Zur Wirksamkeit der politischen Erziehung in der DDR
Karl Schmitt
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Zusammenfassung
Ausgehend von der Auffassung, daß sich auch im Sozialismus Klassenbewußtsein nicht spontan entwickelt, werden in der DDR beträchtliche Anstrengungen unternommen, die Jugend politisch-ideologisch zu erziehen. In der Schule ist das nicht allein Angelegenheit des Fachs Staatsbürgerkunde, sondern aller Unterrichtsfächer sowie einer Vielzahl außerunterrichtlicher Veranstaltungen. Ziel ist die Herausbildung einer „sozialistischen Persönlichkeit", die sich vor allem durch einen „festen Klassenstandpunkt" auszeichnet. Entsprechend steht die Vermittlung marxistisch-leninistischer „Grundüberzeugungen" im Zentrum von Bildung und Erziehung überhaupt. Trotz der gleichsinnigen Ausrichtung aller kontrollierbaren Erziehungsträger und trotz großen Aufwandes konnte die Zielsetzung bisher nur zum Teil erreicht werden. Zwar bekennt sich die Mehrzahl der Schüler verbal zu den angestrebten Überzeugungen. Es zeigt sich jedoch, daß bei vielen Jugendlichen zwischen den in Befragungen geäußerten politischen Einstellungen und dem tatsächlichen Verhalten bzw.den Verhaltensorientierungen wenig Zusammenhang besteht. Dem öffentlichen Bereich, in dem Politik als Ritual behandelt und erfahren wird, steht der private Bereich gegenüber, den man gegen Erwartungen von außen abzuschirmen versucht. Das äußert sich im Freizeitverhalten, in der Lernmotivation, bei der Berufswahl und bei der Einstellung gegenüber der vor-militärischen und militärischen Ausbildung. Die Ursachen für das beträchtliche Zurückbleiben der Erziehungsergebnisse hinter den angestrebten Zielsetzungen liegen zunächst im Verfahren des Unterrichts selbst. Die Vermittlung einer dogmatisierten Ideologie zwingt zu Unterrichtsmethoden, die der Auseinandersetzung der Schüler weder mit den Lehrsätzen noch mit der gesellschaftlichen Realität einen Spielraum lassen. Das Ergebnis ist eher Abneigung gegen die Ideologie als eine Beziehung selbständig erworbener Einsichten zu konkretem Handeln. Eine weitere Ursache für die Diskrepanz zwischen Zielsetzung und Zielverwirklichung liegt in der Art der Zielsetzung selbst. Der Vorstellung, daß es sowohl notwendig als auch möglich ist, alle Gesellschaftsmitglieder nicht nur mit einer umfassenden und geschlossenen Weltanschauung auszustatten, sondern diese auch als primäre Richtschnur für das Handeln in allen. Lebensbereichen verbindlich zu machen, widersprechen zentrale Strukturmerkmale moderner Industriegesellschaften, die auch in der DDR nicht aufhebbar sind.
In die politische Bildung wurden in der Bundesrepublik seit ihrer Gründung hohe Erwartungen gesetzt. Allem Bildungsoptimismus zum Trotz, der die heftigen Auseinandersetzungen über die Schulpolitik beflügelte, haben empirische Erfolgskontrollen jedoch regelmäßig Ernüchterung verbreitet: In die Kraft politischer Bildung in den Schulen kann nur eine mäßige Hoffnung gesetzt werden.
Kann die Schule der DDR nach fast 30 Jahren seit Gründung des Staates eine erfolgreichere Bilanz aufweisen? Ist es ihr gelungen, durch die Ausrichtung aller kontrollierbaren Erziehungsträger auf ein einheitliches Ziel, der Herausbildung ihres Ideals der „sozialistischen Persönlichkeit" näherzukommen? Angesichts der Tatsache, daß die Bevölkerung der DDR 1977 bereits zu 45% Geburtsjahr-gängen von 1945 ff. angehörte sind damit Fragen angeschnitten, die weit über ein akademisches Interesse an den Wirkungschancen politischer Bildung unter den Bedingungen unterschiedlicher Systeme hinaus erhebliche Relevanz besitzen
I. Zielsetzung: die sozialistische Persönlichkeit
Die Wirksamkeit politischer Bildung kann nur vor dem Hintergrund der jeweils verfolgten Zielsetzung angemessen eingeschätzt werden. Das allgemeine Ziel aller Erziehungsbemühungen wird in der DDR im Begriff der „allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit" (abgekürzt: „sozialistische Persönlichkeit") gefaßt, deren Herausbildung Erich Honecker auf dem VIII. Parteitag als eine „Hauptaufgabe der Partei bei der Gestaltung der sozialistischen Gesellschaftsordnung" bezeichnet hat In dieser Formulierung steckt eine der theoretischen Grundannahmen über den Stellenwert der Erziehung: Auch im Sozialismus entsteht das Klassenbewußtsein nicht spontan.
Anders als es das Basis-Überbau-Schema, nach dem das Sein das Bewußtsein bestimmt, vermuten läßt, folgt aus der Schaffung einer neuen Gesellschaft nicht automatisch die Herausbildung eines neuen Menschen, einer neuen Persönlichkeit. „Das Leben zeigt uns fortwährend ein Zurückbleiben der subjektiven Seite des Prozesses hinter der objektiven ... Es muß berücksichtigt werden, daß die Umgestaltung des Bewußtseins der Menschen langwieriger und komplizierter verläuft, als die Veränderung der ökonomischen Verhältnisse." Hier liegt die Aufgabe der Erziehung. Sie hat die Kluft zu schließen, die auch im Sozialismus zwischen dem „Alltagsbewußtsein" und dem „wissenschaftlichen Bewußtsein" besteht Damit wird die Vermittlung der marxistisch-leninistischen Ideologie als der höchsten Form des wissenschaftlichen Bewußtseins zum notwendigen Bestandteil der Erziehung.
Für die inhaltliche Definition der angestrebten sozialistischen Persönlichkeit bedeutet dies, daß der marxistisch-leninistische Klassenstandpunkt eines ihrer konstitutiven Merkmale ist. In der Hierarchie der Erziehungsziele nimmt er die Spitzenposition ein Er konkretisiert sich in sieben politisch-ideologischen „Grundüberzeugungen", die hier im Wortlaut zitiert werden (1) „Die Überzeugung von der historischen Mission der Arbeiterklasse unter der Führung der marxistisch-leninistischen Partei und ihrer führenden Rolle und wachsenden Verantwortung im revolutionären Kampf bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft; (2) Die Überzeugung vom objektiven Charakter der Entwicklung in Natur und Gesellschaft und von der Fähigkeit der Menschen, diese Gesetzmäßigkeiten zu erkennen und in bewußter, verändernder Tätigkeit anzuwenden; (3) Die Überzeugung von der Gewißheit, daß die Zukunft der ganzen Menschheit der Sozialismus ist, daß wir in der DDR zu den Siegern der Geschichte gehören und daß der Sozialismus auch in Westdeutschland siegen wird; (4) Die Überzeugung von der historischen Aufgabe der DDR und der Verantwortung der Jugend bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus, bei der Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution und bei der Verteidigung der Deutschen Demokratischen Republik und der sozialistischen Staatengemeinschaft; (5) Die Überzeugung von der entscheidenden Rolle der ruhmreichen Sowjetunion und der sozialistischen Staatengemeinschaft in der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus; (6) Die Überzeugung, daß Demokratie, Freiheit und Menschlichkeit nur dort gesichert wird, wo das werktätige Volk unter der Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei die politische Macht ausübt; (7) Die Überzeugung, daß die Jugend ihres eigenen Glückes Schmied ist, in dem sie die Rechte und Pflichten gegenüber der sozialistischen Gesellschaft bewußt wahrnimmt, sich fest in die sozialistische Menschengemeinschaft einordnet, Verantwortung für das Ganze trägt und ein kulturvolles Leben führt."
Zwei Aspekte der skizzierten Konzeption der sozialistischen Persönlichkeit verdienen hervorgehoben zu werden: der erste betrifft die formale, der zweite die inhaltliche Seite des Zielsystems. a) Formale Seite: Die Strukturierung der Erziehungsziele läßt eine klare Rangordnung er-kennen: Der Kern der sozialistischen Persönlichkeit sind die Grundüberzeugungen, die gegenüber Kenntnissen und Fähigkeiten eine eindeutige Priorität haben. Diese Position läßt sich als „intellektualistisch" bezeichnen.
Die theoretische Grundlage der intellektualistischen Ausrichtung besteht in der Annahme, daß das gesamte Verhalten des Menschen von politisch-ideologischen Grundüberzeugungen bestimmt wird, daß diese rational begründbar sind, und daß im Marxismus-Leninismus („logische und ideologische Quintessenz des ganzen Wissensschatzes der Menschheit" eine umfassende, zugleich empirische und normative Theorie vorliegt, die diese Begründung leistet. Dies läßt der Schule keine andere Wahl, als die Ideologie (so gründlich, wie es der jeweilige Entwicklungs-stand der Schüler zuläßt), zu propagieren, bei der Behandlung eines jeden Gegenstandes den Bezug zu ihr herzustellen und die Konsequenzen für das persönliche Handeln theoretisch abzuleiten. b) Inhaltliche Seite: Durchgängiges Merkmal der Grundüberzeugungen ist ein dichotomisches Denkmuster, mit dessen Hilfe der gesamte Bereich des Politischen auf ein einfaches Freund-Feind-Schema reduziert wird Theoretische Grundlage ist die Lehre vom Klassenantagonismus. Die geschichtsphilosophische und erkenntnistheoretische Interpretation der Klassentheorie führt dazu, daß die Begriffe „Freund" und „Feind“ nicht allein für einander ausschließende und sich bekämpfende politische Konzepte und deren Träger stehen, sondern mit anderen Dichotomien zusammenfallen: Fortschritt—Reaktion, Sieg— Untergang, Frieden—Krieg, Wahrheit—Irrtum usw.
Die Konsequenzen der Anwendung des dichotomischen Denkmusters für die politisch-ideologische Erziehung lassen sich in einigen Punkten zusammenfassen.
— Verkürzung der Realität: Die Schwierigkeit, alle Erscheinungen der gesellschaftlichen Realität im Prokrustesbett eines Freund-Feind-Schemas unterzubringen, hat die Aus-blendung weiter Bereiche zur Folge. Eklatantestes Beispiel ist die Volksrepublik China, die im Unterricht nur am Rande behandelt wird.
— Etikettierung statt politische Auseinandersetzung: Die Tatsache, daß theoretische Positionen, die als nicht übereinstimmend mit der marxistisch-leninistischen Ideologie betrachtet werden, gleichzeitig als objektiv feindlich und damit auch als falsch gelten, macht die Auseinandersetzung mit ihnen unter dem Gesichtspunkt der Prüfung ihres sachlichen Gehaltes überflüssig. — Tabuisierung: Mit der prinzipiellen Diskreditierung nichtorthodoxer Auffassungen geht die Tabuisierung der eigenen Ideologie und der eigenen gesellschaftlichen Realität einher. Entsprechend lautet der Tugendkatalog. Arbeit wird zur ersten Bürgerpflicht und Lernen zur ersten patriotischen Pflicht der Jugend erklärt. Hier dokumentiert sich, was die Dichotomie von Freund und Feind innenpolitisch bedeutet-die Entproblematisierung von Ziel und Weg zum Sozialismus, die Reduktion der politischen Rolle auf die Erfüllung der gesellschaftlich vorgegebenen Anforderungen im unmittelbaren Lebensbereich — Mobilisierung durch Romantik: Die antagonistisch verstandenen Dichotomien ermöglichen es darüber hinaus, die politische Romantik des Kampfes und der Revolution zumindest für die Mobilisierung Jugendlicher in die Gegenwart zu retten
II. Die Umsetzung der Erziehungsziele
Abbildung 2
Erziehungsiaktoren: Politik/Weltanschauung Rang 1.
Die Vermittlung der politisch-ideologischen Grundüberzeugungen als Kern der sozialistischen Persönlichkeit ist nicht ausschließlich dem Fach Staatsbürgerkunde zugeordnet. Politisch-ideologische Bildung und Erziehung ist durchgängiges Unterrichtsprinzip für alle Fächer: „Es gibt kein unpolitisches Fach, keine unpolitischen Methoden. Es gibt keine reinen Fachfragen. Man kann deshalb nicht hier po-litisch und dort fachlich führen wollen, weil eine Sache, die objektiv zusammengehört, nicht künstlich getrennt werden kann." Das erfordert zweierlei: Die Ausrichtung jedes einzelnen Faches auf die politisch-ideologische Zielsetzung und die Koordination der Fächer untereinander zur Ausschöpfung der entsprechenden Potenzen.
Uber den durch den Lehrplan festgelegten Unterricht hinaus soll der gesamte Ablauf des Schulbetriebs als Mittel der politisch-ideologischen Erziehung wirken. Dem dient eine breite Palette von Veranstaltungen. Sie reicht von Appellen, der Feier politischer Gedenktage, gesellschaftswissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften und FDJ-Aktivitäten bis hin zu den vielfältigen, teils obligatorischen Formen der Wehrerziehung.
Der spezifische Beitrag des Faches Staatsbürgerkunde besteht zum einen darin, daß in ihm die zentralen Bereiche der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit selbst, die Kategorien zur Analyse und Bewertung dieser Wirklichkeit, also der Marxismus-Leninismus, als Unterrichtsgegenstand systematisch vermittelt werden. Zum anderen „synthetisiert" der Unterricht im „Schlüsselfach" Staatsbürgerkunde das von den übrigen Fächern gelieferte Material unter den systematischen Gesichtspunkten der Grundüberzeugungen.
Staatsbürgerkunde wird in der zehnklassigen polytechnischen Oberschule von Klasse 7 bis 10, in den Klassen 11 und 12 der Erweiterten Oberschule und den entsprechenden Klassen der Berufsausbildung mit jeweils einer oder zwei Wochenstunden unterrichtet. Das Fach wird nach einem verbindlichen Lehrplan erteilt, der bis in die einzelnen Unterrichtseinheiten hinein detailliert vorgegeben ist. Unterrichtshilfen unterstützen die Arbeit der Lehrer, einheitliche Schulbücher die der Schüler; beide sind auf den Lehrplan abgestimmt.
Die Zulassung nur eines verbindlichen Schulbuchs, seine im Vergleich zu den übrigen Unterrichtsmitteln intensive Verwendung, seine genaue Abstimmung mit dem Lehrplan und der geltenden politischen Linie sowie seine Konzeption als Lehrbuch reflektieren den Vorrang, der kontinuierlichem Lernen, systematischer Wissensaneignung und Überzeugungsbildung gegeben wird. Dies wird unter der Prämisse möglich und notwendig, daß es nur eine Interpretation der gesellschaftlichen Wirklichkeit gibt, die sich in einem Kanon von Erkenntnissen und Überzeugungen fixieren und systematisch vermitteln läßt. Daß ein Unterrichtsstil, der sich durch die Einübung fertig formulierter Kenntnisse, deren Illustration und Begründung auszeichnet und eine grundsätzliche Auseinandersetzung ausschließt, auf Grenzen hinsichtlich der Dauerhaftigkeit und Praxisrelevanz des damit erzielten Wissens und der vermittelten Über-zeugungen stößt, wird in der DDR deutlich gesehen. Im Zuge des seit dem Ende der 60er Jahre eingeführten neuen Lehrplanwerks wird versucht, dem durch die Propagierung eines aufgaben-und problemorientierten Unterrichts Rechnung zu tragen. Nach der Devise, das „Lernen selbst zur Triebkraft des Lernens zu machen" soll durch entdeckendes Lernen die Überzeugungskraft der vom Schüler selbständig und in eigener Verantwortung erarbeiteten Lernergebnisse gefördert werden.
Wie ein Überblick über die seitherige Praxis zeigt, stehen dem neuen didaktischen Ansatz jedoch einige Hindernisse entgegen. Die Entwicklung einer primären Lernmotivation wird zunächst durch die soziale Situation im Klassenzimmer verhindert. Nach wie vor ist der Unterricht stark auf den Lehrer zentriert, der mit Hilfe der Zensuren „richtige" und „falsche" Lernergebnisse sanktioniert und die soziale Kontrolle zusätzlich über das Klassen-kollektiv organisiert. Darüber hinaus wird der Problem-und Aufgabenlösungsprozeß im Unterricht durch die Art der Problemstellung, die Informationswahl, die Festlegung der Auswertungskriterien und Begriffe sowie das Repertoire der angewandten Denkoperationen in einer Weise eingeschränkt, die nur den angestrebten Lösungen eine Chance läßt. Dabei werden vor allem vier Denkmuster systematisch eingeübt: — Nachweis der „Wahrheit" allgemeiner Aussagen mit Hilfe ausgewählter Fakten;
— Ableitung von Aussagen aus solchen höheren Allgemeinheitsgrades;
— Anwendung von Aussagen auf Sachverhalte zum Zwecke ihrer Einordnung und „Wertung"; — Ableitung von Handlungsstrategien bei gegebenen Zwecken.
Zwei Denkmuster, die in den lerntheoretischen Prämissen des Problemunterrichts enthalten sind, fehlen hingegen: die konsequente empirische Überprüfung von Aussagen und damit zusammenhängend die systematische Ermittlung der Erklärungskraft alternativer theoretischer Konzepte.
III. Ergebnisse der politischen Erziehung: Empirischer Befund
Abbildung 3
Einstellungen: Zuwachsraten durch Versuchsunterricht Einiache Kenntnisse: Wichtige Begrilie, politische Zusammenhänge: Politisches Interesse: Fragestellung Parteien, Massenorganisationen, Persönlichkeiten aus dem Leben Feindliche Klassen, Spaltung Deutschlands, Sicherung der Staatsgrenze 1961 gesellschaftlichen Zeitunglesen, entsprechende Interessengebiete, politische Gespräche mit Eltern Sieg des Sozialismus, Westfunk, Vorbilder, Bereitschaft zu schwieriger Arbeit Zuwachsrate (°/o) 60, 8 43, 3 32,ᒈ٠
Einstellungen: Zuwachsraten durch Versuchsunterricht Einiache Kenntnisse: Wichtige Begrilie, politische Zusammenhänge: Politisches Interesse: Fragestellung Parteien, Massenorganisationen, Persönlichkeiten aus dem Leben Feindliche Klassen, Spaltung Deutschlands, Sicherung der Staatsgrenze 1961 gesellschaftlichen Zeitunglesen, entsprechende Interessengebiete, politische Gespräche mit Eltern Sieg des Sozialismus, Westfunk, Vorbilder, Bereitschaft zu schwieriger Arbeit Zuwachsrate (°/o) 60, 8 43, 3 32,ᒈ٠
Eine empirisch abgesicherte und differenzierte Beantwortung der Frage, ob die politische Erziehung erfolgreich war, stößt auf eine Reihe von Schwierigkeiten: Lückenhaftigkeit des Materials aufgrund einer selektiven Forschungsstrategie und einer zunehmend restriktiven Publikationspolitik der DDR; beschränkte Vergleichbarkeit und Aussagekraft auch der verfügbaren Daten, die meist aus Untersuchungen an Schülern stammen, die im Klassenzimmer gerade in politisch-ideologischen Fragen einer eingespielten sozialen Kontrolle unterliegen. Will man jedoch nicht auf Aussagen überhaupt verzichten, bleibt nur die Wahl einer synoptischen Analyse, die die genannten Vorbehalte in Vorsicht bei der Interpretation ummünzt 1. Einstellungen Erklärtes Ziel des Staatsbürgerkundeunterrichts wie der Schule überhaupt ist es, die politisch-ideologischen Grundüberzeugungen zum Kern der Persönlichkeit zu machen und im Zusammenhang damit die politische Dimension für den Schüler zur zentralen Lebensperspektive werden zu lassen. Erste Aufschlüsse in dieser Hinsicht bieten Studien über den Grad des politischen Interesses. Aus allen Untersuchungen geht hervor, daß die überwiegende Mehrheit der Schüler ein starkes oder zumindest mittleres Interesse an Politik angibt. Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind gering, doch steigt das politische Interesse mit dem Bildungsniveau, auf dessen höheren Stufen geschlechtsspezifische Differenzen verschwinden. Bei den männlichen Studenten und den weiblichen Berufsschülern kumulieren sich die Effekte. Sie bilden die Extrempole (mit 70 0/bzw. 13% starkem Interesse). Die Stadt/Land-Unterschiede sind unbeträchtlich, während es oft — auch innerhalb der gleichen Schule — zu großen Differenzen zwischen einzelnen Klassen kommt
Stellt man hingegen die Frage nach der tatsächlichen Bereitschaft, sich politisch zu informieren, so ergeben sich wesentlich niedrigere Werte. Bei der Zeitungslektüre rangiert Politik erst an sechster Stelle der Nennungen und politische Sendungen des Fernsehens finden das geringste Interesse aller Sendetypen Diese Befunde werden bekräftigt durch Untersuchungen über die Problem-struktur von Jugendlichen: Unter den problem-auslösenden Faktoren spielt Politik nur eine untergeordnete Rolle
Die aus den Ergebnissen dieser Untersuchungen resultierende Annahme eines vergleichsweise geringen Stellenwertes des politischen Bereichs im Erleben der Schüler wird durch die bisher wohl aussagekräftigste Studie von Hennig bestätigt, bei der der Rang von 17 Interessengebieten gemessen wurde Diese Studie ist auch deshalb von besonderem Interesse, weil inzwischen Hille das von Hennig entwickelte Instrument bei Untersuchungen in der Bundesrepublik eingesetzt hat und deshalb die (seltenen) methodischen Voraussetzungen für einen Vergleich von Forschungsergebnissen aus der DDR und der Bundesrepublik gegeben sind. Dieser Ver-gleich zeigt, daß Politik in der DDR mit Platz 11, 5 bei den Schülerinnen und Platz 9 bei den Schülern weit hinter den entsprechenden Werten (Platz 3, 5 bzw. Platz 1) der Jugendlichen in der Bundesrepublik rangiert
Die überwiegende Mehrheit der Schüler erklärt, daß sie stolz auf die DDR ist Allerdings scheinen sich Stolz auf die DDR und gesamtdeutsches Bewußtsein nicht vollständig auszuschließen. Zwar bejahen 77, 2 % der befragten Schüler entschieden die Frage „Bist Du stolz, ein junger Bürger unseres sozialistischen Staates zu sein?", jedoch können sich nur 56, 9 °/o derselben Stichprobe zur ebenso entschiedenen Bejahung der Frage entschließen: „Alles verbindet mich mit der sozialistischen DDR, aber nichts mit dem imperialistischen Staat in Westdeutschland"
Inwieweit das Staatsbewußtsein ideologisch fundiert ist, läßt sich feststellen, wenn die Einstellung zur DDR nicht mehr global angegangen wird. Aufschlußreich sind die Begründungen, die Schüler (ohne Antwortvorgabe) dafür abgeben, daß sie die DDR als ihr Vaterland betrachten Die „klassenmäßige" Begründung: „Die DDR ist ein sozialistisches Land, das die Interessen der Werktätigen vertritt" erhält dabei die wenigsten Nennungen (ll, 4°/o). In erster Linie (57, 6 %) wird die DDR deswegen als Vaterland betrachtet, weil man hier geboren wurde, wohnt und lernt. Darauf folgt als zweithäufigster Grund (21, 4%), daß man in der DDR glücklich und zufrieden leben könne und daß die Zukunft gesichert sei. Hier zeigt sich eine geringe ideologische Fundierung des DDR-Vaterlandsbewußtseins.
In die gleiche Richtung weisen die Antworten auf die Frage nach dem Ausmaß, in dem die „Arbeiterklasse" und ihre Führung für den einzelnen persönlich bedeutsam werden. Stimmen noch 70, 3 % der Aussage zu, die Führer der Arbeiterklasse seien ihr Vorbild, so ist die Arbeiterklasse selbst nur für 51 % der Schüler ein „Beispiel" für ihr eigenes Leben Bemerkenswerter als diese im Vergleich niedrigen Prozentsätze ist jedoch die Tatsache, daß die Vorbildfunktion der Arbeiterklasse und ihrer Führer von Klassenstufe zu Klassenstufe abnimmt (auf 55, 7 % bzw. 38, 0 % in der 10. Klasse).
Die Bundesrepublik hat im Staatsbürgerkundeunterricht die Funktion eines negativen Gegenbildes zur DDR zu erfüllen. Dies gilt insbesondere beim Aufbau eines Freund-Feind-Schemas. Auch hier scheint das Ziel weitgehend erreicht zu sein: Auf direkte Fragen äußern 92, 5 % der Schüler, daß die Bundesrepublik den Frieden bedrohe, 85, 3 % daß in ihr die Arbeiterklasse ausgebeutet werde, und 88, 4 % daß ihre Gesellschaftsordnung abgeschafft werden müsse
Sobald die Suggestivität der Fragen zurückgenommen wird oder in eine andere Richtung wirkt, ändert sich das Bild. Während 85, 3 % der Schüler auf eine allgemeine Frage die westdeutschen Arbeiter für ausgebeutet halten, verneinen nur zwischen 74, 1 % und 46, 1 % der Befragten differenziertere positive Aussagen zu diesem Thema Es läßt sich vermuten, daß auch hier die im Sinne der Erziehungsziele positiven Aussagen in dem Maße nachlassen, wie statt allgemeiner Einstellungen ein differenziertes Urteil über konkrete Sachverhalte verlangt wird
Mit zunehmendem Alter scheint sich eine eher kritische Haltung auch gegenüber allgemeinen Aussagen zu entwickeln. Dies zeigt sich bei der Stellungnahme zu folgender These: „Die Bonner Regierung und die westdeutsche Bundeswehr sind der größte Feind des deutschen Volkes und eine Gefahr für alle friedliebenden Menschen. Deshalb hasse ich die westdeutschen Machthaber."
Während in Klasse 6 noch 90, 4 % der Schüler dieser Aussage vorbehaltlos zustimmen, sind es in Klasse 9 nur noch 50, 7 °/o. Daß der Anteil in Klasse 10 wieder auf 60, 8% ansteigt, wird auf die jetzt einsetzende intensive Wehrerziehung zurückgeführt. Bemerkenswert ist auch der geringe, aber ununterbrochene Anstieg des Anteils derjenigen, die die These strikt ablehnen.
Ein direkter Vergleich der Einstellungen der Jugendlichen zur DDR einerseits und zur Bundesrepublik andererseits, der sich aus den berichteten Befunden wegen der verschiedenen Verfahren nicht ziehen läßt, wird durch eine Studie möglich, die Ulrike Siegel in Leipzig durchgeführt hat. Sie ermittelte die Einschätzungen verschiedener Nationen, dai unter neben den USA, der Sowjetunion, China, Polen, Kuba, Afrika auch der Bundesrepublik und der DDR. Oberschüler und Lehrlinge wurden gebeten, Eigenschaften von typischen Angehörigen der genannten Nationen zu bewerten. Die Einschätzungen entsprechen ziemlich genau dem Erziehungsziel Die Bürger der Sowjetunion werden am positivsten, die Amerikaner am negativsten bewertet. Das Bild wird bestätigt durch die negative Einschätzung der Chinesen und die positive der Kubaner. Ein Vergleich zwischen Bundesrepublik und DDR wird durch ein Polaritätenprofil möglich, das teilweise sehr große Abweichungen der beiden Profile aufzeigt. Es ergibt sich eine wesentlich größere Affinität der Einschätzungen zwischen der DDR und der Sowjetunion sowie der Bundesrepublik und den USA als zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Angesichts beträchtlicher Einschätzungsunterschiede in wichtigen Eigenschaftsdimensionen kann von einem „fortbestehende(n) gemeinsame(n) Stereotyp der Deutschen beider Seiten" keine Rede sein.
Sind die Unterschiede und Übereinstimmungen der Einschätzungen zwischen Bundesrepublik und DDR bereits sehr bemerkenswert, so läßt eine Spezifizierung der Beurteilergruppen nach dem Schultyp weitere wichtige Aufschlüsse zu Im Vergleich zu den Schülern der Erweiterten Oberschule existiert für die Berufsschüler zwischen den Bürgern der Bundesrepublik und der DDR weitergehende Übereinstimmung. Die Untersuchung über nationale Stereotype bestätigt somit Ergebnisse anderer Vergleichsstudien Es ist gelungen, freilich in unterschiedlichem Ausmaß, eine positive Selbsteinschätzung der DDR und ein negatives Fremd-bzw. Feindbild der Bundesrepublik aufzubauen.
Ein Überblick über die empirischen Befunde zu den politischen Einstellungen insgesamt läßt trotz der Lückenhaftigkeit des Materials einige durchgängige Tendenzen erkennen: a) Die Übernahme der durch die Erziehungsziele formulierten Einstellungserwartungen ist in verschiedenen Bereichen von deren Grad der Generalisierung abhängig. Je allgemeiner eine Forderung formuliert wird, desto leichter wird sie akzeptiert und desto eher wird ihr — zumindest verbal — entsprochen. Je konkreter und detaillierter die erwarteten Urteile jedoch sind, desto stärker manifestiert sich eine kritische Haltung. b) Mit zunehmendem Alter und Bildungsniveau bildet sich eine Polarisierung der Verteilung in den politischen Einstellungen heraus. Die in jüngeren Altersstufen starke Gruppe der Zustimmenden und unreflektiert Unentschiedenen verringert sich zugunsten der Mehrzahl der bewußter für die DDR Partei Ergreifenden einerseits und der Minderheit der entschieden Distanzierten andererseits. Die aus diesem Prozeß hervorgehende Minderheit der Distanzierten verfügt über die gleiche intellektuelle Leistungsfähigkeit wie die ihr gegenüberstehende Gruppe. c) Da die Einstellungen nicht einheitlich sind, verbietet es sich, von „der” DDR-Jugend zu sprechen. Beim politischen Interesse zeigen sich geschlechtsspezifische Differenzen. Sie sind besonders stark bei jüngeren Schulkindern. In fast allen übrigen Einstellungsdimensionen spielen sie eine geringe Rolle. Beträchtliche Unterschiede bestehen zwischen den Schultypen. Berufsschüler haben nicht nur geringeres politisches Interesse, sondern entsprechen auch in fast allen Bereichen vergleichsweise am wenigsten den Erziehungszielen. Die Schüler der Erweiterten Oberschule bilden das andere Extrem. Sie entsprechen am stärksten den Normen, zeigen aber gegen Ende der Schulzeit zunehmende Skepsis. Wird die soziale Herkunft direkt gemessen, so erweist sich, daß in vielen Bereichen die Herkunft aus Produktionsarbeiter-, Bauern-und Selbständigen-Familien mit unterdurchschnittlicher Erreichung der Erziehungsnormen korreliert. Demgegenüber entsprechen die Kinder der Intelligenz überproportional den Forderungen. Noch stärker wirkt sich die regionale Herkunft aus. Jugendliche aus städtischen Familien zeigen größeres politisches Interesse und entsprechen in ihrer Einstellung zur DDR wie zur Bundesrepublik stärker den Normen. Dagegen weisen Schüler aus ländlichem Milieu in vielen Bereichen beträchtliche Abweichungen von den Forderungen auf. 2. Verhalten Es geht der politischen Erziehung — bei aller intellektualistischen Ausrichtung auf ein Klassenbewußtsein — nicht so sehr um die Herausbildung von politischen Einstellungen, sondern vielmehr um ihre Qualität als Verhaltensdispositionen. Dieser Umstand legt es nahe, den Grad der politisch-ideologischen Ausrichtung des Verhaltens des Schülers selbst zu ermitteln: Im Verhalten muß sich zeigen, was die Erziehung bewirkt hat
Die Wehrerziehung ist ein fester Bestandteil der schulischen Aktivitäten im Unterricht der einzelnen Fächer und außerhalb des Unterrichts. Ein im Sinne ihrer Zielsetzung positives Ergebnis zeigt sich nur insofern, als etwa 90 0/0 der Schüler der allgemeinen Notwendigkeit eines „militärischen Schutzes des Friedens" zustimmen Wird jedoch nach ihrer Bereitschaft gefragt, persönliche Konsequenzen aus dieser Einsicht zu ziehen, dann liegen die Prozentsätze wesentlich niedriger. Der Aussage „Die Mitarbeit in der GST (und im DRK) ist auch mit Ausdruck meiner Bereitschaft, mein Vaterland . . . vor allen Anschlägen des Klassenfeindes zu schützen", stimmen nur noch 54, 5% der Schüler zu; 37, 7 % nehmen eine indifferente Haltung ein und 4% lehnen sie ab Während die Zustimmung zu der Aussage sich nach Schwankungen in der 10. Klasse bei etwa 50% stabilisiert, nimmt die Ablehnung von der 6. Klasse (0, 90/0) bis zur 10. Klasse (7, 6 %) zu. In dieser Klasse halten es überdies 19% der Schüler für überflüssig, sich überhaupt militärische Kenntnisse anzueignen. Noch deutlicher ist diese Tendenz im Hinblick auf die Bereitschaft, als Soldat auf Zeit oder Berufsoffizier Dienst zu tun. Diese Bereitschaft sinkt von 36, 9 % in Klasse 6 auf 6, 8 % in Klasse 10
Insgesamt zeigt sich im Verhältnis zum militärischen Bereich eine beträchtliche Kluft zwischen den geäußerten allgemeinen Einstellungen und der Bereitschaft, daraus persönliche Konsequenzen zu ziehen. Diese Kluft erweitert sich mit steigendem Alter und damit auch mit zunehmender Erfahrung im vormilitärischen und zunehmender Konfrontation mit dem militärischen Bereich.
Die alltäglichste Herausforderung an das politisch-ideologische Bewußtsein der Jugendlichen ist die Möglichkeit, westdeutsche Rundfunk- und Fernsehsender einzuschalten. Sie besteht fast in der gesamten DDR. Der Empfang westlicher Sendungen ist zwar nicht offiziell verboten, wird aber dennoch negativ sanktioniert. Nach dem beliebtesten Rundfunksender gefragt, gaben 23, 5 % der in Halle befragten Schüler westliche Sender (vor allem Radio Luxemburg und Deutschland-funk) an 49, 3% der Schüler geben zu, täglich oder fast täglich westliche Fernsehprogramme zu sehen (westliche Rundfunkprogramme 38, 5 %). Zwar geben 36, 1 % (45, 1 %) an, westliche Programme selten oder nie einzuschalten, doch sind darunter nur 7, 3 % (8, 2%), die dies aus prinzipiellen Erwägungen tun.
Es ist davon auszugehen, daß entsprechend dem Alter der befragten Schüler (6. und 7. Klasse) vor allem die Unterhaltungssendungen interessieren. Die Anziehungskraft der westlichen Sender beruht jedoch — zumindest für die Schüler der höheren Klassen — auch auf der kritischen Einstellung der Schüler gegenüber der Darstellungsweise der DDR-Me-dien. Ein wichtiger Gegenstand der Kritik ist die einseitige Information. Dies zeigte sich, als Schüler der 6. bis 10. Klasse zu einem Urteil über die unterschiedliche Darstellungsweise der sowjetischen und der amerikanischen Weltraumexperimente in den DDR-Medien aufgefordert wurden. Lediglich 44, 1 °/o der Schüler stimmten der Praxis zu, die sowjetischen Erfolge herauszustreichen und die 1 °/o der Schüler stimmten der Praxis zu, die sowjetischen Erfolge herauszustreichen und die amerikanischen herunterzuspielen, während 47, 6 % sich dagegen aussprachen 42). Diese Haltung wird noch deutlicher, wenn die Entwicklung üb 6 % sich dagegen aussprachen 42). Diese Haltung wird noch deutlicher, wenn die Entwicklung über die Klassenstufen hinweg betrachtet wird 43).
Geht man über die Feststellung von Zustimmung und Ablehnung hinaus und untersucht die Maßstäbe, die den Urteilen zugrunde liegen, so wird die Kritik an den Medien noch deutlicher. Einen als „parteilich" geltenden Bewertungsmaßstab wenden in der 6. Klasse noch 44, 6 0/0 der Schüler, in der 10. Klasse jedoch nur noch 23, 3 °/o der Schüler an 44). Diese Ergebnisse werden als äußerst unbefriedigend empfunden: „Zwar wird die Bedeutsamkeit der Wissenschaft den Schülern mit zunehmendem Alter immer bewußter, aber sie wird als Bewertungsmaßstab zu stark verabsolutiert, was zu unparteilichen, technizistisehen Standpunktbildungen führt."
45)
In den Einstellungen zum Westfernsehen zeigen sich starke schulklassenspezifische Differenzen und solche zwischen regionalen Milieus. In der Kreisstadt Flöha z. B. lehnten 38, 2 % das Westfernsehen ab (5, 1 °/o Billigung), in der benachbarten ländlichen Klein-stadt Niederwiesa sind es nur 20, 1 % (13, 8 °/o Billigung) 46).
Angesichts dieser Haltung zu den westlichen Medien ist es nicht erstaunlich, daß die Schüler wenig geneigt sind (jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit), sich entsprechend den an sie gestellten Forderungen aktiv gegen den Empfang von Westprogrammen einzusetzen. Letzteres gilt selbst für Gruppenratsvorsitzende der Pionierorganisation, von denen nur weniger als die Hälfte dann „offensiv" eingreifen wollen, wenn ihre Klassenkameraden von Westsendungen berichten. Selbst intensiver Staatsbürgerkundeunterricht scheint hier nur graduelle Veränderungen bewirken zu können. Zwar läßt sich eine Klasse von der gegenteiligen Auffassung zu der Meinung führen, daß alle westdeutschen Rundfunk-und Fernsehsendungen „Ausdruck der Ideologie des Klassengegners" sind (95, 6 °/o), doch nur wenig mehr als die Hälfte (52, 2 °/o) der gleichen Klasse bekundet auch die Bereitschaft, sich mit Klassenkameraden oder Menschen ihrer Umgebung, die Westmedien empfangen, entschieden in diesem Sinne auseinanderzusetzen 47).
Insgesamt gesehen zeigt sich für die vormilitärische und militärische Ausbildung sowie bei der Mediennutzung eine starke Abweichung von der in den Erziehungszielen gesetzten Norm. Wie in vielen anderen Lebensbereichen kann auch hier davon ausgegangen werden, daß selbst bei vorhandenen „positiven Einstellungen" diese nicht durchgängig verhaltenswirksam sind.
IV. Wirkungen der Schule
1. Konstellation der Erziehungsträger Die politische Erziehungsleistung der Schule muß im Zusammenhang der allgemeinen politischen Sozialisation betrachtet werden. Zwar wird die Existenz einer „einheitlichen Erzieherfront" also einer Art „Sozialisationskartell", behauptet. Doch empfielt es sich zunächst einmal, Richtung, Gewicht und speziellen Bereich der Wirkung jedes Sozialisationsträgers als eigenständige Größen zu betrachten. Hinsichtlich ihres Gewichtes ergibt sich folgende Rangfolge der Erziehungsträger: Eltern, Lehrer, Freizeitgruppen und schließlich offizieller Jugendverband Dies scheint, zumindest für die Schüler, auch für den Bereich der politisch-weltanschaulichen Erziehung zu gelten. Auf die Frage: „Wovon geht Ihrer Meinung nach der stärkste Einfluß auf die Weltanschauung Ihrer Klassenkameraden aus?", antworteten 182 Schüler der 11. Klasse in Schwerin in folgender Weise
Der Einfluß der Erziehungsträger scheint jedoch je nach Schultyp verschieden zu sein Die Schüler der Erweiterten Oberschule, die ihren Lehrern gegenüber generell kritisch eingestellt sind — und das mit steigender Tendenz —, geben häufiger als ihre gleichaltrigen Mitschüler anderer Schultypen eine Vorbildwirkung ihrer Eltern an. Anders die Berufsschüler. Auch sie zeichnen sich zwar durch eine relative Distanz zu den Lehrern aus; bei ihnen gilt dies jedoch gleichermaßen für das Elternhaus. Damit ergibt sich eine Gegenüberstellung beider Gruppen: Während bei der der akademischen Ausbildung zustrebenden Jugend die nachlassenden Einflußchancen der Schulen durch die Familie kompensiert werden, orientieren sich die un-mittelbar nach dem Abschluß der allgemeinbildenden Schule ins Berufsleben tretenden Jugendlichen außerhalb der Schule wie des Elternhauses. Bei ihnen dürfte der Einfluß von Freizeitgruppen am größten sein.
Die bisher referierten Befunde liefern Aufschlüsse über das Gewicht der jeweiligen Erziehungsträger, nicht jedoch über die Richtung, in der sie wirken. Mit der Feststellung eines starken Familieneinflusses beispielsweise ist solange wenig gewonnen, als nicht geklärt ist, ob die Familie „positive" oder „negative" politisch-ideologische Einstellungen fördert. Friedrich hat die Vorbildwirkung der Eltern mit der politischen Einstellung der Jugendlichen korreliert. Dabei zeigen sich statistisch hochsignifikante Unterschiede
Diejenigen, die fest vom Sieg des Sozialismus überzeugt sind, also eine „positive" politische Einstellung haben, geben wesentlich häufiger eine Vorbildwirkung der Eltern an als zweifelnde oder unentschiedene Schüler. Jugendliche mit enger Familienbindung tendieren stärker zur generellen Anerkennung offizieller sozialer Normen und ihrer Träger. Allerdings läßt sich ohne weitergehende Analyse nicht zuverlässig ausmachen, was Ursache und was Wirkung ist. Unabhängig davon kann jedoch im Lichte dieser Befunde die weitverbreitete Auffassung nicht aufrechterhalten werden, die Familie stelle in der DDR eine generell den offiziellen Erziehungszielen gegenläufiges Erziehungspotential dar. Vielmehr scheint es gelungen zu sein, die Familie, wenn nicht in das „Sozialisationskartell" einzubeziehen, so doch wenigstens zu neutralisieren. Das schließt nicht aus, daß in bestimmten Milieus die Familie von den offiziellen Erziehungszielen abweichende Einstellungen — seien sie traditionell oder DDR-genuin — vermittelt. Dabei dürfte es sich jedoch um eine Minderheit handeln
Eine Zusammenfassung des referierten Materials ergibt folgende Konstellation der Erziehungsträger, die die Ausgangssituation für die Staatsbürgerkunde darstellt: a) Die Familie hat das größte Gewicht von allen Erziehungsträgern Sie dürfte damit in der DDR — wie eine Vergleichsstudie bestätigt — eine größere Rolle als in der Bundesrepublik spielen Es läßt sich vermuten, daß der Familieneinfluß in den meisten Fällen in die gleiche Richtung wie das öffentliche Schulwesen wirkt, oder diesem jedenfalls nicht entgegensteht. Die Erweiterte Oberschule hat hier eine günstigere Ausgangsposition als die Polytechnische Oberschule oder die Berufsschule. b) Ein im Vergleich zur Familie geringeres Gewicht besitzen die spontanen altershomogenen Gruppen. Ihre Bedeutung liegt jedoch darin, daß sie zumindest für Jugendliche aus systemkonformen Elternhäusern einen der wenigen Bereiche darstellen, in dem von den offiziellen Normen abweichendes Verhalten zum Ausdruck kommen kann. c) Demgegenüber scheint der Jugendverband (Pionierorganisation und FDJ) aufgrund der fast universellen und selbstverständlichen Mitgliedschaft und der daraus resultierenden Profilierungsprobleme nur einen unbedeutenden Einfluß auszuüben 2. Wirkungsbedingungen der Staatsbürgerkunde Die Einflußchancen der Staatsbürgerkunde hängen vor allem davon ab, inwieweit sie als Schulfach von den Schülern akzeptiert wird und welches Interesse sie ihr entgegenbringen. Zu Beginn des Unterrichts in der 7. Klasse hält die überwiegende Mehrzahl der Schüler (85 °/o) die Staatsbürgerkunde für ein wichtiges Fach. Nur sehr wenige (2 %) erachten sie als unwichtig oder teilweise wichtig (12 Prozent) Fünf Monate später hat diese hohe Einschätzung jedoch bereits nachgelassen: Nur noch knapp 75 % sehen die Staatsbürgerkunde als wichtig an. In 9. Klasse gaben etwa ein Viertel (27, 8%) der Schüler an, das Fach sehr gern zu haben, etwa die Hälfte (54, 1 %) hatte es gern, die übrigen hatten eine indifferente (15 %) oder ablehnende Haltung (2, 2 %) Bei intensivem Versuchsunterricht ließ sich diese Verteilung aufrechterhalten; in Klassen mit normalem Unterricht dagegen zeigt sich nach etwa einem halben Jahr ein merkliches Nachlassen der positiven Einschätzung. Der Anteil der Schüler, denen Staatsbürgerkunde Freude macht, liegt in allen untersuchten Klassen unter diesen Werten — auch hier mit stabiler (Versuchsunterricht) bzw. fallender (normaler Unterricht) Tendenz. In der 11. Klasse findet sich generell ein geringerer Anteil von Schülern, die das Fach gern haben. Der größere Teil sieht jedoch seine Erwartungen erfüllt
Sowohl die Wertschätzung des Faches als auch die von ihm erfüllten Erwartungen liegen in der Berufsschule wesentlich niedriger als in der Erweiterten Oberschule. Allerdings ist in der Berufsschule durch intensiven Unterricht eine Verbesserung zu erreichen, während die Tendenz in der Erweiterten Oberschule auch dann eher rückläufig ist. Die hier berichteten Steigerungsraten der Fachbeliebtheit dürften sich auf Klassen beschränken, in denen besondere Anstrengungen unternommen werden. Es ist daher zu vermuten, daß die Tendenz insgesamt fallend ist
Im Verhältnis zum Staatsbürgerkundelehrer zeigen sich ähnliche Veränderungen wie in dem zum Fach. Zu Beginn der 7. Klasse bezeichnen es 55 % als gut und 30 % als teilweise gut; ein halbes Jahr später ist dieser Anteil, besonders in Klassen ohne Versuchsunterricht, beträchtlich zurückgegangen
Geht man über die Feststellung eines guten oder schlechten Verhältnisses zu Fach oder Lehrer hinaus und fragt die Schüler nach den Ursachen, so zeigt sich folgendes Bild: Im allgemeinen scheint der Unterrichtsstoff von den Schülern weitgehend akzeptiert zu werden; die Kritik richtet sich vor allem auf die Unterrichtsführung und die persönliche Haltung des Lehrers. Ein Teil der Schüler fühlt sich wenig verständnisvoll oder gar ungerecht behandelt, was sich vermutlich auf die negative Sanktionierung abweichender („falscher") Standpunkte bezieht. Zwar erhält die Mehrheit der Schüler Antworten auf ihre Fragen, doch schätzen sie die Auseinandersetzung im Unterricht zu einem großen Teil nicht als offen ein. Die Frage: „Ist es in Deiner Klasse unter den Schülern üblich, offen und ehrlich über politische Fragen zu diskutieren?", wird nur von 15 % der Schüler der 8. Klasse uneingeschränkt bejaht 52 °/o sehen diese Offenheit nicht bei allen Schülern, 12 % nur bei wenigen, 4 °/o bei keinem Schüler und 17 0/0 wollen sich nicht äußern.
Weitere Maßstäbe der Schüler, die sie zur Beurteilung des Unterrichts verwenden, lassen sich aus den Ergebnissen der von Meier durchgeführten Absolventenbefragung entnehmen. Meier ließ die Schüler der 10. Klasse (POS) und der 12. Klasse (EOS) elf Persönlichkeitsmerkmale nach zwei Kriterien in eine Rangordnung bringen: nach dem Grad, in dem diese Eigenschaften nach Auffassung der Schüler in der Schule gefördert werden, und nach dem Ausmaß, in dem sie das Ansehen bei Mitschülern bestimmen Auffällig sind die Eigenschaften, bei denen die Rangplätze abweichen: In POS wie EOS wird der Einsatzbereitschaft die höchste Priorität bei der Erziehung zuerkannt, was ihrem Rang im Ansehen der Schüler nicht entspricht. Dagegen wird eine kritische Haltung und konsequente eigene Meinung in der Schule wenig gefördert, steht aber in der Wertschätzung der Jugend weiter oben. Darüber hinaus wird für die Schüler der EOS im Unterricht die Disziplin zu stark und die Fähigkeit zur selbständigen Entscheidung zu wenig forciert.
An diesen Maßstäben der Schüler gemessen, dürfte die Unterrichtsführung auch in der Staatsbürgerkunde einige Erwartungen offen-lassen. Wenn von den Schülern wenig geschätzte Eigenschaften — wie Disziplin und Einsatzbereitschaft — in der Schule gefördert, dagegen solche, die in hohem Kurs stehen — wie kritische Haltung, Konsequenz der eigenen Meinung und selbständige Entscheidung — vernachlässigt werden, dann führt das zu einer Beeinträchtigung der Wirksamkeit des Unterrichts. Wo Offenheit und Vertrauen zum Lehrer nicht hergestellt sind — und dies gilt unabhängig vom politischen System —, verfehlt der Unterricht die Wirkung gerade bei den Schülern, die in ihren Einstellungen der Zielsetzung der Staatsbürgerkunde ohnehin am fernsten stehen. 3. Wirksamkeit der Staatsbürgerkunde Gesicherte Aussagen über die tatsächliche Wirkung der politischen Erziehung erfordern empirische Studien, die es gestatten, den Effekt der Einwirkung der Staatsbürgerkunde exakt auf die einzelnen Elemente der Einwirkung selbst zurückzuführen. Seit Mitte der sechziger Jahre werden in der DDR regelmäßig Untersuchungen durchgeführt, die derartige Aufschlüsse versprechen. Sie stehen häufig im Zusammenhang mit der Veränderung von Lehrplänen oder dienen der Entwicklung neuer Varianten der Unterrichtsmethoden. In den meisten Fällen haben sie die Form eines Unterrichtsexperimentes.
Für die hier angestrebte Einschätzung der Wirksamkeit des Staatsbürgerkundeunterrichts sind derart zustande gekommene Befunde nur von beschränkter Aussagekraft. Hier zeigt sich nur, was der Staatsbürgerkundeunterricht unter bestimmten Bedingungen erreichen kann, nicht jedoch was er in der durchschnittlichen Schulsituation tatsächlich erreicht.
Wirkungsbereiche Die Vermutung, daß der Staatsbürgerkundeunterricht nicht in allen Bereichen in gleichem Umfang Veränderungen bewirkt, daß etwa Kenntnisse leichter als Einstellungen zu vermitteln sind, wird durch eine Vielzahl von Untersuchungen bestätigt. Vor Einführung der Staatsbürgerkunde in Klasse 7 und 8 (Schuljahr 1968/69) wurden beispielsweise in diesen Klassenstufen die vorläufigen Lehrpläne getestet und Varianten erarbeitet. Nach einem Jahr Unterricht stellte man folgende Veränderungen fest Wirkungsmuster Bei den bisherigen Überlegungen ging es im wesentlichen um die Frage, ob und inwieweit die Staatsbürgerkunde überhaupt einen ihrer Zielsetzungen entsprechenden Einfluß ausübt, ob also nach dem Unterricht die Schüler im Durchschnitt stärker „sozialistisch“ geprägte Einstellungen haben als zuvor. Dabei bleibt unberücksichtigt, daß der gleiche Unterricht bei verschiedenen Schülern zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen, die in einer pauschalen Gesamtwertung nicht zum Ausdruck kommen, führen kann. Dieser Gesichtspunkt ist besonders im Hinblick auf die Zielsetzung politischer Erziehung von Bedeutung, die bei allen Schülern ein bestimmtes Niveau politischer Einstellungen erreichen will.
Folgende Wirkungen des politischen Unterrichts kommen in Betracht: a) Die Staatsbürgerkunde entfaltet eine „homogenisierende" Wirkung: die Einstellungen der Schüler nähern sich einander an und stabilisieren sich auf einem „positiven" Niveau. b) Der wirkt auf alle Schüler in Unterricht gleichem Maße ein, daß sich die gleiche so differenzierte Verteilung auf einem höheren Niveau wiederfindet.
c) Der Unterricht polarisiert: er bestärkt sowohl die „positiven" als auch die „negativen" Schüler in ihren Einstellungen.
d) Die Wirkung bleibt aus oder ist gar negativ. Untersucht man die Ergebnisse der Unterrichtsexperimente, so sind sämtliche hier unterschiedene Möglichkeiten anzutreffen. Eine homogenisierende Wirkung findet sich meist dann, wenn bereits die überwiegende Mehrzahl der Schüler bei der Ausgangsanalyse stark „positiv" eingestellt ist. Die übrigen Schüler ziehen dann oft nach. Da die Voraussetzung häufig vorliegt, ist die homogenisierende Tendenz das dominierende Wirkungsmuster
Eine Tendenz zur Polarisierung läßt sich nicht nur in Klassen mit normalem Unterricht, sondern gerade auch in solchen feststellen, in denen intensiver Versuchsunterricht erteilt wird; sie wird daher als besonders bedenklich empfunden. Polarisierung bedeutet, daß die in der Regel kleine Gruppe mit „negativen" Positionen auch bei einer generellen Verschiebung zugunsten „positiver" Einstellungen erhalten bleibt oder sich gar verstärkt. Es hat den Anschein, daß der Unterricht selbst die Polarisierung vorantreibt, indem er die Gruppe der Unentschiedenen zwingt, in der einen oder anderen Richtung einen klaren Standpunkt einzunehmen
Die Polarisierungstendenz darf freilich nicht überschätzt werden. Sie tritt nur in einigen Untersuchungen zutage und betrifft auch nur einen Teil der Einstellungsbereiche. Außerdem umfaßt der „negative" Pol immer nur eine kleine Gruppe, die selten mehr als 10 0/0 der Befragten umfaßt. Immerhin zeigt sich, daß es dem Staatsbürgerkundeunterricht auch bei größerem Aufwand nicht gelingt, bei allen Schülern eine völlig gleiche Ausrichtung der Einstellungen zu erreichen.
Schulklassenspezilische Unterschiede Schulklassenspezifische Einstellungsmuster sind bereits mehrfach sichtbar geworden. Sie darauf daß sozialen Beziehungen hin, die innerhalb kleiner Gruppen, so auch in Schulklassen, einen wichtigen Faktor bei der Einstellungsbildung darstellen. Wie sich bei Unterrichtsversuchen zeigt, ist auch die gezielte erzieherische Einflußnahme der Wirkung dieses Faktors unterworfen.
Die verfügbaren Untersuchungen machen deutlich, daß eine ungünstige gruppendynamische Situation, sofern sie durch den Lehrer nicht rechtzeitig erkannt und verändert wird, den Staatsbürgerkundeunterricht nicht nur um den angestrebten Effekt bringen, sondern diesen sogar in das Gegenteil verkehren kann. Hier liegt, ungeachtet des vergleichsweise geringen quantitativen Ausmaßes, auch die Bedeutung der oben dargestellten Polarisierung. Hat sich — unter dem Druck des Unterrichts — erst einmal eine Gruppe mit „verfestigten Vorbehalten" in einer Klasse gebildet, dann dürfte eine ungünstige Ausgangssituation für die weitere erzieherische Einwirkung bestehen. Das gilt besonders dann, wenn zu dieser Gruppe auch Funktionäre des Jugendverbandes zählen. Geschlechtsspeziiische sowie Stadt/Land-Unterschiede Zur Frage, ob der politische Unterricht je nach Geschlecht oder regionaler Herkunft der Schüler eine unterschiedliche Wirkung zeigt, erteilt nur eine der verfügbaren Studien Auskunft. Es handelt sich dabei um die 1967/68 von Hausten im Bezirk Cottbus durchgeführte Erhebung in 8. Klassen. Bei zentralen Einstellungen (Verbundenheit mit der Arbeiterklasse; Sieg des Sozialismus in ganz Deutschland) gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede Es erweist sich, daß sowohl beim Versuchsunterricht als auch bei regulärem Unterricht Mädchen immer eine im Vergleich zu den Jungen „positivere" Entwicklung haben. Das gilt selbst dann, wenn bei Jungen eine rück-, läufige Tendenz zu verzeichnen ist. hinsichtlich Schüler der Auch der Herkunft aus der Stadt oder vom Land ergeben sich beträchtliche Differenzen Die Ausgangssituation ist durch große Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen gekennzeichnet. Der Glaube an den Sieg des Sozialismus in ganz Deutschland ist bei Schülern aus der Stadt wesentlich weiter verbreitet als bei solchen vom Land. Schüler aus Industrie-schwerpunkten — gemeint ist vermutlich das Kombinat Schwarze Pumpe — nehmen eine mittlere Position ein. Diese Situation überrascht nicht. Bemerkenswert ist hingegen der Effekt der erzieherischen Einwirkung.
In den Versuchsklassen, in denen intensiver politischer Unterricht erteilt wurde, sind die „positiven" Veränderungen bei den Landkindern am größten, bei den Stadtkindern dagegen geringer; bei den Kindern aus Industrie-schwerpunkten zeigt sich eine leicht „negative" Tendenz. Im Ergebnis bedeutet das eine weitgehende Nivellierung der vorher bestehenden Unterschiede durch politischen Unterricht.
Völlig anders entwickeln sich die Kontrollklassen, in denen eine durchschnittliche schulische Situation gegeben ist. Hier verschärfen sich die Differenzen. In dem Maße, in dem der Glaube an den Sieg des Sozialismus bei den ohnehin in dieser Hinsicht vorn liegenden Stadtkindern zunimmt, läßt er bei den Kindern vom Land nach. In Industrieschwerpunkten gibt es auch hier wenig Veränderung. Bei anderen Einstellungsbereichen werden die gleichen Tendenzen sichtbar.
V. Zusammenfassende Interpretation
Es zeigte sich, daß die Erziehungsziele hinsichtlich genereller politischer Einstellungen weitgehend erreicht wurden: Die Jugendlichen bekennen sich auf Befragen in ihrer Mehrzahl zu den gewünschten Überzeugungen. Angesichts der stark verbal orientierten Erhebungsinstrumente ist aber zu vermuten, daß sich in dem Ergebnis in vielen Fällen die Wiedergabe angelernter Formeln niederschlägt. Darauf deutet auch die von DDR-Pädagogen vielfach beklagte geringe Anwendungsbereitschaft genereller Einsichten hin Gleichwohl darf das Ergebnis nicht unter-, schätzt werden. Es ist davon auszugehen, daß so gut wie alle Jugendlichen, auch diejenigen, die der DDR oder der marxistischen Doktrin distanziert gegenüberstehen und den „Westen" bewundern, unterhalb der Schwelle der offiziellen Formeln Denk-und Wertmuster verinnerlicht haben, die in vielen Punkten mit den Erziehungszielen übereinstimmen. Diese Denk-und Wertmuster dienen als Raster bei der Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realität innerhalb und außerhalb der DDR; sie werden auch durch die westlichen Medien nicht nachhaltig in Frage gestellt.
Das Ausmaß, in dem dieses Ergebnis auf die Wirkung der Schule, speziell auf den politischen Unterricht, zurückzuführen ist, dürfte allerdings vergleichsweise gering sein. Wie die gelegentlich zu beobachtende polarisierende Wirkung des Unterrichts erkennen läßt, schwinden die Durchsetzungschancen der Staatsbürgerkunde dann, wenn sie auf Jugendliche mit „Vorbehalten" stößt.
Die Leistung der Schule besteht hauptsächlich darin, die bereits in der Familienerziehung geformten und auch während der Schulzeit weiterhin von dieser Seite beeinflußten Grundeinstellungen zu differenzieren und kognitiv abzustützen. Ihre Wirkungschancen beruhen damit wesentlich auf der indifferenten bis „positiven" Richtung der Famiiienerziehung. Die Einbeziehung eines Teiles der Familien in das den offiziellen Erziehungszielen verpflichtete „Sozialisationskartell“ stellt eine wichtige Grundlage für die Erfolge der politischen Erziehung in der DDR dar. Dieses „Sozialisationskartell" ist jedoch nicht als aktive Zusammenarbeit der Erziehungsträger zu verstehen. Es wirkt vielmehr hauptsächlich dadurch, daß für die überwiegende Mehrzahl der Jugendlichen keine Instanz vorhanden ist, die dem offiziell propagierten Deutungsmuster der Wirklichkeit eine Alternative gegenüberstellen könnte.
Als Kehrseite der Einreihung der Familie in die „einheitliche Erziehungsfront" von der Schule über die FDJ bis zu den Medien sind Rückzugstendenzen der Jugendlichen in andere Bereiche zu verzeichnen. Hier sind vor allem die in ihrer Bedeutung gestiegenen altersgleichen Gruppen und die starke Nutzung der westlichen Medien zu nennen.
Daß in der Erweiterten Oberschule günstigere Voraussetzungen für die politische Erziehung als in der Polytechnischen Oberschule bestehen, ist nur zum Teil das Werk der Schule selbst. Zwar dürfte es hier Schüler geben, die vom philosophischen System des Marxismus-Leninismus überzeugt sind. Man darf jedoch annehmen, daß die bei den Schülern dieses Schultyps anzutreffenden „positiveren" Einstellungen, ihr größeres Interesse an Politik im allgemeinen und an ideologischen Fragen im besonderen, auch durch die Selektionskriterien bei der Zulassung zu diesem wichtigen Zugangsweg zur akademischen Ausbildung und durch die starke Aufstiegsorientierung zu erklären sind. Allerdings scheinen andere für diese Gruppe charakteristische Bedingungen eine ambivalente Wirkung zu haben. Ideologische Rückschritte und eine stärkere kritische Einstellung am Ende der Schulzeit in der EOS lassen sich auch als Folge der dauerhaften Entfernung von der Arbeitswelt und der mit diesem Spielraum verbundenen Möglichkeiten zur Entwicklung eines kritischen Bewußtseins interpretieren.
Die politisch-ideologischen Grundüberzeugungen haben nicht nur die Einstellungen zu prägen, sie müssen darüber hinaus das tatsächliche Verhalten bestimmen. Nur dann kann von einer erfolgreichen politischen Erziehung die Rede sein. Dazu schreibt Diecke „Viele Schüler neigen dazu, sich subjektiv ehrlich vorschnell für den Standpunkt der marxistischen Weltanschauung zu entscheiden, ohne aber in jedem Falle die sich daraus ergebenden Konsequenzen für ihr weltanschaulich-politisches Verhalten in aktuellen Bewährungssituationen in genügendem Maße abzusehen". Dieckes Beobachtung wurde durch die oben analysierten Befunde voll bestätigt. Zwischen den in Befragungen geäußerten politischen Einstellungen einerseits und dem Verhalten bzw.den Verhaltensorientierungen andererseits war für viele Jugendliche kein Zusammenhang festzustellen.
Vielmehr ließen sich bei zahlreichen Jugendlichen Tendenzen erkennen, die diesem Zusammenhang zwischen politisch-ideologischen Überzeugungen und persönliche Verhalten direkt zuwiderlaufen. Dem öffentlichen Bereich, zu dem auch die Schule mit ihren politischen Forderungen gerechnet wird, steht der private Bereich gegenüber, den man gegen Erwartungen von außen abzuschirmen versucht. Damit ergibt sich hinsichtlich der weitergehenden Erwartung an eine erfolgreiche politische Erziehung — nämlich der Verhaltensrelevanz — eine im Sinne der Zielsetzung weit weniger zufriedenstellende Bilanz: Die geforderten politisch-ideologischen Grundüberzeugungen sind zwar bei der Mehrzahl der Jugendlichen vorhanden, sie schlagen sich jedoch nur bei einem beträchtlich geringeren Teil im konkreten Handeln nieder.
Die Ursache für diese Diskrepanz zwischen Zielsetzung und Zielverwirklichung besteht indessen nicht allein und auch nicht in erster Linie in unzureichenden Anstrengungen oder in unangemessenen Mitteln. Sie liegt weit mehr in der Art der Zielsetzung selbst, der Vorstellung nämlich, daß es sowohl notwendig als auch möglich ist, alle Gesellschaftsmitglieder nicht nur mit einer umfassenden und geschlossenen Weltanschauung auszustatten, sondern diese auch als primäre Richtschnur für das Handeln in allen Lebensbereichen verbindlich zu machen. Die Annahme, eine solche Zielsetzung lasse sich in die Realität umsetzen, steht im Widerspruch zu fundamentalen Existenzbedingungen moderner Gesellschaften, die auch für die DDR gelten.
Karl Schmitt, Dr. phil., geb. 1944; Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Romanistik in Bonn, Toulouse, Freiburg, Ann Arbor/Michigan; Assistent am Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg und Mitarbeiter des Arnold-Bergstraesser-Insituts. Veröffentlichungen: Staat und Kirche in Äthiopien, in: Dieter Oberndorfer (Hrsg.), Africana Collecta II, Düsseldorf 1971; Education and Politics in the GDR, in: Comparative Education Review, 1/1975; Funktionswandel der Bildung zwischen Sozialisation und Allokation, in: Theodor Hanf (Hrsg.), Funkkolleg Sozialer Wandel, Weinheim/Basel 1975; Politische Erziehung in der DDR (i. E.).