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Dreißig Jahre Deutscher Bundestag | APuZ 32-33/1979 | bpb.de

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APuZ 32-33/1979 Dreißig Jahre Deutscher Bundestag Der Deutsche Presserat -überflüssig? Die Diskriminierung von Frauen in der Werbung Gleichberechtigung am Arbeitsplatz Artikel 1

Dreißig Jahre Deutscher Bundestag

Winfried Steffani

/ 36 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der dreißigjährigen Geschichte des Deutschen Bundestages, der am 7. September 1949 zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentrat, können drei Phasen unterschieden werden, die durch bestimmte Grundmerkmale ausgezeichnet sind. Es handelt sich dabei um jeweils bestimmte Kombinationen von folgenden vier Systemen, in die der Bundestag einbezogen ist: das rechtliche Gewaltenteilungssystem, das parlamentarische Regierungssystem, das bundesstaatliche System und das Verfassungssystem mit dem Bundesverfassungsgericht als dem „Hüter der Verfassung". Die Stellung und Wirksamkeit des Bundestages, insbesondere die Handlungsfähigkeit der in ihm tätigen und über ihn Einfluß ausübenden politischen Gruppierungen — Regierungsmehrheit und Opposition — werden entscheidend durch die je spezifischen Konstellationen dieser System-kombinationen bestimmt. Jede der drei genannten Systemkombinationen — für die die Bezeichnungen Kanzler-demokratie (1949— 1966), Große Koalition (1966— 1969) und konträre Mehrheiten (1969 bis 1979) gewählt wurden — bildet sowohl in verfassungsrechtlicher als auch verfassungspolitischer Hinsicht zulässige Möglichkeiten innerhalb der Rahmenbedingungen, die das Grundgesetz vorsieht. Sie sind zugleich Ausdruck einer erheblichen Flexibilität des politischen Systems der Bundesrepublik. Der Deutsche Bundestag hat sich in seiner Entwicklung den Bedingungen der drei Phasen angepaßt. Das hatte bemerkenswerte Konsequenzen für die interne Organisation und die Arbeitsweise des Parlaments, seiner Ausschüsse und Fraktionen. Innerhalb des Deutschen Bundestages sind in bedeutsamem Ausmaße Macht und Arbeit des Parlaments vom Plenum in die Ausschüsse verlagert worden. Die Folge war ein erheblicher Ausbau des Ausschußdienstes und eine Erweiterung der Ausschußkompetenzen. Trotz dieser Ausdifferenzierung des Bundestages in ein komplexes Ausschußsystem haben sich die Fraktionen als fähig erwiesen, im parlamentarischen Arbeitsprozeß eine koordinierende Lenkungsfunktion auszuüben. Diese Fähigkeit spiegelt sich in der praktizierten Fraktionsdisziplin der Abgeordneten wieder. Der Bundestag kann somit als ein Parteien-bzw. Fraktionen-Parlament charakterisiert werden.

I. Der Deutsche Bundestag im Schnittpunkt von vier Systemen

In einer Hinsicht sind sich die Parlamente der westlichen Demokratien im Verlauf der letzten hundert Jahre nahezu gleich geblieben: in der Anzahl ihrer Abgeordneten und deren prinzipieller Rechtsgleichheit Sonst haben sich die Bedingungen ihrer Existenz weitgehend, in einigen Bereichen sogar radikal verändert. Heute müssen alle Parlamente der westlichen Demokratien den Forderungen eines Sozialstaates in hochentwickelten Industriegesellschaften mit seinen komplexen internationalen Verflechtungen und Abhängigkeiten gerecht werden. Ein unterschiedliches Gewicht dieser allgemeinen Herausforderung in den einzelnen Staaten wird nicht zuletzt in der unterschiedlichen Größe und geopolitischen Lage des jeweiligen Landes begründet sein,.

Neben diesen grundsätzlichen Gemeinsamkeiten aller modernen Parlamente stehen jedoch nationale Besonderheiten. Zu den Besonderheiten des Deutschen Bundestages gehört vor allem seine Stellung und Wirksamkeit innerhalb eines komplizierten Vier-Systeme-Geflechts. Die hier gemeinten, für die Tätigkeit und das Selbstverständnis des Bundestages bedeutsamen vier Systeme lassen sich folgendermaßen skizzieren:

Da ist zunächst 1. die Tatsache, daß der Deutsche Bundestag im Gewaltenteilungssystem des Grundgesetzes als Staatsorgan verfassungsrechtlich in betonter Eigenständigkeit dem Staatsorgan Bundesregierung gegenübersteht. Andererseits begründet das Grundgesetz 2. ein parlamentarisches Regierungssystem mit der Konsequenz, daß die verfassungsrechtliche Gewaltenteilung zwischen den Staatsorganen Parlament und Regierung durch die verfassungspolitische Gewaltenteilung zwischen den Institutionen Regierungsmehrheit und Opposition überlagert wird. Hinzu tritt 3. das föderative System der parlamentarischen Bundesrepublik, was sowohl für die Kompetenzen des Bundestages gegenüber denen der Länderparlamente als auch für die des Bundestages gegenüber dem Bundesrat, dem anderen Gesetzgebungsorgan auf Bundesebene, von Bedeutung ist. Schließlich bildet 4. das Verfassungssystem insofern eine weitere Systemebene, als das Grundgesetz die Einrichtung eines unabhängigen Bundesverfassungsgerichts vorsieht, welches darüber zu wachen hat, daß kein Staatsorgan auf Kosten eines anderen die Grenzen der Verfassung mißachten darf — auch das Parlament nicht.

Im Rahmen dieser vier Systeme erscheint der Bundestag demnach einmal als Kontrahent der Regierung, einmal als Austragungsort der Kontroversen zwischen Regierungsmehrheit und Opposition, einmal als Partner oder Konkurrent des Bundesrates und einmal als ein Staatsorgan, das sich dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu beugen hat. Der Bundestag ist in seiner Arbeit stets durch die Wirkungsweise aller vier Teilsysteme geprägt. Er kann sich keiner der genannten Systemebenen entziehen. Es wäre daher auch verfehlt, den Bundestag einer „eindimensionalen“ Analyse zu unterziehen. Vielmehr kann eine Untersuchung des Wandels des Bundestages im politischen System der Bundesrepublik nur dann sinnvoll vorgenommen werden, wenn zumindest diese vier Teilsysteme bzw. Systemebenen in ihrem Zusammenwirken beachtet bleiben.

Da jedes dieser Teilsysteme im Laufe der Zeit mehr oder weniger bedeutsamen Änderungsprozessen unterliegt, die keineswegs auf allen Ebenen der gleichen Grundtendenz folgen müssen, war der Bundestag in unterschiedlichen Zeitabschnitten auch in recht verschiedenartige Systemkombinationen einbezogen. Tatsächlich lassen sich bei einem Rückblick auf die ersten dreißig Jahre Deutscher Bundestag drei signifikante, jeweils durch eine Reihe besonderer Merkmale gekennzeichnete Systemkombinationen unterscheiden: 1. Die Phase der CDU/CSU-Regie-rungen bei SPD-Opposition von 1949 bis 1966, die Phase der Großen Koalition von 1966 bis 1969 und schließlich die Phase der sozialliberalen Koalition von 1969 bis zur Gegenwart.

Bevor diese drei Phasen näher beschrieben werden, ist es angebracht, zunächst die genannten vier Systemebenen darzustellen. Dieser Darstellung sei wiederum ein knapper historischer Rückblick vorgeschaltet.

II. 108 Jahre deutscher Parlamentsgeschichte

Der Bundestag ist beides zugleich: Neubeginn und Fortsetzung deutscher Parlaments-geschichte 2). Kontinuität und Wandel der deutschen Parlamentsgeschichte auf Reichs-, nationaler oder Bundesebene sind — wenn man von der Paulskirchenversammlung 1848/49 und der Entwicklung auf der Länderebene absieht — vornehmlich durch drei Daten gekennzeichnet: Die Jahre 1867, 1919 und 1949. Im Jahre 1867 trat das erste deutsche nationale Parlament unter dem Namen „Reichstag" in der späteren Reichshauptstadt Berlin zusammen. 1919 setzte der Reichstag als das Parlament der ersten demokratischen Republik unter völlig veränderten Bedingungen seine Arbeit dort. Im September 1949 konnte die Geschichte des nationalen Parlaments nach der totalen Niederlage, dem Zerfall des Deutschen Reiches im Mai 1945, und der parlamentslosen Frühphase der Besatzungszeit in der provisorischen Hauptstadt Bonn unter der Bezeichnung „Deutscher Bundestag" wieder fortgeführt werden. Diese im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien relativ kurze Parlamentsgeschichte — 78 Jahre Reichstag und 30 Jahre Bundestag — hat dennoch in der Arbeitsweise des Bundestages und im Verhältnis von Parlament und Regierung bemerkenswerte Spuren hinterlassen.

In den ersten fünfzig Jahren der nun hundertacht Jahre währenden Parlamentsgeschichte war der Deutsche Reichstag ein Parlament in einer konstitutionellen Monarchie. Der Reichstag wirkte zwar als zweite Kammer gleichberechtigt neben dem Bundesrat an der Gesetzgebung mit, er konnte jedoch die Reichsregierung (den Reichskanzler) weder einsetzen noch aus politischen Gründen abberufen.

Da Demokratie und Monarchie nur im Rahmen eines parlamentarischen Regierungssystems miteinander vereinbar sind, bedeutete das demokratische Wahlrecht zum Reichstag, das sowohl seit 1867 im Norddeutschen Bund wie nach 1871 im Kaiserreich galt, nur einen ersten Schritt auf dem Wege zur Demokratisierung des politischen Systems. Von einer Demokratie konnte daher erst nach vollzogener Parlamentarisierung die Rede sein. Als diese Parlamentarisierung in den letzten Kriegstagen am 28. Oktober 1918 auf Empfehlung der deutschen Heeresleitung eingeführt wurde, befand sich das Kaiserreich bereits im Zustand der Agonie.

Nachdem am 9. November 1918 in Berlin die Republik ausgerufen worden war, war damit grundsätzlich der Weg sowohl für eine parlamentarische als auch für eine präsidentielle Demokratie geebnet. Die Nationalversammlung entschied sich für das parlamentarische System. Während der Bundesrat abgeschafft und ihm im Reichsrat lediglich ein schwacher Nachfolger gegeben wurde 3), stellte die Weimarer Verfassung nun den Reichstag neben den Reichspräsidenten in das institutionelle Zentrum des Verfassungssystems.

Für die Parteien bedeutete das eine bisher unbekannte Herausforderung. Im Parlament des Kaiserreichs war es nicht die vornehmlichste Aufgabe der Parteien, eine Reichsregierung im Amt zu halten. Der Reichskanzler bedurfte für seine Amtsführung des Vertrauens des Kaisers, nicht des Reichstages. Soweit die Fraktionen des Reichstages Disziplin übten, wär sie weltanschaulich bedingt und beruhte nicht auf einem Erfordernis des Verfassungssystems. Mit der Einführung der parlamentarischen Republik änderten sich die Rahmenbedingungen fundamental. Nun muß-ten die Parteien im Parlament die politische Leistung vollbringen, eine Regierung politisch zu tragen und möglichst lange im Amt zu halten. Fraktionsdisziplin wurde zum systembedingten Erfordernis. Die Parteien mußten sich als hinreichend koalitions-und mehrheitsfähig erweisen, wenn der Reichstag seinen Einfluß auf die Regierungsbildung und die Amtsdauer der Kabinette verfassungspolitisch sichern wollte. Einer derart systemnotwendigen Mehrheits-und Koalitionsdisziplin konnte eine im wesentlichen weltanschaulich motivierte Fraktionsdisziplin nur abträglich sein. Der Übergang von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik hatte für den Reichstag somit einen Rollen-wandel zur Folge, dem die Parteien funktional jedoch nicht zu entsprechen vermochten. Zehn Jahre nach Beginn der parlamentarischen Republik gerieten die demokratischen Parteien in existentielle Bedrängnis. Im Reichstag gab es zu den Parteien der Weimarer Koalition keine demokratische Alternative, nur eine systemfeindliche Opposition, an ihrer Spitze Nationalsozialisten und Kommunisten.

Kurz nach der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 wurde der Reichstag durch das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, mit dem eine verfassungsändernde Mehrheit des Parlaments der Reichsregierung die Gesetzgebungsbefugnis zugestand, endgültig in den Ruhestand versetzt. In den letzten zwölf Jahren seiner formalen Weiterexistenz blieb der Reichstag bis zum Ende des Hitlerreichs nur noch als Auditorium für Führerreden bestehen.

Dem Zusammenbruch im Jahre 1945 folgte auf nationaler Ebene bis 1949 das Interregnum der parlamentslosen Zeit. Mit dem ersten Zusammentritt am 7. September 1949 beginnt die Geschichte des Deutschen Bundestages.

III. Gewaltenteilung zwischen Bundestag und Bundesregierung

über die Staatsgewalt heißt es in Art. 20 Absatz 2 Satz 2 GG: „Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt." Die Formel von den „besonderen Organen" verweist auf „klassische" Vorstellungen von Gewaltenteilung, wie der organschaftlichen Trennung von Parlament und Regierung und deren jeweiliger relativer Eigenständigkeit. Fand diese strikte Trennung im Kaiserreich noch in der verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Inkompatibilität von Reichstagsmandat und Regierungsamt ihren Ausdruck, so wurde diese Bestimmung im parlamentarischen System der Weimarer Republik zwar aufgehoben, aber immer noch häufig praktiziert. In der Bundesrepublik besteht demgegenüber insoweit faktisch eine enge Integration zwischen Parlament und Regierung, als seit Bestehen der Bundesrepublik fast alle Regierungsmitglieder zugleich Mitglieder des Bundestages waren bzw. sind Das ist ein politisch bedeutsamer Tatbestand.

Er überlagert den rechtlich bedeutsamen Sachverhalt, daß Parlament und Regierung eigenständige Organe sind. Welchem Prinzip sollte optisch Ausdruck verliehen werden, dem politischen oder dem rechtlichen?

Das britische Unterhaus bevorzugte mit den bekannten Konsequenzen das politische Prinzip: Durch die Sitzordnung und bei der Ausschußarbeit wird die Trennung von Regierungsmehrheit und Opposition betont, nicht die zwischen Parlament und Regierung. Den umgekehrten Weg beschritt der Deutsche Bundestag. Er folgte darin der Reichstagstradition: Die Regierungsbank ist sichtbar vom Restparlament abgehoben, die Trennung in Regierungsmehrheit und Opposition ohne weiteres nicht erkennbar. In den ersten Wahlperioden des Bundestages schwebte die Regierungs-, bank noch in erheblichen Höhen über den Abgeordnetensitzen. Es galt als eine Art Vergangenheitsbewältigung und Reformleistung, als unter Bundestagspräsident Gerstenmaier eines Tages die Sesselreihen der Minister um ein paar Dezimeter gesenkt wurden und damit die Distanz zwischen Parlament und Regierung nicht mehr gar so gewaltig erschien. Die verfassungsrechtliche Organtrennung ist aber keineswegs nur von optischer Bedeutung. Sie hat für die Arbeitsweise des Bundestages weitreichende Konsequenzen. So bleiben Bundestagsabgeordnete, die ein Ministeramt übernehmen, bei der Sitzverteilung in den Ausschüssen des Bundestages prinzipiell unberücksichtigt. Gleiches gilt für Abgeordnete, die das Amt eines parlamentarischen Staatssekretärs übernehmen. Sie müssen zwar Bundestagsabgeordnete sein und bleiben, um ihr Amt ausüben zu können; es galt jedoch als ein erheblicher Stilbruch, als zu Beginn der sozialliberalen Koalition wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse einige parlamentarische Staatssekretäre stellvertretende Ausschußmitglieder wurden.

Ein zum Minister avancierter Abgeordneter verliert somit seinen Status als ordentliches Ausschußmitglied, er gewinnt jedoch zugleich bedeutsame Privilegien im parlamentarischen Arbeitsprozeß. Gemäß Art. 43 Abs. 2 GG dürfen die Mitglieder der Bundesregierung und deren Beauftragte im Plenum wie in den Ausschüssen das Wort ergreifen. Sie müssen jederzeit gehört werden. Das Parlament darf ihnen auch durch Mehrheitsbeschluß das Wort nicht entziehen.

Anfänglich wurde die Redezeit der Regierungsmitglieder bei der Verteilung der parlamentarischen Redezeit auf die einzelnen Fraktionen überhaupt nicht berücksichtigt. Dadurch geriet die Opposition in einen erheblichen Nachteil. Es wurde so getan, als ob die Regierung einem eigenständigen Parlament gegenübertrete, in dem die Sprecher der einzelnen Fraktionen zu der Haltung und Politik der Regierung unabhängig Stellung beziehen. Daß tatsächlich die Regierung und die Parlamentsmehrheit eine politische Aktionseinheit darstellen, der die Opposition gegenübersteht, wurde auf Kosten der Gleichheitschance der Opposition in den Debatten unberücksichtigt gelassen. Hier hat sich erst im letzten Jahrzehnt ein deutlicher Wandel zugunsten der Opposition durchgesetzt, obgleich auch heute noch keineswegs eine Chancengleichheit zwischen Regierungsmehrheit und Opposition gegeben ist

Daß sich nach geltendem Rechtsverständnis die Verfassungsorgane Parlament und Regierung und nicht die politischen Verfassungsinstitutionen Regierungsmehrheit und Opposition gegenüberstehen, wird vor allem in der Geschäftsordnung deutlich. Die erste, in ihren Grundzügen immer noch geltende Geschäftsordnung war im Reichstag des Kaiser-reiches konzipiert und mit relativ geringfügigen Änderungen vom Reichstag der Weimarer Republik und schließlich im Jahre 1951 vom Bundestag übernommen worden. Diese Geschäftsordnung kennt Minderheitsrechte, keine Oppositionsrechte. Minderheitsrechte können auch von einer Minderheit in der Regierungskoalition bzw. Regierungsmehrheit wahrgenommen werden Spezielle Oppositionsrechte, die ein Ausdruck dafür wären, daß die Opposition als fundamental bedeutsame Verfassungsinstitution anerkannt wird, sind im deutschen Verfassungs-und Geschäftsordnungsrecht bis heute unberücksichtigt geblieben. Wohl hat das Bundesverfassungsgericht bei seiner Interpretation der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung" des Grundgesetzes festgestellt, daß zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung „die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“ gehören Ungeachtet dessen konnte der ehemalige Direktor beim Deutschen Bundestag, Hans Trossmann, Ende der sechziger Jahre einen grundlegenden Kommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages schreiben, in dem das Stichwort „Opposition“ ebensowenig vorkommt wie in seinem neuesten Geschäftsordnungskommentar Im deutschen Parlamentsrecht fällt die Opposition immer noch unter die allgemeine Kategorie „Minderheit".

IV. Gewaltenteilung zwischen Regierungsmehrheit und Opposition

Das Grundgesetz hat den Bundestag und die Bundesregierung nicht nur als „besondere Organe" geschaffen, sondern auch deren Rechtsbeziehungen näher geregelt. So muß — sehr im Gegensatz zur Weimarer Verfassung — der Regierungschef („Bundeskanzler“) vom Bundestag gewählt werden (Art. 63 GG). Der Bundeskanzler bestimmt zwar selbst die Richtlinien der Politik (Art. 65 Satz 1 GG), er ist jedoch in seiner Amtsführung vom Vertrauen des Parlaments, das ihn aus politischen Gründen jederzeit abberufen kann, abhängig (Art. 67 GG). Damit sind die Grundlagen eines parlamentarischen Systems gegeben

Während in der Weimarer Republik jedes Regierungsmitglied vom Parlament abberufen werden konnte, kann der Bundestag nur dem Bundeskanzler sein Mißtrauen aussprechen, indem er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen neuen Bundeskanzler wählt. Das „konstruktive“ Mißtrauensvotum verlangt, daß das negative Votum der Abberufung mit dem positiven Votum der Neuwahl zusammenfallen muß. Dennoch ist der Bundestag gerade in seinem Rechtsverhältnis gegenüber der Regierung das machtvollste Parlament der deutschen Geschichte. Der Bundestag ist das erste deutsche Parlament, das allein entscheidet, wer Bundeskanzler wird, und das nur unter äußerst schwierigen Bedingungen aufgelöst werden kann.

Was als rechtliche Stärkung des Bundestages gegenüber der Regierung gedacht war, hat politisch das Gegenteil bewirkt: die starke Stellung des Kanzlers und der Regierung. Die Gründe hierfür sind vor allem in der Wirksamkeit und Entwicklung des Wahl-und Parteiensystems zu finden. Dabei ist die Gründung der CDU/CSU als massenmobilisierende demokratische Volkspartei — parteien-geschichtlich ein Ereignis von außerordentlicher Bedeutung — an erster Stelle zu nennen Für das Wechselverhältnis von Re-gierungsmehrheit und Opposition nicht minder bedeutsam war die programmatische Neuorientierung der SPD durch Annahme des Godesberger Programms (1959)

In den Anfangsjahren schien es, als würde sich in der Bundesrepublik das aufgesplitterte Vielparteiensystem der Weimarer Republik fortsetzen. So gab es zu Beginn des ersten Bundestages neun Fraktionen und vier fraktionslose Abgeordnete. Bald setzte jedoch eine bemerkenswerte Reduktion der Anzahl der Fraktionen ein. Gab es im zweiten Bundestag (1953— 1957) noch sechs Fraktionen und im dritten (1957— 1961) vier, so sind es seit Beginn des vierten Bundestages (1961 bis 1965) bis zur Gegenwart nur noch drei (siehe Tabelle). Tabelle: Stärke der Fraktionen im Deutschen Bundestag 1949— 1976 (zu Beginn der Wahlperiode, ohne Berliner Abgeordnete)

Wahlperiode CDU/CSU SPD FDP DP BP KPD WAV z DRP BHE fraktionslos 1. 1949— 1953 139 131 52 17 17 15 10 5 — 4 2. 1953— 1957 244 151 48 15 — — — 2 — 27 — 3. 1957— 1961 270 169 41 17 — — — — — — — 4. 1961— 1965 242 190 67 — — — — — — — — 5. 1965— 1969 245 202 49 — — — — — — — — 6. 1969— 1972 247 224 30 — — — — — — — — 7. 1972— 1976 225 230 41 — — — — — — — — 8. 1976— 1978 243 214 39 — — — — — — — — Quelle: Peter Schindler, Parlamentsstatistik für die 1. bis 7. Wahlperiode, in: ZParl, 1977, Heft 2, S. 153. Die Anzahl faktischer Fraktionen stimmt nicht mit der Anzahl der gemäß Geschäftsordnung offiziell anerkannten Fraktionen überein. Am 16. Januar 1952 wurde die Mindeststärke einer Fraktion vom Bundestag auf 15 Mitglieder festgesetzt; seit 1969 müssen es — entsprechend der Fünf-Prozent-Klausel des Wahlgesetzes — 5 Prozent der Mitglieder des Bundestages, d. h. heute mindestens 26 Mitglieder sein.

Indem sich das Parteiensystem neu formierte und im Bundestag zum Dreifraktionen-System führte, erhielt die dem parlamentarischen System immanente Gewaltenteilung zwischen Regierungsmehrheit (als der Einheit von Regierung und Parlamentsmehrheit) und Opposition erst ihre systemprägende politische Potenz. Erstmals gab es in einem deutschen Parlament eine gewichtige Opposition, die sich als demokratische Alternative zur Regierung verstand. Alle im Bundestag vertretenen Parteien bekundeten sich gegenseitig ihre prinzipielle Koalitiosfähigkeit. Jede der drei Fraktionen hat auch bereits im Laufe der Jahre mit einer der beiden anderen eine Regierungskoalition gebildet. Bei der Bundestagswahl von 1969 konnten bei einer Wahlbeteiligung von 86, 7 Prozent die im Bundestag vertretenen Parteien 94, 4 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen. 1972 betrug die Zustimmung bei einer Wahlbeteiligung von 91, 1 Prozent sogar 99, 1 Prozent. Das gleiche Ergebnis brachten die Wahlen von 1976 bei einer Wahlbeteiligung von ebenfalls mehr als 90 Prozent.

Alle bisherigen Bundesregierungen waren Koalitionsregierungen, selbst dann, wenn — wie im Jahre 1957 die CDU/CSU — eine Fraktion die absolute Mehrheit der Abgeordneten stellte. Das führte dazu, daß seit dem zweiten Bundestag die Opposition stets nur von einer Fraktion repräsentiert wurde. Ihr Vorsitzender galt als der Oppositionsführer.

Auf Regierungsseite bedeutete die Wahl des Kanzlers nicht dessen schlichte Unterwerfung unter den Willen der Parlamentsmehrheit. Vielmehr bezeugte die Parlamentsmehrheit mit der Wahl ihr Vertrauen in die Führungsqualität des Kanzlerkandidaten, der entweder bereits bei den vorangegangenen Wahlen den Wählern als gemeinsamer Kandidat vorgestellt worden war oder — wie im Falle des ersten Kabinetts Erhard, bei der Wahl Kiesingers oder beim ersten Kabinett Schmidt — vom Bundestag nach Rücktritt eines Kanzlers ohne mitwirkende Wählerentscheidung in sein Amt gewählt wurde. 12)

Da die Wahlchancen einer Regierungsmehrheit von dem politischen Erfolg und der Reputation der Regierung und insbesondere ihres Regierungschefs abhängen, wird eine Parlamentsmehrheit den Kanzler, den sie wählte, auch entsprechend unterstützen. Hierdurch kann faktisch eine Lage entstehen, derzufolge sich das Parlament als Wahlorgan versteht, dem nach der Wahl des Kanzlers die Aufgabe zufällt, die Regierung mehr oder weniger bedingungslos gegen Kritik zu schützen. Nicht das Parlament kontrolliert dann die Regierung, vielmehr die Regierung das Parlament. Der Kanzler wird zum politischen Füh-* rer der Parlamentsmehrheit, der die Opposition als politische Alternative in kritischer Haltung gegenüber steht. Allerdings wird oppositionelle Kritik, sobald sie in der Öffentlichkeit zu einer Resonanz führt, die für die nächsten Wahlen bedeutsam werden könnte, auch die Mehrheit veranlassen, auf die Regierung kontrollierend Einfluß auszuüben. Das dürfte aber nur äußerst selten auf offener Bühne stattfinden

Eine selbstbewußte Opposition wird die Gewaltenteilung zwischen Regierungsmehrheit und Opposition betonen und unter Berufung auf das Postulat eines freiheitlich-demokratischen Entwicklungsprozesses nach möglichst weitreichender Chancengleichheit streben. Eine Regierungsmehrheit müßte demgegenüber eher dazu geneigt sein, die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung zumindest soweit herauszustreichen, wie dies dem eigenen Lager Vorteile erbringt.

In der Bundesrepublik ist in jüngerer Zeit die Tendenz zu beobachten, der politischen Gewaltenteilung gegenüber der rechtlichen deutlicher Geltung zu verschaffen. Diese Tendenz fand auch in der „kleinen Parlamentsreform" vom Jahre 1969 ihren Niederschlag, die im wesentlichen eine Geschäftsordnungsreform darstellt. Die Parlamentsreform, die sowohl die Plenararbeit wie die Parlamentsausschüsse betraf, hatte insgesamt eine Stärkung der Opposition in ihrer Minderheitsrolle zur Folge. Fazit: Auch in der Bundesrepublik wird zunehmend, wenngleich recht zögernd, das parlamentarische System in seinen Funktions-und Strukturerfordernissen akzeptiert und praktiziert.

Das geschlossene Auftreten von Regierungsmehrheit und Opposition wird in einem parlamentarischen System üblicherweise durch Fraktions-und Koalitionsdisziplin bewirkt. Diese Disziplin wird herausgefordert, wenn die parlamentarischen Ausschüsse über einen wesentlichen Entscheidungs-und Mitwirkungsspielraum verfügen. Im Bundestag sind in besonderem Maße Macht und Arbeit aus dem Plenum in die Ausschüsse verlagert. Um der Dezentralisierungstendenz, die durch machtvolle Ausschüsse gefördert wird im Interesse einer einheitlichen Fraktionslinie entgegenzusteuern, haben die Fraktionen im Laufe der Jahre ein recht differenziertes fraktionsinternes Macht-, Koordinierungs-und Lenkungssystem entwickelt. Dieses System besteht aus einer Reihe von Arbeitskreisen und Arbeitsgruppen, mit denen einerseits die Arbeit der Fraktionen in den Parlamentsausschüssen vorbereitet wird und die zum anderen der Koordinierung der Ausschußarbeit zu einer einheitlichen Fraktionslinie dienen Die Fraktionen der Regierungsmehrheit und Opposition sind es, die heute den innerparlamentarischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozeß bestimmen. Der Bundestag hat sich de facto zu einem Parteien-Parlament entwickelt, in dem die Fraktionen über die Wirkungsmöglichkeiten des einzelnen Abgeordneten entscheiden.

V. Bundestag und Bundesrat

Im Gegensatz zu Großbritannien begründet das Grundgesetz kein „reines", sondern ein „föderativ relativiertes" parlamentarisches Regierungssystem. Das findet u. a. darin seinen Ausdruck, daß es auf Bundesebene zwei „Organe der Gesetzgebung" gibt: den Bundestag und den Bundesrat. Alle Gesetze müssen vom Bundestag beschlossen werden. Dem einer Bundesrat — Konstruktion, die es in dieser Form nur in Deutschland gibt — steht dem Wortlaut der Verfassung nach lediglich ein „Mitwirkungsrecht“ zu (Art. 50 GG). De facto besagt das jedoch, daß bei Verfassungsänderungen und bei zustimmungspflichtigen Gesetzen — heute etwa 50 Prozent aller Gesetzesvorlagen — beide Gesetzgebungsorgane zustimmen müssen, damit ein Gesetz verab-schiedet werden kann. Bei derartigen Entscheidungen besteht in der Bundesrepublik tatsächlich ein Zweikammersystem. Lediglich bei einfachen Gesetzen kann der Einspruch des Bundesrates mit einer entsprechenden Mehrheit vom Bundestag überstimmt werden. Daraus folgt, daß bei Verfassungsänderungen und in weiten Gesetzgebungsbereichen eine gesetzgebende Mehrheit nur dann zustande kommt, wenn eine Bundestags-und eine Bundesratsmehrheit übereinstimmen.

Der Wähler kann im Parlamentarischen System der Bundesrepublik bei einer Bundestagswahl zwar ein entscheidendes Wort bei der Bestimmung des Kanzlers und der Regierungsmehrheit sprechen, er vermag jedoch nicht mit gleichem Gewicht zur Bildung einer gesetzgebenden Mehrheit beizutragen. Denn an der Bestellung der Bundesratsmehrheit ist der Bundestagswähler nur indirekt über die Wahl der Länderparlamente beteiligt. Es genügt daher nicht, die Mehrheit im Bundestag zu erringen. Eine Partei oder Parteienkoalition kann im parlamentarischen System der Bundesrepublik erst dann ihr Wahl-und Regierungsprogramm durchsetzen, wenn sie auch im Bundesrat eine zustimmende Mehrheit zu mobilisieren vermag. Die Bundesrepublik kennt insoweit das Problem der doppelten Mehrheit: eine direkt-demokratisch legitimierte Gesetzgebungsmehrheit im Bundestag und eine indirekt-demokratisch legitimierte im Bundesrat. Erst beider Zusammenwirken erbringt die verfassungsgemäß erforderliche Gesetzgebungsmehrheit auf Bundesebene.

In dieser föderativen Gewaltenteilungs-Konstruktion steckt ein erhebliches politisches Konfliktpotential. Es beginnt bei der Zusammensetzung und der Mandatsqualität beider Gesetzgebungsorgane. Der Bundestag wird nach der Regel „one man one vote" von allen wahlberechtigten Bürgern direkt gewählt. Die Abgeordneten erwerben ein nur ihrer Person zustehendes freies Mandat. Sie können sich nicht vertreten lassen und sind für ihre Entscheidungen persönlich politisch verantwortlich. Im Bundesrat verfügen die elf Länder der Bundesrepublik je nach Bevölkerungszahl über drei bis fünf Stimmen. Das bevorzugt die „kleinen" Länder gegenüber den „großen". Jedes Land kann seine Stimmen nur einheitlich abgeben (Art. 51 Abs. 3 GG). Die Mitglieder des Bundesrates müssen Mitglieder der jeweiligen Landesregierung sein. Sie werden von dieser bestellt und abberufen, können sich vertreten lassen und sind grundsätzlich an die Weisungen ihrer Regierungen gebunden. Es handelt sich demnach im Bundestag und im Bundesrat um zwei sehr unterschiedlich strukturierte „demokratische Mehrheiten".

Der Konflikt gipfelt somit in der Frage, ob eine Bundesratsmehrheit überhaupt parteipolitischen Gesichtspunkten folgen dürfe. Während die einen *im Bundesrat ein Organ jener Verwaltungsbehörden sehen, die auf Länderebene die Bundesgesetze auszuführen haben und nur unter dieser Perspektive ihr Fachwissen und die besondere Betroffenheit ihrer Länder bei den Abstimmungen einbringen dürften, begreifen die anderen auch den Bundesrat als ein Staatsorgan, daß unter dem Demokratiegebot steht. Nach dieser zweiten Auffassung bedient sich das Volk der Parteien, um durch ihre Vermittlung die staatlichen Entscheidungen bestimmen zu können, Demokratie und Parteien gehören in einem parlamentarischen System unlösbar zusammen. Der demokratische Parteienstaat könne nicht vor dem Bundesrat haltmachen.

Die Parteien, die im Bundestag die Mehrheit stellen und mit der Bundesratsmehrheit nicht übereinstimmen, werden dazu neigen, die erstgenannte Funktionsinterpretation als die einzig gebotene hervorzukehren. Bei umgekehrter Interessenlage wird dem anderen Argument größeres Gewicht beigemessen werden. Die seit nahezu dreißig Jahren geführten Diskussionen um die angemessene Rolle des Bundesrates spiegeln diesen Argumentationsverlauf wider.

Obgleich in den ersten zwanzig Jahren die Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat von den gleichen Parteikoalitionen getragen wurden, gab es doch von Anbeginn zwischen beiden Organen Kontroversen, die nicht nur aus der Hervorkehrung besonderer Länderinteressen resultierten. Um einer guten Kooperation willen zeigte sich die Regierungsmehrheit bis 1969 bei der Auslegung der Mitwirkungskompetenzen des Bundesrates relativ großzügig. Da es zudem in mehreren Fällen geboten schien, den Bund auf Kosten der Länder mit vermehrten Kompetenzen auszustatten, dies jedoch nur im Wege der Verfassungsreform bei gleichzeitiger Ausweitung der Zustimmungskompetenz des Bundesrates zu erreichen war, gewann der Bundesrat ZU'nehmend an Bedeutung. So war der Bundesrat innerhalb zweier Jahrzehnte zu einem Staatsorgan „herangereift", ohne dessen Zustimmung in weiten Gesetzgebungsbereichen nichts zu bewirken war. Das angestaute Konfliktpotential zeigte Wirkung, als im Jahre 1969 mit Antritt der sozialliberalen Koalition im Bundestag und Bundesrat unterschiedliche Mehrheiten den Weg des Kompromisses beschreiten mußten Diese Kompromißfindung mußte den Parteien schwerfallen. Bundeskanzler Willy Brandt hatte in seiner Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 die herausfordernde Parole „Wir wollen mehr Demokratie wagen" mit der Ankündigung eines großzügigen Reform-programms verbunden — und das bei einer recht dünnen und, wie sich später zeigen sollte, äußerst brüchigen Mehrheitsdecke. Die CDU/CSU war, obgleich aus den Wahlen als stärkste Partei hervorgegangen, erstmals auf die Oppositionsbank verwiesen. Machtgewohnt und ohne einen Wählerauftrag zur Oppositionsbildung erkennen zu können, war sie nicht bereit, die Oppositionsrolle ohne Drohgebärden anzunehmen. Der Hinweis darauf, man habe im Bundesrat eine Mehrheit, die man notfalls gegen die Regierungsmehrheit mobilisieren könne, steckte die kommende Kampfarena ab

Das Dilemma für die Regierungsmehrheit war klar: Wollte sie die Zustimmung der Bundesratsmehrheit gewinnen, mußte sie mehr oder weniger erhebliche Abstriche an ihren Reformvorlagen hinnehmen. Andernfalls konnte sie Kompromisse verweigern und dem Bundesrat die Schuld am Scheitern eines Reformvorhabens anlasten. Dies bedeutete allerdings zugleich ein Eingeständnis eigener Machtlosigkeit. Die sozialliberale Koalition hat beide Wege beschritten: den der kompromißbereiten Anpassung und den offener Konfrontation. Letztere Aktionen wurden mit dem Vorwurf begleitet, die CDU/CSU mißbrauche den Bundesrat für parteipolitische Zwecke und schade damit der Demokratie.

Seit 1969 gilt: Will die sozialliberale Regierungsmehrheit im Bereich zustimmungspflichtiger Gesetzgebung erfolgreich sein, ist sie an die Zustimmung der CDU/CSU-regierten Länder gebunden. Insofern besteht seit dem Ende der Großen Koalition faktisch eine Art All-parteien-Kooperation.

VI. Bundestag und Bundesverfassungsgericht

Der Bundestag ist kein souveränes Organ. Er ist an die Verfassung gebunden. Das gilt sowohl für seine Kompetenzen als auch für die Verfahren, mit denen er seine Kompetenzen wahrzunehmen hat. Bei der Gesetzgebung gibt es dabei für den Bundestag drei mögliche Konfliktzonen: 1. Kompetenzkonflikte zwischen dem Bundestag und dn Länderparlamenten, 2. Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bundestag und Bundesrat (einfache oder zustimmungspflichtige Gesetzgebung), 3. Kompetenzkonflikte zwischen Bundestags-mehrheit und Opposition (einfache und zustimmungspflichtige Gesetzgebung oder verfassungsändernde Gesetzgebung). Kommt es bei Streitigkeiten dieser Art zu keiner Verständigung, steht den streitenden Parteien der Rechtsweg übet das Verfassungsgericht offen.

Da im Falle einer abstrakten Normenkontrolle auch ein Drittel der Mitglieder des Bundestages über das Recht verfügt, das Verfassungsgericht anzurufen, kann eine entsprechend starke Opposition im Bundestag die Mehrheit daran hindern, sich zum unkontrollierbaren Verfassungsinterpreten aufzuschwingen. Bei den von der Opposition gegen die Parlamentsmehrheit eingeleiteten Verfahren geht es im wesentlichen um die Feststellung, ob ine Sachentscheidung auf dem Wege der Gesetzgebung oder nur auf dem der Verfassungsänderung getroffen werden kann. Weil im letztgenannten Fall im Bundestag und im Bundesrat mit einer Zweidrittelmehrheit der Mitglieder entschieden werden muß, heißt das im Grunde, ob eine Entscheidung ohne oder nur mit Zustimmung der Opposition gefällt werden darf. Das Normenkontrollrecht macht somit die Opposition gegenüber der Regierungsmehrheit auf bedeutsame Weise konfliktfähig.

Bei einem so gearteten Konflikt wird das Verfassungsgericht zum Schiedsrichter zwischen den Rechtsauffassungen der Mehrheit und der Opposition. Das Urteil des Verfassungsgerichts wird zur letztinstanzlichen Entscheidung, wenn die Verfassung — wie in den USA — nur unter äußerst erschwerten Bedingungen geändert werden kann. Das ist in der Bundesrepublik nicht der Fall. Hier kann ein Votum des Verfassungsgerichts auf dem Wege der Verfassungsänderung überwunden oder, bei rechtzeitiger Änderung bzw. Ergänzung der Verfassung, vermieden werden.

Das Grundgesetz ist in seiner dreißigjährigen Geschichte bereits 34mal geändert worden. Die bisher letzte Änderung erfolgte im August 1976. Während der CDU/CSU-Regierungen von 1949 bis 1966 gab es 14 Änderungen, seit Beginn der sozialliberalen Koalition im Jahre 1969 bis heute 8. Die meisten und gewichtigsten Verfassungsänderungen erfolgten zur Zeit der Großen Koalition, die nur drei Jahre dauerte, jedoch die hohe Zahl von 12 Änderungsgesetzen produzierte. In diesen Zeitraum fallen so bedeutsame Änderungen wie das 17. Ergänzungsgesetz vom 24. Juni 1968 („Notstandsverfassung"), durch das 20 Verfassungsartikel betroffen wurden, und das Finanzreformgesetz vom 12. Mai 1969.

Eine Opposition, die über die Sperrminorität verfügt, wird darüber wachen, daß eine einfache Parlamentsmehrheit nicht etwas beschließt, was nach Auffassung der Opposition einer verfassungsändernden Mehrheit bedarf. Entsprechende Verfassüngsklagen haben sowohl die SPD-Opposition bis 1966 als auch die CDU/CSU-Opposition seit 1969 eingebracht. Daß die CDU/CSU-Opposition dabei teilweise spektakuläre Erfolge gegenüber der Regierungsmehrheit erlangte, lag daran, daß diese mit ihrem Reformprogramm Verfassungsinterpretationen verband, denen sich im Gericht gelegentlich zwar Minderheiten, jedoch keine Mehrheit anschloß.

Auch in der Bundesrepublik konnte die Erfahrung gemacht werden, daß das Verfassungsgericht eine Balancefunktion wahrnimmt. In Zeiten einer stärker konservativ geprägten Politik neigt das Gericht dazu, seine Funktion als „Motor der Veränderung" zu betonen. Gibt'sich die Regierungsmehrheit hingegen besonders reformfreudig, kann dem Verfassungsgericht die Funktion zufallen, die Grenzen der bestehenden Verfassung aufzuzeigen.

VII. Drei signifikante Systemkombinationen

Die Bundesrepublik Deutschland bestand am 23. Mai 1979 dreißig Jahre. Sie hatte damit das Alter eines Menschengeschlechts erreicht. Geschichte und Wandel des Bundestages in der parlamentarischen Bundesrepublik Deutschland während dieser dreißig Jahre können unter zwei Gesichtspunkten analysiert werden: Einmal unter Beachtung allgemeiner Entwicklungslinien, die den gesamten Zeitraum als Einheit betreffen. Zum anderen durch Darstellung typischer, bestimmter Entwicklungsphasen prägender Systemkonstellationen bzw. signifikanter Systemkombinationen. Folgt man dem letztgennannten Weg, können — wie einleitend bemerkt — bei einem Rückblick auf die bisherige Bundestags-geschichte drei Phasen unterschieden werden, die jeweils eine signifikante System-kombination im Rahmen des Grundgesetzes erkennen lassen.

Die erste Phase reicht von 1949 bis 1966. Es ist die Aufbauphase, in der die Bundesrepublik mit der sozialen Marktwirtschaft die Grundlagen für das „Wirtschaftswunder" legt, Millionen von Heimatvertriebenen und Flüchtlingen in das politische System inte-griert, das Sozialnetz zu knüpfen beginnt, mit der Schaffung einer Wehrverfassung und einer demokratischen Bundeswehr den Schritt in die staatliche Unabhängigkeit unternimmt und mit der Westintegration die Einbindung in die westliche Staatengemeinschaft vollzieht.

Die zweite Phase von 1966 bis 1969 muß sich mit den Folgen einer Wirtschaftskrise und den „kulturrevolutionären" Demokratieforderungen wesentlicher Teile der im Nachkriegsdeutschland herangewachsenen Studentengeneration auseinandersetzen. Hinzu treten der weitere Ausbau des Sozialstaates und seine verfassungsrechtliche Absicherung, die Durchsetzung einer tiefgreifenden Finanzreform und einer Notstandsverfassung sowie die Vorbereitung einer neuen Ostpolitik.

Die dritte Phase seit 1969 steht innenpolitisch unter der sozialliberalen Ankündigung von „mehr Demokratie" im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich, den Herausforderungen der Energiekrise sowie der Umweltproblematik, und außenpolitisch unter neuen Akzentsetzungen in der Ostpolitik, die als Entspannungspolitik zu vertraglichen Regelungen mit Polen, der UdSSR und den vier Besatzungsmächten über den Status Berlins führen. Innenpolitisch fällt mit der Entspannungspolitik zugleich die faktische Duldung der 1956 vom Verfassungsgericht verbotenen Kommunistischen Partei — die sich nun als DKP neu konstituiert — zusammen, was insbesondere bei der Diskussion um die Frage der Einstellung von akademischen Bewerbern in den öffentlichen Dienst prinzipielle Differenzen über das demokratische Selbstverständnis der Republik ins öffentliche Bewußtsein bringt

VIII. Kanzlerdemokratie (1949— 1966)

Als Konrad Adenauer im September 1949 zum ersten Kanzler der Bundesrepublik gewählt wurde, war er bereits 73 Jahre alt. Niemand ahnte, in welchem Ausmaß er in diesem Amt während eines Zeitraumes, der der Lebensdauer der Weimarer Republik entspricht, nicht nur die Politik, sondern auch den Regierungsstil der neuen Republik prägen würde. Bald fand das Stichwort von der „Kanzlerdemokratie" für die „Ära Adenauer" als treffende Charakterisierung Anerkennung. 1963 trat Adenauer als Kanzler zurück; ihm folgte bis 1966 Ludwig Erhard (CDU). Obgleich Mitte der sechziger Jahre bei einem Vergleich des Regierungsstils von Adenauer und Erhard ein Presseorgan die Schlagzeile formulierte, der Übergang von Adenauer zu Erhard bedeute den Übergang „von der Kanzlerdemokratie zur Interviewanarchie", kann die gesamte erste Phase wegen gemeinsamer Grundmerkmale doch unter dem Schlagwort „Kanzlerdemokratie“ zusammengefaßt werden.

Die Spezifika dieser Phase lassen sich folgendermaßen skizzieren: Der Bundeskanzler und seine Regierung können sich im Bundestag auf relativ stabile Mehrheiten verlassen, deren Disziplin durch die kritische Herausforderung einer großen, sich als Regierungsalternative begreifenden Oppositionsfraktion verstärkt wird. Die Wahlerfolge verhältnismäßig schwach organisierter und über geringe Mitgliederzahlen verfügender Parteien, die die Regierungskoalition bilden und den Kanzler stellen, sind wesentlich durch die Entscheidungsfähigkeit und Popularität des Regierungschefs bestimmt. Der vom Bundestag gewählte Kanzler gewinnt dadurch eine starke ührungsstellung gegenüber der Mehrheit des Bundestages. Der Bundeskanzler, die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen der Bundestagsmehrheit bilden eine hochgradig geschlossene politische Aktionseinheit. Zusammen bilden sie die Regierungsmehrheit. Damit wird im Bundestag die Konfrontation von Regierungsmehrheit und Opposition betont. Dem müßte eine Chancengleichheit der Opposition im Diskussionsprozeß, der die parlamentarische Arbeit begleitet, entsprechen. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr wird die rechtliche Gewaltenteilung von Parlament und Regierung mit allen Konsequenzen voll ausgeschöpft. Formell findet das seinen Ausdruck u. a. darin, daß im Bundestag nach einer Regierungsstellungnahme zunächst ein Sprecher der stärksten Fraktion das Wort ergreift, also ein Vertreter der den Kanzler stellenden Partei. Die Opposition wird zwar als legitime politische Kraft anerkannt, aber doch vornehmlich als eine im Wahlkampf unterlegene Minderheit des Parlaments, als Neinsagergruppe behandelt und abqualifiziert. Die dominante Stellung des Kanzlers innerhalb der Regierungsmehrheit und damit im parlamentarischen System wird durch das föderative System kaum ernsthaft relativiert. Die im Bundestag miteinander koalierenden Parteien stellen auch im Bundesrat die Mehrheit. Demnach werden die auf Bundesebene für einfache und zustimmungspflichtige Gesetze entscheidungsrelevanten Mehrheiten von der gleichen Parteienkoalition gebildet. Kontroversen zwischen der Bundestags-und Bundesratsmehrheit resultieren daher weniger aus programmatischen, als vielmehr aus unterschiedlichen Landesinteressen.

Im Bundestag steht zudem einer mehr konservativ-liberalen Mehrheit eine betont reformerische Opposition gegenüber, nach deren Verständnis Gesetzesvorhaben der Regierungs-mehrheit unter reformerischen Gesichtspunkten eher zu kurz als zu weit greifen. Bei einer derartigen politischen Konstellation ist die Versuchung für die Mehrheit, in reformerischem Eifer die Verfassungsgrenzen zu überziehen und die Opposition aus diesen Gründen auf den Weg zum Verfassungsgericht zu verweisen, relativ gering.

Die Phase der Kanzlerdemokratie bezeichnet demnach eine signifikante Systemkombination, derzufolge — der Bundeskanzler mit seinem Kabinett im Rahmen der Regierungsmehrheit nicht nur normativ, sondern auch faktisch die Richtlinien der Politik bestimmt; — die Regierung im Bundestag über eine sichere Mehrheit verfügt, die durch eine relativ starke Opposition herausgefordert wird; — die Regierung gegenüber der Opposition im parlamentarischen Arbeits-und Diskussionsprozeß die Vorteile der rechtlichen Gewaltenteilung voll ausschöpft;

— die Mehrheit im Bundesrat mit den Fraktionen der Regierungskoalition politisch-programmatisch übereinstimmt;

— die Regierungsmehrheit der Opposition kaum Anlaß bietet, das Bundesverfassungsgericht zur Begrenzung eines mehrheitlichen Reformeifers, der sich mit einem Auftrag der Wähler zu rechtfertigen versucht, anzurufen.

IX. Große Koalition (1966-1969)

Die Große Koalition wurde nicht unmittelbar nach einer Bundestagswahl gebildet Sie kam nach dem Scheitern des zweiten Kabinetts Erhard (CDU) zustande, als die FDP aus der Regierungskoalition ausschied. Der Bundestag wählte den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kurt Georg Kiesinger (CDU) zum neuen Bundeskanzler. Der neuen Regierungskoalition, bestehend aus CDU/CSU und SPD, gehörten 468 Abgeordnete an. Die FDP stellte mit 50 Abgeordneten die Opposition. Faktisch war damit die politische Gewaltenteilung zwischen Regierungsmehrheit und Opposition aufgehoben. Der überwältigenden Mehrheit stand eine Opposition gegenüber, die nicht in der Lage war, ein hinreichend starkes politisches Gegengewicht zu bilden. Die Spielregeln eines parlamentarischen Regierungssystems treten zugunsten einer stärkeren Betonung der rechtlichen Gewaltenteilung zwischen Bundestag und Bundesregierung zurück.

Die Bildung der Großen Opposition stellte eine das parlamentarische System belastende Herausforderung dar Sie wurde mit krisenhaften Problemstellungen legitimiert, die auf andere Weise keiner angemessenen Lösung zuzuführen seien. So galt es zunächst vor allem jene Verfassungsänderungen durchzuführen, die nur von den Großparteien CDU/CSU und SPD gemeinsam politisch beantwortet werden könnten. Dazu zählten insbesondere die Notstandsverfassung und die Finanz-reform. Die hierzu und für die allgemeine Gesetzgebung erforderlichen Kompromißlinien wurden weniger vom Bundeskanzler und in der Bundesregierung, als vielmehr im Bundestag von den Fraktionen der CDU/CSU unter Vorsitz von Rainer Barzel und der SPD unter Vorsitz von Helmut Schmidt bei engster Kooperation der beiden Fraktionsvorsitzenden erarbeitet und in den Grundlinien beschlossen. Aufgrund der überwältigenden Parlamentsmehrheit konnte bei der einfachen Gesetzgebung hingenommen werden, daß in Fragen der Fraktionsdisziplin großzügig verfahren wurde. Im Bewußtsein der Tatsache, daß angesichts der gegebenen Parteienkonstellation eine Große Koalition grundsätzlich nur als Not-und Übergangslösung akzeptiert werden kann, galt es für die Zukunft vorzusorgen. Da es ungewiß blieb, welche Partei nach der nächsten Bundestagswahl die Oppositionsrolle übernehmen würde, wuchs die Bereitschaft zu einer umfassenderen Geschäftsordnungsreform, mit der auch die Position der Opposition gestärkt werden sollte. Das Ergebnis bildete die „kleine Parlamentsreform" vom Sommer 1969, die eine Reihe bedeutsamer Änderungen herbeiführte Neben einer Vielzahl von Verfahrensverbesserungen zielte die Reform vor allem in vier Richtungen: 1. Straffung und Verlebendigung der Debatten im Plenum mit der Aussicht, einen dialogischen Stil zwischen Regierungsmehrheit und Opposition zu fördern. 2. Erweiterung und Neuregelung der Kompetenzen und Arbeitsweisen der Ausschüsse, die nun u. a. ein Selbstbefassungsrecht für Fragen aus ihrem Geschäftsbereich und damit eine erhöhte Kontrollbefugnis erhalten. Gleichzeitig kann der Bundestag hinfort Enquete-Kommissionen einsetzen, die aus Mitgliedern des Bundestages und hinzugewählten Experten bestehen und der Entscheidungshilfe bei der Erarbeitung „umfangreicher und bedeutsamer Sachkomplexe” dienen sollen. 3. Genereller Ausbau der parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit, angefangen von dem Recht, öffentliche Ausschußsitzungen abzuhalten, dem weiteren Ausbau öffentlicher Informationssitzungen im Rahmen der Ausschußarbeit (Hearings), bis hin zur Errichtung eines finanziell gut ausgestatteten „Presse-und Informationszentrums des Deutschen Bundestages". 4. Eine sehr erhebliche Erweiterung des verwaltungsmäßigen und wissenschaftlichen Hilfsdienstes des Bundestages, der Ausschüsse, der Fraktionen und für jeden einzelnen Abgeordneten.

All diese Parlamentsreformen sind mit einer Verstärkung der parlamentarischen Minderheitsrechte verbunden. Sie sind das Produkt einer zu Verfahrensreformen bereiten Großen Koalition. Sie sollte allerdings erst in der nächsten Legislaturperiode voll zum Tragen kommen.

Der breiten Regierungskoalition im Bundestag entsprach die parteipolitische Überein-stimmung im Bundesrat. Die erforderlichen Kompromisse mußten im Rahmen der Parteien der Regierungskoalition gefunden werden. Die Opposition spielte hierbei keine relevanten Rolle. Sie war darüber hinaus nicht einmal stark genug, das Bundesverfassungsgericht anzurufen.

Die Phase der Großen Koalition ist demnach durch eine signifikante Systemkombination gekennzeichnet, derzufolge — der Bundeskanzler und sein Kabinett mit einem relativ eigenständigen Bundestag kooperieren müssen, in dem die Fraktionsvorsitzenden der beiden Koalitionspartner den Kompromißrahmen abstecken, den der Kanzler zu berücksichtigen hat;

— der Regierungsmehrheit, die über ein verfassungsänderndes Quorum verfügt, eine äußerst schwache Opposition gegenübersteht;

— eine entsprechend breite Mehrheit im Bundesrat sich in grundsätzlicher Überein-stimmung mit der Politik der Regierungsmehrheit befindet, da beide Mehrheiten von den gleichen Parteien getragen werden;

— die Opposition nicht das erforderliche Quorum aufweist, um das Verfassungsgericht anrufen zu können;

— oppositionelle Kräfte, die sich weder über den Bundestag noch den Bundesrat oder das Bundesverfassungsgericht Gehör und Beachtung verschaffen können, den Weg außerparlamentartischer Opposition beschreiten.

X. Konträre Mehrheiten (1969 bis zur Gegenwart)

Obgleich die CDU/CSU nach den Wahlen vom Jahre 1969 erneut die stärkste Fraktion im Bundestag stellte, gingen die SPD und die PDP unter der Kanzlerschaft von Willy Brandt eine Koalition ein 22). Die parlamentarische Mehrheit der ersten Koalitionsregierung mit einem sozialdemokratischen Bundes-kanzler war äußerst gering. Sie legte sich das Etikett „sozialliberale Koalition" zu. Mit der Kanzlerschaft eines Sozialdemokraten war der erste grundlegende Regierungswechsel in der Geschichte der Bundesrepublik vollzogen

Auf Grund der knappen Mehrheitskonstellation und des nach Meinung der CDU/CSU die Bildung einer sozialliberalen Koalition keineswegs eindeutig legitimierenden Wahlergebnisses war die christdemokratische Fraktion nicht ohne weiteres bereit, die Rolle der Opposition zu übernehmen. Sie ging davon aus, daß die neue Koalition bald in derartige Schwierigkeiten geraten würde, daß mit einem baldigen Regierungswechsel gerechnet werden könne. Entsprechend war der oppositionelle Konfrontationskurs.

Tatsächlich zeigte sich die Regierung nach dem Fraktionswechsel einiger Mitglieder der sozialliberalen Koalition so sehr angeschlagen, daß der Fraktionsvorsitzende und designierte Kanzlerkandidat der CDU/CSU, Rainer Barzel, das Risiko einging, den Versuch zu unternehmen, die Regierung durch ein Konstruktives Mißtrauensvotum zu stürzen Der Versuch scheiterte und führte zur Arbeitsunfähigkeit des Bundestages.

Am 28. April 1972 stellte der Bundeskanzler die Vertrauensfrage mit dem Ziel der (Selbst) auflösung des Bundestages — die auch prompt erfolgte, indem die Mitglieder der Regierungsparteien bei der Abstimmung im Bundestag Stimmenthaltung übten, dem Bundeskanzler das Vertrauen damit nicht erteilt wurde und der Bundespräsident anschließend gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 GG den Bundestag auflöste Willy Brandt rechnete damit, beim kommenden Wahlgang eine klare Mehrheit für die sozialliberale Koalition zu gewinnen. Das gelang auch. Bei der Neuwahl am 19. November 1972 wurde die SPD erstmals die stärkste Fraktion im Bundestag — eine Position, die sie allerdings bei den nächsten Bundestagswahlen im Jahre 1976 wieder verlor.

Die Parteien der sozialliberalen Koalition hatten zwar im Bundestag, nicht jedoch im Bundesrat eine Mehrheit gewonnen. Die CDU und die CSU konnten in den kommenden Landtagswahlen ihre Mehrheit und das Gewicht ihrer Stimmen im Bundesrat sogar noch ausbauen. Damit war erstmals die Konstellation „konträrer Mehrheiten", d. h. unterschiedlicher parteipolitischer Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat gegeben. Die im Bundestag die Opposition bildenden Parteien machten der sozialliberalen Koalition deutlich, daß die Bundestagsmehrheit nur auf dem Wege erheblicher Kompromißbereitschaft mit einer kooperativen Mehrheit im Bundesrat rechnen könne und daß im Falle einer allzu großzügigen Interpretation der Verfassung die Klage vor dem Verfassungsgericht von der Opposition nicht gescheut würde.

Die ersten zehn Jahre ‘sozialliberaler Koalition fallen demnach mit einer signifikanten Systemkombination zusammen, deren primäres Merkmal die Konstellation konträrer Mehrheiten ist — was mehr oder weniger enge Formen der Kooperation im Gesetzgebungsprozeß keineswegs ausschließt, ja geradezu erforderlich macht. Im Gegensatz zu den Systemkombinationen „Kanzlerdemokratie" und „Große Koalition" kann die seit 1969 gegebene folglich mit dem Stichwort „konträre Mehrheiten" bezeichnet werden.

Der Handlungsspielaum der sozialliberalen Regierungsmehrheit war durch diese Konstellation der konträren Mehrheiten in mehrfacher Hinsicht besonders eingeengt. Obgleich die Regierungsmehrheit ebenso wie ihre Vorgänger bestrebt war, zu ihren Gunsten die Vorteile der rechtlichen Gewaltenteilung auszuschöpfen, kamen der neuen Opposition nun die Ergebnisse der „kleinen Parlamentsreform" zugute. Die politische Gewaltenteilung zwischen Regierungsmehrheit und Opposition konnte damit deutlicher als bisher zur Geltung gebracht werden. Die sozialliberale Koalition verfügte nur bei der einfachen Gesetzgebung über eine zureichende Mehrheit, nicht hingegen bei zustimmungspflichtigen Gesetzen, von verfassungsändernden Mehrheiten ganz zu schweigen. Die neue Regierungsmehrheit war demzufolge zu weitreichenden Kompromissen genötigt. War sie hierzu nicht bereit, geriet sie in Schwierigkeiten, oft genug auch bei Oppositionsklagen vor dem Bundesverfassungsgericht Das besondere Dilemma der Regierunsmehrheit lag zusätzlich darin, daß ausgerechnet eine Koalition, die vor den Wähler mit besonders weitreichenden Reformversprechungen getreten war, wegen der Mehrheitskonstellationen extreme Kompromißbereitschaft praktizieren mußte. Das mobilisierte nicht nur im Lande in Form von Bürgerinitiativen alternative Handlungsstrategien, sondern auch den Widerstand innerfraktioneller Gruppen, die den Versuch unternahmen, die Kompromisse in Fragen, die ihrer Meinung nach von essentieller Bedeutung sind, auf ein Minimum zu reduzieren.

Die Phase der sozialliberalen Koalition von 1969 bis 1979 fällt demnach mit einer signifikanten Systemkombination zusammen, die mit der Bezeichnung „konträre Mehrheiten" versehen werden kann. Als deren Charakteristika sind zu nennen: — eine im allgemeinen arbeitsfähige Regierungsmehrheit, der eine starke, den Konfrontationskurs nicht vermeidende Opposition gegenübersteht; — ein Bundeskanzler, der im Rahmen der politischen Gewaltenteilung eindeutig die Führung der Regierungsmehrheit in der Auseinandersetzung mit der Opposition wahrnimmt; — eine Regierungsmehrheit, die sich im Bundesrat mit einer konträren Mehrheit auseinandersetzen muß, welche in politisch-programmatischen Fragen weit eher mit der parlamentarischen Opposition als mit der Bundestags-mehrheit konform geht;

— eine Opposition, die notfalls auch bereit ist, ihre Interessen durch Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht wahrzunehmen;

— ein Bundesverfassungsgericht, das bereit ist, den Reformeifer der Regierungsmehrheit durch den Verweis auf Grenzen der Verfassung, die ohne ausdrückliche Änderung der Verfassung nicht überschritten werden dürfen, zu bremsen;

— eine außerparlamentarische Opposition in Form von Bürgerinitiativen und eine innerfraktionelle Opposition im Regierungslager in den Fällen, in denen von ihr eine Kompromißbereitschaft aus prinzipiellen Gründen verweigert wird.

XL Zusammenfassung

Für die ersten drei Jahrzehnte Deutscher Bundestag kann zusammenfassend festgestellt werden: In der bisherigen Geschichte des Bundestages können drei Phasen unterschieden werden, die jeweils durch eine signifikante Kombination der vier Systeme: rechtliche Gewaltenteilungssystem, parlamentarisches System, föderatives System und Verfassungssystem charakterisiert sind. Die Stellung und Wirksamkeit des Bundestages, insbesondere die Handlungsfähigkeit der in ihm tätigen und durch ihn Einfluß ausübenden politischen Gruppierungen — Mehrheit und Opposition — werden entscheidend durch die je spezifische Konstellation dieser Systemkombination bestimmt. Jede der drei genannten Systemkombinationen — für die die Bezeichnungen Kanzlerdemokratie, Große Koalition und konträre Mehrheiten gewählt wurden — bildet sowohl in verfassungsrechtlicher als auch verfassungspolitischer Hinsicht zulässige Möglichkeiten innerhalb der Rahmenbedingungen, die das Grundgesetz vorsieht. Sie sind zugleich Ausdruck einer erheblichen Systemflexibilität. Neben einer Wiederholung sind neue und weitere Systemkombinationen möglich.

Der Bundestag und die in ihm tätigen Personen und Fraktionen haben sich den Bedingungen der drei genannten Entwicklungsphasen jeweils angepaßt. Das hatte zugleich Konsequenzen für die interne Organisation und die Arbeitsweise des Parlaments und seiner Fraktionen. Insgesamt hat sich der Bundestag dabei als eine flexible Großorganisation erwiesen, was allerdings relativ wenig über seine künftige Arbeits-und Funktionsfähigkeit aussagt Innerhalb des Bundestages sind in entscheidendem kollektiven Verantwortlichkeit seiner Partei Maße Macht und Arbeit des Parlaments und vor allem seiner Fraktion in Widerspruch vom Plenum in die Ausschüsse verlegt gerät Im Bundestag haben die Abgeordneten Das führte u. a. zu einem erheblichen bei aller innerfraktionellen Pluralität des Ausschußdienstes und zu einer in der Regel ein so hohes Maß an Fraktionsdisziplin der Ausschußkompetenzen. Trotz gezeigt, daß der Bundestag heute der Ausdifferenzierung des Bundestages in als ein Fraktionen-Parlament charakterisiert ein komplexes Ausschußsystem und den damit kann Bei den Parteien und Fraktionen verbundenen erheblichen Kooperationsproblemen liegt die Verantwortung dafür, daß der haben die Fraktionen unter Beweis als demokratisch legitimiertes staatliches gestellt, im parlamentarischen Arbeitsprozeß Zentralorgan stets in enger Verbindung eine koordinierte Lenkungsfunktion und Kontaktnahme mit den Bürgern bleibt. auszuüben. Zwei Entwicklungslinien sind Die unbefriedigende Wahrnehmung seiner hierfür kennzeichnend: zum einen die für die Offentlichkeitsfunktion macht allerdings auch deutsche Parlamentsgeschichte einmalige, in nach dreißig Jahren weiterhin das größte Leistungsdefizit Bedeutung kaum zu überschätzende Reduktion des Bundestages aus

der Fraktionen auf zwei Großfraktionen und nur eine kleinere, sowie zum anderen in allen Fraktionen der Ausbau eines komplexen innerfraktionellen Arbeitsgruppen-, Gremien-, Kommunikations-, Informations-und Kontrollsystems, mit dem die Verbindung zwischen der Fraktionsführung, der Fraktionsmehrheit und den parlamentarischen Fachausschüssen sichergestellt wird.

In einem parlamentarischen System müssen die Parteien und Fraktionen zu kollektiver Verantwortlichkeit fähig sein. Dem dient die Partei-und Fraktionsdisziplin. Der einzelne Abgeordnete hat zu entscheiden, wann und unter welchen Bedingungen seine individuelle Verantwortlichkeit als Abgeordneter mit

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Aufsatz ist die erweiterte deutsche Fassung eines Beitrages, den der Verfasser auf einer amerikanisch-britisch-deutschen Konferenz zum Thema „The Role of the Legislature in Western Democracies", die vom 8. bis 10. Juni 1979 im Selsdon Park Hotel in Surrey (Südengland) stattfand, vorgetragen hat.

  2. Einen Überblick bietet Gerhard Loewenberg, Parlamentarismus im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Tübingen 1969, Kapitel II: Tradition und Wandel, S. 25— 65. Siehe auch die Beiträge von Walter Tormin in dem Monumentalwerk von Max Schwarz: MdR — Biographisches Handbuch der deutschen Reichstage, Hannover 1965.

  3. Dazu Theodor Eschenburg, Bundesrat — Reichsrat — Bundesrat: Verfassungsvorstellungen und Verfassungswirklichkeit, in: Der Bundesrat als Verfassungsorgan und politische Kraft, vom Bundesrat herausgegeben zu seinem 25jährigen Bestehen, Bad Honnef/Darmstadt 1974, S. 35— 62.

  4. Siehe hierzu die Analysen und tabellarischen Übersichten von Edzard Schmidt-Jortzig, Die Parlamentszugehörigkeit der Weimarer Reichsminister, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen (ZParl), 1972, Heft 3, S. 343— 346, und: Die Bundestagszugehörigkeit der Bonner Minister, in: ZParl, 1974, Heft 3, S. 313— 315.

  5. Hinweise bei Peter Schindler, Zum Streit um die gerechte Redezeitverteilung, in: ZParl, 1971, Heft 33, S. 253— 258. — Der Verfasser hatte bereits vor mehr als einem Jahr beim Bundestagspräsidenten angeregt, in gleicher Weise wie bei den Protokollen des Britischen Unterhauses in den wörtlichen Protokollen des Bundestages die jeweilige Uhrzeit des Beginns und Endes einer Rede im Plenum zu vermerken. So würden sich für jeden Bürger klare Übersichten über die tatsächliche Zeitverteilung im Parlament ergeben. Die Frage wird offenkundig immer noch überprüft. Zwischenzeitlich werden die Zeiten weiterhin nichtöffentlich festgehalten und nicht publiziert. Geheim-Sache des Parlaments? —

  6. Einen erschöpfenden Überblick über die soge-nannten „absoluten Minderheitenrechte’ im Bundestag (Stand 1975) gibt Hans-Josef Vonderbeck, Die Minderheitenrechte im Deutschen Bundestag, in: ZParl, 1975, Heft 2, S. 150— 153.

  7. SRP-Urteil vom 23. Oktober 1952, BVerfGE, Bd. 2, S. 12 f.

  8. Siehe hierzu die Arbeiten von Hans Tross-mann, Parlamentsrechte und Praxis des Deutschen Bundestages — Kommentar in alphabetischer Ordnung ..., Bonn 1967; ders., Der Deutsche Bundestag — Vorgeschichte und Leistungen, Organisation und Arbeitsweise, Darmstadt 1971; ders., Parlamentsrecht des Deutschen Bundestages — Kom mentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages unter Berücksichtigung des Verfassungsrechts, München 1977.

  9. Näheres hierzu und zum folgenden bei Winfried Steffani, Parlamentarische und präsidentielle Demokratie — Strukturelle Aspekte westlicher Demokratien, Opladen 1979, bes. S. 37 ff. und 87 ff.

  10. Die in jüngster Zeit besonders heftig aufgebrochene Kontroverse um die Nominierung eines Kanzlerkandidaten — die die CDU/CSU seit ihrer Oppositionszeit kontinuierlich plagt — zeigt, wie empfindsam" und anfällig dieses wundersame Parteiengebilde CDU/CSU immer noch ist: eine Union aus zwei Regionalparteien, von denen die eine (CDU) aus elf Landesverbänden besteht (unter ihnen setzt sich der Gebietsverband Niedersachsen aus den drei Landesverbänden Hannover, Braunschweig und Oldenburg zusammen, so daß insgesamt 13 Landesverbände bestehen), die eine erhebliche Eigenständigkeit gegenüber der Bundesleitung besitzen und bedeutsame Koordinationsprobleme aufwerfen, während die andere Partei (CSU) mit einem Landesverband bzw. Bundesland zusammenfällt, bei den Wahlen von dieser landsmannschaftlich-freistaatlichen Beschränkung kräftig profitiert und das auf diese Weise gewonnene Gewicht auf Bundesebene gegenüber der „Schwesterpartei" maximal zur Geltung zu bringen versucht — und dies auch recht gut versteht. Während die Regionalparteien CDU und CSU auf Bundesebene lediglich in einer gemeinsamen Fraktion im Bundestag eine Bundesorganisation bilden, werden auf Parteiebene von der CSU (Mitgliederzahl Dezember 1978: 166 000) gegenüber der CDU (Mitgliederzahl Dezember 1978: 675 286) halbparitätische Kooperationsansprüche erhoben., Auf diese Weise werden von der CSU die Vorteile einer eigenständigen Partei und einer Landesgruppe je nach Lage abwechselnd und einander im Resultat potenzierend eingefordert: „Halbparität" und „Anspruch als gleichberechtigte Landes-gruppe auf den gemeinsamen Kanzlerkandidaten" sind die Stichworte für diese Doppelstrategie. Die Union muß mit diesen Problemen unter Beachtung der demokratischen Grundsätze, die auch bei der innerparteilichen Aufstellung eines Kanzlerkandidaten nicht völlig außer Acht gelassen werden dürfen, fertig werden, denn ein Zerfall dieses Unions-Gebildes muß für die Entwicklung des Parteiensystems der Bundesrepublik unkalkulierbare Folgen haben.

  11. Zum Wandel der Wähler-und Mitgliedsstruktur der beiden „Großparteien" siehe jetzt die aufschlußreiche Studie von Peter Gluchowski und Hans-Joachim Veen, Nivellierungstendenzen in den Wähler-und Mitgliedschaften von CDU/CSU und SPD von 1959 bis zum Ende der 70er Jahre, in: ZParl, 1979, Heft 3.

  12. Siehe hierzu Uwe Thaysen, Parlamentarisches Regierungssystem in der Bundesrepublik Deutschland. Daten — Fakten — Urteile im Grundriß, Opladen 1976 2, S. 17— 22.

  13. Zur Rolle der Opposition in einer parlamentarischen Demokratie und insbesondere der Bundesrepublik siehe Steffani, a. a. O„ S. 207— 262.

  14. Vgl.den aufschlußreichen Beitrag des Leiters des Sekretariats des Innenausschusses des Bundestages, Carl Ludwig Sträter, Arbeitsgruppen des Innenausschusses des Deutschen Bundestages — Ein Beitrag zur parlamentarischen Praxis, in: ZParl, 1977, Heft 1, S. 27— 36.

  15. Dazu die Berichte von Hans Apel (SPD), Die Willensbildung in den Bundestagsfraktionen — Die Rolle der Arbeitsgruppen und Arbeitskreise, sowie von Wolfgang F. Dexheimer und Max Hart-mann, Zur Geschichte und Struktur der Arbeitskreise und -gruppen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, beide in: ZParl, 1970, Heft 2, S. 223— 229 und 232— 236, sowie Wolfgang F. Dexheimer, Die CSU-Landesgruppe. Ihre organisatorische Stellung in der CDU/CSU-Fraktion, in: ZParl, 1972, Heft 3, S. 307— 313.

  16. Eingehend hierzu Friedrich Karl Fromme, Gesetzgebung im Widerstreit — Wer beherrscht den Bundesrat? Die Kontroverse 1969— 1976, Bonn, Dezember 1976.

  17. Vgl. Steffani, a. a. O„ S. 250 ff.

  18. Zu dieser Problematik bietet unter der Über-schrift „Freiheitliche Bekämpfung von Extremisten“ einen sehr guten Überblick Uwe Thaysen in seiner materialreichen Abhandlung „Grenzlinien der Regierbarkeit 1974— 1979. Fragen zum 30jährigen Bestehen der Bundesrepublik Deutschland“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 20/79, S. 25 bis 52, bes. 44 ff.

  19. Uber die Regierungsbildung unmittelbar nach Bundestagswahlen in den sechziger Jahren informiert Wolfgang F. Dexheimer, Koalitionsverhandlungen in Bonn 1961 — 1965 — 1969, Bonn 1973. Zur Bildung der Großen Koalition siehe Heribert Knorr, Der parlamentarische Entscheidungsprozeß während der Großen Koalition 1966 bis 1969, Meisenheim am Glan 1975, bes. S. 49 ff. Zum ganzen auch Klaus Günther, Der Kanzlerwechsel in der Bundesrepublik, Adenauer — Erhard — Kiesinger, Hannover 1970.

  20. Aus der reichhaltigen Literatur zur Großen Koalition seien hier drei engagierte zeitgenössische Schriften genannt, von denen die erste für die Bildung der Großen Koalition plädiert, die zweite in der Wahlreform einen Ausweg aus dem „Elend der Großen Koalition" sieht und die dritte zu einer nüchternen Analyse des „Trauma der Jahre", das zur „Tragödie des Jahrhunderts" für die SPD zu werden drohe, aufruft: Günter Gaus, Bonn ohne Regierung? Kanzlerregiment und Opposition, München 1965; Wilhelm Hennis, Große Koalition ohne Ende? Die Zukunft des parlamentarischen Regierungssystems und die Hinauszögerung der Wahlrechtsreform, München 1968; Franz Schneider, Die Große Koalition — Zum Erfolg verurteilt?, Mainz 1968.

  21. Das Standardwerk zu diesem Komplex: Uwe Thaysen, Parlamentsreform in Theorie und Praxis䕩湥⁥浰楲楳捨攠䅮慬祳攠摥爠偡牬慭敮瑳牥景牭⁩洠㔮⁄敵瑳捨敮⁂畮摥獴慧Ⱐ佰污摥渠ㄹ㜲⸠ഊഊ㈲⤠婵爠䉩汤畮朠摥爠敲獴敮⁳潺楡汬楢敲慬敮⁋潡汩瑩潮⁳楥桥⁤敮⁩湴敲敳獡湴敮⁂敩瑲慧⁶潮⁋污畳⁂潨湳慣欬⁂楬摵湧⁶潮⁒敧楥牵湧獫潡汩瑩潮敮Ⱐ摡牧敳瑥汬琠慭⁂敩獰楥氠摥爠䭯慬楴楯湳敮瑳捨敩摵湧⁤敲⁆⸠䐮⁐⸠癯渠ㄹ㘹Ⱐ楮㨠婐慲氬‱㤷㘬⁈敦琠㌬⁓⸠㐰ぼ— 425.

  22. Dazu Klaus Günther, Regierungsvechsel auf Raten — Zum Problem des partiellen Regierungswechsels und seiner Kontrollwirkungen, in: Winfried Steffani (Hrsg.), Parlamentarismus ohne Transparenz, Opladen 1973 2, S. 105—-123.

  23. Zu den Fraktionswechslern im 6. Bundestag eingehend Martin Müller, Fraktionswechsel im Parteienstaat — Parlamentsreform und politische Kultur in der BRD, Opladen 1974.

  24. Dazu Martin Müller, Das konstruktive Mißtrauensvotum. Chronik und Anmerkungen zum ersten Anwendungsfall nach Art. 67 GG, in: ZParl, 1972, Heft 3, S. 275— 291.

  25. Vgl. hierzu die minutiöse Dokumentation von Rolf Lange und Gerhard Richter, Erste vorzeitige Auflösung des Bundestages. Stationen vom konstruktiven Mißtrauensvotum bis zur Vereidigung der zweiten Regierung Brandt/Scheel, in: ZParl, 1973, Heft 1, S. 38— 75.

  26. Zu den Landtagswahlen und ihren Ergebnissen siehe die Dokumentationen und Analysen zum Thema „Zwischen den Bundestagswahlen 1972 und 1976", in: ZParl, 1975, Heft 4, S. 391— 526.

  27. Dazu Steffani, a. a. O„ S. 252 ff. und 298 ff.

  28. Zahlreiche und verschiedenartige Daten zur Entwicklung und zum Ausmaß der parlamentarischen Arbeit des Bundestages enthält die Dokumentation und Kurzanalyse von Peter Schindler, Parlamentsstatistik für die 1. bis 7. Wahlperiode (1949- 1976), in: ZParl, 1977, Heft 2, S. 143- 158.

  29. Einige der hiermit angesprochenen Aspekte behandelt der Sammelband von Bernd Guggenberger u. a. (Hrsg.), Parteienstaat und Abgeordneten-freiheit — Zur Diskussion um das freie Mandat, München 1976.

  30. Zur Rolle der Fraktionen und zum „Fraktionen-Parlament" siehe Uwe Thaysen, Parlamentarisches Regierungssystem in der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1976, S. 69— 81: „Der Bundestag — ein Fraktionenparlament?" Siehe auch Manfred Konukiewitz und Hellmut Wollmann, Fraktion, in: Kurt Sontheimer und Hans H. Röhring (Hrsg.), Handbuch des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, München 1977, S. 202— 210 (mit Literaturhinweisen), sowie zu neueren Problemen des Fraktionsstatus und der Wahlgleichheit die Beiträge von Hans F. Lisken und Heinrich Rühle in: ZParl, 1978, Heft 3, S. 320 f. und 405 ff., mit weiteren Literaturhinweisen.

  31. Dazu Steffani, a. a. O., S. 175 ff. Zum ganzen: Leo Kißler, Die Offentlichkeitsfunktion des Deutschen Bundestages. Theorie — Empirie — Reform, Berlin 1976, und Heinrich Oberreuter, Kann der Parlamentarismus überleben?, Zürich 1977, dort bes. die Abschnitte „Legitimation durch Kommunikation: Die Aufgabe des Parlaments", S. 44 ff., und „Gefährdete Kommunikation", S. 67 ff.

Weitere Inhalte

Winfried Steffani, Dipl. -Pol., Dr. phil., Professor für Politologie an der Universität Hamburg, geb. 1927 in Znin (Polen); 1952— 1958 Studium der Politologie, Geschichte und des öffentlichen Rechts in Berlin; 1956 Diplom, 1958 Promotion, 1967 Habilitation; 1962— 1964 Studienaufenthalt in den USA; 1967 Berufung an die Universität Hamburg als ord. Professor für Politologie; 1972— 1974 Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft; Mitbegründer und seit 1970 stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen und Beauftragter des Vorstandes für die Zeitschrift für Parlamentsfragen. Veröffentlichungen u. a.: Die Untersuchungsausschüsse des Preußischen Landtages zur Zeit der Weimarer Republik, Düsseldorf 1960; (Hrsg.) Parlamentarismus ohne Transparenz, Opladen 1973; Parlamentarische und präsidentielle Demokratie, Opladen 1979; Pluralistische Demokratie, Opladen 1979.