Das Meer: Müllkippe, Selbstbedienungsladen oder „Erbe der Menschheit"? Anmerkungen zur 3. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen | APuZ 5/1977 | bpb.de
Das Meer: Müllkippe, Selbstbedienungsladen oder „Erbe der Menschheit"? Anmerkungen zur 3. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen
Jürgen Grimming /Christian Schlupp
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Zusammenfassung
Die dritte Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen, die seit 1973 in fünf mehrmonati-. gen Sitzungsperioden getagt hat, wird im Mai dieses Jahres zu einer möglicherweise entscheidenden Session zusammentreten. Entgegen vielfachen Annahmen, diese Konferenz sei ein langdauerndes Symposion der Meeresvölkerrechtler im Weltmaßtab, muß festgestellt werden, daß es sich dabei um die größte Verteilungsaktion der Weltgechichte handelt. Riesige Meeresteile und Nutzungsrechte am, im, und unter dem Meer stehen zur Disposition: Es geht um die 5/7 der Erdoberfläche, die von Wasser bedeckt sind. Die Küstenstaaten beanspruchen eine Erweiterung ihrer Hoheitsgewässer (Küstenmeer) von bisher 6 auf 12 Seemeilen, die Einrichtung von „Wirtschaftszonen" (mit dem Recht auf exklusive Nutzung) sowie Nutzungsrechte am Festlandsockel, die noch über die 200 smErstreckung der Wirtschaftszone hinaus reichen sollen. Die Dritte Welt versucht für den küstenfernen Tiefseeboden, der unermeßliche Schätze an seltenen und wichtigen Mineralien enthält, die auf dem Lande bald zur Neige gehen können, eine Nutzungsordnung durchzusetzen, die von den Industriestaaten der nördlichen Halbkugel als gefährliches Präjudiz einer neuen Weltwirtschaftsordnung angesehen wird. Dennoch leisten auch sie nur noch hinhaltenden Widerstand gegen eine völlig neu zu schaffende Meeresbodenbehörde als Institut der Vereinten Nationen, die ein eigenes Unternehmen unterhalten und selbst Meeresboden-„Bergbau" betreiben soll. Die Kernfrage ist, wie in einem „Parallelsystem" Staaten und Unternehmen einerseits, sowie das Unternehmen der Meeresbodenbehörde auf der anderen Seite auf dem Meeresboden nach den begehrten „Manganknollen" schürfen können. Die Forderungen der Dritten Welt auf Übertragung (Transfer) von Technologien, Know-how und Ausbildung (möglichst zum Null-Tarif) erschweren eine notwendige und baldige Einigung zusätzlich. Internationale Streitregelung auf dem Meer, Meeresumweltschutz (die Tankerunfälle der jüngsten Zeit belegen seine Notwendigkeit nachdrücklich), die Erhaltung der Schiffahrtsfreiheiten sind weitere Streitpunkte. Begünstigte einer neuen Ordnung der Meere durch Raumgewinn in küstennahen Meeresteilen werden die Staaten mit langen Küsten sein. Die Binnenstaaten und diejenigen Staaten mit kurzen oder ungünstig geschnittenen Küsten (wie die Bundesrepublik Deutschland) gehen leer oder doch fast leer aus. Für die Bundesrepublik Deutschland als Handels-, Schiffahrts-und Fernfischereistaat, als extrem rohstoffabhängiges, hochindustrialisiertes und weltmarktbezogenes Land geht es nicht allein darum, manche überzogenen Forderungen der Dritten Welt zu korrigieren. Für sie besteht auch die Gefahr, daß sich die Wettbewerbsbedingungen gegenüber den Industriestaaten verschlechtern können. Gerade für die Bundesrepublik Deutschland stellt sich deshalb die Notwendigkeit, ihre Technologien und Kapazitäten mit Phantasie, Beharrlichkeit und Augenmaß zu nutzen.
I. Auftrag und Themen der Konferenz
Kaum ein Feld der internationalen Politik ist so lange so wenig beachtet worden wie das der 3. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen. Dafür gibt es viele Gründe. Ein wichtiger Grund dürfte der Veranstalter sein. Alle Vorurteile und Geringschätzigkeiten, die in der Bundesrepublik Deutschland über die Vereinten Nationen im Umlauf sind, haben offenbar über viele Jahre hinweg — von wenigen Fachleuten abgesehen — Unkenntnis, Desinteresse und Überheblichkeit zugleich gefördert. So manche Regierungsstelle hat heute Anlaß zu dieser Erkenntnis.
Die Geschichte der Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen ist fast so alt wie die Organisation der Vereinten Nationen selbst. Angesichts ihres Auftrages (die von den Vereinten Nationen einberufene 3. Seerechtskonferenz soll das geltende Meeres-Völkerrecht zusammenfassen und ergänzen) ist es mehr als verwunderlich, daß gerade in der Bundesrepublik Deutschland der Eindruck entstehen konnte, die Probleme der Seerechtskonferenz seien Fragen, die hier höchstens am Rande interessierten. Inzwischen — wohl gerade noch rechtzeitig — hat es sich herumgesprochen, daß es umgekehrt ist.
Die Bundesrepublik wird als Handels-, Schifffahrts-und Fernfischereistaat, als extrem rohstoffabhängiges, hochindustrialisiertes und weltmarktbezogenes Land (mit der höchsten Exportabhängigkeit unter den Industriestaaten) von der Neugestaltung der Rechte am, im und unter dem Meer direkt betroffen. Es ist das vitale Interesse der Bundesrepublik, bisher ungenutzte oder nicht nutzbare Rohstoffquellen zu erschließen. Die Nutzung dieser neuen Rohstoffquellen erfordert zwar hohe Investitionskosten, da aber nur auf diese Weise zugleich Abhängigkeiten gemindert und ein Stück zusätzlicher Sicherheit für unsere Volkswirtschaft und für die Arbeitsplätze in unserem Lande gewonnen werden können, sind diese Investitionen notwendig und in der Verantwortung für die Zukunft unausweichlich.
Das bedeutet: Moderne Technologien werden den Vorstoß in die Tiefen der Weltmeere eröffnen. Die Bundesrepublik wird damit in die Lage versetzt, mit terrestrischen und marinen Rohstoffproduzenten in Austauschgeschäfte einzutreten. Wissen und Kapital werden sich zusammenfinden in der Verfügungsmacht über die entsprechenden Ressourcen. Für die Bundesrepublik Deutschland, die 10% der Weltbergbauproduktion verbraucht und nur 1 °/o selbst fördert, ist Tiefseebergbau die einzige Möglichkeit, zu einem beachtlichen Maß an Selbstversorgung zu kommen. Immerhin beträgt die Importabhängigkeit bei den Mineralien Nickel, Kupfer, Kobalt und Mangan jeweils 100 n/o.
Fast 5/7 der Erde sind von Wasser bedeckt. Nach Einrichtung von 200-sm-Wirtschaftszonen verbleiben noch knapp 80 % der Meeresfläche, das sind 50 % der gesamten Erdoberfläche, als internationale See. Unter küstenstaatlicher Ressourcenhoheit befinden sich dann 80— 90% der im Offshore-Bereich angenommenen Erdöl-und Erdgasvorräte; im seewärtigen Gebiet zwischen der 200-sm-Linie und dem Fuß des Festlandsockels weitere 5 %. Schon 1974 kamen 17% der Erdölproduktion und 14% der Erdgasförderung der Welt aus Offshore-Lager-Stätten. Diese Anteile nehmen weiter zu und werden beim Erdöl etwa 30 % erreichen. Es ist nicht auszuschließen, daß die Offshore-Ol-Vorräte sogar 50 % der nachgewiesenen Welt-vorräte erreichen. Auf dem Boden der Tiefsee lagern über 100 Mrd. t „Manganknollen“, die hauptsächlich Mangan, Nickel, Kupfer und Kobalt enthalten. Diese Vorkommen bergen etwa das 4000fache der terrestrischen Vorkommen an Mangan, das 1500fache an Nickel und das 15fache an Kupfer.
Was also auf den ersten Blick eine Olympiade der Meeresvölkerrechtler zu sein scheint, ist in Wahrheit ein mit großer Härte, zuweilen sogar mit Verbitterung geführter Verteilungskampf um Nutzungsrechte, Kompetenzen und Räume am und im Meer, um die letzte große Reserve der Menschheit. Es versteht sich von selbst, daß die Weltmeere unter diesen Umständen und Bedingungen kein Selbstbedienungsladen werden können, in dem die Stärksten aus dem Regal nehmen, wonach ihnen der Sinn steht.
Das Ergebnis der Seerechtskonferenz soll eine umfassende Regelung aller Inanspruchnahmen und Nutzungen der Meere für die Bereiche der Schiffahrt, der Fischerei, des Meeresbodenbergbaus, des Meeresumweltschutzes und zu militärischen Zwecken sein. Diese Beschreibung bleibt unzureichend, wenn nicht verstanden wird, daß dies nur die Hauptüberschriften sind. Jedes dieser Kapitel umfaßt zusätzlich eine Vielzahl einzelner Sachbereiche. Was züm Beispiel den Bereich Fischerei angeht, so hat er bildhafte Gestalt auch für das fern-stehende Publikum durch den monatelangen „Kabeljaukrieg" zwischen Großbritannien und Island gewonnen. Dieses Ereignis illustriert, wie handfest und kompliziert es bei der Neuordnung des internationalen Seerechts zugeht. Immerhin handelt es sich bei den Kontrahenten um Verbündete, deren sonstige politische Gemeinsamkeiten und Übereinstimmungen außer Zweifel stehen.
Ein zweites Ereignis, das einer breiten Öffentlichkeit die Probleme verdeutlichte, war die sog. Ölkrise von 1973/74. Da nicht ein jähes Versiegen dieser noch immer lebenswichtigen Rohstoff-und Energiequelle, sondern ein gezielter Lieferstopp — gekoppelt mit willkürlichen Preiserhöhungen — zu einer weltweiten Erschütterung der Volkswirtschaften führte, verstanden plötzlich viele, daß das Erdöl entweder im Wege der Eigenversorgung neu erschlossen werden mußte, oder daß andere Energien an dessen Stelle zu • treten haben würden.
Besondere Bedeutung hat deshalb Großbritanniens und Norwegens erfolgreicher Versuch, Ölvorkommen aus dem Festlandsockel der Nordsee zu gewinnen. Mit Jens Evensen stellt Norwegen einen der Hauptsprecher der Seerechtskonferenz. Es ist auch kein Zufall, daß der norwegische Delegationschef Kabinettsrang hat. Räumlich groß, aber menschenleer, braucht Norwegen eine international verein-barte, völkerrechtlich abgesicherte Regelung seiner Rechte. Die relative Selbständigkeit bei der Mindestversorgung mit Erdöl, die Großbritannien mit der Gewinnung des Nordseeöls erreichen kann, hat nicht zu wachsender Integration und Zusammenarbeit innerhalb Europas geführt. Erst Ende Oktober 1976 ist es den Neun in Den Haag gelungen, wenigstens bei der Hochseefischerei für den Bereich des Nordostatlantiks und der Nordsee ein gemeinsames europäisches Meer zu deklarieren. Selbst hierbei sind aber noch viele, zum Teil sehr schwierige Einzelfragen zu lösen.
Während die Probleme der internationalen Schiffahrt, der Fanggründe und die Gewinnung der Bodenschätze aus dem Meer bekannt sind, sind zwei andere Bereiche bisher, aus unterschiedlichen Gründen, im Hintergrund geblieben: Der marine Umweltschutz und die militärische Nutzung der Meere. Sowohl die NATO als auch der Warschauer Pakt haben das Meer schon seit langem strategisch und taktisch in den Mittelpunkt defensiver oder gar offensiver militärischer Überlegungen gerückt. Als Beispiel, wie weit die Dinge gediehen sind, genügt es, daran zu erinnern, daß schon 1971 ein Meeresbodensperrvertrag geschlossen wurde, mit dem die Lagerung von Massenvernichtungswaffen auf dem Meeres-boden in größerem Abstand als 12 Seemeilen von der eigenen Küste verboten wird („Treaty on the Prohibition of Emplacement of Nuclear Weapons and Other Weapons of Mass Destruction on the Sea-bed and the Ocean Floor and the Subsoil thereof"). Da nur die Militär-giganten über ausreichende Machtmittel, Waffensysteme und Technologien verfügen, die ozeanischen Gebirgslandschaften und den Meeresboden auch als logistische Basen in die eigenen militärischen Planungen einzubeziehen, besteht die Notwendigkeit einer einvernehmlichen völkerrechtlichen Regelung.
Nahe liegt es auch, die Nutzung der Meere in einer Weise einzugrenzen, die verhindern hilft, daß es am, im und unter dem Meer zu ähnlichen Mißbräuchen kommt, wie wir das von der Nutzung der Erdoberfläche und des Erdinnern kennen. Als Beispiel sei an die skandalösen Vorgänge bei der Versenkung hochgiftiger Abfallstoffe in der Adria erinnert. Viel zu lange haben die Warnungen der Fachleute zu wenig Beachtung gefunden und viel zu lange haben Regierungen es zugelassen, daß die Meere als scheinbar endlos regenerationsfähige Müllkippen angesehen werden durften.
II. Drei verlorene Jahrzehnte?
Abbildung 3
Wirtschaftszone
Wirtschaftszone
Die Entwicklung von 1945 bis 1973 Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges leiteten die Vereinigten Staaten mit den beiden Truman-Proklamationen vom 28. 9. 1945 eine neue seerechtliche Entwicklung ein. Sie beanspruchten Fischereierhaltungszonen vor ihren Küsten und die alleinige Nutzung der Rohstoffvorkommen ihres Festlandsockels und seines Untergrunds, ohne sich auf eine räumliche Begrenzung dieser Ansprüche festzuiegen. Allerdings sollte durch eine Trennung der Meeresressourcen der Wassersäule und des Meeresbodens gesichert werden, daß der Rechtscharakter dieser Nutzungen und Nutzungsgebiete die Rechte der Hohen See, besonders die Freiheit der Schiffahrt, nicht einschränkte. herkömmliche Dieser Eingriff in die Freiheit der Meere war schwerwiegend, weitreichend und zukunftsbestimmend und löste eine Welle küstenstaatlicher Zugriffe auf immer größere Meeresteile aus. Erstmals war damit der bis dahin fast ausschließlich geologisch gebrauchte Begriff „Festlandsockel" in die politische und wirtschaftliche Erörterung und in die Rechtsordnung der Völker eingeführt worden — sehr einseitig allerdings.
Wenige Jahre später, 1951, war die Festland-sockel-Doktrin schon so weitgehend im internationalen Bewußtsein verankert, daß die „International Law Commission" einen Entwurf für eine Festlandsockel-Konvention vorlegen konnte, die dem Küstenstaat die ausschließliche Hoheit über die mineralischen Rohstoffe des Festlandsockels zusprach. Bereits 1952 gründeten Chile, Ecuador und Peru mit der Deklaration von Santiago den „ 200-Meilen-Club", der seinen Anspruch 1970 in Monte-video und 1971 in Lima bekräftigte. Vergleichbare Forderungen mit Ansprüchen von 12 bis 200 sm erhob 1971 das „Asian-African Legal Committee".
Parallel zum Festlandssockelkonzept forderten 1972 auf der Konferenz von Santo Domingo zehn Staaten der Karibik ein „Mar Patrimonial" („Patrimonial Sea") von 200 sm, innerhalb dessen die Verfügung über lebende und nichtlebende Ressourcen, die Kontrolle der Meeresverschmutzung und die Regelungskompetenz für die Meeresforschung dem Küsten-staat zufallen sollte. Damit war ein Konzept formuliert, das nahezu sofort Eingang in die Seerechtsdebatten fand und als „Wirtschaftszone" mit Sicherheit Bestandteil des neuen Seerechts sein wird.
Die Prinzipien des formal noch geltenden Seevölkerrechts sind in fünf Konventionen niedergelegt, die von der 1. Seerechtskonferenz (1958) erarbeitet wurden. Es sind dies die Konventionen über — das Küstenmeer und die Anschlußzone — die Hohe See — den Festlandsockel — die Fischerei und die Erhaltung der lebenden Schätze der Hohen See — die obligatorische Beilegung von Streitigkeiten.
Die zur unbestrittenen Verbindlichkeit notwendige weltweite Anerkennung haben diese Konventionen gleichwohl nicht gefunden. Daran vermochte auch eine 2. VN-Seerechtskonferenz (1960) weder sachlich noch politisch etwas zu ändern.
Die ausgearbeiteten Übereinkommen folgten zwar dem Grundsatz der Zweiteilung des Meeresraumes — in einen schmalen küsten-nahen Bereich, der der Souveränität des angrenzenden Küstenstaates untersteht, und den küstenfernen, keiner staatlichen Souveränität unterworfenen Bereich, der allen Staaten zur freien Nutzung offensteht — schränkten ihn freilich gleichzeitig in vielfacher Hinsicht ein. So konnte z. B. in der Frage der Breite des Küstenmeeres keine Einigung erzielt werden. Ein Kompromißvorschlag, der ein 6-sm-Küstenmeer und eine anschließende Fischerei-zone von ebenfalls 6-sm-Breite untet Wahrung bisher ausgeübter Fischereirechte -rend einer Übergangszeit vorsah, erreichte nicht die erforderliche Mehrheit. Zudem war es nicht möglich, die Breite der Anschlußzone (Art. 24 des „Übereinkommens über das Küstenmeer und die Anschlußzone), in der dem Küstenstaat bestimmte polizeiliche Befugnisse zustehen sollten, festzulegen, und das Küstenmeer klar von der Hohen See abzugrenzen. Eine weitere Einschränkung des Grundsatzes der Zweiteilung des Meeresraumes in Küsten-meer und Hohe See erfolgte dadurch, daß jede Nutzung verboten wurde, die andere Nutzer beeinträchtigen oder die marine Umwelt schädigen konnte. Hierdurch sollte eine konfliktlose Nutzung der Hohen See gewährleistet werden. Zum anderen erkannte man schon damals die Gefahren eines weltweiten Raubbaues an den Ressourcen der Meere und sah Maßnahmen über die Fischerei und die Erhaltung des biologischen Gleichgewichts in der Wassersäule vor. hier wurden dem Auch Küstenstaat Vorrechte zugestanden, die es ihm erlauben sollten, in den an sein Küsten-meer Teilen der Hohen einseitig See Schutzmaßnahmen zu treffen, sofern einvernehmliche Regelungen unter den in diesen Gewässern fischenden Staaten nicht zustande kämen.
Eine weitere Durchbrechung des Grundsatzes der Zweiteilung des Meeresraumes enthält'die Festlandsockel-Konvention. Präsident Truman hatte 1945 den Anspruch auf den Festland-sockel außerhalb des Küstenmeeres mit dem Hinweis begründet, dieser müsse als natürliche Fortsetzung der Landmasse des Küsten-staates betrachtet werden und begründe dessen funktional begrenzte Hoheit für die Ausbeutung der in ihm lagernden Rohstoffe. Mit der weltweiten Aneignung dieses Prinzips reduzierte sich jedoch nochmals der Grundsatz der Nutzungsfreiheit der Hohen See, in dem der Meeresboden, der bisher der freien Nutzung durch alle Staaten offenstand, um den jeweils beanspruchten Festlandsockel geschmälert wird.
Da man 1958 noch davon ausging, daß es im 20. Jahrhundert nicht möglich sein werde, den Meeresboden in Tiefen über 200 m wirtschaftlich zu nutzen und eine Einigung unter den Konferenzteilnehmern nicht zu erzielen war, wurde in der Festlandsockel-Konvention der Begriff „Festlandsockel" nicht eindeutig genug beschrieben. Die Definition als „Meeresgrund und Meeresuntergrund der an die Küsten grenzenden Unterwasserzonen außerhalb des Küstenmeeres bis zu einer Tiefe von 200 m oder darüber hinaus, soweit die Tiefe des darüber befindlichen Wassers die Ausbeutung der natürlichen Reichtümer dieser Zonen gestattet", blieb unbestimmt.
Die beiden Seerechtskonferenzen von 1958 und 1960 bestätigten zwar noch einmal den hergebrachten Grundsatz der Freiheit der Meere, doch enthielten die verschiedenen Konventionen schon einen Großteil der Probleme, die seit Jahren das herkömmliche Seerecht in Frage stellen. So überrascht es nicht, daß weit weniger als die Hälfte der damaligen VN-Mitglieder die Genfer Konventionen von 1958 und 1960 ratifiziert haben. So ist es fast logisch, daß kaum eine der jungen, eben aus der kolonialen Vormundschaft entlassenen Nationen die Notwendigkeit sah, eine Freiheit der Meere zu akzeptieren, die den industrialisierten, in großem Stil fernfischenden und Handel treibenden oder große Kriegsflotten auf den Weltmeeren unterhaltenden Mächten allein zugute zu kommen schien.
• Doch nicht die Unzufriedenheit mit dem alten Seerecht, das den politischen, strategischen, ökologischen und den Notwendigkeiten des Seeverkehrs einer sich schnell . ändernden Welt nicht mehr Rechnung trug, sondern die Initiative eines einzelnen war es, die eine Umwälzung des überkommenen Seerechts einleitete: Arvid Pardo, VN-Botschafter des Inselstaates Malta, schlug auf der 22. Vollversammlung der Vereinten Nationen im August 1967 eine „Erklärung und Vertrag, betreffend die Reservierung des Meeresgrundes und Ozeanbodens unter den Gewässern außerhalb der gegenwärtigen nationalen Jurisdiktion für ausschließlich friedliche Zwecke und die Nutzung ihrer Naturschätze im Interesse der Menschheit" vor. Pardo führte aus, daß Meeresgrund und Ozeanboden, die 5/7 der Erdoberfläche ausmachen, die einzigen „Gebiete auf unserem Planeten" seien, die noch „nicht für nationale Zwecke angeeignet worden sind" und forderte, der küstenferne Meeresboden dürfe weder nationaler Aneignung noch militärischem Gebrauch offenstehen oder anders als im Interesse der gesamten Menschheit genutzt werden. Er solle als „gemeinsames Erbe der Menschheit" internationaler Treuhandschaft unterstellt, Gewinne aus einer Ausbeutung sollten für die Entwicklungsförderung armer Länder verwandt werden.
Diese Initiative führte nur zu langsamen, prozeduralen Fortschritten, deren bedeutendste die Institutionalisierung eines Ständigen Meeresbodenausschusses war. 1971 wurde von den Supermächten mit dem Meeresbodensperrvertrag die Meeresbodenabrüstung, eine Kernfrage der Meeresbodenproblematik, „abgekoppelt". 1969 leitete wiederum Malta eine Wende der Beratungen mit einem Resolutionsentwurf ein, der die Ausweitung des Beratungsgegenstandes auf das gesamte Meeresvölkerrecht forderte und im Dezember 1970 zu dem mit überwältigender Mehrheit angenommenen Beschluß führte , für 1973 eine Seerechtskonferenz einzuberufen. Diese Konferenz sollte sich zwar auch mit den Gegenständen der beiden Genfer Vorläuferkonferenzen befassen, doch sollte ihr Hauptthema eine internationale Nutzungsordnung für den küstenfernen Meeresboden sein. Von ihr erhoffte man, sie werde eine Übereinkunft über die anderen auszuhandelnden Fragen erleichtern. Noch am selben Tag erging eine Prinzipienerklärung, die den Meeresboden und seine Schätze zum „gemeinsamen Erbe der Menschheit" deklarierte und einem Aneignungsverbot unterwarf.
Die Vorarbeiten des Meeresbodenausschusses, den die 25. VN-Vollversammlung beauftragt hatte, Artikelentwürfe „zur Institutionalisierung eines internationalen Regimes und einer internationalen Behörde für das Gebiet und die Schätze des Tiefseebodens und -Unterbodens jenseits der Grenzen nationaler Jurisdiktion und dem breiten Spektrum der Fragen der Hohen See, des Festlandsockels, des Küstenmeeres, seiner Breite und der Frage der Meerengen, der Anschlußzone, der Fischerei und der Erhaltung der lebenden Ressourcen der Hohen See, der besonderen Rechte von Küstenstaaten, der Erhaltung der marinen Umwelt (einschließlich der Abwehr von Umweltverschmutzung) und der wissenschaftlichen Meeresforschung" zu erarbeiten, konnte der 28. VN-Vollversammlung nicht einen einzigen Konventionsentwurf, dafür aber einen 53 Artikel umfassenden Entwurf einer „VNKonvention den Tiefseeboden und -Unterboden jenseits der Grenzen nationaler Jurisdiktion" betreffend, 70 Vertragsentwürfe, Deklarationen und Arbeitspapiere zur Küsten-meer-, Meerengen, Archipelstaaten-, Fischerei-und Wirtschaftszonenfrage sowie 26 Dokumente zur Umwelt-und Forschungsfrage unterbreiten.
Trotz dieses wenig erfolgversprechenden Beratungsstandes berief die 28. VN-Vollversammlung für 1973 die 3. VN-Seerechtskonferenz ein. Mit der Eröffnung deren erster Sitzungsperiode wurde der Meeresbodenausschuß formell aufgelöst. Seither liegt die Verantwortung für die Neuordnung des Meeresvölkerrechts bei der gesamten Staatengemeinschaft.
III. Zwischen Anspruch und Enttäuschung
Abbildung 4
Festlandsockel (= Kontinentalschelf)
Festlandsockel (= Kontinentalschelf)
Zur Arbeit und den Ergebnissen der 3. Seerechtskonferenz Seit 1973 haben fünf Sitzungsperioden der 3. Seerechtskonfernz stattgefunden: in New York vom 3. bis 15. 12. 1973, in Caracas vom vom 20. 6. bis 29. 8. 1974, in Genf vom 17. 3. bis 9. 5. 1975, in New York vom 15. 3. bis 7. 5. 1976 und vom 2. 8. bis 17. 9. 1976.
Die erste Session befaßte sich ausschließlich mit Organisations-und Verfahrensfragen. Schon dabei wurde deutlich, welchen Spannungen die Verhandlungen ausgesetzt sein würden. Als Erfolg ihres geschlossenen Auftretens und ihrer gründlichen Vorbereitungen gelang es den Staaten der Dritten Welt, sich vier wesentliche Positionen zu sichern: Den Konferenzpräsidenten, der zugleich Vorsitzender des Lenkungsausschusses ist, stellte Sri Lanka; den Konferenzrapporteur Jamaika; den Vorsitzenden des Hauptausschusses (Meeresbodenregime) Kamerun; den Vorsitzenden des Hauptausschusses II (Küstenzone und Hohe See) Venezuela. Der Hauptausschuß III (Meeresumweltschutz, Meeresforschung und Technologietransfer) wird von einem Vertreter Bulgariens geleitet.
Man muß schon sehr großzügige Vorstellungen von Ausgewogenheit haben, um in einer solchen Konferenzstruktur halbwegs gleichgewichtige und sachorientierte Ausgangsbedingungen zu erkennen.
Der zweite Teil der 1. New Yorker Session galt den Verfahrens-und Abstimmungsregeln. Sie sehen vor, daß Beschlüsse über wichtige Angelegenheiten auf dem „Konsensweg", d. h. durch den Zwang zum Aushandeln tragfähiger Kompromisse erzielt werden müssen. Dies entspricht der Konferenzaufgabe, Regelungen zu erarbeiten, die in ihrer Gesamtheit den Interessen aller Teilnehmerstaaten wenigstens soweit entsprechen, daß bei Abwägung aller Aspekte ein schließlich für alle Staaten akzeptabler Kompromiß erzielt werden kann.
Die zweite Session in Caracas war (mit nahezu 3000 Delegierten aus fast 140 Staaten der Erde) die bisher größte internationale Konferenz überhaupt und zeigte sichtbar die Schwierigkeiten, die mit einer umfassenden Neuordnung der Nutzungsrechte der Staaten und der Staatengemeinschaft am und im Meer verbunden sein würden.
Mit Beginn der materiellen Arbeit brachen bei fast allen Problemen und in nahezu allen Bereichen die Interessengegensätze hervor. Die Vision des „Gemeinsamen Erbes der Menschheit", unter der die Neuordnung des Meeresvölkerrechts in Angriff genommen worden war, trat in den Hintergrund und wurde von der Neigung zur Aneignung möglichst großer Teile des Meeresraums durch die Küstenstaaten überdeckt. Eine noch heute andauernde Entwicklung nahm ihren Anfang: Aus dem moralischen Anspruch auf das „Erbe der Menschheit" wurde ein Streit der Erben um den größtmöglichen Anteil an der Erbmasse. Konkret erbrachte die Caracas-Session eine Einigung über die Abstimmungsmodalitäten und über die Anwendung des Konsensprinzips bei Beschlüssen über wichtige Fragen. Dem zweiten der drei Hauptausschüsse gelang mit der Formulierung von „Main Trends" eine Zusammenstellung von Textalternativen zu 13 Themenpositionen der 3. Seerechtskonferenz. Sie waren am Ende das einzige substantielle Ergebnis dieser Sitzungsperiode.
Nach der Klärung der Positionen auf der 2. Session der Seerechtskonferenz in Caracas und der Bündelung von Varianten zu Themen des II. Ausschusses im Arbeitspapier „Main Trends" kam es auch in Genf nicht zu Verhandlungen im Gesamtrahmen der Seerechts-konferenz, sondern nur zu solchen innerhalb der Interessengruppe, die die Verhandlungen innerhalb der Konferenzstruktur überlagerten. Es stellte daher einen beachtlichen Fortschritt dar, daß aufgrund eines im Konsenswege ergangenen Konferenzmandats die Vorsitzenden der drei Hauptausschüsse unter persönlicher Verantwortung variantenfreie Arbeitstexte ihrer Ausschußgegenstände als Grundlage für künftige Verhandlungen gegen Ende der Genfer Session zusammenstellten.
Dieser „Informal Single Negotiating Text" (ISNT) sollte keine Delegation binden; Streichungs-, Zusatz-und Abänderungsanträge sollten jederzeit möglich sein. Ungeachtet dessen mußten diese Texte als Verhandlungsgrundlage große Bedeutung erlangen, da ihnen die Funktion der sonst üblicherweise bei Kodifikationskonferenzen vorliegenden Konventionsentwürfe zufiel. Damit wuchs den Vorsitzenden der Hauptausschüsse großes persönliches Gewicht und erheblicher Einfluß auf die Gestaltung einer künftigen Konvention zu, da ihre Vorlagen ehebliche faktische Gestaltungswirkungen nach sich ziehen mußten, die durch die Immobilität der Konferenzstruktur noch vergrößert wurde.
Die vierte Sitzungsperiode in New York diskutierte während ihrer gesamten Dauer in informellen Sitzungen der Hauptausschüsse den „ISNT". Den Delegationen stand einzeln oder gruppenweise die Möglichkeit offen, Abänderungsvorschläge zu den einzelnen Artikeln einzubringen, ohne daß sie sich dadurch an den Inhalt des „ISNT" oder die eingebrachten Abänderungsvorschläge banden. Aufgrund ihrer Bewertung und Gewichtung dieser Diskussion arbeiteten die Vorsitzenden der Ausschüsse I, II und III einen revidierten Text aus, den „Revised Single Negotiating Text" (RSNT). Er ist formal ebensowenig bindend wie der ISNT, bezieht jedoch eine Abwägung von zustimmenden und ablehnenden Voten durch die Ausschußvorsitzenden ein und bedeutet dadurch eine weitere Verfestigung und Vorentscheidung der Konferenzmaterien.
Entgegen allen Erwartungen, die nach Fertigstellung des RSNT in die 5. Session in New York gesetzt wurden, gelang es dieser nicht, einen Konventionsentwurf zu erarbeiten. Dennoch wäre es verfehlt, aus dem scheinbaren Stillstand der Verhandlungen einen Rückschritt abzuleiten. Die Ausschüsse II und III vermochten in wichtigen Konferenzmaterien Grundlagen für einen Konsens zu erarbeiten. Im Ausschuß I konnte dafür weder Überein-stimmung zu einem allgemeinen Konzept des Meeresbodenregimes noch zu einzelnen Artikelentwürfen erzielt werden, da weder die am Meeresbergbau interessierten Industriestaaten noch die in der Gruppe 77 organisierte Dritte Welt zum Nachgeben bereit war. Dafür sind klarer als je zuvor die konträren Positionen einander gegenübergestellt und die Notwendigkeit politischer Lösungen erkannt worden. Aus diesem Grunde ist man übereingekommen, in zahlreichen informellen und intersessionalen Runden die bevorstehenden Sitzungen und das Terrain für Kompromisse vorzubereiten. Um diese herbeizuführen, wird es noch vieler multi-und bilateraler Kontakte und Gespräche der Hauptindustrieländer mit den Entwicklungsländern bedürfen.
Das langsame Vorankommen der Seerechts-konferenz während der bisherigen Sitzungsperioden darf nicht dazu führen, Kontroversen über-und bisher erzielte Ergebnisse unterzubewerten. Auch die 5. Session hat zu einer Konsolidierung der Texte beigetragen und deren grundlegende Bedeutung für eine künftige Konvention vermehrt. Für Fachleute ist es unstreitig, daß sich eine solche Konvention schließlich durch ihre bloße Annahme harmonisierend und dämpfend auf die Praxis der Staaten auswirken wird, auch wenn die nationalen Ratifikationsverfahren erst Jahre danach abgeschlossen sein werden.
Man muß sich immer wieder vor Augen halten, was es bedeutet, Regelungen zu finden, die — bei Abwägung aller positiven und negativen Aspekte — die legitimen Interessen aller beteiligten Staaten soweit befriedigen, daß ein für alle annehmbarer, tragfähiger und dauer-B hafter Kompromiß zustande kommt, über 60 Staaten haben nach der 1. Seerechtskonferenz neu die internationale Bühne betreten. Sie haben erst während der Konferenzen Gelegenheit gehabt, die technologischen Fortschritte der Meeresnutzung, die drohende Ausplünderung der Fischbestände, die Notwendigkeit des Meeresumweltschutzes und ihre eigenen Sicherheitsinteressen in ihre Politik einzubeziehen.
So unterschiedliche und auch für die ferne Zukunft bedeutsame Fragen wie die Ausdehnung des Küstenmeeres, die Einrichtung von 200sm-Wirtschaftszonen, die Gestaltung und Erhaltung der Schiffahrtsfreiheiten, der Meeres-umweltschutz, die Meeresforschung, die Fischerei, eine internationale Nutzungsordnung für den küstenfernen Meeresboden und Verfahren internationaler Streitschlichtung können nicht sofort zu Ergebnissen gelangen. Auch die vielfältigen Interessengruppen (Küstenstaaten, Binnen-und geographisch benachteiligte Staaten, Schiffahrts-und Meeresforschungsstaaten) haben Jahre benötigt, um zu einem Gruppenkonsens zu gelangen und schließlich in Intergruppengesprächen zu Kompromissen zu finden.
IV. Das neue Seerecht
Abbildung 5
Streitregelung
Streitregelung
Position und Forderungen der Bundesrepublik Deutschland In einer Entschließung der Koalitionsfraktionen von SPD und FDP anläßlich der Seerechts-debatte des Deutschen Bundestages am 2. Juli 1976 wurden Prioritäten und Forderungen der Bundesrepublik Deutschland noch einmal zusammengefaßt. Es sind: 1. Freier, rechtlich geordneter und nicht diskriminierter Zugang zu den Meeresbodenressourcen jenseits nationaler Jurisdiktion; 2. ungehinderter Seeverkehr; 3. Sicherung unserer Eiweißversorgung aus dem Meer sowie des Einsatzes und der Weiterentwicklung unserer Fischereitechnologie; 4. internationale Regelung des Meeresumweltschutzes unter Ausschluß von Mißbrauchsmöglichkeiten ; 5. Betätigungsmöglichkeiten für unsere wissenchaftliche Meeresforschung.
Punkt 1 dieses Prioritätenkatalogs der Konferenz ist das Kernproblem der Verhandlungen überhaupt. Die Entwicklungsländer, vertreten durch die „Gruppe der 77", die rein rechnerisch über eine Zweidrittelmehrheit der Konferenz verfügen, wünschen ein Ausbeutungsmonopol einer VN-Meeresbodenbehörde bei obligatorischem Technologie-, Ausbildungs-und Kapitaltransfer durch die Industriestaaten — wenn möglich zum Nulltarif. Diese Forderung ist unerfüllbar und hat keine Chance, in eine Konvention einzugehen. Fast alle Industrienationen, auch die des Ostblocks, weisen solche Maximalforderungen als unrealistisch zurück und darauf hin, daß man sie nicht nötigen könne, ihre marinen Technologien, Kapital und
Spezialisten einzubringen, während die Entwicklungsländer ohne eigenes Zutun den Gewinn für sich in Anspruch nehmen wollen.
Die Industrieländer fordern überdies eine abschließende Liste klar definierter Abbauvoraussetzungen, um einer künftigen Meeresbodenbehörde kein freies und möglicherweise diskriminierendes Ermessen zuwachsen zu lassen. Gesicherter Zugang und Investitionssicherheiten sind angesichts der immensen Abbaukosten (für die Erschließung eines Manganknollenfeldes rechnet man mit Kosten von 1— 2 Mrd. DM) nach ihrer Meinung unerläßliche Voraussetzungen.
Der frühere US-Außenminister Kissinger hat auf der vergangenen Konferenz möglicherweise die Richtung einer Kompromißregelung gewiesen, indem er Vorschläge zu einem „Parallelsystem", d. h. Abbautätigkeit einer VN-Behörde neben der Abbautätigkeit von Staaten und Unternehmen am Tiefseeboden, erläuterte. Er schlug vor, das Abbauunternehmen der Meeresbodenbehörde („Enterprise") möglichst bald funktionsfähig zu machen und das dafür erforderliche Instrumentarium rasch zu schaffen. Seine Absicht dürfte gewesen sein, die Entwicklungsländer dadurch zur Annahme eines Parallelsystems zu bewegen, daß das „Enterprise" möglichst zeitgleich mit den Industrieländern zum Abbau der Tiefseebodenmineralien befähigt wird.
Die Vereinigten Staaten haben im übrigen immer wieder erklärt, daß sie nicht endlos darauf warten werden, mit dem Tiefseebodenbergbau zu beginnen. Diese Mahnung ist ernst zu nehmen. Viel Kapital ist bereits investiert, die Tiefseeboden-Industrie steht „Schaufel bei Fuß". Die Dritte Welt weiß dies. Sie wird ihre bisherigen Konferenzerfolge letztlich nicht aufs Spiel setzen wollen, denn neben den großen nationalen US-Konzernen gibt es eine Anzahl internationaler Konsortien, die einem einseitigen Vorgehen der USA aus Selbsterhaltungstrieb folgen müßten. Auch die Bundesrepublik würde ihre Meeresbodeninteressen dann, notfalls im Huckepack-Verfahren, geltend machen müssen, etwa über ein US-kanadisch-japanisch-deutsches Konsortium, dem sie seit Jahren angehört.
Für die Bundesrepublik Deutschland und ihre weltweiten Handels-und Wirtschaftsinteressen ist die Aufrechterhaltung einer freien und ungehinderten Schiffahrt auf den Weltmeeren ein unverzichtbarer Bestandteil des internationalem Seerechts. Nach dem gegenwärtigen Verhandlungsstand kann damit gerechnet werden, daß die neue Seerechtskonvention die bisher für die Schiffahrt geltenden Regeln nicht einschneidend verändern wird. Ungehinderter Seeverkehr in Küstenmeer und Wirtschaftszonen hat gute Aussichten im Sinne einer modifizierten und nach internationalen Regeln geordneten Schiffahrtsfreiheit. Hier ist die Einsicht vieler Staaten gewachsen, die selbst an der Schwelle zur Schiffahrtsnation stehen, daß Einschränkungen der Schiffahrtsfreiheiten Störungen des Weltseeverkehrs und damit des Welthandels nach sich ziehen müßten.
Die wichtigen Fragen der freier und ungehinderten Durchfahrt durch Meerengen, des Rechtscharakters der Wirtschaftszone und die Ausdehnung der Ressourcen-Jurisdiktion der Küstenstaaten auf den Festlandsockel auch über 200 sm hinaus stehen vor einer Regelung, die zwar die Rechte des Küstenstaates beträchtlich erweitert, Dritte aber nur zumutbar belastet. Dennoch muß der Besorgnis Rechnung getragen werden, daß Küstenstaaten, sei es aus Furcht vor Schädigung ihrer marinen Umwelt oder zum Schutz ihrer Sicherheitsoder Wirtschaftsinteressen, die ihnen in einer künftigen Konvention zuerkannten Rechte und Befugnisse zu Lasten der internationalen Schiffahrt interpretieren und anwenden könnten. Daher muß der Definition und Eingrenzung der küstenstaatlichen Rechte und Befugnisse bei der Formulierung der Konventionsbestimmungen auch weiterhin besondere Aufmerksamkeit zugewandt werden.
Das schwierige, aber bei beiderseitigem guten Willen lösbare Problem einer gerechten Abwägung zwischen den legitimen Interessen des Küstenstaates einerseits und den Bedürfnisen der internationalen Schiffahrt andereits wird zusätzlich dadurch belastet, daß die Schiffahrtsfreiheit grundsätzlich auch für Kriegsschiffe gilt. Hier haben viele Staaten — im Gegensatz zu den strategischen Interessen der großen Seemächte — den Wunsch, fremde Kriegsschiffe von ihren Küsten fernzuhalten. Die Supermächte USA und UdSSR haben freilich schon zu Beginn der Konferenz gemeinsam deutlich gemacht, daß für sie eine Beschränkung ihrer militärischen Aktivitäten zur See die Annahme einer Seerechtskonvention unmöglich machen würde.
Was die Hochseefischerei angeht, so droht der Bundesrepublik (de jure) die Behinderung des Zugangs zu vielen traditionellen Fanggründen. Die Neuverteilung der Fischbestände der Weltmeere, die in den Wirtschaftszonen die Fischerei in diesen Meeresteilen praktisch der alleinigen Verfügung durch den jeweiligen Küstenstaat unterstellt, trifft die Bundesrepublik, die wie andere Fernfischereistaaten (Sowjetunion, Japan, Polen, DDR) den größten Teil ihrer Fänge aus Fischgründen vor anderen Küsten bezieht, besonders hart, weil sie vor der eigenen Küste keinen Ersatz für die künftig dem Küstenstaat zur vorrangigen Ausbeutung zufallenden Fischgründe finden kann.
Mit Sicherheit werden die Beratungen über die Ausgestaltung eines „EG-Meeres" (einer gemeinsamen Wirtschaftszone der Mitgliedstaaten der EG) Zeit erfordern und der Gemeinschaft harte Belastungsproben auferlegen. Viele Küsten-und Binnenstaaten blicken dennoch erwartungsvoll auf die Bemühungen der Europäischen Gemeinschaft und erhoffen von ihr ein Modell für die Zusammenarbeit in regionalen Wirtschaftszonen.
Die Bundesrepublik Deutschland besitzt mit ihren Fangtechnologien und ihrer modernen Trawler-und Frosterflotte ein Kapital, das es nicht nur innerhalb der EG, durch Verhandlungen der EG mit Drittstaaten und bilateral zu erhalten gilt, sondern das auch, z. B. für die Eiweißversorgung der Dritten Welt, eingesetzt werden könnte.
Auch in der Meeresforschung scheinen die Bestimmungen de jure einschneidender, als sie sich faktisch auswirken werden. Die Konferenz hat die Unterscheidung zwischen einer genehmigungsfreien Grundlagenforschung in der Wirtschaftszone und einer genehmigungspflichtigen Ressourcen-Forschung fallengelassen und strebt an, alle Vorhaben der Meeres-forschung einer, allerdings qualifizierten, Zustimmungsregelung zu unterstellen.
Die Bundesrepublik Deutschland ist nach dem Stand ihrer Meeresforschung und ihrer Meerestechnologien nach den USA in der Welt führend. Ein Gesamtprogramm Meeresforschung und Meerestechnik der Bundesregierung für den Zeitraum 1976— 80 in Höhe von 1 Mrd. DM unterstreicht die Absicht, diesen Leistungsstandard zu halten und — wenn möglich — noch zu steigern. Hier verfügt die Bundesrepublik Deutschland über ein Trumpf-As beim Seerechtspoker, das sie ohne Zaudern einsetzen wird in Wahrung ihrer vitalen Interessen.
V. Probleme, Frontstellungen — und kein Ende?
Die Absicht, das internationale Seerecht zusammenzufassen und zu erneuern, ist ein ebenso ehrgeiziges wie drängendes Vorhaben. Es ist ermutigend, daß — bei aller Unterschiedlichkeit der politischen Standpunkte — während keiner der bisherigen fünf Sitzungsperioden der 3. Seerechtskonferenz auch nur der Eindruck von Obstruktion aufgekommen ist. Selbst da, wo während der 5. Session als sicher ausgehandelt geltende Ergebnisse der 4. Session wieder in Frage gestellt wurden, hatte das andere Gründe. Unzweifelhaft machten und machen vor allem die Staaten der Dritten Welt einen Lernprozeß durch, der, wenn er auch mit Zeitverlusten verbunden ist, am Ende hilfreich sein könnte. Die wachsende Einsicht in Quantität und Qualität der Probleme und ihrer Lösungsmöglichkeiten haben manchen heilsamen Schock ausgelöst.
Gleichwohl gibt es keinen Zweifel daran, daß die Erfolgsaussichten der Konferenz eng verknüpft sind mit der weiteren Entwicklung der derzeitigen weltpolitischen Machtfragen. Entspannung — oder jedenfalls Entkrampfung — zwischen Ost und West haben die Chancen der Konferenz verbessert, ohne daß deshalb schon der Schluß zulässig wäre, daß nun ein Klima ausschließlich sachorientierter Verhandlungen gegeben sei. Da überdies der Nord-Süd-Konflikt mit der Diskussion um eine neue Weltwirtschaftsordnung ein bisher nicht erreichtes Maß politischen Gewichts gewonnen hat, wobei diese weltweiten AuseinanderSetzungen sich vielfach berühren, überlagern oder sogar bedingen, ist es auch deshalb unrealistisch, an einen schnellen Fortschritt oder gar Abschluß der Konferenz zu denken. Die Tatsachen mahnen zur Geduld, ohne daß sich damit etwas an der grundsätzlichen Notwendigkeit ändert, zu einer Neuordnung des Meeres-Völkerrechts zu kommen. Mit Entschiedenheit muß der gelegentlich vertretenen Meinung widersprochen werden, daß ein Scheitern der Seerechtskonferenz das bisher geltende Meeres-Völkerrecht fortbestehen ließe. Formalrechtlich mag diese Argumentation zutreffend sein, in der Praxis hätte dieser Irrtum, wenn er zur Politik würde, eine geradezu selbstzerstörerische Dimension. Schon heute steht beispielsweise fest, ohne daß ein einziges abschließendes Ergebnis der Konferenz vorliegt, daß es zu einer allseits beanspruchten und damit auch anerkannten 200Seemeilen-Wirtschaftszone kommen wird. Das gleiche gilt für die 12-Meilen-Zone der nationalen Küstengewässer, die die jahrhundertealte 3-Meilen-Zone ablöst.
Eine Umverteilung oder Erschließung der Reichtümer des Meeres ist nicht zu trennen von der historischen Erfahrung, die bei der Nutzung und Verteilung der terrestrischen Reichtümer gemacht wurden. In dieser Frage spielen deshalb nicht zufällig auch ideologische Frontstellungen eine wichtige Rolle beim Fortgang der Konferenz. Das Verhältnis der Delegationen aus den beiden deutschen Staaten ist bisher durch ein beachtliches Maß sachlicher Kooperation gekennzeichnet, die aus vielfältiger Übereinstimmung der Interessen und absehbaren Folgewirkungen herrührt.
Darüber hinaus spielen regionale Zusammenschlüsse eine wesentliche Rolle. Ein wichtiges Beispiel dafür könnte die europäische Gemeinschaft werden. Ihre Position, bisher bestenfalls durch vertrauensvolle Konsultation gekennzeichnet, scheint nunmehr auf den einzig aussichtsreichen Weg der Gemeinsamkeit — wenigstens in der Frage der Fischerei und der Sicherung der Fanggründe — auszugehen. Allerdings läßt sich auch hier nicht übersehen, daß handfeste nationale Interessengegensätze die Position der Europäischen Gemeinschaft negativ beeinflussen könnten. Es wäre den Steuerzahlern der Bundesrepublik Deutschland, die auch Wähler sind, gewiß nicht klar-zumachen, warum die Bundesrepublik Deutschland, die inzwischen über den — neben den USA — höchsten technologischen Standard auf allen Gebieten der Meeresbodentechnik und ihrer Anwendung verfügt, dieses Wissen an andere weitergeben sollte ohne dafür ihrerseits, etwa im Bereich der Fischerei oder bei der Offshore-Rohstoffgewinnung, angemessen beteiligt zu werden.
Wir werden uns darauf einzustellen haben, daß am Ende der Seerechtskonferenz der Abschied von einem schönen Traum stehen wird, der Abschied von der „Freiheit der Meere". Diese Freiheit, die ohnehin immer — wie so viele Freiheiten dieser Welt — nur denen zu Gebote stand, die über die Macht und die Mittel verfügten, sie in Anspruch zu nehmen, wird bestenfalls in einer eingeschränkten Form großzügiger Zugeständnisse und teuer erkaufter Gegenleistungen erhalten bleiben.
Diejenigen Staaten, die durch ihr Kapital und ihre Technologien den Meeresbodenbergbau erst ermöglichen, müssen auf Wirtschaftlichkeit, Rechts-und Investitionssicherheit bestehen. Am Ende bietet wohl nur ein marktwirtschaftliches Kooperationsmodell, das auf dem Prinzip internationaler „Sozialbindung" und Solidarität beruht, Aussicht auf Erfolg.
Jürgen G r i m m i n g , geboren 1938 in Berlin; Verwaltungslehre, Ausbildungsleiter für Praktikanten aus Entwicklungsländern, Leiter des Büros des Bürgermeisters von Berlin und des Senators für Inneres. Als Mitglied des 7. Deutschen Bundestages Teilnahme an der 5. Session der 3. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen in New York. Christian Schlupp, geboren 1940; Studium der Geschichte und Politischen Wissenschaft in Tübingen und Bonn. Als Referent der SPD-Bundestagsfraktion und ihrer Arbeitsgruppe „Seerechtskonferenz" Teilnahme an der 4. und 5. Sitzungsperiode der 3. Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen in New York. Verschiedene Veröffentlichungen zur Seerechtsproblematik.