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Gedanken zur Papstrede an die Vertreter der Juden in Deutschland | APuZ 15-16/1981 | bpb.de

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Gedanken zur Papstrede an die Vertreter der Juden in Deutschland

Ernst Ludwig Ehrlich

/ 8 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Ernst Ludwig Ehrlich: Gedanken zur Papstrede an die Vertreter der Juden in Deutschland

Die Mainzer Ansprache des Papstes steht im Zusammenhang des Dialoges zwischen Christen und Juden nicht isoliert da. Sie muß in einem größeren Zusammenhang gesehen werden und gewinnt erst dadurch ihre besondere Bedeutung. Zuerst nennen wir hier das Arbeitspapier „Theologische Schwerpunkte des jüdisch-christlichen Gesprächs" des Gesprächskreises . Juden und Christen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (8. Mai 1979). In seiner theologischen Substanz und Tragweite ist dieser Text wahrscheinlich das bedeutendste Dokument, das in deutscher Sprache über diesen Problemkreis veröffentlicht wurde. Hier wird nichts verschwiegen, der Dissens zwischen Juden und Christen aufgedeckt und dennoch das Postulat eines gemeinsamen Auftrages von Juden und Christen erhoben. Zeitgenossenschaft und Weggemeinschaft sind die beiden Leitworte dieses Textes.

Das bedeutet folgendes: Christen erkennen an, daß das Judentum nicht durch das Christentum überholt sei; der Christ darf im Judentum von heute nicht nur „das Denkmal seiner eigenen Vergangenheit“ sehen. Juden anerkennen, auch der Christ habe heute noch dem Juden etwas zu sagen, was ihm für seinen jüdischen Glauben von Belang ist.

Juden und Christen haben etwas Entscheidendes gemeinsam. Es ist derselbe Gott, von dem Juden und Christen sich berufen wissen: „Christen können aus ihrem eigenen Glaubensverständnis nicht darauf verzichten, auch Juden gegenüber Jesus als den Christus zu bezeugen. Juden können aus ihrem Selbstverständnis nicht darauf verzichten, auch Christen gegenüber die Unüberholbarkeit der Tora'zu betonen. Das schließt jeweils die Hoffnung ein: Durch dieses Zeugnis könne beim anderen die Treue zu dem an ihn ergangenen Ruf Gottes wachsen und das gegenseitige Verstehen vertieft werden. Hingegen soll nicht die Erwartung eingeschlossen sein, der andere möge das Ja zu seiner Berufung zurücknehmen oder abschwächen."

Bei dieser Erklärung spürt man, daß sie aus einem langjährigen Dialog mit Juden langsam gewachsen ist und sich hier Katholiken und Juden wiedererkennen, wenn sie zueinander und übereinander reden. Freilich soll dabei nicht verschwiegen werden, daß es sich hier um ein „Arbeitspapier" handelt, das von keinem offiziellen Gremium angenommen wurde und anders auch nicht konzipiert worden war. Gleichwohl schreibt Bischof Klaus Hemmerle in seinem Vorwort, dieses Dokument stelle eine Entdeckung dar, „die der Umsetzung bedarf aus dem Zirkel der Eingeweihten in den Alltag der Glaubenden, in die Mitte unserer Welt".

Von einem ganz anderen Stellenwert ist die Erklärung der Deutschen Bischöfe „Über das Verhältnis der Kirche zum Judentum“ vom 28. April 1980. Dieser Text stellt ein kirchen-amtliches Dokument dar, dem alle deutschen Bischöfe zugestimmt haben. Dafür war ein Treffen auf einem gemeinsamen Nenner notwendig, so daß auch jene Bischöfe, die sich mit dieser Problematik vorher wenig beschäftigt hatten, diese Erklärung ebenfalls akzeptieren konnten. In diesem umfangreichen Dokument der deutschen Bischofskonferenz findet sich alles, was bisher kirchenamtlich — sei es in Deutschland, sie es im vatikanischen Bereich in Rom — über das Verhältnis der Katholiken zu Juden und Judentum erarbeitet worden ist. Niemand, der wirklich unvoreingenommen diesen Text zur Kenntnis nimmt, wird nicht von dem theologischen Gehalt, den exegetischen Einsichten, der Vertiefung in diese schwierige Problematik beeindruckt sein. Wenn diese Erklärung wirklich einmal Gemeingut aller deutschen Katholiken — auch der Pfarrer und Religionslehrer — würde, hätten wir einen ungeheuren Fortschritt erzielt. Die Erklärung der deutschen Bischöfe zeugt von ungemein viel gutem Willen, von theologischer Verantwortung, einer Hingabe an die Sache und dem ernsten Versuche, Juden und Judentum zu verstehen und aus katholischer Sicht gerecht zu werden.

Mit zwei wesentlichen Problemkreisen haben sich die Bischöfe jedoch noch nicht beschäftigt, und diese Fragen kommen daher auch in ihrem Dokument zu kurz: Die Wirkung der jahrhundertelangen kirchlichen Judenfeindschaft auf das Bewußtsein der Menschen und, damit zusammenhängend, die Schwächung der Abwehrkräfte gegen den nazistischen Judenhaß. Wir behaupten, der Widerstand geB gen die nazistische Judenfeindschaft seitens der Katholiken wäre größer gewesen, wenn sich nicht erhebliche judenfeindliche Elemente in der kirchlichen Tradition gefunden hätten. Die pseudotheologische Judenfeindschaft der Kirche hat dem Rassenantisemitismus der Nationalsozialisten den Weg geebnet. Diese Interdependenz sollte heute langsam zum Allgemeingut historisch-kritischen Denkens geworden sein. Ferner findet sich in der Erklärung der Bischöfe keinerlei Hinweis auf die Bedeutung des Staates Israel für das Selbstverständnis des jüdischen Volkes und des einzelnen Juden. Wenn man heute Christen über das Judentum belehren will, kann man von dieser existentiellen Tatsache schlechthin nicht absehen, es sei denn, man zeichne nach wie vor nur ein rudimentäres Bild vom Judentum.

Von protestantischer Seite wurde im Jahre 1980 der Synodalbeschluß „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ der Rheinischen Kirche erlassen. Dieser Text hat weithin Aufsehen erregt und Zustimmung und Widerspruch erfahren. Wir kennen kein einziges anderes Papier dieser Art, das derart — weit über den Raum der Rheinischen Kirche hinaus — diskutiert wird. Einer der Gründe dafür mag darin bestehen, daß hier jüdisches Selbstverständnis ernst genommen wurde, ohne daß die Protestanten ihr Bekenntnis zu „Jesus Christus, dem Juden“, verschwiegen hätten. Manches in dieser Erklärung ist in dieser Weise vorher schon von vielen Einzelnen, nicht aber von einer Landeskirche gesagt worden: „Die Einsicht, daß die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volke sind.“ Ein anderer Passus, der Aufsehen und Kritik erregt hat, lautet: „Wir glauben, daß Juden und Christen je in ihrer Berufung Zeugen Gottes vor der Welt und voreinander sind; darum sind wir überzeugt, daß die Kirche ihr Zeugnis dem jüdischen Volk gegenüber nicht wie ihre Mission an die Völkerwelt wahrnehmen kann."

Für jüdische Ohren ist ein solcher Text eigentlich selbstverständlich und weitgehend unproblematisch. Für manche Christen, die noch nicht einem, wenn auch gelegentlich getarnten Proselytismus abgeschworen haben und für sich und ihre Kirche einen totalitären Anspruch anmelden, scheint hier Unerhörtes ausgedrückt worden zu sein. Offenbar ist die Tatsache, daß auch die ungetauften Juden „Zeugen Gottes vor der Welt sind“, ein Skandalon, mit dem manche Christen erst fertig werden müssen. Im übrigen hat sich der Widerspruch gegen diesen Synodalbeschluß vor allem dort erhoben, wo man mit Juden in keinerlei Kontakt steht, sondern nur abstrakt über sie spricht. Daher ist es charakteristisch, daß sowohl das Arbeitspapier des Zentralkomitees als auch der Synodalbeschluß — die beide unter Mitarbeit von Juden zustande kamen — einen lebendigen Bezug auf die heutigen Juden haben. Man spricht dort zu ihnen und nicht abstrakt über sie. Allein mit spitzfindiger professoraler Exegetik und salbadernder pfarrherrlicher Predigt wird man lebendigen Menschen aus Fleisch und Blut nicht gerecht. Sie lassen sich nicht in eine starre Dogmatik zerren.

In jedem Falle ist es erfreulich, daß über diese Erklärung der Rheinischen Kirche seit vielen Monaten diskutiert wird. Das kontinuierliche Gespräch darüber ist bereits der schönste Erfolg für das jahrelange Bemühen der Rheinischen Synode. Es bleibt eine interessante Tatsache, daß von allen Erklärungen über die Juden diejenige der rheinischen Landeskirche am intensivsten aufgenommen worden ist, selbst wenn teilweise herbe Kritik laut wurde.

In diesem Zusammenhang der in der Bundesrepublik in den letzten Jahren veröffentlichten Texte und mit den an sie geknüpften Auseinandersetzungen muß auch die Rede Papst Johannes Paul II. gesehen werden, die er zu den Vertretern der Juden in Mainz am 17. November 1980 gesprochen hat.

Diese Rede hat deshalb besondere Bedeutung, weil in ihr Gedanken zum Ausdruck kommen, die in dieser Weise noch von keinem Papst formuliert worden sind. Daher verdienen es diese Ausführungen, daß man sie besonders hervorhebt und ins Bewußtsein aller Christen ruft. Nachdem der Papst die erfreuliche Entwicklung in den christlich-jüdischen Beziehungen in der Bundesrepublik erwähnt, auf den wohlwollenden Dialog und die vertrauensvolle Zusammenarbeit hinweist, spricht er auch über die jüngste Vergangenheit in einem bedeutsamen Zusammenhang. Er stellt nämlich fest, eine falsche religiöse Sicht des jüdischen Volkes habe „die Verkennung und Verfolgung im Laufe der Geschichte" zum Teil mitverursacht. Die Judenfeindschaft hat also nicht nur soziologische oder rassistische Ursachen, sondern ist auch Folge einer Pseudo-Theologie. Sodann stellt der Papst lapidar fest, Gott habe Jen Bund mit dem Gottesvolk nie gekündigt. So schreibt es der Apostel Paulus im Römer-brief (11, 29). Paulus spricht hier vom Bleiben der Gnade Gottes über Israel. Schon die Kirchenväter vermochten nicht, diese Worte stehen zu lassen, und in ihrer Tradition versuchen auch heute noch manche ängstlichen und skrupulösen Dogmatiker, hier der jüdischen Dignität abträgliche Einschränkungen anzubringen. Davon weiß sich der Papst frei! Der Bund wurde Israel nie gekündigt, so steht es beim Apostel Paulus — und so nimmt der Papst es auf. Für das Verhältnis des Alten zum Neuen Testament findet der Papst eine originelle Formulierung: Alter und Neuer Bund stehen in einem Dialog innerhalb der Kirche, es handelt sich um zwei Teile der einen Bibel. Dieser Gedanke vom Dialog der beiden Bünde in der Kirche verbietet eine Abwertung des Alten Bundes, wie dies gelegentlich selbst heute noch durch manche Theologen erfolgt. Dabei pflegt man sich auf gewisse Stellen aus dem Neuen Testament zu berufen (Hebr. 8, 13), die aber offenbar dem Papst heute nicht mehr relevant erscheinen, weil er andere Aussagen der Bibel für wesentlicher hält. Im übrigen kann der Papst sich bei seiner Interpretation auf die zur Konzilserklärung „Nostra aetate" erlassenen Richtlinien berufen.

Schließlich bekennt sich der Papst zu einem Dialog zwischen Mitgliedern der Kirche sowie des jüdischen Volkes. Es geht darum, auch das Selbstverständnis und die religiöse Wirklichkeit der Juden besser kennenzulernen. Daß nun der Papst selber hier Ernst macht, und nicht von anderen fordert, was er nicht beispielhaft vollzieht, kommt im folgenden zum Ausdruck: „Gern bete ich mit Ihnen um die Fülle des Schalom für alle Ihre Volks-und Glaubensbrüder und auch für das Land, auf das alle Juden mit besonderer Verehrung blikken ... Möchten bald alle Völker in Jerusalem versöhnt und in Abraham gesegnet sein!" Mit diesem Hinweis auf das Land Israel und die Stadt Jerusalem hat der Papst natürlich keine politische Erklärung abgegeben; er hat aber damit gezeigt, daß er gewillt ist, das, was Juden denken und fühlen, ernst zu nehmen und nicht vornehm darüber zu schweigen, weil andere es ihm vielleicht falsch auslegen könnten.

Diese Papstrede rundet die verschiedenen Erklärungen der letzten beiden Jahre in harmonischer Weise ab. Wir können daher die Hoffnung wagen, alle die vielen Erklärungen aus der letzten Zeit mögen dazu dienen, Juden und Christen ein wenig näher zu bringen. Mögen sie bei den einen dazu beitragen, das Mißtrauen gegen den nichtjüdischen Mitbürger abzubauen, bei den anderen dafür zu sorgen, daß der Begriff der . Judenfeindschaft" oder des . Antisemitismus" ein Fremdwort wenigstens im Bereiche der christlichen Kirchen wird. Gerade diese Papstrede zu den Vertretern der Juden in Deutschland hat dazu einen Beitrag geleistet, den man nicht vergessen sollte.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Ernst Ludwig Ehrlich, geb. 1921 in Berlin; Lehrtätigkeit an den Universitäten: FU Berlin, Frankfurt/M., Zürich und derzeit Bern; Direktor des europäischen B'nai B'rith; Zentralsekretär der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz. Veröffentlichungen u. a.: Der Traum im Alten Testament, Berlin 1953; Quellenheft Geschichte der Juden in Deutschland, Düsseldorf 1956; Geschichte Israels, Berlin 1958, 3. Auflage 1980; Kultsymbolik des Alten Testamentes und des nachbiblischen Judentums, Stuttgart 1959; Herausgeber: der „Studia Judaica" (Berlin, seit 1951, bisher 10 Bände), des „Christlich-Jüdisches Forum" (Basel, seit 1958).