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Die Diskriminierung von Frauen in der Werbung | APuZ 32-33/1979 | bpb.de

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APuZ 32-33/1979 Dreißig Jahre Deutscher Bundestag Der Deutsche Presserat -überflüssig? Die Diskriminierung von Frauen in der Werbung Gleichberechtigung am Arbeitsplatz Artikel 1

Die Diskriminierung von Frauen in der Werbung

Anke Martiny

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

An der Werbung scheiden sich in den westlichen Industrienationen die Geister. Die einen verteidigen sie als Grundrecht im Rahmen des Artikels 5 Grundgesetz, die anderen verdammen sie als verlängerten Arm der Wirtschaft, an deren Absatzstrategien sie kein gutes Haar lassen. Werbung ist Kommunikation und Information; aber wie diese Begriffe ausgefüllt werden, fordert häufig scharfe Diskussionen heraus. Von manchen Gruppen in der Gesellschaft wird die Darstellung von Frauen in der Werbung besonders kritisch bemerkt. Sie muß sich messen lassen an drei Grundgesetz-artikeln: Artikel 1, Artikel 5 Abs. 2 und Artikel 3. Die die Werbung betreffenden Gesetze stellen eindeutige Zusammenhänge zu diesen drei Grundgesetzartikeln nicht ausdrücklich her, und auch die Rechtsprechung ist in dieser Hinsicht noch nicht sehr weit entwickelt; um so mehr lohnt es sich, der Frage nachzugehen, ob die werbliche Darstellung von Frauen den Ansprüchen der Verfassung gerecht wird. Darstellungen von Frauen in der Werbung sind nicht nur aus dem Blickwinkel der Verletzung der Menschenwürde kritisch zu sehen, sondern auch unter dem Gleichberechtigungsgesichtspunkt. Der Gesetzgeber ist auf vielfältige Weise bemüht, und maßgebende gesellschaftliche Gruppierungen unterstützen ihn dabei, die Benachteiligungen von Frauen und Mädchen in der Gesellschaft zu beseitigen. Zur Stabilisierung von Rollen-bildern, die der faktischen gesellschaftlichen Gleichberechtigung von Frauen entgegenstehen, trägt jedoch immer wieder die Werbung bei. Unveränderliche und allgemeingültige Kriterien dafür festzulegen, wann in der Werbung Geschlechterdiskriminierung waltet und wann nicht, ist schwierig. Kosmetikwerbung, Lebensmittel-und Zigarettenwerbung, für die bestimmte einschränkende gesetzliche Bestimmungen formuliert wurden, zeigen außerdem, daß an den Randzonen gesetzlicher Bestimmungen die unerfreulichen Werbetexte sich nur um so üppiger ausbreiten. Deshalb wäre einer nichtgesetzlichen Regelung der Vorrang einzuräumen. Die Werbe-wirtschaft sollte selbst — unter Beteiligung anderer Kräfte der Gesellschaft — Verhaltensregeln entwickeln und diese auch kontrollieren, um die Diskriminierung von Frauen in der Werbung zu verhindern. Eine aktive Mitgestaltung durch jene beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit neugeschaffene Stelle, die die Gleichstellung von Frauen in unserer Gesellschaft zum Ziel hat, wäre dabei wünschenswert. Im Zusammenhang mit den anzustrebenden Verhaltensregeln der WerbeWirtschaft sollte auch eine Beschwerdestelle geschaffen werden.

An der Werbung scheiden sich in den westlichen Industrienationen, besonders seit der Studentenrevolte Ende der 60er Jahre, die Geister. Die einen verteidigen sie als Grundrecht im Range unseres Artikels 5 Grundgesetz, die anderen verdammen sie als verlängerten Arm der Wirtschaft, an deren Absatzstrategien sie kein gutes Haar lassen. Unbestritten und unbestreitbar ist Werbung Kommunikation und Information, aber die Begriffe sind schillernd: Bei der Kommunikation können die Interessen der beiden miteinander kommunizierenden Partner höchst unterschiedliches Gewicht haben, und auch die Information findet sich halt mal mehr, mal weniger. Ohne allen Zweifel kann Werbung eine Kommunikation sein, die die Interessen beider Partner berücksichtigt und in einen gerechten Ausgleich bringt, und sie kann auch über wichtige technische Entwicklungen, über Produkteigenschaften, über Marktzusammenhänge und sogar über vom Wirtschaftlichen weit entfernte Inhalte objektiv informieren; sie kann aber auch das genaue Gegenteil tun. In jedem Fall bricht die Werbung nicht über uns herein wie Gottes Segen oder ein Gewitter, sondern sie wird von Menschen gemacht und ist in Zeit und Gesellschaft verwurzelt. Insofern stellt sich nie nur die Frage nach dem, wäs die Werbung kann, sondern immer auch die Frage nach dem, was denn die Werbung soll.

In unserer Gesellschaft spielt sich die Wirtschaftswerbung nicht nur im verfassungsmäßig geschützten Raum des Artikels 5 Absatz 1 ab, sondern eine Reihe von Einzelgesetzen legt fest, welche Grenzen in speziellen Fällen zu beachten sind. So darf bei uns an Straßen und Autobahnen nicht geworben werden, und über den Rundfunk ist das Ausstrahlen jenes allbekannten Tatü-ta-ta zu Werbezwecken verboten, weil durch beides die Verkehrssicherheit gefährdet werden könnte. Gesundheitsbezogene Werbung für Lebensmittel ist nicht erlaubt, ebensowenig eine Alkoholwerbung, die speziell auf Jugendliche abgestellt ist. Für Tabakerzeugnisse darf in den elektronischen Medien nicht geworben werden, und verschiedene Generalklauseln im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb legen den Rahmen für die nicht erlaubte täuschende oder irreführende Werbung fest. Man wird also keineswegs sagen können, daß die Werbung sich voll im Schutze des Artikels 5 Absatz 1 in unserer Gesellschaft abspielt. Die Konfliktbereiche sind deutlich abgegrenzt. Gesundheit, Sicherheit, Schutz vor Täuschung haben Vorrang vor dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Dies wird auch von der Werbewirtschaft selbst nicht bestritten.

Nun gibt es gesellschaftliche Bereiche, in denen der Staat und seine Träger sich auf vielfältige Weise bemühen, Verhaltensweisen in der Gesellschaft zu ändern und Vorurteile abzubauen. Ich nenne das unkritische, häufig unvernünftige Konsumverhalten von Kindern, alten Menschen und sozial benachteiligten Gruppen in der Gesellschaft. Hier werden in vielfältiger Weise staatliche Mittel aufgewandt, um mehr Information und mehr Schutz für diese gesellschaftlichen Gruppen gegenüber den Verkaufsstrategien der anbietenden Wirtschaft zu erreichen. Zu den staatlichen Bemühungen steht das Bestreben der Werbung im Widerspruch, gerade Kinder, alte Menschen, durch Schulbildung und Berufsstatus wenig begünstigte Gruppen unserer Gesellschaft gezielt anzusprechen und zu Konsumentscheidungen am Markt zu veranlassen, die vor allen Dingen dem Anbieter nützen. — Dieser Zusammenhang hat in der Vergangenheit zu harten Kontroversen geführt: Wer darf denn nun eigentlich von sich behaupten, die „eigentlichen Bedürfnisse der Menschen" zu kennen — die Werbewirtschaft oder die Verbraucherpolitik? So interessant diese Frage sein mag, sie soll hier nicht weiterverfolgt werden.

Ein anderer Komplex verdient unser gezieltes Interesse. In der Gesellschaft werden seit den 50er Jahren neue Entwicklungen festgestellt; mehr als ein Drittel aller Arbeitnehmer ist weiblich, von diesen der größte Teil verheiratet, und viele haben Kinder. Neue Gesetzes-formulierungen stellen sich auf die veränderte gesellschaftliche Wirklichkeit ein. Ich nenne nur das Ehe-und Familienrecht und den § 1356 BGB. Die Bemühungen des Gesetzgebers zielen auf einen Abbau der Geschlechterrollen-Stereotype und auf das Einüben partnerschaftlicher Verhaltensweisen ab. Soweit staatliche Verantwortlichkeit gegeben ist, wird viel Mühe und Geld aufgewandt, um Schluß zu machen mit der unseligen „Doppelbelastung der Frau", d. h. man will mit allen Kräften den Frauen und Mädchen einerseits eine attraktivere Berufstätigkeit ermöglichen und ihnen andererseits ihre Familienpflichten erleichtern.

Setzt man zu diesen Anstrengungen, an denen Frauenverbände, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Medien ihren Anteil haben, das Bild der Frau in der Werbung in Beziehung, so ist zu erkennen, daß sich an letzterem kaum etwas geändert hat: Die Frau in der Werbung wird weiterhin auf die gängigen Stereotype — Kinder, Küche, Gattenbetreuung — festgelegt, die die übrige Gesellschaft durch ihre vielfältigen Anstrengungen überwinden will. In mancher Weise wirkt die Werbung diskriminierend, weil sie herausstellt, daß Männer und Frauen nicht denselben Wert haben oder nicht dieselben Rechte genießen. Diesem Zusammenhang lohnt es genauer nachzugehen.

Die Darstellung von Frauen in der Werbung muß sich messen lassen an drei Grundgesetz-artikeln: Artikel der besagt, „Die Würde des Menschen ist unantastbar", Artikel 5 Absatz 2, der das Recht auf freie Meinungsäußerung beschränkt durch die „Vorschriften der allgemeinen Gesetze", die „gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend“ und das „Recht der persönlichen Ehre"; dazu kommt Artikel 3, der die Gleichberechtigung der Geschlechter festlegt. Die einschlägigen Werbegesetze stellen zwar eindeutige Zusammenhänge zu diesen drei Grundgesetz-artikeln nicht ausdrücklich her, und auch die Rechtsprechung ist in dieser Hinsicht noch nicht sehr weit entwickelt, aber es steht gewiß außer Frage, daß das Recht auf freie Berufsausübung in der Werbung einen niedrigeren Rang einnimmt als Menschenwürde und Gleichberechtigung in den entsprechenden Verfassungsartikeln.

Geschlechterdiskriminierung und Menschenwürde

über das, was die Geschlechter diskriminiert in der Werbung, gehen die Meinungen weit auseinander; mancher vertritt sogar die Ansicht, dergleichen gäbe es gar nicht. Als Mehrheitsmeinung wird man aber wohl festhalten können, daß man unter Geschlechterdiskriminierung vor allem die diskriminierende Darstellung von Frauen in der Werbung versteht; denn Diskriminierungen des männlichen Geschlechtes kommen kaum vor. Diesen Zusammenhang bestätigen jedenfalls Erfahrungen, die der schwedische Konsumenten-Ombudsman seit 1971 gesammelt hat. Er hat seit dieser Zeit viele Beschwerden über Werbemaßnahmen erhalten, die an der Diskriminierung von Rassen, von Menschen fremdländischer Herkunft oder auch eine Diskriminierung der Geschlechter zum Inhalt hatten. Die meisten Klagen kamen von Frauen. Der Ombudsman hat deshalb 1974 eine Konferenz aller großen Frauenorganisationen einberufen und als Ergebnis dieser Konferenz eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die in ihrem Bericht 1975 dargestellt hat, wie es mit der Geschlechterdiskriminierung in Schwedens Werbung bestellt ist 1).

Die Schweden gründeten ihre Kritik an der Darstellung von Frauen in der Werbung vor allem darauf, daß die Mehrzahl der Werbe-maßnahmen den Anstrengungen der Regierung und der Gesellschaft, die auf eine Verhaltensänderung zwischen den Geschlechtern abzielen, zuwiderläuft. Diesen Zusammenhang haben jedenfalls auch wissenschaftliche Untersuchungen, die in Schweden gemacht wurden, bestätigt.

Zieht man an dieser Stelle eine Parallele zur Situation in der Bundesrepublik, so ist gewiß die diffuse Kritik an der Art und Weise, wie Frauen zu Werbezwecken eingesetzt werden, in der Bundesrepublik nicht schwächer als in Schweden. Es fehlt aber bisher der „Kanal", in den diese Kritik einmünden könnte, um vielleicht zu konstruktiven Lösungen aus dem oftmals beklagten Dilemma zu finden.

Ganz offenkundig ist die Empfindlichkeit gegenüber der Geschlechterdiskriminierung in der Werbung je nach Geschlecht des Wahrnehmenden höchst unterschiedlich. Männer empfinden Blickfangwerbung durch Frauen-darstellungen selten als diskriminierend oder verletzend im Hinblick auf die Menschenwürde. Sie halten die Darbietung hübscher Frauen zu Werbezwecken gewissermaßen für „naturgegeben" und denken sich nichts dabei; die Unkritischen unter den Frauen folgen den Männern übrigens in dieser Betrachtungsweise. Klagen gegen Geschlechterdiskriminierung sind gleichwohl in Schweden meist von Frauen ausgegangen, und das Thema der Sex-Diskriminierung wurde auch von Seiten der schwedischen Frauenorganisationen und innerhalb der Vereinten Nationen ebenso durch Frauen aufgegriffen. Bei uns würde sich dies sicher nicht anders abspielen. Wie steht es nun mit der Menschenwürde, was die Darstellung von Frauen in Anzeigen angeht? Hierzu einige Beispiele: 1. Beispiel:

Im Hintergrund steht ein Computer, davor eine oben völlig nackte, unten herum mit einem schuppenartigen, aber durchsichtigen Umhang bekleidete Frau-, ihr Kopf ist exotisch umhüllt, die Arme sind maniriert gespreizt. Slogan: „Im Vordergrund steht die Software" — die Anzeige wirbt für Datenverarbeitungsgeräte. 2. Beispiel:

Schräg von links hinten nach rechts vorn im Bild eine braune Badewanne, auf der rechten hinteren Ecke eine Farbige im blauen Bademantel, Busen und Unterleib äußerst knapp verhüllt. Slogan: „Männer lieben den Reiz der farbigen Note" — das Ganze ist eine Anzeige für Badewannen. 3. Beispiel:

Die gesamte Zeitschriftenreihe wird von einer Badewanne eingenommen, in der sich malerisch im blauen Wasser eine nackte Frau räkelt, eine Brustwarze schaut kokett heraus. Kleine Plastiksegelschiffchen schwimmen in der Wanne, „Mast-und Schotbruch" lautet der fettgedruckte Slogan. — Die Anzeige erscheint im Auftrag des „Arbeitskreises Pressemarktanzeige im Verband deutscher Zeitschriftenverleger e. V." in einer Werbefachzeitschrift und soll „allen Produktionern und deren Auftraggebern“ nahelegen, keine übertriebenen Korrekturanforderungen an den farbigen Zeitschriftentiefdruck zu stellen. 4. Beispiel:

Die rechte Bildhälfte wird von einem von hinten gesehenen Porsche ausgefüllt. Seine linke Tür ist geöffnet, in ihr steht eine hellgekleidete rassige Frau, deren Busen und Po sich in üppigen Rundungen abzeichnen. „Jede Kurve ein Genuß ...“ Ansonsten nur noch die Unterschrift „Porsche". 5. Beispiel:

Die oberen drei Viertel der Zeitschriftenseite werden von einer nackten Frau in der Gischt einer Welle eingenommen. Der Busen schaut heraus, das rechte Knie gleichfalls, der Kopf ist verzückt nach oben gereckt, der Mund leicht geöffnet, die Augen sind geschlossen, über Bauch und Schoß schäumt die Gischt. Bildunterschrift: „Seife Atlantik ... natürlich stimulierend wie eine Meerwasser-Massage." 6. Beispiel:

Das Deckblatt einer Werbebroschüre namens „Weißblech aktuell" zeigt einen bunten Haufen von Blechdosen verschiedenster Größe und mit den unterschiedlichsten farbigen Aufdrucken der Hersteller. Ein niedliches Bunny im kirschfarbenen Satin-Badeanzug ist auf die appetitlichste Weise anwesend. Bildunterschrift: „Know-how — gewußt wie. Weißblech weiß es."

Etwa ein bis zwei Beispiele pro Zeitschriften-nummer lassen sich für diese und ähnliche Werbetechniken finden. Frauenbilder — vor allem der nackte, halbnackte oder besonders „sexy" umhüllte Frauenkörper — werden werbend eingesetzt, und zwar überwiegend nicht für Gegenstände, die (wie Seife, Parfum, Deodorants o. ä.) besonders von Frauen verwandt werden, sondern um Fernseher, Feuer-zeuge, Autos, Waschbecken, Toilettenpapier, Urlaubsreisen, Autoreifen, und vieles andere mehr anzupreisen. Es handelt sich um reine Blickfangwerbung, die vor allem an Personen männlichen Geschlechtes gerichtet ist und mit weiblichen Personen wirbt.

Diese Art von Werbung ist in Schweden, wie man lesen kann, Gegenstand kritischer Diskussionen in der Öffentlichkeit; wir sollten diese Diskussion auch bei uns führen. Daß die Würde des weiblichen Geschlechtes durch solche Werbung beeinträchtigt sein konnte, wurde erstmals durch den Prozeß mehrerer Frauen gegen den „stern“ in die öffentliche Diskussion eingeführt. Ich halte den Inhalt der Klage für berechtigt, auch wenn unsere Ge-setze auf dergleichen Vorwürfe noch nicht eingerichtet sind.

Der Zusammenhang wird dann besonders klar, wenn man sich anstelle der auf die geschilderte Weise „benutzten" Frauen Männer vorstellt. Dann geht nämlich der diskriminierende und mitunter entwürdigende, geschmacklose Tenor der Darstellungen deutlicher aus der Beschreibung hervor. Ein mit Feuerzeugen behängter nackter männlicher Oberkörper zur Werbung mit Bic-Feuerzeugen, ein aus einer Fernsehmattscheibe grinsender nackter Mann zur Werbung von Sony-Fernsehapparaten, ein auf einen Sportwagenkühler hingestreckter nackter Mann zur Werbung von Pirelli-Auto-reifen — undenkbar! Wieso eigentlich empören sich nur so wenige Menschen, wenn diese Art Werbung mit Frauen nach wie vor betrieben wird?

Der Deutsche Werberat, ein Selbsthilfegremium der Werbewirtschaft, findet an derlei Blickfangwerbung nichts Anstößiges. Er weist meine Beschwerde gegen die Anzeige im Beispiel 2 als unbegründet zurück. Zwei Argumente werden angeführt: erstens verbiete die Werbegesetzgebung dergleichen nicht, die Frau sei ja auch nicht nackt, und im übrigen könne der Werberat sich nicht auf Geschmacksurteile einlassen; zweitens wende die Bundesregierung selbst ähnliche Werbe-techniken an, und deshalb müsse man sie doch wohl billigen.

Hier ist ein Hinweis angebracht. Immer wieder behauptet die Werbewirtschaft, Anzeigen, die Mißvergnügen hervorrufen, wären letztlich erfolglos und mithin für das Produkt schädlich; dies führe auf die Dauer zu einer Selbstreinigung der Werbung. Das mag zwar im Einzelfall zutreffen, generell aber werden Anzeigen dieser Art dadurch nicht verhindert. Außerdem hebt Erfolglosigkeit die diskriminierende Tendenz ja nicht auf; deshalb verfängt dieses Argument nicht. Es kann auch außer Betracht bleiben, ob etwa staatliche Organisationen oder Parteien sich ähnlicher Verstöße schuldig machen wie die private Werbe-wirtschaft. Dies ist ohne Zweifel der Fall, ändert aber nichts am Prinzip: Jede Blickfang-werbung — ganz gleich, wer sie einsetzt — muß daran gemessen werden, ob sie mit dem Gebot, die Menschenwürde nicht zu verletzen, übereinstimmt. Ich selbst sehe es durchaus kritisch, wenn auch die Verbraucherzeitschrift „Test“ sich den gängigen Klischees nicht entzieht und einen im übrigen sachlich gehaltenen Bericht über FKK in Rhodos mit nackten Pin-Up-Mädchen ziert, oder wenn nun mehr und mehr kesse Blondinen von den Plakatwänden herunter lächeln und uns zu überzeugen versuchen, daß man doch die Partei XY sympathisch finden möge.

Nun lassen sich gewiß gegenüber zehn Frauen, die sich durch solche Werbung diskriminiert fühlen, hundert finden, die sie überhaupt nicht stört. Auch dieses Argument möchte ich nicht gelten lassen: Das ist ja gerade das Schlimme, daß wir Frauen so erzogen werden, als ob wir uns Tag und Nacht einem grenzenlosen Schönheitswettbewerb unterziehen müßten. Diese Art von Erziehung muß sich ändern, und die Werbung muß dazu ihren Beitrag leisten. Man wird möglicherweise auch gegenüber hundert Männern, die solche Art Werbung als nicht weiter störend empfinden und sie nicht ernst nehmen, möglicherweise gleichfalls nur zehn finden, die weibliche Empfindlichkeiten an diesem Punkt für schonenswert und schutzbedürftig halten. Aber diese möglichen Zahlenverhältnisse können nicht als Argument gelten. Die Menschenwürde zu achten und zu schützen, ist gerade dann ein Gebot, wenn Minoritäten betroffen sind. Zwar sind Frauen in unserer Gesellschaft die Mehrheit und nicht die Minderheit. Aber da sie an der gesellschaftlichen Macht nur minoritär beteiligt sind, ist der Struktur nach die Diskriminierung von Frauen in unserer Gesellschaft ein Minoritätenproblem — mit allen pervertierenden Folgen für die Selbst-und Fremd-einschätzung, die damit einhergehen.

Geschlechterdiskriminierung und Gleichberechtigung

Außer gegen Artikel 1 und 5 des Grundgesetzes, zu denen sich die Werbung unter dem Aspekt der Menschenwürde häufig in Widerspruch befindet, wird häufig gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, der besagt, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind, in zahl-reichen Anzeigen, aber auch in Rundfunk-und Fernsehspots verstoßen. Nach wie vor gibt es zahlreiche Benachteiligungen von Frauen in der Gesellschaft; seien es ihre beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten oder ihre besonderen Belastungen durch Hausfrauen-oder Erzieher-tätigkeit, wenn sie als berufstätige Frauen eine Familie haben. Der Gesetzgeber ist bemüht, solche Benachteiligungen abzubauen. Auch über die Bundesanstalt für Arbeit, über die Tarifpartner und über zahllose Verbände werden Programme ins Leben gerufen, die die berufliche und familiäre Situation der Frauen verbessern sollen. Alle Anstrengungen laufen in dieselbe Richtung.

Zur Stabilisierung von Rollenbildern, die der faktischen gesellschaftlichen Gleichberechtigung von Frauen entgegenstehen, trägt aber immer wieder die Werbung bei, und gerade für sie gibt es keine gesetzlichen Beschränkungen in dem angesprochenen Sinn. Um die Diskrepanz zwischen dem Anspruch, den die Verfassung stellt, und jenen Tendenzen, die diesem Anspruch der Werbung zuwiderlaufen, deutlich zu machen, seien einige Beispiele angefügt: 1. Beispiel:

Ein Faltprospekt der Firma „Esquire" bringt Lederwaren dieser Firma ausschließlich in Beziehung zu Männern. Selbst der Aktenkoffer und die etwas geräumigere Tasche, die neben Arbeitsunterlagen auch Wäsche zum Wechseln und das Nachtzeug aufnimmt, sind augenscheinlich nur für Männer gedacht. Als ob es Frauen in Positionen, wo man dergleichen braucht, überhaupt nicht gäbe! „Man hat’s", wird im Text betont; „Frau kriegt's nicht", könnte man hinzufügen.

Ähnlich argumentiert eine Anzeige für Luxusfeuerzeuge: „Für Männer, die gewohnt sind, aufs Knöpfchen zu drücken“. Vergleichbar auch eine Anzeige des „Kuratoriums gutes Sehen", die doppelseitig die verschiedensten „Macher" im attraktiven mittleren Alter an Konferenztischen und in Flugzeugkabinen darstellt, erfolgsgewohnt, emporgekommen. Die einzige Frau, schön trotz Brille, nimmt am kerzen-und blumengeschmückten Diner offenbar nach Abschluß der Geschäfte zur Zierde auch teil.

So ist sie halt, die Rollenverteilung in den „oberen Etagen". Die, die dazu gehören, finden sich in der Werbung wieder, und die anderen in den „unteren Etagen" wissen jedenfalls, wonach sie zu streben zu haben. 2. Beispiel:

»Eines ist Gewißheit — es ist Platin", so lautet der stereotyp wiederkehrende Slogan der Platin-Gilde in ihren Anzeigen. Diese ähneln sich in einem entscheidenden Punkt: Sie schildern eine überspannte Luxus-Jet-Welt, in der die Frauen als Luxusweibchen dekorativ mit Schmuck ausstaffiert werden und dadurch selbst zum Schmuckstück zu werden scheinen.

Ähnliches gibt es auch für Diamanten: „Mein Mann sagt, ich sei der angenehmste Teil seiner Karriere, und dieses Dankeschön hätte ich verdient." Das Dankeschön ist dann ein Solitär. „Meine Karriere ist unsere Karriere", sagt er, der Großzügige, aus ihrem Mund in einer anderen Anzeige dieses Juwelier-Verbandes. Und schön lächelt das Schmuckstück Frau dazu in die Kamera. 3. Beispiel:

In einer Werbefachzeitschrift findet sich eine Werbeanzeige mit folgendem Text: „Die Insel der Frauen. Auf diese Insel flüchten sich Woche für Woche Millionen Frauen: Neue Post und das Neue Blatt. Männer brauchen anderes. Frauen brauchen das, um wieder ins innere Gleichgewicht zu kommen .. Eine andere Anzeige desselben Auftraggebers in demselben Medium lautet in Auszügen: „Einmal keine Nachrichten . . . Einen Tag lang dem Trommelfeuer der Medien entronnen ... Männer werden's nie verstehen. Heile Welt? — Ist das nicht genau das richtige Umfeld für Ihre Werbung? .. . Die Welt, in der die Frauen sich wohl fühlen!" — Noch ein 3. Zitat aus dieser Reihe: „ . Freiheit für Frauen?'Das ganze Gerede der Emanzen um die . Befreiung der Frau'kann ihr nicht helfen: Sie ist glücklich in einem anstrengenden Leben, das aus ausgefüllten langen Tagen besteht. Sie braucht nur dann und wann eine ruhige Stunde ganz für sich, eine Stunde, in der sie den Alltag vergessen kann. Dann liest sie eben Neue Post und das Neue Blatt. Das erfrischt sie, beruhigt erkennt sie, Fürsten oder Stars — keine hat es soo leicht im Leben ... Heile Welt. Na und? Ist Werbung nicht auch . heile Weit'?"

Diesen Zitaten ist wenig hinzuzufügen. So also werden Frauen eingeschätzt: Man serviere die heile Welt des schönen Scheins, garniere mit Klatsch und Tratsch, sprühe den Lack verführerischer Werbung darüber, fertig ist „die glückliche Welt für Millionen Frauen". Männer werden's nie verstehen. Warum sollten sie auch? 4. Beispiel:

„Auf meiner Terrasse sieht jeder gleich, ob die Fenster schön glänzen . .. Meine Fenster glänzen doch wirklich wie ein Spiegel!" In einer anderen Anzeige der Firma heißt es: „Dieser seidige Glanz macht mir als Hausfrau alle Ehre ..." In diesen Texten wird der Haushalt gewissermaßen als Besitztum der Hausfrau betrachtet — und als die Sphäre, aus der sie ihr Selbstbewußtsein zieht: Mein Haushalt! Dabei handelt es sich in Wahrheit um den Lebensraum einer ganzen Familie, wie beschaffen sie immer sei, und die Gestaltung dieses Lebensraumes ist allen Familienmitgliedern als Aufgabe gestellt; so jedenfalls sieht es das Bürgerliche Gesetzbuch inzwischen vor. Wenn es nach den Werbesprüchen geht, dann ist Hausarbeit außerdem das Leichteste von der Welt. Ältere Hausfrauen, denen das Sich-Bücken oder das Tragen schwerer Wäsche-körbe Mühe macht, kommen ohnehin nicht vor, und es scheint — jedenfalls wenn man der Werbung folgt — für das Selbstgefühl vieler Hausfrauen entscheidend zu sein, daß es wirklich überall blitzt und blinkt; sonst zählen die Frauen offenbar nicht auf dieser Erde.

Ich erinnere mich immer wieder an ein Seminar, das ich vor Jahren mit älteren Gewerkschaftlerinnen aus Niederbayern dürchführte. Ich hatte eine Anzahl von Waschmittelreklamen mitgebracht und wollte «die Frauen in Gruppenarbeit dazu anleiten, die Texte und die bildliche Darstellung dieser Anzeigen zu ihrer Situation als Hausfrau in Beziehung zu bringen. Als Ergebnis ihres Nachdenkens sollten sie selbst einen Reklametext für Waschpulver formulieren. Das mißlang gründlich. Den Frauen fehlte jegliches Bewußtsein dafür, wie sich ihre eigene schwierige Situation — nicht mehr jung, Arbeiterin, geringer Verdienst, keine Unterstützung bei den Hausarbeiten von ihren Ehemännern oder Söhnen, starke körperliche Beanspruchung durch die Hausarbeit — von den dargestellten Bildern und Reklametexten unterschied.

Von den mitgebrachten Bildern lächelten nämlich nur hübsche Dreißigjährige, denen offenbar nichts mehr Spaß machte, als das Waschen mit XY: Heile Welt, so perfekt, daß die Realität auch im Bewußtsein der Betroffenen vollkommen dahinter verschwand. Schafft •dies vielleicht das Bedürfnis nach einer „Insel der Frauen"?

Die vielen geschilderten Anzeigenkomplexe machen deutlich, wie zahlreich die Darstellungen auf dem deutschen Markt sind, die gegen di Gleichwertigkeit der Geschlechter in sozialer, ökonomischer und kultureller Hinsicht verstoßen. Wenn man in die Betrachtung die Rundfunk-und Fernseh-Spots mit einbeziehen würde, ließen sich die Beispiele häufen. Diskriminiert werden hier übrigens nicht nur Frauen gegenüber Männern, sondern es werden auch ältere, kranke, häßliche Frauen gegenüber den jungen herabgewürdigt.

Das traditionelle Rollengefälle zwischen Männern und Frauen wird durch die Werbung festgeschrieben; denn Werbung erkennt Frauen und Männern bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen zu, und daraus ergibt sich zwangsläufig in vielen Fällen jenes Klischee, das es den Frauen so erschwert, gleichrangig mit den Männern ihren Platz in der Gesellschaft einzunehmen.

Geradezu zynisch mutet unter diesem Aspekt eine Seite aus der Zeitschrift „Brigitte" an, wo auf der rechten Seite unter der Rubrik „Gleichberechtigung" Leserinnen Beiträge zum Thema Frauendiskriminierung in der Gesellschaft veröffentlichen; auf der linken Zeitschriftenseite steht eine Anzeige für „BabyBruder-Schmuserle, die Badepuppe von Mattel, Liebling aller Puppenmuttis". Von Mattel stammt auch die Barbie-Supersize, 45 cm lang und pin-up-mäßig entwickelt, mit einer Filmschauspielerinnen-Garderobe und viel talmihaftem Schmuck, den auch die Puppenmuttis tragen können. Damit sich auch in den nächsten Generationen nichts ändert...

Um mich nicht Mißverständnissen auszusetzen: Ganz gewiß wollen nicht alle Frauen in berufliche Positionen rücken, die traditionell von Männern eingenommen werden und in denen man Modellbrillen und Diplomatenköfferchen trägt. Aber nicht nur für diejenigen, die dies möchten, sondern auch für die, die auf halbem Wege stehenbleiben oder überhaupt nicht außerhalb des eigenen Haushaltes berufstätig sind, ist eine Darstellung von weiblichen Eigenschaften, wie sie aus der Werbeanzeige für Neue Post und das Neue Blatt spricht, eine deutliche Diskriminierung. Gleiches trifft auf alle „Luxusweibchen-Anzeigen" zu.

Zwei Beobachtungen sind in diesem Zusammenhang noch besonders interessant. Wenn man sich die Werbung in Werbefachzeitschriften anschaut, also jene Werbung, die sich an professionelle Werber — d. h. überwiegend Männer — wendet, hat man den Eindruck, daß hier mit diskriminierenden Aussagen wesentlich unbedenklicher umgegangen wird als in den Publikumszeitschriften. Liegen die Gründe darin, daß in den Fachzeitschriften die überwiegend männliche Werbe-welt angesprochen wird, oder darin, daß sich diese Werbung gewissermaßen „unter Ausschluß der Offentlichkeit" abspielt? Die zweite Beobachtung: Auch unter dem Aspekt Gleichberechtigung unterliegt die Zeitschrift „Test" denselben Klischees wie Publikums-zeitschriften: Den Infrarot-Grill stellt eine Hausfrau mit Schürze vor, vor dem Puppen-herd hocken zwei kleine Mädchen, die Kosmetikpräparate werden durch hübsche junge Frauen „garniert", den Heimwerker aber präsentiert ein Mann.

Im November 1974 fand, veranstaltet von der Werbewirtschaft, ein Seminar über „die Frau in der Werbung" statt, bei dem der Vertreter einer Werbeagentur ausführte: „Mit der Anfertigung von . besserer Werbung', das Problem der Frau in der Gesellschaft lösen zu wollen, scheint mir deshalb genauso unrealitisch wie mit der Anfertigung von engeren Hosen das Problem der Dickleibigkeit anzugehen. Werbung kann ihrer ganzen Anlage nach keine Trends setzen. Werbung kann nur reflektieren, und zwar nicht nur die sogenannte Wirklichkeit, sondern auch die Wirklichkeit der Wünsche. Und hier wiederum nicht so • sehr die Wirklichkeit der Wünsche, so wie sie nach bestimmten Idealvorstellungen eine Frau heute haben sollte und müßte, sondern ausschließlich so, wie sie in den Vorstellungen der Umworbenen nun tatsächlich existieren. Zugegeben, die Wunschwelt des Verbrauchers stimmt häufig genug nicht mit der Wunsch-welt, die sie nach Ansicht und Berechnung einiger Reformer haben müßte, überein. Aber das ist nicht die Schuld der Werbung."

Diese Ansicht ist aus der Perspektive der Werbewirtschaft völlig richtig und legitim. Allerdings ergibt sich daraus zwangsläufig, daß Werbung — obgleich sie von angeblich progressiven Kreativen gemacht wird — kein progressives, sondern ein restauratives Element unserer Gesellschaft ist. Sie gerät in Konflikt mit den übergeordneten gesellschaftlichen Normen, wie sie die zitierten Grundgesetzartikel angeben, vor allem deshalb, weil sie, anstelle über Waren und Dienstleistungen sachgerecht zu informieren, immer wieder versucht, die „Wirklichkeit der Wünsche", „wie sie in den Vorstellungen der Umworbenen nun tatsächlich existieren", wachzuhalten und werbend einzusetzen, während andere gesellschaftliche Kräfte diese Wunschwelt zugunsten einer in der Realität verbesserten Welt zurückdrängen wollen.

Unbestreitbar hat sich unsere Gesellschaft unter dem Anspruch der zitierten Grundgesetzartikel gewandelt. Diese Wandlung wurde durch wirtschaftlichen Wohlstand und eine erheblich verbesserte Bildungspolitik stark begünstigt. So haben Menschenwürde und Gleichberechtigung heute einen anderen konkreten Bezugsrahmen als vor 50 oder 100 Jahren. Ich nenne in diesem Zusammenhang den veränderten § 1356 des Bürgerlichen Gesetzbuches oder das Ehescheidungsrecht; ich könnte auch den Anteil von Mädchen unter den Abiturientenzahlen oder die Zahl der Frauen in technischen Berufen heranziehen oder die Folgen, die sich durch den Gebrauch der Pille für das sexuelle Verhalten von Männern und Frauen ergeben haben. Obgleich es als Ausfüllung der zitierten Grundgesetzartikel unter dem Gesichtspunkt Geschlechterdiskriminierung keine ausdrücklichen gesetzlichen Vorschriften gibt, muß sich doch die Werbung innerhalb des gesellschaftlichen Bezugsrahmens, wie er durch andere Bezugsgrößen — beispielsweise den Frauenanteil unter den Beschäftigten, unter den Studenten, oder durch die Scheidungsquote—abgesteckt ist, bewegen. Sie kann — wenn sie sich selbst ernst nimmt — nicht ein Menschenbild weiterpflegen, das nach heutigem Verständnis in vielfältiger Weise die Menschenwürde verletzt. Und sie darf nicht Rollenbilder konservieren, von denen di Gesellschaft sich gelöst hat oder von denen sie sich durch eine Fortentwicklung überkommener Gesetzesnormen doch allmählich zu lösen beginnt.

Was ist zu tun?

Unveränderliche und allgemein gültige Kriterien dafür festzulegen, wann in der Werbung Geschlechterdiskriminierung waltet und wann nicht, dürfte ein schwieriges Unterfangen sein. Jede Form einer gesetzlichen Fixierung zur Auflösung des Konfliktes zwischen Werbeaussage und Verfassungsnorm kann sehr rasch an die Grenze des ebenfalls vom Grundgesetz garantierten Rechtes auf freie Meinungsäußerung geraten, und es ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß sich auch Uberschneidungsprobleme mit der vom Gesetz her erlaubten Pornographie ergeben. Außerdem haben Gesetze noch nie begünstigend auf die Kreativität gewirkt — ausgenommen vielleicht bei jenen Menschen, die unverzüglich nach Umgehungsmöglichkeiten suchen, d. h., man muß vielleicht befürchten, daß mit einer gesetzlichen Fixierung eine Abschnürung kreativer Ideen in der Werbung Hand in Hand geht, und daß sich bestimmte mißliebige Zustände trotzdem nicht ändern. Wir haben bei den einschränkenden Bestimmungen für die Kosmetikwerbung, bei der Lebensmittel-und Zigarettenwerbung nicht nur gute Erfahrungen gemacht. Deshalb sollte, ehe man zu Gesetzesnovellen schreitet, einer nichtgesetzlichen Regelung der Vorrang eingeräumt werden. Die Werbewirtschaft sollte selbst unter Beteiligung anderer relevanter Kräfte der Gesellschaft Verhaltensregeln entwickeln und diese auch selbst kontrollieren, um die Diskriminierung von Frauen in der Werbung zu verhindern. Eine aktive Mitgestaltung durch jene beim Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit neu geschaffene Stelle, die die Gleichstellung von Frauen in unserer Gesellschaft zum Ziel hat, sollte dabei angestrebt werden.

Eine Vereinbarung über Blickfanganzeigen erscheint als vorrangig. Es müßte Übereinkunft erzielt werden darüber, daß Werbung immer dann diskriminierend und deshalb abzulehnen ist, wenn sie mit Personen des einen Geschlechtes wirbt, sich aber vor allem an Personen des anderen Geschlechtes richtet, und in der Menschen wie Sachen oder Zustände behandelt, also „instrumentalisiert" werden. Als diskriminierend sollten ferner Darstellungen gelten, in denen die Gleichwertigkeit der Geschlechter in sozialer, ökonomischer und kultureller Hinsicht mißachtet und in der das traditionelle Rollengefälle zwischen Mann und Frau fortgeschrieben wird.

Schließlich sollten Darstellungen als diskriminierend angesehen werden, die das weibliche Geschlecht mit Eigenschaften belegen, die den Frauen durch die gesellschaftlichen Verhältnisse in den vergangenen Jahrhunderten zugewiesen wurden, die also mit Vorurteilen über die Geschlechter arbeiten; diese Art von Werbung wirkt nämlich mehr noch als die anderen beiden Kategorien den gesellschaftlichen Anstrengungen zur Gleichbehandlung der Geschlechter, wie sie beispielsweise der Gesetzgeber unternimmt, permanent entgegen.

Im Zusammenhang mit dieser anzustrebenden Verhaltensmaßregel der Werbewirtschaft sollte eine Beschwerdestelle geschaffen werden. Diese darf allerdings nicht so bestellt sein, wie der derzeitige Deutsche Werberat, der bei jeder Beschwerde über eine Werbemaßnahme, die zwar den gesetzlichen Bestimmungen entspricht, gleichwohl aber „anstößig" ist, entgegnet, was man denn wolle, der Gesetzesrahmen sei doch nicht verletzt. Nein, diese Beschwerdestelle müßte das gesellschaftliche Spannungsverhältnis zwischen der zugrunde liegenden Verfassungsnorm und der tagtäglichen werblichen Praxis weit extensiver zugunsten der Verfassungsnorm auslegen. Außerdem müßten dieser Beschwerdestelle Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um unliebsame Werbemaßnahmen umgehend abzustellen und vielleicht auch mit einer Buße zu belegen.

Derzeit gibt es für den von Werbung Betroffenen nur auf der Grundlage des Gesetzes zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs die Möglichkeit, seine Beschwerden durch den Verbraucherschutzverein in Berlin verfolgen zu lassen. Alle übrigen Maßnahmen gegen Werbung, durch die er seine Gesundheit oder Sicherheit gefährdet sieht oder die ihn etwa in seiner Menschenwürde verletzt, muß er selbst vor Gericht durchfechten. Die Rechtssituation ist in diesem Zusammenhang für das Verbraucherindiviuum höchst unbefriedigend.

Die Schweden und die Norweger helfen sich mit ihrem „Ombudsman". Auch wir müßten natürlich überlegen, ob sich langfristig eine Verbesserung erzielen läßt. Klagen ähnlich derjenigen gegen das Magazin „Stern“ oder Boykottaufrufe, deren Berechtigung dann allerdings auch juristisch überprüft werden müßte, könnten gewiß einiges dazu beitragen, die Defizite in der Rechtssprechung und in der rechtlichen Grundlage aufzudecken. Dabei sei eines zum Schluß noch einmal klar herausgestellt: Es kann nicht darum gehen, die Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft, die unbestritten ist, allein dadurch überwinden zu wollen, daß man die Geschlechterdiskriminierung in der Werbung abschafft. Die Werbung ist hinsichtlich der Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft nur einer unter vielen Punkten. Ohne Frage aber ist sie ein Kernpunkt — wegen ihrer weiten Verbreitung, ihrer eindringlichen Wirkung (besonders in den elektronischen Medien) und ihrer besonders restaurativen Tendenz. Wenn also der Gesetzgeber an vielen anderen Punkten, wenn die Bildungsinhalte der Schulen und wenn die Arbeitsverwaltung oder die Arbeitgeberverbände in die Pflicht genommen werden, um die Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft abzubauen, dann darf die Werbung nicht ausgespart bleiben. Sollte die Werbewirtschaft sich zu freiwilligen Vereinbarungen in absehbarer Zeit nicht bereit-finden,so darf sie sich nicht wundern, wenn ein weiteres Mal der Gesetzgeber tätig wird, um einen Anspruch der Verfassung einzulösen und dafür zu sorgen, daß die Artikel 1, 5 Absatz 2 und Artikel 3 unseres Grundgesetzes auch von der Werbewirtschaft zum Maßstab ihres Handelns genommen werden müssen. Die Diskriminierung von Frauen in der Gesellschaft ist kein Naturgesetz, Menschenwürde und Gleichbehandlung von Frauen rangieren vor den konsumfördernden Einfällen der Herren Werber.

Benutzte Literatur:

1) die Zeitschriften „Stern", „Brigitte“, „Spiegel", „Test".

2) Die Fachzeitschriften „Werben und Verkaufen", „Werbeforum" und „ZAW-Service".

3) Thomas Utterström, Sex-Discrimination in Advertising, Zeitschrift für Verbraucherpolitik I, 1977/4.

4) Anke Martini, Was heißt „Geschlechterdiskriminierung"? zu Utterströms Beitrag.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die schwedische Regierung ernannte 1972 eine Kommission, die sich um die Gleichberechtigung der Frauen kümmern sollte. 1974 legte sie dem Reichstag ihren Bericht vor. 1976 wurde von der schwedischen Regierung ein Parlamentsausschuß ernannt, der sich über die Wünschbarkeit und die mögliche Einführung einer speziellen Gesetzgebung gegen Geschlechterdiskriminierung äußern sollte; das Ergebnis wurde 1977 veröffentlicht.

Weitere Inhalte

Anke Martiny, Dr. phil., geboren 1939; Journalistin, seit 1972 Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied des Wirtschaftsausschusses, Verbraucherpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion; Studium der Musikwissenschaft, Germanistik und Soziologie in Berlin, Wien und Göttingen, daneben Redaktionsvolontariat und Arbeit als Musikkritikerin. Veröffentlichungen: Marktrecht und Manipulation (zusammen mit Otfried Klein), Frankfurt/Köln 1977; Privater Konsum als öffentliche Aufgabe. Das Theoriedefizit der Verbraucherpolitik und seine praktisch-politischen Folgen, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B 24/78.