonismus der Patriarchenund der leibeigenen Frauenklasse ist lediglich die theoretische Erklärung der historischen Realität. Diese wurde jedoch verschüttet und von der etablierten Wissenschaft bis jetzt nicht zur Kenntnis genommen: die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" von 1791 wird bis heute unterschlagen, während die Literatur zur Erklärung der Menschen-Männes-rechte ganze Bibliotheken füllt’ Die Forderungen nach bürgerlichen und politischen Rechten für Frauen von Frauen waren also revolutionär. Die Frauenbewegung ist folglich eine bürgerrechtliche Bewegung, die nicht „nur" um formale demokratische Rechte, sondern auch um ökonomische kämpft, vor allem um die Befreiung der Frauenarbeit aus der patriarchalen Hausherrschaft, um das Recht auf Lohnarbeit, auf Berufsausbildung und um höhere Bildung. Diese Bewegung war niemals „systemimmanent", sondern stellte das bürgerlich-patriarchalische System, dem alle Frauen unterworfen wären, in Frage; es beruht schließlich auf der Ausbeutung der Arbeitskraft der Frauen im Haus und außer Haus, nicht nur auf der Ausbeutung der Lohnarbeit, sondern auch der weiblichen häuslichen Fronarbeit. Die Kategorien „bürgerliche" bzw. „proletarische" Frauen sind daher nach meiner Kenntnis nicht brauchbar: Frauen aus bürgerlichen Vaterhäusern hatten keine Verfügung über Land, Kapital, keinen Anspruch auf Bildung und demokratische Rechte. Frauen aus proletarischen Familien verfügten nicht über ihre eigene Arbeitskraft, ihren Lohn, gar den gleichen Lohn wie der männliche Arbeiter; sie hatten keinen Zugang zu einer Berufsausbildung (z. B. zum Facharbeiter) und ebenfalls keine demokratischen Rechte, die doch selbst dem Proletarier als Mann zugebilligt wurden und ihm als Patriarchen Macht wenigstens über „seine" Frau gaben durch das patriarchale Familienrecht). Die Klassenverhältnisse sind also weitaus komplizierter als bisher angenommen, und es ist nicht länger haltbar, die vom Patriarchat unterworfenen Frauen einfach zur Klasse der über sie verfügenden Familienväter zu schlagen.

Die autonome Frauenbewegung hatte ein breites Spektrum politischer und ökonomischer Zielvorstellungen, teils mehr reformistischen, teils radikal-feministischen und sozialistischen Charakters (wie andere politische Bewegungen auch). Sie plante freilich nie eine bewaffnete Revolution: das ist in der patriarchalen Geschichte, in welcher Umwälzungen stets mit Waffengewalt betrieben wurden, ein Novum, dessen Relevanz noch gar nicht reflektiert ist. Sicher ist die Frauen-befreiung so ungeheuer mühsam und langwierig, weil sie ohne Blutvergießen vor sich geht, ein großes historisches Verdienst zwar, das aber, als Schwäche ausgelegt, auf die Frauen zurückschlägt: Gewaltlosigkeit ist nur dann ein politisches Instrument und erfolgreich, wenn sich der gewalttätige Gegner von dieser Gewaltlosigkeit beschämen läßt, und das ist im Verhältnis Patriarchen — Frauen noch nie der Fall gewesen.

Uber den linken Flügel der Frauenbewegung, der radikal-feministisch und sozialistisch war, ist bisher nichts bekannt: er war weit radikaler als die generell patriarchale Arbeiterbewegung, weil er auch und primär die sozioökonomische, rechtliche und politische Situation des weiblichen Volkes radikal verändern wollte Was immer die Forschung an Er-27) kenntnissen zutage fördern wird, in jedem Falle ist die bürgerrechtliche und ökonomische Revolutionierung des Status'der weiblichen Bevölkerung ein so großes Politikum, daß die gesamtpolitische Landschaft der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft und ihres Staates verändert wird, und zwar weit hinaus über die von Männern geplante „Demokratie der Familienväter". Daß die sozial-revolutionären Veränderungen für die Betroffenen so qualvoll langsam — für ihre Gegner zu schnell! — vor sich gingen und gehen, lag an der enormen reaktionären Gewalt des Patriarchats und an der Unmöglichkeit der Frauen, ihre legitimen Forderungen mit Waffengewalt durzusetzen. Der adäquaten Beurteilung der bürgerrechtlichen Frauenbewegung fehlt die historische Kenntnis, daß keine der bürgerlichen Revolutionen (1776 USA, 1789 Frankreich, 1848 Deutschland) die Frauen mit in die „Menschen" -rechte einbezogen hatte. Indem Frauen die gleichen Rechte anmeldeten, die nur Männern vorbehalten waren, transzendierten sie das patriarchal-kapitalistische System. Nicht nur das patriarchale Bürgertum, sondern auch das patriarchale Proletariat hatte nicht die Absicht, Frauen demokratische Rechte, ökonomische Selbständigkeit, Verfügung über ihre Arbeitskraft und Bildung zuzugestehen

Die Gleichung: autonome Frauenbewegung = bürgerlich = feministisch = systemimmanent geht also in mehrfacher Hinsicht nicht auf. Sie entspringt der Unterbewertung der Frauenbewegung, der Überschätzung der Arbeiterbewegung und der Verkennung des patriarchalen Charakters der Gesellschaft überhaupt. Die Arbeiterbewegung wollte im Grunde nur und primär den Teil der Gesellschaft verändern, der das Verhältnis Lohnarbeit und Kapital betraf; den Teil aber, welcher die weibliche Hausarbeit und die Familienväter betraf, wollte sie gar nicht, bestenfalls sehr partiell und auf jeden Fall erst sehr viel später verändern. Das Klassenverhältnis Zwischen Frauen und Patriarchen sollte zunächst Doppelausbeutung der Frau waren kein brennendes politisches Problem! Bebel, in der Theorie noch der frauensolidarischste unter den Sozialisten, lehnte in der Praxis die genossenschaftliche Organisation der Hausarbeit ab, wie Lily Braun berichtet, die schon 1901 einen Plan dazu vorgelegt hatte. Er war so idealistisch — oder taktisch so geschickt—, zu unterstellen, der klassenbewußte Arbeiter werde auf seine Privilegien als Patriarch gegenüber der Frau freiwillig verzichten, wiewohl er doch dieses Verhältnis als ausgesprochenen Klassenantagonismus erkannt hatte.

Aber auch auf dem Arbeitsmarkt verteidigten die männlichen Lohnarbeiter, die schon immer — und nach Auflösung der Zünfte und Abschaffung der Leibeigenschaft generell — als freie Arbeitskräfte angestammte Rechte und Privilegien hatten, ihr patriarchales Vorrecht. Auch die weibliche Arbeiterin mußte schwer um das Recht auf Lohnarbeit kämpfen. Dieses Recht ist in der Gegenwart noch immer nicht erstritten (vgl. § 1356 BGB) und wird allen Frauen in der Praxis immer wieder abgesprochen, vor allem in Zeiten der Arbeitslosigkeit. Der Mann betrachtet es auch heute noch als sein Privileg, daß er vor jeder Frau Anspruch auf bezahlte Arbeit hat, und verweist Frauen immer wieder auf unbezahlte Hausarbeit.

Die Forderung nach bezahlter Arbeit für Frauen im 19. Jahrhundert, nach Berufsausbildung und akademischer Bildung war revolutionär — und ist es auch heute noch! Frauen waren damals von gelernten Berufen ausgeschlossen — eine Folge der rein männlichen Zünfte — und fast jegliche Bildung war ihnen aufgrund ihres Geschlechts verweigert: Ihr Kampf ging deshalb um eine selbständige ökonomische, rechtliche und staatsbürgerliche Existenzmöglichkeit, wozu Ausbildung lediglich das Mittel war. Bildungseinrichtungen, Arbeit und Rechte wurden stets für alle Frauen gefordert, niemals nur für Frauen aus bürgerlichen „Vaterhäusern". Aber sobald die Frau qualifizierte Arbeit verrichten wollte, wurde sie von männlichen Lohnarbeitern mit Gewalt vertrieben. Von Solidarität zwischen männlichen und weiblichen Lohnarbeitern konnte und kann also nicht die Rede sein. Die sozioökonomische und rechtliche Situation war — und ist bis heute — niemals die gleiche: der Lohn der Frau betrug oft nur ein Drittel des Männerlohnes

Soweit die Lohnarbeiterinnen gegen Ende des 19. Jahrhunderts in der Arbeiterbewegung integriert waren, geschah es um den Preis der Verleugnung ihrer feministisch-politischen Ziele, d. h. die Bekämpfung der allen Frauen gemeinsamen Ausbeutungsund Unterdrük-kungspraktiken wurde zugunsten sozialdemokratischer Ziele, die ausschließlich von Männern der Partei formuliert waren, aufgegeben. Der potentiell die gesamte Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung revolutionierende Charakter der autonomen Frauenbewegung wird verkannt bzw. ihr bewußt'abgesprochen. Die große Provokation der eigenständigen Frauenbewegung liegt ja für ihre Gegner darin, daß eine politische Bewegung ohne männliche Führung, ohne männliche theoretische Anleitung in Gang kommt, daß die vom Patriarchen als Objekte betrachteten sich zu autonomen Subjekten der Geschichte erheben — aus eigener Kraft: Frauen-sind nicht mehr nur die leidenden Objekte patriarchaler Politik und Herrschaft, sondern rebellierende Subjekte, deren Objekt nun umgekehrt die patriarchale Gesellschaft ist. Daher das Bestreben, die autonome Frauenbewegung wo nicht zu zerschlagen, so doch wieder unter Kontrolle zu bringen. Die sogenannte proletarische Frauenbewegung besteht aus Frauen, die sich wieder unter die männliche Führung bringen ließen.

Der Antifeminismus bürgerlicher und proletarischer Patriarchen darf nicht länger im Interesse einer dogmatischen Klässentheorie verleugnet werden, die den patriarchalen Klassenantagonismus bestreitet; wiewohl der Kampf um die Fräuenbefreiung die größte historische und politische Auseinandersetzung der letzten 2000 Jahre sein dürfte — die größte schon deshalb, weil die weibliche, größere Hälfte des Volkes einerseits (und die Kinder) als Ausgebeutete und andererseits die männliche Hälfte des Volkes als Patriarchen — also alle Menschen des Gemeinwesens — betroffen sind. Es entspringt, unbewußter Frauenverachtung, wenn diese historische sozioökonomische Konstellation von männlichen Theoretikern als ein „Nebenwiderspruch", als „lediglich ein Aspekt unter vielen anderen, mindestens gleichrangigen" definiert wird. Es ist daher nicht erstaunlich, daß alle politischen Forderungen, die ursprünglich aus der autonomen Frauenbewegung kamen, erst sehr viel später (mitunter erst nach 100 Jahren!) und auch nur partiell von der Arbeiterbewegung aufgegriffen wurden.

Die historischen Verdienste der Frauenbewegung dürfen gerechterweise nicht einer Männerpartei zugesprochen werden, die es op27 portun fand, sich mit politischen Erkenntnissen und Taten von Frauen zu schmücken — Taten, die sie der Frauenbewegung abspricht, die sie sogar als „bürgerlich" diffamiert Die Motive der Arbeiterbewegung zur späten Übernahme feministischer Ziele waren lediglich machtpolitischer Art: Wenn die Frauen schon politisch tätig wurden, wollte man sie für die eigenen Zwecke benutzen. Mit ihren Stimmen z. B. sollten sie die männlichen Arbeiter ins Parlament wählen, denn Frauen sollten nur das aktive Wahlrecht erhalten. Die politisch tätige Lohnarbeiterin war keine gleichberechtigte und gleichgeachtete „Genossin", und es bestand nie die Absicht, die Früchte der Evolution oder Revolution mit ihr zu teilen und sie vom Patriarchalismus, namentlich von der unbezahlten Hausarbeit, zu befreien.

Es fließen in die Bewertung dieser historischen Vorgänge und Theorien noch so viele Vorurteile und die Selbstheroisierung der Arbeiter als alleiniges revolutionäres Subjekt ein, daß es jahrelanger kritischer Forschung bedarf, um diese „Urteile" zu revidieren und der historischen Wahrheit die Ehre zu erweisen. Daher sind die Parallelen, die aus der noch unerforschten und folglich oft fehlbeur-teilten ersten Frauenbewegung zur aktuellen Bewegung gezogen werden, äußerst problematisch. „Führerinnen" kamen weder in der alten noch in der neuen Bewegung aus dem „Bürgertum" (bzw. aus der Mittelschicht), schon gar nicht aus dem „Großgrundbesitz oder dem Adel": über Kapital und Land verfügten nur Männer. Es darf nicht länger die Klassenlage des Vaters oder des Ehemannes automatisch auch als die der Frau angesehen werden Frauen mit Lehrerinnen-Ausbildüng (ohne Abitur und akademisches Studium) hatten nur zwei bis drei Jahre ein Seminar besucht, zu dessen Niveau sich kein Mann erniedrigen mußte. Als Lehrerinnen waren sie nur in den untersten Rängen zugelassen und verdienten nur einen Bruchteil dessen, was männliche Akademiker erhielten. Sie waren keine Bildungsbürger. In ihrem Denken waren sie antipatriarchal und standen in vielerlei Hinsicht unter den männlichen Proletariern, die sich organisieren und Zeitungen herausgeben konnten, während durch die „Lex Otto" jeder Frau lange Zeit zur Bedingung gemacht wurde, unter einem männli-chen Redakteur zu arbeiten. Die Geschlechtsvormundschaft stellte alle Frauen potentiell unter alle Männer. Es ist daher unzutreffend, noch länger'von „bürgerlicher" Frau und Frauenbewegung zu sprechen.

Es ist idealistisch und nicht historisch-materialistisch gedacht, wenn man den Frauen den törichten Vorwurf macht, daß sie den Kapitalismus nicht erkannten (auch viele Lohnarbeiter erkannten ihn nicht als solchen, obwohl er von Anbeginn ihre Realität, ihr Sein ausmachte). Man könnte mit gleichem Recht den Sklaven oder Leibeigenen den Vorwurf ma-chen, daß sie sich „nur" aus ihrer personalen Abhängigkeit von Grundherren, nicht aber zugleich vom Kapitalismus befreien wollten. Derartige absurde historische Sprünge, die zugleich unterschlagen, daß der Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus ein historischer Fortschritt war, werden aber Frauen abverlangt von Männern, die selbst das kapitalistische System nicht abschaffen, wiewohl es ihnen durch /Praxis und Theorie längst durchschaubar ist oder sein müßte. Es werden hier völlig ungleiche Maßstäbe der Beurteilung angelegt — sieht man einmal ganz von der unmarxistischen Argumentation ab.

Die im Prinzip gleiche sozioökonomische Situation aller Frauen als Ehefrauen, Mütter, lohnlose Hausarbeiterinnen im Kampf um bezahlte-Arbeit, Ausbildung, demokratische Rechte gegen das patriarchale Eherecht, die von allen Frauen erlittene Diffamierung von Seiten aller Männer wird unterschlagen, um eine zum Dogma erstarrte Klassentheorie, die generell jede Frau zu ihrem Patriarchen schlägt, noch immer aufrechterhalten zu kön-nen. Alle Frauen sind eine Klasse, die gewaltsam aufgespalten wird durch die Klassenzugehörigkeit ihrer Ehepatriarchen bzw. väterlichen Patriarchen. Die Theoretikerinnen und Politikerinnen der autonomen Frauenbewegung hingegen betonen das Gemeinsame aller Frauen. Die Patriarchen rechnen „ihre" Frauen zu ihrer eigenen Klasse, um die Klassen-einheit aller Frauen zu verhindern. Ihr größtes Interesse liegt darin, die Frauen nicht zu einer politischen Einheit, einer Organisation zusammenkommen zu lassen — zu einer autonomen Frauenorganisation, Gewerkschaft oder Partei. Denn eine solche politische Vereinigung, die konsequente Folge der Erkenntnis der prinzipiell gleichen Lage aller Frauen, wäre dem Patriarchalismus — einschließlich des Kapitalismus'— gefährlich.

V. Zur Kritik der vier genannten Grundkonzepte

Die von Frau Nave-Herz und ihren Mitarbeitern aus der „Emanzipations" -Literatur herausanalysierten vier Grundkonzepte der Frauenbewegung sind nicht nur problematisch wegen der ausgewählten Literatur, sondern auch wegen der zugrunde gelegten historischen Voraussetzungen und Parallelen, die noch nicht endgültig geklärt bzw. unzutreffend sind. Zu den vier Grundkonzepten daher einige Anmerkungen: a) Das humanistisch-aufklärerische Konzept:

Luise Otto und ihre Bewegung vertraten weit mehr als nur ein solches. Ihre Ziele waren feministisch und zum Teil frühsozialistisch: sie waren ökonomischer, bürgerrechtlicher und demokratischer Art, wenn sie auch sehr verklausuliert werden mußten. — Die autonomen Frauengruppen heute, die sich z. T. aus Protest gegen den antifeministischen SDS bildeten, waren bereits feministisch ohne den Begriff zu benutzen. Sie kannten Luise Otto und die Geschichte der Frauenbewegung nicht. Sie waren theoretisch sicher beeinflußt von E. Fromm, M. Horkheimer u. a. sowie vom Marxismus; entscheidend aber war ihre Unterdrückungserfahrung durch die „Genossen": sie sind feministisch und sozialistisch. Ich würde ihr Konzept nicht lediglich humanistisch-aufklärerisch nennen, da sie die „ökonomischen und politischen oder patriarchalischen Gesellschaftsstrukturen" als Ursache der Frauenverelendung erkannten

b) Das marxistisch-und radikal-sozialistische Konzept:

Es verliert zunehmend an Überzeugungskraft, weil es in der Theorie die Frauenausbeutung bzw. -befreiung bei weitem nicht abdeckt und weil es in der historischen Praxis (der „sozialistischen" Länder) gezeigt hat, daß es den Patriarchalismus nicht abschafft, sondern konserviert. Vertreter und Vertreterinnen dieses Konzepts übersehen bis heute bzw. mußten sich dahin gehend korrigieren, daß die Ausbeutung der Frau durch den Patriarchen bereits vor dem Kapitalismus bestand und nach seiner Abschaffung fortdauert. Folglich hat die Ausbeutung der Frau noch andere Ursachen. Marxistische Theoretiker haben für typische Erscheinungsformen der Frauenausbeutung wie Hausarbeit, Doppelarbeit, Unter-bezahlung der Lohnarbeiterin oder die „Konsumption von Lebenskräften" der Frau durch die Mutterleistung kein politökonomisches Interesse gezeigt. Sie arbeiten mit stark verkürzten Begriffen von Ökonomie, Arbeit, Politik, Ausbeutung, Gesellschaft, Emanzipation usf., in welchen die Frauen ihre politischen Bedürfnisse nicht wiederfinden.

Da Frauen heute zweifellos selbstbewußter sein können als vor 100 Jahren, werden sie auch in marxistischen Frauengruppen zunehmend feministischer und lösen sich vom dogmatischen Marxismus, wobei die Betonung auf . dogmatisch'liegt. Es ist allgemein in der Frauenbewegung unbestritten, daß der Marx-sehen Theorie Erkenntnisse, Methoden und Kategorien entnommen und kreativ in der sozioökonomischen Analyse der Frauenarbeit angewendet werden können. Dort aber, wo die radikale Gleichberechtigung der Frau negiert wird, wird letztlich für die Ungleichheit, also die Beibehaltung der Rechtlosigkeit und Ausbeutung der Frau plädiert, und es zeigen sich reaktionäre Denkfiguren innerhalb „revolutionärer" Theorie und Praxis. Frauen sind dafür höchst sensibel geworden.

c) Das Gleichberechtigungskonzept:

Die autonome bürgerrechtliche Bewegung der Frauen im 19. Jahrhundert war antipatriarchal, d. h. antibürgerlich und konsequent demokratisch; sie kämpfte nicht „nur" um formale Rechte, sondern auch um die Absicherung des ökonomischen Existenzminimums aller Frauen. Die bestehende, teils feudalistische, teils patriarchal-kapitalistische Gesellschaftsordnung, ihre Parteien und ihr Staat setzten diesen Bestrebungen fanatischen Widerstand entgegen. Gleichberechtigung der Frau zu fordern, war kein gemäßigtes Konzept, und es ist es auch heute nicht: Es war ein Aufstand der Frauen gegen das patriarchale „Recht", denn dieses war ohne die Zustimmung der betroffenen Frauen von Männern über sie verhängt worden. Das trifft auch heute noch zu. Jede Frauenbewegung muß daher auf der Ebene des positiven Rechts und der Moral um radikale Gleichberechtigung mit dem Mann kämpfen, will sie nicht die bestehenden extremen Ungleichheiten beibehalten Wer radikale Gleichberechtigungsbestrebungen der Frau ablehnt, ist reaktionär.

Die bestehende Gesellschaftsordnung des 19.

und des 20. Jahrhunderts beruht auf der Rechtlosigkeit bzw.der Ungleichberechtigung der Frauen. Jedes Eintreten für gleiches Recht ist daher systemüberschreitend, wie die massive Reaktion des Patriarchats auf die §-218-Bewe-

gung bewiesen hat. Daß Frauen Selbstbestimmung über ihren Leib —-und damit über ihr Leben — fordern, stellt offenbar die patriarchale Ordnung in Frage, deren Prinzip es ist, daß der Ehepatriarch, der Staat und die Kirche über die Frauen bestimmen. Zur Illustration dieses Konzeptes nennt die Nave-Herz-Arbeitsgruppe die Autoren R. Lamprecht (Spiegelredak34) teur) und Mechthild Fülles (Mitglied der CDU oder dieser Partei nahestehend). Das sehr gemäßigte Konzept dieser Autoren hat kaum etwas gemeinsam mit den radikalen Gleichberechtigungsvorstellungen in Frauengruppen. Ich kann mit Sicherheit sagen, daß dieser Personenkreis, dem die Autoren angehören, in der neuen Frauenbewegung nicht vertreten ist.

d) Das radikal-feministische Konzept: Dieses Konzept wird als neue Richtung der Frauenbewegung bezeichnet; aber neu ist sicher lediglich der Grad der Radikalität, die erst heute, auf den Schultern der alten Bewegung stehend, möglich ist. Radikale Feministinnen waren zweifellos schon Hedwig Dohm Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg und viele Frauen vom linken Flügel der Bewegung, deren Archiv von den Nationalsozialisten vernichtet wurde. Typisch für sie alle war, daß ‘sie zugleich antikapitalistisch dachten, aber die autonome Organisation der Frauen für unabdingbar hielten und die Einverleibung in die z. T.sehr patriarchalen Männerparteien, die längst zu reformistisch waren, selbstbewußt und aus guten Gründen ablehnten. Auch die heutigen Radikal-Feministinnen kämpfen gegen den Patriarchalismus, der zugleich den Kapitalismus beinhaltet: absoluten Primat hat für sie ohne jeden Zweifel die Befreiung der Frau.

Es handelt sich dabei nicht lediglich um eine Kulturrevolution, sondern um eine ökonomische und politische, alle Bereiche der Arbeit, des Gemeinwesens, des Staates und der Kultur einbeziehende Revolutionierung im Sinne der Abschaffung der Aristokratie des männlichen Geschlechts. Die Stoßrichtung geht gegen das System des Patriarchalismus, d. h. zugleich gegen den Kapitalismus, den sie als eine historische Ausformung des Patriarchalismus außer Haus betrachten. Es geht ihnen in Praxis und Theorie um eine Synthese von Feminismus und bisherigem Sozialismus, der nur eine Teilrevolutionierung (unter weitestgehender Ausklammerung der Frauenbefreiung) vorsah. Das „Private" ist für sie das Politische. Es ist bedauerlich, daß U. Erlers seit langem angekündigter theoretischer Entwurf: „Feminismus — Sozialismus. Versuch einer Synthese" bis heute keinen Verleger gefunden hat, wie es denn überhaupt meine These ist, daß radikal-feministische Konzeptionen kaum veröffentlicht werden. * Sollten einige charakteristische Züge der heutigen Frauenbewegung skizziert werden, so läßt sich folgendes festhalten: Die Tendenz geht dahin, daß alle autonomen Frauengruppen zu einem feministischen und sozialistischen Konzept — mehr oder weniger radikaler Schattierung — gelangen. Wo sozialistisches, nicht-dogmatisches Gedankengut noch nicht Fuß fassen konnte, ist das die Folge des Stalinismus, der antikommunistischen Propaganda und der mangelnden Kenntnis des Marxismus allgemein, erwachsen aus bildungsmäßiger extremer Unterprivilegierung u. a. Faktoren, für die die Feministinnen nicht verantwortlich sind. Da eine umfassende Theorie des sozialistischen Feminismus noch nicht vorliegt und Frauen keinerlei Verfügung über Massenmedien haben, geht die Politisierung nur langsam vor sich.

Diese scheint unter den 30-bis 50jährigen Frauen mit Kindern am radikalsten, während junge Frauen unter 30. mitunter noch gewisse politische Illusionen haben. Die älteren Frauen betonen mehr die Problematik der Mutter-arbeit, der Haus-und Doppelarbeit sowie der patriarchalen Ehe, während die jüngeren sich mehr der Ausbildungs-, Berufs-und Lohnsituation zuwenden. Ältere Frauen plädieren denn auch für eine bundesweite starke Frauenorganisation mit einem gemeinsamen Programm, viele für eine Frauenpartei und Frauengewerkschaft, während jüngere Frauen noch hoffen, in kleinen, Spontanen Gruppen politisch wirksam zu werden. Ich vermag weniger verschiedene politische Konzeptionen als vielmehr eine Erscheinung zu erkennen, die von änderen Organisationen her bekannt ist: eine Junioren-Fraktion der bis zu dreißigjährigen und eine der über dreißigjährigen Frauen, die sich für eine kontinuierliche, rationelle und zuverlässige Arbeit in Theorie und Praxis einer eigenständigen Frauenbewegung entschieden haben. Herrscht unter den jüngeren FräUen antiautoritäres Verhalten (manchmal auch falsch verstandenes) vor, so akzeptieren die anderen Sachautorität, Sachkenntnisse und kritisches Wissen als Mittel in einem Kampf, in welchem Wissen Macht und Nichtwissen Ohnmacht ist.

Wenn Nave-Herz nach dem Einfluß der organisierten Frauenbewegung fragt und zunächst zu dem Resultat kömmt, daß dieser schwerlich abzuschätzbn ist, so sollte man es dabei belassen. Es ist höchst ärgerlich, wenn der Frauenbewegung indirekter politischer Einfluß unterstellt wird, nämlich über ihre Männer, d. h. letztlich auf dem Wege einer wie immer gearteten Prostitution. Ich möchte diese Unterstellung einmal die Mätressen-Ideolo-gie nennen: Sie wird in der Regel von Patriarchen ins Feld geführt, wenn Fräuen ihren legitimen Anteil an politischen Rechten und demokratischer Partizipation verlangen mit dem Hinweis, sie hätten schon so viel indirekten Einfluß, daß sie direkten gar nicht mehr brauchten! Ich habe die unterstellte Mittelschichtzugehörigkeit der Frauen aus der Bewegung bereits widerlegt (Anin. 3); Feministinnen sind auch nicht mit Männern aus der Mittelschicht verheiratet (es gibt keine Ehefrauen von Ministern, hohen Richtern, Professoren u. s. f. in der Bewegung). Selbst wenn es sie gäbe, so ist zu betonen, daß es entschieden nicht zu den feministischen Prinzipien gehört, durch Wohlverhalten gegenüber Ehemännern und Freunden indirekt zu versuchen, auf politische Entscheidungsprozesse Einfluß zu nehmen. Feministinnen sind für ihre kritische Offenheit und Kompromiß-losigkeit bekannt. Demütiges Buhlen und sklavisches Schmeicheln uni ein wenig Gunst der Patriarchen gehört nicht zu ihrer politischen Taktik.

VI. Massenmedien und Frauenemanzipation: Die Ausschaltung der Frauenbewegung aus der patriarchalen Öffentlichkeit

Wissenschaftliche Analysen der historischen Kategorie „Öffentlichkeit" haben bis jetzt nur die „zur Dominanz gelangten Züge" — nämlich die bürgerliche und inzwischen auch die proletarische Öffentlichkeit — beachtet. „Die im geschichtlichen Prozeß gleichsam unterdrückte Variante" einer feministischen Öffentlichkeit wurde nicht nur vernachlässigt, sondern völlig totgeschwiegen: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

Spätestens in der Französischen Revolution und besonders unter Robespierre trat eine Öffentlichkeit aus der Asche einer über 2 000jährigen Unterdrückungsgeschichte hervor, die dann auch schnell im Blut erstickt, seither immer wieder aufflammt und immer erneut gewaltsam ausgetreten und mundtot gemacht wird — Öffentlichkeit, hergestellt von den Verachtetsten, Ärmsten und Ungebildetsten der feudalistischen und bürgerlichen Gesellschaft: den Frauen. Daß sie öffentlich ihre eigenen elementarsten Lebensbedürfnisse und politischen Forderungen anmelden, war allerdings von den bürgerlichen Revolutionären, auch den radikalsten und den Plebejern, nicht vorgesehen. Frauen, seit undenkbaren Zeiten in der Hausherrschaft eingeschlossen oder, wenn sie keinen „Herrn“ hatten, ein riesiges, von der Prostitution existierendes Lumpenproletariat, 1 brachen aus, gingen in die Öffentlichkeit der Straßen, der politischen Frauenklubs, in die Nationalversammlung — wo sie freilich nur auf den Galerien zugelassen waren Sie schrieben politische Pamphlete — wenn sie schreiben konnten —, reichten Petitionen ein, druckten Plakate mit Aufrufen, die sie öffentlich anschlugen — nicht mehr als Hilfskräfte patriarchaler Interessen, sondern im Eigeninteresse und im Interesse des Volkes, dessen großer und extrem leidender Teil sie waren. Die von bürgerlichen und plebejischen Revolutionären getragene Öffentlichkeit sah sich öffentlich und kollektiv als patriarchale Macht von Frauen identifiziert und kritisiert, ja angegriffen: „Mann, kannst Du gerecht sein, es ist eine Frau, die dich fragt" donnerte die Gouges mit einem aufsässigen Impetus, der noch heute beeindruckt. Frauen, nicht mehr im Schlepptau literarischer und politischer Diskussionen ih-rer Männer, meldeten selbst eigene literarische und politische Bedürfnisse an Als sie der Erklärung der sogenannten Menschenrechte die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin" gegenüberstellten, in welcher die Rechtsfähigkeit der Frau, bürgerliche Rechte generell, sogar das Wahlrecht, Zugang zu öffentlichen Ämtern, formfreie Eheverträge, Testierfähigkeit und Verfügung über Eigentum verlangt werden, als sie schließlich die Terrorherrschaft Robespierres kritisierten, wurden sie hingerichtet und ihre Klubs geschlossen. Das öffentliche Auftreten von Frauen — vom patriarchalen Publikum als ungeheuerlicher Affront, als Infragestellung seines Monopols betrachtet — mit völlig legitimen Forderungen und berechtigter Kritik verläuft noch heute nach dem gleichen Ritual: Frauen, die Öffentlichkeit über ihre Verelendung herzustellen versuchen, werden in brutalster — oft obszöner — Weise diffamiert.

Da ihnen generell Eigentum und Bildung fehlten, da sie gegen die private und öffentliche Gewalt von Patriarchen angehen mußten, wurde ihre eigenständige literarische und politisch-feministische Öffentlichkeit immer wieder erstickt. Im gesamten 19. Jahrhundert wurden ihnen politische Versammlungen verboten und Publikationen praktisch unmöglich gemacht, nicht nur, weil sie kein Kapital und keine , Intelligentsia'hatten — beides war für das männliche Bürgertum selbstverständlich und auch das Proletariat verschaffte sich beides durch seine Organisation —, sondern ausdrücklich durch Gesetz und die herrschende Sitte, die es verboten, daß Frauen öffentlich in Erscheinung traten. Sie waren immer wieder genötigt, unter Pseudonym, möglichst einem männlichen, zu verschwinden.

Auch in der Gegenwart ist die bürgerliche und proletarische Öffentlichkeit unverändert patriarchal wirksam. In den von Männern beherrschten Massenmedien hat eine antipatriarchale, feministische Öffentlichkeit eine verzweifelt geringe Chance, auch nur in minimalem Umfang Gegenargumente, Kritik, Meinungen von Frauen zu verbreiten. Die Ausschaltung der Frauen aus der patriarchalen Öffentlichkeit ist eine doppelte: erstens werden Frauen ohnehin fast völlig übergangen, selbst wenn sie patriarchatskonform sind, zweitens werden kritische Frauen, die positiv zur Frauenbewegung eingestellt sind, mit ihr sympathisieren, oder ihr gar angehören, überhaupt nicht gedultet, sondern männlicher Zensur unterworfen, zu Änderungen gezwungen, ihre Meinungsfreiheit systematisch unterdrückt und gar nicht veröffentlicht

Eine Selbstdarstellung der politischen Bewegung ist heute praktisch unmöglich, weil sie keine Medien besitzt und in den Massenmedien nicht zu Wort kommt. Wenn überhaupt, so wird von Männern in pervertierender, herabsetzender, verfälschender und zynischer Wei-se über die Frauenbewegung geschrieben, gesprochen oder die Bildauswahl getroffen. Da Frauen in allen Massenmedien eine verschwindend geringe, machtlose Minderheit sind, da die kritischen Journalistinnen und Redakteurinnen nochmals eine Minderheit in der Minderheit darstellen, ist selbst ihr Zusammenschluß eher eine existenzbedrohende als eine Schutzmaßnahme. Vor die Alternative gestellt, überhaupt nichts mehr veröffentlichen (und verdienen) zu können oder sich der Zensur männlicher Vorgesetzter zu beugen, wählen sie begreiflicherweise mitunter den zweiten Weg; oft aber treten sie den Rückzug aus den Medien in die Resignation an. Frauen besitzen keine Verlage, Vertriebsorganisationen und Buchläden, keine Tageszeitungen, Zeitschriften, keine Nachrichtenund Bildagenturen, keine Produktionsmittel zur Herstellung von Filmen keine Theater — und auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten von Funk und Fernsehen befinden sich ausschließlich in der Verfügungsgewalt von Männern. „Ausgewogenheit" wird nur unter Männerparteien, Verbänden und Kirchen sowie deren Vertretern hergestellt — Ausgewogenheit unter Patriarchen.

Der These: „Nur wenige sozialwissenschaftliche Erkenntnisse haben eine derartige Verbreitung durch alle Arten von Massenkommunikationsmitteln gefunden, wie die Benachteiligung der Frauen in unserer Gesellschaft" (Nave-Herz, S. 3), vermag ich nicht zu folgen. Einmal gibt es kaum sozialwissenschaftliche Erkenntnisse, weil keine systematische und dem Gegenstand angemessene Forschung betrieben wurde zum anderen sind diese Massenmedien nicht geeignet noch gewillt, wirklich kritische Ergebnisse zu verbreiten Was dennoch an kritischer Information durchschlüpft, /ist, gemessen an der Quantität, die die Medien potentiell erlauben, minimal. Generell kann man sagen, daß das, was zur Frauenfrage verbreitet, besser: vermarktet wird, mit der Realität der weiblichen Bevölkerung und mit den Vorstellungen der Frauenbewegung nichts gemein hat. Allgemein werden ein reaktionäres Frauenbild propagiert, Vorurteile verfestigt und patriarchale Propaganda betrieben, produziert von Männern für die Bedürfnisse von Männern.

Weibliche Filmemacherinnen und Stückeschreiberinnen kommen praktisch nicht zum Zuge, weibliche Moderatorinnen und Diskussionsteilnehmerinnen in politischen Sendungen gibt es so gut wie gar nicht (höchstens einmal als Alibi-Frau). Der Programm-Direktor des Hessischen Rundfunks, Wicht, ließ z. B. wissen, daß er keine Kritik an der Tatsache wünsche, „daß in der Sendung , Vom Geist der Zeit'ein Mann den Kommentar , Was bleibt vom Jahr .der Frau'verfaßt hat. Wir waren uns dieser einfachen Tatsache sehr wohl bewußt und möchten auch weiterhin (!) uns die Freiheit erhalten, bei den Themen der Frauenemanzipation kein Meinungsmonopol der Frau (?) zu schaffen" (27. 11. 75). Diese Sendung ist bis jetzt das ausschließliche Monopol von Männern; Frauen sind darin noch nie zu Wort gekommen. Die „Freiheit" ist immer nur die des Mannes, und zwar auf Kosten der Frauen. Dieser Fall ist kein Einzelfall, wie ein Schwarzbuch über die Frauen-feindlichkeit der Massenmedien, das von Frauen vorbereitet wird, belegen kann. Ähnlich trostlos ist die Lage auf dem Buchmarkt. Von einer „Flut von Veröffentlichungen" kann man nur dann sprechen, wenn man den Pegelstand null für die Norm hält und zugleich den Ozean von Veröffentlichungen auf anderen Gebieten als Selbstverständlichkeit hinnimmt. Erst 1968 erschien die ungekürzte Ausgabe von Simone de Beauvoir: „Das andere Geschlecht" als Taschenbuch. Das war rund 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung. Nun besteht kein Zweifel, daß Simone de Beauvoir eine der geistigen Mütter der jetzigen Bewegung ist, der dieses wichtige Buch 20 Jahre lang vorenthalten werden konnte. Da zweifellos gewisse Korrelationen zwischen der geistigen Vorbereitung einer politischen Bewegung und deren Ausbruch besteht, heißt das, daß mit der Verzögerung bzw. Vorenthaltung von relevanten Veröffentlichungen einerseits und mit der Förderung reaktionärer Publikationen andererseits eine politische Bewegung nicht aufgehalten, aber um Jahre verzögert werden kann.

Seit 1970 versuchen verschiedene Frauen und Gruppen der Bewegung ein Taschenbuch mit Texten der neuen amerikanischen Frauenbewegung zu publizieren. Wiederholte Versuche wurden landein, landab von Verlegern abschlägig beschieden, und zwar zu Zeiten, da jeden Monat 100 neue Taschenbuch-Titel auf den Markt geworfen wurden! Als dann die Buchproduktion etwas gedrosselt wurde, war dieses Buchprojekt das erste, das der Verschlankung'zum Opfer viel, nachdem es zwei Jahre bei einem Verleger auf Eis gelegen hatte. Kritische wissenschaftliche, soziologische, historische, politik-wissenschaftliche Arbeiten wurden schon rund 40 Verlegern angeboten und von diesen immer abgelehnt; der Druck wurde erst möglich, als ein Kredit zur Verfügung gestellt wurde.

Der hundertste Todestag von J. St. Mill 1973 'wäre ein gegebener Anlaß gewesen, eine aktuelle politische Schrift, wie „Die Hörigkeit der Frau" es ist, neu herauszugeben.

Es geschah nicht; auch der ausdrückliche Vorschlag an einige Verlage wurde negativ beschieden. Alle diese Entscheidungen werden von männlichen Lektoren und Verlegern getroffen. Bringt ein Verleger dann doch einmal aus kommerziellem Kalkül einen einzigen Titel heraus, so hält er das schon für eine Pionierleistung. Systematische Publikationen, etwa wissenschaftliche Reihen, gibt es nicht. Ich bin ziemlich sicher, daß es zur Hundezucht mehr Publikationen gibt als über die Lebensbedingungen des weiblichen Volkes. Laut Spiegel-Meldung gibt es sogar eine Hunde-Enzyklopädie; hat man je gehört, daß eine Enzyklopädie der Frau in Angriff genommen würde?

Auf dem Zeitungsund Zeitschriften-Sektor haben Journalistinnen einen noch schwereren Stand: bestenfalls ein wenig Lokales, eine Buchbesprechung, „die sich nicht unbedingt mit dem Thema Frau’ beschäftigt" — so die Frankfurter Rundschau — und ein Artikel auf der Frauenseite, wenn die Zeitung eine hat. Oft haben die Zeitungen keine oder sie wurde abgeschafft, dann bleibt für Frauen überhaupt kein Arbeitsfeld mehr, denn auch das Feuilleton ist Herrschaftsterrain der Männer. Aber selbst auf der Frauenseite haben Männer noch das Sagen — zu Frauenfragen! Selbst Frauen-Zeitschriften werden bekanntlich von männlichen Redakteuren gestaltet. Wenn im Zuge der Vermarktung der Frauen-bewegung in Blättern, wie z. B. Brigitte, nun mitunter ein winziger Bruchteil des Raumes zur Erörterung der Frauenbenachteiligung freigegeben wird, so wird das Kritische der Aussage durch die Masse des reaktionären Restes mit Gewißheit wieder aufgehoben, ja dient der Rechtfertigung desselben. „Man kann sogar sagen, daß die Zeitschriften gerade durch die Reproduktion der sozialen Vorurteile, die die unterprivilegierte Position der Frauen in unserer Gesellschaft nach wie vor rechtfertigen und , in der Ordnung'erscheinen lassen, Einpassungshilfen leisten. . . Die Frauenzeitschriften lehren, was von Frauen erwart tet wird; sie bieten Rezepte, wie diese Erwartungen am besten erfüllt werden, und sie stellen die Belohnung in Aussicht, die für Wohl-verhalten und Anpassung immer in Aussicht gestellt wird: allgemeine Anerkennung." Journalistinnen, Redakteurinnen (und darüber hinaus alle Frauen), die diesem Credo nicht mehr folgen wollen, haben Racheakte zu befürchten und zu ertragen, die ihre Existenz* vernichten und immer mehr die Formen einer Hexenjagd annehmen

) Die zwei von Nave-Herz (S. 11) genannten Hypothesen der Massenkommunikationsforschung: 1. die , Reflection‘-Hypothese und 2.

; die , social-control‘-Hypothese, scheinen mir nur sehr bedingt brauchbar zu sein im Hinblick auf die zur Diskussion stehende Literatur, weil sie von vornherein gesellschaftliche Antagonismen ausklammern, die auf dem „öffentlichen Forum" und im „Publikum" virulentsind. Die „Aussagen der Massenkommunikation als Spiegel ...der Wünsche, Erwartungen, Attitüden und Tagträume des Publikums"

scheinen mir, aus guten Gründen, die Wünsche und Erwartungen des männlichen (und i angepaßten weiblichen) Publikums und der j männlichen Produzenten zu reflektieren. Ein ! kritisches weibliches Publikum, dessen Zahl wächst, sieht in diesem'Spiegel seine Erniedrigung, Beleidigung, Macht-und Rechtlosigkeit. Die zweite Hypothese besagt, „daß die Aussagen der Massenkommunikationen" dem Bewußtseinsstand des „Publikums" vörauseilen.

Welchen Publikums? Für ein sehr reaktionäres mag das zutreffen, für ein progressives weibliches Publikum ist es gewiß falsch; des-sen Bewußtseinsstand ist dem der patriarchalen Massenmedien um Jahrzehnte voraus — wenn man einmal annehmen will, daß die in Männerhand befindlichen Medien jemals be-reit sind, einer politischen Bewegung (zumal einer Frauenbewegung) auf dem Fuße zu fol-gen. Das wäre erst möglich, wenn zumindest die öffentlich-rechtlichen Medien paritätisch mit Frauen besetzt sind.

Die Frage, ob das weibliche Publikum, die Frauen selbst, Veränderungen wünschen, muß nach meiner Kenntnis bejaht werden — allein die Tatsache der Frauenbewegung ist ein Beweis dafür. Aber auch das Hausfrauenpublikum wünscht Veränderungen: Wenn 77 °/o der Frauen die Auffassung vertreten, sie müßten als Hausfrau, und Mutter mehr geben, als sie zurückerhalten so fühlen sie sich — mit anderen Worten — ausgebeutet. Wer sich ausgebeutet fühlt, wünscht selbstverständlich Veränderungen seiner Situation. Das erstaunlich weitverbreitete Bewußtsein der „Verzichtrolle" unter den Betroffenen sollte man nicht weginterpretieren: Hausfrauen sind nicht so dumpf und dumm, wie man sie hinstellt, und man braucht nicht erst in die Lohnarbeit zu gehen, um Ausbeutung und ein Bewußtsein davon zu erfahren.

Die patriarchale Gesellschaft hat nun durchaus nicht die Absicht, Hausarbeit als unbezahlte Familienarbeit der Frau abzuschaffen. Man ist sich keineswegs einig darin, „daß die Situation der Frau in der Bundesrepublik verändert werden muß". Die reaktionären Kräfte haben sich gesammelt und bereits zurückgeschlagen, noch ehe minimale Veränderungen bewirkt werden konnten. „Auch alle politischen Parteien stimmen dieser Forderung (nach Veränderung der Situation der Frau) zu". Für diese Behauptung oder Hoffnung der Nave-Herz-Arbeitsgruppe werden sich schwerlich Beweise finden lassen: Die Frauenpolitik der CDU/CSU zielt auf eine Veränderung nach rückwärts, wie uns ihre Politik gegen die Reform des § 218 StGB deutlich beweist. Die SPD hat im Entwurf ihres Orientie-

rungsrahmen '85 (insgesamt 125 Seiten) der doppelt ausgebeuteten und mehrfach unterdrückten weiblichen Bevölkerung dieses Lan-des ganze neun Zeilen gewidmet. Der Parteivorstand hatte in die 30köpfige Kommission zur Ausarbeitung dieses Zukunftsprogramms eine einzige Frau berufen! Diese patriarchalen Parteien werden die Situation der Frauen mit Gewißheit nicht verändern: Die Frauenbewegung hat keine politische Alternative zu sich selbst.

VII. Zur politökonomischen Einschätzung der Hausarbeit

Hausarbeit wird generell völlig unterschätzt, unteroder gar nicht bewertet, von Politökonomen nicht einmal zur Kenntnis genommen. Bezahlte Lohnarbeit, weil bezahlt und von Männern verrichtet, ist „Arbeit", unbezahlte, von Frauen verrichtete Hausarbeit ist keine Arbeit, ist die Negation von „Arbeit", das Gegenteil produktiver Arbeit schlechthin, weil sie, unter den Bedingungen der patriarchalen Hauswirtschaft erbracht, keinen Tauschwert hat. Was keinen Tauschwert hat (warum eigentlich nicht?), existiert nicht. Das Resultat derartiger Häufung von Denkfehlern ist dann eine Überbewertung der „Arbeiterfrage" und eine totale Unterbewertung der „Frauenfrage", die in der Behauptung kulminiert, Frauen arbeiten nicht, sind nicht produktiv, werden nicht ausgebeutet und können folglich niemals revolutionäre Subjekte sein. Hausarbeit und Doppelarbeit der Frauen sind somit weg-definiert und brauchen gar nicht erst politökonomisch erfaßt zu werden.

Eine Folge davon ist, daß die mehrfache Ausbeutung der Frau (im Vergleich zum männlichen Lohnarbeiter, der doch nur eine „Einfachrolle" ableisten muß) weder politisch-theoretisch noch in der politischen Praxis in den Blick kommt. Das soll offenbar auch nicht geschehen, da die Arbeiterfrage Priorität hat und die Frauenfrage bestenfalls ein Gegenstand unter vielen anderen, schlimmstenfalls gar keiner ist Es müßte revolutionärer Logik und Konsequenz — und genuiner Solidarität — entsprechen, daß diejenigen, die am längsten und schwersten ausgebeutet werden, zuerst befreit werden — und nicht zuletzt. Es müßten sich demzufolge die Arbeiter mit den Frauen solidarisieren und deren Befreiung als Priorität anerkennen.

Bezeichnenderweise ist die gegensätzliche Forderung von seifen der Theoretiker der Arbeiterklasse und ihrer Politiker der Fall:

Frauen sollen ihre mehrfache Ausbeutung noch länger ertragen — bis in eine sehr unbestimmte Zukunft — und mit ihrer politischen Kraft dem männlichen Arbeiter dienen, wie-wohl dieser im Verhältnis zu ihnen privilegiert ist — als Lohnarbeiter und als Familienpatriarch. Frauen der autonomen Frauenbewegung wollen jedoch ihre politische Kraft für die Befreiung der Frau aus doppelter Ausbeutung einsetzen. Deswegen werden sie auch von Marxisten, Sozialisten, Kommunisten und Sozialdemokraten bekämpft. Dieser linke Antifeminismus verbirgt sich geschickt hinter der Ideologie der „gesamtgesellschaftlichen und ökonomischen Veränderung". Bei genauerer Untersuchung wird allerdings deutlich, daß es sich hier wieder nur um einen Teil der Ökonomie und der Gesellschaft handelt, den Teil, der den . kleinen Mann'betrifft. Das Verhältnis Fronarbeit (Frauen) und Familienpatriar-chat (Männer) soll erhalten bleiben, wie auch die Vormachtstellung des Mannes in der Gesellschaft außer Haus und im Staat; das geschieht ja im sozialistischen Patriarchat, in den sogenannten Volksdemokratien: das weibliche Volk herrscht dort nicht.

Die politökonomische Analyse der Hausarbeit und die sich daraus ergebende Forderung nach Abschaffung dieser Form weiblicher unbezahlter Fronarbeit ist eine radikale ökonomische’, soziale und hochpolitische Forderung, weit radikaler und historisch überfälliger als wie auch immer geartete Verbesserungen für den männlichen Lohnarbeiter, denn die gesamte Männergesellschaft beruht auf und profitiert von der häuslichen Gratisarbeit aller Frauen — einer Arbeit, die die Kinder und eine Fülle von Gebrauchswerten produziert. Wird die Gebärarbeit (die „Konsumtion von Lebenskräften" durch Austragen, Gebären und Stillen des Kindes) und die Kinderarbeit (Arbeit an den Kindern, besonders den kleinen) bezahlt, so sind die Zwangs-50 ehe und damit die personale Abhängigkeit der Frau vom Familienpatriarchen, die Doppelarbeit (Doppelrolle) der Frau abgeschafft. Die geschlechts-spezifische Arbeitsteilung würde allmählich aufgehoben, weil sich auch Männer finden, die die Kinderarbeit übernehmen, wenn sie bezahlt wird. Die jetzige weibliche häusliche Fronarbeit wird endlich zur Berufsarbeit, zur Lohnarbeit, die nicht mehr auf den Frauen lastet, da sie sie nicht mehr in die Doppelarbeit und in den 16-Stunden-Tag zwingt.

Die Behauptung, „der traditionelle Tätigkeitsbereich (sei) derart geschrumpft", daß er als nicht mehr vorhanden angesehen werden kann, entlarvt sich als ein Stück patriarchaler Ideologie, wenn man dagegen die Realität der Verausgabung weiblicher Arbeitskraft setzt: „Allein in der BRD kommen Vollhauslrauen und Feierabendhausfrauen auf 45 bis 50 Milliarden Stunden Gratisarbeit im Jahr ... Das heißt, die Gratisarbeit ist fast genau so umfangreich wie die gesamte Lohnarbeit (52 Milliarden Stunden in der BRD). Bedenkt man (frau), daß diese Hälfte der gesamtgesellschaftlichen Arbeit, die Hausarbeit, fast ausschließlich von Frauen gemacht wird und daß Frauen außerdem ein Drittel der Berufsarbeit leisten, so bedeutet das: In der BRD leisten Frauen zwei Drittel der gesamtgesellschaftlichen Arbeit, Männer nur ein Drittel. Frauen arbeiten also doppelt so viel wie Männer.“

Nach neueren Berechnungen des Instituts für Hauswirtschaft erbringen die Hausarbeiterinnen 53 Milliarden Stunden unbezahlter Arbeit, wobei nur 45 Wochenstunden zugrunde gelegt sind Frauen aber arbeiten oft 90 bis über 100 Stünden. In allen diesen Berechnungen ist die Verausgabung der weiblichen Arbeitskraft durch das Austragen und Gebären von Kindern noch gar nicht berücksichtigt. Der Ausbeutungsgrad der weiblichen Arbeitskraft ist auf jeden Fall so extrem, daß er nicht mehr weiter hochzutreiben ist, und der privilegierte Status des Mannes,, auch des Lohnarbeiters, ist offensichtlich. Im Gegensatz zu Kapitalisten und Marxisten, die alle zugleich Patriarchen sind, die der Frau noch mehr Arbeit aufbürden wollen, protestieren die Betroffenen gegen die Zumutung der Doppelarbeit durch eine allgemeine Verweige-rung der Gebärarbeit und der Hausarbeit. Ich sehe darin keinen „sich bahnbrechenden Konservatismus"

(Nave-Herz, S. 22), sondern im Gegenteil die Bewußtwerdung der Doppelarbeit als Doppelausbeutung, das Bewußtsein von der Hausarbeit als gesellschaftlich notwendiger Arbeit und eine selbstbewußte Einschätzung der. Leistung der Frau als Mutter, indem diese als Arbeit definiert wird. Ich sehe das Bewußtwerden der extrem ungleichen Arbeitsteilung und der ungleichen Verteilung der Belohnung (bzw. Nicht-Belohnung) zwischen Frauen und Männern. Das Wegdefinieren dieser enormen Verausgabung und Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft mit noch so „revolutionärer"

Theorie wird von den Betroffenen einfach nicht mehr hingenommen: Sie wissen es tatsächlich besser — aus ihrer Praxis als die extreme Ausbeutung erleidenden Subjekte.

Die Negation der Hausarbeit als Arbeit führte zu der falschen Theorie der Doppelarbeit als Weg zur Gleichberechtigung. Darin enthalten ist der eklatante Denkfehler, daß das doppelte Maß an Arbeit das gleiche sei wie das einfache Maß, nämlich die „Einfachrolle" des männlichen Lohnarbeiters. Das patriarchal-kapitalistische System (und das patriarchal-sozialistische ist da keineswegs grundsätzlich anders) bietet der Frau nur die nicht akzeptablen Alternativen: unbezahlte Hausarbeit oder diese plus (halbbezahlte) Lohnarbeit. Radikale Feministinnen, die wahrscheinlich zugleich die besten Sozialisten sind, lehnen beide patriarchalen Angebote für Frauen ab: Sie verweigern die nichtbezahlte Hausarbeit wie die halbbezahlte Lohnarbeit und die Kulmination dieser beiden Ausbeutungssysteme in der Doppelarbeit der Frau. Die Konsequenz ist eine eigene feministische Theorie (Politökonomie) und Praxis, die zugleich die Synthese von Feminismus und Sozialismus darstellt: Sicher ist dieser sozialistische Feminismus-eine höhere,, weil radikalere Stufe des patriarchalen Sozialismus', da er die doppelt Ausgebeuteten befreien will und nicht-nur die männlichen Lohnarbeiter, die dann die Herrschaft über die Frauen antreten. „Soviel ist heute sicher, daß es keinen Feminismus ohne Sozialismus geben kann und keinen Sozialismus ohne Feminismus."

Die marxistische Politökonomie ist, wie die bürgerliche, nur eine Teilökonomie: Beide ge-hen aus von der bürgerlich-patriarchalen Trennung von Hausproduktion und Produktion außer Haus — und analysieren nur die letztere. Die Kategorien „gesamte ökonomische und politische Verhältnisse", im Gegensatz gesehen zu lediglich „Teilbereichen", die 55 durch Frauen revolutioniert werden, sind also zu revidieren; Was als „Gesamt" Ökonomie bezeichnet wird, ist nur ein Teil der Ökonomie, nur ein Teil der politischen Verhältnisse. Lohnarbeit und Kapital sind eben bei weitem nicht die Gesamtheit der Ökonomie: Es fehlt die Hausökonomie (mit der Produktion der Arbeitskräfte und Gebrauchswerte), die Hausarbeit der Frauen und die Aneignung dieser durch die Familienpatriarchen. Politische Verhältnisse sind nicht nur die zwischen Kapitaleignern und Lohnarbeitern, die sich in politischen Organisationen, Verbänden, Parteien darstellen und in deh Organen des patriarchalen Staates manifest werden, sondern auch die von Männern, Patriarchen und in deren Macht stehenden Frauen als dem Verhältnis von Mächtigen und Machtlosen. Die Frauenbewegung fordert die Aufhebung dieses Machtmonopols in Richtung radikal-ökonomischer und radikal-demokratischer Gleichheit der weiblichen Bevölkerung: Das ist zweifellos das größte denkbare Politikum. Die Kategorie „Mikro-Ebene" zur Beschreibung dieses Abhängigkeitsverhältnisses ist zwar richtig, scheint mir aber inadäquat zur Bezeichnung eben dieses Politikums. Generell sind wir nicht gewöhnt, die Situation der Frauen in politischen Kategorien zu beschreiben: Man würde nicht sagen, Proteste gegen den Kapitalismus zeigen sich auf der Mikro-Ebene des Verhältnisses von Betriebseigentümer und Arbeiter! Im Falle der Frauen handelt es sich aber um einen noch größeren und komplexeren politischen Antagonismus;

nicht nur zahlenmäßig (über 50 % der Bevölkerung sind Frauen), sondern auch quantitativ und qualitativ sind die Ausbeutungsformen und Herrschaftsverhältnisse extremer.

Da alle Menschen in Familien leben, sind auch die Kinder und die Familienväter, als Herren allerdings, betroffen. Die „Frauenfrage" betrifft die gesamte Gesellschaft und Ökonomie, die Arbeiterfrage betrifft nur die Lohnarbeit, also nur einen Teil der Produktion und Gesellschaft.

Daß der Hauswirtschaftsbereich nicht länger in der Tabuzone des „Privaten" verbleibt, bedeutet eine Erweiterung und Radikalisierung der politischen Diskussion der Frauenfrage. Konsequente Feministinnen, alte und neue, hatten immer auch die Hausarbeit im Blick, weil dort alle Frauen arbeiten. (Theoretiker der Sklavenbefreiung hatten selbstredend die Sklavenarbeit im Visier und nicht die Lohnarbeit, die sie noch gar nicht betraf.) Die Besinnung auf diese Tatsache, die theoretische Diskussion und Einbeziehung in die Politik halte ich gerade nicht für eine Verengung der poli-1 tischen Zielsetzung, sondern für eine Erweiterung, für ein Zeichen der Revolutionierung der Gesamtgesellschaft, nicht nur der männlij chen Teilgesellschaft. Die „Betonung der Hausfrauenrolle" als politisches Problem ist keine Abkehr, sondern die Hinwendung zu ei-: ner Politökonomie der Hausarbeit, keine kon-1 servative, sondern eine revolutionäre neue Forderung. Die Versuche, die Bedingungen I der Menschenproduktion politisch beiseite zu-’ lassen (weil sie von Frauen geleistet wird) ; und die Verausgabung der weiblichen ArI beitskraft an diesem Ort zu negieren, ja lächerlich zu machen, sind reaktionär; sie werden gemacht von allen Männern, politisch von rechts bis links. Die Hinwendung zu ei-; ner Politökonomie der Hausarbeit und die j Forderung nach Lohn für diese ist die Hinj Wendung zur eigenen Ausbeutung und die i Abwendung vom fremdbestimmten politij sehen Kampf, in welchem die Befreiung der I Frau, wenn überhaupt, in typisch patriar-chaler Verachtung als „Nebenwiderspruch" wird. Angeblich kann nur der ’ Mann revolutionäres Subjekt sein, Frauen ! grundsätzlich nicht

Ausgehend von ihrer Praxis als Frauen und ! von den theoretischen Erkenntnissen des Fe-I minismus und Marxismus, untersuchen Frau-j en in verschiedenen Ländern unter schöp- ferischer und kritischer Anwendung Marxscher Kategorien die Produktions-und Ar-i beitsbedingungen der Frau in der Hauswirtschaft — wo produziert und reproduziert wird —, ebenso wie die Arbeit in der Warenproduktion, den Doppelcharakter von Produktion und Reproduktion trägt. Sie gehen davon aus, daß Marx in seiner politischen Ökonomie die Arbeitsund Produktionsverhältnisse nur außerhalb des Hauses analysiert hat, die politische Ökonomie der Hauswirtschaft aber noch geleistet werden muß. Ist diese politische Ökonomie der „Privat" -Ökonomie erstellt, muß die Dialektik dieser mit der außerhäus56) liehen aufgezeigt werden, ebenso die Entfremdung der Frau als Hausarbeiterin, ihre totale Ausbeutung und Eigentumslosigkeit durch das patriarchale System, das außer Haus kapita-listisch geprägt ist.

Der bisher kritischste Ansatz zu einer Polit-Ökonomie der Hausproduktion, der vor allem die Produktion von Menschen — von Arbeits— durch die Frau in den Mittelpunkt stellt, ist der von Hodee Edwards: „Housework and Exploitation. A Marxist Analy-sis“ in welchem die Frauen als Klasse der Hausarbeiterinnen, primär als Kinderproduzentinnen, definiert werden, deren Aufgabe „die Produktion der einzigartigen Ware Ar-beitskraft ist". Das trifft gleichermaßen zu für die kapitalistischen und sozialistischen Gesellschaften wie für die der Dritten Welt: sie sind folglich alle patriarchal. „Kinderaufzucht" ist die Hauptarbeit der Frauen. Die von Frauen produzierte Arbeitskraft wird aber von Männern auf dem Markt angeboten: Sie tauschen Arbeitskraft, die ihnen eigentlich gar nicht gehört, sondern den Frauen, die sie produziert haben, denen sie aber entschädigungslos genommen wird. Die-se ihm nicht gehörende Arbeitskraft tauscht der Mann gegen Lohn, keinen Individuallohn, sondern Familienvater-Lohn: „Der Wert der Arbeitskraft war bestimmt nicht nur durch die zur Erhaltung des individuellen erwachsenen Arbeiters, sondern durch die zur Erhaltung der Arbeiterfamilie nötige Arbeitszeit" (Karl Marx, Das Kapital, Bd. I) Dieser Pa-triarchen-Lohn des männlichen Lohnarbeiters ermöglicht es ihm, sich wiederum eine weibliche Arbeitskraft unter den Bedingungen der häuslichen Leibeigenschaft zu halten. Auch Marxisten, „wie die meisten Philosophen und Gesetzgeber", kannten „für die Entwicklung und Rolle der Frau keine anderen Zwecke, als zur Annehmlichkeit des Menschen par excel-lence, d. h.des Mannes, da zu sein, die Rasse fortzupflanzen und Haussklavendienste zu leisten. .. Innerhalb dieser eng begrenzten Sphäre wär die Frau die vornehmste Produktivkraft des gemeinsamen Haushaltes, sie war mit Ar-beiten überlastet, welche auf das Gedeihen und die Entwicklung der Familie hinzielen; sie erhielt jedoch nur'die Pflichten ihrer Stellung zuertheilt, nicht deren Rechte. Der Mann war sozusagen der verantwortliche Familien-Unternehmer, welcher die Arbeitskraft des Weibes um den Preis von dessen lebenslänglicher Erhaltung ausbeutete."

Da aber im Verhältnis Hauspatriarch — Hausarbeiterin (Ehefrau) nicht das Tauschprinzip herrscht, hat die Arbeitskraft der Frau und die von ihr produzierte Ware Arbeitskraft keinen Tauschwert: Die Frau ist ohne Existenzminimum; trotz Verausgabung ihrer Arbeitskraft! Dadurch ist sie gezwungen, unter den Bedingungen der häuslichen ehelichen Leibeigenschaft zu leben: Das ist das Charakteristikum der patriarchalen Familie, die als ökonomische Einheit analysiert und in Korrelation zum Arbeitsmarkt gesetzt wird. „In jedem anderen Falle wird eine solche Situation Sklaverei genannt. Der Mann besitzt die . Produktionsmittel'für diese Ware, nämlich die Frau." Es besteht folglich ein antogonistisches Klassenverhältnis zwischen Männern, Frauenbesitzern, und den versklavten Frauen, die sich nicht einmal selbst besitzen: „In der Praxis ... besitzt der Menschenbesitzer nicht nur die Frau,, sondern alle die Arbeitskraft, die sie (nicht er) produziert: die von ihm, von ihr und'von den Kindern."

Die von Marx analysierte „gewöhnliche Warenproduktion" ist ein Sekundäres und beruht auf der primären Arbeitskräfte-Produktion, der Basis der Produktion überhaupt, die sich noch immer in der anachronistischen Form der Sklaverei der Frauen als einer (vorkapitalistischen) Klasse vollzieht. „Das Mittel, dieses Klassenverhältnis zu erhalten, ist die patriarchale Kleinfamilie" — so Edwards. Die Familie ist nur für den Mann der Ort der Konsumtion, nicht aber für . die Frau. Es muß nun deutlich geworden sein, „daß in dieser Produktionseinheit mehr vor sich geht als . Konsumtion'", nämlich die Produktion des Menschen, der Ware Arbeitskraft (und die von einer großen Quantität von Gebrauchswerten). Marx hat nur das andere Klassenverhältnis analysiert, „das der Männer im Ver-hältnis zur männlichen Kapitalistenklasse", worin weibliche Lohnarbeiterinnen ein Sub-proletariat bilden und Arbeit leisten, zusätzlich zur Fronarbeit im Haus. Marx selbst nannte die weibliche Arbeitskraft „zuschüssi-ge Arbeitskraft", d. h. solche, die in „Ausnahmefällen" zur Lohnarbeit (der Männer) hinzukommt, die aber im „Normal" falle „im häuslichen Kreis, innerhalb sittlicher Schranke, für die Familie selbst" zu arbeiten hat. Da die weibliche Arbeitskraft im Hause ohne jeden Tauschwert ist, ist sie außerhalb„des Hauses, auf dem Arbeitsmarkt, billiger als die Arbeitskraft des Pferdes, wie schon Marx mit Entsetzen feststellte, ohne die Ursachen zu erkennen:

„In England werden gelegentlich statt der Pferde immer noch Weiber zum Ziehen usw. bei den Kanalbooten verwandt, weil die zur Produktion von Pferden und Maschinen erheischte Arbeit ein mathematisch gegebenes Quantum, die Erhaltung von Weibern ...

dagegen unter aller Berechnung (I) steht. Man findet daher nirgendwo schamlosere Verschwendung von Menschenkraft..."

In der Tat findet man noch heute nirgendwo schamlosere Verschwendung von weiblicher Arbeitskraft als in der Hausproduktion und in der (zusätzlichen) „Leichtlohn“ -Arbeit, denn eine weibliche Arbeitskraft ist noch immer billiger als ein Pferd: „ 150 Mark für eine Mutter" ist der „Wert". Daß die „Wertlosigkeit“

der Hausarbeit mit der „Wertlosigkeit"

der weiblichen Lohnarbeit und beides wiederum mit dem überhöhten „Wert" der männlichen Lohnarbeit als Patriarchen-Lohn zusammenhängt, dürfte klar sein. Deutlich ist aber auch, wie begrenzt die Erkenntnisse des Marxismus sind. Frauen, die Arbeitskraft produzieren und zusätzlich Lohnarbeit leisten, gehören dann zugleich zwei verschiedenen Klassen an. „So stellt sich heraus, daß die verachtete Hausarbeit der Frau, bei objektiver Analyse, die größte ökonomische Quelle des kapitalistischen Systems ist."

Der Widerspruch zwischen weiblichen Sklaven und männlichen Sklavenbesitzern und die Aufhebung dessen hat für die betroffenen Frauen selbstverständlich theoretischen und politischen Vorrang. „Arbeitskraft ist die einzige Ware, deren Produktion unter dem Kapitalismus nicht bezahlt wird. Deshalb ist ihre Produktion(sform) ein Anachronismus weit größeren Ausmaßes als die rückständige Methode der Produktion: es ist tatsächlich die einzige Ware im Kapitalismus, die produziert wird von leibeigenen Sklaven." Es wird deutlich, „daß das Konzept der . Arbeiterklasse' sich nur auf die Männer bezieht. Die Arbeiterklasse ist männlich", so Edwards. Das gleiche gilt für die bürgerliche Klasse, und es bedeutet, daß auch das Schichtenmodell bürgerlicher Wissenschaftler nicht zutreffend ist.

Nach diesen Erkenntnissen wird deutlich, „warum Frauen niemals in vollem Umfang in die außerhäusliche Produktion eintreten" können: weibliche Lohnarbeit ist ein zusätzliches zur unbezahlten Hauptarbeit. „Außerdem wird deutlich, daß die Befreiung der Frau niemals verwirklicht wird nur durch den Beginn des Sozialismus", d. h. eines Sozialismus’ patriarchaler Prägung, sondern nur durch einen Sozialismus, der primär — neben anderen Klassenantagonismen — das Verhältnis versklavte Frauen — Frauenbesitzer oder Familienväter abschafft.

Die wahre Klassenlage der Frau als leibeigene Haussklavin, als Produktionsinstrument im Besitz der Männer, wird verschleiert durch die Ideologie der romantischen Liebe, die ein wahres Moment in sich bergen kann, wenn sie sich nicht zwischen Eigentümer und Eigentumsobjekt, sondern zwischen Freien, d. h. Nichtverheirateten, entfaltet. Die Frau war und ist im Patriarchalismus natürlich niemals wirklich frei wie der Mann. Edwards denkt an den mittelalterlichen Minne-Kult und an die Frauen der Romantik: Diese Liebesverhältnisse aber waren ein Protest gegen die patriarchale Ehe und standen außerhalb dieser. Die Liebes-Ideologie war nötig, um das Klassenverhältnis zu verbergen — wenn auch nur äußerst notdürftig.

Die Frauen adliger und bürgerlicher Patriarchen mußten nicht Arbeitskräfte, sondern Er-ben produzieren, zu welchem Zwecke sie hinter Schloß und Riegel gehalten wurden. Aus den Familienchroniken der großen Häuser geht hervor, „daß . ihre'Frauen noch immer leibeigenes Pfand im Spiele um schnelle Vermögen waren..." Diese Frauen waren also ebenfalls Eigentumsobjekte ihrer Männer.

Edwards macht Marx den Vorwurf, daß er „ausdrücklich die entscheidende Rolle der Frauen durch die Produktion der Ware Arbeitskraft", die die Basis der kapitalistischen Produktion ist, leugnet. Selbst befangen in der Ideologie der romantischen Liebe, „stellte er niemals Untersuchungen darüber an, wie Sexualität benutzt wurde, um die Ausbeutung der Frauen zu verschleiern". Da sie nach seiner Auffassung „nur häusliche persönliche Dienste verrichteten und keine Ware produzierten", konnten ’sie nicht ausgebeutet sein. Marx „sah also nur einen . grundsätzlichen Klassenkonflikt'die historische Wahrheit jedoch ist, „daß es iip. mer — durchgehend durch alle Klassengesellschaften — einen antagonistischen und grundsätzlichen männlich-weiblichen Klassenkonflikt gegeben hat und noch gibt... Der primäre Konflikt, der zwischen Männern und Frauen, wurde bis jetzt natürlich als nicht-existent oder . irrelevant'behandelt, weil die Geschichtsschreibung der angeblich . menschlichen'(in Wirklichkeit männlichen) Geschichte immer von Männern, chen Standpunkt, geschrieben worden ist."

Trotz der Hinwendung zur Hausarbeit -4-oder gerade deswegen — ist kein Konservativismus in Sicht: „Die Frauenbewegung halte ich für eine, wenn nicht die wichtigste Sozialrevolutionäre Bewegung in den entwickelten Industriegesellschaften unserer Tage. Aber es ist eine Bewegung, die erst am Anfang steht, praktisch wie theoretisch . .. schon sind Zeichen dafür vorhanden, daß die avanciertesten Theoretiker unter den sich befreienden Frauen .... zu einer differenzierten Ideologiekritik der patriarchalen Welt fähig geworden sind."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Frauenzeitung, Verlagsort wechselnd; EFA (Emanzipation, Frauen, Argumente), Köln; Frauen-forum, Stimme der Feministen, München; Hexen-presse, Basel und Kleve; und andere.

  2. Der Behauptung von der Mittelschicht-Zugehörigkeit der Frauen der Frauenbewegung muß energisch widersprochen werden. Legt man den Begriff zugrunde, wie ihn Günter Hartfiel, Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 1972, Stichwort Mittel-klasse, definiert, so wird daß die deutlich, Frauen generell nicht einmal zur unteren Mittelschicht zu rechnen sind, geschweige denn zur oberen („Professoren, Richter, Fachärzte, Direktoren, . . . Ingenieure, Lehrer, freiberuflich Tätige, Inhaber mittelgroßer Geschäfte und Handwerksbetriebe und Großbauern..."). Sie sind auch nicht mit solchen Männern verheiratet, wobei es natürlich ohnehin nicht zulässig ist, sie zur Schicht ihrer Väter bzw. Männer zu zählen. Die Rede von der Mittelschicht ist eher eine subtile Diffamierung der Bewegung. Weder das Schichten-Modell noch die Klassen-theorie treffen auf die Frauen zu. In der Frauenbewegung sind Studentinnen (500 DM Monatseinkommen), einige wenige Akademikerinnen in den untersten Rängen, Volksschullehrerinnen, Krankenschwestern, Hausfrauen ohne jedes Einkommen, geschiedene und ledige Mütter, alle unterbezahlt und überbelastet.

  3. N. Mailer, Gefangen im Sexus, München/Zürich 1972, und Rüdiger Boschmann, Laßt Frauen wieder Frauen sein, Bergisch Gladbach 1973, sind nicht in die Literaturliste aufgenommen, erschienen aber auch in dem untersuchten Zeitraum.

  4. Die Situation wird noch dadurch kompliziert, daß es neben dem patriarchal-kapitalistischen Buchmarkt einen „linken" gibt, auf welchem marxistische und orthodox-marxistische Literatur zur Frauenfrage publiziert wird; wieweit diese noch etwas mit der Frauenbewegung oder vielmehr mit linkem Antifeminismus zu tun hat, müßte genauer untersucht werden. Das mehr oder weniger offen erklärte Ziel der Publikationen ist jedenfalls, die autonome politische Bewegung der Frauen theoretisch als unsinnig und praktisch-politisch als illegitim hinzustellen. Die Frauenbewegung und ihre Ziele werden als „bürgerlich" und „kleinbürgerlich" beschimpft.

  5. Dieser Titel erschien bereits ein Jahr nach der Veröffentlichung in den USA auf dem deutschen Buchmarkt, noch ehe die Schriften der amerikanischen Frauenbewegung, gegen die er sich richtet, hier bekannt waren. Denn diese wurden, bis auf sehr wenige Ausnahmen, bis heute nicht veröffentlicht. Mailer aber, der sich selbst ausdrücklich zu Hitlers Frauenbild bekennt und bedauert, daß nicht mehr so viele Frauen im Kindsbett sterben, war in der deutschen Öffentlichkeit hochwillkommen. Sein Buch wurde nicht in die Literaturliste aufgenommen; es ist ein ganz besonders extremes Beispiel der „Reaktionsliteratur".

  6. Das Historische Wörterbuch der Philosophie, Hrsg. Joachim Ritter, Basel/Stuttgart 1971, nennt zwar den Begriff des Antisemitismus, aber ein Stichwort „Antifeminismus" fehlt.

  7. Wie groß die ideologische Verwirrung ist, wird vielleicht deutlich, wenn man sich die Frage vorlegt, ob man die Schriften der Schwarzen in den USA, also zur Emanzipation vom Rassismus, zusammen mit den Schriften der Rassisten in eine Liste unter dem Titel „Emanzipations-Literatur" einreihen würde.

  8. Allein für die Werbung für E. Vilars zweites Buch wurden zum Start 100 000 DM vom Verlag ausgegeben.

  9. Solche extrem antifeministischen Entgleisungen und politischen Pervertierungen unterlaufen nicht nur fanatischen Katholiken. Der Freudianer Dieter Wyss, der die Frau für eine andere „Gattung" (!) hält als den Mann, denunziert das Streben der Frau, nach Gleichberechtigung als „Gleichschaltung". Das ist bekanntlich eine Kategorie, mit

  10. N. Mailer: „Im schlimmsten Falle sind Frauen niedere, schlampige Tiere" (S. 26). „Ich habe nur gesagt, daß man sie in Käfigen halten müßte" (S. 36). Autorinnen der Frauenbewegung schreiben „wie hartgekochte Nutten" (S. 48). Die Wissenschaftlerin Kate Millett, deren Habilitationsarbeit „Sexus und Herrschaft" weltberühmt wurde, nennt er eine „Mafia-Megäre" (S. 161), die „hurenhaft zitiert" (S. 170). Ihre wissenschaftliche Kritik nennt er „das Muhen einer dumpfen Kuh“ (S. 171), sie selbst „der perfekte Totschläger" (S. 112) oder zynisch-arrogant „Kate-Baby" (S. 112). Alle Zitate aus N. Mailer, Gefangen im Sexus, a. a. O.

  11. Faschistisch ist diese Hetze, weil sie sich ausdrücklich zu Hitler bekennt. Mailer über sich selbst: „. . . er hat keine Angst, daß er sich plötzlich als gedanklicher Vetter der Nazis wiederfinden könnte" (S. 208, a. a. O.). Zuvor hat er aus Hitlers „Frauenbuch" zitiert und bekannt, „daß es durchaus möglich ist, eigene Gedanken zu haben, die eine Zeitlang parallel zu den Argumenten laufen, denen auch die Nazis nahestanden" (a. a. O., S. 203). Faschistisch ist Mailer in seinem Denken, weil er die Frau zum Objekt degradiert, mit dem nur noch gewaltsam verfahren wird: der Gegenstand „Frau" wird benutzt, ausgewechselt, weggeworfen.

  12. Das Symptom der Überidentifikation mit dem Aggressor ist typisch für Verräter an der Eigengruppe. Der Fall Vilar erinnert in vieler Hinsicht an Otto Weininger, Geschlecht und Charakter, zuerst erschienen 1903: Der Jude Weininger war zugleich der fanatischste „Arier", Antisemit und zugleich Antifeminist extremster Prägung. Bezeichnenderweise ist Weininger, Mailer und Vilar gemeinsam, daß sie die Frau als geiles Tier, als niedersten Untermenschen charakterisieren: „Konglomerate von Materie", „Klumpen ausgestopfter Menschenhaut", „ein Mensch, der nicht arbeitet" und von „irreversibler Dummheit". Alle Zitate entnommen aus Esther Vilar, Der dressierte Mann, Gütersloh 1971. Würden solche Kollektivbeleidigungen z. B. über Gastarbeiter verbreitet, würden zumindest Teile der Öffentlichkeit sich empören und engagierte Juristen Strafanzeige wegen VolksVerhetzung erstatten. Sind aber Frauen betroffen, so applaudiert ein großes männliches Publikum, einschließlich der „linken“ Männer.

  13. pür J. Fast gilt das gleich wie für Mailer. Der Titel wurde schnell übersetzt und in Deutschland veröffentlicht, weil er der-Reaktion willkommen war.

  14. „Jeder Mann träumt insgeheim von Situationen, in denen er unumschränkte Macht über, eine Frau hat" (S. 64). „Es ist wirklich so. Sie (die Frau) ist in den Augen der Männer nur dann eine echte Frau, wenn sie ihnen zu Diensten steht!" (S. 72). „Für die Männer ist eine Frau ein Artikel; und ihr Handelswert hängt vor allem von der sexuellen Anziehungskraft ab" (S. 106). „Warum sollten sie (die Männer) sich mit Ware begnügen, die liegengeblieben ist, wenn noch genug frische Ware zu haben ist" (S. 110). Alle Zitate aus Julius Fast, Typisch Frau! Typisch Männl, Hamburg 1973.

  15. Beweise dafür liefert die fundierte wissenschaftliche Arbeit von Ida Raming, Der Ausschluß der Frau vom priesterlichen Amt. Gottgewollte Tradition oder Diskriminierung?, Köln/Wien 1973, die leider in der Literaturliste fehlt und ein glänzendes Gegenstück zur christlichen Reaktionsliteratur darstellt (z. B. Ch. Meves, Manipulierte Maßlosigkeit, Freiburg 1971. Dort wird nicht vor den Folgen der Unterprivilegierung der Frau durch verweigerte Ausbildung gewarnt, sondern vor der „verkopften" Frau, einer Frau, die zuviel denkt, zuviel weiß und zu logisch ist!).

  16. Die kühne Behauptung von der Hausfrau als Managerin wurde im Ernst von einem männlichen Journalisten im Wirtschaftsteil der FAZ aufgegriffen und auf die absurde Spitze getrieben, er halte die Hausfrau gar für eine Kapitalistin. Claus Henninger, Ein Unternehmer namens Hausfrau, FAZ v. 8. 11. 1975.

  17. Daß zum Zwecke der Pornographie-Produktion (und der Prostitution) zwei Millionen Frauen in sexueller Sklaverei gehalten werden, eingefangen von einer internationalen Mafia des Frauenhandels, die dank des blühenden Geschäfts, das die männlichen Konsumenten garantieren, mehr verdient als der amerikanische Rüstungshaushalt ausmacht, schreckt die Fürsprecher der Pornographie nicht! Siehe dazu Stephen Barley, Die Sexhändler, Hamburg 1970.

  18. Die Befürworter der Pornographie, die Produzenten und Konsumenten, in der Regel alles Männer, auch die Sexualwissenschaftler, Psychologen und sonstige Wissenschaftler und Publizisten, haben die Auswirkungen der Pornographie niemals daraufhin untersucht, welche Folgen sie für die Opfer hat, welche traumatischen Ängste, welches Entsetzen, welchen Ekel und Abscheu, Gefühle der ohnmächtigen Wut und Verzweiflung und der tiefsten Demütigung und Erniedrigung Frauen beim Anblick der in Sadismus eskalierenden Pornographie — wo immer die Frauen die Opfer sind — empfinden und erleben. Alleingültiges Kriterium ist das Vergnügen des Mannes. Daß dessen „Freiheit" eine Grenze hat, wo die legitimen Interessen der Frauen verletzt werden, kommt offenbar keinem Mann in den Sinn.

  19. Siehe Anmerkung 9.

  20. Nach dem Motto, Frauenemanzipation ist nicht Sache der Frauen, sondern der „Klasse", der Männerklasse, die sodann dekretiert, Frauenemanzipation gibt es nicht, nur Emanzipation der Klasse, der Männerklasse. Mit solchen ideologischen Tricks werden Frauen und ihre Befreiung immer wieder vertröstet bzw. ausgeklammert.

  21. Für Greiffenhagen ist Frauenemanzipation überhaupt kein Thema, wiewohl in jenen Jahren die neue Frauenbewegung in Gang kam (1973). Am Schluß seines Vorwortes dankt er seiner Ehefrau und Sekretärin für die treuen Sklavendienste — kein Wunder also, daß er die Befreiung der Frauen nicht ins Programm aufnimmt. Er hat einen, man darf wohl sagen komischen Begriff von „Vollständigkeit": Die Emanzipation des weiblichen Volkes darf man ausklammern, aber „das Emanzipationsproblem ist nur unvollständig gefaßt, wenn man die theologische Dimension außer acht läßt" (Einleitung, S. 31), und so sorgte er denn dafür, daß Theologen zur Emanzipation (!) zu Wort kommen. Laut Literaturverzeichnis hat Greiffenhagen weder S.de Beauvoir noch B. Friedan noch K. Millett gelesen. Seine Politikwissenschaft ist auf die Männerfrage beschränkt: die Gesellschaft, gesehen durch ein patriarchales Temperament. Klaus Eyferth („Psychologie und Emanzipation") hält Freud für einen größeren Frauenrechtler als alle Frauen der Frauenbewegung zusammen, der angeblich mehr bewirkt habe als die jahrzehntelange politische Bewegung. Freud ein Feminist? Patriarchaler Größenwahn und Anmaßung werden so tradiert, statt kritisiert: Die historische Leistung der politisch handelnden Frauen wird diesen ab-und dem „großen Mann" zugesprochen; in diesem Falle nun ausgerechnet einem Reaktionär und Antifeministen, der der Reaktion außerordentlich nützlich war und noch ist.

  22. M. Twellmann (Die deutsche Frauenbewegung, Meisenheim 1972) bekam Schwierigkeiten mit dem Begriff „bürgerliche Frauenbewegung" (die ja von bürgerlich-liberalen Parteien hätte unterstützt werden müssen, wenn sie „bürgerlich" gewesen wäre), da die Liberalen „keineswegs als Verfechter des Emanzipationsgedankens auftraten" (ebenda, Vorwort). Sie reagierten so wie die Arbeiterorganisationen, die, wie Thönessen (Frauenemanzipation, Frankfurt 1969) festgestellt hat, nicht bereit waren, sich für den Emanzipationsgedanken der „proletarischen Frauenbewegung zu erwärmen: „Bei den Arbeitern herrschte der proletarische Antifeminismus vor" (ebenda, S. 171). Daraus folgt, daß die Frauen offensichtlich nicht bürgerlich bzw. nicht proletarisch waren, eben nicht zu die-sen Männerklassen gehörten, sonst wären sie automatisch in deren Parteien integriert gewesen. Sie mußten vielmehr gegen diese Männerparteien kämpfen: Es waren also jeweils die Männer als Patriarchen, die die Frauen ausschlossen, und die Frauen hatten alle gemein, daß sie von Männern Ausgeschlossene, Bekämpfte, Rechtlose und Machtlose waren; ökonomisch so machtlos, daß sie nicht einmal den gleichen Lohn wie der Mann erarbeiten konnten.

  23. Luise Otto kämpfte für die Arbeiterinnen mit ihrer „Adresse eines Mädchens an den Herrn Minister Oberländer, an die durch ihn berufene Ar-beitercommission und an alle Arbeiter", Leipzig 1848. Offenbar befanden sich in dieser Arbeiter-kommission nur Männer.

  24. Luise Otto, Lieder eines deutschen Mädchens, Leipzig 1847.

  25. Vgl. dazu meine Arbeit: Die Eigentumslosigkeit und Rechtlosigkeit der Frau in der patriarchal-bürgerlichen politischen Theorie, dargestellt am Beispiel von J. G. Fichtes Grundlage des Naturrechts, unveröffentlichte Dissertation, Frankfurt 1975.

  26. Die einzige frühe Ausnahme ist Th. G. von Hippel, Uber die bürgerliche Verbesserung der Weiber, Berlin 1792.

  27. Siehe dazu Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg, Erlebtes-Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden, Meisenheim am Glan 1972. Der Titel wurde leider in die Literaturliste der Nave-Herz-Arbeitsgruppe nicht aufgenommen. erhalten bleiben-, die Doppelarbeit und die Noch 1867, „In den Vorberatungen, den sogenannten

  28. Londoner Konferenzen, wurde beschlössen, die Frauen in die , Internationale'nicht aufzunehmen, mit der ganz in Proudhons Wendungen sich bewegenden Begründung: , Der Platz der Frau ist am häuslichen Herd und nicht, auf dem Forum; die Natur hat die Frau zur Amme und Wirtschafterin gemacht, entziehen wir sie diesen sozialen Funktionen nicht, schleudern wir sie nicht aus ihrer Lebensbahn; dem Manne gehört die'Arbeit und das Studium der Menschheitsprobleme, die Frau hat für. das Kind zu sorgen und dem Arbeiter sein Heim zu verschönen/" Zit.'hach Gertrud Bäumer, Die Frau in Volkswirtschaft und Staatsleben der Gegenwart, Stuttgart und Berlin 1914, S. 319.

  29. Siehe dazu auch Jürgen Kuczynski, Studien zur Geschichte der Lage der Arbeiterin in Deutschland von 1700 bis zur Gegenwart, Berlin 1963.

  30. E. Bornemann, Frauen allein sind schwach, in: Neue Rundschau, 4/75, geht so weit zu behaupten, nicht die Frauenbewegung, sondern die Arbeiterbewegung habe den Frauen höhere Schulbildung und Zugang zur Universität erkämpft! Beweise fehlen. Wie er denn überhaupt die auto-nome Frauenbewegung, die alte und die neue, als bürgerlich beschimpft, ohne dafür Beweise liefern zu können, daß sie es ist. Sein Tenor ist: Nur wenn Männer dabei sind, können Frauen politisch erfolgreich kämpfen. Die Geschichte beweist jedoch eher das Gegenteil, doch Bornemann erhebt Anspruch auf „Objektivität" seiner Argumentation.

  31. So arbeitete Guillaume-Schack nach ihrer Scheidung von einem Künstler zusammen mit Lohnarbeiterinnen gegen das Elend der Prostitution. Sie gründete in Berlin den „Verein zur Vertretung der Interessen der Arbeiterin", der bald in zehn Städten verbreitet war, ehe er von der Poli-zei geschlossen wurde, weil er als politisch galt. Guillaume-Schack wurde polizeilich verfolgt, übel verleumdet und aus Deutschland ausgewiesen (1886). Sie war Feministin und Sozialistin. Mit weit mehr Recht müßte untersucht werden, wieviel Bildungsbürger, Adlige und Fabrikanten in der Arbeiterbewegung tätig waren, wenn die Herkunft automatisch als Kriterium des politischen Bewußtseins gelten soll. Marx, Engels, Lassalle u. a. waren bekanntlich keine Fabrikarbeiter. Die Beurteilung von Frauen darf also nicht willkürlich und nach einem doppelten Bewertungsmaßstab erfolgen.

  32. Siehe dazu Rede des „Aktionsrates zur Befreiung der Frauen" auf der 23. Delegiertenkonferenz des SDS im September 1968 in Frankfurt, in: Frauenjahrbuch 75, Frankfurt 1975, S. 10 ff.

  33. Was Luise Otto anbetrifft, so ist festzuhalten, daß sie sehr genaue Kenntnisse der Arbeitsverhältnisse im Erzgebirge, zweifellos Schauplatz extremster Verelendung, hatte. Man tut dieser Frau unrecht, wenn man sie als Romantikerin und Idealistin bezeichnet. Sie war die erste in Deutschland, die für die weiblicheI Lohnarbeiterin wie für alle Frauen sprach und versuchte, Arbeiterinnen zu organisieren. — Was die Einschätzung'der studentischen Frauengruppen anbetrifft, so waren sie sicher insperiert von dem Buch von Fromm,

  34. J. Menschik, Gleichberechtigung oder Emanzipation?, Frankfurt 1972, negiert die Gleichberechtigung, die sie als Gegensatz zur „Emanzipation" setzt, d. h., sie denkt undialektisch, in patriarchalen Dualismen (Gleichberechtigung = negativ, Emanzipation — positiv); die zweite Kategorie wird a priori positiv bewertet, weil sie zugleich das Konzept der männlichen Lohnarbeiter beinhaltet, ohne zu prüfen, ob die Frau auf Gleichberechtigung verzichten kann. Es gibt aber keine Emanzipation der Frau ohne Gleichberechtigung und keine Gleichberechtigung, die nicht zugleich ein Schritt zu ihrer Emanzipation wäre: Emanzipation von Patriarchalismus und Kapitalismus.

  35. Hedwig Dohm, Die Antifeministen, Berlin 1902; Die wissenschaftliche Emanzipation der Frau, Berlin und Berlin 1876; 1874; Der Frauen Natur Recht, außerdem Romane.

  36. Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg, Er-lebtes-Erschautes, Meisenheim am Glan 1972. '

  37. Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Neuwied u. Berlin 1962, 4. Auflage, S. 8.

  38. Oskar Negt, Alexander Kluge, Öffentlichkeit und Erfahrung, Frankfurt 1972; die Autoren konzedieren Kinderund Jugendöffentlichkeit, aber sie verweigern Frauen Frauenöffentlichkeit. Diese Problematik Wird in dem fast 500 Seiten umfassenden Buch in einer Fußnote (!) abgehandelt. Negt verbietet Frauenöffentlichkeit geradezu mit der „Begründung": „Frau ZU sein, ist kein elementarer Abschnitt in der menschlichen öder gesellschaftlichen Entwicklung..." (S. 470). Diese totale Ignoranz ist erschütternd, Die Negation der Frauenöffentlichkeit hat den Zweck, die Frauen unter die „proletarische Öffentlichkeit" zu subsumieren, da diese a priori „umfassend" ist, während Frauenöffentlichkeit angeblich nur die der „einzelnen Lebensinteressen" darstellt. Männer haben offenbar Vöh vornherein ein Monopol auf die Vertretung des Allgemeininteresses, auch dann, wenn sie offensichtlich, ihr sehr borniertes Eigeninteresse vertreten.

  39. Nicht, daß sich bis heute Grundlegendes geändert hätte: Bei den Parlamentsdebatten über den § 218 saßen Frauen auch nur auf den Zuschauertribünen. Im Parlament sind sie ja praktisch noch immer nicht vorhanden. Das ist die Norm im patriarchalen Staat: Frauen sind die Objekte seiner Politik und Gewalt. Das ist generell so, wurde jedoch in den Debatten über den § 218 StGB in emphatischem deutlich. hat sich Maße Für Frauen aie politische Situation seit 1789 im Prinzip nicht geändert.

  40. Eine dieser Frauen war Olympe Marie Gouges, die etwa 30 kleinere politische Schriften hinterlassen hat, darunter die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin", 1791, die Gegenerklärung zu den „Menschenrechten".

  41. Olympe Marie Gouges, Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin, 1791, Einleitung.

  42. O. M. Gouges hat auch ein mehrbändiges literarisches Werk hinterlassen, Romane und Theaterstücke, in denen sie unter anderen politischen Sujets die Befreiung der Frau und der Sklaven in den Kolonien behandelte.

  43. Das ist die Praxis auch in öffentlich-rechtlichen Anstalten wie Rundfunk und Fernsehen. Verlangt man aus guten Gründen als Frau einmal Sendezeit in einer Wortsendung, in welcher stets Männer ihre Meinung äußern können, so wird ei-nem vom männlichen Redakteur höchst arrogant geantwortet: „Ich weiß nicht, wie Sie zu der Auffassung kommen, Sie hätten einen Anspruch auf Sendezeit." So Hanjo Kesting, Kulturelles Wort, Norddeutscher Rundfunk Hannover. Empörend ist, daß Männer selbstverständlich immer zu allen Problemen sprechen können; sie erhalten auch noch das Wort zur Frauenfrage, während es den Betroffenen verweigert wird. Zensur wird ungeniert angedroht: „Im übrigen meine ich, daß ein Beitrag von Ihnen sich schon sehr von Ihren Briefen unterscheiden müßte, wenn er für eine Sendung in Frage kommen sollte" (Hanjo Kesting am 11. 3. 1976). In den vorangegangenen Briefen war auf die Ausgewogenheit, die Grundrechte, den Usus, einem öffentlich Kritisierten die Möglichkeit zur Gegendarstellung und Verteidigung zu geben, hingewiesen worden.

  44. Siehe dazu Helke Sander, Sexismus in den Massenmedien; Berufsverbot für Filmmacherinnen, in: Frauen + Film, 1/74, Berlin 1974.

  45. Es gibt meines Wissens in Deutschland keinen Lehrstuhl für die Soziologie und Geschichte der Frau oder für Emanzipationstheorien, kein einziges Forschungsinstitut für Frauenfragen, keine Unterstützung für Forschungsvorhaben von Frauen zur Frauenfrage; in den soziologischen und politikwissenschaftlichen Seminarbibliotheken gibt es oft keine oder nur wenig Literatur. Zu jedem änderen Forschungsobjekt gibt es mehr Materialien als zu diesem.

  46. Bekanntestes Beispiel ist der Panorama-Skandal, in welchem ein Filmbeitrag von Frauen über Frauen für Frauen, nämlich von Alice Schwarzer zur Abtreibung, zur Information von Frauen, verhindert wurde. Den Kirchen, Ärzten und sonstigen Männern stand in allen Medien unbegrenzte Zeit und Raum zur Verfügung. Ein Film von Leona Sie-benschön über Frauengruppen in der Bundesrepublik wurde bis jetzt nicht zur Sendung freigegeben. In der Sendung „Weiberherrschaft — wollen wir die?" des Autors Wolfgang Stiebler (Sender Freies Berlin, 23. 1. 1975) wurden dem männlichen Autor (zu einem Frauenthema) 40 Minuten Zeit eingeräumt, Frauen sollten 8— 9 Minuten (!) zur Stellungnahme erhalten. Nach langen Verhandlungen sollte H. Mabry mit V. E. Pilgrim 9 Minuten Sendezeit haben. 11 Minuten wurden aufgenommen, davon wurden 41/2 Minuten weggeschnitten, vor allem die Passagen der Frau. Das sind groteske Zustände!

  47. Ingrid Langer-El Sayed, Frau und Illustrierte im Kapitalismus, Köln 1971, S. 270.

  48. Die Maßnahmen reichen von der Verweigerung von Veröffentlichungen, der drohenden Entlassung bzw. Nichteinstellung, Verweigerung von Stipendien, Kündigung der Wohnung bzw.der Frauentreffpunkte bis zu Telefonterror, Scheidungsdrohungen von Ehemännern, Verlust von Freunden, des Verwandten-und Bekanntenkreises,

  49. Helge Pross, Die Wirklichkeit der Hausfrau, Hamburg 1975, S. 174.

  50. Vor einigen Jahren konnte es geschehen, daß der Vertreterin einer Frauengruppe im Verband linker Buchhändler von einem „Genossen" gesagt wurde: „Wir sind Kommunisten, Frauenemanzipation ist für uns kein Thema."

  51. Fronarbeit ist keine Metapher, sondern wörtlich zu nehmen. „Frau" wird sprachhistorisch hergeleitet von dem mittelhochdeutschen „frone", das heißt, die dem Herrn Gehörige. Fronarbeit ist Frauenarbeit, die auch auf andere Abhängige ausgedehnt wurde, so auf die zu Frondiensten verpflichteten Landbewohner.

  52. Die Gebärarbeit muß endlich als solche definiert und anerkannt werden. Ist z. B. Säcketragen Schwerstarbeit, so ist es erst recht das Austragen eines Kindes, ist ein totes Ding herstellen Produktion, so ist ein lebendes Kind die Produktion einer neuen Arbeitskraft, im emphatischen Sinne Produktion. Der Mann produziert nur tote Gegenstände, die Frau produziert den lebenden Menschen und verausgabt darin ihre Arbeitskraft.

  53. Beides wird kritisch reflektiert von der Schriftstellerin und Mutter Karin Struck, Die Mutter, Frankfurt 1975. Aus ihrem Buch stammen die folgenden Zitate: „Ist Schwangergehen, ist Gebären keine Arbeit, kein Prozeß? ... Aber die Kinderarbeiter sind nicht anerkannt ... Was für ein Leben. Wer nur mit Kindern zu tun hat, ist minderwertig, seine Arbeit ist tarifgesetzlich nicht erfaßt . . . Sie will sich ganz anschaubar machen, wie sehr das Kinderschaffen eine Produktion ist ... Eine Demonstration von Tausenden und Abertausenden von Müttern .. . eine Demonstration für einen Mutterlohn . . . eine Arbeitsniederlegung, einen Widerstand gegen die unbelohnte Arbeit. .. die Ungerechtigkeit . . ., daß ihre schwere und ernste Mutter-Arbeit nicht hochgeachtet und entlohnt sei . . . die Frau müsse sich regenerieren können nach der neun Monate dauernden schweren Arbeit des Austragens und der Geburt. .. das Kinderkriegen gilt nicht als Arbeit... Geburt und Stillen seien Schwerstarbeit. Die Frauen gebären die Arbeitskräfte, aber ihr Erzeugen wird nicht als Arbeit angesehen . . . , die Gesellschaft'erkennt die Arbeit mit den Kindern nicht an.. . überhaupt kommt mir das Leben, das Arbeitsleben einer Mutter wie eine Strafe vor ... du schaffst keinen Mehrwert, du schaffst nur Menschen, keinen Wert und keinen Mehrwert... Sie soll ja zwanzig Stun-den täglich arbeiten und immer noch nicht das Gefühl der Nichtigkeit abtragen können ... Einerseits sind Kinder Waren, Arbeitskräfte, zukünftige Konsumenten, sind also wirtschaftlich Ernstzunehmende. Die Mutter ist nie wirtschaftlich ernst genommen."

  54. Alice Schwarzer, Der . kleine Unterschied'und seine großen Folgen, Frankfurt 1975, S. 210.

  55. Siehe dazu Dieter Piel, 150 Mark für eine Mutter, in: Die Zeit vom 5. 3. 1976.

  56. Brot und Rosen, Frauenhandbuch Nr. 1, 2. Auflage, Berlin 1974, S. 8.

  57. So neuerdings E. Bornemann, Frauen allein sind schwach, in: Neue Rundschau, 4/75. Eine gehässige und faktenverzerrende Polemik gegen die autonome Frauenbewegung, die alte und die neue.

  58. In Italien der Kreis um Mariarosa dalla Costa, Selma James („Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft", Berlin 1973); Power of Woman collectiv, London; Lotta Femminista, Italien; Brigitte Galtier, Paris („Lohn für die Hausarbeit oder: Auch Berufstätigkeit macht nicht frei", München, 1974); in England: Wally Secombe („The Hoüsewife and her Labour under Capitalism", in: New Left Review, London, Nr. 83, 1973); in Deutschland: Ursula Erler, („Mutterideologie", in: Vorgänge, 8/74).

  59. In: The First Revolution, a Journal of female Liberation, 5/1971, S. 92/Cambridge/Mass. Deutsche Übersetzung in: Frauenforum, Stimme der Feministen, 1/75, München.

  60. Das heißt, die Marxsche Arbeitswertlehre hat nur einen beschränkten Geltungsbereich, sie trifft nur für die männliche Arbeitskraft zu, hat also pa-triarchalen Charakter. Zu der für die Erhaltung der Arbeiterfamilie nötigen Arbeitszeit gehört aber auch die Arbeitszeit der Ehefrau des Arbeiters, die bezeichnenderweise, von Marx nicht mitgerechnet wird.

  61. Clara Zetkin, Die Umwälzung in der wirtschaftlichen Stellung der Frau, zitiert nach Lesebuch 3, Texte zur Emanzipation zur Mündigkeit, hrsg. von Helga Novak und Horst Kärasek, Gütersloh 1972, S. 199. Zetkin war offenbar doch eine feministische Denkerin, die jedoch ihre Erkenntnisse unter dem Druck der Männerpartei weitgehend verleugnen mußte.

  62. Hodee Edwards, Hausarbeit und Ausbeutung, a. a. O„ S. 9 ff.

  63. Ebenda.

  64. Karl Marx, Das Kapital I, S. 416.

  65. Ebenda.

  66. Dieter Piel, 150 Mark für eine Mutter, in: Die Zeit, 5. 3. 1976.

  67. . Hedee Edwards, a. a. O.

  68. Ebenda.

  69. Ebenda.

  70. Ebenda.

  71. Iring Fetscher, Anmerkungen zum Feminismus, WDR/NDR 8. 2. 1976.

Weitere Inhalte

Hannelore Schröder, geb. 1935, Studium der Politikwissenschaft, Philosophie, Rechtsgeschichte, Anglistik und der neueren deutschen Literaturwissenschaft in Frankfurt von 1967'bis 1975. Promotion 1975 über das Thema: „Die Eigentumslosigkeit und Rechtlosigkeit der Frau in der patriarchal-bürgerlichen politischen Theorie, dargestellt am Beispiel von J. G. Fichtes Grundlage des Naturrechts'Seit 1970 politisch tätig in verschiedenen Gruppen der autonomen Frauenbewegung. Veröffentlichungen u. a.: J. S. Mill, H. Taylor Mill, Helen Taylor. Die Hörigkeit der Frauen (Hrsg.), Frankfurt 1976; Gegen Patriarchat, Krieg und Faschismus. Die politischen Memoiren von L. G. Heymann und A. Augspurg, in: National-Ze. ung, Basel, 10. 4. 1976; Der große finanzielle Unterschied (eine Kritik an Alice Schwarzer), in: National-Zeitung, Basel, 30.'4. 1976; Der Patriarchalismus — Probleme und Problematisches. Eine Antwort auf Iring Fetscher: Probleme und Problematisches bei Feministinnen, in MERKUR, München (erscheint demnächst).