Der Streit um die „streitbare Demokratie".Zur Kontroverse um die Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst
Friederike Fuchs/Eckhard Jesse
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Zusammenfassung
Die Auseinandersetzung um die Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst ist nicht ohne die historischen Hintergründe und die Demokratiekonzeption des Grundgesetzes hinreichend zu verstehen. Im Gegensatz zur Weimarer Republik besitzt die Bundesrepublik Deutschland eine Verfassung, die sich zu unantastbaren Werten bekennt und Vorkehrungen zu ihrem Schutz trifft. Die Wertgebundenheit (Art. 79, 3 GG) steht dabei in einem engen und konsequenten Zusammenhang zur Wehrhaftigkeit (Art. 18 GG und Art. 21, 2 GG). Ein Kernstück der „streitbaren Demokratie" ist der Schutz der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung". Die Kritik an ihr hat im Zuge einer Renaissance marxistischer Ideologie zugenommen. Dabei wird häufig übersehen, daß die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung keine bestimmte gesellschaftliche Ordnung festschreiben. Wer sich für die „streitbare Demokratie" engagiert, plädiert nicht für politische Bravheit oder Kritiklosigkeit, sondern für eine offene . Gesellschaft mit alternativen Konzeptionen. Es ist eine Fehlinterpretation, die „streitbare Demokratie" kurzschlüssig im Sinne einer Harmonie-Ideologie zu verstehen. Leider haben manche Intellektuelle einen früher bestehenden Konsens in der Bejahung der „streitbaren Demokratie" aufgekündigt. Dies erhellt auch die emotionsgeladene Kontroverse um die Frage, wie politischen Extremisten der Zugang zum öffentlichen Dienst verwehrt werden soll. Die Vereinbarungen der Ministerpräsidenten der Länder mit dem Bundeskanzler vom 28. Januar 1972 und deren Folgen gehören zu den am leidenschaftlichsten diskutierten innenpolitischen Themen, obgleich es sich bei jenem Beschluß im Grunde nur um die Bestätigung eines 1950 vom damaligen Innenminister Heinemann herausgegebenen Erlasses handelt. Die Parteien konnten sich nach dem grundlegenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 1975 — trotz nur geringfügiger Unterschiede — nicht auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf einigen. Angesichts der Notwendigkeit, eine einheitliche Regelung zu erzielen, wird hier ein verschiedenen Seiten Rechnung tragender Vorschlag wieder aufgegriffen. Er soll sowohl ein Höchstmaß an Rechtsstaatlichkeit als auch an Effizienz garantieren. Obwohl keineswegs jegliche Kritik am „Extremistenbeschluß" das Geschäft von Extremisten besorgt, verfälschen bestimmte Argumentationsstereotypen, die zur Gebetsmühle vieler Kritiker gehören, die rechtsstaatliche Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland grotesk. Die Wirksamkeit der beschworenen „Solidarität aller Demokraten" könnte daran gemessen werden, ob die großen Parteien darauf verzichten, aus dem Extremismus-Problem Kapital zu schlagen. Uber allem legitimen Streit sollte nämlich das Bewußtsein vorhanden sein, daß man gegenüber dem Extremismus „in einem Boot sitzt".
Der Streit um die Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst gehört seit 1972 zu den innenpolitischen Problemen der Bundesrepublik Deutschland, die am leidenschaftlichsten debattiert werden. Den häufig nicht sine ira et studio geführten Diskussionen fehlt es selten an Engagement, wohl aber oft an nüchtern-rationaler Abwägung der Fakten. Dies gilt zumal für viele Gegner der Regelungen gegen den politischen Extremismus im öffentlichen Dienst. Da ist, in verhängnisvoller Verharmlosung der nationalsozialistischen Praktiken, von einem „politischen Ariernachweis" für den Staatsdienst die Rede oder von einer „Kulturschande im Herzen Europas" Verzerrend-vordergründige Schlagworte wie „Berufsverbot" und „Hexenjagd", die dazu beitragen, Emotionen zu schüren, haben in gewissen Kreisen geradezu kanonische Geltung gewonnen und gehören zu den eher „harmlosen" Begleiterscheinungen des „publizistischen Trommelfeuers" Dabei fällt auf: Die drei großen Parteigruppierungen der Bundesrepublik Deutschland, die (ungeachtet mancher Auffassungsunterschiede) im Prinzip darin übereinstimmen, den öffentlichen Dienst vom politischen Extremismus freizuhalten, stehen oft mit dem Rücken zur Wand, haben sie sich doch argumentativ in die Defensive drängen lassen.
Dieser Aufsatz soll erhellen, daß die getroffenen Regelungen — bei aller Kritik in den Einzelheiten — die Liberalität des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland nicht gefährden. Damit ist keineswegs ein Plädoyer für eine bestimmte politische Richtung verbunden, wohl aber eines für die Kon- zeption der „streitbaren Demokratie“. Obgleich diese für das Grundgesetzverständnis fundamentale Bedeutung besitzt, hat die politologische Forschung sie bisher nur unzureichend thematisiert Hier ist weder eine tief-schürfende juristische Auseinandersetzung noch eine breit angelegte Erörterung von Spezialaspekten beabsichtigt. Zwei (miteinander verknüpfte) Problemkomplexe verdienen es, so unvoreingenommen wie möglich behandelt zu werden. Erstens wird das Verfassungsprinzip der „streitbaren Demokratie" dargestellt und bewertet, zweitens geht es dar-um, am Beispiel des „Extremistenerlasses" einen Aspekt der „streitbaren Demokratie" in der Praxis zu beurteilen.
1. Die Auseinandersetzung um die Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst ist nicht ohne die historischen Hintergründe und die Demokratiekonzeption des Grundgesetzes hinreichend zu verstehen. Im Gegensatz zur Weimarer Republik besitzt die Bundesrepublik Deutschland eine Verfassung, die sich zu unantastbaren Werten bekennt und Vorkehrungen zu ihrem Schutz trifft. Die Wertgebundenheit (Art. 79, 3 GG) steht dabei in einem engen und konsequenten Zusammenhang zur Wehrhaftigkeit. Wer bestimmte Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt nach Art. 18 GG diese Grundrechte, und Parteien, die die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen suchen, können gemäß Art. 21, 2 GG verboten werden. Da Schutzgut dabei jeweils die „freiheitliche demokratische Grundordnung" ist, steht diese vielfach im Mittelpunkt der Kontroversen. Zementiert sie eine bestimmte Gesellschaftsordnung? Leistet der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung autoritärem Verfassungsverständnis Vorschub? Ist sie eine beliebig einzusetzende Worthülse, die es erlaubt, politisch Unliebsame und Unbequeme ins Abseits zu drängen? Die Ausführungen sollen belegen, daß der geschützte Verfassungskern grundlegende Reformen keineswegs verhindert, sondern gerade erst legitimiert. Das Prinzip der „streitbaren Demokratie" trägt vielmehr der Pluralismustheorie Rechnung, die Konflikt und Konsens untrennbar miteinander verknüpft.
2. Ein Ausfluß des Prinzips der „streitbaren Demokratie" ist die Pflicht, politische Extremisten aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten. Die Vereinbarungen zwischen den Ministerpräsidenten der Länder und dem Bundeskanzler aus dem Jahre 1972, die emotionsgeladene Kontroversen auslösten, werden knapp mit ihren Folgen beschrieben. In einem engen Zusammenhang mit dem Extremistenerlaß steht die grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 1975, auf die (jeweils gescheiterte) Gesetzentwürfe des Bundestages (SPD und FDP) und des Bundes-rates (CDU/CSU) zur einheitlichen Regelung folgten. Die Frage bleibt zu beantworten, warum eine Einigung nicht zustande kam. Angesichts der Notwendigkeit, eine gemeinsame Regelung zu erzielen, wird hier ein Vorschlag wieder aufgegriffen, der Einwänden verschiedener Seiten Rechnung trägt. Er regt an, gerichtlich nachprüfbar feststellen zu lassen, daß eine Partei oder Organisation gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstößt, zugleich aber mit Rücksicht auf das Opportunitätsprinzip von einem Verbot abzusehen. Viele linksstehende Gruppierungen ziehen die Liberalität des politischen und gesellschaftlichen Systems der Bundesrepublik Deutschland zunehmend in Zweifel. Ihre Kritik entzündet sich dabei häufig an den Regelungen, die die Parteien getroffen haben, um Gegner der Verfassung aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten. Obwohl keineswegs jegliche Kritik das Geschäft von Extremisten besorgt, sondern durchaus auch beachtenswerte Einwände vorbringt, verzerren und verfälschen manche — hier beispielhaft vorgeführte — Argumentationsstereotypen die Wirklichkeit der rechtsstaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland derart grotesk, daß Demokraten (gleich welcher Couleur) sie entschieden zurückweisen müssen.
I. „Streitbare Demokratie"
1. Wertgebundenheit des Grundgesetzes als Reaktion auf Weimar Aus den Erfahrungen der Vergangenheit hat der Parlamentarische Rat Konsequenzen gezogen. Das Grundgesetz ist sowohl eine Reaktion auf die Weimarer Republik, die sich gegenüber ihren Gegnern nicht zu behaupten wußte, als auch auf die nationalsozialistische Zeit, die die Grundrechte fundamental verletzte Die „wertgebundene Ordnung" des Grundgesetzes verwirft den Wertrelati-vismus der Weimarer Verfassung. Diese stellte sich nämlich selbst in Frage, stand doch jeder Verfassungsartikel zur Disposition des Gesetzgebers. Die herrschende Meinung der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik legte Art. 76 der Verfassung so aus, daß „alles ohne Unterschied des Inhalts und der politischen Tragweite" geändert werden kann, so Gerhard Anschütz, der noch in der 14. Auflage seines Kommentars zur Weimarer Reichsverfassung im Februar 1933 als Vorzug der Verfassung „ihre geringe Starrheit, ihre Elastizität" pries.
Die Auffassung, damit werde indirekt der Weg für einen Staatsstreich geebnet — so Richard Thoma in demokratischem Pathos —, „verkennt die, vielleicht gewagte, aber in ihrer Folgerichtigkeit großartige Erfassung der Idee der freien demokratischen Selbstbestimmung. Gewiß kann diese Freiheit demagogisch mißbraucht werden — wie wäre sie sonst Freiheit? Unmöglich aber, vom Standpunkt des Demokratismus und des Liberalismus, von dem die Auslegung auszugehen hat, kann das, was die entschiedene und unzweifelhafte Mehrheit des Volkes auf legalem Wege will und beschließt (und stürzte es selbst die Grundsäulen der gegenwärtigen Verfassung um) als Staatsstreich oder Rebellion gewertet werden!" Ausgerechnet Carl Schmitt, ideologischer Wegbereiter des Nationalsozialismus und später dessen Apologet, attackierte diese „liberale" Interpretation, indem er das Legalitätsdenken des Rechtspositivismus ad absurdum führte Dies ist jedoch keineswegs ein Beleg dafür, daß Schmitt die Substanz der Weimarer Verfassung zu erhalten suchte. Seine aus antiliberaler Richtung vorgetragene Kritik, die einem autoritären Präsidialsystem Vorschub leisten wollte, wandte sich vielmehr gegen den Parlamentsabsolutismus
Um die selbstmörderische Auffassung des legalistischen Mehrheitsfunktionalismus der Weimarer Zeit zu überwinden, entzogen die „Väter des Grundgesetzes" bestimmte Grundwerte einer Mehrheitsentscheidung des Volkes. Art. 79, 3 GG lautet: „Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Änderung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig." Der Parlamentarische Rat war sich allerdings der Tatsache bewußt, Demokratie nicht durch Normen verordnen und sichern zu können; er huldigte also keineswegs der Naivität, damit ein für allemal einen Umsturz gebannt zu haben. Der Taktik, das demokratische System unter Beachtung formaler Legalität aus den Angeln zu heben, wie dies durch das Ermächtigungsgesetz vom März 1933 geschah, wollte er jedoch einen Riegel vorschieben.
Schränkt ein solcher Minimalkonsensus die Volkssouveränität nicht unzumutbar ein? Wer Demokratie als Identität von Regierenden und Regierten versteht und damit ein Umschlagen in totalitäre Identifikationen in Kauf nimmt, wird diese Frage bejahen. Anhänger der Konkurrenztheorie der Demokratie sehen dagegen die Notwendigkeit, daß im Konfliktfall obersten Grundwerten, wie sie der Art. 79, 3 GG benennt, der Vorrang gegenüber der Volkssouveränität gebührt. Denn gerade, um die Volkssouveränität auf Dauer und vor Mißbrauch zu schützen, kann es notwendig sein, sie einzuschränken. Der Sinn von Art. 79, 3 GG liegt darin, daß sich Legitimität eben nicht ausschließlich durch Legalität gewinnen läßt. „Die Verfassung will kein Gefäß mehr sein, in das jeder Inhalt eingehen kann."
Die Wertgebundenheit der Verfassung verliert allerdings ihren Sinn, wenn diese nicht Vorkehrungen zu ihrem Schutz trifft. „Die Wertbezogenheit der Verfassung und die Bereitschaft, diese Werte zu schützen, entsprechen einander. Das kann nur unlogisch oder gar , absurd'finden, wer von der Basis absoluter Wertneutralität ausgehend eine absolute demokratische Freiheit postuliert." Da das Grundgesetz sich an obersten Werten orientiert, bietet es konsequenterweise die Möglichkeit, Parteien, die diese Werte bekämpfen, nicht mehr am politischen Konkurrenzkampf teilhaben zu lassen. Das „Bekenntnis zu einer . . . streitbaren Demokratie'" ist, wie das Bundesverfassungsgericht im KPD-Urteil ausführt, daher konstitutiv für das Denken der Bonner „Verfassungsväter" gewesen. Dabei werden die Begriffe „streitbar", „abwehrbereit", „militant", „wehrhaft" nahezu synonym gebraucht.
„Das Prinzip der abwehrbereiten Demokratie läßt sich bis auf die Diskussionen in der deutschen Emigration zurückverfolgen." Einem Emigranten, dem bedeutenden Verfassungsrechtler Karl Loewenstein kommt auch das Verdienst zu, den Ausdruck „militant democracy" geprägt und diese Konzeption als erster entwickelt zu haben Unter den „Verfassungsvätern" herrschte angesichts des Scheiterns der Weimarer Republik weitgehend Einverständnis darüber, daß der Staat entschlossen gegen seine Gegner vorzugehen und einem Mißbrauch der Freiheitsrechte einen Riegel vorzuschieben hat. Im Parlamentarischen Rat kam es weder über die Möglichkeit einer Grundrechtsverwirkung für antidemokratische Kräfte noch über die eines Parteienverbots zu grundlegenden Auseinandersetzungen Der Demokratieschutz wurde als so selbstverständlich angesehen, daß er nicht nur im Grundgesetz, sondern auch in mehreren Landesverfassungen Eingang fand.
2. Freiheitliche demokratische Grundordnung Ein Kernstück der „streitbaren Demokratie"
ist der Schutz der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung". Da sich um diesen Schlüsselbegriff, der auch im Zentrum der Kontroversen um die Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst steht, viele Mißverständnisse ranken, ist es notwendig, a) der Entstehung und Verwendung dieses Aus-14 drucks im Grundgesetz nachzuspüren, b) den Definitionsversuch des Bundesverfassungsgerichts zu bewerten und c) sich mit der in den letzten Jahren anschwellenden Kritik auseinanderzusetzen. a) Der Begriff im Grundgesetz Das Grundgesetz bezeichnet die Grundordnung bekanntlich nicht bloß als „demokratisch", sondern fügt die Bezeichnung „freiheitlich"
hinzu, trachtete doch der Parlamentarische Rat danach, sich von totalitären Staaten rechter und linker Couleur entschieden abzugrenzen, die ihr System ebenfalls als „demokratisch"
deklarierten. So sollte die freiheitliche Komponente des Demokratiebegriffs explizit im Grundgesetz verankert werden
Der gleiche Gedankengang lag der Vorkehrung zugrunde, neben den klassischen Wahl-rechtsgrundsätzen den Begriff „frei" ins Grundgesetz aufzunehmen. Ob dieses terminologische Vorgehen sich als sinnvoll erwiesen hat, ist allerdings zweifelhaft, konnte es doch beispielsweise die Verfassungsgeber der DDR nicht daran hindern, ihre Wahlen ebenfalls als „frei" zu deklarieren.
Der Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung" tauchte bei der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 im Zusammenhang mit der „streitbaren Demokratie" an zwei Stellen auf
(1) Wer bestimmte Grundrechte (u. a. Pressefreiheit, Lehrfreiheit, Vereinigungsfreiheit)
zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt nach Art. 18 GG diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß können ausschließlich durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen werden. Praktische Bedeutung hat die präventive Maßnahme des Verfassungsgebers bisher nicht erlangt.
(2) Das Pendant zu Art. 18 GG ist der Art. 21, 2 GG: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.
Uber die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht."
Die Bestimmung wurde zweimal ange-19 wendet. 1952 stellte das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der SRP fest, 1956 die der KPD. Unabhängig von der rechtlichen Zulässigkeit dieser Verbote läßt sich bezweifeln, ob ein Verbotsantrag opportun war, da diese Parteien die Demokratie nicht gefährden konnten. b) Die Definition des Bundesverfassungsgerichts Definiert wird der Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung" weder im Grundgesetz noch in anderen Gesetzen. Ist er damit aber, wie es häufig heißt, ein „unbestimmte(r) Rechtsbegriff" der sich dehnbar auslegen läßt? Davon kann keine Rede sein Im SRP-Urteil von 1952 unternahm das Bundesverfassungsgericht einen Definitionsversuch, an den es 1956 im KPD-Urteil wieder anknüpfte: „So läßt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt-und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition."
Damit sind die für das Demokratieverständnis des Grundgesetzes konstitutiven Elemente präzise beschrieben. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Kernbegriff des Grundgesetzes treffend interpretiert. Einerseits ist der Rahmen weit genug, um unterschiedlichen politischen Richtungen Raum für die Entfaltung zu geben, andererseits weist die Begriffsbestimmung ein hohes Maß an Genauigkeit und Klarheit auf, so daß sich — folgt man dieser Interpretation — Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung leicht ausmachen lassen.
Die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet sich gegen alle totalitären Tendenzen. Sie darf weder einseitig antifaschistisch noch ausschließlich antikommunistisch interpretiert werden, da sie sich gegen jegliche Gewalt-und Willkürherrschaft abgrenzt. Natürlich erweist sich eine Person oder eine Partei nicht automatisch und unbedingt schon dann als Gegner einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wenn etwa ein einzelnes der genannten Merkmale abgelehnt wird.
So sind Anhänger eines Präsidialsystems keineswegs Gegner einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, obwohl die „Verantwortlichkeit der Regierung" — an sich ein Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung — bei der von ihnen propagierten Regierungsform nicht in gleichem Maße gegeben ist. Freilich kann daraus keineswegs gefolgert werden, die tragenden Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ließen sich so verwässern, daß im Ergebnis auch — beispielsweise — ein Rätesystem, welches sowohl die Unabhängigkeit der Justiz als auch das Prinzip der Gewaltenteilung beseitigen will, mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren sei
Die Wesensmerkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen in einem engen Zusammenhang zu den in Art. 79, 3 GG für unabänderbar erklärten Prinzipien Ein Vergleich zwischen ihnen zeigt folglich eine weitgehende Identität. Auch wenn die Kriterien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht alle Grundsätze des „Verfassungskerns" aus Art. 79, 3 GG explizit abdekken (wie Republik-, Bundesstaats-und Sozialstaatsgebot), so sind sie dem Sinne nach enthalten, denn die genannten Prinzipien untermauern die antitotalitäre Grundrichtung des Grundgesetzes und verbürgen die freiheitssichernde Komponente Dies ist nur konsequent, zeigt sich doch hier die enge Verknüpfung der Wertbezogenheit mit der Abwehrbereitschaft. Es würde nämlich seltsam anmuten, eine Partei, die bestimmte Prinzipien beseitigen will, die nach Art. 79, 3 GG einer Änderung enthoben sind, deshalb nicht verbieten zu können, weil eben diese Prinzipien nicht zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören. Umgekehrt darf der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht über die Grundsätze von Art. 79, 3 GG hinausgehen; denn eine Partei kann nicht schon für verfassungswidrig erklärt werden, wenn sie Änderungen anstrebt, die der Art. 79, 3 GG zuläßt. c) Kritik der Kritik Lange Zeit herrschte in der Beurteilung des Begriffs der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und seiner Interpretation weitgehende Übereinstimmung. Erst in den letzten Jahren haben die Einwände im Zuge einer Renaissance der marxistischen Ideologie zugenommen. Die (wenig überzeugende) Kritik hat dabei verschiedene Ansatzpunkte. Einige häufig wiederkehrende Argumentationsweisen auf ihre Stimmigkeit zu überprüfen, heißt jedoch nicht, sich mit gänzlich abstrusen Behauptungen auseinanderzusetzen, wie sie exemplarisch Professor G. Bauer (FU Berlin) bietet, wenn er meint, die Bestimmung, „Jederzeit für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten', ist die unmittelbare Übersetzung und Anwendung dessen, was die Nazis genannt haben Jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat einzutreten Ernst Martin bemängelt, daß sich durch das Aufzählen der Merkmale „wenig aussagen läßt über das inhaltliche Verständnis von Demokratie, das hinter dieser Definition steht. Eine präzise inhaltliche Auffüllung der .freiheitlich demokratischen Grundordnung'ist aber notwendig, wenn man nicht Gefahr laufen will, die freiheitlich demokratische Grundordnung mit den jeweils herrschenden Verhältnissen gleichzusetzen und damit ein bequemes Instrument zur politischen Diskriminierung von Systemkritikern zu haben" Diese Auffassung, die in ähnlicher Form auch andere Kritiker vortragen, ist nicht haltbar. Denn gerade „eine präzise inhaltliche Auffüllung" würde unzumutbar die freiheitliche demokratische Grundordnung einengen und ein „bequemes Instrument zur politischen Diskriminierung von Systemkritikern" bilden. Tatsächlich favorisiert die freiheitliche demokratische Grundordnung, so wie sie vom Bundesverfassungsgericht verstanden wird, keine politische Richtung, da sie ein hohes Maß an Offenheit aufweist. Gerade deshalb, weil zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nur Mindestprinzipien gehören, die für alle politischen Konzeptionen konstitutiv sein sollen, läßt sie sich eben nicht mit den „jeweils herrschenden Verhältnissen" gleichsetzen, wie dies Martin behauptet.
Noch simpler nimmt sich die Argumentation von Wolf-Dieter Narr aus: „Der Begriff der FdGO wird aus dem Grundgesetz herausgenommen und eigens festgelegt. Einzelne Elemente des Grundgesetzes werden herausgepickt, aber nicht alle, die Grundrechte werden nur global erwähnt. Die FdGO wird zu einer eigenen, dem Grundgesetz insgesamt vorgegebenen Wertordnung emporstilisiert, die es erlauben soll, verfassungsfreundliche und verfassungsfeindliche Personen abzumessen . . .
Als möglicher Verstoß genügt dann schon — das hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt — eine unzureichende Gesinnung, eine andere Grundgesetzinterpretation als die herrschende, ein Charakterzug, der nicht ins Konzept paßt." Die „Fakten", die Narr hier liefert, sind schlicht falsch Weder wird der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus dem Grundgesetz herausgenommen — stellt dieser Begriff doch die Verfassungssubstanz dar —, noch bildet er gar eine dem Grundgesetz vorgegebene Wertordnung, und es stimmt auch keineswegs, das Bundesverfassungsgericht habe bestätigt (!), eine andere Grundgesetzinterpretation als die herrschende verstoße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Narr bedauert, daß sie nicht das gesamte Grundgesetz umfasse. Seine Argumentation aus einer betont gesellschaftsverändernden Position, die implizit statischem Denken das Wort redet, mutet besonders absurd an, gibt man sich doch dadurch mit den bestehenden Regelungen zufrieden und entsagt jeglichem Veränderungswillen. Dieser soll durch die freiheitliche demokratische Grundordnung eben nicht ausgeschlossen werden. Die gängige Kritik an ihr träfe gerade dann zu, wenn sie das gesamte Grundgesetz umfaßte, da dann der Spielraum für alternative Konzeptionen unzumutbar eingeengt wäre.
Die stereotype Behauptung von der „generalklauselartigen Kampfformel" der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die „als beliebig ausfüllbare Blanko-Norm" fungiere, geht genauso fehl wie die These des marxistischen Staatsrechtlers Preuß, die Konzeption einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung habe eine „Superlegalität" des Grundgesetzes hervorgebracht Keineswegs höhlt nämlich die — präzis bestimmte — freiheitliche demokratische Grundordnung die verfassungsrechtliche Legalität aus. Sie trägt vielmehr dazu bei, sie zu schützen und zu garantieren. Irrig ist es deshalb, wenn Preuß meint, heutzutage werde wieder — in Anlehnung an Carl Schmitt — Legitimität gegen Legalität ausgespielt.
Insbesondere treffen Auffassungen nicht zu, die behaupten, die freiheitliche demokratische Grundordnung werde, z. B. im Zusammenhang mit der Fernhaltung von Extremisten aus dem öffentlichen Dienst, „mit dem kapitalistischen Wirtschaftssystem bundesrepublikanischer Realität identisch gesetzt" Es gibt wohl eine Kontroverse darüber, ob das Grundgesetz die Soziale Marktwirtschaft festschreibt Tatsächlich jedoch steht die Wirtschaftsordnung zur Disposition des Gesetzgebers. Wenn auch lange Zeit die Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer Erfolge als die einzig legitime Form der Wirtschaftsordnung angesehen wurde, so deckt das Grundgesetz eine derart verengte Interpretation keineswegs. Ebenfalls eindeutig ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Daher verstößt es nicht gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, sich für eine sozialistische Wirtschaftsordnung zu engagieren. Wenn in diesem Bereich zuweilen Mißdeutungen und Mißverständnisse aufkommen, liegt das teilweise auch an bestimmten konservativen Kreisen, die eilfertig die Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft für unantastbar erklären. Das (allerdings unterschiedlich starke) Plädoyer aller großen Parteien für die Soziale Marktwirtschaft ist nämlich nicht zu verwechseln mit einer verfassungsrechtlich sanktionierten Festschreibung dieser Form der Wirtschaftsordnung. 3. Plädoyer für die „streitbare Demokratie"
Die „streitbare Demokratie", und das wird selten zum Ausdruck gebracht, ist ein adäquater Ausdruck der Pluralismustheorie, die die Basis für die moderne Demokratie abgibt. Die früher mehr von „rechts", heute stärker von „links" angefeindete Pluralismustheorie hebt die Gruppenkonkurrenz im Prozeß der Willensbildung hervor, lehnt einen vorgegebenen Gemeinwillen ab und setzt sich für die legitime Vielfalt der Interessen und deren Wahrnehmung ein. Andererseits betont sie aber auch die Notwendigkeit von Konflikt und Konsens Unterschiedliche Meinungen und Interessen vermögen sich nämlich nur dann zu entfalten, wenn es einen Kernbestand an Spielregeln gibt, über die Einigkeit herrscht und die nicht zur Disposition stehen. So erscheint es konsequent, wenn Ernst Fraenkel, der deutsche Pluralismustheoretiker, postuliert, „daß kein Staat — und insbesondere keine pluralistische Demokratie — auf die Dauer ohne das Minimum eines solchen Consensus zu bestehen vermag" Ein uneingeschränkter Pluralismus kann dazu führen, daß das Recht des Stärkeren gilt und Minderheitsinteressen vergewaltigt werden. „Pluralismus bedeutet Übereinstimmung und Differenzierung"
Die Wesensmerkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die nach Art. 79, 3 GG für unabänderbar erklärten Prinzipien schreiben — gemäß der Pluralismus-theorie — keine konkreten politischen Konzeptionen fest. Im Gegenteil: Gerade die freiheitliche demokratische Grundordnung bildet die Basis, auf der sich Auseinandersetzungen über alternative Grundpositionen, die nicht mit dem Odium der mangelnden Verfassungstreue versehen sind, vollziehen können. Daß das Grundgesetz bestimmte Grundwerte für unantastbar erklärt, führt also keineswegs dazu, einem Abbau gesellschaftlicher Offenheit Vorschub zu leisten, da der von allen zu akzeptierende Minimalkonsensus einen weiten Spielraum für unterschiedliche, ja konträre Standpunkte bietet. Um dies zu konkretisieren:
Systemverändernde Positionen der Jungsozialisten liegen genauso im Rahmen des demokratischen Konsensus wie Konzeptionen von CSU-Gruppierungen, die teilweise deutsch-nationalen Vorstellungen huldigen. Die demokratischen Spielregeln zu bejahen — dies tut der überwiegende Teil der Jungsozialisten genauso wie die CSU —, bedeutet weitaus mehr (oder sollte es zumindest) als eine Überein-stimmung in Einzelfragen zwischen Jusos und Linksextremen einerseits sowie CSU und Rechtsradikalen andererseits. Freilich stellt sich das, ohne daß dies hier detailliert belegt werden könnte, für das Selbstverständnis einiger Jungsozialisten und das mancher CSU-Mitglieder anders dar. Die ideologische Nähe einzelner CSU-Kreise zu obskuren „rechten" Vereinigungen und die Kooperation von Teilen der Jungsozialisten mit Kommunisten erhellt, daß der demokratische Konsens bei einigen Kräften der linken SPD und beim rechten Flügel der CSU mitunter in Gefahr gerät, nicht mehr ernst genommen zu werden. Wer eine solche Entwicklung prinzipiell als problematisch ansieht, redet nicht, um einen beliebten Einwand aufzufangen, einer konfliktscheuen Mentalität des Harmonieglaubens das Wort. Wenn nämlich der Basiskonsens verlorengeht, fehlt auch die Bereitschaft, andersgeartete Interessen überhaupt noch als legitim zu betrachten. Nicht mehr in diesem Rahmen bewegt sich jedoch die DKP. Vergleicht man ihre Äußerungen mit den Merkmalen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wird ersichtlich, daß die DKP sie keineswegs bejaht ganz abgesehen von der strikten Orientierung am diktatorischen System der DDR. Eine andere Frage ist dabei natürlich, ob Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung sich dazu entschließen, einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht zu stellen. Hier spricht vieles dafür, weder gegen die DKP noch gegen die maoistischen K-Gruppen vorzugehen, sollten sich diese Parteien, die die Wählerschaft bisher ignoriert hat, doch nicht mit der Aura des Märtyrertums schmücken können.
Die „streitbare Demokratie" redet weder einer „linken" noch einer „rechten" Variante von Demokratie das Wort. Die Auffassung, sie schreibe lediglich die „antifaschistische Stoßrichtung" des Grundgesetzes fest, nimmt die Diskussionen im Parlamentarischen Rat nicht zur Kenntnis und übersieht die (damalige) Übereinstimmung aller tragenden ge-sellschaftlichen Kräfte, wie immer gearteten („braunen" oder „roten") diktatorischen Bestrebungen von vornherein entschieden entgegenzutreten. Die freiheitliche demokratische Grundordnung, ein gestaltendes Prinzip des politischen Systems, ist ein Schutzgut, das von keiner Seite aufs Spiel gesetzt werden darf. Wer sich dafür engagiert, sie gegen ihre Widersacher entschlossen zu verteidigen, plädiert nicht für politische Bravheit, Kritiklosigkeit oder gar Duckmäusertum, sondern für eine offene Gesellschaft mit alternativen Gesellschaftskonzeptionen. Zu Recht stellt daher Klaus Stern fest: „Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist der Erhaltung wert. Sie zu schützen, ist weder Inquisition noch , McCarthyismus‘, sondern die Pflicht zur Wahrung der Verfassungsgrundwerte des Staates gegen einen Gegner, der sich nicht an diese Grundpositionen gebunden fühlt."
Enthalten aber Aussagen des Bundesverfassungsgerichts wie „keine unbedingte Freiheit für die Feinde der Freiheit" nicht eine übertriebene Militanz? Erinnert diese Wendung nicht fatal an das für überwunden geglaubte Freund-Feind-Denken eines Carl Schmitt? Analoge Formulierungen dürfen nicht über grundlegende Unterschiede zwischen beiden Auffassungen hinwegtäuschen. Während bei Carl Schmitt die Unterscheidung von Freund und Feind die Inkarnation des Politischen schlechthin ausmacht, kommt ihr für das Politikverständnis des Bundesverfassungsgerichts lediglich im Grenzfall eine gewisse Bedeutung zu. Vor allem aber: Das Bundesverfassungsgericht nennt präzise Kriterien für den „Feind“. Carl Schmitt dagegen leugnet ausdrücklich jede normative Orientierung, um den Feind zu bestimmen: r„Der politische Feind braucht nicht moralisch böse, er braucht nicht ästhetisch häßlich zu sein; er muß nicht als wirtschaftlicher Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft und rentabel scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er bleibt aber ein Anderer, ein Fremder."
Dies erhellt, daß ein derartiges staatstheoretisches Gedankengebäude mit dem Grundgesetz und seiner Wertordnung nichts gemein hat.
Das Prinzip der „streitbaren Demokratie" leistet keineswegs totalitären Bestrebungen Vorschub; es soll sie vielmehr gerade unmöglieh machen. Sicherlich, der etwas pathetische und häufig gebrauchte Slogan von der „Solidarität aller Demokraten", so berechtigt er ist, kann leicht dazu (ver-) führen, Konflikt-zonen zwischen den tragenden Partdien zu kaschieren und Gruppierungen, deren Programm sich nicht unbedingt im Rahmen etablierter Parteien bewegt, wohl aber in dem des Grundgesetzes, als illegitim zu brandmarken. Solchen übereifrigen Bestrebungen ist entschieden entgegenzutreten. Sie können sich keinesfalls auf das Prinzip der „streitbaren Demokratie" berufen, denn es wäre eine Fehlinterpretation, die „streitbare Demokratie" kurzschlüssig im Sinne eines Harmoniekonzepts zu verstehen.
Für die Annahme von Eckart Bulla, es stehe zu befürchten, „daß die . Lehre von der streitbaren Demokratie'— konsequent weiter geführt — in ein autoritäres oder gar totalitäres Staatsverständnis einmünden kann" spricht allerdings wenig, da in der Bundesrepublik Deutschland die großen Parteien darin übereinstimmen, die Freiheit nur in dem für die Sicherung der Freiheit erforderlichen Umfang einzuschränken. Außerdem müßte, wie dargelegt, die Lehre von der „streitbaren Demokratie" inkonsequent weiterentwickelt werden, um als Grundlage autoritären Staats-verständnisses zu dienen. Tatsächlich hat jedoch die „streitbare Demokratie", die eben nicht ein „Schlagwort" sondern ein Wesenselement des Grundgesetzes darstellt und keineswegs die Form einer „autoritär verfestigten Demokratie" annimmt, „ihren legitimierenden Grund darin, daß sie eine freiheitliche Demokratie bleibt" über das Prinzip der „streitbaren Demokratie" herrschte im Parlamentarischen Rat ein weitgehender Konsens; auch in den ersten Jahren der Bundesrepublik Deutschland bestand hier nahezu eine communis opinio. Hella Mandt hat deutlich gemacht, daß die beiden führenden „linken" juristischen Kritiker, Wolfgang Abendroth und Helmut Ridder, das Institut der „streitbaren Demokratie" keineswegs völlig in Frage stellten — im Gegensatz zur heutigen Zeit, da Ridder schlicht behauptet, „solche , streitbare Demokratie'... (stelle) keine Demokratie" dar und sprenge die Legalität. Zu den Belegen, die Hella Mandt liefert, sei zur Abrundung noch auf einen Aufsatz von Helmut Ridder aus dem Jahre 1957 verwiesen, der in einer differenzierten Analyse des Verbotsurteils gegen die KPD zu folgendem Ergebnis gelangt: „Denn in jedem Fall ist die Anwendung von Art. 21 Abs. 2 zu Recht erfolgt und ist das Ergebnis richtig" Heute dagegen kennzeichnet Ridder es als eine „im Wind des Kalten Krieges mit Hilfe gängiger Geschichtsklitterungen in das Grundgesetz hineininterpretierte antikommunistische Therapie, die aus der Partei des Grundgesetzvaters Reimann eine . verfassungswidrige'machte"
Diese Wandlung — für Abendroth ließe sich Ähnliches belegen — ist besonders unverständlich, da sich die (sozial-liberal regierte) Bundesrepublik Deutschland der siebziger Jahre gegenüber der Adenauer-Ära keineswegs in eine autoritäre Richtung entwickelt hat. Vielmehr haben manche Intellektuelle — wenig geschichtsbewußt — einen früher bestehenden Konsens in der Frage der „streitbaren Demokratie" aufgekündigt. Aus dem Bekenntnis für eine wertgebundene „streitbare Demokratie" ist heute in breiten Kreisen, wenn überhaupt, ein „Lippenbekenntnis" geworden. Dies zeigt auch die Kontroverse um das Problem, wie politischen Extremisten der Zugang zum öffentlichen Dienst verbaut werden soll, stehen doch die teilweise hysterischen Reaktionen in keinem angemessenen Verhältnis zu den Abwehrmaßnahmen der staatlichen Organe.
II. „Extremistenerlaß"
1. Chronologie und Bewertung Am 28. Januar 1978 ist es sechs Jahre her, daß sich der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder auf Grundsätze über die Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst einigten. In dieser Übereinkunft wurde die Unvereinbarkeit verfassungsfeindlicher Aktivitäten mit.der Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst festgestellt. Der Öffentlichkeit ist heute kaum noch bewußt, daß der (seither erregte Diskussionen auslösende) Beschluß einen Vorgänger hat.
Die Bundesregierung bestimmte nämlich am 19. September 1950, daß alle im öffentlichen Dienst stehenden Personen sich zur demokratischen Staatsordnung zu bekennen und Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu unterlassen haben. Aufgeführt wurden dreizehn (links-und rechtsextreme) Organisationen, deren Unterstützung mit den Pflichten des Angehörigen des öffentlichen Dienstes kollidiere. Zu den Organisationen gehörten u. a. die KPD, die FDJ und die Sozialistische Reichspartei. Der Erlaß des Bundesinnenministers Heinemann vom selben Tage präzisierte den Beschluß — z. B. legte er fest, daß allein schon die Mitgliedschaft in einer der genannten Organisationen für eine Dienstpflichtverletzung ausreicht — und führte aus, wie Verstöße gegen die Treuepflicht zu ahnden sind (im Regelfall: Entlassung aus dem Dienst). Die Landesregierungen, die zusätzliche Richtlinien erließen, trafen, der Empfehlung der Bundesregierung folgend, entsprechende Maßnahmen, um Extremisten vom öffentlichen Dienst fernzuhalten bzw. aus ihm zu entlassen. Diese Vorkehrungen lösten in der öffentlichen Meinung praktisch keine Kontroversen aus; prinzipielle Kritik blieb auf links-und rechtsextreme Kreise beschränkt. „Das damit gegebene Instrumentarium erschien für anderthalb Jahrzehnte als völlig ausreichend; die Absicht Radikale vom öffentlichen Dienst fernzuhalten, war nicht strittig." Mit der Studentenbewegung seit Ende der sechziger Jahre schwoll die Zahl der in den öffentlichen Dienst Strebenden, die politisch extreme Ziele verfolgten, plötzlich stark an. Die großen Parteien sahen sich gezwungen, auf diese Herausforderung zu reagieren: Am 28. Januar 1972 beschlossen die Ministerpräsidenten der Länder „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst". Bestätigt wurden sie am gleichen Tage durch eine „Gemeinsame Erklärung" des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder Diese ist lediglich eine geraffte Fassung des Wortlauts der Ministerpräsidentenvereinbarung. Danach dürfen Bewerber nur dann in den öffentlichen Dienst eingestellt werden, wenn sie jederzeit die Gewähr bieten, für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten. Schon vorher — am 23. November 1971 — hatte der sozialdemokratisch regierte Hamburger Senat eine „Grundsätzliche Entscheidung" getroffen, nach der ein Beamter entsprechend den einschlägigen Gesetzen die Gewähr dafür bieten muß, sich jederzeit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen
Vereinbarungen dieser Art, und das wird oft übersehen, schufen kein neues Recht, sollten sie doch lediglich an die bestehenden Regelungen erinnern und ein einheitliches Vorgehen gewährleisten. So verlangt etwa § 4, 1 des Beamtenrechtsrahmengesetzes, daß in das Beamtenverhältnis nur berufen werden darf, wer die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten, und § 35, 1 dieses Gesetzes bestimmt die Pflicht des Beamten, sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten. Bundesbeamtengesetz und Landesbeamtengesetze nehmen diese Vorschriften in ähnlicher Form auf. Das Grundgesetz betont in Art. 33, 5, daß das Recht des öffentlichen Dienstes unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln ist.
Trotz dieser klaren Rechtslage sind heftige Kontroversen um die Legitimität des „Extremistenerlasses" und seine Praxis entbrannt.
Die Zahl der einschlägigen Publikationen ist Legion Die (unterschiedliche Ziele verfolgenden) Kritiker werden nicht müde, die Verfassungswidrigkeit bzw. die politische Unsinnigkeit der Vereinbarungen anzuprangern An dieser Stelle lassen sich die Diskussionen in den Parteien ebensowenig nachzeichnen wie die zahllosen wissenschaftlichen Kontroversen Zu verweisen ist hier auf die 1973 verabschiedeten Parteitagsbeschlüsse von SPD und FDP, in denen Kritik an den Vereinbarungen der Ministerpräsidenten geübt wurde, insbesondere an der Uberprüfungspraxis, weil sie nicht genügend auf den Einzelfall abhebe und uneinheitlich sei Ein Gesetzentwurf, der darauf abzielte, die bisher geübte Praxis zu vereinheitlichen, blieb im Vorstadium der Beratungen stecken. Zunächst sollte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das Aufklärung darüber zu geben versprach, ob die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei der Zugehörigkeit zum öffentlichen Dienst im Wege stehe, abgewartet werden. Das im Mai 1975 ergangene Urteil konnte den Politikern die Verantwortung nicht abnehmen, da es einen weiten Interpretationsspielraum ließ Es erging einstimmig, jedoch machten drei Richter in bestimmten Punkten Sondervoten bzw. abweichende Meinungen geltend Die Mitglieder einer nicht verbotenen, gleichwohl verfassungsfeindlichen Partei können sich nach diesem Urteil nicht (mehr) auf das Parteienprivileg berufen, wonach sich die Verfassungswidrigkeit einer Partei erst durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geltend machen läßt. Das Parteienprivileg setzt nämlich das Treue-prinzip für den öffentlichen Dienst keineswegs außer Kraft. Der — ausdeutungsfähige — Kernsatz des Urteils lautet: „Ein Stück des Verhaltens, das für die hier geforderte Beurteilung der Persönlichkeit des Bewerbers erheblich sein kann, kann auch der Beitritt oder die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sein, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, — unabhängig davon, ob ihre Verfassungswidrigkeit durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts festgestellt ist oder nicht."
Nach diesem Urteil, das eine Zäsur in den Bemühungen um ein einheitliches Verfahren markierte, winde nun der Schritt für eine gesetzliche Regelung frei. Der Bundestag nahm im Oktober 1975 — in geänderter Form — einen Gesetzentwurf der Bundesregierung aus dem Jahre 1974 an Ein von SPD und FDP vorgelegter Entschließungsantrag vom 24. Oktober 1975 begründete und erläuterte das Gesetz. Dieses ging von der prinzipiellen Verfassungstreue des Bewerbers aus und sah die Prüfung eines jeden Einzelfalles vor. Der Bundesrat verweigerte dem Gesetz jedoch seine Zustimmung. Die von der CDU/CSU regierten Länder begründeten ihre Ablehnung damit, daß bereits die Mitgliedschaft in einer extremen Partei erhebliche Zweifel an der Verfassungstreue eines Beamten hervorrufe.
Ein darauf abzielender Gesetzentwurf des Bundesrates kam freilich angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag nicht zustande.
Da das Gesetz des Bundestages trotz der Einschaltung des Vermittlungsausschusses im Februar 1976 endgültig scheiterte, haben die von der SPD und FDP regierten Bundesländer den Extremistenbeschluß aufgekündigt und -— entsprechend dem Gesetzentwurf der Bundesregierung — einheitliche Verfahrensgrundsätze verabschiedet. Auf ihnen basieren die neuen Richtlinien in den sozial-liberal regierten Ländern. Die CDU/CSU hält dagegen in „ihren" Bundesländern weiterhin am Text der Ministerpräsidentenvereinbarung von 1972 und den entsprechenden Durchführungsbestimmungen fest.
Sowohl die Vorgehensweise der SPD und der FDP als auch die der CDU/CSU bewegt sich im Rahmen des interpretationsfähigen Bundesverfassungsgerichtsurteils von 1975, wenngleich Vertreter beider Seiten argumentieren, nur ihre Bestimmungen trügen der höchstrichterlichen Entscheidung Rechnung. Denn weder begründet die CDU/CSU mit ihrem Verfahren eine „Hexenjagd" noch öffnen die SPD/FDP-Regelungen Verfassungsfeinden den Zugang zum öffentlichen Dienst. Die Unterschiede zwischen der SPD und FDP einerseits und der CDU/CSU andererseits sind nämlich keineswegs prinzipieller Natur. So reicht die bloße Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei für die CDU/CSU allein nicht zwingend zur Ablehnung aus, und SPD wie FDP vernachlässigen bei der Prüfung der Verfassungstreue die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei keineswegs völlig. Vor allem in der Praxis läßt sich kein grundsätzlich anderes Vorgehen gegenüber Extremisten im öffentlichen Dienst konstatieren.
Aber nicht nur deshalb, weil die Auffassungen geringfügig differieren, ist es zu bedauern, daß sich Regierung und Opposition nicht zu einigen vermochten: Das Problem nämlich, welche Haltung der Staat gegenüber Extremisten im öffentlichen Dienst einnehmen soll, eignet sich nicht für die polemische Auseinandersetzung, da hier ein Minimalkonsensus der tragenden gesellschaftlichen Kräfte anzustreben ist. Kontroversen in diesem Bereich verwirren mehr, als daß sie zur Klärung der Positionen beitragen, herrscht doch (auch unter Exponenten politisch weit differierender Standpunkte) darüber Einigkeit, Extremisten den Zugang zum öffentlichen Dienst zu verweigern Ein solcher Standpunkt, und dies kann nicht oft genug betont werden, um sich des Beifalls von der falschen Seite zu erwehren, huldigt keineswegs einer unpolitischen Harmonieideologie; hier wird lediglich dafür plädiert, nicht dort (Schein-) Gefechte zu führen und Wahlkampfmunition zu sammeln, wo sie — wegen der heiklen Thematik — weder angebracht noch — angesichts der gemeinsamen Grundeinstellung — überhaupt nötig sind. „Der vordergründige Streit um den . Radikalenbeschluß'gehört zur politischen Schauszene. Die Geltung der Gesetze und die Praxis . . . wird davon weniger betroffen, als man meint" Diese Aussage kennzeichnet durchaus treffend den Sachverhalt. Warum aber kam es dann zu keiner Einigung und wieso verzichten Politiker (nicht nur einer Richtung) keineswegs darauf, den politischen Gegner in dieser Frage zu verketzern oder gar zu verteufeln, sei es wegen — behaupteter — „Law and Order" -Gesinnung, sei es wegen — unterstellter — Laxheit? Der Verdacht liegt nahe, daß sowohl der „linke" Flügel der Regierungsparteien als auch die „rechten" Kräfte der CDU/CSU — aus unterschiedlichen Motiven — ein gesteigertes Interesse daran hatten, einheitliche Regelungen zu verhindern. „Linke" Sozialdemokraten erhalten so Gelegenheit, sich von der „reaktionären" CDU/CSU entschieden zu distanzieren, und „rechte" CDU/CSU-Politiker können weiterhin die „Laxheit" der SPD gegenüber Extremisten anprangern. Sicherlich, wer Volksparteien als eine Notwendigkeit für eine offene und pluralistische Demokratie ansieht, wird akzeptieren müssen, daß jede große Partei ein breites Spektrum besitzt. Nur darf dies angesichts lediglich gradueller Meinungsverschiedenheiten nicht zu einer, pointiert formuliert, „unheiligen Allianz" führen, die einheitliche Regelungen verhindert. Zu hoffen bleibt, daß die jetzige Situation als Denkpause dient und das letzte Wort über gemeinsame Vereinbarungen nicht gesprochen ist. Das Problem, wie Extremisten bei Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien wirksam vom. öffentlichen Dienst ferngehalten werden können, harrt noch einer Lösung, die alle demokratischen Kräfte tragen. 2. Vorschlag für eine bundeseinheitliche Regelung Das zentrale Anliegen eines Vorschlags, den unter anderem Martin Kriele vorgetragen hat besteht darin, sowohl ein Höchstmaß an Rechtsstaatlichkeit als auch an Wirksamkeit bei der Fernhaltung von Extremisten aus dem öffentlichen Dienst zu garantieren. Mit dem Rückgriff auf diesen bedenkenswerten, die Argumente verschiedener Richtungen berücksichtigenden Diskussionsbeitrag ist in diesem Rahmen jedoch keine detaillierte Analyse, sondern lediglich eine Skizzierung der Kernpunkte beabsichtigt. Vorgeschlagen wird, in einem formellen Verfahren (z. B. durch das Bundesinnenministerium) feststellen zu lassen, welche Parteien und Organisationen wider die freiheitliche demokratische Grundordnung agieren. Für die inkriminierten Parteien und Organisationen muß selbstverständlich die Möglichkeit bestehen, gegen diesen Beschluß Rechtsmittel einzulegen. Entsprechend dem Opportunitätsprinzip würde eine solche Entscheidung, fällt sie positiv aus, jedoch kein Verbot nach sich ziehen. Die Beamtengesetze müßten regeln, daß Mitgliedern einer nicht auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehenden Partei oder Organisation der Zugang zum öffentlichen Dienst versperrt bleibt. Dieses Vorgehen hätte unter anderem folgende drei Vorteile: — Ein Mitglied einer Partei oder Organisation, von der feststeht, sie verstoße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, kann nicht im öffentlichen Dienst beschäftigt werden. Fragwürdig mutet es an, wenn die bloße Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei nicht für die Fernhaltung aus dem öffentlichen Dienst genügt: Denn gerade Links-und Rechtsextreme identifizieren sich mit dem Programm ihrer Partei im allgemeinen ungleich stärker als die Mitglieder demokratischer Parteien und geraten als Beamte zwangsläufig in Loyalitätskonflikte. „Noch keiner hat eine schlüssige Erklärung dafür gegeben, wie ein DKP-Mann, der sich als Parteimitglied auf das Umstürzen der freiheitlichen Ordnung des Grundgesetzes verpflichtet, eben dieser freiheitlich-demokratischen Grundordnung mit ganzer Hingabe dienen kann, wie das Bundesverfassungsgericht es gesagt hat, nicht nur mit gleichgültiger Duldung, sondern mit aktivem Einsatz."
Problematisch ist, daß heutzutage eine „bloße" Mitgliedschaft als legitim gilt, ein stärkeres Engagement jedoch Konsequenzen nach sich zieht. Rechtsstaatliche Klarheit sollte deshalb über folgendes bestehen: Wenn die bloße Mitgliedschaft keinen Hinderungsgrund darstellt, dann dürfen auch darüber hinausgehende Aktivitäten für die betreffende Partei nicht negativ zu Buche schlagen. Umgekehrt bedeutet das: Sollte ein aktives Eintreten für eine Partei oder eine Organisation zur Ablehnung eines Bewerbers im Bereich des öffentlichen Dienstes führen, dann muß dies auch für „bloße" Parteimitgliedschaft gelten. Damit wäre die zuständige Behörde der Problematik enthoben, der Frage nach dem Verlauf der (fließenden) Grenze zwischen (legitimer) Mitgliedschaft und (illegitimem) Engagement für eine verfassungsfeindliche Partei oder Organisation nachzuspüren.
— Eine solche Regelung vermeidet die Verwendung des juristisch unpräzisen Begriffs der „Verfassungsfeindlichkeit", der in einer problematischen Mischzone zwischen Verfassungstreue und Verfassungswidrigkeit angesiedelt ist. Sie klärt, ob ein Verstoß bestimmter Parteien und Organisationen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegt. Parteien, gegen die die hierfür zuständigen Bundesorgane aus politischen Gründen kein Verbot beim Bundesverfassungsgericht beantragen, werden auf diese Weise daran gehindert, die Vorteile des Parteienprivilegs in Anspruch zu nehmen. Klaus Stern bemerkt hierzu: „Wäre es nicht eine arge Verdrehung des Willens der Verfassungsväter, wenn ein zusätzlich geschaffenes Mittel der wehrhaften Demokratie nunmehr dazu dienen sollte, den Staatsdienst nicht mehr so schützen zu können, wie man es vor und ohne Geltung des Art. 21 Abs. 2 GG konnte? Die Prinzipien der wehrhaften Demokratie und die Idee des präventiven Verfassungs-und Staatsschutzes, die unbestritten Zweck des Art. 21 Abs. 2 GG sind, als Mittel der Depression gegen Demokraten'zu diskreditieren, ist mit jener Perfidie vergleichbar, die seinerzeit die Institutionen der Weimarer Verfassung aushöhlte. Art. 21 Abs. 2 GG will nicht den Schutz des öffentlichen Dienstes vor Verfassungsfeinden schwächen, sondern ihn stärken."
Bei einem Parteienverbot, einem „der schärfsten Sanktionsmittel, die das Grundgesetz kennt" kommt dem Grundsatz der Opportunität ein viel höherer Rang zu als bei der Prüfung der Verfassungstreue von Beamten. Der Staat kann wohl undemokratische Parteien dulden, nicht aber hinnehmen, daß Verfassungsgegner in den öffentlichen Dienst gelangen. Wird klargestellt, welche Parteien sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, dann entfällt der (bisherige) Einwand, es handle sich hier um eine legale Partei. Interesse an einem solchen Verfahren müßten insbesondere jene Parteien haben, die der Verfassungsfeindlichkeit bezichtigt werden, dies jedoch strikt zurückweisen. Ein für sie günstiger Verfahrensausgang bildete die Voraussetzung für die Revision des negativen Urteils in der öffentlichen Meinung.
— Durch präzise Benennung der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung agierenden Parteien und Organisationen wird dem Beurteilungskriterium, es komme in erster Linie auf das individuelle Verhalten an, eine Absage erteilt: „Wenn wir weniger auf individuelle Äußerungen und dafür auf die formale Organisationszugehörigkeit abstellen, so gewinnen wir einen rechtsstaatlich sicheren Maßstab." Unter dieser Voraussetzung würde es sich erübrigen, in einem derartig großen Umfang Erkundigungen einzuziehen und Anhörungsverfahren durchzuführen. Diese sind in jedem Falle für alle Beteiligten unerfreulich, bei der gegenwärtigen Rechtslage jedoch unumgänglich. Die vorgeschlagene stärkere Berücksichtigung der Organisationszugehörigkeit bedeutet, die von organisierten Verfassungsfeinden ausgehende Gefährdung des. Staates gegenüber den „individuellen" Gegnern wesentlich höher einzuschätzen. Dies schließt allerdings, sofern erhebliche Erkenntnisse vorliegen;, keineswegs die Notwendigkeit aus, auch Nichtparteimitglieder vom öffentlichen Dienst fernzuhalten.
Weitere Argumente für eine derartige Regelung können hier ebensowenig erörtert werden wie gewichtige Einwände. Da der Vorschlag unterschiedlichsten Bedenken Rechnung trägt und keineswegs die Vorstellungen einer Partei übernimmt, bleibt zu wünschen, daß die politisch Verantwortlichen ihn nicht als praxisfernes „Sandkastenspiel" abtun. Vielleicht ließe sich auf diese Weise doch noch eine — notwendige — gemeinsame Vereinbarung erzielen? Der Vorschlag könnte zudem viele — ernst zu nehmende — Kritiker dazu bringen, ihre bisherige Auffassung wenn nicht zu revidieren, so doch zu modifizieren. 3. Argumentationsstereotypen der Gegner Dieser Abschnitt soll die Diskussion um den „Extremistenbeschluß" unter dem Aspekt der emotionalen Befrachtung beleuchten. Das heißt nicht, jegliche Vorbehalte an der gegenwärtigen Praxis als abwegig zu deklarieren. Hier sei, beispielsweise, nur darauf verwiesen, daß sich darüber streiten läßt, ob der hohe bürokratische Aufwand wirklich in einem angemessenen Verhältnis zu dem Ergebnis steht. Deutscher Perfektionismus schießt dabei möglicherweise übers Ziel hinaus. Der Gedanke, inwiefern es angängig sein könnte, nach den dienstlichen Obliegenheiten zu differenzieren, mag ebenfalls eine Überlegung wert sein. Denn es spielt durchaus eine Rolle, ob jemand eine untergeordnete Stellung oder eine Führungsposition im öffentlichen Dienst anstrebt bzw. ausübt. Solche hier nicht näher ausgebreiteten und weiter aufgelisteten Argumente sind beachtens-und bedenkenswert. Sie können jedoch in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden. Beabsichtigt ist, Gedankengänge zu referieren und zu widerlegen, die — aus der Sicht der Verfasser — keine Triftigkeit zu beanspruchen vermögen.
Wenn im folgenden bestimmte Argumentationsstereotypen— ansatzweise — einer Kritik unterzogen werden, geschieht dies nicht deshalb, um abwegige und extreme Auffassungen der Lächerlichkeit preiszugeben. Vielmehr handelt es sich hierbei um inzwischen eingebürgerte Vorurteile und Klischees, die teilweise auch seriöse Kritiker unbesehen übernommen haben. Weil die Anhänger der „streitbaren Demokratie" sich mit den Argumentationsstereotypen in der bisherigen Diskussion kaum im Zusammenhang auseinandergesetzt haben, scheint es notwendig, auf sie einzugehen, zumal viele ausländische Beobachter sich dieser lautstarken, emotionsbehafteten Kritik anschließen. Fakten sollen die mangelnde Glaubwürdigkeit mancher grotesker Übersteigerungen widerlegen. a) Berufsverbote und Radikalenhatz?
Der „Sog der Sprachverwirrung" hat nicht unerheblich dazu beigetragen, daß die Kampagnen gegen die „Berufsverbote" Aufmerksamkeit erregt haben. Die Gegner der Regelungen wider die Beschäftigung von politischen Extremisten im öffentlichen Dienst haben es teilweise verstanden, durch vordergründige Schlagworte die öffentliche Meinung (insbesondere die des Auslandes) geschickt zu beeinflussen. Mit dem „so falschen wie unausrottbaren" Begriff des „Radikalenerlasses" setzt ihre Vernebelungstaktik bereits ein. Erstens handelt es sich bei den Vereinbarungen der Ministerpräsidenten um keinen Erlaß, der neues Recht schafft, sondern es werden lediglich geltende Bestimmungen, wonach Verfassungsfeinden der Zugang zum öffentlichen Dienst versperrt bleibt, in Erinnerung gerufen. Zum andern richtet sich die Vereinbarung nicht gegen „Radikale". Von der Schwierigkeit einmal abgesehen, diesen Begriff gültig zu definieren und zwischen politischem Extremismus und Radikalismus zu differenzieren, erweist sich nicht jeder „Radikale" per se als ein Gegner der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Weit verbreitet ist das — laut Bundesverfassungsgericht — „politische Schlag-und Reiz-wort vom . Berufsverbot'für Radikale" Die Beliebtheit dieses polemischen Begriffs ist jedoch keineswegs ein Indiz für seine Richtigkeit. Im Gegenteil: Die Tätigkeit im Staatsdienst — und dies gilt gleichermaßen für jeden Beruf — erfordert bestimmte Voraussetzungen. Ein unerläßliches Kriterium für die Übernahme in den Öffentlichen Dienst ist die Einstellung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Wer sie nicht bejaht, erfüllt eben nicht die nötigen Zulassungsqualifikationen. Da ihm folglich die von der Verfassung geforderte Eignung fehlt, hat der Staat nicht bloß ein Recht, sondern sogar die Pflicht, Personen, die die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ablehnen, nicht im öffentlichen Dienst zu beschäftigen. Pointiert stellt Friedrich K. Fromme die rhetorische Frage: „Soll nur noch, zum Beispiel, der Gärtnermeister berechtigt sein, den Bewerber zurückzuweisen, der ihm bekennt, er habe den unwiderstehlichen Drang, kleine Pflanzen zu zertreten?"
Wer von „Berufsverboten" redet, ist schnell bei der Hand, die staatlichen Praktiken zur „Verfolgung aller Sozialisten" hochzustilisieren und CDU/CSU-Politikern vorzuwerfen, sie schreckten nicht davor zurück, „nationalsozialistische Praktiken anzuempfehlen" Schlagworte wie „Radikalenhatz", „Krebsgeschwür" und „Hexenjagd" zeigen, zu welch abwegiger Einschätzung der Situation derartig verzerrte Sichtweisen führen. Da die demokratische Öffentlichkeit sich bisher nicht immer entschieden genug mit solchen Vorwürfen auseinandergesetzt hat, konnten sie überhaupt erst diese unangemessene Publizität gewinnen. b) Gesinnungsschnüffelei?
Der bekannte Schriftsteller Alfred Andersch, der in einem so umstrittenen wie aufsehener-regenden Gedicht die Konzentrationslager der nationalsozialistischen Zeit in einen engen Zusammenhang zu den „Berufsverboten" gebracht hat äußert sich folgendermaßen:
„Ich bin felsenfest überzeugt davon, daß die Politik der Berufsverbote mit faschistischem Denken, faschistischer Praxis identisch ist. übrigens ist dieser Gedanke nicht von mir. Lange vor mir haben ihn Tausende ausgesprochen. -Inzwischen ist er Allgemeingut geworden. Denn ein Gedanke wird in einem Volk zum Allgemeingut, wenn es in ihm allein 500 000 Menschen gibt, die verhört worden sind. Und wenn weitere Millionen auf ihre Verhöre warten. Das wissen alle. Nur in der Realitätsferne eines Zeughauses rechtsgerichteter Politik weiß man es nicht."
Dies ist nicht, wie vermutet werden könnte, eine Parodie auf die übertriebenen Reaktionen im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Extremistenbekämpfung, sondern, horribile dictu, ernst gemeint. Ganz abgesehen davon, daß Andersch hier die „faschistische Praxis" massiv verharmlost, schlägt der Vorwurf der Realitätsferne auf den Autor zurück. Wie sieht denn die Wirklichkeit aus? Weder wurden 500 000 Menschen „verhört" noch warten „Millionen auf ihre Verhöre". Bewirbt sich jemand um eine Stelle im öffentlichen Dienst, leitet der Staat keineswegs Ermittlungen in die Wege. Die Anfragen, ob über einen Bewerber Erkenntnisse vorliegen, die einer Einstellung in den öffentlichen Dienst entgegenstehen, beantworten die Ämter für Verfassungsschutz. In über 99 Prozent aller Fälle teilen sie mit, daß keine Angaben über eine verfassungsfeindliche Tätigkeit existieren. Die ominöse Zahl von 500 000 kommt durch eine simple Addition der Anfragen an den Verfassungsschutz zustande.
Im übrigen folgt aus dem Vorliegen von Material bei den Verfassungsschutzbehörden noch keineswegs, daß eine Übernahme in den öffentlichen Dienst automatisch unterbleibt. Hier finden dann Einstellungsgespräche statt, in denen der Bewerber die Verdachtsmomente, die gegen ihn bestehen, ausräumen kann. Diese Anhörungen mögen problematisch sein. Ihr Sinn liegt jedoch gerade darin, jedem Bewerber, bei dem schwerwiegende Erkenntnis-se vorliegen, die Gelegenheit zu bieten, sich zu den Anschuldigungen zu äußern. In vielen westeuropäischen Ländern regeln demgegenüber die Einstellungsbehörden derartige „Problemfälle" so, daß sie die betreffenden Personen ohne Angabe von Gründen ablehnen. c) Duckmäusertum?
Immer wieder wird das Argument vorgebracht, die gegenwärtige Praxis führe dazu, Kritiklosigkeit, Ängstlichkeit, Anpassungsbeflissenheit und Duckmäusertum zu fördern, während „progressive" Gesinnung auf der Strecke bleibe. Diese Aussagen beschränken sich keineswegs auf kleine Gruppierungen, sondern sind weitverbreitet. „Angst geht um — und wir verdrängen sie." Wolf-Dieter Narr, Berliner Politologie-Professor, zitiert als Beleg dafür den Vorspruch eines bei ihm angefertigten Referates: „Das nachfolgende Referat . .. hat eine Vorzensur erfahren. Zum ersten Mal seit Beginn unseres Studiums sahen wir uns gezwungen, in unserer Arbeitsgruppe die Vereinbarkeit gewisser Ausdrucksweisen mit der herrschenden Interpretation des Grundgesetzes zu diskutieren. D. h. wir fragten uns, ob bestimmte Formulierungen noch als kritisch oder schon als verfassungswidrig angesehen werden könnten. Diese Vorsicht liegt darin begründet, daß ein Gruppenmitglied auf die Einstellung im »öffentlichen Dienst'angewiesen ist und die Anhörungspraxis gezeigt hat, daß selbst Äußerungen, die ein Dissident im Rahmen eines Seminars gemacht hat, dem Anhörungsausschuß schriftlich protokolliert vorlagen."
In was für einer Welt leben die Verfasser dieses Vorspruches? Simulieren sie nur ihre Angst, daß einem „Dissidenten" (!) Äußerungen später vorgehalten werden können, oder sitzen sie tatsächlich ihren abstrusen Annahmen auf? Wenn sich ein lernfeindliches Klima der Ernüchterung einstellt, dann tragen dafür jene die Hauptverantwortung, die, wider besseres Wissen, das politische System der Bundesrepublik Deutschland derart verteufeln, daß viele Unerfahrene glauben, „kritisches Denken" sei nicht gefragt und beeinträchtige das berufliche Fortkommen.
„Wie ist es um die Demokratie eines Landes bestellt, in dem schon das Eintreten für die Verwirklichung grundlegender Prinzipien der Verfassung (wie etwa der im Grundgesetz ausdrücklich in Art. 15 ermöglichten Vergesellschaftung der wichtigsten Produktionsmittel) dazu führt, daß Bürger ihren Beruf als Lehrer und Hochschuldozent, als Sozialarbeiter oder Jurist nicht ausüben können?" Natürlich braucht in der Bundesrepublik Deutschland niemand zu befürchten, nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt zu werden, wenn er sich für bestimmte Prinzipien der Verfassung engagiert. Auch absurde Behauptungen, Stellenbewerbern werde ernsthaft zum Vorwurf gemacht, beispielsweise einen Film über Thälmann angesehen oder ein Auto in der Nähe eines Lokals geparkt zu haben, in dem die DKP Veranstaltungen abhält, entbehren jeglichen Wahrheitsgehaltes Träfe dies tatsächlich alles zu, so gäbe es gar keine plausible Erklärung dafür, daß nach über fünfjähriger Praxis des „Extremistenbeschlusses" lediglich ein verschwindend geringer Teil der Bewerber aus politischen Gründen abgewiesen wurde. In Berlin, das die Spitze hält, liegt der Prozentsatz bei 0, 4, in Nordrhein-Westfalen bei 0, übrigens zeigen diese Zahlen, daß keine aussagekräftigen Unterschiede zwischen den sozial-liberal-und unionsregierten Bundesländern vorliegen. Insgesamt wurden ungefähr 500 Personen aus politischen Gründen abgelehnt. Genausowenig wie die Vereinbarungen sich gegen „kritische Bürger" richten, wenden sie sich einseitig wider die politische „Linke". Linke und rechte Extremisten verstoßen gleichermaßen gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Daß tatsächlich in erster Linie Kommunisten von den Vereinbarungen betroffen sind, liegt darin begründet, daß heutzutage — jedenfalls unter der Jugend und unter den in den öffentlichen Dienst Strebenden — der politische Extremismus von links weit stärker als der von rechts ist. Der Verfassungsbericht von 1976 stellt fest, daß, soweit bekannt, Ende 1976 533 Angehörige rechtsextremer Organisationen und 1944 Linksextremisten im öffentlichen Dienst tätig waren 1972 dagegen übertraf die Zahl der Rechtsextremisten, die sich im öffentlichen Dienst befanden, die der Linksextremisten noch knapp 91a). d) Historische Parallelen?
Viele Kritiker der Regelungen gegen die Extremisten im öffentlichen Dienst führen an, daß die „Berufsverbote" gut in die deutsche Tradition der obrigkeitlichen Unterdrückung demokratischer Bestrebungen passen. Die Kontinuität reiche „von Metternichs Polizeistaat über die Demokratieverfolgungen nach der gescheiterten Revolution von 1848, die Sozialistenhetze der Bismarckzeit und des Kaiserreiches, die Verwaltungspraxis in der Weimarer Republik, Hitlers Eliminierung von Marxisten und Adenauers Beamtenpolitik bis zum Ministerpräsidentenbeschluß vom 28. Januar 1972" Diese historisierende Argumentation führt sich selbst ad absurdum, da die vordergründigen Parallelen einer historischen Analyse nicht standhalten. Das Engagement der politisch Verantwortlichen für einen verfassungstreuen öffentlichen Dienst verfolgt ja gerade das Ziel, diktatorische Bestrebungen zu unterbinden.
Besonders problematisch ist, daß den geschichtsklitternden Argumentationstopos von der Kontinuität der „Berufsverbote" auch Intellektuelle übernehmen, die über ein hohes öffentliches Ansehen verfügen. Walter Jens, renommierter Tübinger Professor und Publizist, ist hierfür ein charakteristisches Beispiel Er führt verschiedene Fälle beruflicher Behinderungen auf, u. a. aus den Jahren 1583, 1708, 1852, 1938 und 1976: „Fürwahr, das nenne ich mir eine Bilanz! Ob . Gotteslästerer', ob . Demokrat', ob , Calvinist', ob . Friedensfreund', ob . Kommunist': Wer opponiert, wer anders denkt, wer, einer Minderheit zugehörig, auf der falschen Seite steht, wird relegiert, gesellschaftlich verfemt, seines Amtes enthoben: Im sechzehnten Jahrhundert so gut wie in unseren Tagen. Das Resümee ist düster; keine Rede von wachsender Toleranz..." Jens hält es nicht für nötig, auf die vielfältigen Unterschiede aufmerksam zu machen.
An einen Text von August Bebel, in dem dieser fordert, den auf Klassenherrschaft beruhenden Staat in einen Volksstaat zu verwandeln, um die Macht der privilegierten Klassen zu brechen, knüpft Jens folgendermaßen an:
„Drechslermeister Ferdinand August Bebel aus Kolm ein Beamter in Nordrhein-Westfalen? Bebel, der, anders als wir, die Möglichkeit eines gewaltsamen Umsturzes nicht ausschloß? Bebel, als Lehrer an einer Gewerbe-schule seiner Heimatstadt? Kein Gedanke daran! Und Bebel stünde nicht allein, sondern wäre umgeben von Tausenden alter Genossen aus den Kreisen der kaiserlichen Sozialdemokratie. In der Tat, wir müssen wieder lernen, geschichtlich zu denken..." Dem letzten Satz bleibt nichts hinzuzufügen. „Geschichtlich denken" — gerade dies tut Jens hier nicht, sonst könnte er radikale Verlautbarungen gegen die damaligen undemokratischen Zustände nicht simpel auf die heutigen Verhältnisse transponieren. Vereinfacht ausgedrückt: Früher versuchten Staaten mit autoritären, undemokratischen Regierungsformen demokratische Kritiker mundtot zu machen, während es heute darum geht, gleichermaßen kritische und verfassungsloyale Beamte zu haben, um die Demokratie zu sichern und ständig zu erneuern. Daher trifft der Vorwurf von Jens nicht zu, daß sich der „RadikalenErlaß", den sozialdemokratische Minister ausführen, „gegen die großen Toten in den eigenen Reihen" richte.
Wer — wie Walter Jens — derartige Traditionslinien zieht, leistet einer historischen Parallelisierung völlig unterschiedlicher Vorgänge Vorschub Will man in diesem Zusammenhang überhaupt, angesichts der Schwierigkeit, Vergleichsmaßstäbe zu gewinnen, mit historischen Beispielen aufwarten, so hat das Argument ein gewisses Ge-wicht, daß aufgrund der Erfahrungen in der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik — die Beamten standen dem neuen Staat überwiegend mit innerer Distanz oder gar schroff ablehnend gegenüber —, die Demokratie die Verfassungstreue der Beamten besonders hoch veranschlagen muß. Allerdings ist hier vor der monokausalen Argumentation zu warnen, die nationalsozialistische Machtergreifung sei mit der mangelnden Einsatzbereitschaft des Beamtenapparates für den Weimarer Staat zu erklären.
Zusammenfassende Bewertung
Wer das Verfassungsgebot der „streitbaren Demokratie" für die Bundesrepublik Deutschland — zumal nach den Erfahrungen der Weimarer Republik — als unverzichtbar ansieht und sich daher dagegen ausspricht, den politischen Extremismus salonfähig zu machen, indem ihm der Weg zum öffentlichen Dienst geöffnet wird, leistet obrigkeitlichen Denkmustern keineswegs Vorschub. Gleichzeitig ist es jedoch unerläßlich, in der Auseinandersetzung mit dem Extremismus ein Höchstmaß an Liberalität zu wahren.
Die Wirksamkeit der so oft beschworenen „Solidarität aller Demokraten" könnte daran gemessen werden, ob die Parteien darauf verzichten, aus dem Extremismus-Problem Kapital zu schlagen und — in polemischen Ausfällen — die gegnerische Partei zu verdächtigen, sie meine es nicht ehrlich mit ihrer Ablehnung des politischen Extremismus. Das heißt allerdings nicht, einer — wie immer gearteten — apolitischen Gemeinschaftsideologie das Wort zu reden, über allem legitimen Streit sollte jedoch das Bewußtsein stehen, daß die tragenden Parteien der Bundesrepublik Deutschland gegenüber dem Extremismus „in einem Boot sitzen".
Viele Organisationen, die sich gegen „Gesinnungsterror", „Berufsverbote", „Duckmäusertum" und „Schnüffelpraxis" aussprechen, sind kommunistisch unterwandert oder gesteuert.
Das müßten auch die wissen, die Vorbehalte an der gegenwärtigen Praxis anzumelden haben. Sie sollten Kommunisten, die bei Wahlen chancenlos sind, kein willkommenes Forum liefern, damit DKP-nahe Autoren fortan nicht mehr davon sprechen können, die Aktionen gegen die „Berufsverbote" seien „die machtvollste demokratische Bewegung in der Geschichte der BRD" * Der Historiker Karl Dietrich Bracher, der in einem grundlegenden Werk die Ursachen des Untergangs der Weimarer Republik herausgearbeitet hat und gewiß nicht im Verdacht steht, mit undifferenziertem „law and Order" -Gedankengut zu sympathisieren, kommt zu einem Ergebnis, das es verdient, hier abschließend ausführlich zitiert zu werden: „Die unter dem Schlachtruf . Berufsverbot’ agitatorisch hochgetriebenen Kontroversen um den sogenannten Radikalenerlaß haben das Thema in unzähligen politischen Reden und Aufsätzen variiert und zu einem Vehikel der Systemveränderer gemacht. Dabei wird z. B. die Nichteinstellung von Verfassungsfeinden unhistorisch mit der Unterdrückungspraxis im Absolutismus und Obrigkeitsstaat gleichgesetzt. Das gilt zumal für Kommunisten, die zur Überwindung einer freiheitlichen Demokratie deren Vorzüge und Rechte in Anspruch nehmen, während sie selbst für eine extrem intolerante Ideologie eintreten und ihre Gesinnungsgenossen anderwärts die undemokratische Minderheits-und Einparteiherrschaft legitimieren, indem sie gut leninistisch zwischen quantitativen und qualitativen, numerischen und politischen Mehrheiten unterscheiden. Wo sie aber an der Macht sind, billigen -sie Andersdenkenden weder die Rolle einer demokratischen Opposition noch auch die »Freiheit des Andersdenkenden'zu, auf die sie sich berufen. Die Bundesrepublik bleibt mit ihrem Demokratieverständnis wegen der historischen Erfahrung (Weimar) und der geographisch-politischen Lage (DDR) dieser Problematik besonders ausgesetzt, mit der es jede Demokratie zu tun hat"
Friederike Fuchs, Bibliotheksreferendarin an der Universitätsbibliothek der FU Berlin, geb. 1950 in Mittweida; Studium der Politikwissenschaften, der Geschichtswissenschaften und der Dokumentationswissenschaften an der FU Berlin; Staatsexamen 1975. Eckhard Jesse, Diplom-Politologe, geb. 1948 in Wurzen; Verwaltungslehre, Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg, Studium der Politikwissenschaften und der Geschichtswissenschaften an der FU Berlin (1971— 1976); seit 1972 Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung. Veröffentlichungen u. a.: Die parlamentarische Demokratie, Bonn 1976 — Parteiendemokratie und Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1977, jeweils Reihe „Informationen zur politischen Bildung" der Bundeszentrale für politische Bildung, Hefte 119/124 und 171; Die Bundestagswahlen 1953 bis 1972 im Spiegel der repräsentativen Wahlstatistik, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 3/1975; Parlamentarismus in Deutschland, in: Neue Politische Literatur 3/1977; Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland und das Wahlrecht, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 51/77.