Zusammenfassung
Werner Nachmann: Ansprache an Papst Johannes Paul II. bei der Begegnung mit Vertretern der Juden in Mainz am 17. November 1980
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Werner Nachmann: Ansprache an Papst Johannes Paul II. bei der Begegnung mit Vertretern der Juden in Mainz am 17. November 1980
Eure Heiligkeit!
Die Zahl der Juden in Deutschland, deren Vertreter zu empfangen Sie uns die Ehre geben, ist klein geworden. Brutale Gewalt, der wir schutzlos äusgeliefert waren, hat uns dezimiert. Wir danken Ihnen dafür, daß Sie uns anhören. Auf dem Katholikentag in Berlin wurde die Frage gestellt, wie wir mit der Schuld der Väter leben. Wir haben dort erklärt, daß wir diese Frage an alle stellen müssen. Nicht nur an die Kinder der Mörder, der Gleichgültigen, der Feigen, der Blinden, der Verzagten, der Tapferen, unter ihnen auch katholische Frauen und Männer, sondern auch die Kinder der Opfer.
Wir alle, Juden wie Christen, haben die Ursache des Bösen, das über uns hereinbrach, noch nicht ausreichend ergründet. Doch wir vertrauen darauf, daß die Erfahrungen der Unmenschlichkeit, aber auch die Erfahrungen gedankenloser Blindheit, uns für das Unrecht hellhöriger und sensibler gemacht haben. Noch immer werden in dieser Welt Menschen wegen ihres Glaubens und ihrer Rasse verfolgt. Und wieder sind vielerorts Juden der Schmähung, der Willkür und der Not ausgeliefert.
Während Ihres Pontifikats haben Sie auf diesen beklagenswerten Zustand immer wieder hingewiesen. Wir schulden Ihnen dafür hohen Respekt und tief empfundene Dankbarkeit. Erlauben Sie uns daher die herzliche Bitte, bei Ihrer weltweiten Hilfe für die Entrechteten unsere jüdischen Brüder und Schwestern nicht zu vergessen. W'ir sind in das Land, in dem uns die Menschenwürde abgesprochen war, zurückgekehrt, weil auch das Erlebnis des Abgrundes unsere Hoffnung auf den Menschen nicht ganz ersticken konnte, die Hoffnung auf die Fähigkeit und die Kraft des Guten. In dieser Hoffnung haben wir gerade in den Kirchen Partner gefunden, die mit uns bereit waren, das Vergangene zu bedenken und daraus Folgerungen zu ziehen.
Wir wissen uns, Eure Heiligkeit, mit Ihnen einig in der Erfahrung des Unrechts. Wir sind Ihnen Dank dafür schuldig, daß Sie unentwegt zur Brüderlichkeit mahnen.
Wir vermerken anerkennend und dankbar die Arbeit der Deutschen Bischofskonferenz. Was bisher von der Ökumenekommission und gemeinsam mit uns geleistet wurde, stützt unsere Zuversicht, daß die Kenntnis über das Judentum zunimmt.
Die jüdischen Gemeinden in Deutschland haben im vergangenen Jahr eine Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg gegründet, die nicht nur jüdischen Studenten offensteht. Gerade mit ihr wollen wir den Dialog fortsetzen und vertiefen. Auch wenn es noch Jahre dauert, am Ende sollte doch die Besinnung auf die gemeinsamen Werte stehen.
Uns liegt jedoch sehr daran, daß sich dieser Dialog nicht auf die Theologen beschränkt. Um Mißtrauen und Unkenntnis abzubauen, wird es notwendig sein, daß das neue Verständnis, das wir anstreben, auch in den Pfarrgemeinden, im Religionsunterricht und bei manchen religiösen Volksspielen ein Umdenken herbeigeführt.
Die Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz, der tiefe Ernst, mit dem darüber auf dem letzten Katholikentag in Berlin gesprochen wurde und vor allem Ihre, Eure Heiligkeit, Aussage spornen uns an, für dieses gegenseitige Verstehen weiterhin tätig zu sein und in unserer Aktivität nicht nachzulassen.
Doch wir würden unserer Aufgabe sicher nicht gerecht, wollten wir den Weg zum Frieden und zur Versöhnung auf diesen Kontinent beschränken, von dem in unserem Jahrhundert so viel Unheil ausging. Hier wurden nach den Jahren des Grauens Brücken geschlagen. Mit großer Bewunderung sind wir Zeugen der Begegnung deutscher und polnischer Bischöfe, die das Gespräch begannen und sich zur Aussöhnung in gegenseitiger Achtung und Brüderlichkeit trafen, um gemeinsam für den Frieden zu arbeiten und zu beten. Sie haben damit ein Beispiel gesetzt, das für andere Regionen in der Welt Vorbild sein könnte.
Das Land Israel ist für uns nach dem Holocaust ein Zeichen des überlebens geworden. Darum sind die Juden in der Welt, besonders die Juden in Deutschland, ihren Brüdern und Schwestern in Israel außergewöhnlich verbunden. Und darum sind Frieden und Sicherheit für das Land unersetzlich. Noch nie war den Menschen der Zugang zu den heiligen Stätten so frei. Wir beten: „Von Zion geht die Wahrheit aus und das Wort Gottes von Jerusalem." Der Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel bedarf unserer gemeinsamen Unterstützung: für den Frieden in der Welt. Vor jüdischen Repräsentanten in Paris sagten Sie, gegenseitiges Kennenlernen wird uns ermöglichen, für eine Gesellschaft zu arbeiten, die frei ist von Diskriminierungen und Vorurteilen, wo Liebe und nicht Haß, Friede und nicht Krieg, Gerechtigkeit und nicht Unterdrük. kung herrschen. Gestatten Sie, Eure Heilig, keit, uns daher Sie zu bitten, dieses hohe Ziel gemeinsam auch für die Menschen in Israel anzustreben.
Der freundliche Empfang, den Sie uns heute morgen gewähren und für den wir Ihnen in hoher Wertschätzung und Verehrung herzlich danken, gibt uns die Gewißheit, daß der Dialog zwischen der katholischen Kirche und der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland wesentlich dazu beiträgt, daß Geschehenes, wie wir es erlebt haben, sich niemals wiederholen darf.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, seine Eminenz Josef Kardinal Höffner, dem wir auch an dieser Stelle für die Zusammenarbeit herzlich danken, schrieb uns zum Neujahrsfest: „Schalom ist dann in der Welt Wirklichkeit, wenn alle Beziehungen untereinander endlich in Ordnung sind, die Beziehungen zwischen Gott und Mensch und von Mensch zu Mensch."
Werner Nachmann, Vorsitzender des Direktoriums des Zentralrats der Juden in Deutschland.
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