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Pius XI. zwischen Stalin, Mussolini und Hitler. Zur vatikanischen Konkordatspolitik der Zwischenkriegszeit | APuZ 39/1979 | bpb.de

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APuZ 39/1979 Pius XI. zwischen Stalin, Mussolini und Hitler. Zur vatikanischen Konkordatspolitik der Zwischenkriegszeit Arbeit und Eigentum in der katholischen Soziallehre und in der frühen Programmatik der CDU

Pius XI. zwischen Stalin, Mussolini und Hitler. Zur vatikanischen Konkordatspolitik der Zwischenkriegszeit

Konrad Repgen

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Zusammenfassung

Die römischen Päpste des 20. Jahrhunderts treiben keine Macht-, wohl aber Außenpolitik. Ein wesentlicher Teil davon gilt dem Abschluß und der Ausführung von bilateralen Verträgen (Konkordate), in denen das Staat-Kirche-Verhältnis rechtlich geregelt wird. Besonders viele Konkordate hat Pius XI. (1922— 1939) abgeschlossen; er hat sie ohne Rücksicht auf die innere Staatsform der Vertragspartner angestrebt. Zweck der Konkordate war die Optimierung der Seelsorgebedingungen, Mittel dazu die völkerrechtliche Garantie der institutioneilen Unabhängigkeit der Kirche. Im totalitären System bedeutete dies einen normativen sowie (wenn der Vertrag richtig vollzogen wurde) einen faktischen Verzicht des Regimes auf Eingliederung und Unterordnung der sozialen Großgruppe und Institution Kirche. Unter diesem pastoralen Aspekt waren die von Stalin erreichbaren Konzessionen zu gering, so daß die vatikanisch-sowjetrussischen Verhandlungen im Dezember 1927 abgebrochen wurden. Dagegen konnte die Kirche in ihren Verträgen mit Mussolinis Italien (1929) und Hitlers Deutschland (1933) so viel eigenes Selbst durchsetzen, daß diese — von der Kirche her gesehen — zwar nicht idealen, aber best-erreichbaren Vertragsabschlüsse verantwortet werden konnten. Die Lateranverträge und das Reichs-konkordat hoben den Gegensatz zwischen den Regimen mit ihren Zielen und der Kirche mit ihren anderen Zielen nicht auf; trotz der Konkordate hat es in beiden Ländern schwere Auseinandersetzungen gegeben, die aber fundamentale Unterschiede aufwiesen: — In Italien ging es nie um Leben und Tod der Kirche. Trotz der Krisen von 1931 und 1938 konnte die Kirche hier ihre unabhängige Position in starkem Maße wahren. Dieses Faktum ist vielleicht der wesentlichste Grund dafür, daß Mussolinis Regime nicht uneingeschränkt „totalitär" geworden ist. — Anders in Deutschland. Das Reichskonkordat war jedoch der vertragsrechtliche Ausdruck der Nicht-Anpassung, der Nicht-Gleichschaltung der katholischen Kirche im Dritten Reich. Es konnte selbstverständlich den Kirchenkampf nicht verhindern, zwang das Regime aber, diesen in der für den Katholizismus günstigsten und für Hitler ungünstigsten Form führen zu müssen, als permanente Rechtsverletzung, die als solche in der Enzyklika „Mit brennender Sorge" (1937) vor der Weltöffentlichkeit angeprangert worden ist. Das Reichskonkordat war also ein nützliches Verteidigungsinstrument und trug dazu bei, daß die Kirchlichkeit der deutschen Katholiken auch im Dritten Reich intakt blieb und die Großgruppe Katholizismus daher mehr Resistenz bewahren und entfalten konnte als irgendeine andere Großgruppe in Deutschland. Die Kirche wollte also auch im totalitären System Kirche bleiben. Indem sie das wollte und indem ihr das gelang, zeigt sich, daß eine (wie heute in Polen) intakte Kirche der offenbar bestmögliche und manchmal sogar der einzige Schutz der Menschen in totalitären Regimen ist.

Als Ministerpräsident Pierre Laval nach Abschluß des französisch-russischen Beistandsvertrags vom 2. Mai 1935 in Moskau Besuch machte und bei Stalin wegen Erleichterungen und Verbesserungen für die Lage der Religion und der Katholiken in der Sowjetunion sondierte — denn das würde für ihn, Laval, in seinem Verhältnis zum Vatikan sehr nützlich sein —, soll der russische Diktator ironisch zurückgefragt haben, über wieviel Divisionen der Papst denn verfüge. Stalins Sarkasmus verdeckt und enthüllt eine durchaus sachliche Frage. Sie lautet, ob es unter den Bedingungen des 20. Jahrhunderts überhaupt eine päpstliche „Außenpolitik“, die diesen Namen verdient, gegeben habe und geben könne. Die Antwort auf diese Frage heißt Ja und Nein.

Das Nein läßt sich scheinbar leicht begründen. Unterscheidet man systematisch einen Begriff der „Außenpolitik“, die stets einem Staat zuzuordnen ist, von einem Begriff der „internationalen Beziehungen“, die alle die Grenzen eines (einzelnen) Staates überschreitenden Aktivitäten von einzelnen oder Gruppen erfassen müßten, die einem Staat und seiner Politik nicht oder nur sehr indirekt und keineswegs allein zugeordnet werden können, so wird deutlich, daß beim Vatikan einige sonst für den Begriff „Außenpolitik" wesentliche Elemente nicht vorhanden sind. Der Vatikanstaat verfügt über kein militärisches Potential, er besitzt keine Rohstoffe, er hat keine industriellen Kapazitäten, und er kann mit seinem relativ geringen Aktienbesitz die weltwirtschaftlichen Prozesse offenkundig kaum oder gar nicht beeinflussen. Paul VI. (1963— 1978) hat bei seiner Ansprache vor den Vereinten Nationen am 4. Oktober 1965 von einer „minuscule et quasi symbolique souverainete temporelle" des Hl. Stuhles gesprochen.

I. Das Problem

Für diesen Ministaat war es kein eigentlicher Verzicht, 1929 gegenüber Italien im Artikel 24 des Lateranvertrages die völkerrechtliche Verpflichtung zu deklarieren, daß er sich aus den eigentlich politischen Problemen der internationalen Politik heraushalten werde. Das war seine Haltung auch schon vorher, wenngleich (faktische) Neutralität und (rechtliche) Neutralisierung weder juristisch noch politisch das gleiche sind. Der Papst will, kann und darf also nicht — wie die übrigen Staaten — Machtpolitik treiben. Dementsprechend kommt in den geschichtlichen Gesamt-darstellungen der internationalen Politik des 20. Jahrhunderts die Außenpolitik der Päpste und des Vatikanstaates überhaupt nicht oder nur am Rande vor 2).

Mit dieser Feststellung ist aber nicht alles gesagt; denn „Außenpolitik" allein auf „Machtpolitik“ zu reduzieren, wäre eine unstatthafte Verengung des Blickfeldes, die dem historisch überprüfbaren Befund widerspricht. Auch im 20. Jahrhundert, dem es an Barbareien nicht mangelt, ist Macht, die sich in Di-Visionen ausdrücken läßt, nicht das einzige Mittel der internationalen Politik. So hat der Papst sich im Lateranvertrag das Recht Vorbehalten, zwischenstaatlich Frieden zu vermitteln, wenn beide Seiten darum nachsuchen. Ebenso nimmt er dort für sich in Anspruch, in jedem Falle, wenn es ihm richtig erscheint, Moralisches und Ideelles geltend zu machen, was auch in der brutalen Welt unseres Jahrhunderts noch nicht alle Bedeutung verloren hat. Hier ist dem Oberhaupt der Kirche ein gewisses Aktionsfeld für „Außenpolitik“ verblieben. Dort winken zwar in der Regel nur wenig spektakuläre „Erfolge" Es handelt sich im wesentlichen um die kleinen, stillen Mittel der Diplomatie: geduldige Beharrlichkeit, loyale Diskretion, prinzipientreue Rechtlichkeit und illusionsloses Augenmaß, um das Wünschbare vom Erreichbaren zu unterscheiden und das Unverzichtbare klar zu behaupten — mit solchen Verhaltensweisen kann man auch heute, zuweilen, noch einiges bewirken. In der Welt der Diplomaten erfreut sich der Hl. Stuhl daher bei vielen eines hohen Ansehens.

Es kommt hinzu, daß — besonders nach 1945 — die Zahl der internationalen Institutionen und Organisationen, deren Bedeutung für die internationale Politik und die internationalen Beziehungen in den breiteren Kreisen leicht unterschätzt wird, erheblich angewachsen ist. Dort ist der Hl. Stuhl durchaus präsent, was praktisch zu permanenter päpstlicher „Außenpolitik“ zwingt. Ebenso ist der Vatikan nach dem Zweiten Weltkrieg an einigen wichtigen Konferenzen beteiligt worden, auf denen allgemeine Rechtsgrundlagen für die internationale Politik formuliert und vereinbart worden sind. Papst und Vatikanstaat sind also nicht nur Objekt der internationalen Politik, sondern auch Subjekt, freilich ein Subjekt sui generis. Diese politische Realität ist völkerrechtlich legitimiert.

Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Hl. Stuhl, der die katholische Kirche als international anerkannte Rechtspersönlichkeit repräsentiert (was auch nach dem Verlust des Kirchenstaates im Jahre 1870 fortdauerte), und (was 1929 durch den Lateranvertrag hinzugekommen ist) dem Vatikanstaat („Stato della Cittä del Vaticano ).

Für die vatikanische Außenpolitik ergeben sich daraus im 20. Jahrhundert drei Tätigkeitsfelder: — Anknüpfung oder Unterhaltung diplomatischer Beziehungen oder Verbindungen zu einzelnen Staaten. Dabei ergibt sich oft der Wunsch, die Fragen rechtlich zu regeln, welche die Lage der katholischen Kirche, ihrer Bischöfe, Priester und Gläubigen im jeweiligen Staatsgebiet betreffen. Solche vertrags-rechtlichen Regelungen sind die Konkordate, die der Hl. Stuhl seit dem Mittelalter mit vielen, aber keineswegs mit allen Staaten abgeschlossen hat.

— Teilnahme am Leben der internationalen Staatengesellschaft in den Grenzen, die durch das kirchliche Selbstverständnis und das Völkerrecht vorgeschrieben sind. Dies bedeutet Förderung ideeller und humanitärer Bestrebungen. Es schließt Teilnahme an internationalen Konferenzen und Beitritt zu multilateralen internationalen Verträgen ein. — Verbindung mit internationalen Organisationen, ggf. Mitgliedschaft in ihnen. Die Neutralität des Hl. Stuhles markiert allerdings auch hier Grenzen: so kommt eine formelle Mitgliedschaft des Vatikans in den Vereinten Nationen nicht in Betracht. Der Hl. Stuhl bzw.der Vatikanstaat können sich jedoch durch die Tätigkeit nichtstaatlicher Organisationen (Non Governmental Organisations) indirekt an vielen internationalen Aktivitäten beteiligen und nehmen solche Möglichkeiten offenbar gern wahr.

Diese vatikanische Außenpolitik vollzieht sich zum größten Teil im Stillen, von der Öffentlichkeit kaum bemerkt und bemerkbar. Gelegentlich aber nimmt die ganze Welt von der Existenz dieser Außenpolitik, oder sagen wir besser: von der politischen Wirkung dessen, was die Päpste tun, Kenntnis. Die Reisen Johannes Pauls II. in diesem Jahr nach Lateinamerika und nach Polen haben jedem deutlich gemacht, daß die Tatsache der Kirche und der Kirchlichkeit der Gläubigen auch ein Politikum ersten Ranges ist oder unter besonderen, konkreten Bedingungen werden kann.

In vergleichbarem Maße spektakulär waren in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen einige der vielen Konkordate, die Pius XI. in den siebzehn Jahren seines Pontifikates (1922— 1939) vornehmlich mit europäischen Ländern und Staaten abgeschlossen hat. Dies ist innerkirchlich zuweilen als „Konkordats-manie” kritisiert worden, mit unterschiedlichen Gründen, von denen einige durchaus überlegenswert sind. So wurde 1925 beim Konkordat mit Polen in katholischen Kreisen gemeint, für die Position und die Wirkungsmöglichkeiten der Kirche sei ein intakter und partei-oder wenigstens innenpolitisch mächtiger Katholizismus doch unvergleichlich wichtiger als ein völkerrechtlicher Vertrag, für den der Papst im Konfliktfalle ohnehin keine Machtmittel einsetzen könne, so daß dessen Geltung letztlich vom Wohlwollen der Vertragspartner abhänge. Solche Überlegungen hat Pius XI. vielleicht auch selbst angestellt. Er hat sich in seiner Politik davon jedoch nicht leiten lassen.

Wenn man von der prononcierten kurialen Konkordatspolitik der Zwischenkriegszeit spricht, ist zu beachten, daß nicht Pius XI. die Grundsatzentscheidung gefällt hat, sondern sein Vorgänger, Benedikt XV. (1914— 1922). Dieser hatte am 21. November 1921 das vatikanische Programm der konkordatären Übereinkünfte mit den neuen Nachkriegs-staaten öffentlich angekündigt. Wie nach 1815 wollte die Kirche auch nach 1918 ihre Beziehungen zu allen Staaten, besonders zu den neuen oder strukturell veränderten Staaten, vertraglich regeln, und zwar — hier wirkte die durch Leo XIII. begründete Äquidistanz nach — unabhängig von der politischen Form dieser Staaten. Ziel der Konkordate war die Sicherung der kirchlichen Seelsorgemöglichkeiten zu best-erreichbaren Bedingungen. Hinter diesem Seelsorge-Wollen stand selbstverständlich auch ein politischer Wille, nämlich: auf diese indirekte Weise Welt zu gestalten und Welt zu verändern. Aber dieser weitergehende Effekt begründete keine handlungsbestimmende Priorität. Die eigentliche Zielsetzung der kurialen Konkordatspolitik (wie übrigens der vatikanischen Politik in den neueren Zeiten allgemein) betraf das primär und genuin Kirchliche. Nicht-kirchliche Gesichtspunkte der Politik konnten für den Vatikan keine Rolle spielen, wenn sie den kirchlichen im Wege standen.

Papstpolitik ist Kirchenpolitik.

Konkordatswille als Kirchenpolitik war für Pius XI. also nicht, wie es der personenbezogene Vorwurf der angeblichen „Konkordatsmanie" zu meinen nahegelegt, etwas individuell Spezifisches. Man wird umgekehrt sagen müssen, daß auch in Punkte er diesem keinen Bruch mit der 1914 eingeleiteten Entwicklung gewollt hat. Wie auf vielen anderen Gebieten seines Wirkens bedeuteten auch hier seine Neuanfänge nur konsequente Weiterführung des längst Begonnenen. Das Ziel änderte sich nicht. Und auch in den Methoden seines Handelns, im politischen Stil, soll man die unbezweifelbaren Unterschiede zwischen ihm und Benedikt XV. nicht überbetonen. Nicht von ungefähr behielt Pius XI. nach seiner Wahl das gesamte außenpolitische Personal der Kurie, bis in die Spitze, in den Ämtern — was nicht bedeutet, daß er sich von seinem Apparat irgendwie habe „gängeln" lassen. Dies wäre bei einer so starken Persönlichkeit mit so ausgeprägter Fähigkeit zu unabhängigem Urteil, schneller Auffassung und energischem, ja impulsivem Handeln ohnehin schwer möglich gewesen. Die damalige Situation im Staatssekretariat hat der Insider Dalia Torre deutlich beschrieben: „Pio XI intendeva governare senza consiglio chisesia, a meno ehe non fosse egli stesso a chiederlo."

Auch eine Herrschernatur wie Pius XI. konnte freilich den Rahmen der Konkordatspolitik wie überhaupt den Bedingungsrahmen der päpstlichen Außenpolitik nur in sehr begrenztem Umfange selbst bestimmen. Er konnte kaum Situationen herbeiführen, die für ihn günstig gewesen wären, sondern war darauf angewiesen, Chancen auszunützen, wenn sie sich boten. Der Papst hat keine Divisionen. Das war für die Kurie nichts Neues. Neu aber wurde in der Zwischenkriegszeit für die ganze Welt und damit auch für den Vatikan die Etablierung moderner totalitärer Herrschaftssysteme: zunächst in der Sowjetunion, danach (allerdings nur mit erheblichen Einschränkungen) in Italien und schließlich (ohne Einschränkungen) in Deutschland. Mit allen drei Systemen hat Pius XI. konkordatäre Abmachungen angestrebt. In zwei Fällen, Italien (1929) und Deutschland (1933), ist ihm das gelungen, im dritten, Rußland, nicht. Hauptgegenstand unserer Erörterungen sind die beiden gelungenen Fälle. Man kann deren geschichtliche Eigenart jedoch besser erkennen, wenn man auch den gescheiterten Versuch einbezieht.

Die Details der sowjetrussisch-vatikanischen Verhandlungen sind zwar wegen der völligen Unzugänglichkeit der Moskauer Quellen und wegen der relativen Unzugänglichkeit der römischen Quellen nur in Umrissen erkennbar. Die Ziele des Hl. Stuhls und die Gründe des Scheiterns seiner damaligen Ostpolitik lassen sich aber hinreichend klar beschreiben.

II. Der Papst und die Sowjetunion (1922— 1927)

Die vatikanischen Verhandlungen mit der Sowjetunion hatten noch unter Benedikt XV. eingesetzt Zwar war es diesem, ebenso wie seinem Nachfolger, niemals fraglich, daß die alten kirchlichen Abgrenzungen gegenüber dem Sozialismus in noch stärkerem Maße auf den (damals nicht dem Begriff, aber der Sache nach) als totalitär erkannten Kommunismus zuträfen. Der große Widerspruch zwischen den normativen Grundlagen des sowjetrussischen Systems und der Lehre der katholischen Kirche hat jedoch beide Päpste nicht dazu veranlaßt, auf Außenpolitik sowie — gegebenenfalls — auf vertragliche Vereinbarungen mit der Sowjetunion prinzipiell zu verzichten.

Nicht die einfache Frage, ob der Vatikan mit dem Rußland Lenins und Stalins Verträge schließen solle oder könne, sondern die Doppelfrage, unter welchen Bedingungen dies möglich sei und welche Bedingungen kirchlicherseitsverantwortet werden könnten, bezeichnete das Problem. Das Ziel der Kurie war es, jede, auch nur kleine, auch nur minimale Chance auszunützen, um in Rußland Seelsorge treiben zu können und/oder der Bedrückung der Christen unter der Unterdrükkung der Seelsorge entgegenzuwirken. Das Gasparri-Vorovski-Abkommen über den rechtlichen Status der vatikanischen Hilfsmission in Rußland wurde am 12. März 1922 unterzeichnet, obwohl es ganz weit hinter dem Pizzardo-Entwurf vom 18. Dezember 1921 zurückblieb und obwohl das Moskauer Regime mit der Enteignung der Kultgeräte der Kirchen am 26. Februar 1922 eine neue Stufe der Kirchenverfolgung betreten hatte. Und die vatikanische Hilfsmission hat vom Juli 1922 bis September 1924 in der Sowjetunion gearbeitet, obwohl ihr eine seelsorgerische Betätigung striktest untersagt war. Das war weit entfernt von dem eigentlichen Ziel der päpstlichen Außenpolitik, welches in einem Memorandum des Hl. Stuhls an die Weltwirtschaftskonferenz in Genua formuliert worden war und drei scheinbar utopische Forderungen an Rußland enthielt: volle Gewissensfrei-5 heit, Freiheit der privaten und öffentlichen Religions-und Kultausübung, Rückgabe des enteigneten Grundbesitzes an alle „religiösen Körperschaften“, was also nicht nur die Römisch-katholischen und die Unierten, sondern alle Kirchen und Religionsgemeinschaften betroffen hätte. Der russische Außenminister Tschitscherin konnte dies am 12. Mai 1922 um so leichter kühl ablehnen, als der Vatikan keine einhellige Unterstützung bei den Westmächten fand und der Sowjetunion der Ausbruch aus der internationalen Isolierung in Genua ohnehin nicht glückte. Ob sie andernfalls zu (von ihrem Standpunkt aus derart) weitreichenden Konzessionen bereit gewesen wäre — diese Konditionalfrage läßt sich historisch nicht schlüssig beantworten. Daß die Wahrscheinlichkeit weiter eher für Nein als für Ja spricht, dürfte indessen unstrittig sein.

Das geringe Maß der Moskauer Konzessionsbereitschaft hat nämlich die zwischen 1923 und 1927, vier Jahre hindurch, betriebenen Verhandlungen des Vatikans mit der Sowjetunion am Ende scheitern lassen. Es ging Moskau um die Umwandlung der De-facto-in eine De-jure-Anerkennung. In diesen zunächst von Gasparri in Rom, danach von Eugenio Pacelli in Berlin geführten Verhandlungen hat der Hl. Stuhl seine Forderungen schrittweise heruntergeschraubt. Er wäre schließlich sogar bereit gewesen, sich gegenüber Stalin vertraglich zu verpflichten, nur solche Geistliche nach Rußland zu entsenden, die dem Regime politisch genehm wären, wenn Moskau im Gegenzug die kirchliche Ausbildung katholischer Priester im Lande (Eröffnung von Priesterseminaren) und die Erlaubnis zur Entsendung von Geistlichen in das Land zu konzedieren und in einem Vertrag festzuschreiben bereit gewesen wäre. Ein solch äußerstes Minimum an Sicherung von Seelsorgemöglichkeiten enthielt eine Note Pacellis vom 5. Oktober 1927. Da aber Rußland jede vertragliche, also zweiseitige Bindung auch nur über diese Minimalbedingungen ablehnte, hat der Papst die Verhandlungen abgebrochen und die völkerrechtliche Anerkennung der Sowjetunion unterlassen.

Dieser Abbruch der vatikanischen Rußlandverhandlungen im Dezember 1927 bezeichnet deutlich die Ausweglosigkeit einer Situation: Der Papst mußte einerseits an die russischen Katholiken denken, die keine Bischöfe und Priester mehr hatten; er mußte aber auch die vermutlichen Rückwirkungen einer völker-rechtlichen Anerkennung des totalitären Rußlands durch den Hl. Stuhl auf die Katholiken und die Regierungen der übrigen Welt mitberücksichtigen. In der Wahl seiner Ziele und Methoden war er also nur in sehr begrenztem Maße ungebunden. Die päpstliche Außenpolitik befand sich daher dem Rußland Stalins (wie später dem Deutschland Hitlers) gegenüber in immer dem gleichen Dilemma: das totalitäre Regime konnte einerseits durch immer radikalere Kirchenverfolgung die Seelsorgemöglichkeiten auf ein kaum noch wahrnehmbares Minimum herunterdrücken, andererseits aber jede kleinste Erleichterung auf diesem Gebiet mit Gegenforderungen verknüpfen, deren Erfüllung durch den Vatikan sich propagandistisch in politische Anerkennung, ja in päpstliche Zustimmung zum System umdeuten ließ.

Mußte der Papst in einer solchen Situation an die russische Seelsorge denken — oder an seine moralische Autorität in der übrigen Welt? Aber: ließen sich diese beiden Momente in der Praxis überhaupt voneinander trennen? Eine wesentliche Aufgabe für die vatikanische Außenpolitik bestand offenbar darin, zu verhindern, daß sich eine derart ausweglose Entweder-Oder-Alternative stellte. Dies zu verhindern, war jedoch nicht allein vom guten Willen und den politischen Fähigkeiten der vatikanischen Außenpolitik abhängig. Infolgedessen war, nach einer präzisen späteren Formulierung Pius'XII., die auch auf unseren Zusammenhang voll zutrifft, jede derartige Entscheidung „schmerzvoll schwer"

Es gab keineswegs immer im Sinne der Kirche „gute" Lösungen. Die politische Entscheidung spitzte sich dann auf die Frage zu, ob die best-erreichbare auch eine verantwortlich-vertretbare Lösung darstelle. In puncto Ruß-land hat Pius XL mit dem Abbruch der Verhandlungen am 16. Dezember 1927 dokumentiert, daß er die Hoffnung auf die Erreichbarkeit einer vertretbaren Lösung aufgegeben habe. Hingegen hat er am 11. Februar 1929 in puncto Italien und am 20. Juli 1933 in puncto Deutschland seinen Kardinalstaatssekretär die Lateranverträge resp. das Reichskonkordat unterschreiben lassen, womit er dokumentierte, daß nach seinem Urteil eine verantwortlich-vertretbare Lösung erreicht sei. Unsere Frage lautet, ob es sich dabei für Pius XI. um „gute", also ideale, oder (nur) um „best-erreichbare“ Lösungen gehandelt hat. Dabei hat sich, meiner methodologischen Grundkonzeption entsprechend, der Maßstab für das, was als „gut" (oder „nicht-gut") zu bezeichnen ist, an den damaligen, zeitgenössischen Meinungen zu orientieren; ähnliches gilt für die Unterscheidung zwischen „erreichbar“ und „unerreichbar“, die nur unter Berücksichtigung der damaligen Situation getroffen werden kann.

III. Der Papst und die Lateranverträge (1929)

Wenn ich richtig sehe, ist bisher keine Quelle bekanntgeworden, aus der man explizit und zweifelsfrei einfach ablesen könnte, was sich Pius XL unter einem „guten“ Konkordat mit Italien vorgestellt hat, als er am 6. August 1926 die privaten Vorverhandlungen zwischen dem Konsistorialadvokaten Francesco Pacelli 9) und dem italienischen Staatsrat Domenico Barone eröffnen ließ, was schließlich zum Lateranvertragswerk geführt hat Wir können zwar die Textentwicklung der Verträge von 1929 bis in die Buchstaben und Kommata hinein verfolgen. Insofern sind die Karten aufgedeckt, wenigstens für die vatikanische Seite. Aber es ist keineswegs immer eindeutig erkennbar, welche Mo10) tive hinter den vielen, vielen Notizen und Entwürfen, Formulierungen und Gegenformulierungen gestanden haben. Unsere Haupt-quelle, das Diarium Francesco Pacellis, ist sicherlich ein Dokument von einzigartiger Bedeutung. Es enthält aber kaum etwas über die Gründe, die den Papst bewogen haben, seinen Unterhändler in den insgesamt 139 Audienzen (im Verlauf von zweieinhalb Jahren) jeweils konkret anzuweisen, den Punkt A der anderen Seite vorzuschlagen, B mitzuteilen, C abzulehnen und die Erörterung über D hinauszuschieben usw. über die jeweiligen Motive des Papstes für die Anweisung A, B, C oder D erfahren wir nahezu nichts. Bei einem Vertragswerk wie dem Lateranabkommen ist aber die Zielfrage von der Motivationsfrage nicht zu trennen. Diese würde sich zweifelsfrei nur aus Quellen rekonstruieren lassen, über die wir in diesem Falle nicht verfügen.

Eine derartige Quellensituation ist bei geschichtswissenschaftlichen Problemen allerdings nicht etwas Ungewöhnliches, sondern eher die Regel: Die Historiker müssen sich — auch sonst — meist damit begnügen, das einzelne (hier: die Vorgeschichte der Lateran-verträge) aus dem Zusammenhang des Ganzen heraus verständlich zu machen, wobei es in der Praxis keine wesentliche Rolle spielt, ob sie dieses Vorgehen analytisch oder hermeneutisch begründen. Der Zusammenhang des Ganzen aber ist gerade im Hinblick auf die Lateranverträge noch nicht mit der wünschenswerten Eindeutigkeit zu bestimmen. Denn wer will sich beim derzeitigen Stand unserer Kenntnisse zutrauen, mit genügender Sicherheit die Idealvorstellungen Papst Pius’ XL für den italienischen Staat zu bestimmen? War er bis 1912, als er nach Rom kam, oder bis 1922, als er Papst wurde, ein Konservativer in dem Sinne, daß er eigentlich hinter den liberalen Staat des Risorgimento zurück wollte? Oder war er ein Clerico Moderato, der — zumindest im Prinzip — mit diesem liberalen Staat auskommen konnte und wollte? Es hängt für die Beurteilung der päpstlichen Ziele mit den Lateranverträgen von dieser Frage nicht gerade alles, aber doch sehr viel ab. Unstrittig ist, daß diese Verträge die bedeutsamste außenpolitische Entscheidung eines Papstes zwischen 1870 und 1945, vielleicht noch weit darüber hinaus, darstellen. Die Römische Frage aus der Welt zu schaffen — für uns heute, fünfzig Jahre danach, eine bare Selbstverständlichkeit —, war damals eine Tat von wirklich säkularer Bedeutung.

Bereits vor Pius XL und Mussolini war die Lösung der Römischen Frage von der Kirche wie vom Staat als prinzipiell lösungsfähig angesehen worden. Die jüngere Forschung hat zeigen können, daß eine Einigung bereits im Juni 1919 sicher nicht am Vatikan und vermutlich nicht an der italienischen Regierung (Orlando) gescheitert ist, sondern am König, der von Giolittis Maxime eines vertrag-losen Nebeneinander („due parallele“: 30. Mai 1904 12) nicht abweichen wollte. Daß Italien 1929 mehr Konzessionen machen müsse, als 1919 gefordert wurden, ließ sich damals natürlich noch nicht erkennen. Unter Benedikt XV. war von Zahlungsverpflichtungen des italienischen Staates an den Hl. Stuhl noch nicht die Rede. Vermutlich dachte man damals auch noch nicht an ein Junktim zwischen einem Vertrag über die Lösung der Römischen Frage und einem Italienkonkordat, wenngleich in diesem Punkt die Meinungen der Historiker auseinandergehen.

Was Pius XI. 1926 in die Ausgleichsverhandlungen neu eingebracht hat, war demnach dreierlei:

— Verzicht auf eine Internationalisierung der Römischen Frage, also Conciliazione durch einen bilateralen Vertrag, ohne Einschaltung der übrigen Staatenwelt oder des Völkerbundes. De Gasperi hat dies 1929 bekanntlich als einen besonderen Pluspunkt bezeichnet.

— Forderungen nach einem Entschädigungsabkommen für die Vermögensverluste durch das Ende des Kirchenstaates und über einen Ausgleich für die vom Papst nie abgerufenen jährlichen Zahlungen des Staates nach den Bestimmungen des italienischen Garantiegesetzes von 1871.

— Forderung nach einem Junktim zwischen Conciliazione und Veränderung des italienischen Staatskirchenrechts, also Verbindung des Lateranvertrags mit einem Konkordat. Die Einzelheiten der Verhandlungsgeschichte müssen hier natürlich ausgeklammert werden. Auf zwei für die Interpretation der päpstlichen Motive besonders wichtige Punkte ist jedoch einzugehen:

Der erste betrifft den relativ späten Beginn der Verhandlungen. Sie setzten, wie erwähnt, am 6. August 1926 ein, obgleich Italien bereits fünfzehn Monate früher Verhandlungen ins Gespräch gebracht hatte. Der Justizminister Rocco hatte dem Senator Santucci, einem Vertrauten Gasparris, am 21. Mai 1925 erklärt, er stimme den von Santucci entwickelten Bedingungen für eine Conciliazione zu, schlage aber — in Abweichung von dessen Vorschlägen — die Lösung in Form eines bilateralen Vertrages vor. Das war eine klare Verhandlungsofferte. Der Papst aber — ließ die Dinge liegen.

Im weiteren Verlauf des Jahres 1925 hat die 18er-Kommission unter Mattei-Gentili

eine Reform des italienischen Staatskirchen-rechtes beraten. Das Ergebnis entsprach so sehr den kirchlichen Wünschen, daß im Januar 1926 bereits die schriftliche Zustimmung von zehn Kardinälen und 127 Bischöfen bei Mussolini eingegangen war. Ein wichtiger Teil des späteren Laterankonkordates war damit materiell erarbeitet. Pius XI. aber erklärte am 26. Dezember 1925 intern und am 16. Februar 1926 öffentlich und amtlich, daß er dies — so — nicht akzeptiere. Warum zögerte er? Hier ist zu beachten, daß zwar Mussolinis Kirchenpolitik die Voraussetzungen für die Verhandlungsgespräche geschaffen hatte, der Termin für den Beginn aber vom Vatikan bestimmt worden war. Warum geschah das so relativ spät?

Die beste Erklärung daf Februar 1926 öffentlich und amtlich, daß er dies — so — nicht akzeptiere. Warum zögerte er? Hier ist zu beachten, daß zwar Mussolinis Kirchenpolitik die Voraussetzungen für die Verhandlungsgespräche geschaffen hatte, der Termin für den Beginn aber vom Vatikan bestimmt worden war. Warum geschah das so relativ spät?

Die beste Erklärung dafür findet sich bei de Felice 15): Der Papst wollte die Konsolidie-rung der Diktatur Mussolinis abwarten, der sich seit dem 3. Januar 1925 mit den anderen alten Machteliten (König, Administration, Heer, Justiz, Wirtschaftsorganisationen) einigte, aber erst im Frühjahr 1926 die intransigenten, die „eigentlichen“ Faschisten entmachtete: Farinacci ist am 30. März 1926 durch Turati als Generalsekretär des Partito Nationale Fascista abgelöst worden. Nunmehr hob sich Mussolinis tatsächliches System deutlich von seiner namengebenden Bewegung und von deren legitimierenden Ideen ab. Das Abdrängen der eigentlichen Faschisten von der Macht, das Arrangement des charismatischen Diktators mit den „fiancheggiatori“ 16), war in wesentlichen Stücken vollzogen oder eingeleitet, ehe der Papst sich in Gespräche einließ. Das bedeutet aber: der eigentliche Partner der Lateranverhandlungen repräsentierte ein System, das sich selbst zwar „totalitär“ nannte, aber einige wesentliche Bedingungen unseres heutigen Totalitarismus-Begriffs nicht erfüllte, sondern in mancherlei Hinsicht eher autoritär als totalitär zu nennen ist. Die Freiheit war in Mussolinis Italien seit 1925/26 erheblich eingeengt; sie war aber nicht, wie in Stalins Rußland und Hitlers Deutschland, aufgehoben. Mussolini stützte seine Herrschaft weniger auf Terror als auf Geheimpolizei und Propaganda Der zweite, noch bedeutsamere Umstand für die Erkenntnis der Motive Pius’ XI. ergibt sich, wenn man nach den Gründen für die mehrfachen, teilweise monatelangen Verhandlungsunterbrechungen in den Jahren 1927 und 1928 fragt. Ein Teil von ihnen geht auf Mussolinis Konto zurück, der auf Zeitgewinn spielte; dies interessiert uns hier nicht. Wo hingegen die Unterbrechungen vom Vatikan erzwungen wurden, der dadurch die entschiedenste Ernsthaftigkeit seiner Verhandlungsziele signalisierte, ging es allemal nicht um Fragen des Lateranvertrages, sondern um Konkordats-Probleme. Offenkundig interessierten den Papst die Conciliazione, der Schlußstrich unter die gewesene Geschichte des Kirchenstaates, weniger als die Frage nach der künftigen Stellung der Kirche in Italien, das heißt nach dem Stellenwert, der Bedeutung, der Funktion der katholischen Kirche für die italienische Zukunft. Fundamentale Probleme waren hier die Forderung nach Einbau des kanonischen Eherechts in das italienische Zivilrecht, die Pius XI. zu einer conditio sine qua non gemacht hat (20. Januar 1929), und nach der Reform des italienischen Schulwesens (Religionsunterricht, kirchlicher Einfluß) — beides Punkte von größter gesellschaftspolitischer Brisanz und dahe Januar 1929), und nach der Reform des italienischen Schulwesens (Religionsunterricht, kirchlicher Einfluß) — beides Punkte von größter gesellschaftspolitischer Brisanz und daher mehr als nur rechtstechnisch komplizierte Probleme.

Es scheint mir für die Beurteilung Pius’ XI. überaus bezeichnend zu sein, daß die rigorose Ablehnung des bildungspolitischen Maximalprögramms der Kurie vom 5. Dezember 1926 im italienischen Gegenentwurf vom 22. Februar 1927 den weiteren Fortgang der Unterhandlungen nicht belastet hat. Die knappe Formulierung des italienischen Entwurfs stellte nicht nur umfangmäßig ein Minimum dar, sondern auch sachlich. Der endgültige Konkordatstext bedeutete in den Schulfragen keineswegs die Mitte zwischen diesen beiden Extremen, sondern kam dem Staat entgegen. Er konzedierte schöne Absichtserklärungen und wenig Substanz. Ganz anders im Eherecht, wo der Papst mit granitener Härte aufgetreten ist. Als der italienische Justizminister sachlich nicht unzutreffend erklärte, es würde dadurch das Zivil-recht geradezu auf den Kopf gestellt, machte Pius XI. klar, daß dann eben das gesamte Vertragswerk scheitern solle — und setzte sich damit bei Mussolini durch. Offenkundig lag dem Papst mehr an kirchlichem Einfluß auf die italienische Familie als auf die italienische Schule.

Dies bedeutete aber keineswegs Desinteresse an kirchlicher Einwirkungsmöglichkeit auf die italienische Jugend. Im Gegenteil: Die Existenz einer organisierten katholischen Jugend ist für mich „viel wichtiger als die Römische Frage“, erklärte er seinem Unterhändler am 22. Dezember 1926. Und weil dies eine Sache von so zentraler Angelegenheit war, hat der Vatikan wegen dieses Punktes die Verhandlungen zweimal unterbrochen (Anfang 1927 und Frühjahr 1928). Pius XI. hatte eben theoretisch und praktisch höchstes Interesse an dem Kampf um die Seelen der Jugend gerade Italiens. Nur wollte er diesen nicht primär durch die Institution Schule führen, sondern durch die unmittelbar von Papst, Bischöfen und Pfarrern abhängigen Organisationen der Katholischen Aktion. Er hatte diese am 30. November 1922, unmittelbar nach der Bildung der Koalitionsregierung Mussolini, neu konstituiert. Am 2. Oktober 1923 gab er ihr eine neue Satzung, in der die Aufgaben der Katholischen Aktion deutlich vom Parteipolitischen abgegrenzt waren.

Vorhergegangen war, daß der Vatikan seit Ende Mai 1923 die offene Unterstützung der Katholischen Volkspartei eingestellt hatte. Die satzungsmäßige und rechtliche Ausschaltung des Parteipolitischen aus dem Aufgabenfeld der Katholischen Aktion bedeutete natürlich nicht, daß nunmehr die unendlich vielen Berührungspunkte zwischen den katholischen Organisationen und den Popolari 19) weggefallen wären: genannt seien nur die vielfältigen Personalunionen, besonders auf lokaler und regionaler Ebene. Da die Katholische Aktion de iure keine parteipolitischen Ziele verfolgte, wurde sie von der „Gleichschaltung“ Italiens in den Jahren 1925/26 zunächst nicht betroffen. Die Regierung unternahm gegen sie nichts, und für Gewalttaten lokaler faschistischer Gruppen auch gegen den lokalen Sitz 20) mancher katholischen Aktion konnte nicht, jedenfalls nicht unbedingt, die Regierung verantwortlich gemacht werden. Bedrohlich wurde es aber Ende November 1926, als die Kurie von der Vorbereitung gesetzesförmiger Bestimmungen erfuhr, die darauf zielten, die gesamte außerschulische Jugendarbeit für die faschistischen Jugendorganisationen zu monopolisieren und die Kirche dabei entweder auszuschalten oder dem Regime unterzuordnen. Der Gegenzug der Kurie bestand darin, im Konkordat eine Bestandsgarantie für die Katholische Aktion zu verlangen. Daran hatte man Anfang November 1926, als Francesco Pacelli und Gasparri die einzelnen Materien für das Italienkonkordat zusammenstellten, noch nicht gedacht. Hingegen findet sich eine derartige Bestandsgarantieklausel in dem ersten vatikanischen Konkordatsentwurf vom 5. Dezember 1926. Diese Klausel ist ohne eigentlich substantielle Veränderungen in die weiteren Textentwürfe übernommen worden und hat schließlich den Artikel 43 des Laterankonkordates gebildet. Die völkerrechtliche Absicherung der Existenz katholischer Organisationen durch Einbeziehung in ein Konkordat war kein grund-stürzend neuer Gedanke Anfang Dezember 1926; bereits im Lettischen Konkordat von 1922 findet sich eine derartige Klausel. Nur kam einer Regelung für die 450 000 Katholiken in dem kleinen baltischen Staatswesen natürlich unvergleichlich viel weniger Bedeutung zu als einer Regelung, die für 42 000 000 katholischer Italiener galt. Gelang die Absicherung hier, so war eine vom Regime unabhängige, über die Sakristeimauern hinaus-strahlende Präsenz der Kirche in die italienische Lebenswelt hinein erreicht, gerade auch für die Jugend. Die Diktatur Mussolinis konnte sich in diesem Bereich dann nicht ins Totalitäre (mit heutigen Begriffen zu sprechen) verändern. Die Kirche blieb in Italien auch unter den veränderten Bedingungen der sich modernisierenden Welt nicht nur präsent, sondern eine Lebensmacht, die vom Regime unabhängig war.

Um dieses Ziel zu erreichen, hat der Papst Vorleistungen gebracht. Für das staatliche Ja zur Aufnahme der Bestandsgarantie in die Konkordatsmaterien gab der Vatikan im Januar 1927 die Hälfte der existierenden katholischen Pfadfindergruppen preis. Im April 1928 opferte er auch die andere Hälfte dieser Eliteorganisation, erhielt aber dadurch eine Ausnahmebestimmung für Pfarrjugendgruppen von bereits allgemein verfügten Auflösungsbestimmungen. Im übrigen hatte die vatikanische Verhandlungsposition eine politisch schwache Stelle: sie setzte den Papst unter Erfolgszwang. Wollte er seine Katholische Aktion durch das Konkordat retten, so mußte er sich in den übrigen Punkten mit Mussolini geeinigt haben. Daß dieser bei seiner vorzüglichen Witterung für taktische Chancen diesen Zusammenhang nicht bemerkt haben sollte, ist unwahrscheinlich. Das hat man wohl auch im Vatikan bedacht. Aber es gab offenbar keine Alternative.

Die Textgeschichte des Artikels 43 bietet keinen Anlaß, hier ins Detail zu gehen. Weniger wegen seiner Auswirkungen auf die italienischen Verhältnisse als wegen seiner Bedeutung für die Entstehung des Reichskonkordats von 1933 muß jedoch angefügt werden, daß die Bestandsgarantieklausel der Katholischen Aktion bereits im ersten, internen vatikanischen Textentwurf durch einen Absatz 2 ergänzt war, der den Klerus betraf. Absatz 1 handelte vom Schutz bzw.der Anerkennung der katholischen Organisationen, die ihre Tätigkeit „außerhalb jeder politischen Partei" (fuori e sopra di ogni partito) ausüben würden. Mit innerem Bezug darauf lautete es im Absatz 2: Der Hl. Stuhl erneuert für den italienischen Welt-und Ordensklerus das Verbot, irgendeiner politischen Partei anzugehören oder Funktionen darin zu übernehmen. So hieß es am 5. Dezember 1926, und so blieb es am 11. Februar 1929, wenn auch mit etwas anderen Worten.

Im übrigen hat der Absatz 2 des Art. 43 in keinem Stadium der Verhandlungen irgendwie nennenswerte Bedeutung gewonnen. Er wurde formuliert, akzeptiert und war danach beschlossene Sache, seit Januar/Februar 1927. Hingegen ist diese Vereinbarung des Lateran-konkordats über die Entpolitisierung des Klerus seit 1929 — vor allem in Deutschland — gern als eine erhebliche Konzession des Papstes an Mussolini interpretiert worden. Ich halte diese Interpretation für problematisch, weil sie zu sehr die deutschen und zu wenig die vatikanischen und italienischen Verhältnisse berücksichtigt. Eine gewisse Konzession an den Staat Mussolinis war die Vereinbarung natürlich schon; denn das bisher ausschließlich innerkirchliche Recht wur-de durch die Aufnahme in das Konkordat bilaterales Vertragsrecht. Bis zum 11. Februar 1929 hätte der Papst jederzeit das Parteipolitikverbot des italienischen Klerus aufheben können, ohne eine staatliche Institution auch nur zu konsultieren oder zu informieren. Nach dem Inkrafttreten des Konkordats aber hätte er dazu der Zustimmung der italienischen Regierung bedurft. Seine Dispositionsfreiheit wurde also eingeengt. Das war eine unbestreitbare Konzession.

Das Ausmaß dieser Konzession aber war aus drei Gründen relativ gering:

Erstens hatte Italien eine derartige vertrags-rechtliche Bindung des Papstes nicht verlangt. Es ist immer etwas anderes, ob man bei Vertragsverhandlungen Sagt: „ich habe schon immer, und außerdem binde ich mich darin jetzt auch Dir gegenüber“, oder ob man sagen muß: „weil Du willst, gebe ich Dir".

Zweitens entsprach dieses Verbot den allgemeinen kirchlichen Prinzipien, nicht nur den persönlichen Auffassungen des Papstes Pius’ XI. Auch sein Vorgänger war der Meinung, ein Priester sei für alle Menschen da, und parteipolitische könne die das Engagement Seelsorge belasten. Daher beobachtete er das Klerus in Einströmen des italienischen die Parteipolitik seit 1919 nicht ohne Sorge. Ob er allerdings, wäre er nicht so früh gestorben, so radikal durchgegriffen hätte wie sein läßt Nachfolger in den Jahren 1923/1924, sich nicht entscheiden.

Drittens veränderte das Konkordatsrecht in diesem Punkte nicht einen bestehenden Zustand, sondern es bestätigte ihn. Denn das Verbot galt kirchlich schon seit mehr als zwei Jahren. Pius XI. hatte nach der Spaltung der Volkspartei im Frühjahr 1923 den nicht organisatorischen, aber faktischen Zusammenhang zwischen Kirche, oder sagen wir besser: zwischen Katholizismus und Popolari-Partei mit großer Härte gelöst. Don Sturzo Wurde zwischen Ende Juni 1923 und Ende Oktober 1924 zunächst aus dem Parteivorsitz geholt und schließlich in die Emigration geschickt. Im Zusammenhang mit den Kammer-Wahlen vom 6. April 1924 erließ die Religiosenkonkregation am 10. Februar 1924 restriktive Bestimmungen für den italienischen Ordensklerus. Am 11. September 1924, mitten in der Matteotti-Krise verbot der Papst den aventinischen Popolari öffentlich eine Koalition mit den verfassungstreuen Sozialisten. Am 23. September verpflichtete Gasparri die italienischen Bischöfe, dafür zu sorgen, daß die Weltpriester nicht mehr parteipolitisch tätig wären. Diese Anordnung betraf sehr viele Geistliche: Die deutsche Vatikanbotschaft schätzte, daß vorher etwa 90 °/o der Pfarrer Volksparteimitglied gewesen seien.

Bei vielen Popolari haben diese Entscheidungen des Papstes schmerzende Narben hinterlassen, wie noch in der heutigen Historiographie deutlich zu spüren ist. Da sich beim derzeitigen Forschungsstand die Gesichtspunkte, welche den Papst damals bei diesen unerbittlich durchgesetzten Entscheidungen geleitet haben, nur hypothetisch bestimmen ließen, möchte ich darauf nicht weiter eingehen. Wichtiger ist für unseren Zusammenhang die Frage, welche Folgen mit diesen Entscheidungen in Zusammenhang gebracht werden können. Ich erblicke sie in vier Punkten: Erstens hat das Zurückziehen des Klerus offensichtlich die enorm schnelle Machtbefestigung des Mussolini-Regimes nach dem 3. Januar 1925 zu ihrem Teil mitbegünstigt. Zweitens hatte unter den Folgen zunächst die Volkspartei zu leiden. Deren Zustand ähnelte Ende 1925 der Lage, in der sich deutsche Zentrumspartei im Juni 1933 befunden sie am Ende. dies hat: war Aber war nicht die einzige Konsequenz der päpstlichen Politik. Das Verbot der Parteipolitik gab nämlich drittens dem Klerus Schutz vor einer Integration in die faschistischen Organisationen. Geistliche durften nun aus kirchen-rechtlichen Gründen auch bei den Faschisten nicht Mitglied werden; und durch entsprechenden öffentlichen Druck erzwang der Papst viertens im Dezember 1925 von Mussolini das parteiamtliche Anerkenntnis, daß Kleriker keinen faschistischen Organisationen beitreten dürften, auch keinen Standesor-ganisationen, was vor allem für Geistliche im Schuldienst hochbedeutsam war.

Man darf das Verbot von 1924 also nicht allein in seiner Wirkung auf die Volkspartei würdigen. Es übte nach deren Verschwinden eine wichtige Schutzfunktion für den Klerus aus und verhinderte auf diesem Sektor eine totalitaristische Installierung des Regimes. Infolgedessen war die Einfügung des Entpolitisierungsabsatzes in den vatikanischen Konkordatsentwurf ein für Mussolini nur zweifelhafter Vorteil. Der Papst legte sich zwar ihm gegenüber fest und verzichtete damit auf ein Stück künftiger Entscheidungsfreiheit. Zugleich aber stärkte der Vatikan auf diese Weise die kirchliche Eigenständigkeit, ihre Unabhängigkeit sowohl von der faschistischen Bewegung wie von Mussolinis Regime. Ein derartiges Verbot bedeutet im totalitären System kaum eine Diskriminierung, sondern garantiert einen gewissen Freiheitsraum und gibt nicht zuletzt einen Schutz vor der Verlockung oder Erpressung, politischer Funktionsträger im Dienste und nach dem Willen des Regimes zu werden. Für diesen Sachverhalt bieten die Situation der Berufsoffiziere im Dritten Reich und die Situation des katholischen Klerus in Gesamtdeutschland nach 1933 und in der sowjetrussischen Besatzungszone nach 1945 viel Anschauungsmaterial. Der Artikel 43, 2 des Laterankonkordats war also nicht einfach eine Konzession des Papstes an Mussolini, sondern zugleich eine Stärkung der kirchlichen Position.

Wenn wir nun zu unserer Ausgangsfrage zurückkehren, ob die Lateranverträge als Ganzes, wie sie am 11. Februar 1929 unterzeichnet und am 7. Juni 1929 ratifiziert worden sind, nach der Auffassung des Papstes als „gut“ oder nur als „best-erreichbar" zu bewerten waren, so fehlt es wiederum an Quellen oder konkludenten Handlungen, aus denen sich eine eindeutige Antwort einfach ablesen ließe. Dem nahezu allgemeinen Jubel des italienischen Volkes über die Conciliazione entsprach der Papst in den ersten Tagen nach der Unterzeichnung durch emphatisches Lob des Vertragswerks. Liest man einige Passagen seiner Ansprache vom 13. Februar, die sofort die Runde durch die ganze Welt machten, so stellte Pius XI. sich anscheinend ohne alle Einschränkungen hinter das gesamte Vertragswerk. Da wird Mussolini gelobt als der „Mann, den uns die Vorsehung geschickt hat", da werden Grundpositionen des liberalen Staatsdenkens als „Fetisch" abqualifiziert, und da werden die Folgen des Lateranvertragswerkes so ausgemalt:

»certissimamente gli avvenimenti ... sono destinati a produrre ...frutti preziosi per la gloria di Cristo Re, per l'onore della Santa Madre Chiesa, per il bene delle anime, per il bene d'Italia e di tante care anime .. per il bene del mondo interno .. .“ Das klingt, auch wenn die rhetorischen Überhöhungen in Rechnung gestellt werden, als habe der Papst im Februar 1929 gehofft, daß es jetzt gelingen könne, aus Italien wieder einen „katholischen" Staat, ein katholisches Gemeinwesen im Sinne der vorliberalen Epoche zu machen. Also — in den Augen des Papstes — ein „guter" Vertrag?

Eine solche Interpretation könnte sich zwar auf einen Teil des zeitgenössischen Verständnisses berufen und wird bis heute wiederholt. Sie hängt aber von dem meiner Ansicht nach nicht ausreichend bewiesenen und beim derzeitigen Stand unserer Quellenkenntnisse auch nicht hinreichend beweisbaren Vorverständnis ab, mit dem man an Pius XI. herangeht: War er im Grunde seines Herzens ein konservativer Lombarde oder ein Clerico Moderato aus Mailand? Beide Interpretationen wären möglich — und je nach dem käme man dann zu dem Schluß, daß die Verträge für den Papst entweder „best-erreichbar" oder aber „gut“ gewesen seien. Doch wie auch immer man sich in dieser Frage entscheiden mag, die Erfahrung, die Pius XI. nach der Unterzeichnung der Verträge binnen drei Monaten mit Mussolini machte, müssen ihn belehrt haben, daß für eine Konzeption der Lateranverträge als „gut" (und damit als Instrument für das Zurückgehen hinter die liberale Epoche) die unerläßlichen Voraussetzungen auf Seiten des Vertragspartners schlechterdings fehlten, daß auch nach 1929 „Stato Cattolico" und „Stato Fascista" ebenso unterschiedliche Konzeptionen darstellten, wie sie es vor Beginn der Lateranvertragsverhandlungen gewesen waren. Nach einem Vierteljahr hatten die vatikanisch-italienischen Beziehungen sich schon so verschlechtert, daß der Papst am 14. Mai das Vertragswerk nicht mehr einfach überschwenglich loben konnte, sondern die Tatsache des Abschlusses vehement verteidigen mußte, wobei er den überaus drastischen Satz formuliert hat: „Wenn es sich darum handeln würde, eine einzige Seele zu retten, einen größeren Schaden von den Seelen abzuwenden, so würden Wir den Mut haben, auch mit dem Teufel in Person zu verhandeln.“ Ein erfahrener Diplomat schloß aus dieser Anspra-ehe, daß „der zwischen der Kirche und dem Faschismus offensichtlich bestehende Gegensatz der Weltanschauungen auch in Zukunft zu einer unübersehbaren Reihe von gegenseitigen Reibungen und Schwierigkeiten führen wird". Diese Prognose hat sich durchaus erfüllt, wie sich an den Krisen von 1931 und 1938 nachweisen ließe

Ich halte es für unwahrscheinlich, daß Pius XI. bei jener zugespitzten Formulierung vom Teufel in Person allein an seine Verhandlungen mit Mussolini gedacht hat, sondern vermute, daß ihm dabei auch diejenigen mit der Sowjetunion vor dem geistigen Auge gestanden haben. Doch wie auch immer: schon im Mai 1929 betrachtete der Papst die Verträge vom 11. Februar 1929 nicht einfach als „gut", als Idealvertrag oder Idealkonkordat, sondern (nur) als etwas „Best-Erreichbares". Dieses Best-Erreichbare ließ sich allerdings unter dem Aspekt der Seelsorgemöglichkeiten durchaus rechtfertigen, was an dieser Stelle nicht im einzelnen nachgewiesen werden muß. Man denke nur daran, daß 1929 außer dem Eherecht und dem Religionsunterricht erreicht wurde, daß die Hineinregiererei des Staates in die kirchliche Personalpolitik und in die Vermögensverwaltung aufhörte, und daß das katholische Organisationswesen durch den Konkordatsartikel 43 dem Katholizismus unabhängig von Bischöfen und Priestern eine Präsenz sicherte, die gesellschaftspolitisch (und damit indirekt auch politisch) unendlich viel bedeutet hat. Die positiven Folgen der Lateranverträge für den Papst als Haupt der Weltkirche aber sind so offenkundig, daß darüber noch weniger ausgeführt werden muß. Nur auf einen, gern übersehenen Gesichtspunkt möchte ich aufmerksam machen: Es war für die unerläßliche Unabhängigkeit des Papsttums ein kaum hoch genug einzuschätzender Vorteil, daß die Zentrale der Weltkirche, die durch das Finanzabkommen vom italienischen Staat 1, 75 Milliarden Lire erhielt (und zwar die aufgewerteten Lire des Jahres 1929), wirtschaftlich-finanziell wieder etwas auf eigene Füße zu stehen kam. Wer will, daß der Papst unabhängig sei, muß dies positiv bewerten.

Aber, so ist damals eingewendet worden und wird bis heute wiederholt: Darf der Papst Verträge, auch bei unbestreitbarem Nutzen für die kirchlichen Interessen, mit einem Regime abschließen, das, wie damals das italienische, „Freiheit und Menschenwürde unterdrückt"? Mit solchen Begründungen denunzierte die linke Auslandspresse in Frankreich, Österreich und in der Schweiz damals die Lateranverträge als ein „Bündnis der Schwarzkutten mit den Schwarzhemden“. Hingegen hieß die Antwort auf diese Frage für Pius XL unzweifelhaft: Ja, man darf — und dafür konnte er ja viele gute Gründe anführen; denn selbst wenn man die propagandistische Umdeutung der Lateranverträge in ein „Bündnis" als Sprachregelung einmal akzeptieren würde, so bliebe doch festzuhalten, daß der Pakt vom 11. Februar 1929 kein Unterwerfungsvertrag gewesen ist, sondern sorgfältig abgewogene und ausgehandelte Bedingungen enthielt. Sie dienten weniger der Einfügung der Kirche in das System Mussolinis als vielmehr einer vom System vertrags-rechtlich garantierten Anerkennung, daß auf die Eingliederung der Kirche in das System, genauer: die Verfügungsgewalt des Systems über die Kirche, verzichtet werde. Die Kirche wurde 1929 in Italien unabhängiger, als sie vorher gewesen war. Sie gefährdete 1929 nicht ihr eigenes Selbst, sondern sie sicherte dieses Selbst rechtlich ab. Die Lateranverträge haben Mussolini einen politischen Prestigegewinn erbracht wie nichts zuvor und nichts danach. Jetzt setzten für ihn die „anni del consenso“ ein. Das dürfte dem Vatikan nicht überraschend gewesen sein. Er hat aber darauf vertraut, daß die rechtliche und institutionelle Garantie der kirchlichen Autonomie eine Stärkung des wichtigsten Boll-werks gegen die Verwandlung Italiens in ein (nach heutigen Begriffen) totalitäres System zutreffend gewesen ist.

IV. Der Papst und das Reichskonkordat (1933)

Wie bei den Lateranverträgen reicht auch die mittelbare Vorgeschichte des Reichskonkordats in die ersten Nachkriegsjahre zurück. Diplomatische Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und dem Hl. Stuhl bestanden seit 1920, und schon 1919 setzten Bemühungen um eine konkordatäre Regelung ein. In mehrfach unterbrochenen Verhandlungsrunden ist es bis zu vollständig ausgearbeiteten Textentwürfen eines Reichskonkordats gekommen. Ein Abschluß aber kam nie zustande, da es an einer dafür nötigen Reichstagsmehrheit fehlte. Sie war nicht zu gewinnen, weil der Vatikan, anders als in Italien, in Deutschland das Hauptgewicht auf die Schulfragen legte. Der Papst wollte ein Reichskonkordat ohne vertragliche Absicherung des faktisch vorhandenen, aber nicht verfassungsmäßig garantierten Konfessionsschulwesens nicht abschließen. Diese völkerrechtliche Garantie wollte kein Reichstag von 1920 bis 1932 geben. Dagegen rangierte die Regelung der erheblichen Differenzen, die bei uns zwischen dem staatlichen und dem kirchlichen Eherecht bestanden, auf der vatikanischen Desideratenliste nur an untergeordneter Stelle. Wesentlich mehr Bedeutung gewann im Sommer 1932 eine eventuelle Garantie der Länderkonkordate (Bayern: 1924; Preußen: 1929; Baden: 1932). Sie waren an die Fortexistenz der Länder gebunden. Diese schien seit Papens Reichskanzlerschaft gefährdet (Preußenschlag, 20. Juli 1932). über nennenswerte politische Konzessionsmöglichkeiten, mit denen der Papst das Deutsche Reich zu seinen Bedingungen hätte konkordatswillig machen können, verfügte der Vatikan, ehe Hitler am Januar 1933 Reichs-kanzler wurde, nicht.

Es ist vor 1933 nie zur Sprache gekommen, in ein Reichskonkordat eine staatliche Bestands-garantie für die katholischen Organisationen aufzunehmen. Das katholische Verbandswesen in Deutschland, älter, besser gegliedert und viel umfangreicher als in Italien und außerdem in seinen politisch relevanten Massenorganisationen von den Bischöfen, vor allem finanziell, ziemlich unabhängig, bedurfte einer Konkordatsklausel nicht, weil die Weimarer Reichsverfassung (11. August 1919) Vereinigungsfreiheit garantierte. Ebenso bestand vor 1933 kein Bedürfnis, den katholischen Priestern in Deutschland das parteipolitische Engagement kirchenrechtlich zu verbieten. Seit dem Kulturkampf waren katholischer Klerus und politischer Katholizismus hier nicht geradezu identische, aber doch sehr komplementäre Begriffe geworden: der Zentrumskaplan unten und oben die Zentrumsprälaten waren eine eingebürgerte Institution, zum Ärger der anderen Parteien, aber so war es. So wie in Italien 1924 die Priester hier mit kircheilrechtlichen Mitteln aus der Zentrumspartei bzw. Bayerischen Volkspartei (BVP) herauszuholen, wäre für diese Parteien — nach dem übereinstimmenden Urteil von Freund und Feind — einer Katastrophe gleichgekommen und hätte kirchenpolitisch nur Schaden bedeutet.

In politischen Fragen war die deutsche Zentrumspartei zwar kein verlängerter Arm der Hierarchie; und die dauerhafte Koalition des Preußenzentrums mit der Sozialdemokratie seit 1920 mochte nicht nur dem Papst, sondern auch manchem anderen in Rom und in Deutschland ein Dorn im Auge sein. Es war aber nicht zu übersehen, daß gerade diese Koalition auch Vorteile für die Kirche brachte. „Pur riconoscendo tutti i difetti del Centro“, schrieb der Kardinalstaatssekretär Pacelli in einem vatikanisch-internen Brief am 28. September 1932, „esso rimane sempre, per quanto io sappia, l'unico partito su cui si possa fare sicuro assegnamento nelle cose della Chiesa" 30). Da der HL Stuhl seine Politik nicht im reinen Gebiet der logischen Deduktionen ansiedeln konnte, sondern auf den konkreten Gegebenheiten aufzubauen hatte, gab es — vom Vatikan aus gesehen — für das Zentrum keine Alternative, dessen Vorsitzender seit 1928 erstmalig ein Priester war, der Kirchenrechtler und Konkordatsspezialist Ludwig Kaas. Natürlich hat man sich in deutschen Zentrumskreisen seit dem Untergang der Italienischen Volkspartei oft (zuweilen übrigens mit reichlich naiven Vorstellungen von dem Vatikan) gefragt, ob die für eine katholische Partei unerläßliche Rückbindung an Bischöfe und Papst fest genug sei. Dieses Problem in simple Propagandaformeln übertragen lautete dann: „Will (oder: wird) der Vatikan das Zentrum fallen lassen"? Auf diese Frage hat Heinrich Brüning, vermutlich seit 1931, subjektiv ebenso ehrlich wie objektiv falsch mit Ja geantwortet. Das war zum negativen Extrem hin ebenso irrig wie zum Positiven hin in breiten Kreisen braver Zentrumswähler viel zu viel Vertrauen auf den Vatikan herrschte, als ob er für den deutschen Katholizismus eine Art Reserveheer darstelle, durch welches das Zentrum im Notfall schon herausgehauen würde.

Weder eine noch geschehen, andere das ist und beides nicht geschehen. Die konnte deutschen Bischöfe bis zum haben Schluß, auch noch zur Reichstagswahl vom 5. März 1933, ihre Gläubigen aufgefordert, politischen Katholizismus zu wählen. Zwei Drittel der bekenntnistreuen Katholiken haben dies auch getan. Dies ist unstrittig Der Papst hat sich Anfang März 1933 gefragt, ob man bisher Hitlers Rolle als eines eventuellen Abwehrfaktors gegen den Bolschewismus richtig eingeschätzt habe. Aber in Politik ist diese Erwägung nicht umgesetzt worden, so daß die beiden wichtigsten Entscheidungen des deutschen Katholizismus im Frühjahr 1933 ohne römische Einwirkung zustande gekommen sind. Nicht weil Rom das wünschte, hat das Zentrum am 23. März 1933 Hitlers Ermächtigungsgesetz zugestimmt, und nicht, weil Rom das wünschte, haben die deutschen Bischöfe am 28. März 1933 ihre bisherigen Verbote und Warnungen vor dem Nationalsozialismus konditionaliter zurückgenommen. Der Tübinger Kirchenhistoriker Scholder ist in diesen beiden Punkten zwar anderer Meinung, hat mich aber nicht überzeugt. Ich bleibe dabei, daß der Plan, dem Vatikan Reichskonkordatsverhandlungen anzubieten, aus einer Einigung zwischen Papen und Hitler erwachsen ist und daß der Prälat Kaas von der Tatsächlichkeit der Berliner Absicht einer Konkordatsofferte erst am 8. April 1933 im D-Zug Brenner/Rom durch von Papen informiert worden ist.

Zwei Tage später bot der deutsche Vizekanzler von Papen dem Kardinalsstaatssekretär ein Reichskonkordat zu eben jenen Bedingungen an, die Eugenio Pacelli in den Verhandlungen zwischen 1920 und 1932 nie hatte durchsetzen können. Es gelang Pacelli nicht, Zeit zu gewinnen, indem über einen eventuellen Modus vivendi gesprochen würde. Berlin wollte nichts anderes als ein Reichskonkordat. Die Regierung bot eine Garantie der Länderkonkordate an, eine Garantie des Konfessionsschulwesens, eine Garantie für die katholischen Verbände und vieles mehr, welches die Kirche wünschen mußte. Aber sie verlangte einen Gegenpreis, und die Berliner „Hauptgegenforderung" war hochpolitischer Natur: Entpolitisierung des deutschen Klerus nach dem Beispiel des Laterankonkordates Art. 43, 2, also ein generelles Verbot und damit ein Anschlag auf einen wahren Lebensnerv des Zentrums. Im übrigen hat Papen sein gesamtes Angebot wahrscheinlich in die Alternative . Annahme zu diesen Bedingungen — oder Kulturkampf auf der ganzen Linie'eingepackt.

Im Unterschied zu den Lateranvertragsverhandlungen konnte hier nicht der Papst den Termin des Gesprächsbeginns festlegen. Er konnte nicht abwarten, ob und in welcher Richtung sich Hitlers Herrschaft konsolidieren würde. Und natürlich konnte man in Rom bei dem verwirrenden Sich-Jagen widersprüchlicher Meldungen über sich überstürzende Ereignisse in der Karwoche 1933 noch nicht erkennen, daß Hitler in sieben Monaten unvergleichlich mehr Macht an sich reißen würde, als es Mussolini in sieben Jahren gelungen war. Wohin es in Deutschland laufen würde, meinte der Papst Mitte Mai, lasse sich noch nicht entscheiden.

Die Kurie hat sich auf Papens Gesprächsangebot in einer politisch ungeklärten Situation eingelassen. Ihre Gründe dafür hat sie nicht aktenkundig gemacht; sie sind aber unschwer zu erkennen: es gebot dies nicht allein der diplomatische Anstand (Hitler war schließlich legaler Regierungschef und als solcher von Moskau bis Washington hin anerkannt), sondern dies gebot die simple Vernunft; denn nicht nur Kommunisten und Sozialdemokraten, sondern auch der deutsche Katholizismus befanden sich damals schon in einer unverkennbaren Verfolgungssituation Es hatte sich im deutschen Staat schon so viel normativ verändert, daß die Kirche in einem bisher unbekannten Ausmaß „konkordatsbedürftig“ geworden war. In einer solchen Situation zu Gesprächen und Verhandlungen nicht bereit zu sein, wäre verantwortungsethisch kaum zu rechtfertigen gewesen.

Für den Fortgang der Verhandlungen wurde folgendes charakteristisch: Der Vatikan nahm einerseits das Berliner Angebot mit all seinen staatlichen Konzessionen als Gesprächs-grundlage an, bezog aber andererseits in dem Berliner Hauptpunkt (Entpolitisierung des Klerus) eine Verhandlungsposition, die gewisse Restriktionen vorsah, aber, indem sie deren konkreten Vollzug vom kirchlichen Ermessen abhängig machte, eine Konzession in Aussicht stellte, die, mit Berliner Augen betrachtet, keine war. Junker, Erdmann und Scholder haben aus diesem Mißverhältnis zwischen Berliner Angebot und vatikanischem Gegenangebot geschlossen, daß das (faktische) Nein der Kurie zur Entpolitisierung des Klerus nur verhandlungstaktisch gemeint gewesen sei Diese Interpretation ist jedoch quellenmäßig nicht zu halten; denn mit der gleichen Post, die den ersten neuen Vorentwurf des Reichskonkordates nach Deutschland brachte, am 20. April 1933, wurde der Episkopat vom Kardinalstaatssekreär via P. Leiber SJ darüber informiert: „Laterankonkordat Art. 43, 2 kommt nicht in Frage."

Im April 1933 hat der Vatikan die Reichskonkordatsverhandlungen also nicht mit dem stillen Hintergedanken aufgenommen, die Vorteile auf kulturpolitischem Sektor zu akzeptieren und zum Schluß dann die Zentrumspartei durch Entpolitisierung des Klerus zu opfern — grob vereinfacht gesagt: die freiheitliche Demokratie gegen die Konfessionsschule einzutauschen; eine solche Alternative stand im April 1933 für den Vatikan nicht zur Diskussion, weil er die Übertragung der Laterankonkordatsklausel auf Deutschland ablehnte. „Laterankonkordat Art. 43, 2 kommt nicht in Frage" — diese interne Formulierung vom 20. April 1933 war eine Verhandlungsmaxime, eine Zielaussage. Und bis zum l. Juli 1933 ist die Kurie in diesem Punkte hart geblieben und hat keinerlei substantielle Konzession in Aussicht gestellt. Inzwischen hatte sich die politische Szene in Deutschland in beispiellosem Maße verändert Die unter der Überschrift „Gleichschaltung" vollzogene Revolution war wie ein Steppenbrand dahingerast und hatte verbrannte Erde hinterlassen. Die Gewerkschaften hatten sich kampflos ergeben. Die Sozialdemokratie war verboten. Die bürgerlichen Parteien hatten sich aufgelöst, und auch den Zentrumsturm gab es nicht mehr: „Jede Betätigung für die Zentrumspartei ist heute unmöglich", notierte Karl Bachem am 24. Juni. Am 29. Juni kündigte Brüning einem britischen Diplomaten die formelle Auflösung der Zentrumspartei für den 30. Juni an. Auch in der Presse sprach man davon. All dies ist längst bekannt und von der Forschung oft genug untersucht worden.

Anders steht es mit den systematisch angelegten nationalsozialistischen Gewaltaktionen gegen den deutschen Verbandskatholizismus. Man hatte sie schon im März und April befürchtet. Sie waren bisher auf lokale Vorgän-ge hier und dort beschränkt gewesen. Jetzt liefen sie im großen Stile an. Daß die katholischen Massenorganisationen diesen Ansturm überdauert haben, ist eine direkte und vom Vatikan beabsichtigte Folge des Reichskonkordats. Der Angriff erfolgte auf zweierlei Weise: Gegen die mitgliederstarken Standes-vereine ging man am 29. Juni mit der Devise „Gleichschaltung" vor, was Eingliederung und damit Unterordnung unter die „Deutsche Arbeitsfront" bedeutet hätte; gegen die noch mitgliederstärkeren Jugendorganisationen wurde am l. Juli mit Polizei-verbot und Beschlagnahmung vorgegangen. Die Bischöfe sahen sich auf Eingaben und Proteste verwiesen, die ihre ganze Einflußlosigkeit offenbarten. Auch der deutsche Verbandskatholizismus schien am Ende zu sein.

Vor diesem Hintergrund haben sich die offiziellen Reichskonkordatsverhandlungen in Rom vom 29. Juni bis 8. Juli abgespielt. In Deutschland tobte der Terror gegen den Katholizismus, und es hat im Schoß der Kurie nicht an Stimmen gefehlt, die es ablehnten, unter solchen Bedingungen und Begleitumständen einen Vertrag mit „berufsmäßigen Vertragsbrechern“ zu unterschreiben. Aber aus dem deutschen Verbandskatholizismus kam der verzweifelte Ruf: „Wenn nicht durch Rom via Concordat all diesen Bestrebungen [Gleichschaltung] ein Strich durch die Rechnung gemacht wird, sind wir verloren“; und in Rom sagte der Vertreter der deutschen Bischöfe, Erzbischof Gröber: Kommt das Reichskonkordat „nicht zustande, dann wird uns in der nächsten Zeit alles zerschlagen, und ich frage mich, ob es überhaupt wieder aufgebaut werden kann". Schließe der Vatikan nicht ab, so würden die deutschen Katholiken sagen: „Der Hl. Stuhl hätte uns helfen können, aber er hat uns nicht geholfen." Bedingung sei freilich, daß „nun endlich der deutsche Kulturkampf abgeblasen wird". Auf dieser Linie ist es am 8. Juli zur Paraphierung gekommen. Hitler mußte am gleichen Tage die meisten Maßnahmen des l. Juli zurücknehmen und eine Wiederholung verbieten; der Verbandskatholizismus erhielt im Art. 31 eine Bestandsgarantie bei deren Formulierung der Kurie allerdings ein erheblicher Verhandlungsfehler unterlaufen ist, was hier im Detail nicht zu erklären ist.

Für diese völkerrechtliche Bestandsgarantie des Verbandskatholizismus hat der Vatikan am l. Juli den berühmten Artikel 32 über die Entpolitisierung des Klerus konzediert. Es wurde dadurch, zu diesem Zeitpunkt, nicht mehr das Zentrum fallengelassen; dieses war bereits selbst „gefallen". Wie ein Gutachten P. Leibers vom 29. Juni beweist, ging der Vatikan davon aus, daß das Zentrum binnen kürzester Frist nicht mehr existiere, sondern sich auflöse. Wenn dies einmal eingetreten sei, wäre der Entpolitisierungsartikel, „wegen dessen die Regierung allein (Hervorheb. von mir) das Konkordat macht, keine kirchliche Konzession mehr", womit Hitlers Intentionen richtig erfaßt waren. Der nüchterne Leiber sah aber noch einen weiteren Punkt sehr genau: wenn die Zentrumspartei einmal aufgelöst sei, dann — meinte er — wäre der Artikel 32 eigentlich nicht mehr eine Konzession der Kirche an den Staat, sondern „ein Schutz der Kirche gegen eine nationalsozialistische Invasion im Klerus". Dieser Satz ist selbstverständlich vor dem Hintergrund der italienischen Erfahrungen seit 1924/25 zu verstehen. Was dort den Klerus vor der Erfassung durch das faschistische Organisationswesen geschützt hatte und dadurch eine Trennmauer zwischen katholischer Kirche und „stato totalitario" bedeutete, die gleiche Funktion könnte der Artikel 32 in Zukunft für Deutschland gewinnen. Die Entpolitisierungsklausel war also nicht einfach eine politische Konzession des Vatikans an das Dritte Reich, sondern eine rechtliche Garantie für den Klerus, nicht politischer Funktionsträger des nationalsozialistischen Regimes werden zu können und werden zu dürfen. Damit war sie eine wertvolle Stärkung der Widerstandskraft des deutschen Katholizismus gegen Hitlers System und Bewegung.

Wir sind damit bei der Frage nach den Folgen des Reichskonkordates angelangt, ein Problem, das nicht allein aus den Entstehungsbedingungen dieses Vertrages im Jahre 1933 zu erklären ist. Meine These heißt: Es gibt keine Großgruppe in Deutschland, die gegen den Nationalsozialismus so viel Resistenz bewiesen hat wie die katholische Kirche und die deutschen Katholiken. Daß dies trotz der Verfolgungssituation gelungen ist, hatte im wesentlichen zwei Gründe: zuerst und vor allem die Kirchlichkeit der deutschen Katholiken, danach der unbeugsame Wille der Kirche, ihre Autonomie, ihre Un-verfügbarkeit zu bewahren, und dies nicht allein innerhalb der Sakristeimauern und im Kirchenschiff, sondern vor allem durch die Schule und die katholischen Verbände — „weithin sichtbar in das öffentliche Leben hinein“ Für die Verteidigung dieser beiden Dinge — die Möglichkeit der kontinuierlichen Sakramentenspendung und unverkürzten Glaubensverkündigung in der Kirche sowie die Chance, auch über die Kirchen-mauern hinaus ausstrahlen zu können — war das Reichskonkordat ein hervorragendes Defensivinstrument.

Dieser Vertrag konnte, wie man im Vatikan 1933 nachweislich und richtig vorausgesehen hat, Hitler nicht daran hindern, diesen autonomen Gestaltungsanspruch der Kirche brechen zu wollen, d. h. Kirchenkampf zu führen. Aber er konnte dies wegen der Existenz des Reichskonkordates nur in der Form permanenter, sichtbarer Vertragsverletzungen tun. Das Reichskonkordat versetzte das nationalsozialistische Regime in den Zwang, seinen Kirchenkampf gegen die katholische Kirche unter den für diese besten Bedingungen führen zu müssen. In der Enzyklika „Mit brennender Sorge" vom 14. März 1937 konnte Pius XI. vor der Weltöffentlichkeit permanente Konkordatsverletzungen durch das Dritte Reich anprangern: Es zeigte sich dabei im einzelnen, wie überaus weit die NS-Herrschaftspraxis und die Konkordatsnormen auseinanderfielen, anders ausgedrückt: wieviel von ihrem eigenen Selbst die Kirche in den Reichskonkordatsverhandlungen von 1933 durchgesetzt hatte und wie weit dieses Proprium vom genuin Nationalsozialistischen entfernt war. In viel weiterem Ausmaße als das Laterankonkordat war das Reichskonkordat kein Freundschaftsvertrag zwischen Kirche und nationalsozialistischem System und erst recht keine bedingungslose Kapitulation vor der totalitären Herrschaft, sondern es war die vertrags-rechtliche Form, das vertragsrechtliche Instrument der Nicht-Anpassung der katholischen Kirche an das etablierte Dritte Reich. Diese Interpretation ergibt sich nicht allein aus der nachträglichen Rekonstruktion des Historikers, der die Zusammenhänge besser überschauen kann als die Zeitgenossen, sondern sie ist schon von diesen selbst in den gleichen Zusammenhang gerückt worden. Eine kürzlich aufgefundene Strategiedenkschrift des Kölner Kardinals Schulte vom Januar 1937, bei den vatikanischen Beratungen über die Enzyklika „Mit brennender Sorge" entstanden ist, hat zu diesen Fragen davon explizit Stellung genommen. Sie ging aus, daß das System „grundsätzlich und definitiv die Vernichtung des Christentums und insbesondere der katholischen Religion" wolle und auf die „Anwendung aller Machtmittel des totalitären Staates" zur „Durchführung dieses Programms nur insoweit verzichten" werde, als dies aus machtpolitischen Erwägungen nützlich sei, nämlich wenn es auf breiten Widerstand stoße. Da die prinzipielle Verpflichtung des Christen zur Loyalität gegenüber dem Staat, auch dem totalitären Staat, aber bestehenbleibe sei dieser Wi-derstand „nur in einer Form denkbar", nämlich so, daß möglichst breite Schichten des Kirchenvolks die „Mitwirkung bei glaubens-feindlichen Maßnahmen ablehnen" und sich auf die „Rechte ihres katholischen Gewissens" berufen. Diese Widerstandskraft aber beruhe „wesentlich auf der ihnen zuteil werdenden Seelsorge". Für die Intakthaltung der Seelsorge sei jedoch das Reichskonkordat von großem Belang; denn es verbürge der Kirche „ausdrücklich eine große Zahl auch von solchen Rechten und Pflichten in Erfüllung ihrer Sendung, die früher auch in einem konkordatslosen Zustand als selbstverständlich galten. Es ist zu befürchten, daß der totalitäre Staat nach Wegfall der Vertragsverpflichtungen auch diese elementarsten Rechte und Freiheiten der Kirche nehmen würde. So erträglich für die Kirche das Leben unter dem gemeinen Rechte in einer Demokratie sein kann, so unerträglich würde es in einem unfreundlich gesinnten autoritären Staat sein, der sie wie einen beliebigen politisch verdächtigen Klub behandeln kann. Demgegenüber wäre die Aufhebung der wenigen im Konkordat dem Staat gemachten Zugeständnisse für die Kirche kaum von merklichem Nutzen.“ Diese Analyse traf Punkt für Punkt zu. Den Nachweis konnte man 1937 etwa am Beispiel Rußlands führen; aber die nationalsozialistische Kirchenpolitik in den nach 1938 eroberten Gebieten, in denen das Reichskonkordat nicht geltendes Recht geworden ist, hat dies mit unzählig vielen Beispielen bestätigt, am krassesten im Warthegau.

Aus dem Dargelegten hat sich wohl schon ergeben, daß das Reichskonkordat in den Augen des Papstes selbstverständlich kein idealer Vertrag gewesen ist, sondern nur ein besterreichbares Ergebnis in einer Situation, die keinen besseren Ausweg bot. Hitler ist im Juli 1933 vom Vatikan weder intern noch öffentlich als „Mann der Vorsehung" gelobt worden, sondern Pacelli hat sieben Tage nach Unterzeichnung des Reichskonkordates im Osservatore Romano erklärt, dieser Vertrag sei, im Gegensatz zur deutschen Propaganda-Behauptung, keine Anerkennung oder Gutheißung des nationalsozialistischen Regimes. „Man hat uns die Pistole auf die Brust gesetzt", so hat Pacelli im August 1933 die Situation beim Vertragsabschluß plausibel zu machen gesucht.

V. Fünf Thesen

Aus unseren Erörterungen über die Konkordatspolitik Pius XI. gegenüber Rußland, Italien und Deutschland ergibt sich in thesenartiger Formulierung etwa folgendes:

1. Gegenüber politischen Systemen, die mit dem Anspruch auf allzuständige staatliche Kompetenz auftreten (kontinentaler Souveränitätsbegriff), besonders gegenüber solchen, die, wie das totalitäre System, alles, den Menschen wie die menschlichen Vergesellschaftungen, bis in das Gewissen hinein zu verändern und zu normieren beanspruchen, hat die Kirche sich unter Pius XI. durch Konkordate eine völkerrechtliche Garantie ihrer institutioneilen Unabhängigkeit zu verschaffen gesucht.

2. Der Maßstab für das Minimum dessen, was in einem solchen Vertrag durchgesetzt werden sollte, wurde von den Rücksichten auf die Seelsorgebedingungen als der entscheidenden Wirkungsform der Kirche in die Welt hinein bestimmt.

3. Die mit Rußland erreichbaren Konzessionen waren zu gering, um (unter diesem pastoralen Aspekt) einen Vertragsabschluß zu rechtfertigen. Hingegen setzte die Kirche im Laterankonkordat und im Reichskonkordal so viel eigenes Selbst durch, daß diese beiden nicht „guten", nicht idealen, aber — unter den gegebenen Bedingungen — best-erreichbaren und insofern optimalen Verträge abgeschlossen werden konnten. Im Falle Italiens konnte die Kurie sich dabei Zeit nehmen, im Falle Deutschlands aber wurde sie von Hitler unter größten Zeitdruck gepreßt, dem sie nachgegeben hat, um auf diese Weise die katholische Schule rechtlich zu sichern und die katholischen Verbände wenigstens vorläufig vor dem Untergang, in dem sie sich befanden, zu retten. Dies ist gelungen.

4. Die Konkordate mit Italien und Deutschland haben die Gegensätze zwischen den Herrschaftssystemen und ihren legitimierenden Ideen auf der einen Seite und der Kirche mit ihren Zielvorstellungen auf der anderen Seite nicht aufgehoben. Es hat in beiden Ländern trotz der Konkordate weiter schwere Auseinandersetzungen mit der Kirche gege-ben. Dennoch weisen diese Kämpfe einen fundamentalen Unterschied auf:

— In Italien ist es nie um Leben und Tod der Kirche gegangen. Die Krisen von 1931 und 1938 sind daher mit der Verfolgung der Kirche durch das nationalsozialistische Deutschland nur in sehr begrenztem Maße gleichzusetzen. Infolgedessen konnte die Kirche in Italien ihre konkordatär abgesicherte, vom Regime unabhängige Position in starkem Maße wahren. In dieser Bewahrung ist ein wesentlicher (vielleicht: der wesentlichste)

Grund dafür zu erblicken, daß Mussolinis Regime nicht im Sinne unseres heutigen Begriffs uneingeschränkt „totalitär“ geworden ist.

— Umgekehrt ist das Totalitäre des nationalsozialistischen Herrschaftssystems unbestreitbar. Ebenso unbestreitbar ist, daß dieses Regime sein Ziel nicht erreicht hat, wobei die Großgruppe der deutschen Katholiken dem Nationalsozialismus gegenüber mehr Resistenzkraft bewiesen hat als alle anderen Groß-gruppen in Deutschland, die sich als solche bewahren konnten. Für die Bewahrung dieser Resistenzkraft war das Reichskonkordat ein vorzügliches Verteidigungsinstrument. Es verhinderte nicht den Kirchenkampf, aber es zwang diesen in eine für den Katholizismus und die Kirche (unter den obwaltenden Umständen) günstige Form, auf die z. B. die Bekennende Kirche verzichten mußte.

5. Die Nichtanpassung der katholischen Kirche an das politische System, die in den Konkordaten von 1929 und 1933 völkerrechtlich vereinbart wurde, ist daher nicht allein unter kirchengeschichtlichem Aspekt bedeutsam, sondern für die allgemeine Geschichte des 20. Jahrhunderts und das allgemeine Bewußtsein unserer Zeit von hohem Erkenntniswert.

Kirche, jedenfalls (wie heute in Polen) intakte Kirche, ist offenbar der bestmögliche und manchmal der einzige Schutz der Menschen gegen die totalitären Systeme unseres barbarischen Zeitalters — ein bestmöglicher Schutz, also nur etwas Relatives, aber doch immerhin ein Schutz. Und dafür waren auch die Konkordate nützlich.

Anhang

Eine Kölner Strategie-Denkschrift für den Vatikan vom Januar 1937

Der Text wird demnächst wissenschaftlich ediert vorliegen in: Ludwig Volk, Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933— 1945. IV: 1936— 1939, Mainz 1980, Nr. 346. Ein Vorabdruck erfolgte im Rheinischen Merkur, Nr. 41 vom 13. Oktober 1978, S. 31, dem wir hier folgen. Ebenda auch eine ausführliche historische Einordnung durch Ludwig Volk. Die Denkschrift gehört in die römischen Beratungen, die der Enzyklika . Mit brennender Sorge" vom 14. März 1937 vorausgingen.

Der entscheidende Träger des politischen Willens im Dritten Reich ist nicht die Regierung, sondern die Partei. Deren eigentliches kirchenpolitisches Programm ergibt sich nicht aus den von taktischen Erwägungen bestimmten Regierungserklärungen und -Verträgen, auch nicht aus den für die breite Öffentlichkeit bestimmten Formulierungen der Partei und ihrer führenden Persönlichkeiten, deren Anpassung an die taktischen Bedürfnisse des Augenblicks oft genug später zugegeben wurde; wohl aber aus den streng geheim gehaltenen einheitlichen vertraulichen Instruktionen an die Kreise der Führer und aus der Literatur, die, ohne in jedem Falle als parteiamtlich erklärt zu sein, tatsächlich zur geistigen Formierung der heutigen und zukünftigen Führerklasse verwandt wird, darüber hinaus aber auch aus den von Staats-und Parteiorganen unbekümmert üm Gesetze, Verträge, Versprechungen und programmatische Kundgebungen tatsächlich ergriffenen kultur-politischen Maßnahmen, die zwar eine nach Zeit und Ort verschiedene Taktik, aber im wesentlichen sehr einheitliche und klare Grundlinie erkennen lassen.

Diese zuverlässigen Erkenntnisquellen haben im Verlauf von vier Jahren mehr als genug Material zutage gefördert, um heute ohne Furcht vor Irrtum behaupten zu können:

1. Man will grundsätzlich und definitiv die Vernichtung des Christentums und insbesondere der katholischen Religion oder doch wenigstens ihre Zurückführung auf einen Zustand, der vom Standpunkt der Kirche mit Vernichtung gleichbedeutend wäre.

2. Wenn man vorübergehend auf die Anwendung aller Machtmittel des totalitären Staates zur Durchführung dieses christentumsfeindlichen Programms verzichtet, so liegt der Grund immer in der Rücksicht auf die Erhaltung und Sicherung der eigenen Machtposition.

3. Völlig aussichtslos ist es, durch Belehrungen historischen und spekulativen Inhalts die Führer-schicht von der Unrichtigkeit und Zweckwidrigkeit ihres christentumsfeindlichen Standpunkts zu überzeugen, der nun einmal in bewußter Willkür als in blindem Glauben festzuhaltendes Grunddogma von ihr angenommen und unzählige Male als solches verkündet worden ist.

Aus dem Gesagten ergibt sich, daß nach menschlichem Ermessen der Vernichtungskampf gegen die Kirche nur dann haltmachen wird, wenn er auf einen Widerstand stößt, der vom Standpunkt der allgemeinen Machtpolitik des Gegners als bedenklich erscheint, wobei sowohl inner-als außen-politische Erwägungen eine Rolle spielen könnten. Vom Standpunkt des katholischen Gewissens aber, das auch an seinen staatsbürgerlichen Verpflichtungen unverbrüchlich festhält, ist ein solcher Widerstand nur in einer Form denkbar, nämlich so, daß möglichst breite Schichten glaubens-freudiger und opferwilliger Katholiken einheitlich die Mitwirkung bei glaubensfeindlichen Maßnahmen ablehnen und die Rechte ihres katholischen Gewissens mutig reklamieren. Das wird nicht überall in gleichen Formen wie in Cloppenburg geschehen können, es würde auch genügen, wenn nur in irgendwie erkennbarer Weise und dauernd zutage träte, daß die dort offenbar gewordene Gesinnung auch anderwärts von breiten Schichten der Katholiken geteilt wird.

Dieser Zustand aber wird von selbst eintreten, wenn alle nur möglichen und an sich schon pflichtmäßigen Mittel der gewöhnlichen Seelsorge in Anpassung an die besonderen Erfordernisse der Zeit angewandt werden. Auf einem Teilgebiet der kirchlichen Belehrung zeigten beispielsweise jetzt schon gute Frucht die „Katechismuswahrheiten“. Es ist nur zu wünschen, daß ihre einheitliche und beharrliche Auswertung nicht allmählich, wenn sie den Reiz des Neuen verloren haben, ein-schläft, sondern Wortlaut und Sinn immer wieder aufs neue den Gläubigen eingeprägt wird. Von günstigem Einfluß auf das Verhalten der gutwilligen Gläubigen wird es auch sein, wenn sie in den durch den Schulkampf und die Austrittsbewegung verursachten Seelsorgs-und Gewissensfragen eine einheitliche, feste und klare Führung merken. Wesentlichstes Ziel aller Seelsorge aber muß sein, das Glaubensleben in möglichst vielen Katholiken so zu vertiefen und zu stärken, daß sie den Prüfungen der Zeit gewachsen sind, auch wenn Bekennertreue von ihnen verlangt wird. Von dem Grade, in dem sie zur Erreichung dieses Zieles beitragen, hängt also der Wert aller Maßnahmen ab, die im Hinblick auf die gegenwärtige Situation zur Erörterung gestellt werden. Das gilt auch von etwaigen Maßnahmen des Heiligen Stuhls. Von ihren etwaigen direkten Wirkungen auf Partei und Regierung ist kaum eine beträchtliche Erleichterung für die Lage der deutschen Katholiken zu erwarten. Wohl aber sind innerkirchliche Maßnahmen des Heiligen Stuhls denkbar, welche die Widerstandskraft der Katholiken unmittelbar stärken, indem sie die Begriffe klären, die Gewissen schärfen, die Einheitlichkeit sichern und durch das unmittelbare Sichtbarwerden der päpstlichen Autorität Begeisterung wecken. (Hierunter fiele z. B. auch eine autoritative Anweisung des Heiligen Stuhls bezüglich der Kirchenaustritte.) Als mögliche kirchenpolitische Maßnahmen des Heiligen Stuhls wird an erster Stelle die Kündigung des Konkordats erörtert. Bezüglich der unmittelbaren Wirkung auf den staatlichen Partner kann eine Konkordatskündigung im Hinblick auf

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zum folgenden: Andreas Hillgruber, Methodologie und Theorie der Geschichte der Internationalen Beziehungen, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 27 (1976), S. 193— 210, hier: S. 207, Anm. 1 (mit weiterer Literatur).

  2. Eine unabdingbare Voraussetzung für spektakuläre „Erfolge“ wäre eine faktische und rechtliche Stellung des Papsttums in der Welt, die weit über die extremsten Positionen des spätmittelalterlichen Papalismus hinausgehen würde, historisch gesprochen weit über alles hinaus, was zwischen Gregor VII. (1073— 1085) und Bonifatius VIII. (1294— 1303), also auf der Höhe des päpstlichen „Weltherrschafts-Strebens", (gewollt und) erreicht wurde. Daß die Päpste unseres Jahrhunderts und die Gläubigen, Nicht-Katholiken und die Nicht-Christen eine solche Stellung des Papstes nicht wollen, wird selten bedacht.

  3. „Pius XI. wollte selbst regieren, ohne Rat irgendeines, wer es auch sei, wenigstens wenn er ihn nicht selbst um [diesen] Rat gefragt hatte."

  4. Zum folgenden vgl. Konrad Repgen, Die Außenpolitik der Päpste im Zeitalter der Weltkriege, in: Hubert Jedin/Konrad Repgen (Hrsg.), Die Weltkirche im 20. Jahrhundert, Freiburg, Basel, Wien 1979 (= Handbuch der Kirchengeschichte, VII), S. 36— 96, hier: S. 63 ff. (mit weiterer Literatur).

  5. Pietro Gasparri war Kardinalstaatssekretär, Vladimir Vorovski russischer Vertreter in Rom.

  6. Giuseppe Pizzardo war Substitut (= Abteilungsleiter) im Päpstlichen Staatssekretariat.

  7. Pius XII. (1939— 1958) an den Kölner Erzbischof Josef Frings (1942— 1968), 3. März 1944. Text: Burkhart Schneider (Hrsg.), Die Briefe Pius XII. an die deutschen Bischöfe 1939— 1944, Mainz 1966, S. 280.

  8. Text der Lateranverträge in: Lothar Schöppe (Hrsg.), Konkordate seit 1800. Originaltext und deutsche Übersetzung der geltenden Konkordate, Frankfurt, Berlin 1964, S. 161— 187. Zum folgenden vgl. Konrad Repgen, Pius XI. und das faschistische Italien: Die Lateranverträge von 1929 und ihre Folgen, in: Werner Pöls (Hrsg.), Staat und Gesellschaft im politischen Wandel. Beiträge zur Geschichte der modernen Welt = Festschrift f. Walter Bußmann zum 14. Januar 1979, Stuttgart 1979, S. 331— 359 (mit weiterer Literatur). Von der italienischen Literatur ist vor allem zu nennen: Pietro Scoppola, La Chiesa e il fascismo. Documenti e interpretazioni, Bari 1971 2; Sandro Rogari, Santa Sede e fascismo. DalT Aventino ai Patti Lateranensi. Con documenti inediti. Prefazione di Giovanni Spadolini, Correggio Emilia 1977.

  9. Der Liberale Giovanni Giolitti war vor 1914 der führende italienische Staatsmann, der sich politisch auch auf bewußt katholische Wähler und Kräfte stützen mußte, um Mehrheiten zu bekommen. 12) Die Formel für das Staat-Kirche-Verhältnis im liberalen italienischen Nationalstaat des 19. Jahrhunderts lautete: „freie Kirche im freien Staat'(so Camillo Cavour [1810— 1861) am 27. März 1861). Mit „zwei Parallelen" wollte Giolitti ausdrücken: Kirche und Staat sind voneinander unabhängige Kräfte, die ihre Beziehungen nicht vertraglich ordnen wollen, sondern, wie zwei Parallelen, nebeneinanderlaufen, aber sich (weder freundlich noch feindlich) treffen. Unabhängig davon machte er aber weiterhin starke Eingriffe des Staates in das innerkirchliche Leben Italiens geltend (Personalpolitik, Vermögensverwaltung usw.), die letztlich in der kontinentalen Souveränitätstheorie begründet wurden, wonach der Staat die oberste Rechtsquelle ist. Jede vertragliche Bindung zwischen Staat und Kirche bedeutete eine inhaltliche Einschränkung der formal nicht-eingeschränkten Souveränität und wurde daher von den Liberalen in der großen Mehrzahl abgelehnt (übrigens nicht nur in Italien).

  10. Wörtlich: „Versöhnung". Gemeint ist der Ausgleich zwischen italienischem Nationalstaat, der 1870 den Kirchenstaat okkupiert hatte, und dem Hl. Stuhl.

  11. Paul Mattei-Gentili, ehemaliger Abgeordneter der katholischen Volkspartei, der sich 1923 von dieser getrennt hatte, war in Mussolinis Regierung Unterstaatssekretär.

  12. Mit „fiancheggiattori" bezeichnen die Italiener die zahlreichen „Mitläufer“ Mussolinis, die nicht Faschisten waren, ihn aber unterstützten (militärisch: „fiancheggiare“ = „flankieren“), um die intransigenten Faschisten zurückzudrängen.

  13. Die Literatur über den Totalitarismus-Begriff und der Streit über seine Verwendungsfähigkeit sind bekanntlich sehr groß. Ich nenne nur, worauf ich mich hier stütze: Hans Buchheim. Totalitäre Herrschaft. Wesen und Merkmale, München 1962; Klaus Hildebrand, Stufen der Totalitarismus-Forschung, in: Politische Vierteljahresschrift 9 (1968), S. 397— 422; Leonard B. Shapiro, Totalitarismus, in: Sowjetsystem und demokratische Gesellschaft VI, Freiburg, Basel, Wien 1972, S. 466— 490; D. Albrecht, Zum Begriff des Totalitarismus, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 26 (1975), S. 135— 141; Karl Dietrich Bracher, Zeitgeschichtliche Kontroversen. Um Faschismus, Totalitarismus, Demokratie, München 1976. Manfred Funke (Hrsg.), Totalitarismus. Ein Studien-Reader zur Herrschaftsanalyse moderner Diktaturen, Düsseldorf 1978; Karl Dietrich Bracher, Streit um Worte — Streit um Werte, über den kontroversen Gebrauch der Begriffe Faschismus und Totalitarismus, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. Dezember 1978. — Meine Auffassung über den Vorzug des Totalitarismus-Begriffs vor einem generalisierenden (also über die italienische Geschichte und die Geschichte der Jahre 1918- 1945 hinausreichenden) Faschismus-Begriff demnächst in dem Artikel „Faschismus" in: Katholisches Soziallexikon, Innsbruck 1980 2.

  14. Jens Petersen (Anm. 14), S. 131: „Die Tätigkeit des politischen Sondergerichts 1926- 1939 (4 600 Verurteilungen mit insgesamt 28 000 Jahre Haft, neun Todesurteile) zeigt in der Tat, daß die terroristische Seite des Regimes [Mussolinis] vielfach nur potentiell blieb."

  15. Klubhäuser, Jugendheime, Redaktionen lokaler Zeitungen, Büros usw.

  16. Text (in deutscher Übersetzung bei Lothar Schöppe [Anm. 10]):

  17. Luigi Sturzo (1871— 1959), Priester, 1919 Gründer und bis 1923 Führer der Popolari-Partei.

  18. Die für die Ordensleute („Religiösen") zuständige Kardinals-Kongregation und damit die oberste vatikanische Behörde für Ordensleute.

  19. Der sozialistische Politiker Giacomo Matteotti wurde am 10. Juni 1924 durch faschistische Terro

  20. Nach dem Vorbild der Sezessionen der römischen Plebejer auf den Aventin (im 5. Jahrhundert vor Christus) boykottierte ein Teil der italienischen Parlamentsabgeordneten nach dem Matteotti-Mord das Parlament und tagte auf dem Aventin, darunter auch Reform-Sozialisten und Popolari. Der Versuch, auf diese Weise einen Druck der öffentlichen Meinung zu erzwingen, scheiterte. Mussolini überstand die Matteotti-Krise durch den Staatsstreich vom 3. Januar 1925 und etablierte danach seine Diktatur; mit den Gesetzen und Maßnahmen vom 5. bis 9. November 1926 war der alte, liberal-demokratische Verfassungsstaat tot.

  21. „Ganz gewiß: diese Ereignisse werden kostbare Frucht tragen, zur Verherrlichung Christus des Königs, zur Ehre der Heiligen Mutter Kirche, zum Wohl der Seelen, zum Wohl Italiens und so vieler, [uns] so teuren Seelen, ja für das Wohl der gesamten Welt.“

  22. Im Frühjahr 1931 kam es zu einem schweren Zusammenstoß zwischen dem Vatikan und Mussolinis Staat über die Frage, ob und in welchem Umfange die Organisationen der Katholischen Aktion auf rein religiöse Betätigung beschränkt seien. Spektakuläre Akte waren kirchlicherseits ein öffentlicher Brief des Papstes an den Mailänder Kardinal Ildefons Schuster (1929— 1954) vom 26. April und die Enzyklika „Non abbiamo bisogno" vom 29. Juni 1931, von Seiten Mussolinis die Auflösung der katholischen Jugend-und Studentengruppen durch die Polizei am 29. Mai 1931. Der Streit wurde beigelegt durch ein Abkommen vom 2. September 1931.

  23. Renzo de Felice hat im vierten Teil seiner Mussolini-Biographie die Jahre 1929— 1936 als die „Jahre der Zustimmung" bezeichnet, in denen

  24. Grundlegend bleibt: Ludwig Volk, Das Reichs-konkordat vom 20. Juli 1933. Von den Ansätzen in der Weimarer Republik bis zur Ratifizierung am 10. September 1933, Mainz 1972.

  25. „Bei allen seinen Gebrechen bleibt das Zentrum immer noch, soweit ich sehe, die einzige Partei, auf die man in kirchlichen Angelegenheiten mit Sicherheit zählen kann" (Übersetzung Ludwig Volks).

  26. Vgl. dazu neuestens Jürgen F. Falter, Wer verhalf der NSDAP zum Sieg? Neuere Forschungsergebnisse zum parteipolitischen und sozialen Hintergrund der NSDAP-Wähler 1924 bis 1933, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 28— 29/79, vom 14. Juli 1979, S. 3— 21, hier: S. 16 f.

  27. So der deutsche Unterhändler Franz von Papen gegenüber dem Vatikan-Referenten des Berliner Auswärtigen Amtes, ehe er nach Rom reiste, um dem Vatikan Reichskonkordatsverhandlungen anzubieten: Aufzeichnung Menshausens, 7. April 1933 (Alfons Küpper, Staatliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, Mainz 1969, S. 10). Daß der Vatikan das verstanden hat, beweist u. a. das Gutachten des deutschen Sekretärs des Kardinalstaatssekretärs Pacelli, Robert Leiber SJ, vom [29. Juni] 1933: „Artikel 31 [in diesem Stadium noch der Entpolitisierungsartikel], wegen dessen die [Berliner] Regierung allein [Hervorhebung von mir] das Konkordat macht“ (Ludwig Volk, Kirchliche Akten über die Reichskonkordatsverhandlungen 1933, Mainz 1969, S. 89).

  28. Vgl. dafür aus der neueren Literatur etwa Ulrich von Hehl, Katholische Kirche und Nationalsozialismus im Erzbistum Köln 1933— 1945, Mainz 1977; Rudolf Morsey, Der Untergang des politischen Katholizismus. Die Zentrumspartei zwischen christlichem Seibtverständnis und . Nationaler Erhebung'1932/33, Stuttgart, Zürich 1977; Jürgen Aretz, Katholische Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus. Der Verband katholischer Arbeiter-und Knappenvereine Westdeutschlands 1923— 1945, Mainz 1978.

  29. Ludwig Volk (Anm. 29). Die rechtlichen Sicherungen der Weimarer Reichsverfassung waren durch die Notverordnungen vom 4. Februar, 28. Februar und 21. März sowie das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 hinfällig geworden. Sich — nach dem Fortfall dieser rechtlichen Sicherungen — nach eventuellen anderen Sicherungen umzusehen, war selbstverständlich.

  30. Detlev Junker, Die Deutsche Zentrumspartei und Hitler 1932/33. Ein Beitrag zur Problematik des politischen Katholizismus in Deutschland, Stuttgart 1969, S. 213, hält sogar Pacellis Widerstand beim Verbandsgarantie-Artikel für „taktischer Natur", nicht nur in der Entpolitisierung. Junker konnte allerdings die kirchlichen Akten (vgl. Anm. 32) noch nicht benutzen. Karl Dietrich Erdmann, Die Zeit der Weltkriege. 2. Teilband, Stuttgart 1976 (= Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, 9. Auflage, Band 4), S. 444, Anm. 9. Klaus Scholder, Die Kirchen und das Dritte Reich, I; Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918— 1934, Frankfurt, Berlin, Wien 1977, S. 488 f.

  31. Leiber an den Freiburger Erzbischof Conrad Gröber, Rom, 20. April 1933 (Text: Ludwig Volk [Anm. 32], S. 24.

  32. Aus der bekannten Kölner Zentrums-Familie, Verfasser der umfangreichen „Vorgeschichte, Geschichte und Politik der deutschen Zentrumspartei“, 9 Bände, Köln 1927— 1932. Sein in den letzten zwanzig Jahren vielbenutzter. Nachlaß im Historischen Archiv der Stadt Köln ist eine der wichtigsten Quellen für die Zentrumsgeschichte.

  33. Wie: Katholische Arbeiterbewegung (300 000 Mitglieder), Katholischer Gesellenverein (Kolpingsverband), Verband Katholischer Kaufmännischer Vereinigungen Deutschlands (KKV).

  34. Der Katholische Jungmännerverband Deutschlands (KJMV) hatte 400 000, der Zentralverband der katholischen Jungfrauenvereinigungen umfaßte 750 000 Mitglieder. Vgl. die statistischen Angaben bei Barbara Schellenberger, Katholische Jugend und Drittes Reich. Eine Geschichte des Katholischen Jungmännerverbandes 1933— 1939 unter besonderer Berücksichtigung der Rheinprovinz, Mainz 1975.

  35. Text: „[Abs. 1: ] Diejenigen katholischen Organisationen und Verbände, die ausschließlich religiösen, rein kulturellen und karitativen Zwekken dienen und als solche der kirchlichen Behörde unterstellt sind, werden in ihren Einrichtungen und in ihrer Tätigkeit geschützt.

  36. Text: „Auf Grund der in Deutschland bestehenden besonderen Verhältnisse, wie im Hinblick auf die durch die Bestimmungen des vorstehenden Konkordats geschaffenen Sicherungen einer die Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche im Reich und seinen Ländern wahrenden Gesetzgebung erläßt der Heilige Stuhl Bestimmungen, die für die Geistlichen und Ordensleute die Mitgliedschaft in politischen Parteien und die Tätigkeit für solche Parteien ausschließen." Protokollnotiz zu Artikel 32:

  37. Zum Begriff der Großgruppe vgl. Wigand Siebel, Einführung in die systematische Soziologie, München 1974, S. 191 ff.

  38. Unter „Resistenz" ist hier das verstanden, was bei Martin Broszat u. a. (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit. [I] Soziale Lage und politisches Verhalten im Spiegel vertraulicher Berichte, München, Wien 1977, S. 11, umschrieben ist. Das deckt sich ziemlich mit dem, was ich früher in bezug auf die katholische Kirche als „Widerstand" bezeichnet habe; vgl. Konrad Repgen, Hitlers Machtergreifung und der deutsche Katholizismus. Versuch einer Bilanz, jetzt in: Dieter Albrecht (Hrsg.), Katholische Kirche im Dritten Reich, Mainz 1976 (= Topos-Taschenbücher 45), S. 31, sowie ders., Uber die Entstehung der Reichskonkordats-Offerte im Frühjahr 1933 und die Bedeutung des Reichskonkordats. Kritische Bemerkungen zu einem neuen Buch, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 26 (1978), S. 499— 534, hier: S. 530 ff., sowie ders., Christen im Widerstand. Am Beispiel des Kulturkampfes der Bismarckzeit und des Kirchenkampfes der Hitlerdiktatur, in: Ich will Euch Zukunft und Hoffnung geben. 85. Deutscher Katholikentag vom 13. September bis 17. September 1978 in Freiburg, Paderborn 19782, S. 256— 273, wo auf S. 267 f. auch einiges an Zahlen mitgeteilt ist, die für die „Großgruppe" Katholizismus repräsentativ sind. — Wichtig für die weitere Diskussion ist der Widerstandsbegriff, der den bayerischen Forschungen über Widerstand und Verfolgung 1933— 1945 zugrunde liegt; vgl. Bernhard Zittel: „Für ihren Aufgabenbereich versteht die Bayerische Archivverwaltung unter Widerstand jedes aktive oder passive Verhalten, das sich gegen das NS-Regime oder einen erheblichen Teilbereich der NS-Ideologie richtet und mit gewissen Risiken verbunden war. Widerstand reicht daher von aktiver Betätigung gegen den NS-Staat über Solidarisierung mit Personen, ehe aus politischen und rassischen Gründen verfolgt oder diskriminiert wurden bis zum ostentativen Festhalten an einer religiösen Glaubensgemeinschaft“ (in: Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933— 1945. Archivinventare, Bandl, Spezialinventar zum Bestand Landratsämter im Staatsarchiv München, München 1975, S. II); Harald Jaeger/Hermann Rumschöttel, Das Forschungsprojekt „Widerstand und Verfolgung in Bayern 1933— 1945“. Ein Modell für die Zusammenarbeit von Archivaren und Historikern, in: Archivalische Zeitschrift 73 (1977), S. 209— 220, hier: S. 214, wiederholen den ersten Satz Zittels (unter Weglassung von „erheblichem“) und erläutern dann: „Dieser Widerstands-begriff deckt die Verhaltensweisen von konservativer Resistenz, partiellem Ungehorsam, defensiver Oppositionshaltung, Nonkonformismus, Solidarisierung mit aus politischen Gründen Verfolgten oder Diskriminierten, ostentatives Festhalten an einer weltanschaulichen oder religiösen Überzeugung oder direkte Aktivitäten gegen die NS-Herrschaft.“

  39. So im Hirtenbrief der Fuldaer Bischofskonferenz vom 20. August 1935. In: Bernhard Stasiewski, Akten deutscher Bischöfe über die Lage der Kirche 1933— 1945, II: 1934— 1935, Mainz 1976, S. 331— 341, hier: S. 334.

  40. Diese Ausstrahlung läßt sich natürlich am besten am Ort studieren. Dazu vgl. die eindrucksvolle Studie von Evi Kleinöder, Verfolgung und Widerstand der Katholischen Jugendvereine. Eine Fallstudie über Eichstätt, in: Martin Broszat/Elke Fröhlich (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit. II: Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, Teil A, München, Wien 1979, S. 175— 136.

  41. Vgl. Anhang.

  42. Die Kölner Denkschrift geht von der fortdauernden Gehorsams-und Loyalitätspflicht des Katholiken auch gegenüber dem totalitären Staat als etwas Bekanntem, daher Selbstverständlichem und daher irgendeiner Problematisierung nicht Bedürftigen aus. Dies entspricht der allgemeinen damaligen Auffassung — eine rein historische Feststellung, die als solche unbezweifelbar ist. In der Rückschau läßt sich zwar fragen, ob der totalitäre Staat noch allgemeine Loyalität verdient; dies im Prinzip zu bezweifeln, führt aber in Paradoxien. — Selbstverständlich, davon geht auch diese Denkschrift aus, gilt diese Gehorsamspflicht nicht gegenüber einem moralisch nicht vertretbaren Auftrag. Einem in sich unsittlichen Gebot eignet keine verpflichtende Kraft.

  43. Also bei einer Kündigung des Reichskonkordats seitens des Vatikans.

  44. „Gemeines Recht“ ist ein juristischer Terminus technicus für „allgemein gültiges Recht", „das für alle geltende Gesetz", wie es im Artikel 1 des Reichskonkordates heißt.

Weitere Inhalte

Konrad Repgen, Dr. phil., o. Professor der Mittelalterlichen und Neueren Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, geb. 1923; Studium der Geschichte, Germanistik, Latein und Philosophie in Bonn, 1950— 1952 Generalsekretär der Katholischen Deutschen Studenten-Einigung (KDSE); 1952— 1953 Forschungsstipendiat in Rom, 1953— 1955 Assistent am Deutschen Historischen Institut Rom; 1955— 1961 Assistent am Historischen Seminar der Universität Bonn; 1958 Habilitation. 1962 Ordinariat in Saarbrücken, 1967 in Bonn; 1975/76 Visiting Fellow in Oxford/England; Ord. Mitglied der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und zahlreicher anderer wissenschaftlicher Gremien. Veröffentlichungen u. a.: Märzbewegung und Maiwahlen des Jahres 1848 im Rheinland, 1955; Papst, Kaiser und Reich 1521— 1644, 1965; Hitlers Machtergreifung und der deutsche Katholizismus, 1967; Historische Klopfsignale für die Gegenwart, 1974; Herausgeber (u. a.): Acta Pacis Westphalice, 1962 ff. (bisher zehn Bände); Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, 1965 ff. (bisher 10 Bände); Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte 1965— 1977 (40 Bände); Die dynamische Rente in der Ära Adenauer und heute, 1978.