Ganz entgegen den politischen Absichten Francos und der mit ihm verbündeten sozialen Kräfte reiften in der Periode der Franco-Herrschaft Bedingungen heran, die die Stabilität und Kontinuität des autoritären franquistischen Regimes über den Tod seines Gründers hinaus in Frage stellten. Die'aus der wirtschaftlichen Situation Spaniens nach dem Bürgerkrieg heraus erzwungene forcierte Industrialisierung des Landes stärkte in einer wachsenden Industriearbeiterschaft die Kräfte, die im Mittelpunkt der ökonomischen und politischen Repression standen und den Kern der illegalen Opposition bildeten. Darüber hinaus entfremdeten sich starke Teile der Kirche und der regierenden Elite von den illiberalen Zielen und den ursprünglichen Trägern des Regimes. Eine „Partizipationsexplosion" nach dem Wegfall der politischen Unterdrückungsmechanismen des Franco-Regimes blieb jedoch aus. Das Parteiensystem, das sich seit 1977 herausgebildet hat, zeigt eine starke Konzentration der Wählerstimmen auf die liberal-konservative Regierungspartei UCD und die beiden Oppositionsparteien der Sozialisten und Kommunisten. Die Bildung einer Einheitsgewerkschaft kam nicht zustande: die größte Gewerkschaft steht der Kommunistischen, die nächstgrößere Gewerkschaft der Sozialistischen Partei nahe. Trotz ihrer Nähe zu den Oppositionsparteien bewegen sich die Gewerkschaften auf dem Wege zu einer nur von gewerkschaftlichen Interessen und weniger von ihren Bezugsparteien beeinflußten Politik. Der „multinationale“ Charakter Spaniens stellt das demokratische System gegenwärtig vor die größten Probleme. Durch die Aufgliederung des spanischen Staates in autonome Regionen versuchten die demokratischen Kräfte Spaniens dem Selbstverwaltungsbegehren der kulturellen und sprachlichen Gemeinschaften, vor allem der Basken und Katalonen, Rechnung zu tragen. Allerdings vermochte diese Regionalisierung die kleinste ethnische Gruppe, die Basken, nicht zufriedenzustellen, die für das Baskenland die Option für die baskische Unabhängigkeit verlangen. Die Ablehnung dieser Option liegt dem Terror der Untergrundorganisation ETA zugrunde. Die Armee, lange eine verläßliche Stütze des Franco-Regimes, hat bislang ihre Loyalität zum demokratischen System bewiesen. Die politische Neutralität weiter Teile des Offizierskorps macht es unwahrscheinlich, daß die Armee Partei zugunsten der stark geschwächten franquistischen Gegner der spanischen Demokratie ergreift.
I. Historische Konfliktlinien
In kurzer Zeit und vergleichsweise konfliktarm hat Spanien den Übergang von der Diktatur Francos zu einem liberalen demokratischen System bewältigt. Den Wandel zu einem demokratischen politischen System erreichte Spanien nach dem Tode Francos aus dem Zusammenwirken aller relevanten politischen und gesellschaftlichen Kräfte. Offenkundig war diese Entwicklung nur aufgrund von Veränderungen im Verhältnis dieser Kräfte seit dem Ende des spanischen Bürgerkrieges möglich. Dieser Veränderungsprozeß und die politischen Strukturen des demokratischen Spanien sollen im folgenden dargelegt werden.
Abbildung 7
Tabelle 6: Wahlergebnisse für die 1979 im Kongreß des spanischen Parlaments repräsentierten Regionalparteien
Tabelle 6: Wahlergebnisse für die 1979 im Kongreß des spanischen Parlaments repräsentierten Regionalparteien
Bis zum Bürgerkrieg dominierte in Politik und Gesellschaft Spaniens der Gegensatz zwischen der „konservativen Allianz“ der Großgrundbesitzer, der Kirche und dem konservativen Bürgertum einerseits und einem breiten ländlichen Subproletariat und einer kleinen Industriearbeiterschaft andererseits. Das brennende Problem Spaniens im 19. und 20. Jahrhundert war seine Agrarverfassung. Besonderes Gewicht kam unter den herrschenden sozialen Gruppen den Großgrundbesitzern zu: Ihre Latifundien prägten die Struktur der Landwirtschaft in den stark bevölkerten Agrarzonen Süd-und Südwestspaniens. Die Grund-herren sahen ihre Interessen durch die Land-und Bodenreformforderungen der Pächter und Landarbeiter bedroht und lehnten sich eng an die katholische Kirche an, die ihren stärksten Rückhalt in der Landbevölkerung fand und sich entschieden gegen jede Veränderung des sozialen Status quo auf dem Lande wehrte.
Die bürgerlichen Mittelschichten waren in verschiedene politische Lager zersplittert, von denen das radikalere mit seinen antiklerikal-liberalen Neigungen in erbitterter Opposition zur katholischen Kirche, im besonderen zur kirchlichen Kontrolle des Erziehungswesens, stand, während das gemäßigte liberale Lager des spanischen Bürgertums, das bis nach dem Ersten Weltkrieg mit seinen Repräsentanten in der Regierung dominierte, weder die soziale Stellung des Großgrundbesitzes noch die weltliche Macht der Kirche ernsthaft in Frage stellte und sich mit der Förderung der Interessen des in den wenigen großen Städten konzentrierten Handels und der Industrie begnügte.
Die besitzlose und durch Pachtverhältnisse gebundene Landbevölkerung war schutzlos der wirtschaftlichen Ausbeutung und politischen Diskriminierung durch die konservative, gesellschaftlich-politische „Allianz" ausgeliefert; ebensowenig konnte sich die Industriearbeiterschaft in den kleinen nordspanischen Industrierevieren der Ausbeutung durch das Industriebürgertum und der Repression durch Justiz, Polizei und Armee des spanischen Staates erwehren.
Zu Beginn der Zweiten Republik (1931) war in Spanien eine Situation ausgereift, in der die Entwicklung pluralistisch-demokratischer Konfliktaustragung unmöglich war. Kirche, Groß-grundbesitz, bürgerliche und bäuerliche Ober-und Mittelschichten, Industriearbeiterschaft und die verarmte Landbevölkerung mußten von der Kontrolle der politischen Herrschaftsstrukturen durch eine oder mehrere der übrigen Kräfte befürchten, daß sie selbstverständlich zu ihrem Nachteil ausgenutzt würde. Die Vergabe politischer Macht über Mehrheitsentscheidungen mußte unter diesen Voraussetzungen von den minorisierten Kräften als Auftakt zu ihrer Unterdrückung verstanden werden, gegen die man sich legitim zur Wehr setzen durfte. Angesichts dieser Verfeindung der wichtigsten sozialen Kräfte untereinander konnten nur diejenigen Kräfte die Oberhand behalten, auf deren Seite die Armee stand. Die im 19. Jahrhundert so häufigen und in diesem Jahrhundert zweimal erfolgten (1923 und 1936) politischen Interventionen der Armee, die sog. „pronunciamentos", übernahmen mangels institutionalisierter politischer Verständigungsregeln eine politische Schiedsrichterfunktion. Die Zweite Republik war das Ergebnis der Diktatur Primo de Riveras (1923— 1930), der vernichtenden Niederlage der monarchistischen Kräfte bei den 1931 stattfindenden Kommunalwahlen und des freiwilligen Exils des Monarchen Alfons XIII. Hinter dem Gedanken einer demokratischen Republik standen weite Teile des liberalen Bürgertums und die liberalen Parteien, die Sozialistische Partei, die Gewerkschaften, die Industriearbei-terschaft und die nach Autonomie strebenden katatonischen Parteien. Allerdings bestanden zwischen den Liberalen und den Sozialisten im Hinblick auf die anzustrebenden wirtschaftlichen Reformen tiefgreifende Differenzen. Diese Differenzen waren gravierender als der gemeinsame Konsens: die von beiden Parteien befürworteten Pläne zur Aufhebung der kirchlichen Privilegien, zur Bodenreform und zur Reorganisation und politischen Neutralisierung der Streitkräfte kamen bis zum Ende der Republik nicht wesentlich über das Vorbereitungsstadium hinaus.
Die Liberalen strebten zwar die volle politische und ökonomische Emanzipation des Bürgertums an, stießen aber rasch an die Grenze, die ihre Interessen von den ökonomischen Forderungen der Arbeiterschaft bzw.der Sozialisten und der Gewerkschaften trennten. Die Wahlen von 1933 brachten eine christdemokratische Partei mit offen autoritären Neigungen an die Macht, die soziale und politische Proteste der sozialistischen und gewerkschaftlichen Opposition, politische Streiks und den Aufstand der asturischen Bergarbeiter (1934) mit brutaler Härte niederschlug, aber doch insgesamt die Verfassung beachtete. Zwischen 1933 und 1936 eskalierte der Straßenterror der äußersten Rechten und Linken und versetzte die besitzenden Schichten auf dem Land und in den Städten in einen Zustand unverhohlener Furcht vor Revolution, sozialem Umsturz und Deklassierung. 1936 siegte in den Parlamentswahlen eine Koalition der Sozialisten, der radikal-liberalen republikanischen Partei, eines autonomistischen katalonischen Parteienkartells und der nach Wählern und Parlamentsmandaten schwachen Kommunisten. Nunmehr standen in der siegreichen Parteienkoalition der Volksfront die sozialen Kräfte, die eine, wie auch immer geartete, Veränderung des sozialen Status quo und der staatsrechtlichen Struktur anstrebten, den konservativen sozialen Kräften gegenüber, die in der Volksfront die Feinde der katholischen Religion, der nationalen Einheit Spaniens (die mit dem zentralistischen Einheitsstaat gleichgesetzt wurde) und der überkommenen Eigentumsverhältnisse vereinigt sahen. Die Rebellion von Teilen der Armee unter Führung konservativer Generäle, darunter Franco, ermöglichte es diesen konservativen und reaktionären, kategorisch änderungsfeindlichen Kräften, die Republik, die Links-parteien, die Gewerkschaften und den katalanischen Regionalismus zu zerschlagen und für vier Jahrzehnte zu unterdrücken.
II. Politischer Wandel im Franco-Regime
Abbildung 3
Tabelle 2: Anteil der Enthaltungen bei den Volksabstimmungen und Wahlen
Tabelle 2: Anteil der Enthaltungen bei den Volksabstimmungen und Wahlen
Globale sozio-ökonomische Entwicklung
Das demokratische Spanien nach Franco baut auf den sozialen und politischen Struktur-wandlungen im Gefolge der Entwicklung Spaniens zu einer Industriegesellschaft auf. Das ursprüngliche Ziel des Franco-Regimes, in Spanien eine autarke Volkswirtschaft zu errichten, scheiterte an der Auslandsverschuldung und Importabhängigkeit des Landes. Nach einer Phase „wilder“ Industrialisierungspolitik in den 50er Jahren begann, mit veranlaßt durch Empfehlungen der Weltbank, nach 1959 das „spanische Wirtschaftswunder", ein starkes jährliches Wirtschaftswachstum unter der Kontrolle einer dem französischen Beispiel der „planification" entlehnten globalen staatlichen Planung
Folge der Industrialisierung war eine erhebliche Bevölkerungsverschiebung vom Land in die größeren Städte der Industriezonen. Allein zwischen 1950 und 1970 stieg der Bevölkerungsanteil der Großstädte mit über hunderttausend Einwohnern von 28 Prozent auf 36 Prozent Diese Entwicklung führte zu einer noch stärkeren Bevölkerungskonzentration in den ältesten Industriezonen Spaniens, in Asturien, im Baskenland und in Katalonien. Noch 1950 lebten nur 20 Prozent der gesamtspanischen Bevölkerung in diesen industrialisierten Regionen an der geographischen Peripherie des spanischen Staates; 1970 waren es bereits 25 Prozent Darüber hinaus entstanden infolge der wirtschaftlichen Entwicklung unter dem Franco-Regime kleinere neuere Industrie-und Großstadtzentren in den traditionell rein agrarischen Regionen Neukastiliens und Aragoniens; Madrid wandelte sich zur Industrie-region und sogar in der wirtschaftlich rück-ständigsten Region Andalusien bildeten sich um die Städte Sevilla und Cadiz kleinere Industriestandorte. Der Arbeitskräftebedarf der Industrie wurde aus dem Landarbeiterproletariat Andalusiens und anderer Regionen mit landwirtschaftlichen Struktur-und Beschäftigungsproblemen befriedigt. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft ging zurück. Landarbeiter, Pächter und Kleinbauern verließen die Dörfer, weil sie trotz der schlechten Entlohnung für industrielle Arbeit in den Städten immer noch einen höheren Lebensstandard und bessere soziale Absicherung erwarten konnten als auf dem Lande Ein anderer Teil der Landbevölkerung wanderte nach West-und Nordeuropa aus, um dort als Arbeiter Beschäftigung zu finden.
1930 arbeiteten noch 50 Prozent der spanischen Bevölkerung in der Landwirtschaft.
1978 waren 19 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung in der Landwirtschaft, 37 Prozent in der Industrie und 41 Prozent im Dienstleistungssektor tätig Die Landwirtschaft selber blieb in ihrer Besitzstruktur unverändert.
Spanien erreichte 1975 die Selbstversorgung mit Agrarerzeugnissen.
Für die politische Entwicklung Spaniens sollten sich diese globalen sozio-ökonomischen Veränderungen vor allem unter folgenden Gesichtspunkten als bedeutsam erweisen:
1. Spanien war am Ende der Franco-Ära ein Industrieland, in dem die sozialen Konflikte der Landwirtschaft politisch bei weitem nicht so sehr ins Gewicht fielen wie die der Industrie. 2. Zum ersten Mal in der spanischen Geschichte ergriffen Industrialisierung und Urbanisierung das gesamte Land und beschränkten sich nicht ausschließlich auf die älteren, wirtschaftlich besser erschlossenen Randzonen. 3. Angesichts der Wirtschaftsziele des Regime mußte die von Franco anfänglich betriebene propagandistische Überhöhung der bäuerlichen Existenz aufgegeben werden. Das Regime nahm mit der Förderung der industriellen Entwicklung nolens volens die Ablösung der sozialen Kontrolle eines Teils der Bevölkerung durch die traditionellen ländlichen Sozialverbände, die Kirche und den Großgrundbesitz, in Kauf.
4. Die vielfältigen, durch Gastarbeiter, Massenmedien und Tourismus vermittelten Kon-takte mit dem Ausland führten besonders den ökonomisch unterprivilegierten Schichten den Lebensstandard, die politischen Artikulationsund Kampfformen und die Rechte der Arbeiter in den europäischen Nachbarländern bzw. die eigene Recht-und Machtlosigkeit kraß vor Augen.
Wandel der regimetragenden Kräfte
Als Merkmale des von Spanien geradezu prototypisch verkörperten autoritären Regimes gelten a) das Fehlen einer Ideologie bzw. das überwiegen einer vage umschriebenen Ordnungsmentalität in der Elite des Regimes, b) ein begrenzter, aber keinen festen Regeln unterworfener Pluralismus innerhalb der Elite und c) politische Apathie, der Verzicht auf die Mobilisierung der Bevölkerung für politische Ziele, der zugleich die Mobilisierung latenter oppositioneller Regungen zu verhindern sucht Die einzigen klaren Minimalziele des Franco-Regimes waren die Unterdrükkung der Parteien, säkularer politischer Ideologien, der regionalen Autonomiebewegungen und der Gewerkschaften. Großgrundbesitz, Kirche, Armee und Polizei waren die ursprünglichen und blieben lange die verläßlichsten Stützen des Regimes.
Die wirtschaftliche Entwicklung reduzierte die politische und soziale Bedeutung des Groß-grundbesitzes, der sich bis zum Ende des Regimes besonderer Privilegierung erfreute.
Die Kirche gab von sich aus ihre Rolle als eine der tragenden Säulen des Franco-Regimes auf. Bestärkt durch die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils kristallisierte sich nach 1962 im niederen Klerus und unter den Bischöfen eine Fraktion heraus, die den repressiven Charakter des Regimes verurteilte, sich mit den Forderungen der illegalen Opposition, den sozialen und ökonomischen Forderungen der Arbeiter und mit dem Drängen der baskischen und katalonischen Provinzen auf die Anerkennung ihrer Eigenarten solidarisierte. Ihren Höhepunkt fand die Entfremdung zwischen Kirche und Regime, als die spanische Bischofskonferenz 1971 offiziell die Parteinahme der Kirche im Bürgerkrieg bedauerte. Das Verhältnis der Kirche zum Franco-Regime in dessen Endphase 1971— 1975 kann kaum anders als unverhohlen oppositionell umschrieben werden Positive Impulse für das Fortbestehen des Regimes konnten Armee und Polizei, seine wichtigsten Garanten, nicht entfalten. Sie waren allein zur Repression imstande, sobald sich manifeste Opposition gegen das Regime zeigte. Die faschistische Falange, 1958 in Nationale Bewegung umbenannt, repräsentierte ausschließlich negative Haltungen, die sich gegen Liberalisierung, Parteien, Säkularisierung und gegen eine moderne Industriegesellschaft richteten. Franco reduzierte ihren politischen Einfluß noch während des Bürgerkrieges und konzedierte ihr dauerhaft lediglich die Kontrolle über die Syndikate, die spanischen Zwangsgewerkschaften.
Letztlich ausschlaggebend für die Politik des Regimes waren die Gruppen oder Personen, die mit Duldung Francos die politischen Entscheidungen trafen. Die einzige Gruppe in der Elite des Regimes, die über einen längeren Zeitraum eine kohärente Politik zu realisieren vermochte, war der katholische Laienorden Opus Dei. Das Opus Dei war im wesentlichen verantwortlich für die sozio-ökonomischen Umwälzungen, die von der seit 1960 planvoll betriebenen Politik der industriellen Expansion in Gang gebracht wurden. Knapp kann die Ideologie des Opus Dei dahin charakterisiert werden, daß es eine Synthese des staatlich stimulierten und kontrollierten kapitalistischen Wachstums mit den Herrschaftsstrukturen des Franco-Regimes anstrebte
Im Rahmen des Regimes konnte das Opus Dei seine große Wirkung deshalb entfalten, da weder an seiner Regimetreue noch an seinem antiliberalen Charakter Zweifel bestanden. Dies erklärt auch, warum die wichtigste politisch-institutionelle Entscheidung Francos, die Designierung Juan Carlos'als Thronfolger, auf Ratschläge aus den Kreisen des Opus Dei zurückging.
Illegale Opposition der Arbeiterschaft
Eine nennenswerte Opposition brachten die Mittelschichten, soweit das Regime nicht sie unterstützten, nicht hervor. Die spanischen Oberschichten und die in selbständigen Berufen oder höher qualifizierten Funktionen tätigen, abhängig beschäftigten Angehörigen der Mittelschichten bekamen zwar die intellektuelle und politische Repression des Regimes zu spüren, profitierten aber doch überwiegend von der raschen wirtschaftlichen Entwicklung
Die ökonomische Repression des Franco-Regimes traf in der Hauptsache die Arbeiter in Industrie und Landwirtschaft. Auf dem Lande konnte sich der Protest gegen die ökonomischen Bedingungen weder artikulieren noch organisieren, da sich hier die traditionellen sozialen Kontrollen von Grundbesitz, Kirche und Polizei zu einem perfekten Netz sozialer und politischer Repression vermaschten. Die Organisationsmöglichkeiten in den Städten waren für die Arbeiter weitaus günstiger. Traditionelle Sozialkontrollen waren hier zusammengebrochen; Konformität mit dem Regime gewährleistete allein die Polizei; eine wachsende Fraktion innerhalb der Kirche solidarisierte sich mit der Arbeiterschaft.
Den Industriearbeitern wurden durch die Niedrighaltung der Löhne und das Streikverbot die Lasten der industriellen Entwicklung aufgebürdet. Niedriglöhne machten spanische Erzeugnisse international konkurrenzfähig und ermunterten ausländische Investoren zur Verlagerung ihrer Produktion nach Spanien. Mit Beginn der hohen Wachstumsraten in den 60er Jahren häuften sich illegale Streiks für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. In den Arbeiterkommissionen, den comisiones obreras (CC. OO), bildeten sich erstmals 1962 kleine illegale Oppositionszellen der Industriearbeiter, die sich bereits 1966 über das ganze Land erstreckten. Die illegale Kommunistische Partei Spaniens war die wichtigste in den Arbeiterkommissionen wirkende politische Kraft: sie war jedoch streng auf Kooperation mit Sozialisten, Christdemokraten und arbeiter-freundlichen Priestern und katholischen Laien-organisationen bedacht und stellte die gewerkschaftlich-ökonomischen Ziele der CC. OO in den Vordergrund. In den letzten Jahren des Regimes gingen große Unternehmen dazu über, über die Köpfe der offiziellen Zwangsgewerkschaften, der Syndikate, hinweg mit den CC. OO Arbeitslöhne auszuhandeln. Neben der — illegalen — Organisation von Arbeitskämpfen betrieben die CC. OO die — legale — Durchdringung der Syndikate mittels der Wahlen zu den Betriebsräten, für die bekannte Betriebsvertreter der CC. OO kandidierten
Demokratisierung als Alternative zu sozialem Unfrieden Die Liberalisierung der wirtschaftlichen Sphäre beschränkte sich auf die kapitalkräftigen Ober-und Mittelschichten; gegenüber der Arbeiterschaft praktizierte das Regime nach wie vor nackte Repression. Zwar partizipierten auch die Arbeiter am Wirtschaftswachstum, aber doch ungleich geringer als die Mittel-schichten. Das ganz auf Verbrauchssteuern abgestellte Steuersystem war kraß ungerecht und ebenso ausbeuterisch wie die niedrigen Löhne. Die sozialen Leistungen des Staates und der Unternehmen waren kaum der Rede wert. Für die spanischen Arbeiter verlor das politische im Gegensatz zu Teilen der System Mittelschichten nichts von seinem -ökonomi schen Unterdrückungscharakter. Die illegale Opposition der Arbeiterschaft wurde von der technokratischen Elite zunehmend -als ökono misch motivierter Protest erkannt; Streik wurde nicht mehr in erster Linie Bedrohung als der herrschenden sozialen und wirtschaftlichen Ordnung, sondern als Arbeitskampf verstanden
In wachsendem Maße konnte sich unter diesen Umständen im modernen Teil der Regime-Elite, darunter besonders den Opus-Dei-Mitgliedern mit liberalen Neigungen, die Auffassung durchsetzen, daß eine Demokratisierung der politischen Strukturen kein Risiko für die herrschende Wirtschaftsordnung barg, sondern im Gegenteil die Chance zur Stabilisierung der sozialen und wirtschaftlichen Grundstrukturen eröffnete.
Die Legitimation des Franco-Regimes war im wesentlichen seine wirtschaftliche Erfolgsbilanz. Durch wirtschaftliche Rückschläge, die bereits 1973 mit dem Abflauen der Weltkonjunktur und der „Ölkrise" eintraten, drohten schärfere soziale Auseinandersetzungen. Mit dem absehbaren Ableben Francos erschien es durchaus möglich, daß die Ungewißheit über die Zukunft des Regimes nach Franco in eine zu meisternder -Periode schwer politischer In stabilität einmündete. Die reformwilligen Kreise in der Regime-Elite, die in Juan Carlos einen wichtigen Sympathisanten besaßen, wollten deshalb das Regime durch innere Reformen den unter kapitalistischen Vorzeichen begonnenen sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen anpassen.
III. Übergang vom autoritären Regime zur liberalen Demokratie
Abbildung 4
Tabelle 3: Differenz zwischen Wählerstimmanteilen und Mandaten
Tabelle 3: Differenz zwischen Wählerstimmanteilen und Mandaten
Der eigentliche Durchbruch zu demokratischen politischen Reformen nach dem Tod Francos gelang erst, nachdem der König im August 1976 den noch von Franco ernannten Premierminister Arias Navarro entließ. Arias hatte die Erwartungen der Opposition und der reformwilligen Regime-Elitemitglieder auf eine konsequente und glaubwürdige Abkehr-von den Praktiken und Strukturen des Franco-Regimes enttäuscht. Sein Nachfolger wurde'Adolfo Suärez, der mit den Auffassungen der Reformer in Regierung und Geschäftswelt im Einklang stand und das Vertrauen des Königs besaß. Die Rolle des Königs für den friedlichen Übergang zur liberalen Demokratie seit dem Tode Francos ist von schwer überschätzbarer Bedeutung, da der Monarch für die gesamte Elite des Franco-Regimes, im besonderen für die Armee, die politische Kontinuität des Systems verkörperte. Der Wille zu liberalen demokratischen Reformen stand jedoch beim König außer Zweifel. Die Ernennung Suärez’ war darum zugleich eine politische Programmerklärung des Königs. Er sicherte darüber hinaus durch seine Autorität und die Sympathien, die er bei den Streitkräften besaß, den Demokratisierungsprozeß gegen politische Interventionen dieser wichtigsten, weil mit dem wirksamsten Repressionspotential ausgestatteten „Säule“ des autoritären Franco-Regimes. Die entscheidende Zäsur auf dem Wege des Abbaus der Grundlagen des Franco-Regimes war das „Gesetz für politische Reformen" vom November 1976, das ein Wahlsystem, Parteien und parlamentarische Institutionen nach liberaldemokratischem Muster vorsah und im Dezember 1976 durch ein Referendum bestätigt wurde 1S). In allen Phasen des Demokratisierungsprozesses behielten der König und die auf politische Reformen bedachten Teile der Elite des vergangenen franqistischen Regimes die Kontrolle über das Tempo der Liberalisierung der politischen Strukturen. Weder die Bevölkerung noch die seit 1977 restriktionsfrei agierenden politischen Parteien, vor allem die auf die Arbeiterschaft gestützten Sozialisten und Kommunisten, steuerten die politischen Reformen aktiv mit. Allerdings waren die organisierte Arbeiterschaft und die Linksparteien insofern ein wichtiger Faktor in den Entscheidungen der regierenden Elite, als sie durch landesweite Kundge bungen und Streiks, die neben ökonomischen Forderungen für den raschen Abbau der letzten Überbleibsel des Franco-Regimes eintraten, die breite Massengrundlage der unter Franco in die Illegalität gedrängten linken demokratischen Opposition demonstrierten.
Rückblickend trägt der Demokratisierungsprozeß bis Ende 1978, d. h. bis zum Referendum über die demokratische Verfassung, annähernd die Züge einer auf Konkordanzverhalten beruhenden Kooperation der reformwilligen, im Schoße des Franco-Regimes entstandenen bürgerlichen Teilelite, deren politische Absichten die Regierung Suärez repräsentierte, und der demokratisch-sozialistisch-kommunistischen Elite der Arbeiteropposition, die sich wohl im Tempo und in technischen und taktischen Einzelheiten, aber kaum im Ziel politischer Reformen von der Regierung unterschied. Die Kirche vermied jede Stellungnahme, sei es für die Parteien der Linken oder die Regierung, und beschränkte sich darauf, grundsätzlich ihre Zustimmung zur Demokratisierung zu bekunden. Ihr Eintreten für die Legalisierung der PCE (Partido Comunista de Espana) bewies auch von dieser Seite der ursprünglich regimetragenden Kräfte den Willen zur Aussöhnung zwischen ehemals feindlichen politischen Kräften. Die PCE gab die von der Regierung und der Kirche gezeigte Mäßigung und Verständigungsbereitschaft über die Grundlagen der künftigen spanischen Demokratie zurück: sie anerkannte die katholische Kirche als eine reale und legitime soziale Kraft und erklärte, daß sich unter den Voraussetzungen der Vergangenheit und angesichts der positiven Rolle der Krone in der Überwindung des Franco-Regimes eine spanische Demokratie durchaus in einer monarchischen Staatsform entfalten könnte Ferner trugen alle, auch die bürgerlichen Parteien und die Regierung, der Realität unterschiedlicher Sprach-und Kulturgemeinschaften im spanischen Staatsverband Rechnung.
Am Ende des Demokratisierungsprozesses, der formell im Dezember 1978 mit einem Referendum abgeschlossen wurde, konnte folgende Bilanz gezogen werden:
1. Die monarchische Staatsform war unumstritten. Das Engagement des Königs für die demokratische Umgestaltung des Franco-Regimes und seine Neutralität in der sich seit 1977 entwickelnden Auseinandersetzung zwischen den Parteien verschafften der Monarchie breite Anerkennung in der Bevölkerung. 2. Durch die Säkularisierung und Industrialisierung Spaniens hatte die Kirche erheblich an Einfluß verloren, blieb aber nach wie vor eine wichtige soziale Kraft. Die Hinwendung der Kirche zur Arbeiterschaft und ihre Opposition zum Franco-Regime hatten dem von den linken politischen Strömungen getragenen Antiklerikalismus die Grundlage entzogen, 3. Nicht alle Gruppen in der spanischen Gesellschaft akzeptierten die bestehende Wirtschafts-und Sozialordnung. Aber alle relevanten Parteien und sozialen Kräfte, die soziale und wirtschaftliche Veränderungen wollten, Gewerkschaften, Sozialisten und Kommunisten, gingen davon aus, daß diese nur durch schrittweise Reformen auf politischem Wege in den Institutionen einer liberalen Demokratie gesucht werden sollten.
4. Konsens bestand in allen sozialen Kräften, in der Kirche, in den politischen Parteien und in der regierenden Elite darüber, daß regionale Minderheiten im spanischen Staat in besonderen Institutionen berücksichtigt werden sollten. Regionale Autonomie war im Grundsatz unumstritten. Die Regionalfrage konnte bislang für die kleinste, aber selbstbewußteste Minderheit, die Basken, nicht befriedigend gelöst werden, da sie inzwischen als Problem des Ausscheidens aus dem spanischen Staatsverband diskutiert wird.
5. Die anhaltende politische Loyalität aller Teile der Streitkräfte unterlag noch Zweifeln. Vor allem stellte sich die Frage, ob der gezielte Terror gegen Armeeoffiziere weitere Putschversuche, wie sie Ende 1978 aufgedeckt wurden, zur Folge haben könnte.
Die im Dezember 1978 verabschiedete Verfassung schreibt diese sozialen und politischen Fakten verbindlich fest. Danach ist Spanien eine konstitutionelle Monarchie mit einem parlamentarischen Regierungssystem. Der König schlägt den Premierminister vor, das Parlament muß diesen durch ein Vertrauensvotum bestätigen. Die wichtigsten Rechte innerhalb des Zweikammerparlaments besitzt das Unterhaus, genannt Kongreß, der dem Kabinett das Vertrauen aussprechen muß; das Oberhaus, genannt Senat, besitzt lediglich dilatorische Kompetenzen und kann Entscheidungen des Kongresses nicht blockieren. Die historische Sonderrolle der Streitkräfte wird anerkannt, indem ihnen der Auftrag zum Schutz der Verfassung und der territorialen Einheit des Landes zugesprochen wird. Die Verfassung etabliert keine Staatsreligion, po-stuliert für die Regierung aber die Beachtung der religiösen Bindungen der Spanier an die katholische Kirche. Sie garantiert die Tariffreiheit der organisierten Arbeiter und den Bestand privater Unternehmen. Schließlich schreibt die Verfassung die Bildung von Regionen vor, überläßt deren nähere Ausgestaltung aber der einfachen Gesetzgebung.
IV. Grundzüge des politischen Systems seit 1977
Abbildung 5
Tabelle 4: Wahlergebnisse für den Kongreß des spanischen Parlaments nach Stimmanteilen und Mandaten
Tabelle 4: Wahlergebnisse für den Kongreß des spanischen Parlaments nach Stimmanteilen und Mandaten
Krise der spanischen Wirtschaft
Das Ende des Franco-Regimes, die Demokratisierung des politischen Systems und die ersten freien Wahlen im Juni 1977 fanden unter schwierigeren ökonomischen Bedingungen statt, als sie das Franco-Regime jemals seit dem Ende seiner internationalen Isolierung in den 40er Jahren vorgefunden hatte.
Die spanische Wirtschaft geriet 1973 infolge der Ölkrise und der bereits seit längerem sich anbahnenden Weltrezession in ihre größte Krise seit dem energischen Beginn des Industrialisierungsprogramms der 60er Jahre. Zwischen 1962 und 1970 wuchs das Bruttosozialprodukt um 6, 8 Prozent, zwischen 1970 und 1973 um 7, 2 Prozent, sank zwischen 1973 und 1976 auf 2, 7 Prozent und stagnierte 1976 mit 2, 1 Prozent und 1977 mit 2, 4 Prozent Die industrielle Arbeitsproduktivität sank von 4, 1 Prozent zwischen 1970 und 1974 auf 2, 1 Prozent zwischen 1974 und 1977 ab. Sie erklärt sich aus nachlassender Investitionstätigkeit, unzureichender Ausnutzung der Produktionskapazität und aus den bereits in den letzten Jahren des Franco-Regimes steigenden Lohn-kosten. Die Zahl der Arbeitslosen stieg zwischen 1973 und 1978 um das Zweieinhalbfache auf 1 Million bei einer erwerbsfähigen Bevölkerung von 13 Millionen an Der Preisanstieg erreichte 1977, beschleunigt durch die Lockerung der Arbeitskampfrestriktionen, 30 Prozent, fiel aber wegen der freiwilligen Selbstbeschränkungen der Gewerkschaften bei Lohnforderungen 1978 auf Prozent 17).
Die außenwirtschaftliche Situation kennzeichnet seit 1973 eine krasse Importverteuerung, eine stark negative Leistungsbilanz und steigende Auslandsverschuldung Wichtigste Ursache für diese krisenhafte Entwicklung war die Veränderung des weltwirtschaftlichen Umfeldes. Die Voraussetzung für das rasche Wirtschaftswachstum der 60er Jahre war entfallen: die Weltmärkte stagnierten und verlangsamten das Wachstum der exportorientierten spanischen Industrie. Die Rohstoffimporte, namentlich die Energieimporte, verteuerten sich und schöpften die spanischen Devisenreserven aus. Steigende Produktionskosten beschleunigten den Preisauftrieb, der wiederum die Inlandsnachfrage dämpfte. Die Auslastung der Produktionsanlagen und das Investitionsvolumen sanken, es kam zu Entlassungen in der Industrie. Unabhängig von diesen konjunkturbedingten Ursachen der Arbeitslosigkeit sank bereits seit 1970 die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft drastischer ab als in den Vorjahren Die wachsende industrielle Arbeitslosigkeit verstopfte jedoch das wichtigste Entlastungsventil für die strukturelle Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft Südspaniens. In erster Linie betraf die Wirtschaftskrise deshalb die ökonomisch entwikkeltsten Regionen, die Industriereviere Asturiens, des Baskenlandes und Kataloniens, und die ökonomisch rückständigen Regionen, die landwirtschaftlichen Provinzen Andalusiens und Zentralspaniens.
Mäßige Bereitschaft zur politischen Partizipation
Die Mehrheit der Spanier lehnt alle Parteien, die programmatisch oder personell das Franco-Regime repräsentieren, ab. Dies zeigt die bereits in den Juniwahlen von 1977 geringe, in den Märzwahlen von 1979 aber noch stärker absinkende Anziehungskraft der neofranquistischen Parteien. Dies erweisen auch die Referenda von 1976 über das Gesetz der politischen Reformen, mit dem politische Freiheiten und freie Wahlen in Aussicht gestellt wurden, und von 1978 über die Verfassung des demokratischen Spanien.
Rund ein Drittel der spanischen Wähler nahmen an dem Verfassungsreferendum von 1978 und an den Parlaments-und Kommunalwah-len von 1979 nicht teil, wähend sich noch am Referendum von 1976 und den Parlamentswahlen von 1977 rund vier Fünftel der Wähler beteiligt hatten. Es darf bei der Betrachtung dieser relativ niedrigen Partizipationsquote nicht außer acht gelassen werden, daß die spanische Kirche bisher ihren . Vorsatz der politischen Neutralität insgesamt ernst genommen hat.
Ferner ist zu bedenken, daß die Beseitigung des Franco-Regimes und die demokatische Verfassung den Alltag der meisten Spanier, sei es auf dem Lande oder in der Stadt, kaum geändert haben: die ökonomischen Probleme bestehen fort. Die erste und bislang einzige Welle breiter politischer Beteiligung erfaßte die Bevölkerung kurz vor dem Wahlkampf für die Parlamentswahlen von 1977. Es bietet sich an, das rasche Absinken eines breiten politischen Interesses damit zu erklären, daß ein Teil der Wähler nach der Enttäuschung anfänglich überspannter Hoffnungen auf konkrete ökonomische Verbesserungen durch die Demokratisierung resigniert und es ganz im Sinne der vom Franco-Regime geförderten politischen Passivität dabei beläßt, die Politik ausschließlich den Politikern zu überlassen.
Mehrheitsförderndes Wahlsystem
Die Wahlen von 1977 und 1979 fanden nach dem Wahlgesetz von 1977 statt. Es bewirkt eine starke Verzerrung des Wähler-und Mandatsanteils der Parteien im Kongreß. Danach wird das Land in 50 Wahlkreise von unterschiedlicher Größe aufgeteilt. Jeder Wahlkreis hat mindestens zwei Mandate. Die restlichen 250 Mandate verteilen sich auf die 50 Wahlkreise entsprechend ihrer Bevölkerung. Auf 140 Tausend Einwohner entfällt ein Mandat. Ergibt sich bei der Errechnung des Mandatsanteils für einen Wahlkreis ein Rest von über 70 Tausend Einwohnern, dann erhält der Wahlkreis ein weiteres Mandat, Sämtliche Mandate eines Wahlkreises werden nach dem d'Hondtschen Verhältniswahlprinzip auf die Parteien entsprechend ihrem Wählerstimmenanteil im betreffenden Wahlkreis verteilt. Eine Sperrklausel schließt kleine Parteien von der Mandatsverteilung aus, wenn diese nicht 3 Prozent der Wählerstimmen erhalten. Die Wahlkreisgrenzziehung begünstigt die ländlichen Regionen: Auf ländliche Wahlkreise entfallen mehr Mandate, als es ihrem Bevölkerungsanteil an der spanischen Bevölkerung entspricht, da eine größere Anzahl von überwiegend ländlichen Wahlkreisen mit relativ wenigen Einwohnern einer vergleichsweise kleineren Anzahl von städtischen Wahlkreisen mit vielen Einwohnern gegenübersteht und die pauschale Mindestausstattung aller Wahlkreise mit zwei Mandaten eine Überrepräsentation der ländlichen Bevölkerung bewirkt
Im nationalen Maßstab hat die Benachteiligung der städtischen Bevölkerung zur Folge, daß die auf dem Lande konzentrierten Wäh-’r der liberalkonservativen UCD (Union del entro Democrätico) stark überrepräsentiert nd die in den Städten konzentrierten Wäher der sozialistischen PSOE (Partido Socialita Obrera Espanol) und der kommunistichen PCE (Partido Comunista de Espana) raß benachteiligt werden. Parteien, deren Vähler sich in wenigen Regionen zusammen-allen und in anderen Regionen nur wenige Vähler gewinnen, wie die PCE oder die un-er verschiedenen Bezeichnungen — 1977 als IP (Alianza Populär) und 1979 als CD (CoaliIon Democratica) — aufgetretene äußerste lechte, erleiden den größten Nachteil bei der Jmrechnung ihrer Wählerstimmen in parlanentarische Mandate (vgl. Tabelle 3). Drei Parteien als wichtigste Komponenten les Parteiensystems ie UCD und die PSOE sind die einzigen Pareien, die in allen Landesteilen über einen hinreichend starken Wähleranhang verfügen, m dort Mandate zu gewinnen. Die PCE, die drittstärkste Partei nach Mandaten und Wählerstimmen, konnte lediglich in den älteren Industrierevieren Kataloniens und Asturiens, in der Region Valencia und in Andalusien, die ultrakonservative Partei, die 1977 unter der Bezeichnung AP und 1979 als CD auftrat, nur in Madrid und in Galizien, der Heimat Francos, parlamentarische Repräsentanz gewinnen
Die linken Parteien PSOE und PCE erhalten die meisten Stimmen in den industrialisierten Randgebieten des Nordens, in Asturien, im Baskenland, in Katalonien, in der Mittelmeer-region Valencia und in den Landprovinzen Andalusiens mit ihrer Latifundienwirtschaft und einer großen Landarbeiterschaft sowie in den industrialisierten andalusischen Stadtregionen Cadiz und Sevilla. Die UCD dagegen demonstriert ihre größte Stärke in den ländlichen und streng katholischen Provinzen Nordspaniens sowie in den Regionen der beiden Kastilien, Estremaduras und Galiziens, in denen vor dem Bürgerkrieg liberale und konservative Parteien dominierten. Grob entspricht dieses Muster der Konzentration sozialistischer und kommunistischer Stimmen auf die reichsten bzw. entwickeltsten und die ärmsten bzw. unterentwickeltsten Regionen, die sich beide durch eine krasse Diskrepanz zwischen den höheren und geringeren Einkommen und einen großen Anteil von abhängig Beschäftigten in Industrie und Landwirtschaft auszeichnen. Umgekehrt konzentrieren sich UCD-Wähler überall dort, wo weder krasse Einkommensunterschiede noch eine Industrie-oder Landarbeiterschaft bestehen und bürgerliche oder bäuerliche Mittelschichten dominieren. Sogar Estremadura und Galizien, deren Landwirtschaft auf Latifundien bzw. Minifundien basiert, können im Vergleich zu Andalusien als sozial besser integriert angesehen werden.
Die Wahlergebnisse von 1977 und 1979 brachten eine erstaunlich hohe Konzentration der Wählerstimmen auf die Regierungspartei UCD und die Linksparteien PSOE und PCE an den Tag Die UCD integriert heteroge-ne und in der jüngeren spanischen Geschichte oft antagonistische Interessen und Wähler-schichten. Ihre Erfolge sind das beweiskräftigste Indiz für die Beseitigung oder zumindest die Entschärfung der Gegensätze zwischen den ländlich-katholischen und den urban-säkularen Mittelschichten. Die Attraktivität der UCD für die Mittelschichten entzog den 1977 mit großen Hoffnungen antretenden Christdemokraten die Grundlage.
Die UCD war für die katholischen Mittel-schichten, zumal in den ländlicheren Regionen, die glaubwürdigere, weil unzweifelhaft konservativere Partei im Vergleich zu den Christdemokraten, die mit einem linken christdemokratischen Programm auftraten, aber sowohl die säkularisierte Arbeiterschaft wie die katholischen Mittelschichten verfehlten. Die UCD ist keine interklassistische Partei; sie entstand als lockerer Zusammenschluß liberaler, konservativer und christdemokratischer, von Honoratioren dominierter Parteien ohne breite Mitgliedergrundlage, der erst wenige Wochen vor der Wahl von 1977 dadurch Prominenz und Wählerinteresse weckte, daß ihm der amtierende Premierminister Suarez beitrat. Suärez'konservative Anhänger in Kabinett und Wirtschaftselite sind die wichtigste Gruppe in der UCD. Die Partei vermag nur einen geringen Teil der Arbeiterwähler für sich zu gewinnen: Herkunft, Beruf, Karrieren und Überzeugungen der führenden UCD-Politiker weisen diese als liberalkonservative Anhänger einer marktwirtschaftlichen Konzeption aus, die das von Franco überkommene Wirtschaftssystem erhalten, aber mit Korrekturen versehen wollen, die sich aus der Demokratisierung der politischen Strukturen zwingend ergeben. Die UCD ist eine Partei ohne Programm: sie steht für den sozialen Status quo, die Regierung, den im ganzen friedlichen Weg vom Franco-Regime zur liberalen Demokratie. Die UCD repräsentiert jene sozialen Schichten, die das Franco-Regime vorwiegend als politische und intellektuelle Unterdrückung empfanden, ihre wirtschaftlichen Aspirationen aber doch relativ ungehindert verfolgen konnten. Die Sammlung der Mittelschichten unter dem Dach der UCD reichte 1977 und 1979 gerade aus, um die UCD zur parlamentarisch stärksten Partei zu machen. Im konservativen Spektrum der Wählerschaft kann die UCD seit 1979, als sie einen Teil der Stimmen gefairs, 31. Jg. (1978), S. 52— 66; Michael Roskin, Spain Tries Democracy again, in: Political Science Quarterly, 93. Jg. (1978), S. 629— 646; Werner Herzog, Spanien, in: Joachim Raschke (Hg.), Politische Parteien in Westeuropa. Geschichte, Programm, Praxis. Ein Handbuch, Hamburg 1978, S. 496— 515. wann, die noch 1977 der ultrakonservat AP zugefallen waren, praktisch nicht n viel gewinnen. In der gegenwärtigen nischen Parteienlandschaft muß die UCD halb als zentripetale Kraft auftreten, die der nächststärkeren Partei, der PSOE, Teile der Arbeiterstimmen und der Mi schichten wirbt.
Die Wählerschaft der PSOE ist sozial homo gener als die der UCD, aber heterogener al die der PCE. Industriearbeiter, Angestellte Landarbeiter, Kleinbauern und Kleingewer betreibende wählen die PSOE. Wie auf du UCD, so entfielen 1977 und 1979 auf du PSOE in allen Provinzen genügend Stimmen um ihr als einziger Partei neben der UCD ii fast jedem Wahlkreis mindestens ein Kon greßmandat zu verschaffen. Die starke Posi tion der PSOE in Asturien, in Madrid, in Baskenland kann bereits für die Zweite Republik nachgewiesen werden. Heute demonstriert die PSOE darüber hinaus in Katalonien und in den durch die Industrialisierungspolitik der 60er Jahre entwickelten Provinzen Navarra und Aragon einen nennenswerten Wähleranhang. 1978 fusionierte die PSOE mit der PSP (Partido Socialista Populär), einer linkssozialistischen und betont marxistischen Partei. 1977 hatte die PSP lediglich 4 Prozent der Wählerstimmen gewonnen.
Die PSOE orientiert sich am Vorbild der sozialdemokratischen Parteien West-und Nord-europas. Sie beschränkt sich auf die Forderung nach partiellen Überführungen einiger Industrien in öffentliche Kontrolle, engagiert sich für das Prinzip der vollständigen Trennung von Staat und Kirche und meidet den Anklang an marxistische politische Analyse und Rhetorik. Eine Zusammenarbeit mit der PCE in Form eines Wahlbündnisses oder einer angestrebten Regierungskoalition lehnt sie kategorisch ab, geht aber seit den Kommunalwahlen von 1979 in den Rathäusern Bündnisse mit Vertretern der PCE ein.
Die PSOE kann angesichts des Wählerpotentials der PCE ihr Ziel, die UCD in der Regierung abzulösen, nur dann erreichen, wenn sie gleichzeitig ihre Position unter den Arbeiter-wählern konsolidiert und die Mittelschichtenwähler der UCD zu gewinnen sucht. Neben der PCE, die eine Verständigung mit der UCD sucht, kann die PSOE ihren Regierungswillen, ihr Profil praktisch nur durch begrenzte Konflikte und scharf geführte politische Auseinandersetzungen verdeutlichen.
Die PSOE lehnte gleich zu Beginn des freien Auftretens der spanischen Parteien eine A% tionseinheit oder Volksfrontbildung mit der PCE ab. Zwischen der PSOE und der PCE bestehen gravierende politische Differenzen. Dabei nimmt die PSOE in den meisten Fragen, die im nachfranquistischen Spanien politische Kontroversen entfachen, einen radikaleren Standpunkt ein als die PCE: Sie tritt entschiedener als die PCE dafür ein, daß der Staat keine konfessionellen Schulen finanziert; zwischen, 1978 und 1979 trug sie mit größeren Vorbehalten als die PCE die restriktive Einkommenspolitik der Regierung, die in erster Linie die spanischen Industriearbeiter traf, mit.
Die PCE war das Hauptziel der Unterdrükkung und propagandistischen Diffamierung des Franco-Regimes: die Partei wurde als antinational, antichristlich, internationalistisch und umstürzlerisch verketzert. Seit langem bemüht sich die Partei darum, ihre eurokommunistische Position — Vielparteiensystem, Parlamentarismus, verfassungsmäßiger Weg zum Sozialismus — glaubhaft zu untermauern. Die Wahlergebnisse von 1977 und 1979 belegen die feste Verwurzelung der PCE in der politischen Struktur, über die Arbeiter-kommissionen und die zahlreichen Anwälte, Ärzte und andere Angehörige der freien Berufe, die sich in der Illegalität der PCE zugewandt hatten, reicht der Einfluß der Partei weiter, als es ihr Stimmenanteil ausdrückt.
Die PCE verfolgt langfristige Ziele: Ihre Forderung nach einer Allparteienregierung zielt auf eine informelle oder förmliche Beteiligung an der Regierungsarbeit, von der sie sich eine wachsende Respektabilität und den Abbau bestehender antikommunistischer Vorurteile bei den bürgerlichen Mittelschichten verspricht.
Die ultrakonservativen politischen Kräfte, die sich 1977 als AP und 1979 als CD an den Wahlen beteiligten, sind in der Wählerschaft isoliert. Ihre Hochburgen sind Galizien, wo sie sieben Mandate gewinnen konnten; in Madrid und Barcelona konnten sie 1979 je ein Kongreßmandat gewinnen. Ihre Repräsentanten sind ehemalige Regierungsmitglieder oder Führer staatsnaher Organisationen des Franco-Regimes. Die Wählerschaft der CD ähnelt in der sozialen Zusammensetzung derjenigen der liberalkonservativen UCD, an die sie zwischen 1977 und 1979 40 Prozent ihrer Wählerstimmen verlor.
Die Kommunalwahlergebnisse vom April 1979 bestätigen die Grundstruktur des Parteiensystems. Sie demonstrieren die Konzentration der Wählerstimmen auf die UCD, die PSOE und die PCE und deren Verankerung in der ländlichen bzw. in der städtischen Bevölkerung. Die Linksparteien traten in vielen Gemeinden überhaupt nicht erst mit eigenen Kandidaten an: Vor allem in zahlreichen ländlichen Kleingemeinden konnten sie entweder keine Kandidaten finden oder eine Kandidatur erschien hier angesichts des eingewurzelten Konservatismus der Bevölkerung von vornherein aussichtslos. Die UCD kandidierte in 76, 5 Prozent aller Gemeinden, in denen 96, 7 Prozent der gesamten Wähler leben, die PSOE dagegen nur in 41, 9 Prozent aller Gemeinden mit insgesamt 82, 5 Prozent aller Wähler und die PCE lediglich in 20, 8 Prozent aller Gemeinden, in denen aber immerhin 67, 9 Prozent der spanischen Wähler leben
In den Parlaments-und Kommunalwahlen von 1979 zeigte sich, daß die regionalistisehen Parteien ihre Anziehungskraft beträchtlich steigern konnten. Lediglich in Katalonien konnten die Regionalparteien keine Gewinne verzeichnen. Die größte katalonisehe Regionalpartei, die CU (Convergencia y Uni 6), knüpft an die Tradition des bürgerlich-liberalen Katalanismus der Zeit vor dem Bürgerkrieg an. Sie ähnelt in ihrem liberal-konservativen Zuschnitt stark der gesamtspanischen UCD, die in Katalonien nur geringfügig stärker ist als die CU, so daß anders als im übrigen Spanien — mit Ausnahme des Baskenlandes — in Katalonien zwei Parteien mit Erfolg um die Stimmen der konservativeren Mittelschichten konkurrieren. Die zweite katalonische Partei ER (Esquerra Republicana) ist bislang ohne größere Bedeutung geblieben. Die einzige Regionalpartei nicht nur mit einer alten politischen, sondern auch mit einer organisatorischen Tradition, ist die baskische PNV (Partido Nacionalista Vasco). Bis zur Zerschlagung der autonomen baskischen Republik im Bürgerkrieg war die PNV die Sammlungspartei der katholisch-baskischen Bevölkerung.
Ausschlaggebend für den Aufstieg der Regionalparteien ist neben der Angst vor kultureller Überfremdung, die im Baskenland eine wichtige Rolle spielt, die desolate wirtschaftliche Lage: In Andalusien sind hohe Arbeitslosigkeit, die latifundistische Agrarstruktur sowie ausbleibende Maßnahmen zur Linderung der regionalen Notlage u. a. die Gründe für den erstaunlichen Erfolg einer andalusischen sozialistischen Partei, der PSA (Partido Socialista de Andalucia). Dagegen liegt es nahe, die Gewinne der navarranischen Regionalpartei UPN (Union del Pueblo Navarra) mit der Integration Navarras in die Selbstverwaltungsregion des Baskenlandes und die der aragonesischen Regionalpartei PAR (Partido Aragones Regionalista) mit Ressentiments gegen die reichen und ökonomisch stärkeren Nachbarregionen des Baskenlandes und Kataloniens zu erklären. Jenseits der Dimension des Protestes gegen ökonomische Vernachlässigung und kulturelle Minorisierungsbefürchtungen besitzt der spanische Regionalismus keinen gemeinsamen Nenner. Die Palette der baskischen Regionalparteien überspannt die christdemokratische PNV, die Traditionspartei der nach Autonomie strebenden Basken, die linkssozialistische EE (Euzkadiko Esquerra) und die separatistische HB (Herri Batasuna), die der bewaffneten baskischen Untergrundorganisation ETA (Euzkadi Te Azkatasuna) nahesteht. Die katalonischen Regionalparteien zeigen sich überwiegend konservativ, die andalusische Regionalpartei sozialistisch.
Politische und soziale Polarisierung
Im Oktober 1977 verpflichteten sich Unternehmer, Gewerkschaften und die großen Parteien im sogenannten Moncloa-Pakt, darauf hinzuwirken, daß die Löhne im Verlaufe des Jahres 1978 zum Zweck einer Minderung der Inflationsrate nicht über ein bestimmtes Niveau hinaus steigen sollten. Der breite Konsens für diese „Moncloa-Vereinbarungen" beruhte auf dem gemeinsamen Motiv aller Beteiligten, durch die Stabilisierung der Wirtschaft-ichen Lage und die Vermeidung sozialer Auseinandersetzungen den Gegnern der Demokratisierung keinen Vorwand zu bieten, die Verfassungsberatungen zu gefährden.
Die Basis für eine schärfere Polarisierung war bereits in dieser Phase der Kooperation zwischen den Parteien geschaffen. Das Interesse der Regierung Suärez an der Erhaltung ihrer Macht sowie der Einfluß von Banken und Unternehmen in der UCD legten der Regierung nahe, sich alsbald aus der Abhängigkeit von den linken Parteien zu befreien Erst nach langem Zögern beteiligte sich der spanische Unternehmerverband an der „Moncloa-Vereinbarung", die nach seiner Auffassung zu weitgehende Zugeständnisse an die Gewerkschaften machte. Im besonderen kritisierte er die in Aussicht genommene, aber bislang nicht begonnene Steuerreform, die Bezieher höherer Einkommen stärker belasten sollte
Die Wahlen vom März 1979 konsolidierten die Position der UCD als einzige konservative Partei von Bedeutung. Dennoch sicherte das Wahlergebnis noch keineswegs eine erfolgreiche Vertrauensabstimmung für die Regierung Suärez, da es der Regierungspartei an der erforderlichen Mandatsmehrheit im Kongreß mangelte. Dank der Stimmen der CD-und PSA-Abgeordneten erhielt die Regierung das parlamentarische Vertrauen. Allerdings regiert die UCD allein, die Regierung ist aber von der parlamentarischen Unterstützung der ultrakonservativen CD und/oder der konservativen katalonischen CU abhängig. Darüber hinaus kann sie mit punktueller Unterstützung der andalusischen PSA rechnen, die in der Vertrauensabstimmung für die Regierung votierte
Die PCE sieht sich durch das Verhalten der Regierung Suärez in der Erwartung getäuscht, daß die UCD auch nach den Wahlen das Bemühen um einen Konsens mit den linken Parteien, und sei es auch nur informell, fortsetzen würde. Die PSOE hingegen, die von vornherein schon mit großer Skepsis die Moncloa-Politik des wirtschaftspolitischen Konsens zwischen der Regierung und den Oppositionsparteien gedeckt hatte, fand sich in ihrem Mißtrauen bestätigt, da die Regierung im Parlamentswahlkampf durch den Gebrauch des staatlich kontrollierten Fernsehens und den Appell an antisozialistische Ressentiments alle verfügbaren Register zog, um den von Meinungsumfragen prognostizierten sozialistischen Wahlsieg zu verhindern. Bereits vor dem Wahlgang von 1979 wirkten die spanischen Gewerkschaften als ein eigenständiger Faktor der politischen und sozialen Polarisierung. Die wichtigste Triebkraft der illegalen Opposition gegen das Franco-Regime war dessen ökonomischer Unterdrückungscharakter. Nach der Legalisierung politischer Parteien waren erst mit einiger Verzögerung Ende April 1977 freie Gewerkschaften zugelassen worden. Die Arbeiterkommissionen (CC. OO) betrieben schon lange vor der Gewerkschaftslegalisierung die Bildung einer Einheitsgewerkschaft auf den Grundlagen der über ganz Spanien verteilten Betriebszellen der CC. OO Von der Monopolisierung der ökonomischen Interessenwahrnehmung der Arbeiter durch eine Einheitsgewerkschaft der CC. OO befürchtete aber die PSOE die Verstärkung des Einflusses der PCE, der führenden politischen Kraft in den CC. OO, bei der Arbeiterschaft. Noch vor der offiziellen Zulassung der Gewerkschaften war die Spaltung der organisierten Arbeiterschaft vollzogen Viele frühere Mitarbeiter in den CC. OO zogen sich aus diesen zurück und schlossen sich anderen Gewerkschaften an, die in der Illegalität des Franco-Regimes keine oder allenfalls geringe Bedeutung hatten. Nun, da die parteipolitische Zergliederung der Gewerkschaften eine unumstößliche Tatsache war, betonte die PCE stärker als zuvor ihren Einfluß in den CC. OO. Die wichtigsten Konkurrenzgewerkschaften der CC. OO waren die der PSOE nahestehende UGT (Union General de Trabajadores) und die sozialistische, aber an keine Partei gebundene USO (Uni 6n Sindical Obrera). Zwar gelang es der UGT, einen großen Teil der USO-Anhänger aufzunehmen, aber die führende Stellung der CC. OO in der organisierten Arbeiterschaft blieb unangetastet Die UGT hatte in der Illegalität erst 1972 damit begonnen, unter den Arbeitern zu werben. Darüber hinaus hatten sich PSOE und UGT geweigert, sich ähnlich wie die CC. OO an den Wahlen zu den franquistischen Syndikaten zu beteiligen und aus den Syndikaten heraus auf ökonomische Verbesserungen für die Arbeiterschaft zu drängen Die ersten demokratischen Betriebsratswahlen von 1978 bestätigten den dominierenden Einfluß der CC. OO in der Ar-beiterschaft: die CC. OO erhielten 37, 8 Prozent, die UGT Prozent, die USO 5, 9 Prozent und nichtorganisierten Kandidaten die 12, 7 Prozent der Betriebsratsmandate 31).
Ihren Beitrag zur Konsenspolitik im Rahmen der „Moncloa-Vereinbarungen" begründeten die Gewerkschaften ebenso wie ihre Bezugs-parteien PSOE und PCE mit gesamtwirtschaftlichen Überlegungen zur Eindämmung der Inflation und zur Sicherung der Arbeitsplätze Allerdings zwang die Stimmung der gewerkschaftlichen Mitgliederbasis die Gewerkschaftsführungen bald, die kurzfristigen ökonomischen Interessen der Arbeiter in den Betrieben der Loyalität zu den Bezugs-parteien und übergreifenden wirtschaftlichen Stabilitätsüberlegungen voranzustellen. Nach dem Auslaufen des ersten Moncloa-Paktes Ende 1978 kam ein angestrebter zweiter lohnpolitischer „Stillhaltepakt" nicht zustande. Darüber hinaus wuchs in den Gewerkschaften der Widerstand gegen das übergreifen der politisch-strategischenAbsichten der Links-parteien in ihr Tarif-und Arbeitskampf-gebaren. Vor allem in der PSOE, die anders als die PCE über keine disziplinierte, über Jahrzehnte hinweg in der illegalen Gewerkschaftsarbeit zusammengewachsene Arbeiter-mitgliedschaft verfügt, wurde scharfe Kritik an der wirtschaftspolitischen Konsenspolitik der Parteiführung laut. In der PCE kam es aus den Reihen der katalonischen Parteiorganisation zu Protesten gegen die Kooperationspolitik der Partei
Für die Regierung, die Banken und die Unternehmen bleiben die Ziele verbindlich, die bereits der Konsenspolitik des Moncloa-Paktes zugrunde lagen: Kostenersparnis, Preisstabilität, Förderung privater Investitionen. Einer gerechteren Verteilung der Unternehmensgewinne zugunsten der Arbeiter ist dieses Ziel aber kurz-und mittelfristig entgegengesetzt. Deshalb konnte es nicht ausbleiben, daß sich Streiks zur Verbesserung der Realeinkommen im Laufe des Jahres 1978 häuften und viele Arbeiter resigniert den Wahlen fernblieben oder regionale Protest-parteien wählten. Eine der wichtigsten Aufgaben, die das Kabinett Suärez künftig erwartet, wird eine größere Verteilungsgerechtigkeit sein, die die soziale und ökonomische Lage der Arbeiterschaft verbessert und ihr die Identifikation mit dem politischen System erleichtert. Die Bereitschaft, die soziale Polarisierung abzubauen, wird sich besonders daran zeigen, ob eine soziale gerechtere Besteuerung durchgesetzt werden kann.
Probleme der Regionalisierung
Eine traditionelle, aber unvermindert aktuelle Konfliktlinie in der spanischen Gesellschaft manifestiert sich im Gegensatz zwischen Zentralspanien und den Randzonen des Baskenlandes und Kataloniens. Spanien ist ein multinationaler Staat, aber kein Nationalstaat. Zwei Drittel der spanischen Bevölkerung sprechen „kastilisch“, eine Sprache, die ursprünglich im Landesteil Kastilien gesprochen wurde, sich aber später in den meisten anderen spanischen Landesteilen und darüber hinaus mit der Eroberung Südamerikas durch kastilische Kolonisatoren als „spanische" Weltsprache durchsetzte. Neben der kastilischen Sprachregion, die flächen-und bevölkerungsmäßig heute den größten Teil Spaniens umfaßt, bestehen eine baskische (ewa 2, 5 Prozent der spanischen Bevölkerung), eine kataIonische (etwa 24 Prozent der Bevölkerung) und eine galizische (etwa 7 Prozent der Bevölkerung) Sprachregion. Katalonisch wird von den Bewohnern der Region Katalonien und darüber hinaus in abgewandelter Form von den Bewohnern der Region Valencia gesprochen. Galizisch, Katalonisch und Kastilisch gehören der romanischen Sprachfamilie an. Dagegen besitzt das im Baskenland gesprochene Baskische keine Verwandtschaft mit anderen europäischen Sprachen; es ist für die Angehörigen der anderen spanischen Sprachgruppen unverständlich und schwer erlernbar. Im Gegensatz zu Katalonien und dem Baskenland hat Galizien nie ein auf sprachliche oder ethnische Eigentümlichkeiten gegründetes politisches Eigenleben entwickelt. Das „katalonische Problem" reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück, aber es war ursprünglich kein kulturelles, sondern ein staatsrechtliches Problem, weil Katalonien sich weigerte, seine mittelalterlichen ständischen Rechte aufzugeben und im Rahmen eines absolutistischen Einheitsstaates genauso regiert zu werden wie die übrigen Regionen Spaniens. Ähnlich begann der Gegensatz zwischen dem Baskenland und Zentralspanien im späten 19. Jahrhundert mit dem baskischen Widerstand gegen den Widerruf historischer Sonderrechte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die politisch maßgebenden Kreise Kataloniens und des Baskenlandes auf die politische Selbstbestimmung bestehender ethnischer und Sprachgemeinschaften gedrängt. Seither geht der Konflikt zwischen Basken, Katalonen und den politischen Kräften der übrigen Landesteile darum, für diese Regionen eine staatsrechtliche Form zu finden, die sowohl die nationale Identität der regionalen Bevöl-kerung als auch die Souveränität des spanischen Staates respektiert
Katalonien entwickelte sich im 19. Jahrhundert zur ersten bedeutenden Industriezone Spaniens. Es bildete nunmehr nicht nur eine kulturelle, sondern auch eine sozial-und wirtschaftsstrukturelle „Insel“ im übrigen Spanien, die dieser Tatsache durch besondere Selbstverwaltungskompetenzen Rechnung getragen sehen wollte. In der Zweiten Republik erhielt Katalonien für kurze Zeit ein Sonder-statut. Im 19. und 20. Jahrhundert stieg neben Katalonien das Baskenland zu einer wichtigen Industrieregion auf, blieb aber im Gegensatz zu Katalonien bis in die Gegenwart stark katholisch geprägt. Die Basken stellten sich als einzige, stark an die Kirche gebundene Bevölkerungsgruppe auf die Seite der republikanischen Partei im Bürgerkrieg. Katalonien und das Baskenland waren das bevorzugte Ziel der ethnischen Unterdrückung des Franco-Regimes. Dennoch hatte die franquistische Wirtschaftspolitik für die Entwicklung des unterdrückten katalonischen und baskischen Nationalismus unterschiedliche Konsequenzen:
1. In beiden Regionen fand infolge der Industrialisierungspolitik ein starker Zustrom von Industriearbeitern aus den agrarischen Provinzen Zentral-und Südspaniens statt, der neben der ansässigen Bevölkerung eine zweite ethnische Bevölkerungsgruppe entstehen ließ, die nicht die Regionalsprache erlernte und den heute zweisprachigen Charakter Kataloniens und des Baskenlandes begründet.
2. Söziale Gegensätze überlagerten und schwächten in Katalonien die Forderung nach einem Autonomiestatut. Lange vor dem Bürgerkrieg begannen in Katalonien erbitterte Auseinandersetzungen zwischen dem katalonischen Industriebürgertum und der katalonischen Arbeiterschaft; dieser Streit trieb die besitzenden Schichten Kataloniens dazu, bei der Madrider Regierung um Schutz nachzusuchen. Die Wirtschaftsexpansion der 60er Jahre kam wie überall in Spanien auch den katalonischen Ober-und Mittelschichten zugute und versöhnte sie mit dem Franco-Regime.
Die Lage der katalonischen und die der „Einwandererarbeiter“ von außerhalb Kataloniens war die gleiche: Die gesamte katalonische Industriearbeiterschaft stand im Gegensatz sowohl zum katalonischen Industriebürgertum als auch zum Franco-Regime Die ethnische Struktur der sozialen Konflikte im Baskenland gab dagegen einer breiten baskischen Opposition gegen den franquistischen Zentralstaat Auftrieb. Die baskischen Banken und Industrieunternehmen befinden sich im Besitz „spanischer“ Konzerne, die in wirtschaftlichen Führungspositionen tätigen Basken identifizieren sich anders als die übrige baskische Bevölkerung nicht mit der Sprache und Kultur ihrer Region und sprechen von jeher „kastilisch“. Die Opposition sowohl der baskischen Arbeiter als auch der in ihrer sprachlich-kulturellen Identität bedrohten baskischen Mittelschichten und Intellektuellen konnte sich auf diese Weise geschlossen gegen die wirtschaftliche und administrative Kontrolle und die kulturelle Überfremdung durch Restspanien richten und wurde in dieser Haltung vom baskischen Klerus bestärkt.
Die „eingewanderte", nicht-baskische und kastilisch-sprachige Industriearbeiterschaft, die etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung in den drei baskischen Kernprovinzen beträgt, geriet dabei in die Isolation. In den 60er Jahren entwickelte sich die ETA (Euzkadi Ta Azkatasuna) zur wichtigsten oppositionellen Gruppe im Baskenland, deren bewaffnete Aktionen und separatistischen Ziele die härteste Repression des Franco-Regimes gegen das Baskenland auslösten und die Region von 1968 bis zum Ende der Diktatur praktisch einem militärischen Besatzungszustand auslieferte
Die Gewährung regionaler Autonomie stand für die Regierung Suärez von vornherein fest. Nach den Juni-Wahlen von 1977 konnte sich mit Genehmigung der Madrider Regierung eine provisorische katalonische Regionalregierung, bald darauf eine baskische Regionalregierung bilden In ganz Spanien sollten darüber hinaus — insgesamt elf — Regionen auf der Grundlage mindestens einer Provinz mit einer historischen Tradition gebildet werden Diese Vorentscheidung zur Regionalisierung noch vor der Verabschiedung der Verfassung, in der die Regionen förmlich verankert wurden, bettete die für die äußerste Rechte und für die Armee stets brisante katalonische und baskische Autono-mie in eine allgemeine Aufgliederung des Landes in Regionen ein und vermied den Eindruck einer katalonischen oder baskischen Sonderbehandlung. Die Regionen sollen kulturelle und finanzielle Selbstverwaltungsrechte, aber kein einheitliches Statut erhalten. Vielmehr müssen die provisorischen Regionalregierungen ihre Rechte im einzelnen mit der Zentralregierung in Madrid aushandeln.
Gegen starken Widerstand aus der navarranisehen Bevölkerung wurde die Provinz Navarra, in der zum Teil baskisch gesprochen wird, in die Selbstverwaltungsregion des Baskenlandes eingegliedert Katalonien behielt seine historischen Grenzen; im Gegensatz zum Baskenland stimmte es 1978 der -Verfas sung mit großer Mehrheit zu Auch nach dem Ende des Franco-Regimes betrieb das Baskenland anhaltende Opposition gegen die Madrider Regierung. Die ETA setzte ihre Anschläge gegen Polizisten und Armeeoffiziere fort und blieb bei ihrer Forderung, dem Baskenland müsse eine verfassungsrechtliche Option für die baskische Unabhängigkeit eingeräumt werden. Die Referenda von 1976 und 1978 wurden von der Hälfte der Abstimmungsberechtigten in den drei baskischen Kernprovinzen Viscaya, Guipuzcoa und Alava boykottiert. Von den Basken, die sich am Verfassungsreferendum von 1978 beteiligten, votierte ein Fünftel mit Nein, was mehr als dem Doppelten des nationalen Durchschnitts der Nein-Stimmen entsprach. Mehr als die Hälfte aller wählenden Basken wählte 1979 baskische Regionalparteien, die in den drei baskischen Kernprovinzen mehr Kongreßmandate besitzen als PSOE und UCD zusammen Inzwischen fordert auch die älteste christdemokratische Baskenpartei, die PNV, wie die radikaleren Regionalparteien EE und HB ein Regionalstatut, das die Möglichkeit zur baskischen Unabhängigkeit enthält. Die Regierung hingegen lehnt diese Forderung mit Entschiedenheit ab.
Das baskische Problem hat derzeit zwei Seiten: die eine ist die Animosität des Militärs gegen weitreichende Zugeständnisse an die baskische Region, die verdächtigt wird, aus dem spanischen Staatsverband ausscheren zu wollen. Die Armee ist für weite Teile des baskischen Volkes wie für die ETA ein verhaßter Repräsentant der Unterdrückung des Baskenlandes durch Madrid. Der Terror der ETA gegen Armeeangehörige stellt eine ständige Provokation dar und gilt der franquistisehen äußersten Rechten, die immer noch zahlreiche Sympathisanten in der Armee besitzt, als Indiz für die Unfähigkeit der Regierung, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Die zweite Komponente des baskischen Problems ist die faktische Zweisprachigkeit bzw. die ethnisch begründete partielle Hispanisierung der Region. Keine demokratische spanische Regierung kann eine Diskriminierung der nicht-baskischstämmigen Bevölkerung des Baskenlandes dulden. Von allen Problemen, die das demokratische Spanien vom Franco-Regime übernommen hat, zeichnet für sich dieses keine Lösung ab.
Anzeichen für die politische Neutralität der Armee
Ein weiteres ungelöstes Problem im nachfranquistischen Spanien ist die Ungewißheit über die politische Neutralität der Streitkräfte. Mit den übrigen westeuropäischen Armeen hat die spanische Armee wenig gemeinsam Im 19. Jahrhundert gewann sie ihre Polizeifunktion zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung. Mangels einer schlagkräftigen Polizei mußte die Armee eingreifen, wenn der Widerstand gegen die Regierung ein größeres Ausmaß erreichte. Die 1844 eingerichtete Guardia Civil war eine reine Landpolizei; dagegen mußte die Armee im 20. Jahrhundert bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges vorwiegend Arbeiteraufstände in den städtischen Industriezonen niederschlagen, so 1909 und 1917 in Barcelona, 1934 in Asturien.
Die Armee erfüllte ihren Polizeiauftrag in den geographischen Randzonen Spaniens, gegen die Karlisten in Nordspanien, gegen das katalonische Industrieproletariat und gegen die Basken. Ein durchgehender Grundzug im Selbstverständnis der modernen spanischen Armee ist ihre Rolle als Wahrerin der territorialen Integrität des spanischen Staates.
Seit kurzem erst verliert die Armee ihre soziale Funktion als Aufstiegsleiter für die unteren Mittelschichten. Für soziale Aufsteiger waren in der Vergangenheit — mangels adäquater Aufstiegsmöglichkeiten in einer vorwiegend agrarisch strukturierten Gesellschaft — Offiziersstellen in den Streitkräften höchst attraktiv. Die Mittelschichtenrekrutierung der Armee gab ihr noch im 19. Jahrhundert einen liberalen Anstrich, doch schon vor dem Ersten Weltkrieg war das Offizierskorps konservativer geworden: Die Furcht der Mittel-schichten vor sozialer Deklassierung und gewaltsamen Umwälzungen angesichts der militanten Arbeiteropposition trieben die Armee an die Seite der konservativen sozialen Kräfte Spaniens: Großgrundbesitz und Kirche. Die Putsche Primo des Riveras (1923) und Francos (1936) begünstigten die konservativen gesellschaftlichen Kräfte.
Nach dem Ende des Bürgerkrieges war die Armee nicht mehr im „inneren Einsatz" gegen die Bevölkerung. Die meisten Offiziere haben heute ihre Karriere in den Kasernen gemacht. Die starken Polizeikräfte, die Guardia Civil auf dem Lande und die Policia Armada (heute Policia Nacional) in den größeren Städten erwiesen sich unter der Herrschaft Francos imstande, aus eigener Kraft Streiks und politische Protestaktionen zu unterdrükken.
Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung Spaniens in den letzten 15 Jahren des Franco-Regimes hat die Armee ihre Rolle der sozialen Aufstiegsinstitution verloren. Wirtschaftsberufe bieten bessere und lukrativere Möglichkeiten zur Statusverbesserung als die Streitkräfte. Nichtsdestoweniger charakterisiert noch heute die spanische Armee ein krasses Mißverhältnis von Offizieren und anderen Dienstgraden; so betrug 1977 das Verhältnis von Offizieren zu Unteroffizieren und Mannschaften immer noch 1 : 9 Die Beförderungschancen der subalternen und Stabsoffiziere werden durch das Beharrungsvermögen einer überalterten Generalität erschwert, die eine hochkonservative, regimekonforme Einstellung an den Tag legt. Ihre Einstellung zum Regime und zur illegalen politischen Opposition ist noch ganz von der Bürgerkriegs-erfahrung geprägt. Die nachrückenden jüngeren Offiziere haben keine oder lediglich eine schwache Erinnerung an den Bürgerkrieg. Das lange Verbleiben der älteren Generäle in ihren Positionen verursacht einen Beförderungsstau; viele Offiziere üben nach Dienstschluß Zweit-und Drittberufe aus. Das Beförderungssystem erzeugt viele Vorbehalte ge-
gen das Generals-Establishment. Zahlreiche Offiziere organisierten sich 1975 und 1976 illegal in einer „Militärisch-Demokratischen Union", die sich aber auflöste, als demokratische Reformen zur Beseitigung des Franco-Regimes in Angriff genommen wurden. Diese . Militärgewerkschaft" verlangte Reformen in den Streitkräften und solidarisierte sich mit den Forderungen der antifranquistischen demokratischen Opposition
Die Militärausgaben beanspruchen mit — bezogen auf Westeuropa, unterdurchschnittlichen — 2 Prozent einen geringen Teil des Bruttosozialprodukts. Trotz beträchtlicher Verbesserungen in der Ausrüstung bleibt das Defensivpotential der Armee zur Abwehr gegen äußere Angriffe gering. Allerdings reicht ihre Bewaffnung für die Bekämpfung innerer Unruhen, dem einzigen historischen Auftrag der Armee seit mehr als hundert Jahren, aus. Die territoriale Kommandostruktur folgt gleichfalls dem Gesichtspunkt der Kontrolle bürgerkriegsähnlicher Erhebungen. Die jüngere Offiziersgeneration vergleicht ihre Armee neidvoll mit denen der europäischen Nachbarn und fordert eine moderne Ausrüstung. Sie versteht sich als professionell, ist an Ausbildung und internationalem militärischem Renommee interessiert und enthält sich im Gegensatz zu ihren älteren und höherrangigen Kameraden politischer Stellungnahmen
Die Wandlungen an der Basis des spanischen Offizierskorps haben die Möglichkeit zum Gebrauch der Armee als einem Druck-und Drohmittel der konservativen Generäle gegen eine legale demokratische Regierung infrage gestellt. Zumindest große Teile der Armee, darunter besonders die in direktem Befehls-verhältnis zu den — aus Wehrpflichtigen zusammengesetzten — Truppeneinheiten stehenden Hauptleute und Stabsoffiziere würden sich einem „Generalsputsch“ wahrscheinlich nicht anschließen Der Schein oder zumindest die Unsicherheit über die politische Geschlossenheit der Armee ist politisch immer noch wirkungsvoller als eine Kraftdemonstration, die eventuell ihre Zerrissenheit enthüllen könnte. Der Oberste Rat der Streitkräfte, eine Vereinigung der höchsten Offiziere von Armee, Luftwaffe und Marine, der gelegentlich Stellungnahmen zu politischen Entscheidungen abgibt, ist der Hort der reaktionären Generalsoffiziere. Die Legalisierung der PCE, die gegen seinen Willen erfolgte nahm er zwar grollend, doch tatenlos zur Kenntnis, ebenso fand er sich mit der Regionalisierung Spaniens ab. Dennoch ist im konservativen Teil des Offizierskorps Unzufriedenheit, die sich gelegentlich offen zeigt, nicht zu übersehen und eine Wiederholung eines Ende 1978 geplanten, aber rechtzeitig aufgedeckten Putschversuchs franquistischer Offiziere nicht ausgeschlossen. Noch die Wahlen vom März 1979 standen im Zeichen von Gerüchten, die Streitkräfte würden eine sozialistische Allein-regierung nicht tolerieren.
Große Autorität in allen Kreisen des Militärs genießt der König. Mit Billigung Juan Carlos'betreibt die Regierung eine Reorganisation der Armee, die das Pensionsalter senken und die Beförderungschancen der jüngeren (und liberaleren) Offiziere heben soll. Die territoriale Kommandostruktur soll grundlegend im Sinn einer Umgliederung nach Landesverteidigungsgesichtspunkten geändert werden Viele Inhaber hoher Kommandoposten wurden seit 1976 durch liberale und unzweifelhaft loyale Offiziere ersetzt. Kritik an Regierungsmaßnahmen aus den Reihen des Offizierskorps beantwortete das Verteidigungsministerium mit Entlassungen bzw. vorzeitigen Versetzungen in den Ruhestand Die Regierung und der König sind sich der Bedeutung einer politischen Neutralisierung der Armee bewußt; diese ist noch keineswegs abgeschlossen, hat aber doch bislang einen erfolgreichen Anfang hinter sich
V. Optionen für die Zukunft des demokratischen Systems
Abbildung 6
Tabelle 5: Mandatsverteilung auf die vier größten Parteien in den spanischen Gemeindevertretungen (1979)
Tabelle 5: Mandatsverteilung auf die vier größten Parteien in den spanischen Gemeindevertretungen (1979)
Durch die demokratische Umstrukturierung des politischen Systems der Franco-Ära sind in Spanien politische Strukturen entstanden, die von allen sozialen Kräften akzeptiert werden. Die drei größeren Parteien sowie die Gewerkschaften haben in der Zeit seit der Wahl des ersten, nach demokratischen Grundsätzen gewählten Parlaments ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Wahrung eines demokratischen Konsens bewiesen. Eine führende Rolle in der Formulierung der Konsens-grundlagen nahmen die Eliten in Regierung und Opposition ein: die Regierung als Kern der Mehrheitspartei UCD und Repräsentantin der konservativen und liberalen Ober-und Mittelschichten und die linke Opposition als Repräsentant der unter Franco in die Illegalität gedrängten, politisch wie ökonomisch unterdrückten Arbeiterschaft und des ländlichen Subproletariats. Die stärkere Betonung der politischen Konfliktdimensionen in der spanischen Gesellschaft geht von der gewerkschaftlich organisierten Basis der ökonomisch benachteiligten sozialen Kräfte aus: Die Intensivierung der Arbeitskämpfe und die Stärkung einiger regionaler Protestparteien, die hauptsächlich die sozialistische Oppositionspartei PSOE schwächten, signalisieren der Opposition die Grenzen des möglichen Konsenses im politischen System.
Bereits im gegenwärtigen frühen Stadium der nachfranquistischen spanischen Demokratie zeichnet sich eine Angleichung Spaniens an die benachbarten politischen Systeme „Lateineuropas", Frankreich und Italien, ab. Begünstigt durch das Wahlsystem, wird die UCD wahrscheinlich auf absehbare Zeit die dominierende Partei Spaniens sein und ähnlich wie die gaullistische Partei Frankreichs oder die italienischen Christdemokraten ihre Position mit der Mobilisierung der Mittelschichtenressentiments gegen Eingriffe in die soziale Statushierarchie und den Abbau ökonomischer Privilegien verteidigen. Das primäre Interesse der PSOE müßte darin bestehen, ihren „Besitzstand" sowohl gegenüber der UCD als auch gegenüber der PCE zu bewahren; diese Positionkönnte allerdings bewirken, daß innere Strategiedebatten, bündnispolitische Überlegungen und Faktionskämpfe wie in den Sozialistischen Parteien Frankreichs und Italiens ihre politischen Energie aufzehren. Die Gewerkschaften könnten sich unter diesen Voraussetzungen zunehmend verselbständigen und ihre Interessen in direkten Verhandlungen mit der Regierung zu wahren suchen und die ökonomischen Konflikte ohne Rücksicht auf ihre Bezugsparteien austragen. Am liberaldemokratischen Charakter des politischen Systems würde dies nichts ändern, da allen Beteiligten — in wachsendem Maße auch der Armee — die Alternativlosigkeit zur demokratischen und pluralistischen Konfliktregelung in einer Industriegesellschaft bewußt geworden ist. In dieser Hinsicht ist Optimismus gegenüber der politischen Zukunft Spaniens angebracht. Zur Euphorie gibt es jedoch keinen Anlaß, da die sozialen Konflikte — wie überall und besonders in den mediterranen Ländern Westeuropas — eine sichere Quelle kontinuierlicher politischer Gegensätze und scharfer, krisenhafter Konflikte sein werden.