Die Europäische Volkspartei EVP ist eine Parteiföderation, weist aber in Statut und Programm bereits darüber hinaus. Die EVP von heute ist als Phase in der Entwicklung auf eine transnationale Partei hin zu sehen. Sie versteht sich als politisches Sammelbecken zwischen den extremen Spielarten des Sozialismus und des Liberalismus. Sie konkurriert demnach mit den Parteien des demokratischen Sozialismus und des Liberalismus um die gemäßigten Wähler der politischen Mitte. Die politischen Kraftquellen der Europäischen Volkspartei sind: 1. die aus dem christlichen Verständnis vom Menschen abgeleiteten Grundwerte; 2. die Zielvorstellung eines als Gemeinschaft handlungs-und verantwortungsfähigen Europas, gegründet auf — die föderale Erfahrung in Europa, — die parlamentarische Demokratie, — den liberalen Rechtsstaat, — die soziale Marktwirtschaft; 3. bis auf weiteres noch: die politische Stellung, die organisatorische, finanzielle und personelle Leistungsfähigkeit ihrer Mitgliedsparteien. Die EVP wurde am 29. April 1976 gegründet. Das politische Programm wurde vom ersten Kongreß der EVP im Februar 1978 in Brüssel verabschiedet. Die EVP ging hervor aus der Europäischen Union christlicher Demokraten EUCD, die unter dem Namen Nouvelles Equipes Internationales (NEI) unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg von christlich-demokratischen Politikern aus West-und Osteuropa gebildet wurde. Nach der Gleichschaltung aller Parteien in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien konzentrierte sich die NEI auf die politische Einigung des freien Europa. In den „Genfer Gesprächen" wurde die Aussöhnung Frankreichs und Deutschlands vorbereitet und die Gründung der Europäischen Gemeinschaften politisch abgesichert. An diese Traditon knüpft die EVP an.
I. Selbstverständnis
Die Europäische Volkspartei steht in der Tradition der Parteien der Christlichen Demokratie in Europa. Sie ist eine Parteienföderation, weist aber in Statut und Programm bereits darüber hinaus. Die EVP von heute ist als Phase in der Entwicklung auf eine transnationale Partei hin zu sehen. Sie versteht sich als politisches Sammelbecken zwischen den extremen Formen des Sozialismus und des Liberalismus. Sie konkurriert demnach mit den Parteien des demokratischen Sozialismus und des Liberalismus um die gemäßigten Wähler der politischen Mitte. Die politischen Kraft-quellen der Europäischen Volkspartei sind: 1. die aus einem christlichen Welt-und Menschenbild abgeleiteten Grundwerte; 2. die Zielvorstellung eines handlungs-und verantwortungsfähigen Bundes europäischer Staaten, gegründet auf — die föderale Erfahrung in Europa, — die parlamentarische Demokratie, — den liberalen Rechtsstaat und — die soziale Marktwirtschaft; 3. die politische Stellung, die organisatorische, finanzielle und personelle Leistungsfähigkeit ihrer Mitgliedsparteien. 1. Grundwerte Es gibt keine christliche Politik. Die Bibel enthält kein politisches Programm. Es gibt jedoch Christen in der Politik. Es gibt sie nicht nur in den C-Parteien. Aber den C-Parteien Europas gaben sie ihr Gepräge. Die christliche Demokratie besitzt einen Bezug zur Realität dieser Welt, der den Schöpfer dieser Welt einschließt. Aus diesem Weltbild leiten sich eine Reihe von Grundpositionen ab, die ordnungspolitisch von Bedeutung sind.
Hierzu zählen insbesondere:
— eine bestimmte Vorstellung vom Menschen, — gewisse sittliche Grundhaltungen, — ein Realismus, der geschlossenen Denksystemen mit Ausschließlichkeitsanspruch konzeptionell keinen Entfaltungsraum läßt.
Diese Grundpositionen wirken als starker Integrationsfaktor zwischen Menschen, deren Stellung in der Gesellschaft sehr unterschiedlich und deren Konfession verschieden sein kann. Nicht eine Doktrin vereint die christlichen Demokraten, sondern eine gemeinsame Grundhaltung (Hans Maier). Dieser Integra-tionsfaktor erfaßt auch Menschen, deren Weltbild nicht das christliche ist, weil er gemeinschaftsbildend wirkt. Denn der Zusammenschluß der Kräfte ist die Voraussetzung politischer Wirksamkeit. a) Menschenbild Das zeitliche Zusammentreffen tiefgreifender Veränderungen im Wertbewußtsein der Menschen unserer Zeit — mit den Veränderungen im Parteienspektrum in den Mehrheitsverhältnissen und in den Koalitionen in Europas Staaten, — mit den Veränderungen der strategischen Kraftfelder um Europa herum — mit der Bildung transnationaler Zusammenschlüsse der Parteien und der ersten Direktwahl einer parlamentarischen Versammlung in Europa wirft die Frage nach der künftig in Europa vorherrschenden Gesellschaftsordnung auf
Jeder politisch verfaßten Gesellschaft liegt ein Verständnis vom Menschen zugrunde. Meist ist es verschüttet. Selten tritt es in der politischen Diskussion in den Vordergrund. Von diesem, wenigstens in Umrissen bestimmbaren Menschenbild hängen die Aussagen über die Grundwerte der betreffenden Gesellschaft ab. Die Frage der Grundwerte und damit die Frage nach dem Menschenbild gewinnt wieder an Aktualität
Angesichts der in der Geschichte beispiellosen Vernichtung von Menschenleben durch politische Regime in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts trat die Würde des Menschen — im Westen — als Ausgangspunkt und Grundwert der Staats-und Gesellschaftsordnungen der Nachkriegszeit in den Vordergrund
In dem Maße, in dem diese geschichtliche Erfahrung heute verblaßt, zerfällt der Konsens über die ordnungspolitischen Ableitungen aus der Menschenwürde. Als Folge davon gibt es eine Grundwertedebatte die systematisch allerdings noch in den Anfängen steckt Hinter dem Bekenntnis aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien zu den drei pauschalierten Grundwerten „Freiheit", „Solidarität" und „Gerechtigkeit" verschwimmen die Konturen der Ausgangspositionen. Auch die bisher gezeigte Kompromißfähigkeit dieser Parteien im Gesetzgebungsverfahren läßt leicht übersehen, daß in der Grundwertedebatte bereits alle Anlagen eines Kulturkampfes stecken.
Das christliche Verständnis vom Menschen ist abzugrenzen — gegen das Menschenbild des Individualismus, der von einem mit natürlichen Rechten ausgestatteten Individuum ausgeht, das von Aufgaben und Pflichten völlig frei seiner „Selbstverwirklichung" lebt und dabei dem Staat in reiner Anspruchshaltung gegenüber-tritt und — gegen das Menschenbild des Marxismus, der den Menschen als Gattungswesen begreift, die Strukturierung des Zusammenlebens dieser Gattung, also die Gesellschaft, als höchstes Ziel der Politik und als Notwendigkeit der Geschichte sieht
In christlicher Sicht ist die Personalität des Menschen die Voraussetzung -seiner gesell schaftsbezogenen Wesensanlage Plakativ läßt sich sagen: Die Würde des Menschen ist bedingt durch die dem Menschen vom Schöpfer eingestiftete Gottebenbildlichkeit. Der Mensch ist Person. Er ist einzigartig und unwiederholbar. Er ist frei, aber er muß seine Freiheit verantworten. Mit Kräften des Triebs, der Seele und der Vernunft ausgestattet, ist der Mensch auf Gemeinschaft angelegt. In der Organisation dieses Zusammenlebens entsteht Kultur.
Die Bedeutung dieser Abgrenzungen angesichts der heutigen politischen Problemstellungen hob Heiner Geißler auf dem 26. Bundesparteitag der CDU in Ludwigshafen hervor: Weil die Probleme schneller gewachsen sind als die Fähigkeit der Regierungen, sie zu lösen, „erleben wir seit einigen Jahren in Deutschland, in Europa und weltweit eine Renaissance der alten Ideologien. Dies geschieht, obwohl diese Ideologien jegliche Orientierungskraft für Gegenwart und Zukunft verloren haben. Die Erklärung unserer heutigen Konflikte und Probleme anhand der Begriffe Marxismus oder Sozialismus und Kapitalismus, im Sinne von links und rechts, von fortschrittlich und reaktionär, vom unüberwindlichen Gegensatz von Kapital und Arbeit sind untauglich, um die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu gestalten. Der Marxismus schweigt auf die Frage, wie menschlicher Fortschritt künftig möglich ist.
Er behauptet nur noch, daß er möglich sei, wenn die bestehenden Ordnungen beseitigt würden und sein System errichtet werde. Diese Behauptung ist mit Argumenten der Vernunft nicht nachprüfbar und durch die Existenz kommunistischer Zwangssysteme praktisch widerlegt. Der Kapitalismus schweigt auf die Frage nach den Werten jenseits von Angebot und Nachfrage. Diese Theorien des Materialismus vermögen niemanden mehr zu überzeugen, man kann nur noch an sie glauben. Das Christentum ist die einzige existierende Idee, die sich auf den ganzen Menschen bezieht, ohne den Menschen zu unterwerfen. Es ist die Idee seiner angeborenen Würde als von Gott geschaffene Person. Es ist die Idee des zur Freiheit geschaffenen Menschen, der seine Freiheit verantworten muß. Es ist die Idee der Einzigartigkeit der Person, die dennoch Gemeinschaft braucht und der Gemeinschaft verpflichtet ist. Die Idee der personalen Würde, Einzigartigkeit und Verantwortlichkeit des Menschen ist die große Idee, die den Materialismus marxistischer wie kapitalistischer Art überwindet." Vor diesem Hintergrund ist die Tatsache zu sehen und zu werten, daß das Grundsatzprogramm der CDU ebenso wie das politische Programm der EVP eine Klarstellung des Menschenbildes als Ausgangspunkt wählen b) Grundhaltungen Ausgehend von dem oben skizzierten Menschenbild steht der Mensch in zwei Beziehungssystemen: — Er besitzt die Möglichkeit der Selbstüberschreitung, da er den persönlichen Anruf Gottes zu vernehmen und in ein dialogisches Verhältnis zum Schöpfer der Welt zu treten vermag. — In der Beziehung der Person zur. Gemeinschaft steckt die Möglichkeit der Selbstüberschreitung ebenfalls. Sie kommt zum Ausdruck im Ethos des Dienens, in der Fähigkeit zu hingebender gemeinschaftsbildender Liebe.
In beiden Beziehungssystemen ist eine sittliche Leistung des Menschen gefordert. Die sittliche Leistung wird vom konkreten Menschen als Person — nicht vom abstrakten Gattungswesen „Mensch" — und damit von der „Gesellschaft" gefordert. Zwischen dem, was vom einzelnen in einer konkreten Situation des Zusammenlebens erwartet werden müßte, und dem, was — im Hinblick auf die Unvollkommenheit des Menschen — erwartet werden kann, liegen meist ebensolche Klüfte wie zwischen dem, was erwartet werden könnte, und dem, was geleistet bzw. verweigert wird. Den Menschen zur sittlichen Leistungsfähigkeit zu erziehen, ist ein sittlicher Auftrag, der sich unmittelbar aus dem christlichen Verständnis des Menschen als eines nicht festgelegten, zur Persönlichkeitsentwicklung fähigen Geschöpfs ergibt. Den Menschen dagegen zu unbedingt sittlicher — gar uniformer, am Grundsatz diesseitiger Gleichheit orientierter — Leistungsfähigkeit mit Mitteln des Staates zu zwingen, ist inhuman, denn auch die Staatsgewalt (auch wenn sie in Legislative, Exekutive und Jurisdiktion unterteilt ist) ist dem menschlichen Irrtum ausgesetzt. Purismus in der Politik tendiert stets zum Totalitarismus.
Aus dieser Abgrenzung ergibt sich die ordnungspolitische Nähe der christlichen Demokratie zum liberalen Rechtsstaat, zur parlamentarischen, d. h. pluralen Demokratie und deren ökonomischer Grundlage, der Sozialen Marktwirtschaft. — Von einem Freiheitsverständnis dagegen, das zur Freiheit von Verantwortung, zum hedonistischen Lebensgenuß und zum Anspruchsdenken tendiert, ist sie ebensoweit entfernt wie von der marxistischen Erziehungsdiktatur.
Im politischen Kampf um die ordnungspolitischen Grundlagen, der in allen Industriestaaten des freien Europa derzeit ausgetragen wird, mag hier und da das Bewußtsein verlorengegangen sein, daß es das Ethos des Dienens ist, das der Arbeit des Christen in der Politik die sittliche Rechtfertigung gibt, und daß es nicht eine Doktrin ist, die christliche Demokraten eint, sondern eine gemeinsame Grundhaltung. c) Realitätsbezug Wo Politik nicht in Ausführung von Doktrinen oder Ideologien entwickelt wird, wird häufig der Vorwurf des Theorie-Defizits erhoben. Dieser Vorwurf kann der christlichen Demokratie im heutigen Europa ernsthaft nicht gemacht werden. Die Freiheit von doktrinären Vorurteilen und Ideologien läßt den Blick frei für die Wirklichkeit.
Zu dieser Wirklichkeit gehört — was die Politik anlangt — in erster Linie der Mensch (vgl. I, 1 a).
Zu dieser Wirklichkeit gehört die hocharbeitsteilige, technische Zivilisation der Industriegesellschaft, in der wir leben. Die gegenseitigen Abhängigkeiten der Menschen untereinander sind viel größer als früher. Voneinander abhängig sind nicht nur alle Bürger einer Gemeinde, eines Landes oder Europas. Die Interdependenzen sind — abgestuft — weltumspannender Natur. Politik braucht daher aus diesem Grunde mehr Sachverstand denn je.
Zur Wirklichkeit gehören neue Erkenntnisse, wie das Bewußtsein um die Begrenzungen des „Raumschiffes Erde" und die Ambivalenz der Technik. Es sind Prioritäten zu setzen. Dazu gehören Maßstäbe (Menschenbild), Mut und Einsichtsfähigkeit in das Mögliche. Die sittliche Leistungsfähigkeit des Menschen wird wieder wichtiger. Auch das ist eine erkennbare Realität
Zu den erkennbaren Realitäten gehört schließlich, daß weder die äußere noch die in-nere Sicherheit der Staaten des freien Europa noch die wirtschaftliche Sicherheit ihrer Bürger im nationalen Alleingang erreichbar sind, ganz zu schweigen von den angedeuteten Anforderungen an eine Weltinnenpolitik. Die Gründung einer transnationalen Partei wie der EVP war somit weniger utopisch als realistisch.
Politik heißt gestalten. Zum Gestalten braucht man die Macht. Zur Macht braucht man die Mehrheit. Die Mehrheit — oder die Teilhabe an ihr — ist nur in freier Wahl zu erringen. An diesen Grundvoraussetzungen einer freiheitlichen Ordnung wollen christliche Demokraten nicht rütteln und nicht rütteln lassen. So beugen sie sich den Anforderungen der Massendemokratie auch um den Preis einer vergröbernden politischen Sprache und der Propaganda in allen ihren oft unbefriedigenden Facetten. Das gilt für die kommunale, regionale und für die europäische Ebene. 2. Europaidee „Unsere Leitlinien für Europa: Wir, die Europäische Volkspartei — Föderation der christlich-demokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft —, wollen die Einheit Europas. Es waren die christlich-demokratischen Staatsmänner Robert Schuman, Alcide de Gasperi und Konrad Adenauer, welche die Grundlage für das bisher Erreichte geschaffen haben. Ihre erfolgreiche Arbeit setzten wir fort. Wir sind fest entschlossen, dieses historische Werk in ihrem Geist zu vollenden. Unser Ziel ist eine Föderation Europas, wie sie Robert Schuman am 9. Mai 1950 vorgeschlagen hat." (EVP-Programm, Kap. I, Satz 1 ff.)
Die Parteien der christlichen Demokratie waren nach dem Zweiten Weltkrieg die eigentlichen politischen Träger der Versöhnung mit Deutschland und der Bemühungen um die politische Einigung Europas Dabei haben sie der einzig wirklich neuen politischen Idee im Zusammenleben nationaler Staaten zu politischer Wirksamkeit verhelfen: der Konzeption schrittweiser Übertragung souveräner Rechte auf europäische Hoheitsträger (Idee der Supranationalität)
Die EVP bekennt sich in ihrem politischen Programm zur Fortsetzung des eingeschlagenen Wegs bis zur Bildung eines europäischen Bundesstaates. Die EVP selbst ist, als institutionalisierter Prozeß in Richtung auf eine europäische Partei im eigentlichen Sinne, ein Vorgriff auf die Weiterentwicklung der Europäischen Gemeinschaft.
In den Bemühungen um die politische Einigung Europas kristallisiert sich somit eine deutliche Alternative heraus:
— Der Bund der Sozialdemokratischen Parteien in der Europäischen Gemeinschaft legt den Akzent auf eine „neue und bessere Gesellschaftsordnung" und auf „Sozialismus als eine dauernde Aufgabe" Daran soll auf nationaler, westeuropäischer und gesamteuropäischer Ebene gearbeitet werden. Dem Bund dürfte dabei zunehmend die Rolle einer europäischen Koordinierungs-und Legitimationsinstanz zuwachsen.
Das politische Zentrum des demokratischen Sozialismus in Europa stünde — träte diese Entwicklung ein — dann „oberhalb" der nationalen Regierungen und Parlamente und „außerhalb" der Institutionen der Europäischen Gemeinschaft, mit der Folge, daß diese nicht mehr Subjekt, sondern insoweit Objekt der Politik würden.
— In der EVP überwiegt demgegenüber eine relativ konservative Haltung. Ausgehend von dem Bekenntnis zu Rechtsstaat, pluraler Demokratie und sozialer Marktwirtschaft überwiegt das Denken in Kategorien bestehender Institutionen und Ordnungen. Der europäische Bundesstaat soll organisch durch schrittweise Übertragung von Souveränitätsrechten von „unten" aufwachsen. Die EVP sieht sich demgemäß eher als Hilfsorgan zur Verschaffung von Mehrheiten bei Wahlen denn als eigenständige Organisationsmacht auf europäischer Ebene — ungeachtet der Möglichkeiten, die sie insoweit ebenfalls besitzt. 3. Mitgliedsparteien In der Parteienlandschaft des freien Europa lassen sich zwei Trends beobachten: — Unter den demokratischen Parteien findet eine Konzentration der Kräfte um die drei großen Tendenzen des Sozialismus, der christlichen Demokratie und des Liberalismus statt. Die Bildung transnationaler Zusammenschlüsse hat diesen Trend verstärkt. Europa-, Gesellschafts-und Wirtschaftspolitik verschmelzen dabei in einer neuen Dimension. Neben Regierungspolitik der (nationalen) gewinnt die (europäische) Parteipolitik somit zunehmend an Gewicht. — Dabei entsteht neben den Institutionen der Europäischen Gemeinschaft neue, europäische Organisationsmacht. Diese stützt sich noch weitgehend auf die nationalen Partei-fund Gewerkschafts-) Organisationen. Ein festigendes Element ist der Verfassungsrang, den die Parteien in der Bundesrepublik Deutschland (Art. 21 GG) und in Italien genießen. Er erlaubt — jedenfalls in der Bundesrepublik — eine Parteifinanzierung partiell aus öffentlichen Mitteln. Ansätze zur Parteifinanzierung auf europäischer Ebene sind kraft des Haushaltsrechts des Europäischen Parlaments bereits entstanden. Mit ihrer Erweiterung ist zu rechnen. So ist die politische Stellung sowie die organisatorische, finanzielle und personelle Leistungsfähigkeit der Mitgliedsparteien der EVP heute noch bedeutend. Aber bereits die jüngere Organisationsgeschichte der Parteien ist vor diesem Hintergrund nur noch von marginalem Interesse.
Die Gründungsmitglieder der EVP sind: Belgien:
Christelijke Volkspartij (CVP) — flämisch — und Parti Social Chretien (PSC) — wallonisch Bundesrepublik Deutschland:
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) und Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU)
Frankreich:
Centre des Democrates Sociaux (CDS)
Irland:
Fine Gael (FG)
Italien:
Democrazia Cristiana (DC) und Südtiroler Volkspartei (SVP)
Luxemburg:
Christlich Soziale Volkspartei (CSV)
Niederlande:
Christen-democratisch Appel, der Zusammenschluß aus: Anti-revolutionaire partij, Christelijk Historische Unie und Katholieke Volkspartij.
In Belgien stellen CVP und PSC zusammen die stärkste politische Kraft im Lande dar. Sie vereinen rund 200 000 Mitglieder. Bei Parlamentswahlen liegen sie deutlich im Aufwärtstrend (1974: 32, 34 %; 1977: 35, 94 %; 1978: 40%). CVP und PSC haben sich als selbständige Parteien konstituiert, um dem Streben der flämischen und wallonischen Bevölkerungsteile nach kultureller und politischer Antonomie Rechnung zu tragen. CVP und PSC verkörpern die politische Mitte mit weitem Einzugsgebiet auch links der Mitte, da den 900 000 Mitgliedern der christlichen Gewerkschaften nur 700 000 Mitglieder der sozialistischen Gewerkschaften gegenüberstehen.
In der Bundesrepublik Deutschland verkörpern CDU und CSU die stärkste politische Kraft (Bundestagswahlen 1972: 44, 9 %; 1976: 48, 6%). Gleichwohl sieht sich die CDU/CSU durch die sozial-liberale Koalition von der Regierungsverantwortung ausgeschlossen. In keiner der parlamentarischen Demokratien Westeuropas bestehen Dauerkoalitionen gegen die stärkste Parlamentsfraktion mit diesem Verhärtungsgrad. Die Frage einer Neuordnung der Parteienlandschaft wurde dadurch zu einem Dauerthema der Innenpolitik. — Seit der Kandidatur von drei Gewerkschaftsvorsitzenden auf der Europaliste der SPD wird zudem das Prinzip der Einheitsgewerkschaft in Frage gestellt. Auf die Unionsparteien kommt daher die Frage einer Zusammenarbeit mit dem von ihnen bisher nicht unterstützten Christlichen Gewerkschaftsbund CGB zu. Die Lage der christlichen Demokratie in Frankreich, hat sich wesentlich verändert, seit der Führer des CDS, Jean Lecanuet, Fraktionsvorsitzender der UDF wurde. Mit 23, 18% (Parlamentswahl 1978) der Stimmen ist diese Sammlungsbewegung zur Unterstützung des Präsidenten Giscard d’Estaing nach der gaullistischen RPR Chiracs (1978: 26, 11 %) die zweitstärkste Gruppierung innerhalb der „Majorite". Die Demoskopie sieht das Verhältnis heute bereits umgekehrt Ob diese christlich-liberale Fraktionsgemeinschaft zu einem Parteienbündnis auf Dauer oder gar einer Parteienfusion führen wird, ist offen. Die Abschaffung der Reste einer merkantilen Wirtschaftsordnung in Frankreich durch die Regierung Raymond Barre und die Einführung einer sozialen Marktwirtschaft nach dem von der CDU/CSU in der Bundesrepublik Deutschland entwickelten Modell spricht für ein Dauerbündnis, sofern es mehrheitsfähig bleibt. Hält der politische Verfall des Gaullismus jedoch an, dürfte die ordnungspolitische Entscheidung über Frankreichs Zukunft bei den Kräften des demokratischen Sozialismus liegen.
Irland besitzt ein Drei-Parteiensystem, das keinen Vergleich mit kontinentalen Verhältnissen erlaubt. 85 % der Stimmen entfallen auf die beiden einander sehr verwandten Parteien Fianna Fail und Fine Gael; der Rest auf die irische Labour-Party. Beide Parteien gingen aus der irischen Unabhängigkeitsbewegung Sinn Fein hervor. Vielleicht überwiegt bei der Fianna Fail der nationale Akzent. Sie hat sich im Europäischen Parlament der gaullistischen Fraktion der Europäischen Fortschritts-demokraten angeschlossen. Die Fine Gael dagegen ist der CD-Fraktion des Europäischen Parlaments beigetreten und gehört zu den Gründungsmitgliedern der EVP. Beide Parteien verkörpern eine Politik der irisch-katholischen Selbstbestimmung, die an Stelle unilateraler Abhängigkeiten vom Vereinigten Königreich die Zuordnung der Grünen Insel zu einem föderierten Europa anstrebt.
Italiens Democrazia Christiana stellt dem Land seit 34 Jahren die Regierungschefs. Eine Partei, die solange in vorderster Linie Verantwortung trägt, ist gegen Verschleißerscheinungen nicht gefeit. Ihre Stärke liegt in ihrer Regenerationsfähigkeit, im hohen Organisationsgrad der Partei und in der Massenbasis (1, 85 Mio. Mitglieder). Mit durchschnittlich 40 % der Wählerstimmen ist die DC auf parlamentarische Bündnisse oder Koalitionen angewiesen. Wegen des Verfalls der bürgerlichen Alternative der Republikaner (PRI) und der Liberalen (PLI), die bei den Wahlen 1976 zusammen nur noch 1, 3 % der Stimmen erhielten, entfällt die Möglichkeit einer Mitte-Rechts-Koalition. Die Mitte-Links-Koalition der sechziger und beginnenden siebziger Jahre scheiterte insbesondere an zwei Gründen: Die erneute Spaltung des demokratischen Sozialismus in zwei Parteien (PSI und PDSI) führte zu einem Wählerrückgang auf 13% (1976). Außerdem streben die Parteien des demokratischen Sozialismus eine Volksfront an. „Einigermaßen sichere Prognosen über die Entwicklung des italienischen Parteiensystems in den nächsten Jahren lassen sich kaum machen."
In den Niederlanden sind zwölf Parteien im Parlament vertreten. Die doppelte Zahl pflegt sich an Parlamentswahlen zu beteiligen. Gleichwohl ist seit den letzten Wahlen (Mai 1977) eine Konzentration auf Sozialisten (PVDA: 35, 6%), christliche Demokraten (CDA: 33%) und Liberale (VVD: 19, 7 %) zu beobachten. Der Rest (11, 7%) verteilt sich auf die übrigen neun Parteien. Die VVD ist eine liberal-konservative Partei. Mehr noch als in anderen Ländern ist dadurch die politische Kraft der Mitte, der CDA (Christen demokratisch Appel), als Koalitionspartner ausschlaggebend. Bis 1977 bestand eine Mitte-Links-, seit 1977 besteht eine Mitte-Rechts-Koalition. Der CDA, heute noch eine Förderation aus drei Konfessionsparteien, wird sich 1980 als Einheitspartei konstituieren. Eine neue Politikergeneration der 40jährigen bestimmt seinen Kurs.
Auch Luxemburgs Spektrum der demokratischen Parteien zeigt die Dreiteilung in Sozialisten, christliche Demokraten und Liberale. Nach 29jähriger Regierungsverantwortung verlor die Christlich Soziale Volkspartei 1974 7 % der Stimmen. Sie blieb zwar stärkste Parlamentsfraktion (34%), ging aber gleichwohl in die Opposition. Die sozial-liberale Koalition Luxemburgs (Sozialisten 32 %; Liberale 28 %) wird von einem Liberalen geführt.
Im Vereinigten Königreich und in Dänemark ist die Europäische Volkspartei nicht durch Gründungsmitglieder vertreten. Zwar beteiligte sich eine britische Delegation an der europäischen Zusammenarbeit christlicher Demokraten unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Delegation bestand aus christlich orientierten Politikern der Labour-Party und den Konservativen. Als die Vertreter der Labour Party — wohl im Zusammenhang mit der Neugründung der Sozialistischen Internationale — ihre Mitarbeit einstellten, erschienen auch die Konservativen nicht mehr. Die Wiedereinbeziehung der britischen Konservativen in die Zusammenarbeit nach Englands Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft (1973) erwies sich trotz ordnungspolitischer Kongruenz der Parteiprogramme als undurchführbar. Sowohl in der CD-Fraktion des Europäischen Parlaments als auch in der Gründungsphase der EVP stellten sich die CD-Parteien der Niederlande, Belgiens, Frankreichs und Italiens dagegen.
II. Realisierung
1. Geschichte p Die Geschichte der EVP beginnt am 29. April 1976 in Brüssel. Zwölf Parteien konstituierten sich als Gründungsmitglieder und nahmen das Statut an. Die Vorarbeiten hatten im Rahmen der Europäischen Union Christlicher Demokraten (EUCD) begonnen. In der Neufassung der EUCD-Satzung von 1973 war ein „Comite Politique" vorgesehen, dem nur Vertreter aus Parteien der EG-Mitgliedstaaten angehörten. In diesem Gremium wurden die Vorarbeiten geleistet.
Das Comite Politique der EUCD setzte am September 1975 eine ad-hoc-Arbeitsgruppe „Europäische Partei" ein. Unter der Leitung des Vorsitzenden der belgischen CVP, Maertens, und des Vorsitzenden der CD-Fraktion im Europäischen Parlament, dem CSU-Bundestagsabgeordneten Lücker, erarbeitete diese Gruppe den Entwurf eines Statuts. Er wurde dem Comite Politique der EUCD am 22. Februar 1976 in Paris zur Beschlußfassung vorgelegt.
Die EVP ging aus der Europäischen Union Christlicher Demokraten hervor 26). Beide sind Mitglieder in der Weltunion Christlicher Demokraten
Die EUCD ist identisch mit den 1947 gebildeten Nouvelles Equipes Internationales, NEI. Erst 1965 änderten die NEI ihren Namen in Europäische Union Christlicher Demokraten.
Die NEI ging hervor aus den Gesprächen, die führende Vertreter der Christlichen Demokratie auf Vermittlung und Einladung der Christlich-Sozial-Konservativen Partei der Schweiz (heute: Christliche Volkspartei, CVP) führten. Die ersten Treffen dieser Art fanden 1946 in Montreux und in Luzern statt.
Gegen die verbreitete Auffassung, daß hier eher in westeuropäischer als in gesamteuropäischer Perspektive gedacht und gearbeitet wurde, spricht der Versuch, von vornherein einen Zusammenschluß aller Kräfte der Christlichen Demokratie in Europa zu schaffen. Am ersten Kongreß der NEI 1947 in Chaudefontaine (Belgien) nahmen Equipen aus Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Österreich, Polen, Spanien und der Tschechoslowakei teil. Im Jahre 1948 erweiterte sich dieser Kreis um Vertreter christlich-demokratischer Bewegungen Jugoslawiens, Litauens und Ungarns. Erst die Ereignisse des gleichen Jahres in der Tschechoslowakei und die sich festigende Herrschaft kommunistischer Staatsparteien in Jugoslawien, Polen und Ungarn schnürten den Kräften der Christlichen Demokratie dieser Länder die politischen Wirkungsmöglichkeiten ab. Ihre führenden Köpfe gingen nach Amerika in die Emigration. 1950 gründeten sie in New York die Union Christlicher Demokraten Zentraleuropas. Die NEI schrumpfte zu einem Bund westeuropäischer Parteien.
Uber die Bedeutung dieser frühen Kontakte christlich-demokratischer Politiker für die Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland und für die Grundlegung einer Politik der europäischen Integration finden sich im Schrifttum nur wenige Hinweise. Bruno Dörpinghaus, Leiter des Generalsekretariats der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU 1947— 1951, liefert dafür Anhaltspunkte in seiner Darstellung der „Genfer Gespräche“ Die „Genfer Gespräche" sind im Zusammenhang mit den Kontakten zu sehen, die zur Gründung der NEI führten. Zunächst handelte es sich um bilaterale Kontakte zwischen Vertretern der christlich-demokratischen Sammlungsbewegung: von Frankreichs MRP (Monument Republicain Populaire) und der CDU/CSU. Sie begannen im Jahre 1947. Bereits zum zweiten Treffen am 21. /22. März 1948 in Genf erschienen Georges Bidault und Konrad Adenauer. Bis zum Jahre 1951 hatten bereits 16 Sitzungen stattgefunden. Behandelt wurden alle brennenden Probleme der damaligen Zeit. Allmählich wurden die Gespräche in den Rahmen der NEI überführt, der die CDU und die CSU 1948 beitraten und deren Generalsekretär, Robert Bichet, von Anfang an an den Genfer Sitzungen beteiligt war An den erweiterten „Genfer Gesprächen" im Rah-men der NEI nahmen Vertreter der italienischen Democrazia Christiana sowie Delegierte der Parteien der Niederlande, Belgiens, Österreichs und der Schweiz teil
Die NEI/EUCD hielt regelmäßig europäische Kongresse ab Als die Gründung der EVP ins Blickfeld rückte, verlagerte sich der politische Schwerpunkt auf diese.
Versuche Luigi Stuzos, des Gründers der Partito Popolare Italiane, und Alcide de Gasparis, bereits nach dem Ersten Weltkrieg eine politische Internationale christlicher Demokraten zu bilden, schlugen fehl. Zu stark orientierte sich politisches Denken noch an nationalen Prioritäten. Zu fern standen sich noch die Christen unterschiedlicher Konfession und zu groß war noch immer der Graben, der die katholische Kirche von der bürgerlichen Republik trennte. Die Reise Don Sturzes und de Gasparis im Jahre 1929 nach München zur Bayerischen Volkspartei, nach Köln, wo Adenauer und de Gaspari sich erstmals trafen, und nach Berlin zu Gesprächen mit der Zentrumsfraktion des Reichstags blieben folgenlos.
Eine eingehende Darstellung der Frühgeschichte der christlichen Demokratie im 19. und in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts fin-det sich in den Standardwerken von Hans Maier und Michael P. Fogarty 2. Programm Parteiprogramme sind politische Visitenkarten. Mit notariellen Urkunden haben sie wenig gemeinsam. Doch im Grad der Verbindlichkeit von Parteiprogrammen gibt es Abstufungen. Wo Politik einer Ideologie untergeordnet wird, ist die Verbindlichkeit des Programms höher als dort, wo Grundwerthaltungen und ein Realismus die Politik bestimmen, die von der Tatsache ausgeht, daß auch einem Politiker der Blick in die Zukunft verwehrt ist. Konservative Parteien halten es geradezu für ein Gebot der Redlichkeit, auf förmliche, allzu konkrete Parteiprogramme zu verzichten.
Die EVP nimmt in diesem Spektrum wiederum eine Mittelstellung ein. Sie ist durchaus programmfreudig. Dabei schöpft sie aus einem breiten Fundus der Gemeinsamkeit ihrer Gründungsmitglieder, dem gemeinsamen Selbstverständnis christlicher Demokraten und den gemeinsam errungenen Erfolgen in der Europapolitik der Nachkriegszeit. Der erste ordentliche Kongreß der EVP beriet und verabschiedete am 7. /8. März 1978 in Brüssel ein politisches Programm. Der Brüsseler Wahlkongreß vom 22. /23. Februar 1979 fügte noch eine Wahlplattform hinzu.
Das politische Programm der EVP formuliert diese Gemeinsamkeit und projiziert sie auf die Zukunft. Es gliedert sich in fünf Kapitel.
In den „Leitlinien für Europa" findet sich zuerst die politische Zielbestimmung: „Einigung Europas zu einem freien, demokratischen und sozial gerechten Europa." Ein Katalog politischer Grundpositionen schließt sich an. Den Ausgangspunkt bildet der Abschnitt „Unser Menschenbild". Es folgt ein Katalog der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie ein Abschnitt über Solidarität und Gerechtigkeit. Diese drei Abschnitte bringen den bekannten Gesamtzusammenhang zum Ausdruck, nachdem aus der Würde des Menschen nicht nur Rechte, sondern auch Verantwortlichkeiten* folgen. Für den einzelnen wird das Prinzip Solidarität umschrieben mit dem „Recht auf Mitwirkung in der Gemeinschaft" und „der Pflicht, nach eigenen Kräften dazu . beizutragen, daß die Gemeinschaft aller für den Einzelnen einstehen kann". Aus der Sicht der Gemeinschaft heißt Solidarität: Hilfe zur Selbsthilfe (Subsidiarität) und Pflicht zur sozialen Gerechtigkeit. Hinzugefügt wird: „Die Gemeinschaft hat die Aufgabe, die Eigenverantwortlichkeit des einzelnen und der freien Organisationen soweit wie möglich zu fördern." Unter dieser Prämisse liest sich dann ein Satz, der den Kernsätzen sozialistischer Europrogramme sehr verwandt ist — „Die sozialen Fragen, 'die aus Ungleichheiten zwischen sozialen Gruppen, Regionen und Ländern entstehen, sind nur durch eine europäische Politik der Solidarität und des Wandels der Strukturen lösbar" —, ordnungspolitisch ganz anders.
Im Abschnitt 4 der Leitlinien „Politische Demokratie" wird die rechtliche Anerkennung und Definition der „verfassungsmäßigen Stellung“ der politischen Parteien gefordert, sowie die Zuteilung öffentlicher Mittel.
Der Abschnitt 5 der Leitlinien fordert die Erneuerung und Entfaltung der Kultur („Fundament unserer europäischen Identität"). Es geht der EVP darum, den Reichtum der europäischen Kultur „in ihrer Vielfalt und Einheit" als Grundlage für das Zusammenwirken der europäischen Völker zu „verstehen und zu meistern". Eine höhere Mobilität der Studenten und Professoren sowie ein intensiver Geschichts-und Sprachunterricht kann das erleichtern und ist daher förderungswürdig. Ausdrücklich unterstützt wird hier auch der Vorschlag des Tindemans-Berichtes zur Gründung einer Europäischen Stiftung als Mäzen zur Förderung des europäischen Kulturaustausches und der politischen Integration.
Die übrigen Kapitel (II bis IV) „Europa in der Welt", „Die Politik der Europäischen Gemeinschaft" und „Die institutioneile Dynamik der Gemeinschaft" verraten vollends die Handschrift Leo Tindemans, des EVP-Präsidenten. In seiner Eigenschaft als belgischer Ministerpräsident hatten ihn seine Kollegen auf dem Pariser EG-Gipfel vom 10. /II. Dezember 1974 ersucht, eine „Strategie des Möglichen" zu entwickeln zur Durchführung des bereits im Oktober 1972 gefaßten Gipfelbeschlusses einer „Umwandlung der Gesamtheit der Beziehungen der EG-Mitgliedstaaten untereinander in eine Europäische Union bis zum Jahre 1980". Der noch heute zu beobachtende Rückstand der Regierungen hinter den von ihnen selbst gesetzten sachlichen und zeitlichen Zielen rechtfertigt die Instrumentierung der wichtigsten Vorschläge des Tindemans-Berichts im Parteiprogramm der EVP. Eine Darstellung in Einzelheiten würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Die Zentrierung der Programmarbeit der EVP auf die Föderierung des freien Europa und die Europawahl entspricht ihrem Gründungszweck. Diesen Akt politischer Selbstbeschränkung auszugleichen, bleibt der Europäischen Union Christlicher Demokraten (EUCD) als Aufgabe gestellt. Dennoch entsteht auch bei der Lektüre des EVP-Programms einmal mehr der Eindruck, als reiche die politische Phantasie demokratischer Politiker — auch christlich-demokratischer Politiker — westlich des Rheins und südlich der Alpen nicht aus, um sich vorzustellen, welche Wege dem deutschen Partner zusätzlich oder alternativ zur Westintegration eines — vielleicht nicht allzu fernen — Tages offen stehen könnten und welche Anforderungen an die Solidarität der Demokraten, an das politische Eigengewicht und an den politischen Willen zu verantworteter Freiheit sich dann stellen. 3. Statut Auch die Satzung vom 28. April 1976 legt die EVP auf den „Aufbau einer europäischen Föderation" fest. Vier Teilziele sehen vor: — die Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament „gemäß der für die Direktwahl dieses Parlaments erlassenen Gesetze", — die Gewährleistung einer pluralistischen Demokratie, — die Fortführung des Integrationsprozesses in Europa, — die Förderung, Koordinierung und Organisation der europäischen Aktion ihrer Mitglieder.
Gerade unter dem zuletzt genannten Aspekt hat die EVP nachhaltig dazu beigetragen, die europäische Zusammenarbeit spezialisierter Teilorganisationen der christlichen Demokratie in Europa zu strukturieren. Als Organe der EUCD/EVP sind anerkannt:
— die Europäische Union Junger Christdemokraten (EUJCD), — die Union Christlich Demokratischer Frauen (UCDF).
— die Europäische Union Christlich Demokratischer Arbeitnehmer (EUCDA), — die Europäische Mittelstands-Union (EMSU), — die Europäische Kommunalpolitische Vereinigung (EKPV).
Das eigentliche Lenkungsorgan der EVP ist das Politische Büro (Artikel?). Es ist dem Vorstand deutscher Parteien vergleichbar, besitzt aber stärkere Befugnisse. Diese Befugnisse sind begrenzt auf die Ziele der EVP, denn die Mitgliedsparteien „behalten ihren Namen, ihre Identität und ihre Aktionsfreiheit im Rahmen ihrer nationalen Verantwortlichkeiten" (Artikel 2). Die Mitgliedsparteien sind proportional zu ihrer Stärke in der EVP-Fraktion des Europäischen Parlaments, mindestens aber durch zwei Delegierte vertreten. Hinzu kommen der Präsident, die Vizepräsidenten, der Schatzmeister, die Mitglieder des ge-schäftsführenden Vorstands der Fraktion und die Vertreter der anerkannten Vereinigungen (s. o.). Mit Rederecht nehmen ferner die Mitglieder der EG-Kommission, des EG-Minister-rats sowie der Präsident des Europäischen Parlaments teil, sofern sie einer Mitgliedspartei angehören. Auf diese Weise kann die Europapolitik der EVP in allen Organen der Europäischen Gemeinschaften koordiniert werden. Eine politisch ausbaufähige Stellung besitzt der Präsident der EVP. Er vertritt die Partei nicht nur nach außen, sondern führt auch den Vorsitz in allen Organen der Partei (Politisches Büro, Exekutivkomitee und Kongreß) und hat ein organisationspolitisches Weisungsrecht. Als politische Funktion verbleibt dem Kongreß die Aufgabe der Rückkoppelung der politischen Linie des Politischen Büros auf eine breitere Repräsentanz aus den Mitgliedsparteien sowie die Debatte und Beschlußfassung über Programme und Satzungsänderungen. Der Kongreß wird in dem Augenblick an Bedeutung gewinnen, in dem sich die EVP Einzelmitgliedschaften öffnet.
Die Einzelmitgliedschaften natürlicher Personen in der EVP ist nicht ausdrücklich vorgesehen. Der Beitrittsartikel (Artikel 4 Abs. c) ist jedoch so gefaßt, daß ein Beschluß des Politischen Büros ausreichen würde, die EVP für Einzelmitglieder zu öffnen. Die Geschäftsordnung der EVP sieht das vor
Die EVP hat ihren Sitz in Brüssel. Ihre Mitglieder sind die bereits genannten (Ziff. I, 3) Gründungsparteien. Die EVP ist „offen für alle, die ihre politischen Grundauffassungen teilen und ihr politisches Programm in Übereinstimmung mit den Regeln des Buchstaben a) annehmen" (Artikel 4 Abs. c). Dieser Buchstabe a) gehörte in der Gründungsphase der EVP zu den umstrittensten Vorschriften. Er lautet: „Die Europäische Volkspartei setzt sich zusammen aus den christlich-demokratischen Parteien und Equipen, die die nachstehenden drei Voraussetzungen erfüllen: — sie bestehen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft;
— sie machen sich das politische Programm der EVP zu eigen;
— sie nehmen dieses Statut an".
Ob mit dieser Formulierung die EVP offen ist für Parteien, die nicht aus der Tradition der christlichen Demokratie hervorgegangen sind, blieb ungeklärt. Fest steht nur, daß es im Politischen Büro, das über Aufnahmeanträge zu entscheiden hat, heute für andere beitrittswillige Parteien keine Mehrheit gibt.
III. Ausblick
1. Kaolitionsfähigkeit Der Trend zur Konzentration in der demokratischen Parteienlandschaft auf Sozialisten, christliche Demokraten und Liberale dürfte auch kennzeichnend sein für die künftige Zusammensetzung des Europäischen Parlaments. Die EVP wird — angesichts der liberal-konservativen Ausrichtung aller liberalen Parteien Europas außer der der Bundesrepublik und der Dänemarks — im Europäischen Parlament die entscheidende Kraft der Mitte sein. Ohne oder gegen die EVP sind Mehrheiten kaum denkbar. Damit trägt die EVP die Verantwortung für die Grundausrichtung europäischer Politik, soweit sie von einem direkt gewählten Europäischen Parlament her beeinflußbar sein wird. 2. Die Europäische Demokratische Union (EDU)
Der Trend zur Konzentration in der demokratischen Parteienlandschaft auf Sozialisten, christliche Demokraten und Liberale bringt gewisse Nachteile mit sich. a) In Großbritannien und in Dänemark ist die politische Tendenz der EVP in anderen als in C-Parteien organisiert. Zum Teil gilt das auch für Frankreich. Die EVP ist daher in diesen Ländern entweder nicht präsent (GB, DK) oder politisch unterrepräsentiert (F). Die Lösung dieses Problems durch Beitritt der entsprechenden Kräfte zur EVP war bisher nicht möglich. b) Konservative oder berufsständische Parteien sowie nationale Sammlungsbewegungen oder Parteien aus europäischen Staaten, die nicht der Europäischen Gemeinschaft angehören, finden auf europäischer Ebene keine Kooperationspartner. c) Außereuropäische Parteien dieses Typs oder politische Bewegungen mit nichtschristlich-religiösem Hintergrund finden keine europäischen Ansprechpartner.
Die Lösung dieser Probleme war Gegenstand einer Konferenz in Kießheim bei Salzburg/Österreich am 24. April 1978. Auf dieser Konferenz waren Parteien aus folgenden Ländern — meist durch ihre Vorsitzenden — vertreten:
Bundesrepublik Deutschland:
CDU und CSU Dänemark:
Konservative Folkeparti Frankreich:
Rassemblement pour la Republique RPR und Partie Republicain PR Großbritannien:
Conservative Party Italien:
Südtiroler Volkspartei und Trentiner Tiroler Volkspartei Spanien:
Union de Centro Democratio Portugal:
Centro Democratico Social Malta: , Partit Nazzjonalista Österreich:
österreichische Volkspartei Schweiz:
Christliche Volkspartei Norwegen:
Höyre Hovedorganisasjon Schweden:
Moderata Samlingspartiet Finnland:
Kausallinen Kokoomus und Svenska Folkepartiet sowie die Vorsitzenden der Europäischen Union Christlicher Demokraten und der CD-Fraktion des Europäischen Parlaments.
Als Ergebnis des Kleßheimer Treffens wurde unter der Bezeichnung „Europäische Demokratische Union (EDU)" eine Arbeitsgemeinschaft gebildet und eine Erklärung verabschiedet. Die Erklärung legt gewisse, dem politischen Programm der EVP entsprechende Grundsätze fest. Das Bekenntnis zu diesen Grundsätzen gilt als Voraussetzung einer Teilnahme an der Arbeitsgemeinschaft. Die Art der Teilnahme kann verschieden sein. Es gibt „Mitglieder" und „Beobachter". Diese Unterscheidung soll einerseits einen weiten politischen Einzugsbereich der EDU gewährleisten, ihr aber andererseits die Möglichkeit der Bildung kohäsiver Strukturen nicht vorenthalten.
Die EDU sieht sich als europäisches Forum zur Beratung von Fragen, „welche ein gesamteuropäisches Interesse verkörpern". Dazu sollen Stellungnahmen erarbeitet werden. Auch die wechselseitige Unterstützung bei der Lösung solcher Fragen auf nationaler oder transnationaler Ebene ist vorgesehen. Zu diesem Zweck werden jährliche Konferenzen durchgeführt und vier Ausschüsse gebildet. Zur Vorbereitung und Durchführung wurde eine kooperative Struktur entwickelt, bestehend aus Vorsitzendem, Exekutivsekretär, Schatzmeister und zwei Rechnungsprüfern. Zum Vorsitzenden wurde der Landesobmann der österreichischen Volkspartei, Dr. Josef Taus, gewählt.
Die EDU will mehr sein als nur ein Katalysator für eine bürgerliche Koalition im Europäischen Parlament. Sie sieht sich weit über diesen Rahmen hinaus als ein potentielles politisches Gegengewicht für den Fall einer Volksfrontentwicklung auf der Grundlage der Konvergenztheorie im gesamteuropäischen Rahmen. 3. Perspektiven Das Europäische Parlament wird weniger Entscheidungen treffen als Zeichen setzen. Dabei wird die geistige Richtkraft der transnationalen Fraktionen eine Rolle spielen, die wichtiger sein könnte als ihre Fähigkeit zu pragmatischer Politik.
Die erste Direktwahl des Europäischen Parlaments fällt in eine Zeit des kulturgeschichtlichen Umbruchs. Sein Zentrum ist Europa. Doch die technische Zivilisation vermittelt ihm eine weltweite Ausstrahlung Das Weltbild der naturwissenschaftlichen Frühzeit, die darauf gegründeten Philosophien und politischen Theorien des 19. Jahrhunderts versagen vor den Problemstellungen der Ge-genwart und Zukunft. Dort wo Antworten auf die Fragestellungen unserer Zeit gesucht werden, knüpft man nicht mehr an sie an.
Drei verschiedene gedankliche Strömungen sind im Europa unserer Tage erkennbar, die über das Heute hinausweisen: — Der pragmatische Denkansatz des Aurelio Peccei seines Freundeskreises (Club of Rome) sowie ihrer Schüler und Epigonen.
Letztlich münden ihre ökologischen Thesen in die Forderung auf einen neu begründeten Humanismus. — Die moderne Naturwissenschaft überschreitet an vielen Stellen die Grenze zur Geisteswissenschaft. Die wissenschaftlichen Prämissen des Materialimus werden ebenso in Frage gestellt wie die Kausalität als durchgängiges Strukturelement dieser Welt — Es zeigt sich eine neue Bereitschaft, die Botschaft der großen Weltreligonen zu verinnerlichen.
Obwohl diese Trends untereinander kaum Querverbindungen herstellen, laufen sie doch alle darauf hinaus, einer neuen Sittlichkeit das Wort zu reden. Diese Trends sind dem hedonistischen Zeitgeist, wie er heute in der Industriegesellschaft vorherrscht, gerade entgegengesetzt. Dem modernen'Hedonismus haben sich heute zwar alle politischen Kräfte mehr oder weniger ergeben. Für die christliche Demokratie stellt sich in diesem Zusammenhang jedoch eine Frage ihres Selbstverständnisses. Dies gilt um so mehr, als einer der drei großen Trends aus den ureigensten Kraftquellen der christlichen Demokratie fließt
Auch heute gilt: Politische Führung setzt geistige Führung voraus.
Hubertus Dessloch, Dr. jur., geb. 1936; 1963— 1967 Mitglied des Kabinetts des Präsidenten der Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft; 1967— 1969 Sekretär der EG-Kommission; seit 1970 Referent für Angelegenheiten der Europäischen Gemeinschaften u. a. beim Bayerischen Staatsminister für Bundesangelegenheiten, Bonn. Veröffentlichungen: Die Europäische Volkspartei — Ein neuer Weg, in: Rheinischer Merkur Nr. 34 vom 20. 8. 1976; Das Menschenbild als Schlüssel, in: Rheinischer Merkur Nr. 51 vom 24. 12. 1977; Die europäischen Parteien der Mitte (Mitautor), Handbücher der Politischen Akademie Eichholz, Bd. 6, 1978; Die Direktwahl des Europäischen Parlaments, in: Politische Studien Nr. 226; Europawahl 1978?, in: Politische Studien Nr. 232.
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