Militär und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland Zum Problem der Legitimität von Streitkräften
Ralf Zoll
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Zusammenfassung
Die sozialwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Militär fristet in der Bundesrepublik — und nicht allein dort — ein Schattendasein. Trotz weitgehender Einigkeit hinsichtlich dieser Aussage wird in jüngster Zeit vermutet, daß inzwischen doch eine genügend große Fülle an empirischem Material zur Verfügung stehe, um zu einer allgemeineren Analyse und zur Integration der Daten voranzuschreiten. Eine gute Möglichkeit, ein höheres Analyseniveau zu erreichen, bietet sich im theoretischen Konzept der Legitimität. Das Hauptthema dieser theoretisch-empirischen Bestandsaufnahme innerhalb des Bezugsrahmens der Legitimität bildet die Konzeption der «Inneren Führung“, welche in der Bundesrepublik zur Legitimation der Streitkräfte diente und dient. Mit der Wahl der „Inneren Führung" als Prüfobjekt wird es zum anderen möglich, auch inhaltliche Aussagen über den Umfang der Integration von Bundeswehr und Gesellschaft zu machen. Da die Konzeption der „Inneren Führung“ für sich beansprucht, der Vielfalt der zivil-militärischen Beziehungen gerecht zu werden, sind für die Analyse wenigstens fünf Betrachtungsebenen zu unterscheiden: die verfassungs-und gesetzmäßige Einbindung der Streitkräfte, die öffentliche Diskussion über und öffentliche Reaktion auf Sicherheitspolitik und Bundeswehr, Einstellungen und Verhaltensweisen von Soldaten, die soziale Herkunft und die soziale Einbindung der Soldaten. Anhand dieser fünf Dimensionen wird das vorhandene empirische Material gesichtet und eingeordnet. Das Ergebnis der Überprüfung fällt nicht eindeutig aus. Mit Hilfe entwickelter Theorien lassen sich die vorliegenden Daten zwar besser einordnen und bewerten, eine Integration ist aber nur dort möglich, wo das empirische Material schon entsprechend theoriebezogen erhoben wurde. Hinsichtlich der Frage nach dem Umfang der Integration von Bundeswehr und Gesellschaft ermittelte die Arbeit ein ebenfalls ambivalentes Resultat. Gemessen an den Normen der „Inneren Führung" ist die Integration keineswegs so weitgehend gelungen, wie das häufig in der parlamentarischen Diskussion konstatiert wird.
I. Einleitung
Die Ausbildung spezieller Soziologien gilt allgemein als Zeichen für die besonders intensive Beschäftigung mit einem Forschungszweig innerhalb der Sozialwissenschaften. Ist diese Annahme richtig, bildet die Militärsoziologie eine bemerkenswerte Ausnahme. So konnte Jacques van Doorn nach 1974 feststellen: „Die Hauptschwierigkeit besteht darin, daß das gesamte Untersuchungsfeld zu fragmentarisch und unzusammenhängend ist, und zum Teil aus diesem Grund ist die Diskussion seiner verschiedenen Aspekte oft stark deskriptiv ... Es gibt keine enge Verbindung entweder mit den wesentlichen Problemen der Soziologie oder den wichtigsten soziologischen Theorien.“
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Tabelle 5 Ausgewählte Inhalte zum Themenkomplex „Bundeswehr in den Schulbüchern" Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Tabelle 5 Ausgewählte Inhalte zum Themenkomplex „Bundeswehr in den Schulbüchern" Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Ende 1972 vermochte Heinz Renn die Frage, ob es in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt eine Militärsoziologie gebe, nur weitgehend negativ zu beantworten
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Tabelle -6 Nennverbindungen ausgewählter Inhalte mit politischen Merkmalen in den Schulbüchern Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Tabelle -6 Nennverbindungen ausgewählter Inhalte mit politischen Merkmalen in den Schulbüchern Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Und Charles C. Moskos stellte 1976 fest: „Das Studium von Streitkräften und Gesellschaft ist so etwas wie eine Anomalie in der soziologischen Disziplin."
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Tabelle 7 Ausprägungen von Anomie und politischer Entfremdung bei der Bundeswehr und zivilen Gruppierungen Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, verschiedene Projekte
Tabelle 7 Ausprägungen von Anomie und politischer Entfremdung bei der Bundeswehr und zivilen Gruppierungen Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, verschiedene Projekte
Trotz des einheitlichen trüben Bildes, das allgemein vom Zustand der Militärsoziologie gezeichnet wird, meint van Doorn eine bestimmte fortgeschrittene Entwicklungsphase erkennen zu können: „Die Militärsoziologie hat jetzt wahrscheinlich einen Punkt erreicht, wo wir einen genügend großen Fundus an Material besitzen, um zu Integration und Verallgemeinerung voranzuschreiten."
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Tabelle 8 Bevorzugter Führungsstil bei Unteroffizieren Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Tabelle 8 Bevorzugter Führungsstil bei Unteroffizieren Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Abgesehen von der wissenschaftstheoretischen bzw. erkenntnistheoretischen Problematik dieser Aussage, lassen sich die Implikationen hinsichtlich der Materialfülle wenigstens auf den ersten Blick auch für die Bundesrepublik Deutschland bestätigen. Bis heute liegen über zweihundert vorwiegend empirische Studien zur einschlägigen Thematik vor; bis Anfang der siebziger Jahre hatte das Bundesministerium der Verteidigung über einhundert Millionen DM für sozialwissenschaftliche Forschung ausgegeben, und eine Bibliographie „Bundeswehr und Gesellschaft" verzeichnet für die Jahre 1960— 1975 weit über zweitausend Titel
Abbildung 13
Tabelle 9 Bewertung von Eigenschaften bei Zeitsoldaten (Unteroffizier Wehrpflichtigen; Auswahl aus einem 50-Begriffvergleich
Tabelle 9 Bewertung von Eigenschaften bei Zeitsoldaten (Unteroffizier Wehrpflichtigen; Auswahl aus einem 50-Begriffvergleich
Existiert nun tatsächlich eine Materialfülle und lassen sich die Ergebnisse eines sehr heterogenen Materials tatsächlich verallgemeinern und integrieren? Nach van Doorn „bietet die derzeitige Legitimationskrise eine gute Gelegenheit, um zu einer allgemeinen Analyse zu gelangen ,.. Das Legitimitätskonzept und sein analytisches Potential öffnet Wege für mehr theorieorientierte Studien, zumal die Ergebnisse solcher Studien Ansatzpunkte bieten, um die Verteidigungspolitik wie die Organisation und Ausbildung des Militärs zu verbessern."
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Tabelle 10 Berufe des Vaters, bezogen auf drei Offiziersjahrgänge und vier Vergleichsgruppen; Berufe des Vaters von Unteroffizieren des Heeres und der Luftwaffe Quelle: vgl. Anmerkung 51 und Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Tabelle 10 Berufe des Vaters, bezogen auf drei Offiziersjahrgänge und vier Vergleichsgruppen; Berufe des Vaters von Unteroffizieren des Heeres und der Luftwaffe Quelle: vgl. Anmerkung 51 und Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Der vorliegende Beitrag versucht, die These von van Doorn für die Bundesrepublik Deutschland zu überprüfen. Es geht also darum, die vorhandenen empirischen Materialien mit Hilfe des Legitimationsansatzes zu integrieren und zu einem allgemeineren Analyse-niveau zu gelangen.
II. Legitimität und Legitimitätskrise
Abbildung 5
Tabelle 1 Wichtigkeit der Bundeswehr
Tabelle 1 Wichtigkeit der Bundeswehr
Das Legitimitätsthema hat in den letzten Jahren einen beachtlichen Teil der theoretischen Diskussion in den Sozialwissenschaften vor allem der Bundesrepublik Deutschland bestimmt Im Mittelpunkt des Interesses standen dabei Fragen nach der Legitimität, staatlicher Macht und staatlichen Handelns, speziell unter dem Aspekt der relativen Autonomie vom wirtschaftlichen Bereich. Bezugspunkt der Überlegungen bildeten die veränderten Staatsfunktionen, welche aus den Antagonismen des entwickelten Kapitalismus resultieren. Legitimationsprobleme ergeben sich danach aus der staatlichen Aufgabe, die das Gesellschaftssystem gefährdenden Erscheinungsformen des Wirtschaftsprozesses zu mildern oder zu beseitigen, ohne die strukturellen Ursachen der Widersprüche im ökonomischen System verändern zu dürfen. Der Staat erscheint nicht mehr als die gleichsam neutrale Instanz, welche nur die inneren und äußeren Rahmenbedingungen für das private Wirtschaften bereitstellt. Durch seine korrigierenden, umverteilenden und auch gestalterischen Funktionen gerät er zunehmend unter den Druck von sehr unterschiedlichen Gruppeninteressen, welche, jede für sich genommen, kaum wirklich zu befriedigen sind. Ein Legiti-mationsdefizit ist damit auf Dauer existent
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Tabelle 11 Prestige verschiedener Berufe nach Meinung der Bevölkerung Quelle: Jahrbücher der öffentlichen Meinung, Bd. V und VI, Allensbach 1974 und 1976
Tabelle 11 Prestige verschiedener Berufe nach Meinung der Bevölkerung Quelle: Jahrbücher der öffentlichen Meinung, Bd. V und VI, Allensbach 1974 und 1976
Legitimität staatlichen Handelns ist in mehrfacher Hinsicht ein Normenproblem. Kann Legitimität unter diesen Bedingungen überhaupt noch definiert werden, etwa als die Fähigkeit eines politischen Systems, Einverständnis der Bevölkerung mit dem System herzustellen bzw. zu bewahren? Bildet gesellschaftlicher Konsens eine zureichende Legitimation der Norm Legitimität? Muß ein allgemeiner Konsens in einer Gesellschaft mit sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten nicht auch diese Abhängigkeit widerspiegeln? Muß bei der Analyse der Konsensbildung nicht zwischen objektiven Interessen eines Gemeinwesens und den subjektiven Interessen einzelner und von Gruppen unterschieden werden? Begrenzt der Legitimitätsansatz nicht schon im vorhinein die Fragestellung auf jene parlamentarischen repräsentativen Varianten der Volksherrschaft, welche von der historischen Entstehung des Begriffs her naheliegen? Ist die inhaltliche Bestimmung von Legitimität eine Wertentscheidung, eine Setzung oder muß sie theoretisch begründbar sein bzw. begründet werden? Um diese und andere Fragen bemüht sich die neuere Legitimitätsdiskussion.
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Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Demgegenüber ist die Militärsoziologie, was den Legitimitätsansatz angeht, noch eher traditionell orientiert. Van Doorn definiert Legitimität als „die Fähigkeit eines sozialen oder politischen Systems, einen allgemeinen Glauben zu entwickeln oder zu erhalten, daß die bestehende soziale Ordnung und ihre zentralen Einrichtungen im allgemeinen angemessen und akzeptabel sind“ Wir beziehen uns auf diesen Ansatz, einmal um den Prämissen der These von van Doorn gerecht zu werden, welche es zu überprüfen gilt. Zum anderen entspricht die Definition weitgehend jenen Bedingungen, welche mit der Konzeption der „Inneren Führung“ in der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind. Die Konzeption der Inneren Führung diente und dient der Legitimation von Streitkräften in der Bundesrepublik im angegebenen Sinn. Kernstück der Konzeption der Inneren Führung bildet die Norm einer den Funktionen der Streitkräfte angemessenen weitestgehenden Integration von Bundeswehr und Gesellschaft. Als Legitimitätskrise wäre danach eine unzureichende Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft im Sinne der „Inneren Führung“ zu bezeichnen.
III. „Innere Führung" als Legitimationskonzept
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Tabelle 2 Wichtige politische Aufgabenbereiche Quelle: Infas-Repräsentativerhebungen, Bundesgebiet ohne Berlin (West), Befragte ab 18 Jahren, Random-Auswahl, Juli/August 1976 und Dezember/Januar 1977/78
Tabelle 2 Wichtige politische Aufgabenbereiche Quelle: Infas-Repräsentativerhebungen, Bundesgebiet ohne Berlin (West), Befragte ab 18 Jahren, Random-Auswahl, Juli/August 1976 und Dezember/Januar 1977/78
Das Konzept der „Inneren Führung" ist in der Praxis oft einzig als Modell eines zeitgemäßen Führungsverhaltens von militärischen Vorgesetzten mißverstanden worden. Tatsächlich handelt es sich um eine Konzeption, welche versucht, der Vielfalt in den zivil-militärischen Beziehungen gerecht zu werden. Für den vorliegenden Zweck müssen wir wenigstens fünf Betrachtungsebenen unterscheiden. 1. Die verfassungs-und gesetzmäßige Einbindung der Streitkräfte Aufgaben und Wirkungsumfang von Streitkräften sind in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsmäßig festgeschrieben. Entscheidend ist die Verankerung des Primats einer demokratischen Politik, welche sich in gesetzlichen Regelungen auch für die Rechte und Pflichten der Soldaten widerspiegelt. 2. Öffentliche Diskussion und öffentliche Reaktion
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Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Quelle: Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr
Das Primat'einer demokratischen Politik bedeutet nicht allein eine klare Festlegung der Aufgaben der Bundeswehr oder die Regelung des Oberbefehls, sondern erfordert letztlich eine angemessene öffentliche Diskussion über Fragen der Sicherheitspolitik und damit über den jeweiligen Stellenwert von Streitkräften je nach historischer Situation. Diese Anforderung beinhaltet sowohl die Pflicht zur möglichst weitgehenden Information der Bevölkerung durch die dafür zuständigen Stellen wie Parlament, Regierung, Verteidigungsministerium oder Parteien über die Konzeption von Sicherheitspolitik und die Problematik bewaffneter Macht, als auch die Darstellung dieser Aspekte in den Massenmedien und die argumentative Auseinandersetzung in der Bevölkerung. Nur dann besteht eine ausreichende gesellschaftliche Legitimation für Streitkräfte und nur dann können Wahlen oder Abstimmungen über politische Programme auch eine politische Legitimation grundlegen. Die Abwesenheit von offenem Widerstand oder fehlende Verweigerungen größeren Umfangs gegenüber der Wehrpflicht können kaum als ausreichende Legitimation von Sicherheitspolitik und Streitkräften gelten.
Mit dieser näheren Bestimmung der zweiten Betrachtungsebene wird der Rahmen verlassen, der durch die Legitimitätsdefinition von van Doorn vorgegeben ist. Eine solche Erweiterung ist an dieser Stelle jedoch insofern gerechtfertigt, als die politische Führung in wesentlichen Äußerungen selbst von einem so gerichteten normativen Begriff von Öffentlichkeit ausgeht. Im „Weißbuch 1973/1974 zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr“ heißt es: „Politische Öffentlichkeit ist ein Wesensmerkmal der Demokratie. Information und ausreichende Unterrichtung sind Vorausset-zung zur politischen Teilnahme, zur fundierten Urteils-und Willensbildung. Dies gilt auch für die Sicherheitspolitik.“ Eine weitere Erläuterung, was unter politischer Öffentlichkeit zu verstehen ist, wurde schon im Weißbuch 1970 vorgenommen: „Jede Ansammlung von Macht — politischer Macht, wirtschaftlicher und bewaffneter Macht — erzeugt in einer Demokratie Spannungen, Mißtrauen und Wachsamkeit. Die Bundeswehr ist eine der umfangreichsten und stärksten Organisationen in der Bundesrepublik ... Sie macht nicht nur einen großen Teil der staatlichen Exekutive aus, sondern ist zugleich der größte Dienstleistungsbetrieb in unserem Lande und überdies das stärkste Instrument staatlicher Macht. Dieses Instrument bedarf deshalb der wachsenden Kontrolle.“ 3. Einstellungen und Verhaltensweisen der Soldaten Die primär individualbezogene Komponente der „Inneren Führung" wird oft als das Modell vom „Staatsbürger in Uniform“ bezeichnet. Das Modell vom „Staatsbürger in Uniform" besitzt einen doppelten Integrationsaspekt. Auf der einen Seite sollen dem Soldat als Staatsbürger alle Möglichkeiten der politischen Teilnahme und des politischen Engagements im zivilen Bereich offenstehen. Auf der anderen Seite geht es im Rahmen der Organisationsbedingungen für Streitkräfte um die Realisierung eines den demokratischen Erfordernissen angemessenen, auch politisch sensiblen Bewußtseins, um angemessene Verhaltensdispositionen wie um ein angemessenes Verhalten, besonders der Vorgesetzten.
Hieraus ergeben sich weitreichende Anforderungen vor allem an das Ausbildungssystem der Bundeswehr.
In einer Wehrpflichtarmee darf das Modell vom „Staatsbürger in Uniform" aber nicht, wie häufig geschehen, einzig als Modell für Vorgesetzte, vor allem für höhere Vorgesetzte, mißinterpretiert werden. Besonders unter der Militarismusproblematik kommt z. B.dem Sozialisationseinfluß des Wehrdienstes auf die Wehrpflichtigen eine besondere Bedeutung zu. 4. Soziale Herkunft der Soldaten Die allgemeine Zugänglichkeit, vor allem zu sogenannten Eliteberufen, gilt seit jeher als ein Merkmal demokratischer Gesellschaften. In der deutschen Militärgeschichte für das Kaiserreich und die Jahrzehnte davor läßt sich nachweisen, daß eine strenge einseitige Auswahl den Zugang zum Offizierberuf reglementierte. Am Rekrutierungsmuster, besonders für den militärischen Führungsnachwuchs, kann demnach abgelesen werden, in welchem Umfang deren soziale Herkunft dem Anspruch einer pluralistischen Gesellschaft entspricht. 5. Die soziale Einbindung der Soldaten Der Soldatenberuf besitzt einige Spezifika, ist letztlich aber gegenüber anderen Berufen weder herausgehoben noch zurückgesetzt. Ein wesentlicher Aspekt von Integration besteht darin, ob der Soldat soziale Anerkennung, soziales Prestige wie vergleichbare Berufe erfährt, ob er in die Kommunikationskreise seiner Wohnorte und das gesellschaftliche Leben ganz allgemein eingebunden ist.
IV. Konzeption und Realität — Der empirische Befund
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Tabelle 3 Betroffenheit durch Bundesorgane oder Bundeseinrichtungen Quelle: Jahrbuch der öffentlichen Meinung, Bd. VI, Allensbach 1976
Tabelle 3 Betroffenheit durch Bundesorgane oder Bundeseinrichtungen Quelle: Jahrbuch der öffentlichen Meinung, Bd. VI, Allensbach 1976
Es ist einsichtig, daß die Aufbereitung des empirischen Materials anhand des Legitimationskonzepts „Innere Führung“ im Rahmen ei-nes Aufsatzes nur eine äußerst begrenzte Zahl an Daten zu berücksichtigen vermag. Der Realitätswert, welcher der Überprüfung der Ausgangsthese zukommt, hängt deshalb entscheidend davon ab, ob die herangezoge-nen Daten in etwa repräsentativ für die Gesamtheit des Materials sind. Eine solche Repräsentativität ist allerdings insofern nicht gegeben, als versucht wurde, wenn vorhanden, nur fundiertes Material zu berücksichtigen. 1. Die verfassungsund gesetzmäßige Einbindung der Streitkräfte Die verfassungs-und gesetzmäßige Einbindung der Streitkräfte in das politische System der Bundesrepublik Deutschland ist unter formaler Betrachtung weitgehend gelungen. Der Primat der Politik ist fest verankert und im Zweifelsfall gelten demokratische Normen eher denn Erfordernisse der militärischen Organisation. Mit dem Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages wurde eine für das parlamentarische System in der Bundesrepublik einmalige Institution, nämlich die eines . Ombudsmans', geschaffen. Seine Aufgabe besteht, verkürzt gesagt, in der Absicherung der gesetzlich garantierten Grundrechte der Soldaten und in der Beobachtung und Kontrolle undemokratischer oder gar anti-demokratischer Tendenzen in der Bundeswehr.
Die empirische Bestandsaufnahme zeigt, daß zwischen Normierung und Realität erhebliche Diskrepanzen bestehen. Wenn auch die ermittelten Probleme eher für das parlamentarische System als solchem denn für den Verteidigungsbereich charakteristisch sind so mag dennoch die Schärfe überraschen, mit welcher sie zutage treten. So resümiert Heribert Schatz seine Untersuchung über die verteidigungspolitische Willensbildung im Deutschen Bundestag, „daß der Bundestag insgesamt, aber auch die Opposition, in bezug auf verteidigungspolitische Grundsatzentscheidungen sowohl quantitativ als auch qualitativ im allgemeinen wenig Gewicht haben“ Dominierend ist die Bürokratie vor allem auch bei Entscheidungen über größere Beschaffungsprogramme. Das Parlament allgemein wie der Verteidigungsausschuß bzw.der Haushaltsausschuß sind selbst nur schwer in der Lage und werden auch von der Ministe-rialbürokratie nicht in die Lage versetzt, Vorschläge zu überprüfen oder wirklich Alternativen zu entwickeln. Unter vorgeblichem Zeit-und Kostendruck fallen die Entscheidungen meist im Sinne der Exekutive
In einer Analyse des größten westeuropäischen Rüstungsprogramms der Geschichte, der deutsch-britisch-italienischen Kooperation in der Entwicklung des Kampfflugzeugs MRCA Tornado, werden von Alfred Mechtersheimer die Ergebnisse der „älteren“ Untersuchungen weitgehend bestätigt, und nicht nur das Mechtersheimer kann nachwei-
sen, daß neben den erschreckenden Defiziten an parlamentarischer und allgemein öffentlicher Kontrolle sich im Laufe der Zeit das Rüstungsprogramm von seinen Zielen nahezu ganz verselbständigte. Von der ursprünglichen militärischen Forderung der Luftwaffe ist heute nur noch wenig übrig geblieben. „Weil die Luftwaffe das Flugzeug, das sie gefordert hatte, nicht erhalten konnte, das MRCA nun aber einen Platz im Luftwaffenkonzept erhalten muß, wird eine militärische Forderung nachgereicht ... Das MRCA hat militärische Forderungen produziert, die es ohne dieses Flugzeug nicht gegeben hätte, zumindest aber nicht erhoben worden wären. Dieser Umkehrung der Zweck-Mittel-Relation war man sich durchaus bewußt, wie die sarkastische Luftwaffen-Interpretation . Military Requirements Come Afterwards'für , MRCA’ zum Ausdruck bringt." Das hierdurch neben den finanziellen und sicherheitspolitischen Implikationen, welche den Glauben an eine irgendwie geartete Rationalität des parlamentarischen Systems als Variante der „Volksherrschaft" arg strapazieren, alle Ansätze zum Militärisch-Industriellen Komplex wieder größere Plausibilität erhalten, liegt auf der Hand. Bezogen auf die Funktion der öffentlichen Kontrolle wurden ironischerweise gerade in jener Phase, in der sich öffentliche Kritik am MRCA-Programm äußerte, die zum Teil sehr widersprüchlichen Interessen im Verteidigungsministerium und in der Bundesregierung eben durch die Angriffe von „außen“ geeint. In der Tätigkeit des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages wird in der einschlägigen Literatur in zunehmendem Umfang eine Schwerpunktverlagerung festgestellt. In seinen Jahresberichten nimmt die eigentliche primäre politische Kontrollfunktion einen immer geringeren Raum ein, in den Vordergrund geschoben haben sich demgegenüber gleichsam lobbyistische Aktivitäten auf dem Sektor der Fürsorge und Betreuung Der Jahresbericht 1977 könnte allerdings als Tendenzwende bezeichnet werden.
Insgesamt fehlt es jedoch sowohl an faktischer parlamentarischer Entscheidungsfähigkeit als auch an zureichender parlamentarischer Kontrolle. 2. Öffentliche Diskussion und öffentliche Reaktion Die demokratietheoretische Perspektive „gebt von der Annahme aus, daß das Militär nur insofern legitim ist, als die Gesellschaft als Ganzes seiner Existenz und dem Gebrauch seiner Macht zugestimmt hat. Das zentrale Merkmal ist Konsens." In der hier wichtigen Literatur wird der demokratische Konsens in zweifacher Weise als gegeben oder hergestellt angesehen. Die Theorie, welche wir auf den nächsten Seiten diskutieren, beschreibt diesen Konsens, soweit er sich auf größere politische und soziale Systeme bezieht, als „eine eher allgemeine Unterstützung für bestimmte Institutionen und das Fehlen von explizitem und erfolgreichem Widerstand gegen die Existenz dieser Institutionen"
Als „allgemeine Unterstützung" (fairly general support) wollen wir eine wohlwollende, bestätigende öffentliche Meinung verstehen, welche an die Erfüllung der politisch festgeschriebenen Funktionen der Streitkräfte glaubt; als „expliziter Widerstand" (explicit resistance) kann in der Bundesrepublik mit ihrer Wehrpflichtarmee etwa die Zahl der Kriegsdienstverweigerer oder die Zahl der Freiwilligen in Relation zum Personalbedarf betrachtet werden.
Beide Momente sind abhängig von allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, historisch also keineswegs konstant. Für die Bundesrepublik zeigt sich hinsichtlich der öffentlichen Meinung trotz sehr unterschiedlicher allgemeiner Entwicklungen ein konstant ambivalentes Bild. Das Meinungsspektrum ist breit gefächert und die Bewertungen differieren zum Teil extrem, je nachdem, welcher Aspekt der Streitkräfte gerade gefragt ist.
Auf die Problematik des Begriffs öffentliche Meinung, auf seine Reichweite wie auf die Frage, was überhaupt durch Meinungsforschung erfaßt wird, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Wenn wir allerdings Ergebnisse der Meinungsforschung als Indikator für die Legimitation der Bundeswehr heranziehen, dann bewegen wir uns in Jedem Fall im Rahmen der systemimmanenten Betrachtung, wie sie etwa durch die parlamentarische Diskussion oder die Äußerungen der Bundesregierung vorgezeichnet ist. Auf der Kommandeurstagung der Bundeswehr sagte der damalige Verteidigungsminister Georg Leber z. B.: „Die Notwendigkeit der Bun-deswehr für die Aufrechterhaltung unserer äußeren Sicherheit wird von der großen Mehrheit unserer Bürger heute anerkannt. Die Bundesregierung kann sich bei der Verfolgung ihrer sicherheitspolitischen Ziele daher des Rückhalts in der Bevölkerung der Bundesrepublik sicher sein. Auch Umfrageergebnisse, wonach im Gegensatz zu den Vorjahren drei Viertel der Bürger die Bundeswehr für .sehr wichtig'oder für . wichtig'halten, bestätigen dies." 20)
In der Tat brachten die letzten Jahre, fragte man nach der Bedeutung der Bundeswehr, einen erheblichen Anstieg der Zustimmung in der Bevölkerung von 58 Prozent 1974 auf 79 Prozent 1977/78 (vgl. Tabelle 1, S. 30)
In den Jahren 1976 und 1977/78, in denen 79 Prozent der Bevölkerung die Bundeswehr für wichtig oder sehr wichtig halten, zählen aber nur fünf bzw. neun Prozent die äußere Sicherheit zu den wichtigsten politischen Aufgabenbereichen (vgl. Tabelle 2).
Auch läßt sich bei korrelativer Analyse erkennen, daß tendentiell die Wichtigkeit der Bundeswehr um so geringer bewertet wird, je demokratischer im Sinne eines pluralistischen Demokratieverständnisses der Befragte eingestellt ist und je eher er erklärt, auch die direkten politischen Einflußmöglichkeiten oder Partizipationschancen im repräsentativen demokratischen System zu nutzen Eine im Vergleich zu anderen Staatsorganen geringere subjektive Betroffenheit des einzelnen durch die Bundeswehr relativiert die Zustirnmungsdaten ebenfalls (vgl. Tabelle 3).
Andererseits sehen etwa von 1 821 repräsentativ ausgewählten Lehrern verschiedener Schultypen 71 Prozent in der Wehrdienstzeit einen Nutzen für den späteren Beruf des Wehrpflichtigen Gilt also die Erziehungsleistung der Bundeswehr in der genannten Weise als bedeutsam, so wird ihre Kampf-kraft im Vergleich zu DDR-oder UdSSR-Truppen als relativ gering geachtet; nur zehn bzw. neun Prozent der befragten Lehrer meinen, die Bundeswehr könne eine militärische Auseinandersetzung gewinnen (vgl. Tabelle 4).
Diese ausgewählten Beispiele aus Ergebnissen im wesentlichen der Meinungsforschung belegen, daß keineswegs, wie es manche Zahlen über die Ansichten der Bevölkerung zur Wichtigkeit der Bundeswehr nahelegen, von einer durchgängigen Legitimation der Streitkräfte durch die öffentliche Meinung gesprochen werden darf. Die ausgewählten Beispiele belegen außerdem, daß den Daten der Meinungsforschung keine größere Aussagekraft zukommen kann, als Meinungen sie per definitionem haben. Meinungen besitzt der einzelne zu hunderten oder gar zu tausenden; sie existieren an der Oberfläche der Persönlichkeit, sind ebenso schnell zu bilden wie zu verändern und dem Menschen auch in ihrer Widersprüchlichkeit häufig nicht bewußt. Aus einer neueren Studie, welche versucht, hinter die Oberflächenmeinungen zu schauen und Motivstrukturen zu ermitteln, liegen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung leider erst einige wenige Daten vor
Dabei ist an dieser Stelle von Interesse, daß die neuen Ergebnisse doch eine bemerkenswerte Stimmigkeit zeigen, eine Stimmigkeit, die Richard L. Merritt in bezug auf die öffentliche Meinung als „kognitive Konsistenz“ (cognitive consistency) bezeichnet hat So wurde ermittelt, daß Personen, welche die Bundeswehr eher für wichtig halten, — mit den Militärstrategien eher konkrete Vorstellungen verbinden, — eher zutreffende Kenntnisse über Bundeswehr und Sicherheitspolitik haben, — eher Vertrauen zum Bündnis (NATO) und zu den USA besitzen, — häufiger über Bundeswehr und Sicherheitspolitik sprechen und — die äußere Sicherheit eher höher bewerten als Personen, welche die Bundeswehr als weniger wichtig einschätzen Legitimationsprobleme sind auch erkennbar, wendet man sich dem zweiten hier diskutierten Ansatz zu. Als Maßstab für die Feststellung einer Krise können dabei objektive Schwierigkeiten in der Funktionserfüllung der Bundeswehr wie die Reaktionen der politisch Verantwortlichen dienen.
Als Legitimationskrise läßt sich einmal die Entwicklung im Bereich der Kriegsdienstverweigerer bezeichnen. Die Zahl der Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer stieg von 2 777 im Jahr 1964 über 19 363 im Jahr 1970 auf 35 192 für 1973. 1976 wurden dann sogar über 40 000 Anträge registriert. Geburtenstarke Wehrpflichtigenjahrgänge und wahrscheinlich auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt haben in der Folgezeit die Auswirkungen der Kriegsdienstverweigerung so stark relativiert, daß der Deutsche Bundestag auf Initiative der Bundesregierung 1977 vor allem im Interesse größerer Rechtssicherheit beschloß, das Prüfverfahren für Kriegsdienstverweigerer auszusetzen.
Mit der Aussetzung des Prüfverfahrens stieg die Zahl der Kriegsdienstverweigerer allerdings so stark an — 1977 wurden über 70 000 Anträge registriert —, daß der erfolgreiche Antrag der Opposition im Deutschen Bundestag beim Bundesverfassungsgericht auf einstweilige Anordnung zur Aussetzung der Neuordnung der Kriegsdienstverweigerung im Rahmen einer Normenkontrollklage Bundeswehr wie Bundesregierung wenigstens bis zum Urteil vor nicht erwarteten Problemen bewahrte. Hier ist es gerechtfertigt, wenigstens von einem Legitimationsdefizit zu sprechen. Immerhin gingen 1977 in den Wochen seit der Aussetzung des Prüfverfahrens ca. 40 000 Verweigerungsmeldungen ein.
Die siebziger Jahre brachten zum anderen aber nicht nur auf der Wehrpflichtigenebene Probleme. Anfangs der siebziger Jahre ergaben sich eklatante Lücken in der Rekrutierung des Unteroffiziers-wie des Offiziers-nachwuchses. Das Heer hatte bei bestimmten Waffengattungen zeitweise nicht einmal eine zweistellige Zahl an ernsthaften Offiziersbewerbern. Die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr war ernsthaft in Frage gestellt. Umfangreiche und tiefgreifende Reformmaßnahmen, wie bei der Bildungsreform gegen den deutlichen Widerstand eines größeren Teils des Militärs von der Bundesregierung durchgesetzt, haben in der Folge mit den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungsbereich den Nachwuchsmangel an Offizieren ganz, den an Unteroffizieren leidlich behoben. Die Krisensituation gilt heute als bereinigt.
Daß es bei den Wehrpflichtigen wie bei den Unteroffizieren überhaupt zu Rekrutierungsproblemen kommen konnte, wurde in der parlamentarischen Diskussion auf eine geringe Wehrmotivation wie insgesamt auf eine staats-neutrale bis staatsfeindliche Einstellung besonders der jungen Generation zurückgeführt. Als verantwortlich betrachtete man u. a. eine unzureichende Unterrichtung der Jugendlichen in den Schulen. Schulbuchanalysen erbrachten denn auch als Ergebnis, daß eine Erziehung zur Wehrfreudigkeit nicht erfolgte, ebensowenig aber auch eine problembezogene Behandlung von Sicherheitspolitik und Streitkräften
Bei der Kritik an der Darstellung dieser Thematik in den Schulbüchern ist relativierend darauf hinzuweisen, daß Schulbuchanalysen zu anderen Problembereichen, etwa dem der Entwicklungsländer, keinesfalls positivere Ergebnisse gezeitigt haben. Dennoch ist es bemerkenswert, daß beispielsweise gerade nur jedes zweite der für die Abschlußklassen der allgemein-und berufsbildenden Schulen in der Bundesrepublik zugelassenen Sozialkundebücher den Wehrbeauftragten erwähnt oder nur jedes vierte die Frage der Wehrgerechtigkeit (vgl. Tabelle 5)
Betrachtet man die begrifflichen Zusammenhänge, in denen zentrale Probleme von Bundeswehr und Sicherheitspolitik behandelt werden, so bestätigen sich die Defizite. Wie Tabelle 6 ausweist, werden z. B. von insgesamt 158 Nennungen des Inhalts „Wehrpflicht“ nur 28 im Zusammenhang mit dem Komplex „Demokratie" und nur 11 im Kontext des Begriffsinhalts „Sicherheit" gebraucht
Die in der Folge des Ansteigens der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung Anfang der siebziger Jahre entstandene Diskussion um eine sogenannte „Wehrkunde" in den Schulen ist inzwischen abgeebbt. Geblieben sind die Defizite hinsichtlich einer problembezogenen Darstellung von Sicherheitspolitik und Streitkräften in den Schulbüchern und geblieben ist auch eine damit korrespondierende unzureichende öffentliche Diskussion.
In der demokratietheoretischen Diskussion wird eine Legitimation der Streitkräfte nicht auf eine wohlwollende Meinung oder die Abwesenheit von explizitem Widerstand beschränkt gesehen. Als für eine demokratische Legitimation unabdingbar gilt die intensive öffentliche Diskussion zentraler politischer Entscheidungen, deren Abklärung durch Austausch von Argumenten und durch Auseinandersetzung unterschiedlicher Positionen.
Geht man davon aus, daß in demokratischen Gesellschaften, besonders bei lebenswichtigen Entscheidungen, eine breitestmögliche Beteiligung der Bevölkerung zu verwirklichen ist, so bildet die Sicherheitspolitik eines Staates den Partizipationsgegenstand par excellence. Wie vielfach betont, bedeutet heute ein Krieg nicht mehr „nur“ die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln, sondern eine Gefährdung der Menschheit schlechthin oder, in anderen Worten, das Ende jeder Politik. Aus der Sicht der bundesrepublikanischen Bevölkerung braucht man nicht einmal die Eskalation bis zum Atomkrieg anzunehmen; die derzeitig gültige Militärdoktrin der „flexible response" und der „Vorneverteidigung“ läßt bei einem begrenzten Konflikt eine Vernichtung wenigstens von Teilen der Bundesrepublik selbst bei einem „Sieg“ der NATO nicht unwahrscheinlich erscheinen. Unter dieser Perspektive besteht für die Bevölkerung der Bundesrepublik ein im wahrsten Sinne des Wortes lebenswichtiges Interesse, sich an wesentlichen sicherheitspolitischen Entscheidungen zu beteiligen.
Die empirisch feststellbaren Diskrepanzen zwischen partizipatorischer Norm und auf-33 zeigbaren Interessen sind allerdings außerordentlich groß. Nur 16, 6 Prozent eines repräsentativen Bevölkerungsquerschnittes wissen in der Bundesrepublik ungefähr, was der Begriff „Vorneverteidigung" überhaupt bedeutet; etwa 70 Prozent der Befragten haben nach eigenen Angaben noch nie von dem Begriff gehört. Den Begriff „flexibel response" kennt nur jeder zehnte erwachsene Bundesbürger, nur gut drei Prozent wissen, um was es sich dabei handelt
Es wurde oben schon darauf hingewiesen, daß aus einer überwiegend „positiven" Einschätzung der Bundeswehr durch die Bevölkerung keine generelle Legitimation der Streitkräfte und der Sicherheitspolitik abgeleitet werden kann. Die Unkenntnis über die gültige Militär-strategie und ihre Implikationen ist sicher stärker zu werten als nur eine Informationslücke. Wenn die gültige Militärdoktrin beinhaltet, daß zur Verteidigung der Bundesrepublik notfalls auch Atomwaffen auf dem eigenen Gebiet eingesetzt werden, und wenn weiterhin nur noch 16, 5 Prozent der Bevölkerung unter diesen Umständen der Ansicht sind, die Bundesrepublik solle sich überhaupt einem militärischen Angriff auf ihr Territorium mit Waffengewalt widersetzen, dann muß im Rahmen des demokratietheoretischen Ansatzes hieraus auf ein erhebliches Legitimationsdefizit geschlossen werden Unzulässig ist dagegen aus diesen Daten der Schluß, die Bevölkerung würde bei genauer Kenntnis dieser Zusammenhänge die Bundeswehr für überflüssig erachten.
Als Ursache für Kenntnislücken und Desinteresse kann u. a. eine Vernachlässigung der Thematik Sicherheitspolitik und Bundeswehr auf vielen Ebenen der öffentlichen Diskussion gelten. Schon festgestellten Defiziten im parlamentarischen Raum entspricht nach der einschlägigen Literatur das gänzliche Fehlen einer „Strategie community" größerer Reichweite Obwohl auch hier umfassendere Studien empirischer Art nicht vorliegen, lassen sich aus einer Untersuchung der Präsentation der Bundeswehr im deutschen Fernsehen doch einige Hinweise gewinnen, zumal die Untersuchung einen verallgemeinerungsfähigen Ansatz wählte Für den Untersuchungszeitraum vom August 1975 bis Dezember 1976 wurden u. a. die folgenden Resultate ermittelt: — In den Programmsparten, die den Fernsehalltag ausmachen, fehlen weitgehend Bezüge zu den Streitkräften;
— bei den Sendungen zur Sicherheitspolitik findet die NATO durchschnittliche, die Bundeswehr kaum Erwähnung; — die Bundeswehr wird nicht im Rahmen der militärstrategischen Funktionen und ihrer Probleme dargestellt; die Bundeswehr erscheint eher als Katastrophenschutztruppe oder Feuerwehr;
— die als Bezugsgruppe gewählten anderen staatlichen Einrichtungen — Bundesgrenzschutz und Polizei — sind in den Sendungen in ihren Funktionen vergleichsweise selbstverständlicher Teil der Gesellschaft.
Im Medium mit der größten Glaubwürdigkeit in der Sicht der Rezipienten fehlt also eine Problem-und funktionsbezogene Darstellung der Streitkräfte im Untersuchungszeitraum fast völlig.
Ob eine in der Folgezeit unsystematisch beobachtete häufigere und problembezogenere Thematisierung von Sicherheitspolitik und Bundeswehr eine grundsätzliche Wandlung anzeigt, bleibt abzuwarten.
Eine von der Arbeitsgemeinschaft für Wehrpflichtige (Aktion Kaserne) durchgeführte Inhaltsanalyse der Zeitungen BILD, BILD am Sonntag, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und Süddeutsche Zeitung (SZ) (Ausgaben vom 26. 3. — 27. 5. 1977) kommt zu dem Ergebnis, daß auch im Medium Zeitung, hier allerdings bezogen auf die Probleme der Wehrpflichtigen, eine ungenügende Information erfolgte. „Die Untersuchungsergebnisse ... zeigen, daß Wissen, das für den einzelnen Wehrpflichtigen im Kasernenalltag nützlich sein kann, bis auf einige Abweichungen kaum vermittelt wird. Ebenso stehen zentrale Probleme und Fragen der Wehrpflichtigen, wie Besoldung, heimatferne Stationierung und dergleichen, nicht im Brennpunkt des Zeitungsinteresses. Der Schwerpunkt der Themen liegt vielmehr bei Phänomenen im Bereich der Bundeswehr, das heißt Fragen zum Personal, zum Material und der Infrastruktur der Bundeswehr und zur Militär-/Wehrgesetzgebung stehen zum Beispiel im Mittelpunkt des Interesses."
Gewiß ist die Interpretation von inhaltsanalytischen Untersuchungsergebnissen stark von dem gewählten Bezugsrahmen und sinnvollen Vergleichsmöglichkeiten, hier etwa der Darstellung betrieblicher Situationen für Berufsanfänger in den gleichen Zeitungen, abhängig; weder der FAZ noch der SZ kann man vergleichsweise den Vorwurf machen, sie vernachlässigten militärstrategische Themen in Bericht und Kommentar. Dennoch bleibt bis zum Nachweis des Gegenteils richtig, daß eine der Bedeutung der Problematik von Sicherheitspolitik und Streitkräften für die Bundesrepublik angemessene Behandlung in den Massenmedien in der Regel nicht erfolgt. Vom demokratietheoretischen Ansatz her lassen sich demnach deutliche Legitimationsmängel festhalten. 3. Einstellungen und Verhaltensweisen der Soldaten Eine Beantwortung der Frage nach den Einstellungen und Verhaltensweisen der Soldaten wirft zwei besondere Schwierigkeiten auf. Einmal ist in Analogie zum Modell vom „Staatsbürger in Uniform" zwischen den politischen Einstellungen und Verhaltensweisen der Soldaten im politischen Alltag der Bundesrepublik und den Einstellungen und Verhaltensweisen der Soldaten im Dienstbetrieb zu differenzieren. Zum anderen ergeben vor allem Einstellungsdaten nur einen interpretierbaren Sinn, wenn Material über vergleichbare Gruppen aus anderen Bereichen vorliegt. Eine Vergleichbarkeit erfordert zudem die Differenzierung wenigstens nach Funktionsgruppen. Ebenso wenig wie es die Bundeswehr gibt, gibt es den Soldaten der Bundeswehr. a) In den Anfangsjahren der Bundeswehr wurde viel über die einseitig konservative Haltung und stark der CDU/CSU zuneigende Parteipräferenz der Soldaten geschrieben. Peter Lange berichtet von 71, 7 Prozent der Bundeswehr-Freiwilligen, welche 1960 politisch der CDU/CSU zuneigten Soweit überhaupt halbwegs vergleichbare Daten vorliegen, haben sich die parteipolitischen Orientierungen in einer Weise entwickelt, daß von einer extremen einseitigen Ausrichtung keine Rede mehr sein kann. Nach Dietmar Schössler findet sich bei den Generalen bzw. Admiralen mit gut einem Viertel kein größerer Anteil an Personen mit einem konservativen Staatsbild als bei sicherheitspolitischen Experten aus dem Bereich der Gewerkschaften (OTV und DGB) oder der F. D. P. In der gleichen Untersuchung wurde für einen politischen Teilbereich allerdings eine stärkere Affinität des Militärs zu Positionen der CDU/CSU ermittelt. „Ein militärischer Hintergrund — ob über Dienstgrad, ak-* tiver Status oder Erfahrung erfaßt — verstärkt im allgemeinen den Glauben an die Abschreckung sowie das Streben nach Verteidigungskooperation mit den USA unter deren Führung ... Wegen der militärischen Affinität zur realistischen Abschreckungspolitik und der entsprechenden Entspannungsskepsis steht das Militär eher den Auffassungen der Christdemokraten als der Sozialliberalen nahe.“
Eine generelle Unterstützung dieser Aussage im Sinne eines Umkehrschlusses könnte eventuell darin gesehen werden, daß in der oben bereits erwähnten Studie über „Bundeswehr und öffentliche Meinung“ nach einer ersten Auswertung in den Teilen der Bevölkerung eher eine Präferenz für die Unionsparteien besteht, welche vergleichsweise „militärnahe“ Einstellungen und Meinungen aufweisen
Es sind jedoch alle Aussagen über unterschiedliche oder gleiche Einstellungsund Meinungsstrukturen von Zivilisten und Soldaten mit großem Vorbehalt zu versehen, soweit sie nicht aus einer Studie oder aus Studien mit einem entsprechend vergleichbaren Ansatz stammen. Zum Beleg für diese Behauptung haben wir aus verschiedenen Untersuchungen des SOWI die mittleren Skalenwerte für die sorgfältig ausgetesteten Einstellungsskalen Anomie und politische Entfremdung von drei homogenen Bundeswehrgruppierungen und zwei Bevölkerungsstichproben gegenübergestellt (vgl. Tabelle 7). Die hier notwendigerweise fehlende gemeinsame Fragestellung erlaubt nur die Konstatierung von Unterschieden oder Ähnlichkeiten, jedoch keine weitergehende Interpretation. Die in diesem Zusammenhang zentrale Frage, ob die Unterschiede in Beziehung mit dem interessierenden Kriterium Zivi-list/Soldat stehen, läßt sich so nicht beantworten.
Bezogen auf die Ausgangsthese von van Doorn ist jedenfalls an dieser Stelle festzuhalten, daß eine gleichsam nachträgliche übergeordnete, allgemein theoretische Durchdringung empirischen Materials nicht zu ermitteln vermag, was in der Anlage der Studien nicht Berücksichtigung fand.
Was das „offene" politische Verhalten von Soldaten im engeren und weiteren Sinne angeht, so liegen Zahlen über den Organisationsgrad und die passiven Wahlen vor. Rund 80 Prozent der längerdienenden Soldaten sind in. einer Berufsvereinigung organisiert und immerhin fünf (aktive) Soldaten wurden in den jetzigen Bundestag, 41 in Land-und Kreis-tage und 526 in Gemeinderäte gewählt
b) Die Trennung in Einstellungen und Verhaltensweisen, welche sich auf allgemeingesellschaftliche und welche sich auf bundeswehrinterne Aspekte bezieht, ist selbstverständlich nur analytischer Natur. Demokratisches Bewußtsein gilt hier wie dort als Norm, findet also nicht allein etwa im parlamentarischen Engagement der Solaten seinen Niederschlag, sondern ebenso im dienstlichen Verhalten etwa als Vorgesetzter.
So kann die Personalauswahl und Personalführung in den Streitkräften durchaus daran gemessen werden, ob eher demokratisch-politisch sensible Personen in Führungspositionen gelangen oder beispielweise eher Technokraten. In einer Untersuchung zur Kontrolle von Lernzielen bei einem Laufbahnlehrgang wurde ermittelt, daß solche Hauptleute bzw. Kapitänleutnante, welche weniger konservativ, weniger rigide waren und ein deutlich größeres politisches Interesse und eine tendentiell stärker ausgeprägte demokratische Haltung besaßen, besser abschnitten als die anderen Lehrgangskameraden .
„Innere Führung" unter dem im Moment diskutierten Aspekt bezieht sich besonders auf Einstellungen und Verhaltensweisen von Vorgesetzten. Nimmt man die Berichte des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages als Maßstab, so fehlen in den letzten Jahren spektakuläre Verstöße gegen die Prinzipien der „Inneren Führung“, von Vorgesetzten vor allem gegenüber Wehrpflichtigen, fast völlig, wie sie etwa in den sechziger Jahren zu verzeichnen waren. Bezüglich des Führungsstils hat sich eine Anpassung an gesellschaftliche Vorstellungen von Führung vollzogen. Betrachtet man die Führungsstile mit überwiegenden Elementen von „Befehl und Gehorsam"
und von „Kooperation" als Gegenpole, so neigen 1974 von den befragten Hauptleuten bzw.
Kapitänleutnanten nicht einmal mehr 15 Prozent zu einem Führungsstil, in dem Elemente des Prinzips von „Befehl und Gehorsam" dominant sind Ähnliche Resultate erbrachte die „Unterführerstudie" für den Unteroffizier-bereich Nur 10, 6 Prozent der Befragten geben an, streng nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam zu verfahren (vgl. Tabelle 8). In der Unterführerstudie wurden auch die Einschätzung des . Betriebsklimas'und die Art von Vorgesetzten, Leistungen anzuerkennen, erfragt; über 70 Prozent der Unteroffiziere berichten von einem guten Betriebsklima, aber fast 43 Prozent finden nach eigenem Empfinden keine Anerkennung durch die Vorgesetzten. 1973 bezeichnete in einer Studie von Warnke rund die Hälfte aller befragten Zeitsoldaten das Verhältnis zu ihren Vorgesetzten als gut oder sehr gut und 29 Prozent als zufriedenstellend Ein solches Ur-teil ist deshalb von besonderem Gewicht, weil die Bundeswehr einerseits auf einen relativ großen Anteil von Zeitsoldaten in den Streitkräften insgesamt angewiesen ist und andererseits bei den Zeitsoldaten wegen ihrer stärkeren zivilen Orientierung eine besonders kritische Beurteilung angenommen werden muß.
Ein neuralgischer Punkt stellt offensichtlich immer noch der für eine Wehrpflichtigenarmee so zentrale Funktionsbereich der Unter-führer, speziell der Gruppenführer dar.
In einer Untersuchung an Wehrpflichtigen wurde die primäre Bedeutung der Gruppenführer hinsichtlich der Sozialisationswirkungen der Streitkräfte ermittelt Eine Überprüfung der Beziehung zwischen der Beurteilung des Vorgesetzten und der Ansichten vom Sinn des Wehrdienstes bzw. über das Ausmaß subjektiv empfundener Gammelei erbrachte mit —, 49 bzw. —, 45 beachtlich hohe negative Korrelationen. Daß es sich bei dem in der Untersuchung thematisierten Vorgesetzten aus der Sicht der Wehrdienstleistenden nur um den Unterführer handeln kann, belegen die Ergebnisse der Kontaktanalyse. In der Sozialisationsstudie gab mehr als die Hälfte der Wehrpflichtigen an, mit dem Kompaniechef in den letzten 14 Tagen nicht gesprochen zu haben. Eine andere Studie (Einheitsführerstudie) ermittelte für die untersuchten Jägerkompanien, daß der Kompaniechef, rein rechnerisch betrachtet, jeden Wehrdienstleistenden bestenfalls einmal im Monat spricht
Generell stellte die Sozialisationsstudie fest, daß keine einheitliche, gezielte Sozialisation bei den Wehrpflichtigen erfolgt. Dieser Hinweis auf weitreichende Probleme im Ausbildungssystem der Bundeswehr auf der Unter-führer-und Wehrpflichtigenebene wird durch Selbsteinschätzungen von Unterführern bezüglich ihrer pädagogischen Eignung erhärtet. Auf die Frage, ob sie in der eigenen Ausbildung das nötige pädagogische Rüstzeug für die Tätigkeit als Ausbilder und Erzieher erhalten hätten, antworten nahezu zwei Drittel mit nein
Die besonderen Probleme der Unterführer als Ausbilder und Erzieher lassen sich weiterhin auch daran verdeutlichen, daß manche Unter-führer nicht die „gleiche Sprache“ sprechen bzw. mit gleichen Worten nicht dieselben Inhalte verbinden wie die Wehrpflichtigen. Tabelle 9 zeigt die unterschiedliche Bewertung ausgewählter Eigenschaften bei Wehrpflichtigen und Zeitsoldaten. Die Unterschiede haben ihre Ursache nicht in eventuellen ungleichen Alters-oder Bildungsmerkmalen beider Gruppen.
Ohne die in Tabelle 9 dargestellten Ergebnisse überinterpretieren zu wollen, fällt doch schon bei oberflächlicher Betrachtung auf, daß die positivere Bewertung z. B.der Eigenschaften hart, pflichtbewußt, konzentriert oder regelmäßig bei den Zeitsoldaten einerseits und die positivere Bewertung z. B.der Eigenschaften charmant, großzügig, humorvoll oder schönheitsliebend bei den Wehrpflichtigen andererseits unterschiedliche Wertsysteme andeutet, welche ein gegenseitiges Verstehen erschweren. Solche Unterschiede müßten den Ausbildern zumindest bewußt gemacht werden. Paul Klein fand zudem, daß die Zeitsoldaten vergleichsweise extremere, Urteile und Bewertungen vornehmen und insgesamt geschlossener, einheitlicher urteilen als die Wehrpflichtigen
Unter der Legitimationsperspektive sind schließlich auch Art und Ausmaß devianten, d. h. abweichenden Verhaltens von besonderem Interesse. Rein zahlenmäßig betrachtet ist in den verschiedenen Devianzbereichen (z. B. eigenmächtige Abwesenheit oder Fahnenflucht) in den letzten Jahren mit einer Ausnahme kein Anzeichen für eine verstärkte individuelle Problematisierung festzustellen. Bei der Ausnahme handelt es sich um Selbstmordversuche, deren Zahl 1977 drastisch gestiegen ist. Eine empirisch gesicherte Erklärung für das Ansteigen liegt zur Zeit noch nicht vor. Die primären Ursachen von deviantem Verhalten in der Bundeswehr, welches im übrigen keine besonderen Auffälligkeiten in Relation zu vergleichbaren gesellschaftlichen Verhältnissen aufweist, liegen ganz offenbar in der Vorsozialisation begründet. Klaus Puzicha und Hermann Flach bezeichnen die soldatische Gesamtsituation als Auslöser von abweichendem Verhalten, welches vor allem durch frühere negative Sozialisationsbedingungen verur-sacht sei wie: Verlust von Eltern, schwierige familiäre Situation, Berufstätigkeit der Mütter, Ablehnung des Vaters als Vorbild oder staatliche Eingriffe in die Erziehung Form und 40
Ausmaß von abweichendem Verhalten können zur Zeit jedenfalls nicht als Anzeichen einer Legitimationskrise gewertet werden.
Legitimationsdefizite sind primär im Ausbildungsbereich und dort bei Unterführern und Wehrpflichtigen zu verzeichnen. Als besonders problematisch muß sicher gelten, daß es nicht gelingt, der Mehrheit der Wehrpflichtigen einen Sinn für den geleisteten Wehrdienst zu vermitteln. 4. Soziale Herkunft der Soldaten Wenn die allgemeine Zugänglichkeit von Führungspositionen in den verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Bereichen als ein Zeichen für den demokratischen Charakter des jeweiligen sozialen Systems gilt, dann handelt es sich bei der Bundeswehr um ein gesellschaftliches Subsystem mit ausgeprägten demokratischen Merkmalen. War in früheren deutschen Armeen eine erhebliche Überrepräsentanz des Adels in den Offiziers-und speziell in den Generalsrängen charakteristisch, so weist das Offizierskorps der Bundeswehr auch in den oberen Rängen keine zu anderen gesellschaftlichen Bereichen besonderen Ungleichgewichte in der sozialen Herkunft auf. Man kann im Gegenteil sogar nachweisen, daß die Zusammensetzung des Offiziersnachwuchses sich gegenüber der zivilen Studentenschaft durch einen höheren Anteil an Personen aus niedrigeren sozialen Schichten auszeichnet. Der Anteil an Arbeiterkindern betrug — allerdings vor der Einführung eines obligatorischen Studiums für Offiziere und damit vor dem Selektionseinfluß der Eingangsvoraussetzung Abitur — sogar mit 19, 9 Prozent 2, 5 bzw. 4, 2 Prozentpunkte mehr als bei den ersten Jahrgängen der Offizierstudenten und 5, 5 Prozentpunkte mehr als bei den Studienanfängern an zivilen Hochschulen 1971/72 (vgl. Tabelle 10)
Im Bereich der Unteroffiziere sind Söhne von Angestellten im Vergleich zu den männlichen Erwerbstätigen in der Bundesrepublik stark unterrepräsentiert. Der Anteil von Arbeiter-und Beamtensöhnen entspricht etwa den Größenordnungen der Vergleichspopulationen (männliche Erwerbstätige). Wie zu erwarten, überwiegen bei den Angestellten-und Beamtenvätern von Unteroffizieren die Kategorien des einfachen und mittleren Dienstes (vgl. Tabelle 10)
Kann man für den Offizierberuf in der Bundeswehr von einem Aufstiegsberuf und auch von einem Integrationsfaktor zwischen Bundeswehr und Gesellschaft sprechen, so bergen demgegenüber die soziale Zusammensetzung der Wehrpflichtigen und die wahrscheinlichen Einzugsquoten der nahen und fernen Zukunft, wie bereits angedeutet, einige Problematik in sich. Bislang rekrutieren sich die Wehrpflichtigen überproportional aus den gesellschaftlichen Gruppen der Arbeiter und Bauern.
In zwei unabhängig voneinander gezogenen repräsentativen Stichproben von Wehrpflichtigen im Jahr 1972 hatten 73 Prozent der Wehrdienstleistenden bestenfalls Volksschulabschluß Versucht man über die Schulabschlüsse aller Schulabgänger 1972 eine in etwa sinnvolle Vergleichsgröße so ergibt sich ein Prozentsatz von 60, 3 für die Kategorien „bestenfalls Volksschulabschluß". Die Stichprobe, welche das SOWI 1972 im Rahmen der Sozialisationsstudie zog, umfaßte 4, 6 Prozent an Personen mit Hochschulreife; die Vergleichszahl aus dem Jahre 1972 bezüglich aller männlichen Schulabgänger mit Hochschulreife lautet 17, 6 Prozent. Analog dazu sind die Personen mit Hochschulreife bei den Kriegsdienstverweigerungen stark überrepräsentiert. Beispielweise besaß rund die Hälfte der Antragsteller auf Kriegsdienst-verweigerung von den Geburtsjahrgängen 1949 wie 1950 das Abitur
Ähnliche Ungleichgewichte zeigen sich bei der Herkunft der Wehrpflichtigen hinsichtlich der Größe des letzten Wohnortes, akzeptiert man die Verteilung der gesamten Bevölkerung nach Gemeindegrößen 1972 als Maßstab. 40 Prozent der Wehrdienstleistenden kommen aus Gemeinden unter 5 000 Einwohnern. Nach Angaben des Statistischen . Bundesamtes wohnen jedoch nur 18, 9 Prozent der Gesamtbevölkerung in Gemeinden gleicher Größe Nahezu umgekehrt sind die Relationen bei Gemeinden mit 100 000 oder mehr Einwohnern. In der Wehrdienstleistenden-Stichprobe sind es 20, in der Gesamtbevölkerung aber 32 Prozent, welche in den größeren Gemeinden wohnen bzw. vor der Einberufung wohnten.
Bei den Unteroffizieren wurde übrigens eine ähnliche Überrepräsentanz von Personen aus kleinen Gemeinden ermittelt. 42, 4 Prozent der befragten Unterführer gaben als Heimatort eine Gemeinde mit weniger als 10 000 Einwohnern an-, aus Gemeinden mit 100 000 Einwohnern und mehr stammen 24, 5 Prozent der befragten Unteroffiziere
Betrachtet man Aspekte der Wehrgerechtigkeit auch als Legitimitationsprobleme, so sind die zu erwartenden Überhänge bei den geburtenstarken Wehrpflichtigenjahrgängen der nahen Zukunft, welche wahrscheinlich nicht zum Zivildienst oder zum Wehrdienst eingezogen werden können, problematisch hoch. Neben den Ungleichgewichten wird dann die Unmöglichkeit, die Wehrpflichtigen eines Jahrganges annähernd vollständig einzuziehen, durchaus eine Legitimationskrise heraufbeschwören können. Für die ferne Zukunft, für die allerdings schon heute weitreichende Entscheidungen vor allem bezüglich der Waffensysteme gefällt werden, sind demgegenüber, wie bereits angemerkt, nicht einmal annähernd die derzeitigen Mindestquoten er-41 reichbar. Daraus folgende Konsequenzen für die Wehrstruktur werden öffentlich jedenfalls bislang nicht diskutiert 5. Die soziale Einbindung der Soldaten Eine Analyse der sozialen Einbindung von Soldaten steht wiederum vor der Frage nach dem Bezugssystem, das eine Bewertung, und zwar als sozial eingebunden oder sozial nicht eingebunden, erlaubt. Im Fall des sozialen Prestiges von Soldaten, das als ein Indikator für eine soziale Einbindung betrachtet werden kann, existieren sogenannte Berufsprestige-Rangreihen; die berücksichtigten Berufe dienen dabei als Vergleichsgrößen. Ob die vorhandenen Rangreihen allerdings tatsächlich einen validen Vergleich beinhalten, wird nicht selten bezweifelt. In Frage steht in die-sem Kontext, ob die verschiedensten Berufe, etwa der Buchhändler, der Rechtsanwalt, der Fabrikdirektor oder der Offizier, in den Vorstellungen der Bevölkerung auch tatsächlich eine Prestige-Struktur bilden. Die in der Bundesrepublik bislang erhobenen Prestige-Rang-reihen weisen jene heterogenen Berufsbezeichnungen auf und beziehen sich damit auf sehr unterschiedliche Tätigkeitsfelder und Tätigkeitsebenen. Nach diesen Rangreihen besitzt der Berufsoffizier ein relativ geringes soziales Prestige. Im Laufe der letzten Jahre läßt sich zwar ein leichter Anstieg feststellen, an der Plazierung in der unteren Hälfte der Rangreihe hat sich jedoch nichts geändert (vgl. Tabelle 11).
Im Prinzip ergibt sich auch kein anderes Bild, wenn man versucht, das Prestige auf einer eher vergleichbaren Ebene zu ermitteln.
Im Vergleich zu neun anderen Berufen, welche alle (der Pfarrer im weiteren Sinne) dem öffentlichen Dienst zuzurechnen sind und zur Besoldungsgruppe A 13 gehören, schneidet der Major nur in Relation zum Forstmeister und zum Bibliotheksrat besser ab. In der Rang-reihe ist der Major demnach erst an achter Stelle plaziert hinter: Medizinalrat, Staatsanwalt, Studienrat, Kriminalrat, Regierungsrat, Akademischer Rat und Pfarrer (vgl. Tabelle 12).
Tabelle 12 Berufsprestige des Majors im Vergleich zu neun anderen Berufen des öffentlichen Dienstes gleicher Besoldungsgruppe 1977/1978
Frage: Hier sind Karten mit 10 Berufsbezeichnungen für Amtsinhaber aus verschiedenen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Das Gehalt all dieser Beamten ist gleich hoch. Suchen Sie sich zunächst den Beruf heraus, den Sie am meisten schätzen, vor dem Sie am meisten Achtung haben. Geben Sie mir bitte diese Karte.
Aus den verbleibenden Berufen suchen Sie bitte dann den Beruf heraus, den Sie am meisten schätzen, vor dem Sie am meisten Achtung haben. Geben Sie mir bitte diese Karte.
Setzen Sie dieses " Verfahren fort, bis Sie mir alle Karten gegeben haben (Kartenspiel vorlegen).
Analog dazu empfinden Berufsoffiziere ihr Berufsprestige überwiegend als nicht ausreichend. 1970 hielten von knapp 2 000 repräsentativ ausgewählten Berufsoffizieren 81 Prozent ihr Ansehen im Vergleich zu zivilen Berufen als zu niedrig
Auch in der Unterführerstudie des SOWI wurde versucht, eine Prestigeskala mit Berufen einzusetzen, welche eher auf einer vergleichbaren Ebene liegen. Der hier, berücksichtigte Soldatenrang findet durch die befragten Unteroffiziere eine Plazierung ebenfalls nur in der unteren Hälfte der Rangreihe (vgl. Tabelle 13).
Tabelle 13 Prestige verschiedener Berufe nach Meinung von Unteroffizieren 1977
Frage: Im folgenden finden Sie eine Reihe von Berufen aufgeiührt. Ordnen Sie die Berufe nach ihrer Wichtigkeit für unser " Volk in eine Rangfolge. Schreiben Sie hinter den für unser Volk wichtigsten Beruf eine 1, den zweitwichtigsten eine 2 usw. bis 10. Während es sich beim Sozialprestige im Grunde genommen um einen indirekten Indikator für die soziale Einbindung der Soldaten handelt, geben die allgemeinen sozialen Kontakte der Soldaten unmittelbar Auskunft, in welcher Weise eine soziale Integration in die Gesellschaft erfolgt. In einer Untersuchung über die Kommunikationskreise von Offizieren konnten Rudolf Warnke und seine Mitarbeiter feststellen, daß auch im nicht-dienstlichen Bereich der Kontakt der Offiziere zu Offizierskameraden gegenüber allen anderen Kontakten überwiegt. Von den befragten Kompaniechefs unterhalten 37 Prozent gesellschaftliche Kontakte ausschließlich zu Offizieren und Beamten. Von den Kommandeuren erwähnen 69 Prozent soziale Beziehungen außerhalb der eigenen Berufssphäre auch bzw. vor allem zu Angehörigen sogenannter freier Berufe, überraschen mag, daß offensichtlich keinerlei gesellschaftliche Beziehungen zu Beamten oder Angestellten der Bundeswehrverwaltung bestehen. Unter dem Integrationsaspekt kommt dem Ergebnis besondere Bedeutung zu, daß Wertvorstellungen und Orientierungsmuster der pluralistischen Industriegesellschaft um so eher übernommen und akzeptiert werden, je eher der befragte Offizier sich privat außerhalb des eigenen Be-rufskreises orientiert
Fragen der sozialen Einbindung betreffen aber nicht allein oder primär den Soldaten, sondern vor allem die Soldatenfamilien.
Hierzu liegen allerdings kaum Daten, sondern allenfalls Impressionen und journalistische Erfahrungen vor. Dennoch kann es als sehr wahrscheinlich gelten, daß einige Rahmenbedingungen des Soldatenberufes wie z. B. häufige Versetzungen und abgeschiedene Standorte eine soziale Integration der Soldatenfamilien sehr erschweren. Zu denken wäre hier vor allem an den häufigen Schulwechsel der Kinder mit nachfolgenden Lern-und Kontakt-schwierigkeiten, an die großen Probleme von Soldatenfrauen, einen einmal erlernten Beruf, besonders einen solchen mit höheren Qualifikationen, weiter ausüben zu können wie an die Störung oder gar Zerstörung privater Bindungen durch die Standortwechsel. Auf diese Weise werden die Soldatenfamilien nicht nur in Fragen der Berufstätigkeit der Frauen und hinsichtlich der Ausbildung der Kinder benachteiligt; die ständig wechselnden sozialen Bezüge führen offensichtlich auch zu einer Verengung der sozialen Kontakte auf vertraute Kommunikationsmuster. Ob auch die von Warnke und Mitarbeitern festgestellten nahezu völlig fehlenden sozialen Kontakte zwischen Offiziers-und Unteroffiziersfamilien auf die genannten Gründe zurückzuführen sind, muß zur Zeit noch offen bleiben. Insgesamt erfordert eine Bewertung und weitergehende Interpretation der Daten Vergleichsmaterial aus vergleichbaren zivilen Berufsgruppen.
V. Schlußfolgerungen
Abbildung 8
Tabelle 4 Kampfkraft der Bundeswehr Quelle: Infas-Repräsentativerhebung unter Lehrern, Meistern und Jugendvertretern, Bundesgebiet, Juni/Juli 1975, Random-Auswahlۨ
Tabelle 4 Kampfkraft der Bundeswehr Quelle: Infas-Repräsentativerhebung unter Lehrern, Meistern und Jugendvertretern, Bundesgebiet, Juni/Juli 1975, Random-Auswahlۨ
Vom Ansatz der Analyse her ist es möglich, Folgerungen aus den Analyseergebnissen auf zwei unterschiedlichen Ebenen zu ziehen. Einmal erlauben die Daten eine Aussage darüber, ob sich das Militär in der Bundesrepublik in einer Legitimationskrise befindet. Zum anderen können jene Annahmen von van Doorn überprüft werden, welche von der Möglichkeit ausgehen, die vorhandene Fülle an empirischem Material zur Thematik sei erstens mit Hilfe des Legitimationsansatzes zu integrieren und dies führe zweitens zu einem allgemeineren Analyseniveau. Unsere Folgerungen werden in Thesenform präsentiert. 1. Gibt es eine Legitimationskrise des Militärs in der Bundesrepublik Deutschland?
a) Eine eindeutige Antwort auf die Frage nach der Legitimitätskrise des Militärs setzt eindeutige Bezugspunkte für das Urteil voraus. Ein solches eindeutiges Bezugssystem existiert nicht. Das Konzept, das der eigenen Analyse zugrunde liegt, unterscheidet wenigstens fünf Betrachtungsebenen. Da keine Kriterien für die Gewichtung der einzelnen Ebenen bei ungleichen Analyseergebnissen vorliegen, kann eine Wertung nur ebenenbezogen erfolgen. Weiterhin ist zu berücksichtigen, daß das Militär nur ein Subsystem der Gesellschaft darstellt und Aussagen über Legitimationskrisen, soweit nicht absolute Indikatoren zur Verfügung stehen, stets den Vergleich mit anderen Bereichen erfordern. b) Hinsichtlich der verfassungsmäßigen und gesetzmäßigen Einbindung der Streitkräfte läßt sich in der Bundesrepublik nicht von einer Legitimationskrise sprechen. Was die parlamentarischen Entscheidungsprozesse und die parlamentarische Kontrolle der Bundeswehr angeht, so bestehen von den demokratischen Anforderungen her betrachtet erhebliche Defizite; diese Defizite betreffen aber weitgehend Probleme des Parlamentarismus in entwickelten Industrienationen allgemein und sind kaum spezifisch für den Bereich der Bundeswehr. Es muß jedoch gefragt werden, ob sich diese Defizite in der Sicherheitspolitik nicht gravierender auswirken als in anderen Politikbereichen.
c) Da die Streitkräfte in der Bundesrepublik nicht nur unter den Funktionen bewertet und gesehen werden, welche die Politik ihnen zuerkennt, fällt das Resümee bezüglich der öffentlichen Diskussion und Reaktion ambivalent aus. Von einer demokratietheoretisch begründeten normativen Sicht bestehen eindeutig erhebliche Legitimationsdefizite hinsichtlich der gültigen Militärstrategien, was im Moment allerdings nicht handfest als Legiti-mationskrise in Erscheinung tritt. Obwohl die Verteidigungsleistung der Bundeswehr etwa gegenüber der Nationalen Volksarmee der DDR oder der Roten Armee der UdSSR als relativ gering erachtet wird und die Soldaten relativ geringes Sozialprestige genießen, erfährt die Bundeswehr bezüglich ihrer Wichtigkeit eine breite Zustimmung. Die Bundeswehr als Institution repräsentiert in einer allgemein als unsicher, undurchsichtig, anomisch erfahrenen Welt offensichtlich Sicherheit in einem übergeordneten Sinne.
Eine Legitimationskrise erfuhr die Bundeswehr Anfang der siebziger Jahre, als nicht nur die Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer die vorgesehenen Rekrutierungsquoten bei Wehrpflichtigen in Frage stellten, sondern auch für den Offiziersbereich beim Heer in bestimmten Waffengattungen faktisch keine Freiwilligenmeldungen mehr eingingen. Veränderungen im Ausbildungsbereich der Bundeswehr und allgemeine konjunkturelle Entwicklungen haben hier bis heute vor allem bei den Offizieren eine veränderte Situation geschaffen. Kritisch bleibt weiterhin der Wehrpflichtigenbereich.
d) Eben bereits angesprochene erhebliche Defizite im Ausbildungsbereich der Bundeswehr wurden Anfang der siebziger Jahre durch eine Bildungsreform wenigstens in den Ausildungskonzeptionen weitgehend beseitigt, egitimationsprobleme bestehen weiterhin im nterführerbereich und hinsichtlich der Sozialisationswirkungen bei Wehrpflichtigen.
Ob hieraus längerfristig eine Krise entsteht, hängt neben gesamtgesellschaftlichen Einflüssen stark davon ab, wie schnell eine Reform des Unterführerbereichs gelingt. Im Offiziers-bereich finden sich zur Zeit keine Trends, welche von Entwicklungen in der Gesellschaft wesentlich verschieden wären. Aus normativer Sicht ließe sich allerdings ein genereller Trend hin zu angepaßtem Verhalten bemängeln. Faktische Legitimationskrisen können hier aber wohl nur über heute eben nicht vorhandenen Diskrepanzen zu gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen entstehen.
e) Die Rekrutierung der Soldaten hinsichtlich der sozialen Herkunft wirft zur Zeit noch keine wirklichen Legitimationsprobleme auf. Die sozialen Merkmale des Offiziernachwuchses entsprechen weitgehend denjenigen vergleichbarer Gruppen. Schwierigkeiten sind in bezug auf die Frage der Wehrgerechtigkeit zu erwarten. Im Wehrpflichtigenbereich sind schon heute die höheren Bildungsschichten stark unterrepräsentiert. Nach einem Wehrpflichtigenüberhang bis Mitte der achtziger Jahre können spätestens ab 1989 die zur Zeit geltenden Mindestquoten nicht mehr erfüllt werden.
f) Die soziale Einbindung der Soldaten ist in der Bundesrepublik nur unzureichend untersucht. Die vorhandenen Resultate lassen den vorsichtigen Schluß zu, daß eine dem relativ niedrigen Sozialprestige entsprechende Isolierung der Soldaten bislang nicht erfolgt ist, jedoch aus spezifischen Ursachen wie der hohen räumlichen Mobilität oder abgelegenen Standorten nicht ausgeschlossen werden kann. Benachteiligungen verschiedenster Art müssen die Familienangehörigen von länger-
dienenden Soldaten in Kauf nehmen. Dies gilt auch für die sozialen Kontaktmöglichkeiten.
Ob im Blick auf Diskrepanzen im gesellschaftlichen und militärischen Wertesystem bereits jetzt von einer Legitimationskrise im Bewußtsein der Soldaten gesprochen werden sollte, ist besonders im Zusammenhang mit dem eher konservativen Trend in der Gesamt-gesellschaft sehr fraglich. Friktionen sind hier allerdings angelegt.
2. Zum Stand der Militärsoziologie in der Bundesrepublik Deutschland a) Hinsichtlich der vorhandenen Materialien läßt sich sicher von einer Materialfülle, aber nur bedingt von einer Materialvielfalt sprechen. Heterogenität besteht vor allem in der Reichweite des Materials. Die Ergebnisse einer größeren Zahl von Studien, vor allem hier nicht zitierter Arbeiten, besitzen kaum Aussagekraft über die Tagespolitik und die Meinungsebene hinaus. Die verfahrenstechnische und methodische Absicherung dieser Daten ist unzureichend.
b) Mit Hilfe entwickelter Theorien lassen sich die vorhandenen Materialien eher bewerten und in ihrer Aussagekraft einordnen, denn integrieren. Die Gründe hierfür sind darin zu suchen, daß die wenig theoriebezogen erhobenen Daten gerade jenen Erfordernissen der Operationalisierung nicht Rechnung tragen, welche eine Verallgemeinerung der Ergebnisse erst ermöglichen. Dieses Urteil gilt auch für unseren Testfall. Aussagekraft besitzt im wesentlichen nur das Material, das theoriebezogen erhoben wurde. Von den verschiedenen theoretischen Ansätzen im Kontext der Legitimationsproblematik sind einige so abstrakt, daß eine Operationalisierung kaum sinnvoll möglich zu sein scheint.
c) Vom empirischen Material her läßt sich weiterhin schlußfolgern, daß eine zureichende Interpretation sich oft nicht allein oder gar primär auf militärsoziologische Ansätze im engeren Sinne stützen kann. Dies gilt besonders für jene Aspekte, welche das zivil-militärische Verhältnis betreffen und damit in Gänze auch für die Legitimationsproblematik. d) Um dem militärischen Bereich nicht jenen „sui-generis-touch" wieder zu verleihen, den die öffentliche Diskussion der letzten Jahre, aber auch die sozial-wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Militär fragwürdig gemacht haben, sollten die Ergebnisse der militärsoziologischen Forschung über Vergleiche mit Studien in anderen Großorganisationen erhärtet oder relativiert werden. Auch van Doorn hat auf die Fruchtbarkeit vergleichender Forschung im hier diskutierten Kontext hingewiesen. e) Unsere kurze Analyse hat weiterhin erbracht, daß größere Fortschritte in der eigenen Wissenschaft wohl nur zu erzielen sind, wenn wir nach denselben Kriterien arbeiten und vorgehen, die wir an die Arbeit anderer, etwa der Regierungen, anlegen. Gemeint ist die Notwendigkeit von langfristigen Forschungsplanungen. Solche Forschungsplanungen sollten auf Bedarfsanalysen basieren, welche den gesellschaftlichen Bedarf an einschlägiger Forschung ermitteln und diesen über die wissenschaftsimmanente Betrachtung in einen theoretischen Rahmen bringen. Diese Forschungsplanung würde dann der Koordinierung der wissenschaftlichen Arbeit, sowohl der mehr theoriebezogenen wie der mehr anwendungsbezogenen, dienen. f) Schließlich wäre noch darauf hinzuweisen, daß sich gerade die Trennung in eher angewandte und eher theoriebezogene Forschung einerseits und die weitgehende Ausklammerung der übergeordneten Problematik einer Soziologie des Krieges andererseits auf die Entwicklung der Militärsoziologie außerordentlich negativ ausgewirkt hat. Für die Zukunft wäre danach eine stärkere Verknüpfung von eher angewandter und eher theorie-bezogener Forschung über die Forschungsansätze zu fordern wie eine engere Anbindung des Forschungsprogramms an Entscheidungen hinsichtlich des übergeordneten Erkenntnisinteresses. Die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft hat mit der Möglichkeit, menschliches Leben überhaupt zu vernichten, eine andere Qualität und Dringlichkeit erhalten.
Ralf Zoll, Prof., Dr., geb. 1939 in Darmstadt; 1964 Projektleiter in der Markt-und Motivforschung; 1965— 1967 Assistent am Seminar für politische Bildung der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt; 1968— 1970 Leiter des Forschungsinstituts dieses Seminars; 1970— 1974 stellvertretender Direktor des Wissenschaftlichen Instituts für Erziehung und Bildung in den Streitkräften; seit 1974 Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr (SOWI) in München. Veröffentlichungen u. a.: mit H. J. Binder, Die soziale Gruppe, Frankfurt 1966 ff.; Interesse — Einfluß — Konflikt, Schwalbach/Ts, 1970; mit E. Hennig, Massenmedien und Meinungsbildung, München 1970; Gemeinde als Alibi — Materialien zur politischen Soziologie der Gemeinde, München 1972; mit Th. Ellwein, Berufsbeamtentum — Anspruch und Wirklichkeit, Düsseldorf 1973; Wertheim III — Kommunalpolitik und Machtstruktur, München 1974; mit Th. Ellwein u. E. Lippert, Politische Beteiligung in der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1975; mit H. Huber, Vermessungswesen — Ein Curriculum, Opladen 1976; als Hrsg, mit E. Lippert und T. Rössler, Bundeswehr und Gesellschaft — Ein Wörterbuch, Opladen 1977.
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