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Nahrung als Waffe? | APuZ 37-38/1980 | bpb.de

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APuZ 37-38/1980 Kritik der entwicklungspolitischen Empfehlungen der Nord-Süd-Kommission Die wirtschaftliche und politische Bedeutung der UNCTAD Nahrung als Waffe?

Nahrung als Waffe?

Otto Matzke

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Nachdem die USA gegenüber der Sowjetunion ein Getreideembargo verhängt haben, ist wieder einmal das Schlagwort „Nahrung als Waffe“ aktuell geworden. Es wäre verfrüht, bereits heute von dem „Erfolg" oder „Mißerfolg" dieses Embargos zu sprechen. Der Grundsatz-diskussion über das Schlagwort „Nahrung als Waffe" hat eine Studie des USA-Geheimdienstes CIA vom Herbst 1974 Auftrieb gegeben. Sie ist aber oft irreführend zitiert worden, soweit sie von der potentiellen „life and death power" der USA „über das Schicksal der armen Menschenmassen“ spricht. Nahrung wird nicht schon dadurch zum Druckmittel, weil es Länder gibt, die für ihre Versorgung auf Einfuhren angewiesen sind. Solange das weltweite Angebot ausreicht, verleiht die Verfügbarkeit über Grundnahrungsmittel keine spezifische Machtposition. Auf die USA und Kanada entfallen zwar 70 Prozent der Weltexporte an Weizen und Futtergetreide. Aber ihr Anteil an der gesamten Weltgetreideproduktion macht nur etwa 8, 3 Prozent aus. Wenn die Nahrungsdefizitländer ihre Erzeugung nur geringfügig steigern würden, könnte ein etwaiger Ausfall der amerikanischen Lieferungen kompensiert werden. Auch wenn gegenwärtig etwa 93 Prozent der Weltexporte von Weizen und Futtergetreide auf nur sechs Liefergebiete entfallen, sollte das Gewicht eines etwaigen Getreidekartells nicht überschätzt werden. Es wird gegenwärtig durch das Machtpotential der OPEC übertroffen, welche nicht nur fast den gesamten Erdölexport, sondern auch mehr als 50 Prozent der Weltproduktion von Erdöl kontrolliert. Wesentlich ist auch, daß die Agrarproduktion im Gegensatz zu den sich erschöpfenden Erdölvorkommen auf erneuerbaren Ressourcen beruht. Der volle Einsatz der „Ol-Waffe" hätte nicht nur eine schnelle Wirkung, sondern er könnte auch mittelfristig nicht kompensiert werden. Ein voller Lieferstopp eines Getreide-kartells hätte kurzfristig ernste Folgen. Aber schon mittelfristig könnten sich die betroffenen Länder selbst helfen. Das Potential zur Erzeugung von Grundnahrungsmitteln in den Entwicklungsländern ist noch längst nicht voll genutzt Allerdings hat die Steigerung der Nahrungsproduktion neben der technischen auch eine noch komplexere sozio-ökonomische Dimension, welche tiefgreifende innere Entscheidungen der Entwicklungsländer erfordert. Äußere Hilfe kann zur Problemlösung allenfalls einen marginalen Beitrag leisten. Sollte es den Nahrungsdefizitländern jedoch nicht gelingen, ihre Eigenproduktion ausreichend zu steigern, so könnte die Situation eines „absoluten" (weltweiten) Nahrungsdefizits eintreten. In einer solchen Lage würden die Überschußproduzenten eine Machtposition haben, welche die der OPEC noch wesentlich überträfe. Sie hätten sodann über Leben oder Tod von Millionen Menschen zu entscheiden.

DieserAufsatz stellt die wesentlich erweiterte Fassung eines im Juni 1980 in Bonn gehaltenen Refe-rats dar.

I. Das USA-Getreideembargo

Nie seit der kritischen Welternährungssituation der Jahre 1972 bis 1974 wurden Schlagworte wie „Nahrung als Waffe“ oder „Food Power" so häufig gebraucht wie im Zusammenhang mit der Verhängung des Getreideembargos durch die USA gegenüber der Sowjetunion am 4. Januar 1980 als Reaktion auf den Einmarsch in Afghanistan. Ohne Überspitzung kann gesagt werden, daß die Amerikaner ihren Getreidereichtum damit als politische „Waffe" eingesetzt haben.

Folgende knappe Hinweise dazu sollen hier genügen: Das als Vergeltungsmaßnahme verfügte Embargo ist nicht total, sondern auf Abschlüssse beschränkt, die über die langfristig vertraglich (im noch bis September 1981 laufenden Fünfjahresabkommen der USA mit der Sowjetunion) fest zugesicherte Basismenge von 8 Millionen Tonnen hinausgehen. Davon betroffen ist die Lieferung von 17 Millionen Tonnen, für die vorläufige Abmachungen bestanden. Es wäre verfrüht, das Getreideembargo schon deshalb als Fehlschlag zu werten, weil es der Sowjetunion gelungen ist, den diesjährigen Ausfall der 17 Millionen Tonnen von USA-Getreide durch „zusätzliche“ Käufe in Argentinien und anderswo (auch mit Hilfe des weitverzweigten Netzes des internationalen Getreidehandels) teilweise auszugleichen. Schätzungen über die verbliebene Angebots-lücke divergieren; sie dürfte zwischen 3, 5 und 9 Millionen Tonnen liegen (Stand Juli 1980). Wenn die Sowjetunion nicht ausgesprochene Rekordernten einbringt, dürfte das Embargo Folgen für die russische Versorgung mit Futtergetreide und damit für die Fleischproduktion haben. Die negativen Auswirkungen können nicht unbeschränkt durch Rückgriffe auf Reserven oder Aufkäufe auf den Weltmärkten beseitigt werden. Eine Drosselung der Fleisch-produktion wäre gleichbedeutend mit einer Verschlechterung des Ernährungsstandards des immer wieder vertrösteten russischen Normalverbrauchers. Der Pro-Kopf-Fleisch-verbrauch in der Sowjetunion liegt heute bei etwa 40 Prozent des amerikanischen Niveaus. Die Erreichung des russischen Planziels von 235 Millionen Tonnen für die Produktion von Winter-und Frühjahrsgetreide sowie Hülsen-früchten im Jahr 1980 (tatsächliche Erzeugung 1979: 179 Millionen Tonnen) hängt weitgehend vom Wetter ab. Eine Ernte von 215 Millionen Tonnen liegt im Bereich des Möglichen.

INHALT I. Das USA-Getreideembargo II. Eine Studie des CIA III. Das „Triage" -und Rettungsbootkonzept IV. Knappheit als Druckmittel V. Nahrungsmittelhilfe als kommerzielles und politisches Instrument VI. Die sozio-ökonomische Dimension VII. Nationale Strategiepläne als Ansatzpunkt für eine Wende?

Eine gute Ernte im laufenden Jahr würde für die Sowjetunion eine wesentliche Erleichterung darstellen, aber angesichts der Bedeutung des Faktors Wetter keine Garantie für die kommenden Jahre beinhalten. Die Russen werden für absehbare Zeit auf den Weltmarkt und damit auf amerikanisches Getreide angewiesen bleiben. Äußerungen von russischer Seite, man werde künftig kein Gramm Getreide mehr von den USA beziehen, sind als reines Wunschdenken zu werten. Experten weisen zutreffend darauf hin, daß es immer noch billiger ist, Getreide über Wladiwostok zu importieren, als es von der Ukraine auf dem Landweg nach Sibirien zu schaffen.

II. Eine Studie des CIA

Der Grundsatzdiskussion über die Schlagworte „Food Power" oder „Agri-Power" hat eine häufig, aber nicht immer korrekt zitierte Studie des Geheimdienstes CIA vom August 1974 Auftrieb gegeben.

In der Studie wird in Betracht gezogen, daß sich angesichts der zunehmend prekären Versorgungslage vor allem vieler Entwicklungsländer die dominierende Stellung der USA auf den Weltgetreidemärkten wahrscheinlich noch weiter verstärken wird Wörtlich: „Diese bedeutende Rolle als Nahrungsmittel-lieferant wird erhöhte Einflußmöglichkeiten (levers of influence) mit sich bringen. Sie wirft aber andererseits schwierige Auswahlmöglichkeiten und vielleicht neue Probleme für die USA auf... Die USA werden immer wieder vor der schwierigen Frage stehen, wohin ihr Getreide gehen soll.“ In diesem Zusammenhang wird auf die Gefahr hingewiesen, daß die USA zum Prügelknaben derjenigen werden könnten, deren Lieferwünsche nicht oder nicht voll berücksichtigt werden.

Diese Erwägungen gelten unter der Annahme, daß die nächsten Jahre und Jahrzehnte keine umwälzenden klimatischen Veränderungen in der Welt bringen. Sollten aber klimatische Veränderungen die Nahrungsmittelknappheit weltweit verschärfen, so steht für den CIA fest: „Das könnte den USA eine Machtfülle wie nie zuvor geben; vielleicht eine weltwirtschaftliche und politische Machtposition, die größer ist als die in den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg." Dabei fallen dann die oft zitierten, aber aus dem Zusammenhang gerissenen Worte: „In schlechten Jahren, wenn die USA nicht der Nachfrage der meisten Importländer entsprechen können, •würde Washington potentiell ‘life and death power' über das Schicksal der armen Menschenmassen besitzen ... Nicht nur die armen Entwicklungsländer, sondern auch größere Mächte würden, zum mindesten teilweise, von Nahrungsmitteleinfuhren aus den USA abhängig sein.“

Vorsichtiger als die Formulierungen des CIA-Berichts ist die auf dem Höhepunkt der Welternährungskrise (in einer Rede vor der UNO-Generalversammlung im September 1974) abgegebene Erklärung von Präsident Ford, wonach ein „Scheitern der Kooperation bei öl, Nahrung und Inflation eine Katastrophe für jede in diesem Saal vertretene Nation bedeuten könnte".

III. Das „Triage" -und Rettungsbootkonzept

Mit dem Hinweis auf die potentielle Macht über Leben und Tod von Millionen von Menschen im CIA-Bericht — von dem übrigens unklar ist, ob seine Veröffentlichung auf eine Panne zurückzuführen ist oder ob es sich um eine gezielte Indiskretion handelt — werden in der Substanz eines -Probleme Versorgungs notstands mit Nahrungsmitteln berührt, welche unter den Stichworten „Triage" -und Rettungsbootkonzept in den USA leidenschaftlich erörtert sind. Triagekonzept ist ei-wordenDas ner gewissen militärärztlichen Praxis entlehnt, im Falle des Fehlens ausreichender ärztlicher Ressourcen die Verwundeten in drei Kategorien einzuteilen: diejenigen, welche ohne Hilfe überleben würden, diejenigen, die unrettbar verloren sind, und die, welche nur bei sofortiger ärztlicher Hilfe eine Überlebenschance haben. Bei unzureichender Verfügbarkeit an Nahrungsmitteln dürfte nach dem Triagekonzept nur solchen Ländern geholfen werden, denen damit eine echte Über-lebenschance gegeben wird. Parallel dazu geht das Rettungsbootkonzept davon aus, daß ein Boot nur eine beschränkte Aufnahmekapazität besitzt. Bei Erreichung dieser Kapazität stehen die Bootsinsassen vor dem Problem, welche Auswahl sie aus der Masse der herum-schwimmenden Schiffbrüchigen treffen sollen, um eine Überbeanspruchung zu vermeiden, welche den Tod sowohl der Insassen als auch der Neuaufgenommenen bedeuten und daher niemandem nützen würde.

Es gibt in den USA angesehene Stimmen, die dem Triage-bzw. Rettungsboot-Konzept bereits aktuelle Bedeutung zusprechen möchten. Hilfe, vor allem Nahrungsmittelhilfe, ist in dieser Sicht eher schädlich als nützlich, wenn ihre Gewährung nicht zu einer Dauerlösung des Ernährungsproblems beiträgt.

Rein karitative, das Übel nicht an der Wurzel anpackende Hilfe kann von diesem Standpunkt aus sogar unethisch sein, da sie langfristig noch größeres Elend schafft. Jay Forrester hat das einmal so ausgedrückt: „Die geretteten Menschen werden sich weiter vermehren. Hilfe führt zu einer noch größeren Anzahl krisengefährdeter Menschen, zu noch größerem Bedarf an Hilfe und schließlich zu einer Situation, die selbst die Hilfe nicht mehrbewältigen kann."

Welchen substantiellen Gehalt haben Thesen wie die des CIA oder die der Verfechter des Triageund Rettungsbootkonzepts? Wie ist die Lage heute, und wie wird sie sich in absehbarer Zeit entwickeln?

IV. Knappheit als Druckmittel

Nahrung wird für die Besitzer von Überschüssen nicht bereits dadurch zu einem Druckmittel oder gar einem politischen Machtinstrument (was immer man darunter verstehen will), weil es Länder gibt, die für ihre Versorgung auf Einfuhren angewiesen sind; hinzukommen muß vielmehr eine angespannte Weltversorgungslage — also Mangel — und/oder Devisenknappheit in dem einfuhrabhängigen Land. Solange das weltweite Angebot ausreicht, um die kaufkräftige Nachfrage zu decken, verleiht die Verfügbarkeit über Grundnahrungsmittel keine spezifische Machtposition, die sich von der anderer Wirtschaftsbereiche unterscheidet. Auch die Lage der ärmsten Entwicklungsländer, die nicht über die Devisen verfügen, um ihre Nahrungsmittelimporte zu bezahlen, stellt in dem hier relevanten Zusammenhang keinen Sonderfall dar. Wenn insoweit überhaupt von einem Abhängigkeitsverhältnis zwischen Lieferanten und Empfänger gesprochen werden kann, so beruht es nicht auf der Knappheit an Nahrungsmitteln, sondern auf dem Fehlen von Kaufkraft. Es handelt sich um eine der vielen Facetten von Armut.

Jeder Geber von Entwicklungshilfe könnte die fehlende Kaufkraft bereitstellen, und er könnte diese Hilfe, wie jede andere Entwicklungshilfe, an gewisse Bedingungen knüpfen. Hier fällt das Stichwort Nahrungsmittelhilfe in all seiner Vielschichtigkeit. Insbesondere stellt sich die nicht neue — und sicherlich zu verneinende — Frage, ob die Finanzierung der in einem solchen Zusammenhang geleisteten Nahrungsmittelhilfe bzw. die Ausstattung der ärmsten Länder mit Kaufkraft ausschließlich als eine Verantwortung der führenden Agrarexportländer anzusehen ist oder ob diese Aufgabe nicht sämtlichen entwickelten Ländern im Rahmen eines bürden sharing zu stellen ist, vor allem wenn das Exportland sich nicht in einer extremen Überschußposition befindet. Eine Verteilung der Lasten auf breitere Schultern als die der Getreideexportländer würde der Sachlage entsprechen.

Grunddaten zur Lage der Getreideversorgung Die Weltgetreideerzeugung (Weizen, Futtergetreide, Reis) lag 1979 bei 1531 Millionen Tonnen (gegenüber 1593 Millionen im Jahr 1978). Davon entfielen rund 335 Millionen Tonnen (etwa 22 Prozent) auf Nordamerika Von der Produktionsseite her kann daher kaum von einer marktbeherrschenden Stellung Nordamerikas gesprochen werden. Damit ist freilich der Kernpunkt nicht berührt. Das Bild ist nämlich unvollständig, wenn man in dem hier wichtigen Zusammenhang nicht neben der Weltproduktion auch den Welt-handel in Betracht zieht, d. h. diejenigen Mengen, die in den Export gehen Vor dem Zweiten Weltkrieg waren Lateinamerika, Asien, Afrika sowie Osteuropa einschließlich Rußlands Netto-Exporteure von Getreide, während Westeuropa schon damals eine Defizitregion darstellte. Heute sind alle diese Regionen — auch Lateinamerika mit Ausnahme Argentiniens — Defizitgebiete.

Nach den neuesten Schätzungen dürften die Weltexporte an Weizen und Futtergetreide im Landwirtschaftsjahr 1979/80 bei 180 Millionen Tonnen liegen. Davon entfallen rund 127, Millionen Tonnen auf Nordamerika (davon 109 Millionen auf die USA), d. h. 70, 8(bzw. 60, 5) Prozent.

Die Position Nordamerikas Dieser Anteil von etwa 70 Prozent am Welt-export gibt den Nordamerikanern zweifellos eine oligopolartige Marktstellung. Man sollte sich aber bei einer solchen nur auf den Welt-handel abgestellten Quantifizierung über die absoluten Größenordnungen und die im Rahmen der gesamten Weltgetreideproduktion (d. h. auch unter Einbeziehung von Reis) bestehenden Substitutionsmöglichkeiten im klaren sein: 127, 5 Millionen Tonnen nordamerikanische Exporte gegen 1531 Millionen Tonnen Weltgetreideproduktion machen nur 8, 3 Prozent aus. Mit anderen Worten: Auch beim völligen Ausfall der Nordamerikaner als Exporteure würden damit für die Deckung des gesamten Weltgetreidebedarfs nur etwa 8 Prozent fehlen.

Es ist demnach völlig überzogen, wenn gelegentlich behauptet wird, daß das USA-Getreide bereits heute eine mit der Petro Power vergleichbare Waffe sei, weil (wie es Business Week einmal ausdrückte) „much of the world nourishes itself on US grains". Auf die Weltproduktion bezogen, tragen die Nordamerikaner nur die erwähnte Spitzenmenge zur Welt-versorgung bei, die zwar keinesfalls bagatellisiert, aber auch nicht überbewertet werden sollte. Mit Bezug auf den Weltbedarf sind sie ein „residual supplier", auch wenn über ein Drittel des von ihnen erzeugten Getreides in den Export geht.

Die Weltmarktposition Nordamerikas, und insbesondere die der USA besteht seit den fünfziger Jahren. Sie hat sich in den letzten Jahren nur wenig verstärkt. Nordamerikanischer Weizen wird heute in fast allen Entwicklungsländern verbraucht, in denen sich die Amerikaner in mehr als zwei Jahrzehnten Märkte aufgebaut haben. Dabei spielten die aus Agrar-Überschüssen gespeisten Nahrungsmittelhilfsprogramme eine entscheidende Rolle 5). Länder, deren Grundnahrung früher vorwiegend aus Reis oder anderen heimischen Getreidearten sowie aus Knollen-früchten bestand, haben nach jahrzehntelanger Gewöhnung an Nahrungsmittelhilfe ihre Verzehrgewohnheiten nicht unwesentlich geändert; ein fragwürdiges Ergebnis einer auf einer Kombination von egoistischen und altruistischen Motiven beruhenden Politik der Nahrungsmittelhilfe.

Die für Jahrzehnte bestehende Aussicht auf Nahrungsmittelhilfe hat sich aber noch in anderer Richtung negativ ausgewirkt. Viele Entwicklungsländer — und unter ihnen vor allem die großen Hungerländer — vernachlässigten jahrelang die Entwicklung ihrer eigenen Landwirtschaft

V. Nahrungsmittelhilfe als kommerzielles und politisches Instrument

Bestand des Motiv für die Gewährung der USA-Nahrungsmittelhilfe ursprünglich darin, daß Überschüsse losgeschlagen werden sollten, so wurde es im Laufe der Jahre durch weitere Zielsetzungen überlagert oder ergänzt, die sich manchmal widersprachen. Hierher gehören kommerzielle Interessen wie z. B. die Koppelung der Nahrungsmittelhilfe an die Abnahme von Überschußgetreide zu kommerziellen Bedingungen oder der Aufbau künftiger Absatzmärkte. Eine zunehmende Rolle spielten — wie auch bei anderen Formen der Entwicklungshilfe — politische Zielsetzun-

gen; nachdem sich Nasser schon im Jahre 1964 in scharfen Worten gegen eine solche Koppelung gewehrt hatte, lehnte er es zwei Jahre später ab, die „mit Blut erkämpfte Freiheit gegen Weizen oder Reis zu verkaufen". Wenige Tage vor Allendes Sturz verweigerten die USA die Lieferung von Weizen auf Kredit an Chile. Einige Wochen danach lieferten sie ein Mehrfaches der ursprünglich gewünschten Menge. In den Jahren der Knappheit 1973/74 wurden Länder wie Südvietnam, Südkorea, Pakistan, Indonesien, Ägypten und Jordanien gegenüber viel ärmeren Entwicklungsländern bevorzugt bedacht. Der USA-Kongress versuchte Ende 1974, hier korrigierend einzugreifen, indem er die Regierung aufforderte, den politisch befreundeten Ländern nicht mehr als 30 Prozent der Nahrungsmittelhilfe zuzuteilen und die ärmsten Länder in Südostasien sowie in der Sahelzone stärker zu berücksichtigen 6a).

Es liegen deutliche Anzeichen dafür vor, daß in den Monaten nach dem Ausbruch der soge-nannten Ölkrise im Oktober 1973 in Washington ernsthafte Überlegungen angestellt wurden, die Nahrungsmittelhilfe als Pressionsinstrument zu benutzen. Man erwog, die ärmsten Entwicklungsländer durch Kürzung der Nahrungsmittelhilfe zu Interventionen bei den Ölländern im Sinne von Preisreduktionen zu veranlassen. Nach kurzem Hin und Her und einer Vermittlung des Senators Hubert Humphrey wurden solche fragwürdigen Absichten dann fallengelassen.

Die in den erwähnten Beispielen zu verzeichnende Verwendung der Nahrungsmittelhilfe als kommerzielles oder politisch-diplomatisches Druckmittel unterscheidet sich im Prinzip kaum von der Benutzung der Entwicklungshilfe im allgemeinen für solche Zwecke. Wenn man in solchen Fällen von der „Waffe“ Nahrung sprechen will, so könnte man mit gleichem Recht von der Entwicklungshilfe-Waffe reden, soweit es sich um „tied aid" handelt.

Vernachlässigung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern Opfer jeder angespannten Weltversorgungslage mit Nahrungsmitteln sind die Länder, die nicht Selbstversorger und daher auf Einfuhren angewiesen sind. Trotz zahlloser internationaler Appelle vernachlässigen viele Länder ihre Landwirtschaft auch weiterhin und verlassen sich auf Nahrungsmittelhilfe In diesem Zusammenhang muß ein wichtiger, bisher wenig bekannter Aspekt herausgestellt werden, der allerdings die Eigenverantwortung der Entwicklungsländer selbst nicht abschwächt:

Mindestens bis Ende 1969 waren die USA und Kanada gar nicht daran interessiert, daß die von ihnen mit Nahrungsmittelhilfe unterstützten Länder bald Selbstversorger mit Grundnahrungsmitteln würden. Darüber machte der Vizepräsident der Rockefeller Foundation, Sterling Wortman, in der September-Ausgabe 1976 des angesehenen „Scientific American“ so sensationelle Ausführungen, daß sie im Original zitiert seien:

'The U. S. Agency for International Development, for example, was constrained politically until 1969 (as was Canadas, comparable agency) by reluctance to become involved in direct, visible efforts abroad to increase productivity of the basic food crops, particularly the cereal grains. There was a general belief both in and out of government that other nations should not be encouraged to increase production of those crops for fear of competition with U. S. efforts to seil its surplus Stocks or even give them away!"

Wortman erwähnt als Beispiel das Zögern von AID, das International Rice Research Institute in den Philippinen oder das berühmte International Maize and Wheat Improvement Centre in Mexico finanziell zu fördern — beides Institute, die bahnbrechende Erfolge im Rahmen der sogenannten „Grünen Revolution" erzielten. Der Druck auf AID kam von der mächtigen Agrar-Lobby. AID war bemüht, durch indirekte Transaktionen — z. B. über das World Food Programme — trotzdem Anstrengungen von Entwicklungsländern zur Steigerung ihrer eigenen Nahrungsproduktion zu unterstützen. Ein Kurswechsel erfolgte erst, als — so Wort-man — den verantwortlichen Stellen im Jahr 1969 klar wurde, daß die steigenden Nahrungsdefizite in den Entwicklungsländern bald die Produktionskapazitäten der USA und der anderen Überschußländer übersteigen würden.

Heute unterschreiben die Nordamerikaner rückhaltlos die These, daß die Nahrungsmit- telerzeugung in den Entwicklungsländern selbst mit allen Mitteln gesteigert werden muß. Es ist allerdings bezeichnend, daß Henry Kissinger noch in seiner Rede auf der Welternährungskonferenz im November 1974 diesen zentralen Punkt der Welternährungsstrategie erst an zweiter Stelle aufgeführt hat, nämlich nach dem Postulat der Steigerung der Nahrungsmittelproduktion in den traditionellen Exportländern. In der einschlägigen Resolution der Welternährungskonferenz, die unter maßgeblicher Mitwirkung der Nord-amerikaner zustande kam, steht dann endlich die Forderung nach Steigerung der Nahrungsproduktion in den Entwicklungsländern richtigerweise an erster Stelle. Es liegen keine Anzeichen dafür vor, daß die USA oder Kanada in der heutigen Weltkonstellation die Absicht haben, von dieser Linie abzuweichen. Im Gegenteil: Die USA gehören heute zu den Industrieländern, die in ihrer Entwicklungshilfe der Förderung der Landwirtschaft in den Entwicklungsländern eine besonders hohe Priorität einräumen.

Getreidekartell?

Zu einem mit der Petro Power vergleichbaren Pressionsinstrument würde Nahrung allenfalls dann werden, wenn das weltweite Angebot an Grundnahrungsmitteln, insbesondere Getreide, hinter dem Gesamteinfuhrbedarf Zurückbleiben sollte. Eine solche Lage kann nicht nur durch ein Zurückbleiben der weltweiten Produktion hinter dem steigenden Weltbedarf (bei gleichzeitiger Erschöpfung der nationalen und internationalen Vorräte) entstehen, sondern auch durch die — rein technisch gesehen denkbare — Bildung eines Getreidekartells, das das Angebot knapp hält Etwa 93, 3 Prozent der Weltexporte von Weizen und Futtergetreide entfielen 1979 auf nur sechs Liefergebiete Ein solches Kartell hätte eine fast monopolartige Stellung. Der OPEC auf dem Olgebiet könnte eineOGEC (Organisation of Grain Exporting Countries) bei Getreide entsprechen (etwa unter dem Motto „Food for Crude“ — Nahrung für Rohöl).

Es liegen keine Anzeichen dafür vor, daß es in absehbarer Zeit zu einem Nahrungsmittelkartell kommen könnte. Die Nordamerikaner hätten gegenwärtig nichts durch ein Kartell zu gewinnen. Im übrigen würde keine USA-Regierung das internationale Odium der Tolerierung einer Kartellbildung mit dem — für die Produzenten einzig interessanten — Ziel der Preisanhebung auf sich nehmen wollen. Ähnliche Erwägungen gelten auch für die anderen Hauptproduktionsländer, insbesondere aber für Argentinien. In Argentinien fehlt es z. B. an den erforderlichen Speicherkapazitäten; in Überschußperioden würde das Land sich schwer tun, den Kartellpreis zu garantieren. In dem Gesamtzusammenhang darf auch nicht übersehen werden, daß die Agrarproduktion im Gegensatz zu den sich erschöpfenden Erdölvorkommen auf erneuerbaren Ressourcen beruht Eine bewußte Drosselung der Produktion würde sowohl für die Zahlungsbilanz als auch für die Einkommen der Farmer in den am Kartell beteiligten Ländern entsprechende Ausfälle bedeuten, die nicht einmal teilweise durch Erhaltung der Ressourcen für die Zukunft kompensiert wird, wie dies bei öl der Fall ist. Gerade der letzte Punkt hebt das Problem eines Getreidekartells wesentlich von dem des Ölkartells ab. Nicht außer acht zu lassen ist auch der für ein Getreidekartell destabilisierend wirkende Faktor der Wetterunsicherheit.

Das Gewicht eines Getreidekartells als eines möglichen Instruments von Food Power sollte daher nicht überschätzt werden. Es wird gegenwärtig durch das Machtpotential der OPEC übertroffen. Die OPEC-Länder kontrollieren nicht nur fast den gesamten Erdölexport, sondern außerdem mehr als 50 Prozent der Weltproduktion des nicht erneuerbaren Rohstoffes Erdöl. Der volle Einsatz der „ÖlWaffe" hätte nicht nur eine Schnellwirkung, sondern er könnte auch mittelfristig nicht kompensiert werden. Wenn ein Getreidekartell sich zu einem vollen Lieferstopp entschließen sollte, so hätte das kurzfristig ernste Folgen, aber schon mittelfristig könnten sich die betroffenen Länder selbst helfen, indem sie ihre Eigenanstrengungen erhöhen.

Ungenutztes Produktionspotential in den Entwicklungsländern Damit ist der Kernpunkt des ganzen Food-Power-Problems berührt. Während es auf dem Energiegebiet bisher keine überzeugende Antwort auf das Drohpotential der OPEC gibt, sprechen alle Anzeichen dafür, daß es auf dem Gebiet der Nahrungsversorgung möglich wäre, weltweit — insbesondere auch in den meisten Entwicklungsländern — die benötigten Grundnahrungsmittel zu erzeugen.

Nach herrschender Meinung ist das Potential der Entwicklungsländer zur Steigerung ihrer Nahrungsproduktion sowohl von der technischen als auch der ökologischen Seite her noch beträchtlich. Die überwiegend für erforderlich gehaltene Steigerungsrate der Nahrungsproduktion um etwa vier Prozent jährlich ist — technisch gesehen — keine Utopie, falls es gelingt, das Potential auch unter sozioökonomischen Aspekten zu mobilisieren.

Außer auf eine durch Erweiterung der Anbauflächen zu erzielende Produktionssteigerung, für die noch beträchtliche Möglichkeiten bestehen, ist das Schwergewicht vor allem auf die Intensivierung der Erzeugung auf den bereits kultivierten Flächen zu legen. Die Agrartechnik hat hier in den letzten Jahrzehnten beachtliche Fortschritte gemacht.

VI. Die sozio-ökonomische Dimension

Neben der technischen Dimension des Welt-ernährungsproblems darf freilich die andere, noch komplexere Seite des Problems nicht übersehen werden, nämlich die sozio-ökonomische. Ohne eine Lösung der diesbezüglichen Fragen, die auch einen direkten und indirekten Einfluß auf den Geburtenzuwachs haben würde selbst die modernste Technolo-gie wenig nützen. In diesem Zusammenhang sind z. B. die fundamentalen Probleme Landreform und eine die Produktion stimulierende Preispolitik zu erwähnen. Mindestziel einer Strategie zur Vermeidung einer Welternährungskrise muß es sein, trotz des anhaltenden Bevölkerungswachstums wenigstens zu verhindern, daß die Pro-Kopf-Erzeugung an Nahrung unter den heutigen Stand sinkt.

Die Lösung der sozio-ökonomischen Dimension erfordert tiefgreifende, mutige politische Entscheidungen, die nicht nur in die ländlichen, sondern auch in die zentralen Machtstrukturen vieler Staaten eingreifen. Während hinsichtlich der technischen Aspekte (der Produktionsseite im engeren Sinne) äußere Hilfe (in Form der technischen und der Kapitalhilfe) die Eigenanstrengungen der Entwicklungsländer nützlich unterstützen kann, liegt die Last der inneren politischen Entscheidungen voll bei den Entwicklungsländern selbst Keine wie immer ausgestaltete neue internationale Wirtschaftsordnung würde an dieser Situation etwas ändern, solange es an dem politischen Willen zur Änderung der inneren Ordnung fehlt

Drohung eines „absoluten" weltweiten Nahrungsdefizits? Sollte es den Entwicklungsländern in den nächsten Jahrzehnten nicht gelingen, das erwähnte Mindestziel zu erreichen, so wäre angesichts des Bevölkerungswachstums ein Absinken der Pro-Kopf-Produktion die Folge. Sobald das dann entstehende Defizit nicht mehr weltweit durch Überschüsse ausgeglichen werden kann, wäre die Situation eines „absoluten" Nahrungsmitteldefizits gegeben.

Eine solche Situation wäre dadurch gekennzeichnet, daß die physisch verfügbaren Nahrungsressourcen (sei es aus der laufenden Pro. duktion, sei es aus Vorräten) nicht einmal mehr ausreichen würden, um auch nur den gegenwärtigen prekären Ernährungsstandard in einigen Regionen aufrechtzuerhalten, und zwar ohne Rücksicht auf Kaufkraft oder die Verfügbarkeit an konvertiblen Devisen. Bisher gab es eine solche Lage nicht. Den Defiziten in einigen Gebieten stand jeweils ein Überschuß in anderen gegenüber: Wer auch höhere Preise bezahlen konnte, kam durch die Krise.

Einer solchen Dauerkrisewürden voraussichtlich Spannungssituationen von unterschiedlicher Dauer und Intensität vorausgehen, die durch weltweite klimatische Schwankungen — Trockenheit, Überflutungen usw. — ausgelöst werden und die den Abbau der Vorräte beschleunigen. Solche akuten Spannungssituationen könnten wahrscheinlich wie bisher im Rahmen der internationalen Solidarität in ihren Auswirkungen gelindert werden. Der — über akute Notlagen hinausgehende — Zustand eines „absoluten" Nahrungsdefizits aber entspräche der Lage, welche das Triageund das Rettungsbootkonzept unterstellten. Angesichts der Bedeutung der Sicherstellung des Nahrungsminimums in der Rangskala menschlicher Grundbedürfnisse würde in einer solchen Situation ein Produzenten-Oligo-pol eine Machtposition haben, die die der OPEC noch wesentlich überträfe. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, daß das Produzenten-Oligopol Überschüsse produziert oder über Vorräte verfügt.

VII. Nationale Strategiepläne als Ansatzpunkt für eine Wende?

Wie bereits dargelegt, wäre es „an sich" möglich, das Eintreten einer solchen Katastrophenlage zu verhindern. Leider kann keine optimistische Voraussage darüber gemacht werden, ob die Entwicklungsländer für die Durchsetzung des umfassenden Bündels von Maßnahmen zur Sicherung ihrer Nahrungsversorgung über den erforderlichen politischen Willen hinaus auch die politische Kraft aufbringen werden.

Immerhin wird das jahrzehntelang von den meisten Entwicklungsländern vernachlässigte Agrarproblem heute weithin klarer erkannt als noch vor einigen Jahren. Das gilt auch für die innerpolitischen Aspekte. Ansatzpunktfür eine Wende könnte möglicherweise das vom UN-Welternährungsrat auf seiner Sitzung in Ottawa im September 1979 akzeptierte — an sich nicht neue — Konzept nationaler Strategiepläne werden. Die Entwicklungsländer sollen nach diesem Konzept Pläne für eine nationale Ernährungsstrategie (Maßnahmen zur Produktionssteigerung und zur Verbesserung der Verteilung) ausarbeiten, für deren Verwirklichung sie auch von außen (bi-und multi-B lateral) Hilfe erhalten würden Der Welternährungsrat übt im Gesamtzusammenhang eine katalytisch-politische und interdisziplinär koordinierende Funktion aus. Es ist bezeichnend, daß (nicht zuletzt auf Betreiben von FAO-Generaldirektor Saouma) gegen ein solches — von außen zu unterstützendes — Strategiekonzept u. a. auch der Einwand erhoben worden ist, die in diesem Zusammenhang gewährte Hilfe könne eine „Einmischung" in die inneren Verhältnisse der Länder bedeuten. Mit Recht hat Lester Brown darauf erwidert, daß „die Ernährungspolitik nicht länger als ein isoliertes, von der Gesamtwelternährungslage unabhängiges Problem behandelt werden kann“. Wenn alle Länder „von den gegebenen Ressourcen und der Zusammenarbeit mit anderen Ländern abhängen", so ist heute kein Land wirklich souverän.

Eine der Grundfragen geht dahin, ob die Entwicklungsländer — insbesondere die Nahrungsdefizit-Länder — im Rahmen von „maßgeschneiderten“ nationalen Agrarstrategieplänen auch bereit und in der Lage sein werden, die sozio-ökonomischen Aspekte zu berücksichtigen, d. h. auch interne Reformen durchzuführen. Könnte diese Frage bejahend beantwortet werden, so würde sich die Gefahr eines . absoluten" Nahrungsdefizits für die meisten Länder vermindern.

Begrenzte Wirksamkeit äußerer Hilfe Wenn das Machbare nicht gemacht wird und die Entwicklungsländer ihre inneren Angelegenheiten nicht in irgendeiner Weise ordnen können, so kann auch eine sehr großzügig bemessene äußere Hilfe in dem Gesamtzusammenhang nicht mehr als akzessorische und vielleicht katalytische Wirkung haben. Hilfe kann auf die inneren politischen Verhältnisse kaum mehr als marginal einwirken. Internationale Organisationen — insbesondere die Ernährungsund Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) — tun den Entwicklungsländern keinen Gefallen, wenn ihre Spitzenfunktionäre aus opportunistischen Erwägungen die wirklichen Kausalzusammenhänge ignorieren und die Bedeutung sowie die Wirkungsmöglichkeiten äußerer Hilfe unvertretbar hochspielen. Falsch dosierte oder angesetzte Hilfe kann sogar die Verschleppung überfälliger Eigenmaßnahmen politischer und struktureller Art zur Folge haben. Die Erfahrungen mit der Nahrungsmittelhilfe stellen in diesem Zusammenhang ein warnendes Beispiel dar.

Diejenigen Länder, die es schaffen, dank einer richtigen Kombination von Eigenanstrengungen und äußerer Hilfe ihre Nahrungsversorgung sicherzustellen, würden die „Waffe Nahrung" stumpf machen.

Aber für die Länder, denen es — aus eigener Schuld oder nicht — nicht gelingt, wenigstens den Minimalbedarf an Nahrung selbst zu dekken, würde im Falle eines „absoluten" Nahrungsdefizits die Katastrophensituation akut werden, welche in der Diskussion um das Triage-bzw. Rettungsbootkonzept unterstellt zu werden pflegt. Da in der hypothetisch unterstellten Lage die weltweiten Überschüsse nicht für alle Defizitländer ausreichen würden, hätten die Überschußländer dann in der Tat Entscheidungen über Leben oder Tod von Millionen Menschen zu treffen. Sie müßten nach Kriterien dafür suchen, welchen Ländern geholfen werden soll und welchen nicht.

In einem offiziellen Hearing im USA-Kongreß hielt der Öko-Biologe Garrett Hardin (California University) an seiner in vielen Publikationen vertretenen These fest: „Wenn das Boot sinkt, ertrinken alle. Complete justice, com-plete catastrophe." Der Leiter des Kongreß-Unterausschusses, vor dem das Hearing stattfand, Representative John Dingell, war in einem Interview mit der „New York Times" in seiner Schlußfolgerung nicht weniger deut- lieh: „Wir können solche Entscheidungen weder moralisch noch politisch treffen." Aber — so meinte Dingell — manche politischen Entscheidungen werden nicht bewußt getroffen, sondern ergeben sich von selbst: „The hard fact of the matter is that nature is probably going to make those judgements for us ... Triage is going tocome upon us whether we like it or not.“ Angesichts einer gewissen weltweiten ideologischen Kampagne kann nicht deutlich genug wiederholt werden, daß sich die Amerikaner eine solche Situation nicht nur nicht herbeiwünschen, sondern daß sie mit allen Kräften bemüht sind, die drohende Gefahr abzuwenden. Die volle Verantwortung liegt eindeutig bei den Entwicklungsländern selbst. Sie sind Meister ihres eigenen Schicksals. Übrigens: The New Economic Order begins at home!

Fussnoten

Fußnoten

  1. Potential Implications of Trends in World Population, Food Produktion, and Climate, CIA Directo-rate of Intelligence, Office of Political Research, August 1974.

  2. Alle heutigen Projektionen gehen davon aus, daß die Getreideüberschüsse in den USA in den kommenden Jahren weiter zunehmen werden, über ein Drittel der amerikanischen Getreide-und Sojabohnenerzeugung in Höhe von rd. 350 Millionen Tonnen muß exportiert werden.

  3. Für die USA allein waren es 299 Millionen Tonnen, d. h. etwa 19, 5 Prozent der Welterzeugung.

  4. Da es hier um die Würdigung der Marktstellung Nordamerikas geht, kann Reis vernachlässigt werden. Nur etwa 1, 5% der Welterzeugung von Reis entfallen auf die USA.

  5. In diesem Zusammenhang ist immer wieder daran zu erinnern, daß die Überschüsse nicht für Zwecke der Nahrungsmittelhilfe produziert wurden, sondern daß die Nahrungsmittelhilfe erdacht wurde, um ungeplant anfallende Überschüsse am wenigsten sinnlos zu verwenden. Die USA-Nahrungsmittelhilfe erreichte im Erntejahr 1964/65 mit etwa 18 Mio. t ihren Höhepunkt. Der Tiefpunkt lag 1973/74 bei etwa 3, 2 Mio. t. In den Jahren 1978/79 bzw. 1979/80 gingen die USA Verpflichtungen zur Gewährung von Nahrungsmittelhilfe in Höhe von 6, 2 bzw. 5, 6 Mio. t ein. Die gegenwärtige Planung sieht eine Getreidehilfe in einer Größenordnung von jährlich 6 bis 7 Mio. t vor.

  6. Nahrungsmittelhilfe kann insbesondere in zweifacher Hinsicht hemmend auf die Eigenproduktion der Empfängeriänder wirken: 1. Verdrängung der heimischen Produzenten vom Markte und 2. Beeinflussung der Regierungen der Empfängerländer dadurch, daß sie es ihnen erlaubt, überfällige agrarpolitische Maßnahmen immer wieder hinauszuschieben. In dem letzterwähnten Sinne kann die Nahrungsmittelhilfe wie eine Droge wirken. Es gibt dafür Dutzende von Beispielen, insbesondere, wenn die Nahrungsmittelhilfe in Form von Massenverschiffungen („bulk supply") ohne konkrete Verwendungsplanung gewährt wird. Ein gewisser disincen-tive effect“ ist hinauszunehmen, solange Nahrungsmittelhilfe aus ungeplant anfallenden Agrarüberschüssen gespeist wird. „Forward planning" von Nahrungsmittelhilfe, wie es von der Welternährungskonferenz und der FAO propagiert wird, läuft auf eine Fehlallokation von Ressourcen hinaus. Falls es an ungeplant anfallenden Nahrungsmittelüberschüssen fehlt, ist es rationeller, dem bedürftigen Land Ressourcen in Form konvertibler Währungen zuzuführen, die gegebenenfalls auch zum Ankauf von Nahrungsmitteln in Entwicklungsländern verwendet werden können. 6a) Ein klassisches Beispiel für die Benutzung von Nahrung als politisches Druckmittel gaben die USA im September 1974, als sie mitten in einer Versorgungskrise in Bangladesh, die Einstellung ihrer Nahrungsmittelhilfe androhten, weil Bangladesh in Aussicht genommen hatte, Jute an Kuba zu liefern. Der amerikanische Druck veranlaßte Bangladesh, alle Jute-Exporte nach Kuba einzustellen.

  7. Dazu drastisch, aber treffend der Präsident der INTERNATIONAL FEDERATION OF AGRICUL-TURAL PRODUCERS, M. F. Cracknell (in IFAP NEWS, Februar 1980): „The countries which are most vulnerable in this area are those developing countries which have become increasingly depen-dent on imported food. There are some who detect a , plot‘ in the development of this Situation. However, developing country governments have no one but themselves to blame for the systematic neglect of their agricultural sector, „more especially the subsistence farmers for whom the food problem ist gravest."

  8. USA Kanada, Argentinien, Australien, EG, Südafrika.

  9. Die bisherigen Erfahrungen mit Programmen der . Familienplanung''haben gezeigt, daß solche Programme nur dann „greifen", wenn sie in der Ziel-bevölkerung den Wunsch erwecken, ihre Familien klein zu halten, obwohl auch heute noch die Bevölkerung in den meisten Entwicklungsländern traditionell aus kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Motiven ganz bewußt eine große Kinderzahl wünscht. Das Vorantreiben der sozio-ökonomischen Entwicklung ist daher entscheidend für die Reduzierung der Fruchtbarkeit.

  10. Dabei handelt es sich vor allem um das Problem des Zugangs zu Land und Wasser. Die Lage ist von Land zu Land verschieden. Die Frage kann durch den bloßen Erlaß von Landreformen nicht gelöst werden. An einschlägigen Gesetzen fehlt es in den meisten Ländern nicht. Wie aber der tansanische Staatspräsident Julius Nyerere auf der Weltkonferenz über Agrarreform (Rom, Juli 1979) treffend bemerkte, sind „diese Gesetze in zu vielen Fällen rein kosmetischer Art“.

  11. Wenn eine Regierung die Produzentenpreise niedrig hält, um städtische Verbraucher mit niedrigen Einkommen zu subventionieren, entfällt für die Produzenten der Anreiz zur zusätzlichen Erzeugung.

  12. Die Pläne sollen als „Schlüsselmechanismen“ dienen und die Priorität des Nahrungssektors nach innen und außen herausheben. Dabei soll auch eine Straffung und Koordinierung der für den Agrarsektor zuständigen — sich vielfach überschneidenden — staatlichen Stellen angestrebt werden. Die Planung soll zudem die Möglichkeiten zu einer Verstärkung des institutioneilen Instrumentariums berücksichtigen, um eine Erhöhung der Absorptionsfähigkeit für zusätzliche Investitionen zu ermöglichen. Seit Herbst 1979 haben sich bereits 32 Länder (unter ihnen 19 afrikanische) zur Ausarbeitung von Strategieplänen entschlossen und in diesem Zusammenhang um zusätzliche äußere technische Hilfe ersucht.

  13. Worldwatch Paper No. 2: „The Politics and Res-ponsibility of the North American Breadbasket", 1975.

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Otto Matzke, Dr. jur., Dipl. -Volkswirt; von 1962 bis Anfang 1974 Stellvertretender Direktor bzw. Direktor der Project Management Division im UN/FAO World Food Programme, Rom; vorher im Auswärtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland; gegenwärtig ständiger Mitarbeiter der Neuen Zürcher Zeitung, insbesondere für Probleme der Welternährung und -landwirtschaft sowie für die damit verbundenen entwicklungspolitischen und institutionellen Fragen. Veröffentlichungen u. a.: Hunger und Uberschuß, Bonn 1969; Die Dritte Welt und die Agrarpolitik der EG-Länder, Frankfurt 1974; Der Hunger wartet nicht — Die Probleme der Welternährungskonferenz 1974, Bonn 1974; Rohstoff-Fonds — Utopie und Wirklichkeit, Bonn 1977; Institutionelle Proliferation in der internationalen Ernährungsadministration, in: Bürokratie — Motor oder Bremse der Entwicklung?, Bern 1977; Institutionelle Probleme des Wirtschaftsund Sozialbereichs des UN-Systems, in: Beiträge zur Konfliktforschung 1978/4.