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Der Gewinner hat nicht gesiegt. Eine Analyse zur Bundestagswahl 1976*) | APuZ 50/1976 | bpb.de

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APuZ 50/1976 Der Gewinner hat nicht gesiegt. Eine Analyse zur Bundestagswahl 1976*) Die amerikanischen Präsidentenwahlen 1976. Ein Beitrag zum Regierungs-und Gesellschaftssystem der USA

Der Gewinner hat nicht gesiegt. Eine Analyse zur Bundestagswahl 1976*)

Werner Kaltefleiter

/ 49 Minuten zu lesen

„Das zweitbeste Ergebnis seit dem Triumph Adenauers 1957" lautete die Erfolgsmeldung der CDU/CSU, aber sechs Mandate fehlten zur absoluten Mehrheit, um Helmut Kohl zum Kanzler wählen zu können. Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU überlagerten bald nach der Wahl die Erfolgsmeldungen, die schließlich zur Auflösung der gemeinsamen Fraktion führten. Auch die SPD hat ihr zweitbestes Ergebnis erzielt, aber ihre Reaktion kann mehr mit einem „noch einmal davongekommen" beschrieben werden. Auffallend still blieb die FDP. Zu sehr kontrastierten die Verluste zu den Erwartungen auf Stimmenge-DasParteiensystem der Bundesrepublik Deutschland kann zunächst vereinfacht in drei Gruppierungen unterteilt werden: die Stammwählerschaft der CDU/CSU, die der SPD und die Gruppe der sogenannten potentiellen Wechselwähler. Alle drei Gruppierungen umfassen jeweils etwa ein Drittel der deutschen Wählerschaft. Zwischen der Stammwählerschaft der SPD und der Gruppe der potentiellen Wechselwähler ist die FDP angesiedelt, die nur über einen sicheren Stamm von etwa 3— 4 °/o der Wählerschaft verfügt. Die Bundesrepublik Deutschland verdeutlicht damit die Möglichkeit, alternative Regierungsangebote auf der Grundlage von drei bzw., wenn man die CSU separat betrachtet, vier selbständigen Parteiorganisationen. Die beiden alternativen Regierungsangewinne. Ernsthafter als je zuvor wird eine Koalition mit der CDU im niedersächsischen und saarländischen Landtag ins Auge gefaßt. Das war das Bild nach der Wahl, der der vielleicht längste und sicher aufwendigste Wahlkampf vorausgegangen war. Wie ist das Ergebnis zustande gekommen? Dazu bedarf es zunächst eines Blickes auf die wesentlichen Elemente der Struktur deutscher Wählerschaft, des Standortes von Politikern, Parteien und der Wähler in diesem System, der Image-elemente von Parteien und Politikern, der Themen der Wahl und des Wahlkampfablaufs.

I. Die Struktur der Wählerschaft

Tabelle 1:

bote, hier CDU/CSU, dort SPD/FDP, stützen sich jeweils auf eine etwa gleich große Stammwählerschaft und konkurrieren in den Wahlen um die Gruppe der Wechselwähler, um mit dem größeren Teil dieser Gruppe schließlich eine Mehrheit bilden zu können.

Tabelle 10:

Die Frage nach den Merkmalen des Wechsel-wählers ist kaum mit den gängigen sozialstatistischen Kriterien zu beantworten. Alter, Geschlecht, Beruf, Konfession, Einkommen, Ortsgröße und was die Sozialstatistik sonst noch an Indikatoren kennt, sind nicht geeignet, den Wechselwähler zu beschreiben. Wechselwähler und Stammwähler unterscheiden sich dadurch, daß die Stammwähler in einer relativ homogenen Umwelt, die Wechsel-wähler dagegen in einer relativ heterogenen Umwelt leben.

Tabelle 11:

So kann der „typische" Stammwähler der CDU/CSU als eine fünfzigjährige, in enger Bindung an die Kirche in ländlicher Umgebung lebende Frau beschrieben werden, während als Prototyp des Stammwählers der SPD ein etwa vierzigjähriger aus der Kirche ausgetretener Gewerkschaftsfunktionär aus industriell-städtischer Umgebung genannt werden kann. Diese sozialstatistischen Kriterien zeichnen sich jeweils dadurch aus, daß sie tendenziell eine Beeinflussung in die gleiche Richtung auslösen, im ersten Fall eine Bindung an die CDU/CSU, im zweiten Fall an die SPD. Das alte Bild von Simmel findet seine Bestätigung in der empirischen Sozialforschung: die Stammwähler leben in einem System konzentrischer Kreise, wobei das prägende Merkmal auf Seiten der CDU/CSU nach wie vor die kirchliche, primär katholisch kirchliche Kultur, meßbar etwa an der Häufigkeit des Kirchgangs, ist, während die der SPD durch die gewerkschaftliche Kultur beschrieben werden kann So unterschiedlich diese beiden Kulturen auch sein mögen, gemeinsam ist ihnen die relative Homogenität — und diese unterscheidet sie von den Wechselwählern. Das Merkmal der Wechselwähler ist dementsprechend die Heterogenität ihrer Umwelt. Das Spannungsfeld, in dem die katholische Frau eines Gewerkschaftsfunktionärs lebt, verdeutlicht, was Simmel einst mit dem Konzept der sich „kreuzenden sozialen Kreise" beschrieb und was später durch Lazarsfeld in die moderne Sozialforschung mit dem Begriff der „Cross Pressure" eingeführt wurde. Die vielfältigen sozialen Gruppenbindungen sind nicht wie bei den Stammwählern in der politischen Orientierung gleichgerichtet, sondern verlaufen in sehr unterschiedlichen Richtungen. Sie erzeugen demnach keine Parteibindungen. Das Wahlverhalten wird durch die Gruppenbindungen nicht determiniert, sondern durch andere Faktoren bestimmt.

Tabelle 12:

Diese Unterscheidung zwischen Stammwählern und Wechselwählern, die auf dem sozialen Umfeld beruht, kann durch eine Betrachtung der Kommunikationsprozesse ergänzt werden. Wechselndes Wahlverhalten kann verstanden werden als die Veränderung der politischen Meinung unter dem Einfluß von Informationen, die zur bisherigen Meinung im Widerspruch stehen. Wie schon Festinger gezeigt hat, bedarf es eines über einen längeren Zeitraum sich in gleicher oder ähnlicher Form wiederholenden Informationsstromes, um einen derartigen Meinungswechsel hervorzubringen, weil die Individuen zunächst versuchen, an ihren vorgegebenen Meinungen festzuhalten. Sie suchen die sich durch wiedersprechende Informationen ergebenden Dissonanzen zum Beispiel dadurch zu vermeiden, daß sie die Quellen der Informationen anzweifeln, entschuldigende oder erklärende Vergleiche oder andere kompensatorische Überlegungen anstellen. Erst wenn alle diese Versuche nicht mehr ausreichen, ist man zur Meinungsänderung bereit, um die eingehenden Informationen wieder in Übereinstimmung mit dem eigenen Meinungsbild zu bringen.

Tabelle 13:

Der Unterschied zwischen dem Stamm-und dem Wechselwähler besteht darin, daß die Wahrscheinlichkeit heterogener Informationsaufnahme innerhalb einer relativ heterogenen Umwelt groß und daß umgekehrt die bestätigende Information und die Erfolgschancen für die Abwehr kontroverser Informationen in einer homogenen Umwelt wiederum wesentlich größer ist als in einer heterogenen Umwelt, womit die erste Gruppe als potentielle Wechselwähler charakterisiert ist.

Tabelle 14:

Die Wirklichkeit einer modernen Industriegesellschaft ist dadurch gekennzeichnet, daß homogene Kulturen objektiv nur noch in sehr begrenztem Umfange möglich sind. Die gesellschaftliche Wirklichkeit ist gerade dadurch geprägt, daß Menschen in heterogener Umwelt leben. Dennoch ist zu beobachten, daß trotz dieser Entwicklung die Relation zwischen Stamm-und Wechselwählern sich relativ stabil entwickelt hat. Etwa zwei Drittel der Wähler lassen sich tendenziell als Stammwähler mehr oder weniger gleichmäßig verteilt auf die beiden alternativen Regierungsangebote und ein weiteres Drittel auf die Gruppe der potentiellen Wechselwähler zuordnen. Das bedeutet, daß die Zahl der Menschen mit einer relativ stabilen Parteibindung weitaus größer ist als die Zahl derer, die objektiv in als homogen zu beschreibenden Umwelten leben. Der sich daraus ergebende Widerspruch löst sich, weil die Menschen tendenziell kognitive Dissonanzen zu vermeiden trachten, indem sie auch in einer objektiv heterogenen Umwelt ihre Kommunikationsbeziehungen schwerpunktmäßig auf Menschen mit ähnlichen Einstellungen und ergab zum Meinungsbildern reduzieren. So Beispiel eine Untersuchung unter Mitgliedern der CDU daß diese, auch wenn sie Arbei-ter in Großbetrieben waren, die Meinung vertraten, daß in ihrem Betrieb mehrheitlich CDU-Mitglieder oder zumindest Anhänger tätig seien. Das entsprach selbstverständlich nicht der Realität, wohl aber der Kontaktselektion, mit deren Hilfe sich diese CDU-Mitglieder auch in einer durch die SPD-Kultur dominierten Umwelt eine relativ homogene CDU-Subkultur schufen. Das aber bedeutet, daß das alte soziologische Konzept der homogenen oder heterogenen Umwelt durch die Ergänzung um diese „Kontaktselektionsvariablen" beibehalten werden kann.

Tabelle 15:

In Übereinstimmung mit diesen kommunikationstheoretischen Überlegungen steht, daß die Gruppe der Stammwähler und Wechselwähler sich bei der Variablen „politisches Interesse" deutlich unterscheiden. Die Wechselwähler, definiert als eine Gruppe, die ständig kognitiven Dissonanzen auszuweichen sucht, zeigt ein deutlich niedrigeres politisches Interesse:

Tabelle 17:

Was aber sind die Bestimmungsgründe des politischen Verhaltens von Wechselwählern? Hier ist eine Generalisierung nur bedingt möglich, weil das jeweilige Umfeld einer Wahl untersucht werden muß. Dennoch ergeben sich im Zeitablauf gewisse Tendenzen, von der jede Wahl zwar abweichen kann, die sich aber häufig bestätigen.

Tabelle 18:

Etwa 50 Prozent der Veränderungen in der Gruppe der potentiellen Wechselwähler zwischen zwei Wahlen können mit der Variablen „Person der Spitzenkandidaten" erklärt werden. Darin spiegelt sich die Personalisierung der Politik in modernen Industriegesellschaften. Die Komplexität des politischen Prozesses wird reduziert und damit verständlich und überschaubar gemacht, indem man sie handelnden Personen zuordnet.

Tabelle 19:

Die Attraktivität dieser Spitzenpolitiker läßt sich wiederum in zwei Dimensionen unterteilen: die Sympathie-und die Leistungsdimension. Sympathie, das ist die Artikulation von Vertrauensbezügen, das Vertrauen, während die Leistungskomponente das Zutrauen zur Bewältigung bestimmter Probleme darstellt

Tabelle 20:

Die Leistungsdimension läßt sich weiter unterteilen in die zugeordnete Fähigkeit, die wirtschaftliche Zukunft zu sichern und andere, im Zeitablauf wechselnde Probleme zu lösen. Etwa 50 Prozent der Leistungswerte werden durch die dem Politiker zugetraute Fähigkeit zur ökonomischen Zukunftssicherung bestimmt. 50 Prozent der Veränderung des Wahlverhaltens der Wechselwähler können durch diesen Komplex der Spitzenkandidaten erklärt werden. Die zweite Hälfte entfällt auf die sich von Wahl zu Wahl ändernden politischen Themen, aber auch dabei läßt sich wieder beobachten, daß im Durchschnitt etwa die Hälfte des Themenbereichs durch die Frage nach den ökonomischen Zukunftsaussichten abgedeckt wird.

II. Das Nord-Süd-Gefälle

Tabelle 2:

Ein weiteres Merkmal der Struktur der deutschen Wählerschaft ist eine erhebliche regionale Differenzierung. Alle Daten zeigten ein Nord-Süd-Gefälle, so daß schon lange vor der Bundestagswahl vom 3. Oktober voraussagbar war, daß das Ergebnis von 1976 wieder von einem Nord-Süd-Gefälle gekennzeichnet sein würde, wie dies eines der herausragenden Merkmale der 72er Wahl war. Der SPD-Anteil stieg vom Süden nach Norden, der der Union stieg von Norden nach Süden.

Tabelle 21:

Die Ursache liegt im sozial-strukturellen Umfeld begründet. Wie dargelegt, ist die Stamm-wählerschaft der CDU/CSU durch die kirchliche, primär katholisch-kirchliche Kultur geprägt, die der SPD durch das gewerkschaftliche Milieu. Gerade die katholische Kultur aber dominiert im Süden und führt zu entsprechenden Parteibindungen an die CDU/CSU, sie fehlt weitgehend im Norden. Das wiederum bedeutet einen höheren Anteil an potentiellen Wechselwählern im Norden, weil dort — im Gegensatz zu der von Nordrhein-Westfalen geprägten Mittelregion — auch das gewerkschaftliche Milieu nicht überproportional vertreten ist.

Tabelle 22:

Während im Norden 18% bis zu einmal im Monat zur Kirche gehen, sind es im Süden 380/0 (in der Mitte 28 0/0). Während im Norden 31 % irgendwelche gewerkschaftlichen Bindungen haben, sind es in der Mitte 39% (im Süden 33 %).

Tabelle 23:

Die große Mobilität der nördlichen Wählerschaft, die sich bis ins Kaiserreich zurückverfolgen läßt, zeigte sich zuletzt deutlich in Schleswig-Holstein, wo die CDU 1972 nur 42 °/o erzielte, ein Jahr später bei der Kommunalwahl aber auf 53, 1 % anstieg — eine erdrutschartige Bewegung, die in dieser Größenordnung sonst nirgends zu beobachten war. Dies zeigt sich auch an der Verteilung der Parteianhängerschaften, also dem stabilen Rückhalt der Parteien. Im Norden erklären sich 32 % als Anhänger der CDU, im Süden 45% als solche der CDU/CSU, 41 °/o bekennen sich in der mittleren Region zu der SPD, nur 30 % im Süden, 37 % im Norden.

Tabelle 24:

Der Norden ist somit durch eine höhere Mobilität gekennzeichnet, und es hängt weitgehend von den Themen einer Wahl und von den Spitzenkandidaten ab, ob und wer jeweils diese Mobilität für sich gewinnen kann.

III. Der politische Standort von Wählern, Politikern und Parteien

Tabelle 3:

Parteiensysteme wie das der Bundesrepublik, die durch eine klare Rollenverteilung um zwei Pole, nämlich Regierung und Opposition, gekennzeichnet sind, lassen den politischen Standort auf einer durch Symbolbegriffe gekennzeichneten Skala messen. „Rechts" und „Links" sind dafür in der politischen Diskussion der Bundesrepublik die verbreitetsten Symbolbegriffe. (Konservativ-fortschrittlich sind andere, aber nicht so genau zu messende.)

Schaubild I:

Dabei ist es sehr unterschiedlich, was die Befragten unter einer rechten oder linken politischen Position verstehen. Es sind Sammelbegriffe, auf die man sich verständigt hat, und mit deren Hilfe die politische Welt geordnet wird.

Schaubild II:

Läßt man die Befragten z. B. die Parteien auf einer solchen nach rechts wie nach links um fünf Punkte abweichenden Skala einordnen, so ergab sich im Januar 1976 zu Beginn des Wahljahres folgendes Bild (dabei ist zu betonen, daß nicht die absolute Einstufung auf der Skala, sondern der relative Abstand zur durchschnittlichen Position der Wählerschaft, insbesondere der Wechselwählerschaft, wesentlich ist): Insgesamt wurde die SPD deutlich links von der Mitte gesetzt, die CDU rechts von der Mitte, dieser aber vergleichsweise näher zugeordnet als die SPD. Die CSU wiederum wurde stärker rechts angesiedelt als die CDU. Die FDP nahm eine im Vergleich zur SPD weitaus weniger nach links verschobene Position ein. Die Befragten selbst ordneten sich von der Mitte ausgehend fast gleichmäßig nach rechts und links ein, wobei der Durchschnitt noch knapp links von der Mitte lag.

Schaubild III: Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen? m 292n 32u 58e 2a ‘ 3 2 1 Steuererhöhungen 0 unent-schieden qe samt 1, 30 12 3 Ausgabenkürzungen

An diesen Positionen ist ablesbar, daß die Distanz zwischen den Befragten und der CDU wesentlich geringer war (1, 75) als zwischen ihnen und der SPD (2, 04).

Tabelle 25:

Interessante Verschiebungen ergeben sich, wenn man diese Globaleinschätzung nach den Wählertypen unterteilt. SPD-Sympathisanten sahen sich selbst 1, 17 Punkte links, CDU/CSU-Sympathisanten stuften sich 1, 00 Punkte rechts von der Mitte ein. Die potentiellen Wechselwähler gruppierten sich um einen Punkt (0, 79) links von der Mitte. Betrachtet man nur diese Gruppe, so muß der in der gesamten Wählerschaft ermittelte Vorsprung der CDU relativiert werden, denn die Differenz zwischen den Positionen der CDU und befragten potentiellen Wechselwählern einerseits und der SPD und den Wechselwählern andererseits betrug 0, 29 Punkte (1, 64 zu 1, 35) zugunsten der SPD.

Tabelle 26:

Ein ähnliches Bild ergab sich, wenn die Kandidaten einbezogen wurden. Schmidt wurde deutlich näher zur Mitte eingeordnet als seine Partei; er stand aber noch links von der FDP. Wehner und auch Brandt waren zu Exponenten des linken Flügels geworden. Kohl und auch Stoltenberg standen der Mitte etwas näher als ihre Partei, während Strauß zwar noch weiter rechts eingeordnet wurde als die CSU, aber von der Position der Befragten selbst weniger entfernt war als Brandt und vor allem Wehner. Bei den Kandidaten für das Kanzleramt lag Schmidt in dieser globalen Einschätzung knapp vor Kohl; Schmidt war 1, 32 Punkte, Kohl 1, 56 Punkte von der durchschnittlichen Position der Befragten entfernt.

Schaubild IV:

Auffallend ist, daß die Position der SPD von den einzelnen Wählergruppen sehr unterschiedlich, die von CDU und CSU jedoch weit gleichförmiger eingestuft wird. Das war für die Ausgangssituation zur Bundestagswahl in doppelter Hinsicht bedeutsam. Einerseits sahen SPD-wie CDU-Sympathisanten ihre Partei jeweils links bzw. rechts von der eigenen Position. Das verdeutlicht die kritische Distanz, die der jeweilige Sympathisant zur eigenen Partei hält. Wesentlicher war jedoch, daß die Distanz zwischen SPD-Sympathisanten und CDU wesentlich geringer (2, 79) war als die zwischen CDU-Sympathisanten und SPD (4, 11). Das bedeutet, daß die SPD-Sympathisanten in den Monaten vor der Wahl von der CDU leichter zu erreichen waren als die CDU-Sympathisanten von der SPD — während CSU-Sympahisanten für die SPD praktisch ebenso unerreichbar waren wie die SPD-Sympathisanten durch die CSU. CDU-Sympathisanten waren selbst von Schmidt weniger ansprechbar als SPD-Sympathisanten durch CDU-Politiker. Der Abstand zwischen der Position eines CDU-Sympathisanten zu Schmidt betrug 3, 08 Punkte, der zwischen Kohl und einem SPD-Sympathisanten nur 2, 53. Schmidt konnte diesen Abstand zwar geringer halten als seine Partei, aber nicht um-B kehren. Andererseits war — abgesehen von den FDP-Politikern Friderichs und Genscher, deren Werte aufgrund der generellen Position der FDP im Grenzbereich zwischen SPD und potentiellen Wechselwählern bei dieser Meßmethode kaum vergleichbar sind — die relative Distanz zwischen den potentiellen Wechselwählern und Schmidt (0, 88) geringer als die zwischen ihnen und Kohl (1, 53) bzw. Stoltenberg (1, 36).

Tabelle 27:

Einer weitgehend gleichförmigen Einschätzung der CDU und ihrer Politiker stand mithin eine große Diskrepanz zwischen der Position von Schmidt und der SPD gegenüber. Während die SPD bei dieser Einschätzung kaum mehrheitsfähig war, kam Schmidt diesem Ziel deutlich näher, ohne es zu erreichen. Schmidt stand zwar den Wechslern näher als Kohl, die CDU und ihre Politiker konnten aber auf mehr Erfolg bei SPD-Sympathisanten rechnen.

Tabelle 28:

Interessante Differenzierungen ergaben sich, wenn man eine regionale Betrachtungsweise anlegt. Während im nördlichen und im südlichen Teil der Bundesrepublik die CDU der Position der Befragten deutlich näher stand als die SPD, war die Distanz zwischen beiden Parteien und der Position der Befragten in den Mittelstaaten Nordrhein-Westfalen und Hessen gleich. Wenn man die Spitzenkandidaten der Parteien einbezieht, ergab sich ein anderes Bild: In allen drei Regionen führte Schmidt, wobei sein Vorsprung vor Kohl in den Mittelstaaten mit 0, 31 Punkten am größten war. Den deutlichsten Unterschied zeigt die Einordnung von Strauß, der im Norden weiter rechts stehend gesetzt wurde als im Süden.

IV. Die Grunddimensionen des Images von Parteien und Politikern: Sympathie und Leistung

Tabelle 4:

Die Einschätzung der Parteien, Politiker und Wählergruppen auf der rechts-links-Dimension beschreibt den ersten Aspekt der Ausgangssituation. Den zweiten bildet das Image, das Bild, das Parteien und Politiker in den Augen der Wählerschaft besitzen. Dabei bilden die Sympathie, das Vertrauen, das man einem Kandidaten entgegenbringt, und die Leistung, die man ihm zutraut, die beiden wesentlichen Dimensionen, mit deren Hilfe die Eigenschaften verschiedener Politiker sortiert werden können.

Tabelle 29:

1. Die Sympathie:

Tabelle 5 gibt einen Überblick über die Sympathiewerte, die Parteien und Politiker im Februar 1976 in den verschiedenen Wählergruppen auf sich vereinigten. Dabei handelt es sich um Punkte, die auf einer zehnstufigen Skala erreicht werden können. Je höher die Punktzahl, desto höher die Sympathie, die dem entsprechenden Politiker oder der entsprechenden Partei entgegengebracht wird. Zusammenfassend sind vor allem folgende Ergebnisse zu beachten: a) Die Werte für die CDU, Kohl und Stoltenberg lagen relativ nahe beieinander und waren auch über die einzelnen Wähiergruppen weitgehend stabil, wobei es eine Selbstverständlichkeit ist, daß die SPD-Sympathisanten die CDU und ihre Politiker geringer einschätzten als dies die CDU-Sympathisanten taten. Es erfolgte aber keine krasse Ablehnung der CDU und ihrer Politiker unter den SPD-Sympathisanten.'Im Gegensatz dazu stand die Situation der CSU und von Strauß, die beide bundesweit wesentlich geringere Werte als die CDU und ihre Politiker erzielten und darüber hinaus gerade von den SPD-Sympathisanten deutlich abgelehnt wurden.

Dieses Bild ändert sich jedoch, wenn man eine regionale Aufsplitterung vornimmt. Im Süden waren die Sympathiewerte für Strauß um etwa einen Punkt höher als in den anderen Regionen. Für die CSU war der Unterschied noch größer. Das wird noch ausgeprägter, wenn man eine Spezialauszählung für Bayern vornimmt. Hier erreichten Strauß mit 5, 1 und die CSU mit 6, 1 Sympathiewerte, die — auch gemessen an den bundesweiten Werten der CDU und ihrer Politiker — als Spitzenwerte zu bezeichnen sind. Anders formuliert: Die CSU und ihr Vorsitzender verstärken in Bayern die Position der Union, bedeuteten aber bundesweit eine Belastung. b) Zwischen Schmidt, der SPD und Brandt und Wehner bestanden erhebliche Unterschiede in der Einschätzung; während Schmidt die höchsten Sympathiewerte erzielte und ebenso wie die CDU-Politiker von den SPD-Sympathisanten und auch von den CDU-Sympathisanten respektiert wurde, war der Sympathiewert der SPD generell niedriger-, dazu erfuhr diese Partei in der Gruppe der CDU/CSU-Sympathisanten eine Ablehnung, die der der CSU durch die SPD-Sympathisanten vergleichbar ist. Die regionale Aufteilung zeigt, daß die Position von Schmidt im Norden deutlich stärker war als in den mittleren Bundesländern und insbesondere auch im Süden. Die übrigen untersuchten SPD-Spitzenpolitiker Brandt und Wehner erzielten noch erheblich geringere Sympathiewerte als die SPD, der von Brandt lag mehr als einen Punkt unter dem Wert seiner Partei, und Wehner erreichte nicht einmal drei Punkte. Unter den SPD-Sympathisanten war zwar die Beurteilung deutlich besser, bei der Gruppe der CDU-Sympathisanten erfolgte jedoch die extremste Zurückweisung, die es überhaupt gibt. Die Ablehnung beider Politiker ist im Süden am ausgeprägtesten. Ferner ist zu betonen, daß Wehner und Brandt in der Gruppe der potentiellen Wechselwähler noch geringere Sympathiewerte erzielten als im Durchschnitt. c) Die beiden FDP-Politiker nahmen eine Mittelposition ein. Es ist bemerkenswert, daß ihre Einschätzung nahezu identisch ist. Während Genscher unter den SPD-Sympathisanten geringfügig höher eingeschätzt wurde als Friderichs, war es unter den CDU-Sympathisanten genau umgekehrt. In der Gruppe der Wechsler war ihre Einstufung wieder gleich, und auch in den Regionen zeigte sich kein Unterschied zwischen beiden, jedoch die Tendenz, daß beide im Norden deutlich positiver eingeschätzt wurden als in den anderen Regionen.

2. Leistungsfähigkeit

Mit dem gleichen Instrument wurde für die gleichen Parteien und Politiker die Leistungsfähigkeit ermittelt. Hier fallen drei Unterschiede ins Auge: a) Wie bei der Sympathie lag die Einschätzung der Leistungsfähigkeit von CDU, Kohl und Stoltenberg sehr nahe beieinander. Im Gegensatz zur Sympathie erzielte jedoch auch Strauß eine bemerkenswert hohe Bewertung in seiner Leistungsfähigkeit. Das galt nicht im gleichen Umfange auch für die CSU, die um etwa einen halben Punkt höher in der Leistungsfähigkeit eingeschätzt wurde als ihr Sympathie entgegengebracht wurde. Die Ablehnung von Strauß und der CSU unter den SPD-Sympathisanten war auch bei der Frage der Leistungsfähigkeit ausgeprägt, aber nicht so groß wie bei der Sympathie. b) Die bei den Sympathiewerten aufgetretene Diskrepanz zwischen der SPD und ihren Politikern war bei der Leistungsfähigkeit nicht weniger stark ausgeprägt. Schmidt erzielte die höchsten Werte, die überhaupt bei diesem Kriterium gemessen werden konnten. Die Zurückweisung von Brandt und Wehner unter den CDU-Sympathisanten wie auch in der Gruppe der potentiellen Wechselwähler war beachtlich.

Wie bei der Sympathie bestanden keine nennenswerten Unterschiede zwischen den FDP-Politikern und der FDP. c) Bei dem Kriterium der Leistungsfähigkeit sind die regionalen Unterschiede stark ausgeprägt. Während im Bundesdurchschnitt der Vorsprung von Schmidt vor Kohl nur etwas mehr als einen halben Punkt ausmacht, betrug er in Norddeutschland 1, 1 Punkte, im Süden dagegen nur etwa einen Viertelpunkt. Während die Einschätzung von Stoltenberg im Norden deutlich höher war, waren die Werte für Strauß und auch für die CSU im Süden wieder wesentlich besser, und das gilt insbesondere für Bayern, wo Strauß und die CSU Werte von 6, 3 erzielten. Aber selbst in Bayern wurde die CDU sowohl bei der Sympathie als auch bei der Leistungslähigkeit geringlügig höher als die CSU und Kohl entsprechend höher als Strauß eingestult. So bestätigt sich auch bei diesem Kriterium die überregionale Belastung, die die CSU und ihr Vorsitzender für die CDU darstellt.

Dieser Überblick verdeutlicht, daß in der Ausgangssituation zur Bundestagswahl 1976 eine Konstellation bestand, die deutlich von früheren Bundestagswahlen abwich. Hierbei sind vor allem drei Faktoren zu beachten:

a) Zum ersten Male erzielte die Partei des Kanzlerkandidaten bei allen Imagekomponenten, also Sympathie und Leistungsfähigkeit, höhere Werte als die Kanzlerpartei. Wenn man einmal von der besonderen Situation des Jahres 1969 (Große Koalition) absieht, als die Vor-und Nachteile von CDU/CSU und SPD unterschiedlich verteilt waren, haben bislang alle anderen Bundestagswahlen, zu denen entsprechende Daten vorliegen (alle außer 1949), der Partei des Kanzlers eine günstigere Ausgangssituation gegeben, als der Partei des Kanzlerkandidaten.

b) Während im Regelfall die Regierungspartei ein breites Angebot an politischem Personal hat, das erstens über einen hohen Bekanntheitsgrad und zweitens über weitgehende Attraktivität verfügt, galt das diesmal nicht. Die meisten Kabinettsmitglieder erreichten kaum einen ausreichenden Bekanntheitsgrad; die neben Schmidt bekanntesten SPD-Politiker Brandt und Wehner mußten als Negativfaktoren der SPD bewertet werden. Im Gegensatz dazu verfügte die CDU mit Kohl und Stoltenberg über zwei attraktive Persönlichkeiten, aber auch über die inzwischen schon traditionelle Belastung durch die CSU und ihren Vorsitzenden. In allen Bundestagswahlen seit 1965 gibt es zumindest Hinweise für die Bestätigung dieser Aussage.

c) In der Vergangenheit konnte eine enge Verbindung zwischen dem Image der Spitzenpolitiker und dem Amte, das sie innehatten, beobachtet werden. Stets galt der Kanzler als der weitaus sympathischere, während der Kanzlerkandidat am ehesten noch positive Werte im Bereich der Leistungsfähigkeit erzielen konnte. Das galt für 1976 in dieser Form nicht; Schmidt erzielte die höchsten Werte im Bereich der Leistungsfähigkeit und die Sympathiewerte für Kohl waren die höchsten, die je auf einen Kanzlerkandidaten entfallen sind.

Unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten sind die Ergebnisse auf die Frage „Wen hätten Sie am liebsten als Bundeskanzler?", bei der die Differenz zwischen Schmidt und Kohl etwa nur halb so groß ist, wie das traditionellerweise der Fall war, differenziert zu interpretieren. Schmidt erzielte deutlich höhere Werte als seine Partei, und Kohl entsprechend niedrigere Werte. Anders formuliert: Schmidt gelang es, stärker in das Potential der CDU einzutreten als Kohl dies bei der SPD konnte.

Diese Werte der Ausgangssituation zu Jahresbeginn hatten sich bis zur Wahl nicht nennenswert verändert.

V. Die perzipierte Interessenvertretung

Tabelle 5:

In den Landtagswahlen der Jahre 1974 bis 1976 erzielte die CDU/CSU insgesamt 51, 4% der Stimmen. Die SPD kam auf 39, 9 0/0, die FDP auf 6, 9 °/o. Das bedeutete nahezu eine Umkehr der Stärkeverhältnisse von Regierung und Opposition im Vergleich zur Bundestagswahl 1972. Wie stabil wird diese Wählerbewegung im Hinblick auf den 3. Oktober 1976 sein? Das war die zentrale Frage. Die deutlich positive Einstufung der CDU — mit der Einschränkung der CSU — im Vergleich zur SPD gab einen ersten Hinweis auf die gewachsene Attraktivität der Opposition und ihrer Politiker. Wie aber sieht es mit der Interessenvertretung aus? In welchem Umfang glaubten die Wähler, daß die einzelnen Parteien ihre Interessen vertreten bzw. mit welchen Gruppen identifizierten sie die einzelnen Parteien. Diese Frage hat sich bewährt, um die Stabilität von Bindungen an die Parteien zu messen.

Gerade diese Fragestellung verdeutlichte im Jahre 1972, in welchem Umfang die CDU/CSU zur Minoritätenpartei geworden war; seitdem hat sich jedoch eine durchgehende Imageverbesserung dieser Partei vollzogen.

Während die SPD ihr Image als Interessenvertretung der Arbeiter im wesentlichen behaupten konnte (rund 80% 1972 wie heute), (konnte die CDU/CSU ihren Anteil als Interessenvertretung dieser Gruppe verdoppeln. Das Übergewicht der SPD war zwar nach wie vor erdrückend deutlich, aber man konnte nicht mehr wie 1972 von einer einseitigen Klischeevorstellung sprechen.

Auch bei anderen Gruppierungen, in denen die Diskrepanz 1972 besonders ausgeprägt war, hatte die CDU/CSU an Boden gutgemacht: noch immer war der Anteil derer, die die SPD als Interessenvertretung junger Menschen ansahen, rund doppelt so groß wie der Anteil derjenigen, die hier die CDU/CSU nannten. Im Vergleich zu 1972 konnte die CDU/CSU ihre Werte für diese Gruppe jedoch verdreifachen. Als Interessenvertretung der Beamten und des Mittelstandes war die Position der SPD im wesentlichen gleichgeblieben, während die CDU/CSU bei diesen Gruppen und bei den Angestellten, wo die Werte für die SPD zurückgegangen waren, deutliche Gewinne verzeichnen konnte. Bei der Gruppe der alten Menschen ist die Position der SPD gegenüber der der CDU/CSU im wesentlichen kaum verändert.

Während SPD und CDU/CSU in etwa gleichem Umfang ihr Bild als Interessenvertretung der Rentner und Bauern verbessern konnte, wobei für die Rentner nach wie vor die SPD und für die Bauern nach wie vor die CDU/CSU als die primäre Interessenvertreterin galt, hatte die CDU/CSU ihre Position als eine Interessenvertretung der Unternehmer deutlich verstärken können, während die SPD in diesem Bereich nach wie vor so gut wie nicht vertreten war.

All diese Veränderungen aber ordnen sich im wesentlichen in ein einheitliches Bild ein. Die CDU/CSU war 1972 in einer Minoritätenposition, die Verbesserung ihres Images bei nahezu allen Gruppen verdeutlicht die veränderte Situation. Zwar gab es nach wie vor Unterschiede in den Schwerpunkten der Parteien, aber wenn man von der Gruppe der Unternehmer und Arbeiter einmal absieht, wo die Klischeebildung am stärksten ausgeprägt ist, dann füllt dieses Meinungsbild den Begriff „Volkspartei" inhaltlich aus, wobei dies für die CDU/CSU aufgrund ihrer relativ stärkeren Position in der Gruppe der Arbeiter im Vergleich zur Position der SPD in der Gruppe der Unternehmer, und aufgrund ihrer starken Stellung in den quantitativen großen Gruppen der Angestellten und des Mittelstandes stärker galt.

Eine deutliche Veränderung hatte sich auch bei der Gruppe der Protestanten und Katholiken ergeben. Während 1972 die Situation für die Parteien als Interessenvertretung der Protestanten etwa ausgeglichen war, hatte die SPD inzwischen eine deutliche Führung als Partei der Protestanten bekommen. Ihre Position unter den Katholiken konnte sie dagegen nicht verändern, während die CDU/CSU viel stärker als vor vier Jahren als Partei der Katholiken verstanden wurde. Uber 83 0/0 sprachen ihr (gegenüber nur 61 % vor vier Jahren) dieses Merkmal zu. Es liegt nahe, diese absolut größte Veränderung durch ein politisches Ereignis der letzten vier Jahre zu interpretieren: den Streit um die Reform des Paragraphen 218.

Das Profil der FDP ist bei diesen Kriterien vergleichsweise farblos. 22 °/o hielten sie für eine Interessenvertreterin des Mittelstandes, jeweils 16°/o der Angestellten, Bauern und Beamten, 13 % der Unternehmer und 10 °/o der Protestanten. Hier sind die Veränderungen gegenüber 1972 interessant, wenn auch wesentlich geringer als bei den anderen Parteien. Verbessern konnte die FDP ihre Situation als Interessenvertretung der Beamten, Angestellten und Bauern, während sie 1976 weniger als Unternehmerpartei angesehen wurde als noch 1972.

Diese dargestellte durchgehende Imageverbesserung der CDU/CSU ist ein erster Indikator dafür, daß die Entwicklung seit 1972 zu relativ stabilen Wählerbindungen an diese Partei geführt hat. Dennoch sollte dies nicht überbewertet werden. Nimmt man in die Liste der Gruppen die Kategorie „Leute wie mich" auf, ergab sich eine auffallende Diskrepanz zu der Frage nach der Wahlabsicht.

Mehr Leute verstanden in der SPD die Partei, die ihre Interessen vertritt als die CDU/CSU, aber nur 82 °/o derer, die in der SPD ihre Interessenvertretung sahen, waren auch bereit, diese Partei zu wählen, während 92 % derjenigen, die in der CDU/CSU ihre Interessen vertreten sahen, auch CDU/CSU wählen wollten. Die bekannte Labilität des Potentials der FDP zeigte sich auch bei dieser Frage: nur 64 °/o derer, die in der FDP ihre Interessen vertreten sahen, waren bereit, diese Partei zu wählen, 23% entschieden sich für die CDU/CSU, 13% für die SPD. Das heißt, bei dieser Fragestellung sind die „Abweichler" von der FDP in der Überzahl in Richtung auf die CDU/CSU und nicht in Richtung auf die SPD orientiert.

Diese Diskrepanz zwischen Interessenvertretung und Wahlabsicht verdeutlicht zwei Aspekte: Trotz der durchgehenden Imageverbesserung der CDU/CSU verfügte die Partei noch nicht über eine die Mehrheit in der Bundestagswahl sichernde stabile Wählerschaft. Auf der anderen Seite verdeutlicht diese Diskrepanz die gespaltene Beurteilung der SPD. Für fast 20 °/o derer, die von der SPD ihre Interessen vertreten sahen, war die Partei nicht wählbar. Die SPD hat grundsätzlich eine gute Chance zur Mehrheitspartei, konnte diese aber aufgrund ihres Bildes, das vor allem durch die innerparteilichen Ereignisse der letzten Jahre geprägt ist, 1976 nicht ausschöpfen.

VI. Einzelaspekte des Images der Parteien

Tabelle 6:

Das durch den Standort der Parteien, durch die Grunddimensionen ihres Images sowie durch die perzipierte Interessenvertretung entstandene Bild wird bestätigt, wenn man spezielle Imagekomponenten in die Betrachtung einbezieht. 41 % der Befragten waren der Ansicht, die SPD habe kein klares Programm, 42 % stellten der CDU/CSU das gleiche Zeugnis aus, und hinsichtlich der FDP waren sogar 48 % dieser Meinung. Wesentlich ist, daß nicht nur die Anhänger einer Partei dem politischen Gegner jeweils Programmlosigkeit vorwarfen, auch die eigenen Sympathisanten zu 22 °/o bei der SPD und zu 24 % bei der CDU/CSU erkannten kein klares Programm bei der Partei ihrer Wahl.

Die relative Einsamkeit von Bundeskanzler Schmidt als attraktivem Politiker seiner Partei, das breitere attraktive Personalangebot der CDU/CSU wird bestätigt, wenn 43 °/o der SPD vorwarfen, daß sie zu wenig vertrauenswürdige Politiker habe, aber nur 38 °/o dies für die CDU/CSU feststellten.

Selbstverständlich waren auch bei dieser Frage die Meinungen von SPD-und CDU/CSU-Sympathisanten wieder spiegelbildlich angeordnet. Dennoch zeigen sich interessante Unterschiede: während die CDU/CSU-Sympathisanten der SPD zu 74 °/o das Fehlen vertrauenswürdiger Politiker vorwarfen, erhoben die SPD-Sympathisanten gegenüber der CDU/CSU nur zu 64 °/o diesen Vorwurf. Die kritische Distanz zu den eigenen Politikern war dagegen bei beiden Gruppierungen etwa gleich ausgeprägt: 11% der SPD-Sympathisanten und 12% der CDU/CSU-Sympathisanten stimmten zu, daß ihre Partei zu wenig vertrauenswürdige Politiker habe. Auch hier bestätigte sich wieder, daß die Bindung der CDU/CSU-Sympathisanten an ihre Partei wesentlich fester war als die der SPD-Sympathisanten, oder anders formuliert: der CDU/CSU war es eher möglich, in das Vorfeld der nicht festgebundenen SPD-Wähler einzudringen als umgekehrt. Dies zeigte sich auch bei weiteren Eigenschaften, die den Parteien zugeschrieben wurden. 57 % hielten die SPD für zerstritten und 39 % die CDU/CSU, und die FDP wurde sogar nur von 31 % in diesem Sinne beschrieben. Hier ist wieder die Aufteilung nach den Wählergruppen aufschlußreich. Während 33 % der SPD-Sympathisanten ihre Partei als zerstritten bezeichneten, äußerten sich nur 17% der CDU/CSU-Sympathisanten in dieser Form über ihre eigene Partei. Dagegen hielten 80 % der CDU/CSU-Sympathisanten die SPD für zerstritten, aber nur 55 % der SPD-Sympathisanten sahen so die CDU/CSU. In der kritischen Gruppe der potentiellen Wechselwähler erhielt die SPD von 57 % das Merkmal der Zerstrittenheit, die CDU/CSU nur zu 43 %. Das bedeutet, daß z. B. die Auseinandersetzungen zwischen CDU und CSU in deutlich geringerem Umfang das Bild der Union geprägt hatten als das für die internen Auseinandersetzungen in der SPD galt.

Das traditionelle Bild der SPD als eine auf Veränderung und der CDU/CSU als eine auf Bewahrung orientierte Partei kennzeichnet nach wie vor das Image der Parteien, aber auch hier mit interessanten Nuancierungen. Insgesamt warfen 54 0/0 der Befragten der SPD vor, daß sie zu viele Experimente mache, nur geringfügig weniger, nämlich 51 °/o, kritisierten, daß die CDU/CSU zu stark am überkommenen festhielte. Während jedoch 80 °/o der CDU/CSU-Sympathisanten der SPD den Vorwurf der übertriebenen Experimentierfreudigkeit machten, erhoben nur 74 °/o der SPD-Sympathisanten den Einwand, zu konservativ zu sein, gegenüber der CDU/CSU. Interessant ist jedoch, daß in dieser Frage die CDU/CSU-Anhänger leicht selbstkritischer waren als die der SPD. Nur 25, 2% der Sympathisanten der SPD warfen ihrer Partei vor, zu viele Experimente zu machen, aber 29, 6 % der CDU/CSU-Sympathisanten glaubten, daß ihre Partei zu stark am überkommenen festhielte. Unter den potentiellen Wechselwählern dagegen wurde wiederum die SPD kritischer betrachtet. 54 °/o warfen der SPD vor, zu viele Experimente zu machen, nur 46% der CDU/CSU, daß sie zu sehr am überkommenen festhielte.

Die Kompetenz zur Lösung politischer Aufgaben spiegelte die hohen Werte, die die CDU/CSU auf der Leistungsskala erhielte. 49 % warfen der SPD vor, die Probleme unseres Landes nicht zu lösen, während nur 37 % diesen Vorwurf gegenüber der CDU/CSU erhoben. Obwohl die kritische Distanz von SPD-und CDU/CSU-Sympathisanten zu ihrer eigenen Partei in dieser Frage nahezu gleich war (14, 3% der CDU/CSU-Sympathisanten und 14, 7% der SPD-Sympathisanten bezweifeln die Lösungskompetenz ihrer Partei), bescheinigten 81 % der CDU/CSU-Sympathisanten, aber nur 63 % der SPD-Sympathisanten der. jeweils gegnerischen Partei die Unfähigkeit zur Problemlösung. Auch hier wieder das nun schon gewohnte Bild: die Ablehnung der SPD durch die CDU/CSU-Sympathisanten war wesentlich ausgeprägter als die der CDU/CSU durch die Sympathisanten der SPD.

Die Einordnung der Parteien und Politiker auf dem Rechts-Links-Kontinuum ergab, daß die CDU/CSU der politischen Mitte deutlich näher zugeordnet wurde als die SPD. Das bestätigt sich auch, wenn man auf das Image der Parteien schaut. 43 % warfen der CDU/CSU vor, zu weit rechts zu stehen, aber 48 % der SPD, sich zu weit links zu orientieren.

Unterteilt man diese Frage nach Wählergruppen, so ist festzustellen, daß die potentiellen Wechselw-ähler ein etwas gemäßigteres, aber in die gleiche Richtung zielendes Urteil abgaben als die gesamte Wählerschaft. Für 40 % stand die CDU/CSU zu weit rechts und für 45 0/0 die SPD zu weit links. Die kritische Distanz der eigenen Sympathisanten war in dieser Frage nahezu ausgeglichen: 18% der CDU/CSU-Sympathisanten und 16% der SPD-Sympathisanten hielten ihre Partei für jeweils zu weit rechts bzw. links stehend, dagegen ist das „Feindbild" wieder deutlich asymmetrisch: 80 % der CDU/CSU-Sympathisanten sahen die SPD zu weit links, aber nur 68 % der SPD-Sympathisanten sehen die CDU/CSU als zu weit rechts stehend.

VII. Die Themen der Wahl

Tabelle 7:

Neben den verschiedenen Image-Elementen kommt den Themen einer Wahl eine besondere Bedeutung zu, d. h.den politischen Aufgaben, die im Verständnis der Bevölkerung anstehen und dem Zutrauen der Bevölkerung gegenüber den Politikern und Parteien, diese Aufgaben zu lösen. Dabei kommt im Regelfall den wirtschaftlichen Aufgaben, vor allem der Frage der Sicherung der ökonomischen Zukunftsaussichten, eine besondere Bedeutung zu. Galt das auch für 1976?

In der Rangfolge der wichtigsten politischen Probleme gab es vom Januar des Wahljahres bis Ende September keine wesentlichen Veränderungen; jedoch ist auf das langsame Absinken der wirtschaftspolitischen Themen hinzuweisen. Diese sinkende Relevanz des wirtschaftspolitischen Themas ging einher mit einer Veränderung der Beurteilung der wirtschaftlichen Situation. Die negative Beurteilung der wirtschaftlichen Zukunftsaussichten war die wichtigste Triebfeder oppositionellen Wahl-verhaltens in der Periode der Landtagswahlen, aber seit Anfang 1976 zeigte sich eine veränderte Tendenz.

Während bis Juni sowohl die Beurteilung der gegenwärtigen Situation wie die der Zukunftsaussichten durch einen wachsenden Optimismus gekennzeichnet war, zeigte sich ab September eine leicht veränderte Entwicklung. Während die Beurteilung der gegenwärtigen Situation noch weitgehend positiv geworden war, zeigte sich bei der Beurteilung der Zukunftsaussichten ein „Knick" in der seit Januar stabilen Entwicklung.

Glaubten im Juni noch 41 % an eine weitere Verbesserung, so waren es im September nur noch 33 %, und auch die Zahl der Pessimisten stieg geringfügig von 9 °/o auf 12°/o. Die deutliche Aufschwungstimmung des Frühjahres war also einer vorsichtigen Skepsis gewichen. Die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage blieb bis zum Wahltag positiv. 41 °/o beurteilten die Gegenwart als gut, 12% als schlecht, die Zukunftsaussichten blieben vorsichtig optimistisch, 34 % erwarteten eine Verbesserung, 9 % eine Verschlechterung, wobei sich das Meinungsbild der Wählertypen weitgehend angeglichen hatte. Beurteilten im Januar noch 47 % der SPD-Anhänger die Zukunft positiv, so waren es zur Wahl nur noch 39 %. Dagegen stieg der Optimismus der CDU/CSU-Anhänger geringfügig von 31 % auf 33 %, der der Wechsler sank von 35 % auf 32 %. Groß blieb dagegen der Meinungsgegensatz bei der Beurteilung der gegenwärtigen Situation. Den 58 °/o positiven Nennungen der SPD-Anhänger (Januar 33 °/o) standen auch zur Wahl nur 23 °/o (Januar 13 °/o) der CDU/CSU-Anhänger und 37 °/o (Januar 23 °/o) der Wechsler gegenüber.

Neben der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage steht die Relevanz, die der Frage für die eigenen Lebensumstände eingeräumt wird.

24 °/o sahen sich persönlich von der wirtschaftlichen Entwicklung stark betroffen. Auch unter 20% der potentiellen Wechsel-wähler wurde diese Meinung vertreten. Unter denen, die sich so betroffen fühlten, war die Beurteilung der wirtschaftlichen Situation und Entwicklung kontroverser. Von denen, die sich sehr stark betroffen fühlten, glaubten im September 44 % an eine Verbesserung und 15% an eine Verschlechterung. Unter denen, die sich nicht betroffen fühlten, war dagegen die Gruppe, die an eine konstante Entwicklung glaubte, mit 63 % um 20 Prozentpunkte größer als unter der Gruppe der sich betroffen fühlenden. Die sich stark betroffen fühlten, beurteilten die Gegenwart zu 32 % positiv, diejenigen, die sich nicht betroffen fühlten, dagegen zu 46%. Unter der ersten Gruppe betrug die negative Beurteilung der Gegenwart 26 % die sich nicht betroffen fühlten, zeichneten dagegen nur zu 11 % ein negatives Bild der Gegenwart.

Entsprechend der positiven Beurteilung ist der generelle Stellenwert des wirtschaftlichen Themas bis zur Wahl nahezu ständig gesunken. Entfielen auf die drei Wirtschaftsthemen im Januar 52 % der Nennungen, im Juni noch 48 %, so waren es zur Wahl nur noch 39 %. Aber: kein wirklich neues Thema ist aus der Sicht der Wählerschaft in die Diskussion getreten. Allein die Frage der Rentensicherung erzielte Ende September mit 6 °/o eine gestiegene Häufigkeit (Juni 3 °/o, Januar 2 °/o).

Für die Bewältigung all dieser Aufgaben in ihrem Sinne hielten im September noch 47 0/0 die CDU/CSU geeignet, 37, 5 °/o glaubten an die SPD, 3 °/o an die FDP, und weitere 5, 5 0/0 entfielen auf SPD und FDP gemeinsam. Das heißt, der 47 °/o Lösungskompetenz der Opposition standen 46 0/0 der Regierung gegenüber, wobei sich insgesamt nur geringe Schwankungen während des gesamten Beobachtungszeitraumes zeigen. Bis zur Wahl änderte sich, dieses Bild: fast 51 °/o gaben der Regierung, nur 43 °/o der Opposition die hohe Leistungskompetenz. Dies ändert sich jedoch, wenn man nur die Befragten untersucht, die sich von der wirtschaftlichen Entwicklung betroffen fühlen: Sie glauben zu 48 °/o an die Kompetenz der Opposition, nur zu 41 0/0 an die der Regierung. Die sich wenig von der wirtschaftlichen Entwicklung persönlich betroffen fühlenden glauben dagegen zu 52 °/o an die Kompetenz der Regierung, zu 43 °/o an die der Opposition. Trotz dieser Unsicherheit über die Themen der Wahl machte es Anfang September für 55 °/o einen großen Unterschied, wer die Wahl gewinnt. Den CDU/CSU-Anhängern war es mit 68 0/0 noch wichtiger als den SPD-Anhängern mit 57 °/o, aber nur für 35 0/0 der potentiellen Wechselwähler machte es einen großen Unterschied. 28 °/o dieser Gruppe war es gleichgültig, 37 °/o mochten sich in dieser Form nicht äußern: Polarisierende Tendenzen in den Anhängerschaften mit höherem Mobilisierungspotential der CDU/CSU, aber ein recht breiter Konsens mit dem Parteiensystem bei den potentiellen Wechselwählern.

Bis zur Wahl hatte sich dieses Bild geändert. Die Mobilisierbarkeit beider großen Parteien hatte sich angenähert.

Diese generelle Lösungskompetenz bedarf einer näheren Betrachtung. Von den seit Januar ständig in der Spitzengruppe rangierenden Themen, also Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Inflation und Kriminalität, sozialer Ausgleich und Verständigung mit dem Osten, zeigt sich bei zwei Themen ein deutliches Übergewicht der CDU/CSU und ihrer Politiker, nämlich bei der Bekämpfung der Inflation und der Kriminalität. Ein etwas differenzierteres Bild ergab sich bei der wichtigsten Aufgabe insgesamt: der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit: Hier lag die CDU knapp vor der SPD, aber Schmidt führte ebenso knapp vor Kohl; dagegen lagen bei der Sozialpolitik und der Ostpolitik die SPD und ihre Politiker tendenziell vorn.

Die Kompetenz wurde mit einer 7 Punkte umfassenden Skala gemessen, je höher die Punktzahl, desto höher die zugeordnete Kompetenz.

Beim Thema Arbeitslosigkeit führte in der gesamten Wählerschaft der Bundeskanzler mit 4, 5 von 7 möglichen Punkten, dicht gefolgt von der CDU und dem Kanzlerkandidaten Kohl mit jeweils 4, 3 Punkten, während die SPD nur auf 4, 1 Punkte kommt. Stoltenberg, die beiden FDP-Politiker Friderichs und Genscher sowie die FDP folgten mit 3, 8 Punkten vor der CSU mit 3, 7 und Strauß mit 3, 6 Punkten. Dieses Bild änderte sich jedoch bei einer Aufteilung nach Wählertypen. Der Vorsprung von Schmidt beruhte auf einer extrem hohen Einschätzung durch die SPD-Wähler, von denen er 5, 6 Punkte erhielt, während die CDU/CSU-Wähler ihm nur 3, 4 und die potentiellen Wechsler ihm 4, 4 Punkte gaben. Demgegenüber erzielte Kohl auch unter den SPD-Wählern noch 3, 7, seine eigene Wählerschaft gab ihm 5 Punkte, mehr als einen halben Punkt weniger als die SPD-Wählerschaft Schmidt gab. In der kritischen Gruppe der noch nicht parteigebundenen Wähler erreichte Kohl mit 4, 4 Punkten das gleiche Ergebnis wie Schmidt.

Daraus ergibt sich, daß das Übergewicht von Schmidt in der Gesamtwählerschaft auf der massiveren Unterstützung beruhte, die er bei seiner eigenen Wählerschaft fand.

Bei dem Thema Inflationsbekämpfung führte die CDU mit 4, 4 Punkten knapp vor Kohl und Schmidt, die beide 4, 3 Punkte erzielten, gefolgt von der SPD mit 4, 0, Stoltenberg und Friderichs mit jeweils 3, 9, der FDP, der CSU, Genscher und Strauß mit jeweils 3, 8 Punkten. Auch hier war das Abschneiden von Schmidt noch relativ verzerrt durch die viel intensivere Unterstützung, die er im Vergleich zu Kohl unter den eigenen Anhängern fand. Während diese Schmidt 5, 4 Punkte gaben, gaben die CDU/CSU-Anhänger Kohl nur 4, 9 Punkte. Bei der Einschätzung der Parteien war dagegen die Intensität der Unterstützung aus den eigenen Reihen etwa gleich. Während die SPD-Wähler ihrer Partei 5, 2 Punkte gaben, sprachen die CDU/CSU-Wähler der CDU 5, 1 und der CSU 4, 7 Punkte zu.

An diesem Thema läßt sich eine deutliche Asymmetrie der Einschätzung ablesen: Während die CDU/CSU-Wähler der SPD nur eine Kompetenz von 2, 9 Punkten zubilligten, erreichte die CDU unter den SPD-Wählern einen Wert von 3, 8. Auch beim Thema Arbeitslosigkeit war diese Asymmetrie — wenn auch etwas abgeschwächt — zu erkennen: Die SPD erhielt von den CDU/CSU-Wählern nur 3 Punkte, während die CDU bei den SPD-Wählern 3, 6 Punkte erzielte. Da diese beiden Themenkreise von der Bevölkerung als die bei weitem wichtigsten eingeschätzt wurden, hatte die CDU eine bessere Chance, eher schwankende bisherige SPD-Wähler an sich zu ziehen als umgekehrt die SPD schwache CDU-Anhänger.

Stets ist jedoch zu beobachten, daß die Werte für die CSU deutlich unter denen der CDU lagen: bei der Inflationsbekämpfung wie bei der Beseitigung der Arbeitslosigkeit betrug der Abstand jeweils 0, 6 Punkte und wies auch keine deutlichen gruppenspezifischen Unterschiede auf, wenn man von den regionalen Besonderheiten einmal absieht. Wesentlich ausgeprägter war der Vorsprung der CDU und ihrer Politiker beim Thema Kriminalitätsbekämpfung. Hier erzielte die CDU 4, 7, Kohl 4, 6, die CSU und Strauß jeweils 4, 5, Schmidt dagegen nur 4, 2 Punkte, einen Wert, den auch Stoltenberg erreichte. SPD und FDP lagen gemeinsam bei 4, 0 Punkten und teilten diesen Platz mit Genscher, während Friderichs nur auf 3, 7 Punkte kam.

Die Aufteilung nach Wählertypen zeigt auch hier, daß Schmidt und die SPD von den CDU/CSU-Wählern wesentlich skeptischer beurteilt wurden als die CDU — und in diesem Fall auch die CSU — und erst recht Kohl durch die SPD-Wähler: Während die CDU unter SPD-Wählern 4, 5 Punkte, Kohl 4, 4 und die CSU noch 4, 2 Punkte erzielte, gaben die CDU/CSU-Wähler Schmidt nur 3, 4 und der SPD nur 3, 1 Punkte. In dieser Gruppe war Strauß mit 5, 2 Punkten der Spitzenreiter und auch Genscher bekam mit 3, 6 Punkten noch mehr Punkte als Schmidt, die SPD und seine eigene Partei, die auf 3, 4 Punkte kam.

Diese relativ hohen Werte der CDU/CSU und ihrer Politiker gerade auch unter SPD-Wählern haben jedoch eine ambivalente Ursache:

Auf der einen Seite verdeutlichen sie die Unterstützung der Wähler, für die die Bekämpfung der Kriminalität ein zentrales Problem war. Zugleich spiegelten diese Werte jedoch auch die Imagekomponente wider, die gerade unter der Stammwählerschaft der SPD über die CDU/CSU, ihre Politiker und auch über den früheren Innenminister Genscher verbreitet ist, nämlich eine im Vergleich zur Problematik übertriebene Law-and-Order-Politik zu betreiben. Das zeigte sich auch in der deutlich geringeren Häufigkeit, mit der das Thema Innere Sicherheit von SPD-Wählern (6, 7 °/o) gegenüber CDU/CSU-Wählern (8, 2 °/o) genannt wurde. Das legt den Schluß nahe, daß dieses Thema nur partiell für die Wahl-entscheidung zwischen den großen Parteien relevant war.

Im Sinne des überlieferten Images der SPD sind soziale Reformen und Verständigung mit Osteuropa nach wie vor die Domäne dieser Partei, wobei jedoch der im Vergleich zu den bislang erörterten Themen sehr geringe Stellenwert berücksichtigt werden muß. Außerdem galt auch hier, daß der Stellenwert dieser Themen unter den SPD-Anhängern wesentlich größer war als unter den CDU/CSU-Anhängern. Das bedeutet, daß ähnlich wie das gute Abschneiden der CDU/CSU beim Thema Bekämpfung der Kriminalität die SPD bei diesen Fragen mehr den Beifall der eigenen Reihen erzielte, als daß diese Themen für die Wahlentscheidung relevant wären. Bei den sozialen Reformen führten Schmidt und die SPD gleich mit 4, 8 Punkten, gefolgt von Kohl und der FDP mit jeweils 4, 1 Punkten, der CDU und Genscher mit 4, 0; Friderichs folgt mit 3, 9 vor Stoltenberg mit 3, 7, der CSU mit 3, 5 und Strauß mit 3, 3 Punkten. Die Auf-gliederung nach Wählertypen gibt der SPD und Schmidt den zu erwartenden großen Vorsprung mit 5, 8 bzw. 5, 7 Punkten unter den eigenen Anhängern, die Kohl nur 3, 7 und der CDU nur 3, 5 Punkte gaben. Auch hier war die Unterstützung der CDU und ihrer Politiker aus den eigenen Reihen geringer — entsprechend dem geringeren Stellenwert dieses Themas unter dieser Wählergruppe —, 4, 8 Punkte für die CDU und 4, 7 für Kohl. Dagegen war die Einstufung der SPD und Schmidts unter den CDU/CSU-Wählern mit 3, 8 bzw. 3, 9 höher als die Einschätzung der CDU unter den SPD-Wählern mit 3, 7 für Kohl und 3, 5 für die CDU.

Ein tendenziell ähnliches Bild zeigte sich bei der Ostpolitik, hier führten Schmidt und die SPD mit jeweils 5, 1 vor der FDP und Genscher mit jeweils 4, 6. Friderichs und Kohl erzielten 4, 1, die CDU 3, 9, Stoltenberg 3, 6, die CSU 3, 2, und Strauß kommt auf 2, 9 Punkte.

Die Aufteilung nach Wählertypen bringt das tendenziell gleiche Bild. Extrem hohe Werte für Schmidt und die SPD mit 6, 1 bzw. 6, 2 unter den SPD-Wählern, während die CDU/CSU-Wähler ihrer Partei nur 4, 6 und ihrem Kanzlerkandidaten nur 4, 7 Punkte gaben. Im Gegensatz zum Thema der sozialen Reformen zeigte sich jedoch beim Thema Ostpolitik wieder die schon bei den wirtschaftlichen Themen beobachtete Asymmetrie in der Beurteilung der Parteien durch die jeweilige Wählerschaft der anderen Partei. Während die CDU/CSU-Wähler der SPD nur 4, 1 Punkte geben, gab die SPD-Wählerschaft der CDU 4, 3 Punkte — allerdings der CSU nur 2, 5 Punkte. Bei keinem Thema war die Diskrepanz zwischen CDU und CSU so ausgeprägt. Diese Asymmetrie galt aber nicht mehr bei der Einschätzung der Politiker. Die SPD-Wähler gaben Kohl nur 3, 6 Punkte, die CDU/CSU-Wähler aber Schmidt 4, 2 Punkte. Zusammen mit der Tatsache, daß dieses Thema das einzige war, bei dem Schmidt von seiner eigenen SPD-Wählerschaft geringer eingeschätzt wird als seine Partei, läßt dies den Schluß zu, daß die CDU/CSU-Wählerschaft von Schmidt im Vergleich zur SPD eine Ostpolitik erwartete, die ihren eigenen Vorstellungen näherkam.

Gerade diese Aufteilung nach Wählertypen zeigt aber, daß die wirtschaftliche Thematik besonders auch in der entscheidenden Gruppe der noch nicht festgelegten Wähler und jenen Wählerschichten, die zur Zeit zur einen Partei tendieren, aber von der anderen noch angesprochen werden können, bestimmend ist. Die drei anderen Themen dagegen waren eher geeignet, Anhängerschaften zu mobilisieren als Wechselwähler zu bewegen.

Bleibt die Frage, welche Vorstellungen die Befragten über die Grundrichtung hatten, in der die verschiedenen Probleme angegriffen werden sollten. Dabei ergab sich bei allen Aufgaben im Regelfall, daß alternative Entwicklungen möglich sind und die Erreichung einer Zielsetzung häufig das Zurückstellen anderer Zielsetzungen verlangt. Bei drei zentralen Themen der politischen Diskussion wurde diese Frage untersucht.

Die Befragten konnten jeweils bis zu 3 Punkte für die eine oder andere Alternative abgeben. Mit geringen Punktzahlen konnten dementsprechend abgestufte Meinungen ausgedrückt werden. Die erste Alternative lautet: Ist es wichtiger, die Preise stabil zu halten, selbst wenn es dabei ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit gibt oder soll die Arbeitslosigkeit möglichst vollständig beseitigt werden, auch wenn neue Preissteigerungen hingenommen werden müssen? Dabei ergab sich, daß der Durchschnitt der Bevölkerung in dieser Frage unentschieden war. Zu diesem Zielkonflikt gab es keine interpretierbaren Unterschiede zwischen CDU/CSU-und SPD-Wählern. Sie tendierten leicht zur zweiten Alternative, waren also eher bereit, Preissteigerungen hinzunehmen, aber nur „hundertstel" Punkte signalisierten keine Tendenz. Dagegen tendierten die potentiellen Wechselwähler eher für das Ziel Preisstabilität, fast zweizehntel Punkte deuten in diese Richtung.

Die Befragten traten um so eher für das Ziel der Preisstabilität ein, je ungünstiger sie die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten einschätzten. Dies verdeutlicht, daß der verbleibende Rest an wirtschaftlicher Skepsis in der Sorge um die Preisstabilität, nicht um die Arbeitsplätze begründet war.

Ein wesentlich klareres Bild ergab sich bei dem zweiten kontroversen Thema des Wahl-jahres. Sollten zur Sanierung der öffentlichen Haushalte die Steuern erhöht oder die Staatsausgaben eingeschränkt werden? Die Gesamtheit der Befragten sprach sich deutlich gegen jede Form von Steuererhöhungen aus. Hier zeigten sich Unterschiede nach Wählergruppen: Während die SPD-Wähler Steuererhöhungen noch eher bereit waren hinzunehmen, war der Widerstand unter den CDU/CSU-Wählern und unter den Unentschlossenen besonders ausgeprägt.

Ein besonders starker Steuerwiderstand war auch in den relativ gut verdienenden mittleren Altersgruppen anzutreffen, während die jüngste und die älteste Gruppe eher zu Steuererhöhungen bereit war. Starke Unterschiede ergaben auch eine Unterteilung nach der wirtschaftlichen Zukunftsbeurteilung. Der stärkste Widerstand gegen Steuererhöhungen ging von denjenigen aus, die von einer weiteren Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage überzeugt waren, dagegen war er am schwächsten ausgeprägt bei den wirtschaftlichen Optimisten. Das bedeutet, daß noch stärker als die Sorge um die Preisstabilität die um weitere Steuererhöhungen die Ursache für den verbleibenden Pessimismus war.

Diese Grundeinstellung warf natürlich die Frage auf, bei welchen Aufgaben gespart werden sollte. Um hier möglichst wenig stereotype Reaktionen zu bekommen, wie z. B. Beamte und öffentliche Bedienstete einsparen, wurden den Befragten fünf Kategorien vorgegeben, bei denen sie auszuwählen hatten, wo gekürzt werden sollte: nämlich Straßen-und sonstige Bauten, Sozialleistungen, Bildungseinrichtungen, Verteidigung und Innere Sicherheit. Die größte Sparbereitschaft bestand auf dem Verteidigungssektor, gefolgt von Straßen-und sonstigen Bauten und dem Bildungssektor, während die Sozialleistungen und die Innere Sicherheit am Ende der Sparbereitschaft rangierten.

Diese globale Einschätzung der Sparprioritäten überdeckt jedoch Unterschiede in den einzelnen Wählerkategorien. So wollten sozialdemokratische Wähler überproportional im Verteidigungssektor und bei der Inneren Sicherheit einsparen, während der Bereich der Sozialausgaben von ihnen nur unterdurchschnittlich genannt wurde. Konträr dazu verlaufen die Einsparungsprioritäten der CDU/CSU-Wähler: Bei ihnen rangierte der Verteidigungssektor erst an zweiter Stelle hinter den öffentlichen Bauten. Auch der Bereich der Inneren Sicherheit verzeichnete bei ihnen wesentlich weniger Nennungen als in der gesamten Wählerschaft; dafür sollte aber überproportional bei den Sozialleistungen und im Bildungsbereich eingespart werden.

Bei der Festlegung der Einsparungsprioritäten spielt das Alter eine bedeutende Rolle. So sank z. B. die Bereitschaft, im Verteidigungssektor einzusparen, mit zunehmendem Alter;

auf der anderen Seite waren Bildungseinrichtungen ein Tabubereich für jüngere Menschen, während dieser Bereich mit zunehmendem Alter relativ häufig auf der Einsparungsliste zu finden war.

Das Thema Innere Sicherheit wurde von den beiden jüngsten Altersgruppen wesentlich häufiger auf die Sparliste gesetzt als von den älteren Befragten.

Die generelle Spitzenstellung des Themas Innere Sicherheit als Tabubereich bei Haushaltskürzungen scheint zunächst in einem Widerspruch zu dem relativ geringen Stellenwert zu stehen, den dieses Thema bei den öffentlichen Aufgaben für zukünftige Wähler-bewegungen hatte. Dies ist jedoch leicht durch die Fragestellung zu erklären. Das Maß an Innerer Sicherheit, das zur Zeit in der Bundesrepublik besteht, wurde als relativ gut betrachtet, deshalb erschien es nicht vorrangig, daß hier etwas Zusätzliches geschehe. Daß dieser Zustand erhalten bleibt, war dagegen von sehr hohem Stellenwert, deshalb sollte hier nicht gekürzt werden. Anders formuliert: Das Thema Innere Sicherheit hat permanent einen latent hohen Stellenwert, im Wahljahr aber keinen hohen aktuellen Stellenwert. Zuerst im Zusammenhang mit den Poien-Verträgen, später in allgemeiner Form wurde vielfach die Frage diskutiert, ob bei den Bemühungen, die Beziehungen mit den Ostblockstaaten zu verbessern, gewisse wirtschaftliche Nachteile hingenommen werden können. Die Befragten brachten einer solchen Politik deutliche Opposition entgegen, die unter den potentiellen Wechselwählern und vor allem unter den CDU/CSU-Anhängern wesentlich größer war als unter denen der Koalition. Gerade in dieser Reaktion zeigte sich die im Vergleich zu 1972 nüchterne Distanz zur Ostpolitik.

Es zeigte sich jedoch, daß mit zunehmendem wirtschaftlichem Optimismus diese Opposition tendenziell geringfügiger wurde; während unter denjenigen, die von einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation ausgehen, noch mit 1, 4 Punkten gegen wirtschaftliche Nachteile votiert wurde, gingen die wirtschaftlichen Optimisten nur noch mit 0, 7 Punkten in diese Richtung.

VIII. Der Wahlkampf

Tabelle 8:

Damit ist die Ausgangssituation der Parteien und Politiker zur Bundestagswahl 1976 weitgehend umschrieben. Zusammenfassend kann man auf der Grundlage dieser Ergebnisse drei Fragen formulieren, die schließlich vom Wahlkampf beantwortet werden mußten und deren Antwort dann den offenen Grenzbereich zum Wahlergebnis vom 3. Oktober bestimmen: 1. Angesichts der Diskrepanz zwischen der hohen Einschätzung der SPD als Interessenvertretungspartei und den übrigen Elementen ihres Images würde es weitgehend von der innerparteilichen Geschlossenheit der Partei abhängen, wieviel ihres Potentials sie ausschöpfen kann.

2. In der Kandidatenfrage verfügte die SPD mit dem Bundeskanzler über ein geringes Übergewicht gegenüber dem Oppositionsführer, das kleiner wurde, wenn die übrigen Spitzenpolitiker von SPD und CDU in die Diskussion eingeführt wurden, das aber vergrößert wurde, wenn das Personalangebot der Regierung durch die FDP-Politiker angereichert und das der Opposition durch den CSU-Vorsitzenden dominiert wird.

3. Angesichts der höheren Leistungskompetenz der CDU/CSU hat diese ein Interesse an einer argumentativen Auseinandersetzung, während die Regierung — analog zur Situation der CDU/CSU 1965 — an einem themen-losen Personalplebiszit interessiert war.

Daraus ergaben sich die drei Fragen:

1. Welches Maß an Geschlossenheit kann die SPD im Wahlkampf zeigen?

2. Welche Personalkonfrontation wird von den Wählern perzipiert a) Schmidt oder Kohl b) Schmidt, Brandt usw. oder Kohl und Stoltenberg usw.

c) Schmidt/Genscher oder Kohl/Strauß 3. Gibt es einen themenlosen Wahlkampf?

Der längste und aufwendigste Wahlkampf der Bundesrepublik beantwortete diese Fragen eindeutig. Er fand im übrigen in der Wählerschaft ein skeptisches Echo. Auf die Frage nach den Werbesprüchen der Parteien nannten in einer Untersuchung vor der Wahl 43% Freiheit statt (oder) Sozialismus, 16% Weiterarbeiten am Modell Deutschland, 8% Aus Liebe zu Deutschland, 4 °/o Sicher, sozial und frei, 4 % Leistung wählen und jeweils 3 % Der bessere Mann muß Kanzler bleiben und Zieh mit, wähl Schmidt. Die CDU/CSU hatte somit den „Hit" des Wahlkampfes gefunden, aber auch ihre Nebenaussagen wurden deutlich häufiger genannt als die der anderen Parteien. Dennoch war es ein sehr relativer Hit. Am häufigsten nannten SPD-Anhänger diesen Slogan (47%). CDU/CSU-Anhänger erinnerten sich zu 42 % an ihn und potentielle Wechsler nur zu 40 %. Auch das „Weiterarbeiten am Modell Deutschland" nannten SPD-Anhänger zu 23 %, die der CDU/CSU-Anhänger dagegen nur zu 13% und potentielle Wechsler nur zu 11 %.

In diesen Zahlen spiegelt sich zuerst die mangelnde Professionalität dieses Wahlkampfes. Sieht man von den vielfältigen Sprüchen auf Aufklebern usw. einmal ab, so beherrschten während der heißen Phase acht CDU/CSUund fünf SPD-Sprüche, wobei der „Von der Freiheit verstehen wir mehr" in mehreren Variationen auftrat, die Werbelandschaft. Drei verschiedene Bilder von Kohl diversifizierten die Werbung ebenso wie das Auswechseln des Genscher-Fotos nach der Halbzeit des Wahlkampfes — lokale Besonderheiten nicht mit eingerechnet: Plakatwerbung sollte eigentlich „penetrieren".

Der CDU/CSU-Hit erregte die Gemüter. 93 % der SPD-Anhänger lehnten ihn ab, nur 82 % der CDU/CSU-Anhänger idendifizierten sich mit ihm: Ein Slogan also, der mobilisierte, allerdings mehr noch den Gegner als die eigenen Reihen. Wechselwähler lehnten ihn zu Zweidrittel ab. Im Gegensatz dazu identifizierten sich mit dem farblosen „Modell Deutschland" zwar auch ca. 88% der SPD-Anhänger, aber nur 62 % der CDU/CSU-Anhänger lehnten ihn ebenso ab wie 50 % der potentiellen Wechsler.

36 % bezeichneten den Wahlkampf als fair, die restlichen 2/3 betrachteten ihn eher kritisch, 24 % fanden ihn ziemlich unfair, 40 % insgesamt fair mit Entgleisungen. Als Begründung wurden fast durchgehend irgendwelche Beleidigungen genannt.

60 % kritisierten den zu hohen Werbeaufwand, 4 % fanden, die Parteien hätten zu wenig geworben, 37 % war es gerade recht.

54 % fanden, daß die Parteien sich auf die rechte Art um die Wähler bemühten, 46°/o meinten dagegen, manches sollte anders gemacht werden. Diese wollten vor allem mehr Sachinformation (22 0/0) und weniger Polemik (21 °/o).

Das sind keine guten Noten für die Werbemanager. Trösten mag es sie dagegen, daß 36 0/0 den Wahlkampf eher spannend, 14% ihn ziemlich langweilig fanden, 50 % sahen unter diesem Aspekt keinen Unterschied zu anderen Wahlkämpfen.

Die relativ geringe Bedeutung der Werbemittel wird auch deutlich, wenn man nach den Informationsquellen im Wahlkampf fragt, 83 % nannten die Fernsehnachrichten, 68 % die Tageszeitungen, 55 % die Diskussion der Spitzenpolitiker im Fernsehen, jeweils 34 % Radionachrichten und Gespräche mit Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen. Noch einmal 32 % entfielen auf sonstige Fernsehnachrichten, 21 % auf Zeitschriften und Illustrierten. Erst dann folgten mit 20 % alle Werbemittel zusammen.

Eine Aufgliederung nach Wählertypen zeigt keine großen Unterschiede. Von allen Informationsquellen machten die potentiellen Wechselwähler relativ weniger Gebrauch — entsprechend ihrem relativ geringeren politischen Interesse. Sie nannten die Werbemittel nur zu 13% — und auf sie sollte sich der Wahlkampf konzentrieren.

Diese geringe Bedeutung der Werbemittel kontrastiert nicht zuletzt mit der Tatsache, daß fast 80 % der SPD wie die der CDU/CSU-Anhänger es für sich persönlich für ziemlich oder sehr wichtig hielten, daß ihre Partei nach der Wahl die Regierung bilden könne, und für die Wechsler galt das auch noch zu 65 %. Aber 35 % dieser Gruppe war es ziemlich gleichgültig. Allerdings glaubten nur 64 % der CDU/CSU-Anhänger, 62 % der SPD-Anhänger und 40 % der potentiellen Wechsler, daß es für die Bundesrepublik einen großen Unterschied mache, wer die Wahl gewinnt.

Aber hinter diesem Theaterdonner des Werbeaufwands blieb es ein Wahlkampf ohne Themen in dem Sinne, daß in dem Problembewußtsein der Bevölkerung bis zum Schluß im wesentlichen nur die wirtschaftlichen Themen mit tendenziell sinkendem Stellenwert eine Rolle spielten, die schon lange vor Beginn der Wahlkampfphase das Meinungsbild beherrschten. Es blieb beim themenlosen Personalplebiszit. Zumindest ist die Frage zu stellen, ob nicht der, wie dargelegt, zumindest abivalent zu beurteilende Hauptslogan der CDU/CSU der thematischen Auffüllung des Wahlkampfes entgegenstand. Nach der Theorie der Demokratie sollten im Wahlkampf die Optionen zukünftiger Politik erörtert werden. Auch an dieser Meßlatte bleibt dieser Wahlkampf etwas kurz gewachsen.

IX. Das Wahlergebnis

Tabelle 9:

51, 4% aller Stimmen erzielte die CDU/CSU in der Serie der Landtagswählen von 1974 bis 1976. Diese Zahl verdeutlicht zunächst, daß die Mehrheit für die Union greifbar war und daß es keineswegs strukturell unmöglich ist, die absolute Mehrheit zu gewinnen. Gegenüber der Bundestagswahl von 1972 gewann die CDU/CSU zwar 3, 7 Prozentpunkte hinzu, aber sie blieb auch 2, 8 Punkte unter der Erfolgsserie der Landtagswahlen. Die wichtigste Triebkraft oppositionellen Wahlverhaltens in diesen Landtagswahlen waren nicht landes-spezifische Faktoren, sondern ein bundeseinheitlicher Trend, ausgelöst durch die negative Beurteilung der wirtschaftlichen Situation, insbesondere auch der Zukunftsaussichten, die diese Periode der längsten wirtschaftlichen Krise in der Geschichte der Bundesrepublik kennzeichnete. Aber seit dem Frühjahr 1976 änderte sich diese Stimmungslage. Die gegenwärtige wirtschaftliche Situation wurde zur Bundestagswahl überwiegend positiv beurteilt und auch die wirtschaftlichen Zukunftsaussichten mit einem vorsichtigen Optimismus betrachtet. Was sich schon im Frühjahr 1975 andeutete, als im Zeichen der kurzfristigen Optimismusphase die Landtagswahl-ergebnisse der CDU in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und im Saarland hinter den Erwartungen zurückblieben, wiederholte sich in einer ähnlichen Konstellation bundesweit am dritten Oktober.

Ein zweiter Faktor kommt hinzu. Die Bundestagswahl war, stärker als jede Landtagswahl es sein kann, ein Personalplebiszit über die Kanzlerkandidaten. Zwar verfügte die CDU/CSU mit Helmut Kohl über den Kandidaten, der, im Vergleich zu allen seinen Vorgängern in dieser Rolle, über die größten Sympathie-werte und ein abgerundetes positives Image verfügte, aber in der direkten Konfrontation Schmidt oder Kohl erzielte der amtierende Bundeskanzler größere Zustimmung. Auf die Frage: Wen hätten Sie am liebsten als Bundeskanzler? antworteten noch unmittelbar vor der Wahl: 49, 2% Schmidt, 37, 5% Kohl. Dabei fällt auf, daß unter den potentiellen Wechselwählern das Bild ausgeglichen war, aber Kohl deutlich weniger Zustimmung unter den eigenen Anhängern fand als Schmidt, dem seine Anhänger nahezu geschlossen folgten. Nur 83 % der CDU/CSU-Wähler und nur 87 % der Anhänger dieser Partei votierten für Kohl. Schmidt gewann 95 % seiner Anhänger und % der FDP-Wähler.

Solche Personalplebiszite kennzeichnen seit 1953 die Bundestagswahlen, aber während in der Vergangenheit stets die Partei mit dem zurückliegenden Kandidaten versuchte, dies durch einen Mannschaftswahlkampf zu kompensieren (z. B. 1961 die CDU/CSU mit „Adenauer, Erhard und die Mannschaft" oder 1969 die SPD mit „Wir haben die besseren Männer"), verzichtete die CDU/CSU 1976 auf diese Strategie, obwohl sie im Vergleich zur SPD die größere Zahl attraktiver Spitzenpolitiker neben dem Kanzlerkandidaten besaß.

Daß trotz dieses Übergewichts des Bundeskanzlers der SPD-Stimmenanteil bei 42, 6 %, also 61/2 Punkte unter der plebiszitären Zustimmung für Schmidt blieb, verdeutlicht drei Aspekte:

1. Wählerwechsel erfolgt nicht aufgrund von Einzelereignissen, sondern aufgrund eines langfristigen gleichförmigen Stromes von Informationen. Die etwa 21/2jährige wirtschaftliche Krisenperiode stellte einen solchen gleichförmigen Informationsstrom dar, der eine relativ stabile Bindung großer Wähler-schichten an die CDU/CSU schuf, die dem Sog des Personalplebiszits widerstand.

2. Die innerparteilichen Auseinandersetzungen in der SPD haben seit 1972 zu einer nachhaltigen Imageverschlechterung dieser Partei geführt, die auch durch Wahlkampfdisziplin und Konzentration auf die Kanzlerwerbung nicht vollständig überlagert werden konnte.

So blieb ein Stimmenrückgang von 3, 2 Prozentpunkten: Der etwa gleiche Prozentsatz, den die SPD in allen Bundestagswahlen von 1949 bis 1972 jeweils hinzugewonnen hatte, erhielt diesmal ein negatives Vorzeichen.

3. Die Diskrepanz zwischen dem Stimmenanteil zwischen der SPD und der Zustimmung zu Schmidt verdeutlicht, daß Schmidt Kanzler der Koalition war. Die Differenz entspricht bis auf 11/2 Prozentpunkte dem Stimmenanteil der FDP. Dies verdeutlicht erneut, in welchem Umfang der Wahlerfolg der FDP von der Konstellation des Parteiensystems und weniger von Einzelaspekten des Images der FDP und ihrer Politiker abhängt. Wie 1965, als die FDP mit dem Versprechen antrat, den populären Erhard gegen Rivalen in der CDU/CSU zu schützen, so zog die FDP diesmal ihre Wählerschaft aus der Marktlücke, die zwischen Schmidt und seiner Partei entstanden war. Die unterschiedliche koalitionsinterne Situation im Vergleich zu 1972 wird auch daran deutlich, daß die FDP diesmal nur geringfügig mehr Zweitstimmen als Erststimmen erhielt: 1, 5 Prozentpunkte. 1972 war ihr Zweitstimmenanteil noch fast doppelt so hoch gewesen wie der Erststimmenanteil (8, 4 gegen 4, 8%). Anders als 1972 haben diesmal offensichtlich nicht SPD-Wähler mit ihrer Zweitstimme die FDP subventioniert, was mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die negativen Erwartungen der SPD-Wähler über das Abschneiden ihrer eigenen Partei erklärt werden kann. Diesmal glaubte man nichts verschenken zu können. Aber auch die FDP-Wähler haben weniger häufig ihre Erststimme den SPD-Kandidaten gegeben: sie präferierten Schmidt, aber wählten nicht die Kandidaten der SPD. Bei dieser Gesamttendenz weist das Wahlergebnis bemerkenswerte regionale Unterschiede auf: Das Nord-Süd-Gefälle, das schon die Bundestagswahl von 1972 prägte, aber in den folgenden Landtagswahlen kaum noch erkennbar war, kennzeichnet das Ergebnis vom 3. Oktober. Das wird am deutlichsten, wenn man die Zuwachsraten der CDU/CSU betrachtet, die langsam aber stetig von Norden nach Süden steigen: Schleswig-Holstein + 2, 1, Hamburg + 2, 5, Bremen + 2, 9, Niedersachsen + 3, 0, Nordrhein-Westfalen 3, 5, Rheinland-Pfalz + 4, 0, Hessen + 4, 5, dann folgen zwei geringe Abweichungen: Saarland + 2, 8, Baden-Württemberg + 3, 5 bis schließlich Bayern mit + 4, 9 die Spitze einnimmt. Eine ähnliche Rangfolge kann man für die Verluste der SPD zeigen, wobei einige Abweichungen durch die entsprechenden Verluste der FDP erklärt werden können. So war z. B.der Rückgang der SPD in Hessen mit 2, 8 Prozentpunkten relativ gering, zugleich aber mußte die FDP gerade in Hessen mit einem Minus von 1, 7 Prozentpunkten ihre größten Einbußen hinnehmen. Gerade dieses Beispiel zeigt aber auch wieder, wie wenig aktuelle Ereignisse Wahlergebnisse beeinflussen. Viele Beobachter hatten gerade für Hessen aufgrund der zahlreichen Affären, die zum Rücktritt von Ministerpräsident Osswald am Wahlabend führten, der dortigen SPD weit größere Verluste vorausgesagt.

Dieses Nord-Süd-Gefälle ist, wie dargelegt, in der Struktur der Wählerschaft begründet und zeichnete sich bei allen wesentlichen Variablen schon lange vor dem Wahltag ab. Die hohe Mobilität des Nordens erhöht die Bedeutung der kurzfristig zu einer Wahl anstehenden Faktoren: Personen und Themen einer Wahl.

So hatte das schon beschriebene Übergewicht von Schmidt gegenüber Kohl unter den Bedingungen der größeren Mobilität des Nordens in diesen Gegenden größere Bedeutung. Dieser Effekt wurde noch dadurch verstärkt, daß sich auch in der Beurteilung der Kandidaten das beschriebene Nord-Süd-Gefälle ergab, das teilweise unschwer durch die landsmannschaftliche Prägung beider Kandidaten mit erklärt werden kann. Dieses personelle Nord-Süd-Gefälle wird verstärkt, wenn man das Bild von Strauß auf der einen und Genscher auf der anderen Seite in die Betrachtung einbezieht und wurde durch den Verlauf des Wahlkampfes weiter verstärkt.

Die Politiker, nicht zuletzt durch die Fernsehdiskussion, standen im Zentrum des Wahlkampfes. 91 % nannten Schmidt als den wichtigsten Politiker der SPD, gefolgt von Brandt mit 59 °/o, Wehner 37 °/o, Apel mit 23 °/o und Leber mit 15°/o. Während bei Schmidt die positive Beurteilung mit 74 °/o deutlich überwog^ (negativ 14%), war das negative Bild Wehners ebenso ausgeprägt: 64 % negativ, 24 % positiv. Brandt erhielt zwar insgesamt 50 % positive und 40 % negative Nennungen, aber dies vor allem aufgrund des Votums der SPD-Anhänger, die ihn mit über 80 % nahezu ebenso positiv beurteilten wie die CDU/CSU-Anhänger negativ (78%). Unter den Wechslern war seine Bilanz ausgeglichen, 46% positiv, 41 % negativ. Deutlich positive Werte erhielt auch noch Leber, aber nur 15% hielten ihn für wichtig — unter den SPD-Anhängern immerhin 20 %.

Kohl wurde als wichtigster Politiker der CDU/CSU genauso unumstritten anerkannt wie sein Gegenspieler: 90 % nannten ihn als den wichtigsten Politiker der CDU/CSU, aber Strauß folgte ihm mit 81 % dicht auf. 35 % nannten Stoltenberg, 25 % Biedenkopf, 24 % Carstens, 15% Dregger und 11% Barzel. Auch Kohl erzielte weitaus mehr positive (63%) als negative (18%) Nennungen, aber er wurde übertroffen von Stoltenberg, der besser beurteilt als Kohl die gleich hohen Werte erzielte wie Schmidt (74 % positiv, 12 % negativ).

Bei Strauß überwogen die negativen Nennungen deutlich, wobei sein Bild, wie das von Brandt und Wehner, zwischen CDU/CSU-und SPD-Anhängern polarisiert war. Unter den potentiellen Wechselwählern war es ausgeglichen mit einem geringfügigen Übergewicht der negativen Nennungen. Bemerkenswert sind auch die hohen positiven Nennungen für Biedenkopf, insbesondere unter den Wechslern und die durchaus positive Beurteilung von Barzel.

Auch Genscher war als wichtigster Mann der FDP unbestritten (83%). Friderichs folgte ihm mit etwa der Hälfte der Nennungen (44 %). Mit noch einmal deutlichem Abstand folgten Ertl (23 %) und Maihofer (17%). Wie Kohl mit Stoltenberg hatte jedoch auch Genscher mit Friderichs einen Parteifreund, der eine tendenziell positivere Bewertung erhielt, wobei der Vorsprung von Friderichs gegenüber Genscher unter den potentiellen Wechslern und den CDU/CSU-Anhängern besonders groß war.

Als Fazit aber kann festgestellt werden: Die Wählerschaft verstand die Auseinandersetzung als Schmidt/Genscher gegen Kohl und Strauß.

Wie in der Beurteilung der Kandidatenfrage, so setzte sich auch inhaltlich die Strategie der Regierung durch. Trotz aller Lautstärke des Wahlkampfes war die Wahl letztlich dadurch gekennzeichnet, daß es im Problembewußtsein der Bevölkerung ein nahezu themenloser Wahlkampf war. Zwar dominierten von Anfang dieses Jahres bis zur Wahl die wirtschaftlichen Themen, aber der Stellenwert war entsprechend der veränderten Beurteilung der wirtschaftlichen Situation deutlich rückläufig, ohne daß es der Opposition gelang, neue Themen in das Bewußtsein der Wählerschaft einzubringen. Dies war insofern von großer Bedeutung, als die CDU/CSU über das durchweg bessere Image verfügte und vor allem als leistungsfähiger bei der Bewältigung politischer Aufgaben galt. Ihr Interesse wäre also eine intensive Themendiskussion gewesen, während die Regierung ein themen-loses Personalplebiszit anstrebte.

Das Nord-Süd-Gefälle überlagerte andere Unterschiede. Dennoch gilt, daß die Gewinne der CDU/CSU in städtischen (z. B. Köln, Frankfurt, München) und mittelstädtischen Gebieten größer waren als in ihren ländlichen Hochburgen mit Ausnahme des Ruhrgebietes, wo die Zuwachsraten im Durchschnitt lagen. Im Gegensatz zu 1972 scheint die wiederum sehr hohe Wahlbeteiligung nicht eindeutig zugunsten einer Partei gegangen zu sein. Während im Ruhrgebiet die Anzeichen dafür sprechen, daß die hohe Wahlbeteiligung der SPD genützt hat, kann man in Schleswig-Holstein beobachten, daß die relativ besten Ergebnisse der CDU dort mit den höchsten Wahlbeteiligungen einhergehen.

Unter dieser Konstellation vollzog sich folgender Wählerwechsel: Die CDU/CSU konnte etwa 90 °/o ihrer Wähler von 1972 behalten und gab nur geringfügig an SPD und FDP ab. Die SPD behielt nur 80 0/0 ihrer damaligen Wähler, fast 10 °/o ihrer 72er Wähler gingen an die CDU/CSU, etwa 5 °/o an die FDP.

Diese wiederum konnte — und das ist schon Tradition bei der FDP — nur etwa die Hälfte ihrer damaligen Wählerschaft halten, aber vor allem der Zustrom von der SPD kompensierte diese Verluste.

Fazit: Trotz des zweitgrößten Erfolges in der Geschichte der CDU/CSU ist die Strategie der Regierung weitgehend aufgegangen: Ein themenloses Personalplebiszit, bei dem sich Schmidt auf Genscher stützen konnte und Kohl mit Strauß belastet war.

Welche Perspektiven ergeben sich aus dieser Wahl für das deutsche Parteiensystem? Das alternierende Parteiensystem mit der realen Chance eines Machtwechsels hat sich bestätigt und konnte auch durch die Flut der Splitterparteien nicht angegriffen werden. Das ist zunächst ein Stabilitätsbeweis deutscher Demokratie.

Die Mehrheit der Koalition ist knapp. Da aber die FDP weit homogener ist als 1969, sind Spekulationen auf fünf Fraktionswechsler, die schon zum Patt führen würden, verfehlt. Aber angesichts der gewachsenen Stärke des linken Flügels in der SPD ist die Heterogenität der Koalition insgesamt so groß, daß Zweifel an ihrer Handlungsfähigkeit bestehen. Langfristig aber gilt, daß die SPD nur mehrheitsfähig ist, wenn sie ihre internen Auseinandersetzungen löst.

Innerhalb der CDU/CSU ist das Gewicht des katholischen Südens noch stärker geworden. Allein die CSU erreicht die Stärke fast eines Drittels der gesamten CDU. Dennoch zeigt gerade auch dieses Wahlergebnis wieder, daß CDU und CSU nur mit einer nach Norden orientierten Strategie gewinnen können. Die Weiterentwicklung der Union wird wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, innerparteilich eine solche Strategie durchzusetzen. Die Trennung von CDU und CSU hilft dagegen nicht weiter: „rechts" ist nichts mehr zu gewinnen; 0, 3 °/o „ewig gestrige" am 3. Oktober bestätigen das. Wesentlicher ist, daß die Trennung der Parteien die Glaubwürdigkeit des Regierungsangebots von CDU und CSU vermindert und daß die organisatorische Verselbständigung Gegensätze ebenso fördert wie eine eventuelle „Linksbewegung" der CDU. Wenn schließlich die organisatorische Verselbständigung beider Parteien in der gesamten Bundesrepublik erfolgt, bedeutet dies die Spaltung jedes Ortsverbandes von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen. So bleibt als Fazit: Am 3. 10. hatte die CDU/CSU die Macht knapp verpaßt, zugleich demonstriert, daß die Macht für sie greifbar ist. In den ersten Wochen nach der Wahl hat, zumindest kurzfristig, sich die Position der Regierung stabilisiert.

Die langfristigen Rückwirkungen auf das Parteiensystem sind dagegen noch kaum abzuschätzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. G. Simmel, Soziologie. Untersuchung über die Form der Vergesellschaftung, Leipzig 1908.

  2. Vgl. Heino Kaack, Geschichte und Struktur des deutschen Parteiensystems, Opladen 1971, S. 465 ff.

  3. Paul F. Lazarsfeld, The People's Choice. How the Voter Makes up his Mind in a Presidential Campaign, New York 19492.

  4. Festinger, A Theory of Cognitive Dissonance, Stanford/Cal. 1957.

  5. Wolfgang Falke, Programmpartei oder Wähler-verein. Zum funktionellen Selbstverständnis von Parteimitgliedern, in: Die Politische Meinung, Sonderheft April 1974, S. 62— 77.

  6. Vgl. Carl Joachim Friedrich, der Wahlen als die Artikulation von Vertrauensbezügen in die persönliche Integrität und die sachliche Leistungsfähigkeit der Politiker bezeichnete. The New Belief in the Common Man, Brattleboro, 1949.

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