Die Studie schildert das komplizierte System der amerikanischen Vorwahlen anhand konkreter Beispiele aus dem derzeitigen Wahlkampf. Sie ist somit zugleich ein Beitrag zur politischen Analyse der sich zur Wahl stellenden Parteigruppierungen und Kandidaten. Einleitend werden die Entwicklung zum amerikanischen Zweiparteiensystem skizziert und die — nicht sehr deutlichen — historisch-politischen Unterschiede aufgezeigt. Vor diesem historischen Hintergrund werden auch die Besonderheiten der Vorwahlen, der „Strohwahlen" und Parteikonvente mit ihrem jeweiligen politischen Gewicht für den Wahlkampf interpretiert. Gegenüber diesen eher anachronistischen Wahlkampfformen gewinnen die Massenmedien und Meinungsumfragen für die Profilierung der Kandidaten immer mehr an Bedeutung. Im einzelnen wird auf die Vorwahlkämpfe der Kandidaten der „Demokratischen Partei“, der „Republikanischen Partei“ sowie auf die Kandidatur John Andersons als „Unabhängiger“ eingegangen, wobei auch ihre jeweiligen politischen Schwerpunktthemen erörtert werden.
Von Otto von Bismarck wird erzählt, er habe einmal gesagt, daß nie soviel gelogen werde, wie vor einer Wahl, während eines Krieges und nach einer Jagd. Jagden werden nicht mehr so häufig veranstaltet wie zu des „Eisernen Kanzlers" Zeiten, die Zahl der Kriege und Wahlen hat sich jedoch nicht verringert. Sicher ist es bei einer Wahl wichtig, wer gewonnen hat und warum er gewonnen hat. Aber es ist auch wichtig, wer denn überhaupt noch zum Zeitpunkt der Stimmabgabe zur Wahl gestanden hat.
Nach den Nominierungskonventen der Republikanischen und der Demokratischen Partei stand es im August 1980 fest, daß Ronald W. Reagen und James E. Carter die Hauptkontrahenten für die Entscheidung am 4. November sein würden. Zu ihnen gesellte sich noch der dis Unabhängiger kandidierende republikanische Abgeordnete John B. Anderson. Neben diesen drei gibt es noch rund 150 andere Bewerber, die mit dem Ausgang der Wahl nichts zu tun haben werden. Auch Anderson dürfte kaum gewinnen. Er könnte aber genug Stimmen erhalten, daß letztlich keiner der drei Hauptbewerber über die erforderliche Mehrheitverfügt. Der 40. Präsident der USA würde dann von den Mitgliedern des neuen Repräsentantenhauses gewählt werden; sollte es Carter sein, bliebe er der 39. Präsident.
Am 4. November 1980 wird nicht nur ein neuer Präsident gewählt. Über alle 435 Sitze im Repräsentantenhaus, über 34 Senatoren-plätze, über 13 der insgesamt 50 Gouverneurs-posten wird neu entschieden. In 42 Bundesstaaten werden die Parlamente (vergleichbar den Landtagen in der Bundesrepublik Deutschland) neu besetzt, sowie zahllose Ämter auf kommunaler Ebene — vom Bürgermeister über den Sheriff bis hin zum Hundefänger. Die Entscheidung über den neuen Präsidenten erhält die größte Beachtung, aber die Vorentscheidungen geraten schnell in Vergessenheit. In diesem Beitrag sollen daher wichtige Etappen der Vorwahlzeit ihre Darstellung finden, mit Hinweisen auf historische Entwicklungen und wichtige Sektoren des politischen Systems. Neben dem Hinweis auf Besonderheiten (Finanzierung, Medien, Meinungsumfragen) wird auch der Versuch unternommen, auf die Mentalität der Wähler einzugehen.
Senatorenwahl 1980 Nach der Verfassung entsendet jeder Einzel-staat unabhängig von seiner Einwohnerzahl auf sechs Jahre je zwei Senatoren nach Washington D. C. Alle zwei Jahre steht ein Drittel der Senatoren zu Neuwahl an; 1980 sind es 34 der insgesamt 100 Senatoren. Die Demokratische Partei verfügt seit 1958 über eine Mehrheit im Senat. Gegenwärtig sitzen 59 Demokraten 41 Republikanern gegenüber. Von den zur Wahl stehenden Senatorensitzen sind 24 von Demokraten, 10 von Republikanern besetzt; die Republikaner müßten daher zumindest netto 10 Sitze hinzugewinnen, um einen Gleichstand zu erreichen.
Das Repräsentantenhaus wird alle zwei Jahre gewählt. Hier ist die Sitzverteilung derzeit: 275 Demokraten, 159 Republikaner, ein Sitz für Illinois vakant.
I. Indirekte Wahl des Präsidenten und Zweiparteiensystem
In den USA haben die Wähler noch nie einen Präsidenten gewählt. Die Wahl erfolgt indirekt durch ein Gremium von Wahlmännern. Die Bestimmung in der Verfassung, abgeändert durch einen 1804 in Kraft getretenen Zusatz, ist zwar etwas lang, aber eindeutig: Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten durch ein Wahlmännergremium; erreicht keiner die Mehrheit der Gesamtzahl der Wahlmänner-stimmen, so wählt das Repräsentantenhaus. Entscheidend ist also nicht die Mehrheit der Wählerstimmen, sondern die der Wahlmänner. Wer in einem Staat auch nur eine Stimme mehr erhält, dem fallen alle Wahlmännerstim-men dieses Staates zu. Ein einzelner Wähler (oder eine einzelne Wählerin) eines Staates kann also den Ausschlag geben.
John F. Kennedy errang 1960 nur knapp die Hälfte der Wählerstimmen, die Mehrheit beim Wahlmännergremium war aber reichlich. Die Auswirkungen des Mehrheitswahlrechts waren 1968 noch deutlicher. Richard M. Nixon hatte 43, 45 Prozent der Wählerstimmen erhalten, auf Hubert H. Humphrey waren 43, 02 Prozent entfallen. Im Wahlmännergremium erhielt Nixon aber 301 Stimmen und Humphrey lediglich 191.
Im Wahlkampf spielen daher „Schlüsselstaaten''mit vielen Wahlmännerstimmen für die Kandidaten eine große Rolle. In den letzten drei Monaten der Kampagne von 1976 wurden 15 kleinere Staaten weder von Ford noch von Carter besucht; sie waren bei der Bemühung um Wahlmännerstimmen von geringer Bedeutung. Richard Nixon schlug 1968 eine Änderung vor. Auch Jimmy Carter sprach sich für eine Abschaffung des Wahlmännergremiums aus. Hätten z. B. in den Staaten Ohio und Hawaii nur einige Tausend Wähler nicht für ihn gestimmt, hätte er keine Mehrheit in dem Gremium erhalten.
Eine Umfrage des Gallup-Instituts erbrachte 1977, daß 84 Prozent der Befragten sich für eine Direktwahl des Präsidenten aussprachen. Eine breite Mehrheit in der Bevölkerung befürwortet eine diesbezügliche Verfassungsänderung. Der amerikanische Kongreß hat sie bislang abgelehnt. Warum? Es gibt sicher viele Gründe. Zwei der wichtigsten mögen sein, daß die Einzelstaaten, besonders die mit einer großen Bevölkerung, ihren Einfluß behalten wollen. Das indirekte Wahlverfahren scheint auch das Zweiparteiensystem zu sichern; und auf dessen Mechanismus haben sich die etablierten Politiker in langen Jahren spezialisiert • Die beiden großen Parteien, die heute die politische Szenerie der USA dominieren, haben sich etwa in der Mitte des vorigen Jahrhunderts gebildet und wechselten im Laufe der Geschichte oft ihren Namen. Sie sind eher eine Koalition aus den 50 Einzelparteien der Bundesstaaten und eine Vereinigung zur Wahrung der Wahlchancen ihrer jeweiligen Kandidaten. Sie sind keine festgefügten Organisationen zur Durchsetzung von ideologisch, phi-losophisch oder religiös inspirierten Pro-grammen.
Am Anfang der amerikanischen Parteiengeschichte gab es durchaus fundamentale Gegensätze. Vor der Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich traten die „Heimattreuen'(Empire Loyalists) für einen Verbleib im britischen Imperium ein, während die Nationalisten für die Trennung waren. Die Gründung eines unabhängigen Staates verschärfte dann die Diskussion über Aufgaben des Bundes, Rechte der Einzelstaaten, Wirtschaftsund Bankpolitik und die Frage, ob Schutzzoll oder Freihandel das Prinzip der neuen Zollpolitik sein sollte. Grundsätzliche Positionen wurden durch lokale Interessen versteift und als politische Alternativen unterstützt bzw. bekämpft, Praktische Fragen standen im Vordergrund; ideologische Gegensätze spielten eine untergeordnete Rolle. Die Größe des Landes, die Aufnahme neuer Staaten, Unterschiede zwischen Landwirtschaft und Industrie, die ethnische Vielfalt und zahllose vitale Interessengegensätze hätten die Grundlage für eine Anzahl von Parteien abgeben können. Das Mehrheitswahlrecht trug wesentlich dazu bei, daß sich hauptsächlich zwei herausbildeten und ihre Stellung halten konnten. Es gab und gibt andere Parteien. Ihr Einfluß war und ist regional begrenzt und sie konnten sich über einen längeren Zeitraum hinaus nie national etablieren.
Ein dritter Kandidat kann kaum gewinnen, aber entscheidend zur Niederlage eines anderen beitragen. Der Einfluß der kleineren Parteien ist anscheinend gering. Sie verfügen auch nicht über die Möglichkeiten der Selbstdarstellung, die die beiden großen ausnützen können. Dennoch haben kleinere Parteien in der amerikanischen Geschichte oft aktuelle Probleme und soziale Mißstände in das Bewußtsein der Bevölkerung gerückt. Sie vertraten auch ganz bestimmte Interessen, so z. B. gegen Freimaurer, für und gegen bestimmte ethnische Gruppen, für und gegen Alkoholkonsum, für und gegen unkonzessionierten Landerwerb, für und gegen Aufnahme neuer Bundesstaaten usw. National haben sie sieb für längere Zeit nie durchsetzen können, weil die Demokratische und die Republikanische Partei, bevor die anderen zu einer wirklichen Bedrohung ihrer Machtposition hätten werden können, „deren zugkräftige Forderungen in ihre eigenen Programme aufnahmen. Die Bedeutung der dritten Parteien für die amerikanische Gesellschaft besteht also vor allem darin, daß sie mit ihren reformerischen Ideen die alten Parteien befruchtet haben" Im Mehrheitswahlrecht ist eine Stimme für eine der kleineren Parteien eine verschenkte Stimme — so wird es jedenfalls von den Großen dargestellt. Ein Engagement für die Demokraten oder Republikaner kann mit einem Posten belohnt werden; kleinere Parteien haben nichts zu vergeben, ihnen bleiben lediglich die Schulden aus dem Wahlkampf.
Die Demokraten nennen Thomas Jefferson ihren Ahnherren, der für die Rechte der Einzelstaaten und für Dezentralisierung eintrat. Franklin D. Roosevelt, ebenfalls ein Demokrat, praktizierte dann eine zentrale Wirtschaftsienkung. Mit zahlreichen Sozialprogrammen haben demokratische Präsidenten (Wilson, F. D. Roosevelt, Johnson) durch Eingriffe des Staates versucht, soziale Mißstände zu reduzieren. Die Republikaner berufen sich auf Alexander Hamilton, den Verfechter einer starken Zentralgewalt. Heute sind ihre Vertreter für den Abbau staatlicher Eingriffe und umfangreicher Sozialprogramme. Sie bekennen sich zum privatkapitalistischen Wirtschaftssystem, in dem der Staat nichts zu suchen habe, und erhalten bei Wahlen weniger Unterstützung von den Gewerkschaften. Dennoch war es ein Republikaner, Richard M. Nixon, der 1971 einen Lohn-und Preisstopp verfügte. Die Republikaner nennen sich stolz „Große Alte Partei" (Grand Old Party) und feiern Abraham Lincoln,den „Befreier der Sklaven“, als einen ihrer großen Präsidenten. Die Mehrzahl der von Negern abgegebenen Stimmen erhielten in den letzten Wahlen aber Kandidaten der Demokraten, bei Carter waren es 1976 z. B. rund 93 Prozent. Wenn die Demokratische Partei generell im politischen Spektrum etwas mehr links“ angesiedelt werden kann, so gibt es in ihren Reihen jedoch extrem konservative Gruppierungen, vornehmlich in den Südstaaten, und dies hat traditionelle Gründe, die bis in die Zeit vor dem Sezessionskrieg (1861— 65) zurückreichen.
Die beiden großen Parteien vereinigen unterschiedlichste Flügel und Gruppierungen, die sich häufig für fast gegensätzliche Ziele einsetzen Ein allgemeinverbindliches Parteiprogramm gibt es nicht. Die für den Präsidentschaftswahlkampf jeweils zusammengestellte Plattform bietet nach Möglichkeit für jeden etwas und ist später schnell vergessen. Für einen amerikanischen Wähler ist es durchaus konsequent festzustellen, er sei Demokrat, wähle aber Republikaner, oder umgekehrt. Er kann für den Präsidentschaftskandidaten der einen und für den Senator der anderen Partei stimmen. Bei der langen Liste der zur Wahl stehenden Politiker für die verschiedensten Ämter kann die Stimmabgabe häufig von einer zur anderen Partei wechseln. Oft gibt die Haltung eines Kandidaten für oder gegen eine ganz bestimmte Sache (issue) den Ausschlag, oder nicht einmal das; er wird wegen seines Aussehens, seines Familienlebens oder wegen anderer Gründe gewählt.
Es gibt kein einheitliches Abstimmungsverhalten unterprivilegierter Gruppen. Wie sich die Parteien seit Jahrzehnten darstellen, müßten diese Wähler fast ausschließlich den Demokraten ihre Stimme geben Der erzkonservative George Wallace erhielt jedoch bei seinen Bemühungen um die Präsidentschaft als Kandidat der von ihm ins Leben gerufenen American Independence Party zahlreiche Stimmen von Amerikanern italienischer, slavischer und jüdischer Herkunft Spannungen zwischen Negern und Teilen der ärmeren jüdischen Bevölkerung werden bei deren Wahl-verhalten deutlich. Rivalitäten und Verteilungskämpfe bewirken Differenzen zwischen Negern, Einwanderern aus Mexiko, Flüchtlingen aus Kuba und anderen Gruppen. Es gibt hier kein mehrheitlich solidarisches Verhalten auf der Basis einer vergleichbar schlechten sozialen Stellung (von einem Klassenbewußtsein einmal ganz abgesehen) und es gibt auch kein gemeinsames Abstimmungsverhalten bei Wahlen.
II. Vorwahlen, Strohwahlen und Parteiversammlungen
Wer Präsident der USA werden kann, ist leicht zu sagen; wie er es wird, ist sehr kompliziert. Der Präsident muß in den Vereinigten Staaten geboren, mindestens 35 Jahre alt sein und 17 Jahre im Land gewohnt haben. Präsident wird derjenige, der nach einem langen, teuren und oft irrationalen Wahlkampf die Mehrheit der Wahlmännerstimmen auf sich vereinigen kann, auch wenn ihn die Mehrheit der Amerikaner nicht wollte
Wahlbestimmungen sind Sache der Einzelstaaten. Es gibt eine verwirrende Vielfalt von Methoden, die bei der Nominierung von Delegierten zum Nationalkonvent und bei der Festlegung auf einen bestimmten Bewerber um das Amt des Präsidenten zur Anwendung kommen. Am häufigsten und bekanntesten sind Vorwahlen (primaries), die 1980 in 35 Bundesstaaten sowie im District of Columbia und Puerto Rico abgehalten wurden.
Die Gründerväter der USA und Autoren ihrer Verfassung hatten Parteien in diesem Dokument nicht berücksichtigt. Die Nominierung eines Präsidentschaftskandidaten erfolgte durch Absprachen zwischen Mitgliedern des Kongresses und der Regierung. Nach der allmählichen Etablierung von Parteien folgten deren Kongreßmitglieder beim Nominierungsverfahren Regeln, wie sie Einzelstaaten aufgestellt hatten, meist blieb es jedoch auf der Ebene informeller Absprachen. Dieses Verfahren wurde bis 1823/24 praktiziert, als Fraktionskämpfe endgültig die informellen Versammlungen und Vereinbarungen im Kongreß unterminierten. Nach einer Übergangsphase, in der Vorentscheidungen durch Konvente in Einzelstaaten getroffen wurden, benannten dann die drei wichtigsten Parteien 1832 ihre Kandidaten auf Nationalkonventen.
Dieses System bot wenig Beteiligungsmöglichkeiten für die Bevölkerung. „Funktionäre" und Würdenträger örtlicher Parteiverbände nominierten die Delegierten der einzelnen Staaten zum Nationalkonvent. Nicht nur aus fundamentaldemokratischen Erwägungen heraus, sondern auch aus finanziellen Gründen und um ihre eigene Stellung zu stärken, begannen um die Jahrhundertwende verschiedene Einzelstaaten mit Vorwahlen zu experimentieren, bei denen die Delegierten zum Nationalkonvent direkt gewählt werden sollten.
Trotz der vielen Unterschiede in den einzelnen Staaten gibt es sechs Hauptgruppen von Auswahlveranstaltungen:
— Delegiertenwahl (Delegate Selection)
— Vorwahl mit Empfehlung für die Präsidentenwahl (Advisory Presidential Preference Primary)
— Bindende Wahl, bei der der Mehrheitskandidat alle Stimmen erhält (Winner-take-all Primary) — Anteilmäßige Vorwahl (Proportional Representation Primary)
Bei der Delegiertenwahl erscheinen die Namen der Präsidentschaftskandidaten nicht auf den Stimmzetteln. Nur die Personen, die sich als Delegierte für den Parteikonvent bewerben, sind namentlich genannt. Sie können auf dem Wahlschein angeben, welchen Präsidentschaftsaspiranten sie unterstützen, müssen es aber nicht. Es gibt also „Vorwahlen" für die Vorwahlen.
Bei der Vorwahl mit Empfehlung, wie sie z. B. in New Hampshire durchgeführt wird, geben die Wähler ihre Stimme für einen Präsidentschaftsbewerber und für einen Kandidaten zum Nationalkonvent ab. Der Entscheid für einen Bewerber um die Präsidentschaft muß den Delegierten aber nicht binden.
Anders z. B. bei der bindenden Vorwahl, wie sie die Republikaner in Kalifornien durchführen. Der Präsidentschaftskandidat, der hier die Mehrheit erhält, gewinnt damit auch alle Delegiertenstimmen des Staates beim Konvent.
Im gleichen Staat praktizieren die Demokraten ein anderes Verfahren, nämlich die anteil-mäßige Vorwahl. Hier werden den Bewerbern Delegiertenstimmen anteilmäßig zu ihrem Abschneiden bei der Vorwahl zugeteilt. Diese beiden unterschiedlichen Verfahren beruhen meist auf der Stellung einer Partei oder ihrer Führungspersönlichkeit im jeweiligen Staat Ronald Reagan, der frühere Gouverneur von Kalifornien, hat sich stets für die Vorwahl eingesetzt, bei der der Gewinner alle Stimmener hält. Er war sich in seinem Staat des Sieges gewiß und wollte Mitbewerbern keine Anteile überlassen.
Das Wort „Caucus" hat seinen Ursprung vermutlich in der Sprache der Algonkin-Indianer; es bezeichnete ursprünglich ein Gespräch im Rat der Alten, einen Ratgeber oder einen Ratschlag. Ein Caucus war früher eine private, oft spontane Versammlung von Mitgliedern bestimmter Organisationen zur Verständigung über anstehende Aktionen und wünschenswerte Ziele oder zur Auswahl von Delegierten. Im Rahmen der Wahlkämpfe und Nominierungsverfahren wurden daraus informelle parteiinterne Auszählungen zur Benennung von Delegierten auf Kreisebene, die dann ihrerseits Delegierte für die nächsthöhere Ebene wählten.
Wie wird man nun Kandidat für einen Nationalkonvent? Am Beispiel des Staates Massachusetts soll dies kurz erläutert werden. Schon vor der anteilmäßigen Vorwahl (proportional representation primary) am 4. März 1980 begann hier die Auswahl für die 111 Delegierten-sitze der Demokratischen Partei. Diejenigen, die sich um einen Platz bewerben wollten, mußten dies bis zum 4. Dezember 1979 dem Parteikomitee des Staates schriftlich mitteilen und versichern, daß sie ein eingeschriebenes Mitglied der Demokratischen Partei seien. Der Brief sollte Angaben über den Wahlkreis enthalten und den Namen des Präsidentschaftsbewerbers nennen, den der mögliche Delegierte unterstützen wolle, oder er mußte schreiben, daß er noch keine Festlegung getroffen habe. Bis zum 10. Februar 1980 konnte das Kandidaten-Komitee der Partei Bewerbungen zurückweisen, wenn deren Gesamtzahl über das Dreifache der höchstmöglichen späteren Plätze hinausging. Am 10. Februar um 14 Uhr mußten die Bewerber sich dann zu Versammlungen (caucus) einfinden. In jedem Wahlkreis gab es drei: einen für Gouverneur Brown aus Kalifornien, einen für Präsident Carter und einen für Senator Kennedy, denn diese hatten sich um die Nominierung ihrer Partei für die Präsidentschaft beworben. Alle Versammlungen fanden zur gleichen Zeit am gleichen Tag statt, ein Besuch von mehreren war also ausgeschlossen.
Bei den Versammlungen (caucus) wurden nun Kandidaten für einen Delegiertenplatz nominiert; man schlug sich selbst vor; zwei andere mußten den Vorschlag unterstützen. Danach begann die eigentliche Auswahl. Jeder, der nominiert war, konnte eine zwei Minuten dauernde Erklärung abgeben und auch schriftliche Angaben über seine Qualifikation verteilen. Dann wählten die Versammlungsteilnehmer eine Delegiertenliste, streng nach Reihenfolge und getrennt für Frauen und Männer. Das Wahlergebnis der Vorwahl (primary) entschied später darüber, wer tatsächlich Delegierter wurde. Edward M. Kennedy gewann die Vorwahl mit rund 65 Prozent, und 65 Prozent derjenigen, die sich für einen Delegiertenplatz beim Nationalkonvent beworben und auf Versammlungen (caucus) der Kennedy-Anhänger einen Listenplatz erhalten hatten, wurden somit zu Delegierten. Dieses Verfahren betraf aber nur 76 der insgesamt 111 Delegierten, denn 25 Delegierte wurden am 31. Mai durch den Parteivorstand von Massachusetts auf der Basis von schriftlichen Bewerbungen ausgewählt. Die verbleibenden zehn Delegierten ernannte der Parteivorstand aus den Reihen seiner Funktionäre und Mandatsträger.
Die Republikanische Partei praktizierte ein ähnliches Verfahren, allerdings fanden die Versammlungen (caucus) hier im Zeitraum von 60 Tagen nach der Vorwahl (primary) statt. Für jeden Wahlkreis wurden drei Delegierte und drei Nachrücker gewählt; Massachusetts verfügte über 42 Delegierte beim Nationalkonvent der Republikanischen Partei. Jeder eingeschriebene Republikaner konnte an den Versammlungen teilnehmen, sich selbst nominieren und verfügte über drei Minuten Rede-zeit. Der Parteivorstand hatte die Möglichkeit, Kandidaten abzulehnen; er ernannte seinerseits noch sechs Delegierte.
All das klingt etwas kompliziert, aber scheint der Bevölkerung echte Mitwirkungsmöglichkeiten zu geben. Die Wahlkampforganisationen der einzelnen Präsidentschaftsbewerber nehmen jedoch starken Einfluß auf die Versammlungen. Jemand, der nicht als unbedingter Parteigänger von z. B. Carter oder Reagan bekannt ist, wird kaum eine Chance haben, als Delegierter für den Nationalkonvent nominiert zu werden.
Wie wird man nun Delegierter für einen Staat, der keine Vorwahlen (primaries) oder Parteiversammlungen (caucus) durchführt? Auch hier gibt es verschiedene Verfahren. Im Staat Georgia ernennt der Gouverneur die Delegierten. In anderen Bundesstaaten werden sie von den Delegierten eines Parteitages gewählt, in wieder anderen übernimmt diese Auswahl der Parteiausschuß.
Auch die Bestimmungen, wie lange Delegierte eines Nationalkonvents an eine Personalentscheidung gebunden sind, differieren von Staat zu Staat. Meist besteht die Bindung nur für die ersten Abstimmungen oder bis zu dem Zeitpunkt, da die Delegierten von ihren Kandidaten aus der Pflicht entlassen werden und ihnen die Entscheidung freistellen oder eine Empfehlung aussprechen. Aber auch dann können sie immer noch für ihren Kandidaten stimmen, selbst wenn dieser seinen Verzicht erklärt hat.
Die Stimmenbindung ist eine Hürde, die weniger chancenreiche Bewerber um die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten oft zu umgehen oder wegzuräumen versuchen, So setzte sich Eugene McCarthy 1968 für einen offenen Konvent ein, und auch Kennedy wollte 1980, daß schon beim ersten Wahlgang die Delegierten sich frei entscheiden könnten. Er hoffte so, Stimmen von auf Carter festgelegten Delegierten zu erringen, konnte sich aber mit seinem Verfahrensantrag nicht durchsetzen. Mit den Nominierungskonventen finden die Auseinandersetzungen zwischen Bewerbern um die Präsidentschaft innerhalb einer Partei ihr Ende. Bei diesen Bemühungen geht es während der langen Vorwahlzeit natürlich um Siege, um möglichst frühe Siege. Wer sich frühzeitig profiliert, erhält erhebliche Start-vorteile und die Aufmerksamkeit der wichtigsten Massenmedien. Traditionell begann die Zeit der Vorwahlen mit der Vorwahl im Staat New Hamsphire (1980 am 26. Februar). Die Republikaner hatten 1980 ihre erste Vorwahl auf den 17. Februar gelegt; sie fand in Puerto Rico statt. Da Vorwahlen sich nicht beliebig leicht verschieben lassen — Kandidaten ein und derselben Partei können ihren Einfluß für einen frühen oder einen späten Termin geltend machen —, bedienen sich immer mehr Bewerber um die Präsidentschaft der sogenannten Stroh wählen.
Hier handelt es sich um unverbindliche Versammlungen oder um Essen, die mit Spenden für die Wahlkasse verbunden sind. Wer eine Eintrittskarte erworben hat, darf seine Stimme abgeben. Für die Auswahl von Delegierten ist dies völlig bedeutungslos und hierbei erzielte Ergebnisse sind kaum aussagekräftig. Die Massenmedien widmen jedoch Gewinnern von Strohwahlen große Aufmerksamkeit. Parteiorganisationen, Wahlkampforganisationen bestimmter Kandidaten, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände und andere Interessengruppen kaufen daher oft Karten für diese Veranstaltungen, um sie an Gesinnungstreue weiterzugeben, damit ein bestimmtes Ergebnis bei der Strohwahl erzielt wird. Bei solchen Zusammenkünften können auch große Geld, betrüge — unter Umgehung der Bestimmun, gen für die Finanzierung des Wahlkampfes _ anonym gespendet werden.
Die Organisatoren von Präsident Carters Wahlkampf hatten diesen frühen Entscheidungen viel Bedeutung beigemessen. Sie richteten alle Energien auf die Strohwahlen und Versammlungen in Florida (Oktober 1979) und Iowa (November 1979), wo es lediglich um die unverbindliche Auswahl von Kandidaten für eine spätere Auswahl von tatsächlichen Kandidaten ging. Aber Strohwahlen werden durch Massenmedien und Politiker künstlich hochgespielt und vom Gewinner als richtungsweisend herausgestellt. Die Bemühungen von Carter und Kennedy richteten sich in Florida darauf, bei einer verwirrenden Zahl von Absprachen bei informellen Versammlungen möglichst gut abzuschneiden, und dies zu einer Zeit, als noch keiner von beiden seine Kandidatur für das Präsidentenamt offiziell erklärt hatte. Die Charter-Administration vergab großzügig Bundesgelder nach Florida für Straßenbauten, Wohnprojekte, Krankenhäuser usw. Das Verteidigungsministerium hatte die Schließung einer Ausbildungsstätte für Hubschrauberpiloten in diesem Staat beschlossen, womit etwa 100 Millionen US $hätten gespart werden können. Am Vorabend der Strohwahl in Florida gelang es der Carter-Administration, führende Mitglieder des Kongresses zu bewegen, ihre diesbezügliche Entscheidung zu revidieren, zumindest wurden in Florida solche Meldungen verbreitet Präsident Carter besuchte den Staat; Familienmitglieder, der Vize-Präsident und prominente Minister kamen ebenfalls.
Carter gewann die unwichtige Strohwahl überzeugend gegenüber Kennedy, der schon vorher erklärt hatte, dies sei kein wirklicher Test seiner Herausforderung des Präsidenten, der käme erst bei den Parteiversammlungen (caucus) im Januar in Iowa. Dort fanden aber schon vorher im November ebenfalls Stroh-wahlen statt; Carter erzielte 71 Prozent, Kennedy lediglich 26.
Die positiven frühen Ergebnisse wurden für Carter groß herausgestellt und waren eine schlechte Startposition für Kennedy, bevor es eigentlich begonnen hatte. So unwichtig die Ergebnisse für die spätere Kandidatenwahl auch waren, sie wurden jedoch als Beweis der Siegeschancen Carters über Kennedy herausgestellt zu einem Zeitpunkt, als der Präsident in Meinungsumfragen demoskopischer Institute weit hinter dem Senator rangierte
Das Bemühen der Kandidaten um möglichst frühe Erfolge bei auch unbedeutenden Abstimmungen verlängert die Vorwahlprozedur. Die informellen Versammlungen, die spontane Zusammenkünfte der Bürger sein sollten, werden von den Wahlkampforganisationen der Kandidaten massiv beeinflußt. Wann immer neue, bürgernähere Nominierungsverfahren durchgeführt wurden, haben die Parteien und Wahlkampforganisationen sich schnell auf diese eingestellt und sich bemüht, sie manipulativ für ihre Zwecke und Kandidaten zu nutzen. Diese Entwicklung und der häufige Mangel an echten personellen und programmatischen Alternativen bewirkten bei einem großen Teil amerikanischer Bürger einen Frustrationseffekt; immer weniger beteiligten sich an Wahlen
Eine Studie der Harvard Universität kam zu dem Schluß, daß das gegenwärtige System der Vorwahlen zwar von einem problemlosen, idealen Modell weit entfernt sei, dennoch wäre es akzeptabel und hätte positive Aspekte: „Man sollte sich jedoch vergegenwärtigen, daß der Nominierungsprozeß bei all seinen offenkundigen Unzulänglichkeiten gerade durch seine Unordnung eine Art Gegengift bereitstellt, in dem er auf unterschiedliche Umstände in verschiedensten Regionen und Kampagnen eingeht. Das gegenwärtige pluralistische System ist nicht nur gegenüber radikalen Veränderungen resistent — und dies vermutlich aus guten Gründen —, denn es scheint die drängenden und oft nicht zu vereinbarenden Kriterien des politischen Prozesses in den USA in tauglicherer Weise zu befriedigen, als dies schlichte Strukturen mit größerer theoretischer Anziehungskraft und ausgeklügelterem symmetrischem Äußeren vermögen könnten. Versammlungen, Konvente und Vorwahlen spielen alle eine nützliche Rolle in einem komplizierten Drama, und zusammengenommen bieten sie die beste Gewähr dafür, daß die vielen widerstreitenden Forderungen, die an diesen Prozeß gestellt werden, wenigstens eine teilweise Entsprechung erfahren."
III. Wahlkampffinanzierung
Präsident der USA zu werden ist nicht nur kompliziert und zeitraubend, es kostet auch sehr viel Geld. Im Jahre 1860 gab Abraham Lincoln etwa 10 200 Dollar für seine Wahl-kampagne aus. Hundert Jahre später benötigte John F. Kennedy das Hundertfache, nämlich rund 10, 2 Millionen $für den Wahlsieg von 1960. Richard Nixon ließ sich seine Wiederwahl 1972 etwa 61 Millionen Dollar kosten. Woher kommt das Geld?
Viele Kandidaten sind wohlhabend, zahlreiche Bewerber um Senatorensitze und um die Präsidentschaft sind Millionäre. Neben privaten Mitteln decken Spenden von Anhängern, der Industrie und anderer Interessengruppen die Wahlkampfkosten. Eine wichtige Rolle spielen auch Bankanleihen und Zuschüsse aus der Bundeskasse. Die Höhe der Zuwendungen und Ausgaben ist durch Gesetze geregelt, die sich auch an negativen Ereignissen der Vergangenheit orientierten. Wirtschaftsverbände hatten 1968 und 1971 der Parteikasse der Republikanischen Partei große Spenden zugeführt. Als diese Organisationen später von für sie einschneidenden Gerichtsurteilen bedroht waren, kam es zu Aufschüben der Urteile und im Falle der International Telephone and Telegraph Corporation (ITT) zur Einstellung eines Anti-Trustverfahrens. In diese Angelegenheiten waren prominente Mitglieder der Nixon-Administration verwickelt.
Anfang der siebziger Jahre diskutierte das Parlament erneut drastische Maßnahmen, die eine Beschränkung der Wahlausgaben vorsa- hen. Im April 1972 trat ein Gesetz für den Bundeswahlkampf in Kraft (Federal Election Campaign Act); 1976 legte die Bundeswahlkommission (Federal Election Commission) Ausgaben-beschränkungen für Präsidentschaftswahl-kämpfe fest. Andererseits werden immer wieder Bestrebungen unternommen, diese Bestimmungen zu umgehen. Es gibt keine Chancengleichheit bei Wahlen. Jeder Kandidat soll höchstens 10 Millionen Dollar für alle Vorwahlen und 20 Millionen für die eigentliche Wahl ausgeben. Weitere 20 Prozent sind für Ausgaben bei Sammelaktionen (fund raising) gestattet. Mit der Anpassung an die Inflationsrate dürfen die Kandidaten daher für die Vorwahlen 1980 je rund 16 Millionen $und für die Wahl selbst etwa 32 Millionen ausgeben. Für den Wahlkampf 1980 existieren strenge Regeln, was die Ausgaben anbelangt, und dies nicht nur für die Präsidentschaftswahl, sondern auch für Bemühungen um Sitze im Kongreß -Belege über Ausgaben, die den Betrag von 100$übersteigen, müssen der Bundeswahlkommission vorgelegt werden. Die Gesamtausgaben pro Bundesstaat werden jeweils zum Monatsende bei der Kommission registriert; alle Ausgaben und Spenden sind zu veröffentlichen. Das Kontrollsystem kann jedoch nicht so feinmaschig sein, um Mißbrauch zu verhindern. Keine Kommission kann überprüfen, wer in welcher Höhe Gelder anonym bei einer Sammlung gegeben hat.
Um den Strom großer privater Spenden besser kontrollieren zu können und um weniger begüterten Bewerbern ebenfalls eine Chance zu geben, sind Kostenerstattungen aus Bundes-mitteln vorgesehen. Um sich für solche Gelder qualifizieren zu können, muß jeder Bewerber 100 000 Dollar durch private Spenden aufbringen. Hierbei müssen 5 000 in Einzelspenden aus mindestens 20 Bundesstaaten kommen und diese Summe darf sich nur aus Einzelbeiträgen von 250 Dollar und weniger zusammensetzen. Danach wird jede private Spende von 250 $oder weniger mit einer gleichen Summe aus Bundesgelderh aufgestockt. Der Bewerber hat sich außerdem damit einverstanden zu erklären, die Ausgabenhöchstgrenzen einzuhalten. Diese Obergrenzen sind von Staat zu Staat verschieden und orientieren sich an der Größe der Bevölkerungszahl und der Zahl der Wahlberechtigten. Eine sehr wichtige Rolle im Wahlkampf spie-len nach wie vor die Spenden. „Spenden von über 250 Dollar können angenommen werden. Aber nur die ersten 250 Dollar zählen für die entsprechend gewährten Regierungsgelderder Rest bleibt unberücksichtigt. Daher würde eine Spende in Höhe von 1 000 Dollar — der Höchstbetrag, den ein einzelner einem Kandidaten geben kann — insgesamt nur 1 250 Dollar erbringen, während etwa vier Einzelspenden von je 250 Dollar insgesamt 2 000 Dollar ergeben würden ... Schließlich ist jeder Bürger auf einen Gesamtbetrag — zu welchem politischen Zweck auch immer — von höchstens 25 000 Dollar pro Jahr beschränkt."
Im Januar 1980 verfügten vier Bewerber über das folgende Spendenaufkommen:
Connally rund 10 Millionen $Reagan rund 8, 5 Millionen $Carter rund 6, 7 Millionen $Kennedy rund 4, 9 Millionen $
Die Beträge bei Carter und Reagan müssen um eine Million verringert werden, denn beide hatten jeweils eine solche Summe als Bank-kredit aufgenommen.
Die zur Verfügung stehenden Mittel müssen vor allem im Zusammenhang mit der wichtigen Rolle der Massenmedien gesehen werden. Wer genug Geld hat, kann Anzeigenseiten in den großen Tageszeitungen oder Sendezeit bei den Fernsehstationen kaufen.
IV. Zur Rolle der Massenmedien und Meinungsumfragen
Arbeiten zu diesen beiden wichtigen Bereichen amerikanischer Politik füllen Bibliotheken. Hier sollen nur einige Beispiele mit ihrem Einfluß auf den Verlauf der Wahlkämpfe und die Entscheidungen der Wähler genannt werden. Das Thema ist zu kompliziert, als daß es pauschale Antworten gestatten würde. Wer die Presse hinter sich hat, muß nicht der spätere Wahlsieger sein. In der amerikanischen Geschichte gibt es genug Gegenbeispiele. Wer das meiste Geld für Werbung im Fernsehen ausgibt, ist damit noch nicht unaufhaltsam auf dem Wege ins Weiße Haus. Im Wahlkampf 1968 gab Richard Nixon doppelt so viel Geld für die Fernsehkampagne aus, als sein Mitbewerber Hubert Humphrey. Je mehr Nixon ausgab, desto stärker fiel er bei Meinungsumfragen zurück. Dieser Sachverhalt verkehrte sich in das genaue Gegenteil, als Nixon und George McGovern vier Jahre später ihren Wahlkampf bestritten.
Wichtig ist nicht allein die Anzahl der Sendungen, sondern deren Placierung im Programm und ihr Inhalt. Werbeagenturen spielen eine bedeutende Rolle in den Wahlkampf-organisationen der Kandidaten
Im Hauptwahlkampf spielen die Debatten der beiden Bewerber im Fernsehen eine überragende Rolle. Kennedy holte sich hier vermutlich einen Vorsprung vor Nixon und die Auseinandersetzung zwischen Carter und Ford 1976 vor den Fernsehkameras haben etwa 90 Prozent der Erwachsenen in den USA gesehen. Hier gibt es eine Verknüpfung zwischen Medien, der Kommentierung von solchen Sendungen und Meinungsumfragen. Nach der zweiten von insgesamt drei Debatten Carters mit Ford ergab eine in den ersten 12 Stunden nach der Übertragung durchgeführte Umfrage, daß die Mehrheit der Befragten meinte, Ford habe glatt gewonnen. Die Medien, besonders die einflußreichen Kommentatoren, konzentrierten sich dann in ihrer Berichterstattung auf eine ungeschickte Äußerung des damaligen Präsidenten über Osteuropa. Als dieselben Personen 12 bis 48 Stunden nach der Debatte erneut befragt wurden, nannte nun eine Mehrheit Carter als Sieger. Zwei von drei Befragten führten Fords Äußerung über Jugoslawien als Grund an, die ihnen vorher als nicht erwähnenswert erschien. Erst die Medien hatten den Zuschauern also gesagt, was ihnen aufgefallen war.
Ein herausragendes Charakteristikum des Vorwahlkampfes von 1979/80 ist die Tatsache, daß Präsident Carter im Sommer 1979 einen Tiefstand bei Meinungsumfragen erreicht hatte, noch tiefer als Richard Nixon in der Zeit seiner größten, selbstverschuldeten Bedrängnis. Ein republikanischer Sieg bei den Präsidentschaftswahlen schien unvermeidlich, eine erneute zweite Amtsperiode Carters unmöglich. Bestrebungen, den zögernden — oder Zö-gern spielenden — Kennedy zu einer Kandidatur zu überreden („draft Kennedy move-ment"), gewannen in vielen Bundesstaaten an Boden. Die Nominierung Kennedys schien eine beschlossene Sache zu sein, und die Carter-Mannschaft tat wenig, um diesem Eindruck entgegenzuwirken. Im Herbst 1979 holte der Präsident zwar stetig bei Meinungsumfragen auf, aber der Senator aus Massachusetts behielt seinen großen Vorsprung. Ende November/Anfang Dezember 1979 konnte Carter dann seinen nunmehr nur noch sieben Punkte betragenden Rückstand innerhalb von drei Wochen zu einem Vorsprung von 20 Prozent ausbauen.
Was war geschehen? Antworten finden sich in der Mentalität der amerikanischen Bevölkerung und in äußeren Ereignissen. Sie lassen sich in einigen Punkten grob zusammenfassen:
— Die amerikanische Bevölkerung unterscheidet zwischen der Person und der Institution des Präsidenten. Die Schwächung Carters mußte auch die internationale Stellung der USA schwächen und die Präsidentschaft generell in Mitleidenschaft ziehen; das wollte kaum jemand.
— Es gibt eine Identifikation mit dem eigenen Staat, seiner Verfassung, wenngleich unterschiedliche Gruppen sie auch völlig unterschiedlich interpretieren mögen. In den Auseinandersetzungen um das amerikanische Engagement in Indochina wurde der Regierung von vielen Kritikern vorgeworfen, sie handele gegen die Verfassung. Die Mehrzahl der Amerikaner wird sagen, „als wir die Volksrepublik China diplomatisch anerkannten ...“ und „unser Botschafter in Peking ...“. Identifikation darf hier nicht mit Zustimmung zur Politik der jeweiligen Administration gleichgesetzt werden. Sie kann sich aber positiv für die Präsidentschaft auswirken.
— Je deutlicher sich eine Kandidatur Kennedys abzeichnete, desto mehr verlor er in Meinungsumfragen. Frühere Zustimmung war häufig eher Kritik an Carter als Sympathiebeweis für den Senator.
— Viele Befragte waren gegenüber den Meinungsforschungsinstituten skeptisch und gaben nicht immer ihre tatsächliche Einstellung als Antwort. Jede Woche wurde eine neue Umfrage veröffentlicht. Es entstand der Eindruck, als würden die Institute Meinung machen und nicht über die Umfrage berichten.
— Präsident Carter war in den Ergebnissen so tief gefallen, daß jeder kleine Zugewinn leicht als großer Erfolg herausgestellt werden konnte.
— Die sportliche (oder wettkampforientierte) Komponente der amerikanischen Mentalität spielte eine Rolle. Beginnt der scheinbar klar Unterlegene zu kämpfen und hat er Erfolge — wie gering sie am Anfang auch sein mögen —, so gewinnt er Sympathie. Darauf basierten wesentlich Carters Strategie und Sieg im Wahlkampf von 1976. Vergleichbare Entwicklungen gab es 1979/80.
— Von zentraler Bedeutung waren außenpolitische Ereignisse. Die Geiselnahme von amerikanischen Botschaftsangehörigen in Teheran und der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan verhalfen u. a. Angehörigen der Administration täglich zu mehreren wirksamen Auftritten im Fernsehen. — Iran und Afghanistan führten bei einem Großteil der amerikanischen Bevölkerung zu einer Trotzreaktion: man werde es den Russen und den Mullahs zeigen. Dies bewirkte erneut eine stärkere Unterstützung der eigenen Führung, denn in Krisenzeiten müsse man zusammenstehen. Carter profitierte immens von dieser Haltung.
— Carter agierte entschlossen und staatsmännisch. Er erschien nun „präsidentiell", so wie es die Mehrheit der Bevölkerung wünschte und sich vorstellte.
— Carter hatte seine Führungsmannschaft umgebaut und folgte dem Rat erfahrener Ex-perten.
— Bei Teilen der Bevölkerung entstand der Eindruck, man habe den Präsidenten durch die schlechten Umfrageergebnisse bestraft Nun hätte er sich gebessert also konnte man ihn wieder stärker unterstützen.
— Keinem der anderen Bewerber um die Präsidentschaft wurde zugetraut er könne die „Iran-Krise“ entscheidend besser lösen. Also schien es geboten, sich um den Präsidenten zu scharen.
— Angesichts der akuten Bedrohung des Lebens der amerikanischen Geiseln in Iran war für einen längeren Zeitraum offene Kritik an der Handlungsweise der Administration „unpatriotisch" und von dieser speziellen Kom. ponente amerikanischer Mentalität konnte Carter in der entscheidenden Zeit vor den Vorwahlen profitieren.
— Die Gegner des Präsidenten hatten seine Führungsschwäche zum Hauptthema des Wahlkampfes machen wollen. Außenpoliti.sehe Ereignisse ermöglichten es Carter, für einen wichtigen Zeitraum augenscheinlich starke Führung unter Beweis zu stellen. Wirtschaftspolitische Themen sollten ebenfalls den Wahlkampf dominieren, auch sie traten in den Hintergrund.
Der Meinungsumschwung war beachtlich. Anfang November 1979, vor der Geiselnahme in Iran, gaben demokratische Wähler Kennedy gegenüber Carter den Vorzug im Verhältnis von 59 zu 36 Prozent. Ende Dezember 1979 erbrachte eine Harris-Umfrage einen Vorsprung von 20 Prozent für Carter (Carter 58 %, Kennedy 38 %). Das Ergebnis bestätigte sich sowohl bei Frauen als auch bei Männern, es ging durch alle Regionen, Erziehungs-, Alters-und Einkommensgruppen. Lediglich drei Ausnahmen sind zu nennen:
1. Bei einer zwischen dem 14. und 16. Dezember 1979 durchgeführten Umfrage hatte Kennedy bei schwarzen demokratischen Wählern einen 49 : 45 Vorsprung gegenüber Carter. Im Juli 1979 war die Differenz allerdings noch ein Verhältnis von fünf zu eins gewesen.
2. Bei jüdischen demokratischen Wählern führte der Senator noch mit 52 Prozent vor den 44 Prozent Zustimmung für den Präsidenten. Der Vorsprung Anfang November war aber noch drei zu eins gewesen.
3. Bei sich als liberal einstufenden demokratischen Wählern trennte Carter lediglich ein Prozent von Kennedy (Kennedy 49 %, Carter 48 %). Anfang November war der Vorsprung des Senators noch im Verhältnis von zwei zu eins gewesen.
Der frühere Tiefstand Carters erwies sich nun bei den positiven Meinungsumfragen für ihn als dramatisierender Kontrast Die hauptsächlich durch außenpolitische Ereignisse bewirkten Ergebnisse erschienen in der Aufbereitung durch Massenmedien noch eindrucksvoller.
V. Der Vorwahlkampf von Bewerbern der Demokratischen Partei
Der Vorwahlkampf der Demokratischen Partei war hauptsächlich eine Auseinandersetzung zwischen Carter und Kennedy, bis hinein in den Nationalkonvent Ein dritter Kandidat Gouverneur Edmund G. Brown aus Kalifornien, hatte von Beginn an wenig Aussichten auf die Nominierung. Im Jahre 1976 war es Brown noch gelungen, fünf der sechs späten Vorwahlen gegen Carter zu gewinnen, als bei Wählern Zweifel stiegen, ob der relativ unbekannte Mann aus Georgia tatsächlich die Qualitäten für das Amt des Präsidenten habe. Kennedy und Brown sind mit ihren politischen Überzeugungen links von Carter anzusiedeln. Kennedy übernahm teilweise Vorschläge des Kaliforniers, so z. B.den Plan für ein Moratorium über den Bau von Kernkraftwerken, und konnte somit eine mögliche Werbewirkung für Brown neutralisieren.
Nach der offiziellen Verkündigung der Kandidatur Kennedys am 7. November 1979 ging die Zustimmung für Brown schnell zurück. Bei einer im November in Kalifornien durchgeführten Umfrage erhielten der Gouverneur 17 Prozent (im Mai waren es noch 24 %), Präsident Carter 16 Prozent und Senator Kennedy 59 Prozent. Brown schied am 1. April 1980 vorzeitig aus dem Wahlkampf aus.
Die Hauptkontrahenten waren nun Kennedy und Carter. Über beide gab und gibt es unterschiedliche Auffassungen in der amerikanischen Bevölkerung. Des Senators Persönlichkeit wird von vielen negativ beurteilt, seine Leistung im Kongreß aber gewürdigt. Die Mehrzahl der Amerikaner hält Jimmy Carter für einen guten, aufrechten Menschen und mag es, wenn er über moralische und religiöse Themen spricht; aber viele meinen, er bekomme die Präsidentschaft einfach nicht richtig in den Griff.
Ein entscheidender Aspekt an der Watergate-Affäre war, daß der Präsident der USA gelogen hatte. Dieser Punkt wurde im Wahlkampf indirekt, aber deutlich genug, auf Kennedy angewandt. Er hatte als junger Student bei einer Geschwindigkeitsübertretung gelogen, soll bei der Prüfung geschummelt und wohl auch bei dem Chappaquiddick-Unfall nicht die volle Wahrheit gesagt haben. Carter brauchte nicht Kennedys Namen zu erwähnen, wenn er betonte, bei Krisenfällen nicht in Panik zu geraten. Kennedy hatte sein Verhalten nach dem Unfall mit Panik erklärt. Zum Beginn des Wahlkampfes sagten alle, man würde Chappa-quiddick nicht erwähnen — damit war es erwähnt.
Die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung hat in bezug auf Familie, Politik und Öffentlichkeit festgefügte Wertvorstellungen. Kennedys Charakter entspricht diesen Vorstellungen nicht immer; außerdem lebt seine Frau von ihm getrennt. Obwohl Joan Kennedy sich im Wahlkampf für ihren Mann einsetzte, blieb die Trennung ein negatives Faktum. Rosalynn Carter ist bei Kabinettssitzungen anwesend, ist eine Art nicht gewählter Mitregentin; dies stört viele. Sie hat einen großen Mitarbeiterstab, dessen Leiterin so viel verdient wie der Sicherheitsberater des Präsidenten; zahlreichen Amerikanern ist dies ein Ärgernis. Aber die Carters sind ein harmonisches Ehepaar, und das wird von fast allen als besonders positiv empfunden
Kennedy bemühte sich bei seinem Wahlkampf, die politischen Aspekte zu betonen; er bat um Überprüfung seiner politischen Laufbahn und um Verständnis für sein Privatleben. Es gelang ihm jedoch nur minimal, vorgefaßte Meinungen zu ändern.
Carter hatte 1977 sein Amt mit einer Mannschaft persönlicher Vertrauter angetreten, deren Welt Georgia war, bevor sie nach Washington D. C. kam. Politik sollte nun gegen das etablierte Washington durchgesetzt werden. Die amerikanischen Wähler hatten bewiesen, daß jeder Präsident werden kann, selbst ein Erdnußfarmer aus den Südstaaten. Das etablierte Washington wollte beweisen, daß dieser Erdnußfarmer nicht die Statur eines Präsidenten hat. Führende Demokraten hatten Carter geraten, seine Mannschaft durch erfahrene Personen aus dem etablierten System zu verstärken. Der Vorschlag fand keine Zustimmung. Im Sommer 1979 erreichte Carter seinen Tiefstand in den Meinungsumfragen. Die Gefahr einer Herausforderung durch Kennedy wurde immer größer; in der Bevölkerung gab es Unruhe wegen der Benzinknappheit. Das gesamte Kabinett bot seinen Rücktritt an, um eine völlige Neuorganisation zu ermöglichen. Carter hatte über zweieinhalb Jahre versucht, gegen Washington zu regieren; der Kongreß war bemüht, ihm dies schwerzumachen.
Die Wende im Sommer 1979 wurde durch eine geschickte Regie als dramatisch hingestellt und möglichst publikumswirksam durchgeführt: Carter entließ eine Reihe bekannter Kabinettsmitglieder, ernannte neue und berief einen Stabschef für das Weiße Haus (im Wahlkampf 1976 hatte er noch erklärt, er werde dies nie tun). Drei versierte Persönlichkeiten gaben nun der Mannschaft neues Profil und verbesserten die Kontakte zum Kongreß und zur Öffentlichkeit: Hedley Donovan, der frühere Herausgeber von Time, Alonzo McDonald, ein Verwaltungsexperte, und Lloyd Cutler, ein erfahrener Anwalt aus Washington und intimer Kenner der Verhältnisse und Machtstrukturen in Regierung und Kongreß. Carter selbst bemühte sich um ein kraftvolles und entschlossenes Auftreten. Die Veränderungen wurden spätestens Mitte September von einem Großteil der Bevölkerung als positiv empfunden. Die Carter-Administration war somit den Problemen, die durch die sowjetische Intervention in Afghanistan und die Geiselnahme in Iran auf sie zukamen, besser gewachsen und konnte sie für die Wahlkampf-taktik des Präsidenten ausnützen.
Im August 1979 war aber auch der Ruf nach einer Kandidatur Kennedys unüberhörbar geworden. Er sollte die Demokratische Partei retten, denn Carter wurden keine Chancen für eine zweite Amtsperiode gegeben. Der Senator aus Massachusetts stand im Rampenlicht; Erwartungen und auch Kritik konzentrierten sich auf ihn. Präsident Carter war der Nutznießer dieser Situation. Die Zeit vom August bis Ende November 1979 brachte für ihn eine positive Wende und somit die Grundlage für seine Erfolge im Vorwahlkampf. Galt Carter vorher als bereits erledigt, so wurde er ab September in den Medien nurmehr als „verwundbar” bezeichnet. Der Präsident kam aus der Schußlinie, der Senator geriet in sie hinein. Kennedy versuchte durch scharfe Angriffe auf Carter diese Entwicklung umzukehren. Er bewirkte häufig das Gegenteil. Bis zum Sommer noch schien er der einzige zu sein, der einen republikanischen Sieg verhindern könne. Um die Jahreswende 1979/80 war Kennedy dann für viele jemand, der die Partei spalten würde, jemand, der gegen einen amtierenden Präsidenten aus der eigenen Partei arbeite, und dies in Zeiten äußerer Gefährdung.
Einige Kommentatoren sind der Ansicht, Kennedy hätte noch länger warten müssen; sein Auftreten gegen Carter habe — zusammen mit äußeren Ereignissen — jenem eine Atempause gewährt, die dieser und seine vorzügliche Wahlkampforganisation unter Robert Strauss geschickt nutzten. Kennedy war für viele ein hart arbeitender, aufrichtiger Senator, der Gesetzesarbeit, die Partei und das Wohl der Bevölkerung über seine eigene politische Zukunft stelle. Wäre er diesem Muster gefolgt, hätte er als sicherer Anwärter für die Nominierung im Jahre 1984 gegolten. Nun erschien er wegen seiner leidenschaftlichen Angriffe auf den Präsidenten als übereifriger Po-litiker, der nach Dingen trachtete, die ihm noch nicht zustanden. Der ganze Wahlkampf Kennedys nach seiner offiziellen Kandidatur hatte unter dieser Einschätzung zu leiden. Bis weit in den Frühsommer 1980 befolgte Carter eine Strategie, die in wesentlichen Tei. len den Wahlkampf Franklin Delano Roosevelts von 1944 zum Muster hatte, als dieser einige wenige Militärbasen und Waffenfabriken besuchte und sonst als Präsident im Weißen Haus blieb. Carter hatte durch die Ereignisse in Iran und Afghanistan eines der besten politischen Vehikel erhalten. Er hielt sich vom Wahlkampf fern und schickte andere. Hier ist in erster Linie der Vizepräsident Walter F. Mondale zu nennen. Mondale gelang es, die Demokraten und Unentschiedenen im Lager des Präsidenten zu halten oder die zu gewinnen, die von ihrer politischen Einstellung eher zu Kennedy tendierten. Carter bemühte sich drei Jahre nach der Amtseinführung um „prä-sidentenhaftes" Auftreten oder um das, was in den USA für ein solches Verhalten angesehen wird. Im Kongreß forderte er die Registrierung von Wehrpflichtigen. Carter, der im Rückblick auf Vietnam gehofft hatte, daß nie wieder amerikanische Streitkräfte in ein fremdes Land geschickt werden müßten, rief in einer Botschaft zur Lage der Nation nach dem Einsatz militärischer Macht, wenn es im Nahen Osten zu Angriffen auf die vitalen Interessen der USA kommen sollte. Diese Forderungen wurden von einer Mehrheit positiv aufgenommen und als Notwendigkeit akzeptiert.
Hatten die Karikaturisten früher Carter als kleines Männlein auf einem zu großen Amts-sessel gezeichnet, oder als netten Jungen, als Pfadfinder, der die besten Absichten hat, aber nichts erreicht, so gestalteten sie jetzt sein Porträt mit kräftigen Strichen und gaben ihm einen entschlossenen Ausdruck. Grob zusammengefaßt, war es folgende Strategie, die Carter anwandte: Ich bin Präsident und handele wie ein Präsident. Die anderen wollen erst einmal Präsident werden und reden viel. Kennedy kritisierte alle Punkte der Cartersehen Politik, hatte im Senat aber für fast alle Gesetzesvorlagen des Präsidenten gestimmt In der Zeit nationaler Beunruhigung über das Schicksal der Geiseln äußerte Kennedy Kritik am früheren Schah, was viele als Schlag gegen die Stellung Amerikas und die Institution der Präsidentschaft empfanden. Der Senator stellte rethorisch die Frage, wer denn Amerika in diese mißliche Lage gebracht habe. Die Bevölkerung wollte aber wissen: wer bringt uns wieder raus? Die Mehrheit wollte es nicht durch personelle Experimente versuchen. Im Januar 1980 hielt Kennedy eine Rede in der Georgetown Universität, mit der er eine Kursänderung herbeiführen wollte. Er sprach für die Gemäßigten, die Liberalen, die Angehörigen der Minderheiten, die Armen und die Jugendlichen. Er wandte sich an Gruppen, die ihm ohnehin mehrheitlich ihre Stimme geben würden. Der Senator wollte endgültig deutlich machen, daß er der Liberale und Carter der Konservative sei.
Zur Zeit der informellen Parteiversammlungen (caucus) in Michigan scheiterte die Geisel-befreiung durch ein amerikanisches Kommando und Präsident Carter übernahm die volle Verantwortung. In verschiedenen anderen Staaten hätte der Regierungschef zurücktreten müssen; Carter blieb im Amt. Auch der mißlungene Versuch wurde noch als positiv empfunden und der Präsident erhielt nur einen Delegierten weniger als sein Herausforderer Kennedy.
Außenminister Cyrus Vance trat aus prinzipiellen Gründen zurück, was er auch bei einem geglückten Befreiungsversuch getan hätte. Carter ernannte umgehend Senator Muskie als neuen Außenminister; die schnelle Auswahl dieses geachteten Politikers wurde ebenfalls von der Bevölkerung sehr positiv aufgenommen.
Die Carter-Administration zeigte zwar offenkundige Schwächen, vor allem in der Wirtschaftspolitik, auch waren viele Entscheidungen im Energiebereich umstritten, und Partner der USA klagen über Inkonsistenz und undurchsichtige Machtverhältnisse in der Außenpolitik und ihrer Formulierung. Die Geiselnahme in Iran entlastete Carter aber auf allen Gebieten und half ihm Zeit gewinnen. Die Bevölkerung nahm dem Präsidenten ab, daß nun innen-und wirtschaftspolitische Probleme zurückstehen müßten. Diese Stimmung, von Carter und seiner Wahlkampforganisation hervorragend genutzt, hielt lange genug an, um den Sieg über Senator Kennedy in der Vorwahlzeit sicherzustellen.
VI. Der Vorwahlkampf von Bewerbern der Republikanischen Partei
Von den Hauptbewerbern repräsentieren Baker und Bush die Mitte, Crane, Connally und Reagan den rechten und Anderson den liberalen Flügel der Republikanischen Partei. Reagan, der 1976 bei der Nominierung nur knapp Gerald Ford unterlag, hatte von Beginn an gute Ergebnisse bei Meinungsumfragen. Er verfolgte eine Strategie, als sei er bereits der sichere Kandidat. Bei einer NBC-News/AP-Umfrage von Ende November 1979 lag er bei republikanischen Wählern als „wirkungsvoller Führer" mit einem Verhältnis von über zwei zu eins vor allen anderen Hauptbewerbern seiner Partei.
Howard Baker, seit 1966 Senator für Tennessee und seit 1977 Minderheitsführer im Senat, betonte gegenüber Reagan und anderen Bewerbern, er hätte als einziger Republikaner Chancen, die Wahl zu gewinnen, denn er bekäme Stimmen von demokratischen und unabhängigen Wählern. Baker hob seine klare Haltung in der Bürgerrechtsfrage hervor und seine gemäßigt-konservative Einstellung. Er plädierte für einen Abbau der amerikanisch-sowjetischen Militärpräsens im Nahen Osten und für neue Verhandlungen des SALT-II-Vertrages. Baker hat wesentlich dazu beigetragen, daß das Vertragswerk über den Panama-Kanal angenommen wurde, eine Haltung, die ihm konservative Republikaner nie verzeihen und vergessen werden.
George Bush verwies auf seine großen Erfahrungen in verschiedenen Regierungsämtern und im Bereich der Privatwirtschaft. Er war Botschafter der USA bei der UNO, Leiter des amerikanischen Verbindungsbüros in der Volksrepublik China und Direktor der CIA. Bush setzte sich für eine „starke Außenpolitik“ ein, für die Unterstützung von Verbündeten und eine Abkehr vom keynesianischen Wirtschaftsmodell. Die Ausgaben dürften nicht höher als die Inflationsrate wachsen, daher seien Ausgabenbeschränkungen notwendig. Bush forderte Ausbildungsbeihilfen, starke Abschreibungsmöglichkeiten für Wirtschaftsbereiche mit hoher Arbeitslosenzahl, Steuersenkungen und Ausgabensteigerungen für die Verteidigung von 5 bis 8 Milliarden Dollar. Zu seinem Katalog von Forderungen gehörte auch mehr Aufmerksamkeit für die Kohle als Energieträger, Energieeinsparungen, Regierungsunterstützung für öffentliche Verkehrs-mittel, Ausnutzung der Steuerstruktur zum Ausgleich von regionalen Unterschieden.
Philipp Crane hatte sich am Anfang seiner politischen Karriere für Barry S. Goldwater eingesetzt und wird seither zum rechten Flügel der Republikaner gezählt. Seit 1969 ist er einer der Vertreter des Staates Illinois im Repräsentantenhaus und hatte bereits 1978 seine Bewerbung für das Präsidentenamt verkündet. Crane ist gegen eine hohe Besteuerung der Gewinne von Mineralölkonzernen, denn dies entzöge den Bemühungen um Energiegewinnung wichtiges Kapital. Er ist für Steuersenkungen, Nutzung der Kohle und Ausbau der Kernenergie. Crane fordert den Rückzug der Regierung aus der Wirtschaft und stellte fest, daß an der Inflation hauptsächlich die Geld-und Ausgabenpolitik der Carter-Administration Schuld sei; das von ihr verschuldete Haushaltsdefizit treibe die Preise hoch. Erforderlich sei deshalb eine kritische Überprüfung von Sozialprogrammen, die aus der Zeit der Depression stammen und heute kaum noch notwendig wären. Im Bereich der Außenpolitik setzte sich Crane für folgende Punkte ein: härteres Verhandeln mit der Sowjetunion, Abzug sowjetischer Truppen aus Kuba, Erwägung einer Seeblockade gegenüber Kuba; da die PLO keine erkennbare Wählerschaft legitim repräsentiere, können sie wohl kaum ein Gesprächspartner sein; die Rolle der USA im Nahen Osten müsse neutralisierend sein und Verhandlungen fördern.
Auch John Connallytrat für Steuersenkungen ein und bekräftigte seinen unerschütterlichen Glauben in die Kraft der Privatwirtschaft, die voll entfaltet werden könne zum Wohle Amerikas, wenn der Staat sein Reglementieren endlich aufgäbe. Connally bezog jedoch im Nahost-Konflikt eine völlig andere Position als seine republikanischen Mitbewerber. Es war die offizielle Position der amerikanischen Regierung seit dem Krieg von 1967. Nur Connally wagte, sie deutlich zu formulieren: Im Nahen Osten müßten die USA amerikanische Interessen vertreten. Der Schutz Israels durch die USA sei eine unverrückbare moralische Forderung, aber der schleichenden Annexion besetzter Gebiete durch Israel müßte Einhalt geboten werden. Diese Äußerungen haben Connally in seinem Wahlkampf merklich geschadet.
Ronald Reagan präsentierte sich als hart, aber nicht extrem, als entschlossen, aber ohne Säbelrasseln, als konservativ, aber mit Blick nach vorn. Die Meinung, die über ihn verbreitet und gepflegt wurde, zeichnete Reagan echt und treu wie die Flagge der Vereinigten Staaten, als Verfechter von Recht und Ordnung, als „Hüter eines Amerika-Bildes, das Achtung vor der Weltmacht durch Stärke erzwingen will, zugleich instinktiv klug, der Grundfähigkeit zum Regieren, des Delegierens von Macht an geeignete Leute meisterhaft fähig" Kernpunkte seiner Politik faßte Reagan im Vor-wahlkampf zusammen: weniger Steuern, weniger Staat, mehr Privatwirtschaft, mehr Verteidigungsausgaben. Nach Reagans Ansicht stößt die Sowjetunion dort vor, wo die USA schwach sind. Dem kommunistischen Vorstoß in Mittel-und Südamerika muß entschlossen begegnet werden. Israel als modernster demokratischer Staat im Nahen Osten verdient rückhaltlose Unterstützung. Der frühere Gouverneur von Kalifornien stellte fest, daß Amerikas Stellung in der Welt sich im Niedergang befände; als Präsident werde er die amerikanische Zuversicht und das Selbstvertrauen der Amerikaner stärken. Nach Reagan führen Steuersenkungen letztlich zu Steuereinnahmen, weil die Wirtschaft mehr investiert und die Verbraucher mehr kaufen. Eine republikanische Regierung, so versprach er im Wahlkampf, werde die Steuern sofort um zehn Prozent kürzen. Gleichzeitig sprach er sich für einen forcierten Ausbau der amerikanischen Rüstung aus. Die Rüstungsausgaben der Sowjetunion hätten eine Höhe erreicht, bei der eine weitere Anhebung große Schwierigkeiten in der Konsumgüter-versorgung zur Folge hätte; dies brächte die sowjetische Führung zurück an den Verhandlungstisch. Reagan war klar, daß er für eine Wahl zum Präsidenten unbedingt Stimmen von Arbeitern gewinnen müßte, die sonst den Demokraten zuneigen. Fast alles, was er im Wahlkampf sagte, war nicht neu, war wenig konkret, aber es war schlicht und eingängig für die Zuhörer. Reagan beherrscht die „Kunst der leicht ins Demagogische abrutschenden Fernsehrede so gut“, wie kaum ein anderer’ Das amerikanische Volk habe genug von Niederlagen, von komplizierten Dingen. Reagan will es zur Stärke, zum Selbstvertrauen zurückführen und gibt auf komplizierte Sachverhalte einfache Antworten. Zu Hause müßten die guten Amerikaner die Dinge wieder selbst in die Hand nehmen; Washington mische sich zu sehr ein. Dies lähme die Tatkraft und die Initiative des amerikanischen Volkes, mit denen es in der Vergangenheit alles gemeistert habe.
Um über den begrenzten Rahmen der republikanischen Partei hinaus Wähler ansprechen zu können, wurden Reagans Aussagen gemäßigter. Er sprach nicht mehr davon, die Rentenversicherung in eine private Lebensversicherung umzuwandeln, und war auch nicht mehr unbedingt gegen den Zwang zur Beitragszahlung. Große Anlagen, wie z. B. die Kraftwerke der „Tennessee Valley Authority”, sollen nicht mehr privatisiert werden. Auch in seinen Aussagen über die Bürgerrechtsgesetzgebung von 1964 wurde er vorsichtiger. In seinem Wahlkampf bemühte sich Reagan darzustellen, welche Alternativen er anzubieten hätte und vermied es, eine ablehnende Haltung dominieren zu lassen. Er rief zur Partnerschaft zwischen Kanada, den USA und Mexiko auf, was zur Schaffung der stärksten, reichsten und sich selbst versorgenden Region der Welt führen könnte. Der gesetzliche Mindestlohn sollte abgeschafft werden und der Dollar sei wieder wie früher durch Gold zu decken.
Reagan hat nicht alle Abstimmungen der Vorwahlzeit gewonnen. Aber Erfolge seiner Konkurrenten von der Republikanischen Partei konnten ihn auf dem Weg zur Nominierung durch den Konvent nicht aufhalten — ein Mitbewerber nach dem anderen gab auf.
VII. Die Kandidatur John Andersons
Bei den Vorwahlen in Wisconsin gibt es die Möglichkeit des Überwechselns (crossover), d. h. jeder kann unabhängig von der eigenen Parteizugehörigkeit für den Kandidaten seiner Wahl stimmen. Reagan erhielt hier Zugewinne aus dem demokratischen und unabhängigen Lager. Dies war eine herbe Enttäuschung für John Anderson, der seine ganze Kampagne auf den Gewinn dieser Stimmen abgestellt hatte. Als er in Wisconsin hinter Reagan und Bush nur Dritter wurde, begann Anderson nun öffentlich Überlegungen zu äußern, sich als Unabhängiger an der Präsidentschaftswahl zu beteiligen.
Als Anderson im April 1980 deutlich zu erkennen gab, er werde sich als Unabhängiger um die Präsidentschaft bemühen, nannte die „Financial Times" diesen Schritt mutig, aber unrealistisch Der ehemalige Präsident Ford sprach von einem Fehler, denn das Zweiparteiensystem habe dem Lande über 200 Jahre gut gedient. Ford vergaß dabei, daß es zumindest in den ersten hundert Jahren viele Über-gänge zwischen den Parteien gegeben hatte und daß sich häufig bei Wahlkämpfen andere Gruppen und Kandidaten beteiligten. Anderson begann seine politische Laufbahn als konservativer Republikaner und unterstützte Goldwater. Erst ab 1970 kritisierte er das amerikanische Engagement in Vietnam und begann eine langsame Bewegung über die Mitte hin zum liberalen Flügel der Republikanischen Partei. Anderson war als Angehöriger des Außenministeriums in Berlin tätig und wirkt seit 20 Jahren als Abgeordneter für Illinois im Jahren als Abgeordneter für Illinois im Repräsentantenhaus. Seine „Vorstellungen entsprechen einer gehobenen, intellektuell bestimmten politischen Mitte im Land, deren Angehörige von der Alternative Carter oder Reagan abgestoßen werden... Diesen Außenseiter treibt eine Mischung aus Religiosität, politischer Wissenschaft und reinem Eifer, die ungemein amerikanisch ist." 19)
Anderson bemühte sich um einen sachbezogenen Wahlkampf, forderte unpopuläre Maßnahmen und zeigte sich bestrebt, keiner kritischen Frage auszuweichen. Vorsichtig war er mit Äußerungen über Steuersenkungen, setzte sich aber für eine Benzinsteuer ein. Hier erzielte Einnahmen sollen helfen, die Aufwendungen für die Sozialversicherung um die Hälfte zu senken. Anderson verspricht sich davon eine Belebung der Wirtschaft. Er ist gegen die automatische Anhebung.der Verteidigungskosten und gegen kostspielige neue Waffensysteme (z. B. die MX-Raketen und neue Bomber). Das SALT-II-Abkommen fand seine Zustimmung, da es besser als kein Abkommen sei; wichtig wäre ein sorgfältiges Ausloten eventueller sowjetischer Verhandlungsbereitschaft 20). Zur Zeit der Abstimmungen im „Getreidestaat" Iowa unterstützte Anderson das von Präsident Carter wegen der sowjetischen Invasion Afghanistans verhängte Getreideembargo, denn es sei notwendig, Moskau ein Zeichen zu geben. Anderson, der sich als Kongreßmitglied auf Wirtschaftsfragen spezialisiert hat, tritt für Ausgabenkürzungen ein, die der Bund quasi als Geschenk vergibt. Er ist für den Frauenrechtszusatz in der Verfassung (Equal Rights Amendment), aber gegen den Plan Senator Kennedys für eine allgemeine Krankenversicherung.
Anderson glaubt, demokratische und unabhängige Wähler mobilisieren zu können. Er hebt hervor, daß sich weniger als ein Viertel der Wahlberechtigten an den Vorwahlen beteiligt haben und führt dies auf die Alternative Carter oder Reagan zurück (im Jahre 1976 gab es eine Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent). Anderson sieht ein großes Stimmenpotential, daß er hofft, mobilisieren zu können. Vierzig Prozent hätten genügt, um Lincoln und Wilson ins Weiße Haus zu bringen, und dies möchte Anderson wiederholen.
Dafür gibt es eine Reihe von Schwierigkeiten: Andersons Organisation muß in den 50 Bundesstaaten und in Washington insgesamt ungefähr 1, 2 Millionen Unterschriften sammeln, damit er dort auf der Wahlliste als Kandidat erscheinen kann. Als Unabhängiger erhält Anderson nicht die 29 Millionen Dollar an Bundeszuschüssen und er hat auch nicht die Unterstützung einer Parteiorganisation. Anderson muß im Wahlkampf versuchen, im Gespräch zu bleiben, als nationaler Kandidat ernst genommen zu werden und traditionelle demokratische Wähler zu gewinnen sowie die Sympathisanten der Republikaner, denen Reagan zu konservativ ist. Im April 1980 tauchte das Gerücht auf, Anderson werde den langjährigen Nachrichtenkommentator der CBS, Walter Cronkite, zu seinem Kandidaten für die Vize-Präsidentschaft machen. Cronkite, der in Meinungsumfragen als der vertrauenswürdigste Mann Amerikas eingestuft wird, dementierte, äußerte Anderson gegenüber aber große Sympathie. Was auch immer dieses Gerücht bewirkt hatte, es war ein geschickter Schachzug, der für positive Aufmerksamkeit sorgte. Vize-Präsidentschaftskandidat ist nun Patrick J. Lucey, ehemaliger Gouverneur von Wisconsin und Botschafter der USA in Mexiko. Dies ist eine geschickte personelle Entscheidung. Der Demokrat Lucey hat alle Kennedy-Brüder in ihren Wahlkämpfen unterstützt und steht in der liberalen Tradition seiner Partei. Präsident Carter war im Vorwahl-kampf jeder direkten Auseinandersetzung mit Edward Kennedy ausgewichen. Er lehnte es auch ab, mit Anderson zu debattieren.
VIII. Zur Wirtschaftsund Haushaltspolitik
Obwohl außenpolitische Ereignisse eine wesentliche Rolle im Wahlkampf spielten und sich günstig für die Position Carters auswirkten, werden wirtschaftspolitische Probleme prägend für die nächsten Jahre sein. Preissteigerungen und Absatzschwierigkeiten wichtiger Branchen sind beherrschende Themen. Bemühungen um einen ausgeglichenen Haushalt kollidieren mit gesteigerten Rüstungsausgaben. Auf diese Punkte soll nun summarisch eingegangen werden.
Schatzminister Miller, der im Herbst 1979 festgestellt hatte, die Rezession sei bereits zur Hälfte durchschritten, sagte im Frühjahr 1980, sie könne noch etwas stärker ausfallen. Im Juni äußerte Präsident Carter, sie sei schneller und tiefer gekommen, als man erwartet habe, und es sähe ernst aus. Im Januar 1980 waren die Erzeugerpreise im Vergleich zum Vormonat nochmals um 1, 8 Prozent gestiegen, was nach der amerikanischen Berechnungsart in bezug auf das Vorjahr eine Inflationsrate von 19, 2 Prozent bedeutete. Um der Inflation besser begegnen zu können, wurde der Diskontsatz auf die Rekordhöhe von 13 Prozent angehoben. Die restriktive Geld-und Kreditpolitik des Federal Reserve Board zeigte einen bremsenden Einfluß auf die Wirtschaftsaktivitäten. Besonders spürte dies das Baugewerbe und die Automobilindustrie. Im März 1980 mußten über 200 000 Automobilarbeiter auf unbestimmte Zeit „stillgelegt werden". Zu diesen Wirtschaftszweigen stehen zahlreiche Zulieferindustrien in großer Abhängigkeit, überall waren die Betroffenen mehrheitlich Arbeiter, also potentielle Wähler der Demokratischen Partei.
Der Auftragseingang bei der Industrie ging generell zurück; sie verbüßte den stärksten Einbruch seit Dezember 1974. Die Lagerbestände erhöhten sich, die Bestellungen für Konsumgüter gingen zurück. Im Mai 1980 erreichte die Automobilproduktion ihren niedrigsten Stand seit Jahren. Bei der PKW-Produktion hatte es innerhalb eines Jahres einen Rückgang um 43 Prozent gegeben (Mai 1979—Mai 1980). Präsident Carter informierte am 8. Juli 1980 Kabinettsmitglieder, Gewerkschaften und Industrielle auf einer Pressekonferenz über ein Hilfsprogramm von rund einer Milliarde Dollar für die Autoindustrie. Er tat dies in Detroit, dem Zentrum der Automobilindustrie und der Stadt, in der sechs Tage später der Nationalkonvent der Republikanischen Partei stattfand. Während einer Fernsehdebatte mit Gerald Ford hatte Carter 1976 erklärt, daß es 1981 einen ausgeglichenen Haushalt geben werde, würde man ihn zum Präsidenten wählen, und daß er seine Versprechen halte, die er dem amerikanischen Volk gäbe. Er konnte sie nicht halten.
Seit dem Amtsantritt Carters war das Haushaltsdefizit zurückgegangen, und zwar von 1976 = 65, 6 Milliarden Sauf 1979 = 27, 7 Milliarden $. Der Haushaltsansatz für 1980 mußte geringere Einnahmen berücksichtigen, verursacht z. T. durch das Getreideembargo gegenüber der Sowjetunion, und er war durch höhere Ausgaben, so z. B. durch gestiegene Preise für Rohöl, belastet. Der Haushaltsvorschlag für das Fiskaljahr 1981 sah ein Defizit von 16 Milliarden vor, das kleinste Defizit seit sieben Jahren, wie die Carter-Administration betonte. Die Arbeitslosenrate stieg im April auf 7 Prozent, was eine Erhöhung um 825 000 auf insgesamt 7, 3 Millionen Arbeitslose bedeutete.
Als ein Haupthindernis für einen ausgeglichenen Haushalt erwies sich der Verteidigungsetat. Die Carter-Administration hatte 150, 5 Milliarden Dollar gefordert, das Repräsentantenhaus 147, 9 Milliarden Dollar bewilligt, der Senat aber eine Obergrenze von 155, 7 Milliarden Dollar gesetzt. Dieser Etatposten ist nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern hat auch seine spezielle Bedeutung bei Wahlkämpfen.
Zahlreiche Senatoren haben sich bei ihren Bemühungen um eine Wiederwahl mit dem Vorwurf auseinanderzusetzen, sie seien zu liberal. Sie waren daher gern bereit, beim Verteidigungshaushalt „Stärke" zu demonstrieren. Aus wahltaktischen Erwägungen kam es auch nicht zur Streichung der Postzustellung am Samstag und zahlreichen Bundeshilfen für Einzelstaaten. Im Vermittlungsausschuß wurde ein Kompromiß erarbeitet. Bei Ausgaben von 613, 1 Milliarden Dollar für das Fiskaljahr 1981 sollten Mehreinnahmen von 500 Millionen Dollar erreicht werden. Der erste ausgeglichene Haushalt seit zwölf Jahren schien möglich. Der Ausschuß hatte die Obergrenze für Verteidigungsausgaben auf 153, 7 Milliarden Dollar festgelegt, etwas unter der Forderung des Senats, aber beträchtlich über dem ursprünglichen Vorschlag des Repräsentantenhauses. Die Erdölsteuer war ausgeklammert worden, und der Kongreß stand noch immer vor der Aufgabe, 4, 2 Milliarden Dollar an zusätzlichen Steuern aufbringen zu müssen. Zu diesem Zeitpunkt erschien es ebenfalls als zweifelhaft, ob das Repräsentantenhaus Streichungen bei Sozialausgaben in Höhe von 4 Milliarden Dollar hinnehmen würde. Repräsentanten haben sich alle zwei Jahre dem Wähler zu stellen und sind traditionell sozialen Programmen gegenüber aufgeschlossen.
Am 29. Mai 1980 verwarf das Repräsentanten-haus den Haushaltskompromiß. Präsident Carter hatte sich für diese Ablehnung eingesetzt, denn mit dem Verteidigungsetat und anderen Änderungen war er nicht einverstanden. Im Senat wurde dies mehrheitlich als Affront gegen einen lange ausgehandelten Kompromiß empfunden. Die Stimmung gegen die vom Präsidenten geplante Olimportsteuer verschlechterte sich zusehends
Carters Energieprogramm hatte u. a. vier Schwerpunkte: Olsteuer, Energiemobilisierungsausschuß (Energy Mobilization Board), Programm zur Gewinnung von synthetischer Energie und Steuer für übermäßige Gewinne (windfall profit tax). Die Gewinnsteuer und das 20-Milliarden-Programm zur Gewinnung neuer Energie passierten den Kongreß; die beiden anderen Schwerpunkte scheiterten. Ende Juni lehnte das Repräsentantenhaus mit großer Mehrheit die Bildung des Energiemobilisierungsausschusses ab. Eine Dreierkommission sollte vordringliche Projekte auswählen und sie vorrangig durch ein Bewilligungsverfahren bringen. Die Kommission hätte die Aussetzung von bundes-und einzelstaatlichen Gesetzen empfehlen können. Für die Ausnahmebewilligung wäre die Zustimmung des Präsidenten und des Kongresses erforderlich gewesen. Widerstand gab es wegen der Befürchtung, Vollmachten und Gesetze von Einzel-staaten könnten unterlaufen werden und das Ausnahmeverfahren zur Sonderbewilligung würde zu einer ausufernden Bürokratie führen.
Gegen die Ablehnung der Erdölimportsteuer, die den Verbrauch hätte drosseln sollen, legte der Präsident ein Veto ein. Es wurde von beiden Häusern des Kongresses mühelos überstimmt (335 gegen 74 im Repräsentantenhaus, 73 gegen 16 im Senat).
Am 12. Juni nahm der Kongreß dann den Haushalt an und verabschiedete ihn mit einem Defizit von rund 20 Milliarden Dollar, gleichzeitig mußte das Defizit für das Fiskaljahr 1980 auf 47 Milliarden Dollar nach oben korrigiert werden.
IX. Die Nominierungskonvente
Als der Konvent der Republikaner im Juli in Detroit zusammentraf, gab es keine Zweifel an der Nominierung Reagans. George Bush hatte seine 168 Delegierten aufgefordert, ebenfalls für Reagan zu stimmen. Der ehemalige Gouverneur von Kalifornien erhielt dann die Zustimmung von 1939 der teilnehmenden 1994 Delegierten, 37 Stimmen erhielt John Anderson, 13 entfielen trotz dessen Verzicht auf George Bush. Das Interesse konzentrierte sich nun auf den Kandidaten für die Vizepräsidentschaft. Lange Zeit sah es so aus, als könnte Reagen General Ford gewinnen Ford forderte aber gewisse Zusagen für eine Co-Präsi-dentschaft. Angeblich soll der ehemalige Präsident einen prominenten Posten für Henry Kissinger verlangt haben und für sich das Recht, Mitglieder für den Nationalen Sicherheitsrat und andere wichtige Gremien zu ernennen, außerdem ein Veto-Recht für die Besetzung aller wichtigen Kabinettsposten. All dies sollte in einer schriftlichen Abmachung niedergelegt und von Reagan öffentlich verkündet werden. Es kam zu keiner Einigung. Reagan benannte George Bush als seinen Kandidaten, der Konvent gab die Zustimmung.
Im Parteiprogramm, das der Konvent ebenfalls verabschiedete, wurden alle wesentlichen Positionen Reagans aufgenommen. Die Republikanische Partei erschien personell geeint, aber programmatisch nicht weit genug, um genügend Wähler aus der Mitte oder gar dem liberalen Lager anzusprechen
Früher war auf demokratischen Parteikonventen viel mit Delegiertenstimmen gehandelt worden. Funktionäre hatten ihren Einfluß geltend gemacht. Um dem Wählerwillen mehr Achtung zu verschaffen, hatte vor allem der liberale Flügel — und hier besonders Edward Kennedy — gefordert, die Delegierten zur Mandatstreue zu verpflichten. Im ersten Wahlgang sollten sie für den Kandidaten stimmen, auf den sie das Vorwahlergebnis festgelegt hatte, erst für den zweiten Wahlgang sollte eine freie Stimmabgabe gestattet sein.
Kennedy hatte sich 1980 bei den Parteiversammlungen und Vorwahlen nicht gegen Carter durchsetzen können. Er wandte sich nun gegen die von ihm früher befürwortete Satzungsänderung. Vor dem Konvent gab es noch andere Strömungen, einen Kompromißkandidaten (also weder Carter noch Kennedy) zu finden. All diese Versuche kamen zu spät, waren nicht stark genug und die möglichen Kompromißkandidaten lehnten mehr oder weniger deutlich ab. Auch eine erneute Affäre um Billy Carter, den Bruder des Präsidenten, nahm keinen wesentlichen Einfluß auf den Gang der Dinge. Die Entscheidung mußte also bereits beim ersten Votum über das Wahlverfahren lallen.
Die Anhänger Kennedys beantragten, den neuen Paragraphen im Konventsreglement zu streichen, also den Delegierten von Beginn an die Abstimmung freizustellen. Am 11. August lautete das Ergebnis 1936, 4 Nein gegen 1390, 6 Ja, bei Stimmenthaltung eines Delegierten aus Kalifornien. Edward M. Kennedy hatte verloren. Er gratulierte Carter telefonisch zu diesem Erfolg und zog seine Bewerbung um die Nominierung zurück.
Seine Anhänger bemühten sich nun, wesentliche Punkte ihrer politischen Vorstellungen im Parteiprogramm zu verankern. Kennedys wirtschaftspolitische Richtlinien wurden mit einem Stimmenverhältnis von 1763 zu 1391 angenommen, seine Vorstellungen über Vollbeschäftigung und ein weitreichendes Gesund-heitsund Krankenversicherungsprogramm jedoch verworfen. Kennedy hatte den auf ihn verpflichteten Delegierten freigestellt, nach ihrem Gewissen zu handeln. Er forderte sie nicht ausdrücklich auf, für Carter zu stimmen. Für Carter waren dann 2129 Delegierte, für Kennedy 1146, der Rest entfiel auf Stimmenthaltung oder auf Politiker, die nicht die geringste Chance hatten. Ehe sich Widerspruch erheben konnte, erklärte der Vorsitzende des Konvents dann die Nominierung von Carter und Mondale für einstimmig.
Die Demokratische Partei geht aber nicht geeint in den Wahlkampf Die Differenzen zwischen den Lagern sind zu groß und die Kandidatur Andersons kann ein übriges tun, um Wähler abzuwerben. Viele enttäuschte demokratische und unabhängige Wähler werden sich letztlich überlegen, ob sie mit ihrer Stimme für Anderson nicht helfen, Reagan zu wählen. Es ist nicht auszuschließen, daß dies dazu beitragen kann, daß die Wahlbeteiligung im November unter 50 Prozent fällt.
Der Präsidentschaftswahlkampf ist in seiner letzten Phase ganz auf einen Zweikampf ausgelegt und wird von den Massenmedien in dieser Form hochstilisiert. Ebenso wichtig ist aber die Wahl für den neuen Kongreß, die leicht unterbewertet wird. Präsident Eisenhower regierte als Republikaner mit einem demokratischen Kongreß, und es waren Kongreßführer (Vandenberg, Johnson), die Präsidenten die erforderlichen Mehrheiten besorgten. Präsident Carter regiert als Demokrat mit einem demokratischen Kongreß und er konnte wenig durchsetzen. Das Parteiensystem übt nur begrenzt Einfluß aus, es gibt keinen Fraktionszwang. Es gibt weniger Partei-loyalität als Eigeninteressen des Kandidaten und einen Bezug auf seinen Wahlkreis. Durch den Ausgang des Zweiten Indochinakrieges und die Watergate-Affäre ist die Position des Kongresses noch stärker geworden. Der Wahlkampf von 1968 veranlaßte einen Kommentator zu folgender Bemerkung: „Die Amerikaner stehen am Rubikon. Die beiden Kandidaten für das Weiße Haus lassen sich an diesem Rubikon nieder, werfen ihre Angeln aus und fangen kleine Fische." Das Bild scheint auch 1980 noch zu stimmen, und kaum etwas deutet darauf hin, daß John Anderson ein großer Fisch ins Netz gehen könnte. Aber 1980 ist die Gefahr größer geworden, daß dieser Rubikon mit einer plötzlichen Flutwelle über die Ufer tritt.
Karl W. Deutsch stellte fest, daß es besser ist, „wenn Amerika seine Ideen in der Welt mehr durch sein Beispiel als durch Überzeugungsversuche verbreitet. Wenn das Beispiel gut genug ist, werden andere Länder den eigenen Weg finden, um diesem Beispiel zu entsprechen." Gegenwärtig scheinen die Ideen verdeckt oder verschwommen; es fällt schwer, ein amerikanisches Beispiel mit Modellcharakter zu identifizieren.
Werner Pfennig, Dr. rer. pol., geb. 1944, Assistenzprofessor am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin; von 1978 bis 1980 research fellow an der Harvard Universität. Neuere Veröffentlichungen: Chinas außenpolitischer Sprung nach vorn. Die Außen-und Sicherheitspolitik der Volksrepublik China vom Ende der Kulturrevolution bis zum Vorabend der Chinareise Nixons (1969— 1971), Paderborn 1980; zusammen mit Klaus Voll und Helmut Weber (Hrsg.), Entwicklungsmodell Tansania: Sozialismus in Afrika. Geschichte, Ökonomie, Politik, Erziehung, Frankfurt und New York 1980.