Gleichberechtigung von Männern und Frauen -Ist der Staat am Zuge?
Bernd Warnat
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Zusammenfassung
Die Diskussion um ein Antidiskriminierungsgesetz bzw. neue gesetzgeberische und organisatorische Initiativen steht in einem historischen Zusammenhang der rechtspolitischen Entwicklung seit der Paulskirchenverfassung, Paradoxe Fronten kennzeichnen gegenwärtig die Meinungsgegensätze im Bereich der Gleichberechtigungspolitik zwischen Frauen-bewegung und den politischen Parteien. Ein Abriß der gegenwärtigen Aktivitäten insbesondere des Arbeitsstabes Frauenpolitik beim Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit zeigt die Langsamkeit des Fortschritts trotz gut gemeinter Modelle und intensiver Öffentlichkeitsarbeit. In der neunten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages stehen folgende Punkte an: — Prüfung, ob durch ein Antidiskriminierungsgesetz die Situation der Frauen verbessert werden kann, — Bericht zum arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz, — Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen vom 18. Dezember 1979 über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, — Umsetzung der Empfehlungen der Enquete-Kommission Frau und Gesellschaft des Deutschen Bundestages. In der gegenwärtigen Situation geht es darum, daß Politik und Öffentlichkeit den optimalen „Fortschrittspfad“ finden, der weder zu steil noch zu gemächlich zum hohen Ziel der Gleichberechtigung führt.
I. Gesetz oder Gesellschaft?
1. Die paradoxen Fronten In der Bundesrepublik Deutschland ist die gegenwärtige Entwicklung im Bereich der Gleichberechtigungspolitik durch ein eigenartiges Paradox gekennzeichnet.
Die neue Frauenbewegung, die sich selbst als eine autonome, dezentrale — also staatsferne — Bewegung versteht, ruft nach einem Antidiskriminierungsgesetz und neuen Institutionen für die Verwirklichung der Gleichberechtigung. Die Träger staatlicher Macht — allen voran der Bundeskanzler — raten eher von neuen Gesetzen, d. h. von neuen staatlichen Befugnissen, ab und verweisen zurück auf die Gesellschaft.
Paradox ist auch die Kontroverse zwischen den beiden Parteien der Regierungskoalition. Die Liberalen — sonst eher eine Partei, die vor zuviel Staat warnt — forderten als erste der Parlamentsparteien ein Antidiskriminierungsgesetz mit Diskriminierungsverboten und Überwachungsinstanzen. Die Sozialdemokraten und die Gewerkschaften empfehlen dagegen eher positive Anreize auch ohne neue Gesetze und fordern, daß eine Bewußtseinsbildung in der Bevölkerung neuen Regelungen vorausgehen solle. Das Verständnis dieser paradoxen Situation wird noch erschwert dadurch, daß die beiden Lager pro und contra neue Gesetze und Institutionen in sich geteilt sind. jn der autonomen Frauenbewegung wird die orderung nach einem Antidiskriminierungs-gesetz teilweise als eine Forderung angese-
en, die man nur erhebt, um Staat und Parla-ment als Instrumente des Patriarchats zu entarven. Diese männerbeherrschten Institutionen würden sich — so dies Argument — nie-mals dazu bereit finden, wirksame Schritte zu einer wirklichen Gleichberechtigung und zu Eer auch tatsächlichen Gleichstellung von Tauen und Männern zu unternehmen. Es wird von den Anhängern dieser Meinung erwartet, daß die geforderten neuen gesetzlichen Regelungen entweder im Parlament scheitern oder so verwässert werden, daß es der Frauenbewegung leichter fällt, bisher nicht erreichten Schichten von Frauen klar zu machen, daß sie von der herkömmlichen Politik nichts zu erwarten haben.
Neben diesen Gruppierungen, für die die Forderung nach einem umfassenden und wirkungsvollen Antidiskriminierungsgesetz eher eine taktische Qualität hat, stehen andere, die daran glauben, daß neue Gesetze und Institutionen die Elemente einer neuen Etappe der Gleichberechtigungspolitik sein können, in der der Kampf um Verbesserungen der Lebenssituation von Frauen nicht mehr gleichsam gegen gesellschaftlichen und staatlichen Gegenwind geführt werden muß. Hinter dieser Haltung stehen teilweise Idealisierungen des Wirkungsgrades jener gesetzlichen und institutionellen Regelungen, die in den letzten Jahren in den USA Großbritannien und den skandinavischen Ländern eingeführt wurden.
Im anderen Lager der Skeptiker gegenüber einer vorrangigen Weiterentwicklung des gesetzlichen und institutionellen Überbaus findet sich eine ähnliche Spaltung. Bestimmte Vertreter dieser Haltung sind eigentlich grundsätzlich gegen neue energische Maßnahmen zur Förderung der Gleichberechtigung eingestellt und verbergen diese Position lediglich hinter dieser Skepsis. Soweit dabei nicht einfach „patriarchalische Machterhaltung" das Motiv ist, steckt dahinter z. T. die Furcht, insbesondere in der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften, bestimmte gesellschaftliche Gruppen, wie z. B. die männliche Facharbeiterschaft, könnten auf zu schnelle Entwicklungen allergisch reagieren. Bereits jetzt stellen Wahlenthaltung oder gar der politische Schwenk ins konservative Lager durch solche Gruppen eine Gefahr für die demokratische Machtbasis der sozialliberalen Koalition dar. Atomkraft, Pazifismusdebatte, Bildungspolitik u. ä. verunsichern gerade diese veriBsirag gibt die persönliche Auffassung des Gruppen sehr. Eine politische Entwicklung aber, die gar bis in die Wohn-und Schlafzimmer der „heilen Facharbeiterehen" hinein-schwappen könnte, wäre ein Zündstoff, den man fürchten müßte. Für diese Linie ist die stirnrunzelnd verkündete Skepsis gegenüber Spiel neuen Initiativen ein auf Zeit in der Hoffnung, daß unaufhaltsame Veränderungen möglichst erst jenseits des Horizonts des jeweiligen polifischen Lebens eintreten.
Daneben gibt es aber auch Skeptikerinnen und Skeptiker, die keineswegs Furcht vor echten Fortschritten auf dem Feld der Gleichberechtigung haben, im Gegenteil sondern einen kontraproduktiven Effekt der Diskussion um ein Antidiskriminierungsgesetz für wahrscheinlich halten. Diese Diskussion binde viele Kräfte in einer Debatte, die angesichts der gegenwärtigen nur in einem Alibigesetz oder einem gesetzgeberischen Debakel mit nachfolgender tiefer Depression für alle politischen Frauengruppierungen enden könne. Setze man diese Kräfte jetzt sinnvoller anders ein — in Projekten vor Ort, in bereits angelaufenen Programmen, in der verbesserten Zusammenarbeit bestehender Frauengruppen —, so werde man vielleicht nur langsam vorankommen, aber die Erfolge wären dauerhafter und schafften die Basis für wirklich durchgreifende Änderungen. Wie immer bei derartigen Typisierungen politischer Meinungsströmungen finden sich kaum Vertreter bestimmter Auffassungen in Reinkultur. Viele werden sich irgendwo zwischen den Linien finden, werden die Frage, welcher Einschätzung der Zukunft sie zuneigen, offenlassen.
Jeder muß wohl selbst zu einem Urteil finden. Angesichts der vielen Unsicherheiten, die in die Rechnung eingebaut sind, wird auch manches Schwanken und Zögern zu verzeihen sein. Die Diskussion sollte aber möglichst bald die abstrakte Ebene eines „ADG (= Antidiskriminierungsgesetz) ja" oder „ADG nein" verlassen. Wenn die Auseinandersetzung fruchtbar werden soll, muß möglichst intensiv über die Details vorgeschlagener neuer Gesetze und Institutionen gestritten werden. 2. Für eine offensive Auslegung des Grundgesetzes Welches ist dabei eigentlich die historische Ausgangsbasis dieser Debatte? über dem Blick auf das Jahr 1949, in dem der Gleichberechtigungsartikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes geschaffen wurde, sollte man nicht die größere Perspektive außer acht lassen.
Die deutsche Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert bietet mit einigen Länderverfassungen, der Verfassung der Paulskirche 1849 und der Reichsverfassung von 1871 ein für Frauen düsteres Bild.
Sieht man sich die sonst hochgelobte Verfassung der Paulskirche an, so findet man indem Abschnitt „Die Grundrechte des Deutschen Volkes" keine einzige Bestimmung, in der auch nur zur Kenntnis genommen würde, daß es Männer in und Frauen Deutschland gibt. Aus § 137 Abs. 3 der Paulskirchenverfassung mit dem Wortlaut „Die Deutschen sind vor dem Gesetz gleich" muß eher der Schluß gezogen werden, „Frauen sind keine Deutschen" als „Gleichheit vor dem Gesetz auch zwischen Frauen und Männern".
Erst im 20. Jahrhundert werden Grundrechte auch für Frauen wirksam. Von 1906 an dürfen Frauen, politischen Vereinen angehören, 1919 wird das Frauenwahlrecht eingeführt, und die Weimarer Verfassung legt in Art. 109 Abs. 2 fest: „Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten."
Nach dem jahrzehntelangen Kampf der Frauen um das Wahlrecht wurden einige Hoffnungen an diese juristische Errungenschaft geknüpft. Wenn Frauen wählen dürfen und das Parlament zur Fortentwicklung des Rechts berufen ist, so wäre es nur eine Frage der Zeit bis auch die rechtlichen Schranken des einfachen Gesetzesrechts für Frauen eingerissen würden.
Aber die Hoffnungen trogen. Gerade die Schranken im einfachen Recht, insbesondere im Familienrecht, und die dadurch aufrechterhaltene soziale Ordnung erwiesen sich unüberwindlich im Kampf für eine verbesserte Stellung der Frau. Gleiche staatsbürgerlis e Rechte für Frauen wurden zur Farce für eine Mehrheit von Frauen, die in patriarchalischen und autoritären Familien daran gehinde wurden, selbstbewußte und starke Individuen zu werden.
Es war diese Erkenntnis der Frauen im Parl mentarischen Rat der Bundesrepu 1 Deutschland 1949 und der Frauen im au er parlamentarischen Raum, die sie veranla e sich nicht mit der Weimarer Verfassungs or mulierung und vielleicht einem unverbin > chen Programmsatz zu begnügen. Gera auch das Familienrecht sollte kraft des Ver as sungssatzes verändert sein — mit einer Ordnungsmöglichkeit des Gesetzgebers bis 1953 und auch der Satz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" sollte direkt in der Verfassung enthalten sein.
Wenn nun Einigkeit darüber bestand, daß Frauen auch Menschen sind, hätte man es bei dem Satz . Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich" belassen können. Aber dieser Satz wurde nicht nur durch das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz: „Niemand darf wegen seines Geschlechts ... benachteiligt oder bevorzugt werden" ergänzt, sondern in Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz wurde mit der klassischen Formulierung: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt" eine gesonderte Bestimmung über das Verhältnis der Geschlechter aufgenommen.
Wieder durften an diesen juristischen Fortschrittvon Weimar nach Bonn große Hoffnungen geknüpft werden. Heute, mehr als 30 Jahre nach dieser Errungenschaft, müssen wir feststellen, daß die Hoffnungen zum Teil erneut getrogen haben. Bei dem gegenwärtigen Tempo der Entwicklung in Richtung auf die Gleichberechtigung müßte es noch weitere Jahrzehnte bis zu ihrer vollen Verwirklichung dauern.
Es dürfte Einigkeit darüber bestehen, daß die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes mit ihrem Gleichberechtigungssatz eine so langsame Entwicklung mit Sicherheit nicht gewollt haben. Es steckt zwar angesichts der sozialen Wirklichkeit, der dieser Satz entgegengestellt wurde, etwas Beschwörendes in dem Indikativsatz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt". 1949 wird man wohl auch mit einer Zeitverzögerung bei dem Erreichen einer Deckung zwischen Verfassung und Wirklich-keit gerechnet haben, aber daß eine ganze Generation später der Abstand noch so erheblich sein würde, ist planwidrig.
ch schlage deshalb vor, Art. 3 Abs. 2 analog zu Art 1 Abs. 1 des Grundgesetzes („Die Würde es Menschen ist unantastbar. Sie zu achten nd zu schützen ist Verpflichtung aller staatliC er Gewalt“) zu interpretieren. Es ist ja keineswegs so, daß die Menschenwürde wirklich wnantastbar wäre. Wir leben vielmehr in einer eit, in der die Menschenwürde in jeder Se-kunde mit Füßen getreten wird. Unzählige inder sterben an Hunger, * und auch in unse-km Land werden Tausende von Frauen und , I ern jedes Jahr vergewaltigt und mißhane t. Aber wenn dies so ist, dann ist unser Ge-meinwesen jedenfalls darauf verpflichtet, mit seiner staatlichen Gewalt nach Kräften dagegen anzukämpfen. Der Gleichberechtigungssatz enthält keine derartige Auftragsformel für die staatliche Gewalt wie Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz. Aber den Verfassungsgebern würde wohl kaum etwas nicht Gewolltes in den Mund gelegt, wenn man Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes so liest, als ob es hieße: „Die Gleichberechtigung zu ermöglichen und zu fördern ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Genau in diese gleiche Richtung gehen die Aussagen in einem Gutachten des Kölner Staatsrechtslehrers Prof. Friauf, der feststellt, daß Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes den Staat zu aktiver Förderung und Unterstützung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen verpflichtet. Nach Friauf fordert der Gleichberechtigungssatz die aktive staatliche Intervention zugunsten des benachteiligten Geschlechts — der Frauen.
Erst diese offensive Auslegung des Grundgesetzes wird der kämpferischen Vorgeschichte des Gleichberechtigungsartikels gerecht. Erst der Druck außerparlamentarischer Aktionen der Frauen hatte ja den „natürlich" überwiegend aus Männern bestehenden Parlamentarischen Rat entgegen früheren Entscheidungen des Hauptausschusses dazu bewogen, die über Weimar hinausgehende Formulierung doch noch zu akzeptieren.
Nicht ein Abwehrrecht gegen den Staat war mit dieser Bestimmung gemeint, nicht nur die Neutralität des Staates und des Rechts gegenüber einer in der Gesellschaft auszufechtenden Kontroverse über die angemessene Stellung der Frau im privaten und öffentlichen Leben sollte gesichert werden. Mit der Forderung nach vollständiger Gleichheit im rechtlichen Sinne war der Staat selbst in die Verantwortung gerufen. Wenn die gesellschaftliche Wirklichkeit den Gleichberechtigungssatz zu einer leeren Hülle macht, ist der Staat aufgerufen, gesellschaftsverändernd einzugreifen.
Natürlich sind damit die gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen nicht aus ihrer eigenen Verantwortung entlassen, auch selbst an der Umgestaltung der sozialen Wirklichkeit im Sinne der Wertentscheidung des Grundgesetzes mitzuarbeiten. Unzulässig ist aber der Vorwurf, der Ruf nach staatlicher Aktivität sei nur ein Ablenkungsmanöver von eigener Untätigkeit oder Wirkungslosigkeit.
Der Ruf nach neuen staatlichen und gesetzgeberischen Initiativen ist jedenfalls gemäß dem Grundgesetz legitim.
II. Die Tätigkeit des Bundes
Vor der Diskussion neuer Maßnahmen muß aber die bisherige Staatstätigkeit in diesem Bereich untersucht werden. Dabei müssen wir beachten, daß das föderalistische System der Bundesrepublik Deutschland die Verantwortlichkeiten auf den Bund und die elf Länder verbindlich verteilt. Dazu kommen als dritte Ebene die Kommunen (Gemeinden oder Städte), wo dem normalen Staatsbürger die Staatsgewalt noch am spürbarsten gegenübertritt. Die Aufgabe des Bundes in diesem Kräftespiel liegt zunächst einmal bei der Gesetzgebung. 1. Gesetzgebung Mit der Reform des Ehe-und Familienrechts und der Ergänzung des Bürgerlichen Gesetzbuches durch das Gesetz zur Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben (Arbeitsrechtliches EG-Anpassungsgesetz) sind wichtige Bereiche bereits angepackt worden. Die gleichberechtigungskonforme Reform der Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung steht noch aus, wird aber in dieser Legislaturperiode durchgeführt.
Neben der Gesetzgebung hat der Bund im wesentlichen drei weitere Handlungsfelder, um die Gleichberechtigung zu fördern. 2. Der Bund als Arbeitgeber Der Bund kann als Dienstherr und Arbeitgeber für seine Bediensteten Bedingungen schaffen, die der Gleichstellung von Frauen und Männern förderlich sind. Nicht erst das Gesetz für die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben hat hier die rechtliche Grundlage geschaffen, vielmehr wirkt hier der Gleichberechtigungsartikel des Grundgesetzes unmittelbar. Trotz der Tatsache, daß die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im öffentlichen Dienst bereits seit 1949 rechtlich bindend vorgeschrieben ist kann man kaum einen gravierenden Unter-s’chied zur Privatwirtschaft erkennen.
Frauen sind auch im öffentlichen Dienst hauptsächlich in den schlechter bezahlten Kategorien tätig und fehlen nahezu vollständig auf den Entscheidungsebenen. Der Grund für diese Situation dürfte darin liegen, daß es zur Erreichung der Gleichberechtigung — und die gleichrangige Beteiligung der Frauen am Arbeitsleben ist hierfür ein wichtiger Indikator — nicht ausreicht, daß der Staat als Dienstherr und Arbeitgeber passiv bleibt und sich darauf beschränkt, keine direkten Benachteiligungen vorzunehmen. Änderungen werden wohl nur eintreten, wenn öffentliche Arbeitgeber eine aktive Förderungspolitik einleiten, um früher entstandene oder durch die ganze Struktur des Dienstes bedingte Benachteiligungen auszugleichen. Für seinen Bereich hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit schon seit einiger Zeit diese Politik verfolgt. Der reatt hohe Frauenanteil im höheren Dienst dieses Ministeriums ist ein — wenn auch bescheidenes — Ergebnis dieses Bemühens. Jetzt so diese Politik auf Initiative des Arbeitsstabes Frauenpolitik durch einen offiziellen Frauen förderungsplan des Hauses noch wirkungso ler gemacht werden. Allerdings zeigt sich a gemein bei formalisierten Frauenförderungs plänen, wie schwierig ohne detaillierte gesetzliche Vorgaben die freie Gestaltung eines solchen neuen Instruments der Personalpolitik ist. Insbesondere ruft die Initiative für Frauenförderungspläne häufig das Mißverständnis hervor, die Verabschiedung eines solchen Plans sei gewissermaßen der versteckte Vorwurf an den Betriebsrat oder die Personalvertretung, sie habe in der Vergangenheit ihre Pflichten versäumt.
Man muß sich dazu in Erinnerung rufen, daß im Betriebsverfassungsgesetz und in den Personalvertretungsgesetzen die Pflicht der Vertretungsorgane festgelegt ist, darüber zu wachen, daß niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt wird. Allerdings ist die Überwachung der Einhaltung des Benachteiligungsverbotes im Einzelfall doch zu unterscheiden von planvollen, systematischen Förderungsmaßnahmen, die der Gleichstellung der Geschlechter dienen sollen. Zwar ist dieser Gestaltungsraum weder in der Betriebsverfassung noch im Personalvertretungsrecht den Vertretungsorganen rechtlich verschlossen, aber angesichts der Vielfalt der Aufgaben kann es niemandem zum Vorwurf gemacht werden, wenn solche Initiativen von Betriebsräten und Personalvertretungen bisher nicht ergriffen worden sind. Daß nun der Anstoß von außen kommt, sollte niemand krummnehmen. Im übrigen bestreitet niemand, daß Frauenförderungspläne zu dem Bereich der Personalpolitik sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der Privatwirtschaft gehören, in dem die Betriebs-und Personalräte Mitbestimmungs-und Mitgestaltungsrechte haben. Es ist deshalb zu hoffen, daß der Frauenförderungsplan im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit in diesem Geist bald vollendet werden kann und wirksam wird. m Bundesministerium des Innern gibt es ei-nen etwas anderen Denkansatz. Hier soll eine ersonalkommission zu einer Verbesserung der Situation der Frauen beitragen.
Ch bin sicher, daß es nur eine Frage der Zeit 1 ähnliche Entwicklungen in anderen Geschäftsbereichen der Bundesregierung in Ing zu setzen, sobald gute Erfahrungen mit en im Bundesministerium für Jugend, Fami-
6 und Gesundheit bzw. im Bundesministenuum des Innern erprobten Methoden vorlie-8en. Wichtig wäre dann insbesondere, daß der gesamte Bereich nachgeordneter Behörden sowie die Bundesunternehmen Bahn und Post erfaßt werden. 3. Öffentlichkeitsarbeit Das zweite Handlungsfeld des Bundes ist die Presse-und Öffentlichkeitsarbeit. Gerade diejenigen, die zunächst einen allgemeinen Bewußtseinswandel vor neuen gesetzlichen Initiativen fordern, verweisen gern darauf, daß ihrer Meinung nach noch nicht genug für Chancengleichheit von Frauen und Männern und für ein anderes Bild der Frau in der Öffentlichkeit geworben wird.
Mindestens seit dem Jahr der Frau 1975, das von den Vereinten Nationen ausgerufen wurde, gibt es bereits verstärkte Bemühungen in diese Richtung.
Der Arbeitsstab Frauenpolitik hat durch Poster und Postkarten, durch die Zeitschrift „Treffpunkt", durch „Informationsbörsen für Frauen" und durch Veröffentlichungen der verschiedensten Art diesen Weg verfolgt. Die Resonanz auf diese öffentlichkeits-und Informationsarbeit im Einzelfall ist erfreulich, und insbesondere die Teile der Öffentlichkeit — die Frauengruppen und Frauenverbände —, die den gleichen Zielen verpflichtet sind, nehmen die gewählten Formen gut an. Als Beispiel sei nur genannt, daß durch die Gewerkschaftsfrauen die Informations-und Werbemittel an eine sehr große Zahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weitergegeben werden.
Aber betrachtet man einmal die Öffentlichkeitsarbeit insgesamt und setzt die erzielte öffentliche Aufmerksamkeit für die Probleme der Gleichberechtigung in Relation zu Themen und Anliegen aus anderen Politikbereichen, dann wird klar, daß hier nicht der Königsweg zur Gleichberechtigung liegt. Dies ist auch kein Wunder.
Man braucht sich nur einmal anzusehen, welche Werbeetats großen Industrieunternehmen oder auch nur bestimmten privaten Organisationen zu Verfügung stehen. Das Fatale ist ja, daß aus diesen Etats eine Werbung finanziert wird, in der die Frau praktisch nie als Partnerin gezeigt wird, sondern es ist geradezu charakterisierend für moderne Werbung, daß sexuelle Motivationen kaum noch unterschwellig, sondern oft direkt und aggressiv ausgebeutet werden. Die Frau erscheint mal als Sexvamp, mal als Heimchen am Herd, immer offenbar darauf orientiert, wie ein Mann entweder verführt oder umsorgt werden kann. Das Werbebild der Frau — und dem wird auch in der kritischen Öffentlichkeit viel zu selten widersprochen — ist das einer vom Mann abgeleiteten Existenz. Diese indirekten Botschaften haben es noch insofern leicht, als sie lediglich affirmativ wirksam zu sein, d. h. bestehende Auffassungen bei der Mehrheit der Bevölkerung einschließlich vieler Frauen zu bestätigen brauchen.
Öffentlichkeitsarbeit für die Gleichberechtigung soll dagegen Einstellungsänderungen z. T. gegen erheblichen psychischen Widerstand bewirken. Mit ca. 600 000, — DM, wie sie z. B. 1981 dem Arbeitsstab Frauenpolitik für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung stehen, gleicht dies dem Kampf Don Quichotes gegen die Windmühlenflügel. Selbst eine Vervielfachung dieser Mittel, die ohnehin in der heutigen Finanzsituation nicht erreichbar wäre, könnte an dem grundsätzlichen Dilemma nichts ändern. 4. Modelle Der dritte nicht-gesetzgeberische Handlungsbereich des Bundes zur aktiven Förderung von Frauen sind sogenannte Modellversuche. Modelle sind Maßnahmen oder Einrichtungen, die im Rahmen der geltenden Gesetze zulässig sind, die aber in einer bestimmten neuen Form oder mit einer neuen speziellen Konzeption noch nicht erprobt sind.
Modelle sind keineswegs ein Privileg des Bundes, sondern jeder andere öffentliche oder private Träger kann derartige Versuche durchführen, um später mit einer überzeugenden Darlegung der erzielten Ergebnisse für die Verallgemeinerung und insbesondere die Regelfinanzierung aus öffentlichen Mitteln zu werben.
Da der Bund im sozialen Bereich praktisch keine eigene ausführende Kompetenz hat, berühren Modellversuche des Bundes in besonderer Weise die Länder und Gemeinden. Notwendigerweise sind es Länder-oder Gemeindeinstitutionen, die durch die Modellinitiative zu Innovationen angestoßen werden sollen.
Hinter unserem förderativen Staatsaufbau steht die Idee, daß die Länder (und Gemeinden) in einen für die Bürger fruchtbaren Wettbewerb um die beste Einrichtung des Gemeinwesens eintreten. Leider sind aber innovative Ideen, die in einem Land entwickelt werden und dann — wegen des Erfolges — in anderen Bundesländern übernommen werden, immer seltener geworden. Die Rolle des Anstoßers neuer Entwicklungen hat deshalb in vielen Bereichen insbesondere der Sozial-und Gesellschaftspolitik der Bund übernommen. Ange, strebt und vielfach erreicht wird immer eine Konstruktion, in der einzelne oder auch mehrere Länder Mitträger des Modellversuchs werden. Ein solcher Ansatz erleichtert den späteren Übergang zu einer Regeleinrichtung. Für den Bund gilt die Regel, daß Modellvorhaben wissenschaftlich begleitet werden. Unabhängige Fachleute beobachten die neuen Verfahrensweisen von Anfang an. Dem Personal des Modells werden schon im Verlauf Hinweise auf Fehlentwicklungen und für die bestmögliche Entfaltung der neuen Ansätze gegeben. Aus der wissenschaftlichen Begleitung wird dann nach Abschluß der Modellphase ein Bericht für eine möglichst breite Fachöffentlichkeit formuliert, auf dessen Basis eine rationale Diskussion über die regionale Einführung des modellhaft Erprobten möglich ist.
Beispielhaft für den Bereich der Frauenpolitik ist hier der Modellversuch mit einem Frauenhaus in Berlin, der vom Bund zusammen mit dem Land Berlin gefördert wurde.
Ausgehend von Vorbildern in anderen Län•dern — die erste Zufluchtstätte für geschlagene Frauen wurde in England errichtet — wurde ein selbstverwaltetes Frauenhaus eingerichtet. Es wurde erprobt, wie man Frauen nicht nur Schutz vor weiteren Mißhandlungen gewährt, sondern wie Fachkräfte, die bewußt die Partei dieser Frauen ergreifen, Hilfe zur Selbsthilfe geben können. Dieser Modellversuch ist ein Erfolg gewesen und hat die Tragfähigkeit dieser von der neuen Frauenbewegung nachdrücklich geforderten Konzeption bewiesen. Von diesem Modellversuch sind — auch schon vor seinem Abschluß — wichtige Impulse auf die Frauenhausbewegung in der Bundesrepublik ausgegangen. Heute — sechs Jahre nach dem Beginn des Versuchs — gibt es in allen Bundesländern Frauenhäuser — zusammen über 50, bei weiteren über 100 Gründungsinitiativen für andere Städte. In einem Teil der Bundesländer gibt es dafür bereits eine relativ gesicherte finanzielle Basis. Der Bund engagiert sich in diesem Bereich weiter durch einen Modellversuch über ein Frauenhaus im überwiegend ländlich strukturierten Raum.
Der Arbeitsstab Frauenpolitik kann gerade zu diesem neuen Modellversuch ein Lied davon singen, wie kompliziert die Verhandlungen mit den Ländern und den Gemeinden und den Trägern geworden sind. Man kann sogar ins gesamt feststellen, daß die Durchführung von Modellversuchen in der letzten Zeit schwieriger geworden ist Die Länder haben nach den Erfahrungen der letzten Jahre immer weniger Lust, sich durch den Bund zu Innovationen treiben zu lassen, die sie dann finanzieren und tragen müssen.
Auf eine weitere Schwierigkeit im Zusammenhang mit Modellversuchen, die nur scheinbar technischer Natur ist, sei hier hingewiesen. Gerade Modellversuche und wissenschaftliche Untersuchungen im Vorfeld solcher Modelle im Bereich der Frauenpolitik, für die man als Partner entweder freie Fraueninitiativen oder auch Wissenschaftlerinnen braucht, die im Wissenschaftsbetrieb noch nicht verankert sind, machen eine exakte Haushaltsplanung beinahe unmöglich. Tritt etwa der Arbeitsstab Frauenpolitik an eine Frauengruppe heran, um für ein bestimmtes Projekt die finanziellen Bedingungen auszuhandeln und dabei gleichzeitig das Handlungskonzept für die geplante Maßnahme festzulegen, so werden unweigerlich erhebliche Hoffnungen auf eine Förderung geweckt. Im Vertrauen auf diese Aussicht wenden gerade Frauengruppen oftmals in erheblichem Maße unbezahlte Arbeitsstunden von freiwilligen Mitarbeiterinnen auf, was es später beinahe unmöglich macht, eine Absage zu erteilen. Die Politik des Arbeitsstabes, Frauenpolitik war es deshalb bisher, die jeweiligen Projekte möglichst ohne jede Zusage an eine bestimmte Gruppe oder Stadt soweit vorzubereiten, als dies nur eben möglich war. Erst nach der definitiven Bewilligung der betreffenden Mittel durch das Parlament sollten dann jeweils die endgültigen Festlegungen folgen. Aus diesem Grunde waren z. B. in der Haushaltsplanung 1981 zahlreiche Projekte zwar inhaltlich genau umschrieben und vorbe-
eitet, in den entsprechenden Listen war es jedoch noch nicht möglich, den genauen Träger und die einzelnen Beträge auf Heller und Pfennig aufzuführen.
Genau diese Tatsache aber nahm das Parlaent, der Bundestag, zum Anlaß, die Mittel es Arbeitsstabes Frauenpolitik für Modell-
‘nahmen und andere Ausgaben für Offent-
c keitsarbeit und für die Förderung von Hauenverbänden um sage und schreibe 25 % v Regierungsentwurfs — also von 3, 6 auf 2, 8 t 1 DM — zu kürzen. Andere Forschungstie des Bundeshaushalts, die für jede Mark ge-Nu angeben konnten, welche professoralen yiuerbezieher von Bundeshilfe sie erhalten 0 ten, blieben auf oft vielfach höherem Gesamtvolumen relativ ungeschoren. Gerade die Frauenprojekte, in denen oft noch jede Menge unbezahlte Arbeit sozial engagierter Freiwilliger durch die Förderung mitangestoßen wird, mußten aber eine für diesen Bereich so erhebliche — für den Gesamthaushalt allerdings völlig unbedeutende — Einbuße erleiden.
Um diesen Handlungsbereich der Frauenpolitik in seiner Breite — die in der Öffentlichkeit oft nicht zur Geltung kommt — zu umschreiben, seien hier die gegenwärtig vom Arbeitsstab Frauenpolitik durchgeführten Modelle einmal stichwortartig aufgelistet:
Berufliche Bildung:
Während der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und eine Reihe von Bundesländern Programme durchführen, die Frauen zu qualifizierten gewerblich-technischen Berufen führen sollen („Mädchen in Männerberufe"), sieht es der Arbeitsstab Frauenpolitik zusätzlich dazu als dringlich an, auch für die Verbesserung der Ausbildungs-und Berufssituation in den sogenannten typischen Frauenberufen nach Ansatzpunkten zu suchen. Er fördert deshalb eine modellhafte Untersuchung mit dem Titel: „Junge Frauen als Auszubildende und Berufstätige im Warenverkauf — Berufliche Sozialisation, Arbeits-und Lebens-perspektiven".
Allgemeine Weiterbildung:
Eine Untersuchung: „Entwicklung von Kriterien zur Gestaltung von Bildungsangeboten für Frauen" wurde gerade abgeschlossen. Der Bericht stellt dar, welchen Erfordernissen Bildungsangebote für Frauen gerecht werden müssen und wie die Maßnahmen inhaltlich und organisatorisch zu gestalten sind.
Berufliche Weiterbildung und Wiedereingliederung: Dieser Bereich stellt schon seit einigen Jahren einen Schwerpunkt der Frauenpolitik der Bundesregierung dar. Bereits 1976 wurde ein erster Modellversuch „Berufliche Wiedereingliederung arbeitsloser berufsloser Frauen" in Frankfurt angefangen. Ein Bericht darüber liegt seit September 1980 vor. Eine zweite Modellphase hat sich inzwischen angeschlossen. Zwei weitere Modelle in Rheine und Düsseldorf laufen unter dem Titel „Berufliche Wiedereingliederung von Frauen nach der Erziehungsphase". Die in diesen Modellen erprobten dreimonatigen Orientierungskurse sollen jetzt bereits als Regelmaßnahmen bei einzelnen Arbeitsämtern eingeführt werden.
Beruf und Arbeitswelt:
Zu nennen ist die wissenschaftliche Untersuchung „Daten zur Frauenarbeitslosigkeit", die der Arbeitsstab Frauenpolitik 1980 vorgelegt hat. Mit dem Projekt „Familienfreundliche Gestaltung des Arbeitslebens“ sollen die Voraussetzungen zu einem Modellversuch in diesem Bereich geschaffen werden. Die wissenschaftliche Untersuchung „Der Beitrag erwerbstätiger Frauen zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung" will zeigen, welchen finanziellen Beitrag die erwerbstätigen Frauen zum Steueraufkommen und zu den Systemen der sozialen Sicherung leisten.
Frau und Familie:
Im Modellvorhaben „Müttertreff Ludwigsburg" werden neue Konzeptionen für die Arbeit mit nichterwerbstätigen Hausfrauen und Müttern erprobt. Im Modell „Förderung von ehrenamtlichem Engagement bei Hausfrauen im Saarland" wird versucht, über die Aktivierung von Frauen für Tätigkeiten in ihrem Gemeinwesen die Isolierung während der Phase der Kindererziehung zu überwinden. Mit dem Gutachten „Diskriminierung der Frau im Familienrecht und in verwandten Rechtsgebieten" geht die Suche nach noch verbliebenen rechtlichen Lücken der Gleichberechtigung weiter. Durch die Untersuchung „Staatliche Leistungen für Ehefrauen" soll mehr Licht in die Transfersgebracht werden, die an den Tatbestand Ehe anknüpfen. Hilfen bei Gewalt gegen Frauen: Neben den oben bereits genannten Projekten Frauenhaus Berlin und Frauenhaus im ländlichen Bereich wird ein weiteres wichtiges Problem mit der Untersuchung „Vergewaltigung als soziales Problem — Notruf und Beratung für vergewaltigte Frauen" angegangen. Ältere Frauen:
Im Modellvorhaben „Neuer Start mit 60“ inTübingen sollen ältere Frauen zur aktiven Gestaltung ihres Lebens ermutigt werden.
Jugendarbeit für Mädchen:
In den theoretischen und praktischen Ansätzen der Jugendarbeit werden die besonderen Probleme und Bedürfnisse Von Mädchen bisher zu wenig berücksichtigt. Dieses Defizit soll durch das Modell „Mädchenorientierte Jugendarbeit zur Unterstützung weiblicher Jugendlicher bei ihrer Lebensbewältigung und -gestaltung" verringert werden.
III. Länder und Gemeinden
Nachdem nun in einiger Ausführlichkeit die bereits genutzten Handlungsmöglichkeiten des Bundes geschildert wurden, möchte ich noch einige Hinweise auf die entsprechenden Aktionsfelder der'Länder und Gemeinden geben.
Im Bereich der Gesetzgebung bleibt den Ländern nur ein relativ enger Spielraum. Allerdings böten etwa der Bildungssektor oder bestimmte Felder im Medienbereich — etwa die Rundfunk-und Pressegesetze — einige sehr wichtige Ansatzpunkte.
Länder und Gemeinden sind ebenfalls Arbeitgeber. Z. B. hat die Stadt Rüsselsheim auf Anregung des Arbeitsstabes Frauenpolitik erklärt, sie werde einen Frauenförderungsplan erlassen und durchführen. Dieses Beispiel sollte Schule machen.
Im Bereich der Modellversuche wurde bereits oben ausgeführt, daß Länder und Gemeinden die Möglichkeiten haben, die gleichen Ideen aufzugreifen oder auch andere Ansätze zu erproben. Öffentlichkeitsarbeit zur Förderung der Gleichberechtigung ist ebenfalls nicht an einen bestimmten Träger gebunden. Außerdem haben sowohl Länder wie Gemeinden entweder im Rahmen ihrer Organisationsgewalt oder auf gesetzgeberischer Grundlage die Möglichkeit, öffentliche Stellen zu Schafen, die sich als Ansprechpartner in allen nagen anbieten, in denen Frauen konkrete Benachteiligungen beklagen. Eine Reihe V 0 Ländern hat diesen Schritt bereits getan, Wo bei lediglich Bremen ein Landesgesetz Grundlage gewählt hat. Auch in einigen Ge-meinden ist die Einrichtung entsprechen: Ämter geplant. Zu nennen sind hier Reckling hausen und Köln.
IV. Wird aus der Schnecke ein Traber?
Je nach Standpunkt der eingangs skizzierten Lager sind diese Aktivitäten des Staates entweder reine Alibiveranstaltungen oder bereits ernsthafte und ausreichende Ansätze, bestehende Defizite abzubauen, oder gehen bereits zu weit, weil wichtige Teile der Bevölkerung manchem Modellansatz noch völlig verständnislos gegenüberstehen.
Die wichtigste Frage für mich besteht aber darin, ob durch die Debatte um ein Antidiskriminierungs-oder Gleichstellungsgesetz, oder wie immer es heißen mag, das positive Moment in den bisherigen Aktivitäten eher gebremst oder durch eine wachsende öffentliche Bewußtheit über die offenen Probleme beschleunigt wird.
Ich will dies an einem Beispiel verdeutlichen. Es wäre ein Pyrrhussieg, wenn etwa durch eine durch ein Antidiskriminierungsgesetz monopolisierte öffentliche Debatte die Bemühungen zur Einrichtung weiterer Gleichstellungsstellen in den Ländern, wo sie noch fehlen, oder etwa zur finanziellen Sicherung der Frauenhäuser zum Erliegen kämen.
Umgekehrt wäre es eine unschätzbare Hilfe, wenn sich unter dem Eindruck weitergehender Forderungen für ein Gleichstellungsgesetz mehr Unternehmen auf freiwilliger Basis verpflichten würden, Frauen in ihren Betrieben bereits jetzt bessere Chancen einzuräumen. Gerade hier ist klar, daß gesetzliche Bestimmungen erst mit einer erheblichen Zeitverzögerung wirken würden. Nach den amerikanischen Erfahrungen muß man nahezu mit einem Jahrzehnt rechnen.
Gesetzliche Regelungen — noch dazu mit ei-nem gewissen unvermeidlichen Bürokratismus belastet — könnten im schlechtesten Fall sogar den offenen oder verdeckten Widerstand bei ganzen Gruppen von Unternehmen verstärken. Wieviel besser wäre es dagegen, wenn progressive Unternehmen auf freiwilli-ger Basis und mit sofortiger Wirkung nach" eisen würden, daß Frauenförderungspläne hichtnur dem abstrakten Ziel der Gleichbe-Techtigung dienen, sondern den Unternehmen ein größeres Potential an qualifizierten Mitareitern erschließen helfen.
Noch in einem weiteren Bereich ist es denk-
4, daß eine gute, sachliche, aber nicht zu eng au Gesetzgebung fixierte Debatte über neue ustnimente bereits jetzt hilfreich wäre.
Ich habe oben bereits angedeutet, daß der Trend zu sexuell aggressiver Werbung stark ist Vielleicht hilft auch hier die Ausformulierung handhabbarer staatlicher Instrumente der Kontrolle der Werbewirtschaft auf die Sprünge, durch freiwillige Selbstkontrolle den Trend umzukehren.
Risiken und Chancen sind also verbunden mit der vom Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung vom 24. November 1980 angekündigten Prüfung, ob durch ein Antidiskriminierungsgesetz die Situation der Frauen verbessert werden kann. Diese Prüfung sollte in einen größeren Zusammenhang gestellt werden. Erstens: Die Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages hat im vergangenen Herbst ihre Vorschläge vorgelegt. Eine breite öffentliche Diskussion hat bisher nicht stattgefunden. Auch die Resonanz auf die Debatte im Plenum des Deutschen Bundestages am 19. März 1981 ist mager gewesen. Ich meine aber, daß es die gründliche Arbeit dieser Kommission aus Parlamentarierinnen und Parlamentariern und Expertinnen und Experten verdienen würde, von der deutschen Öffentlichkeit aktiv zur Kenntnis genommen zu werden. Die zahlreichen Empfehlungen dieser Kommission sind z. T. nur durch gesetzgeberische Maßnahmen in den verschiedensten Bereichen umzusetzen.
Zweitens: Der Deutsche Bundestag hat in einer Entschließung aus Anlaß der Verabschiedung des Arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetzes zum Ausdruck gebracht, daß weitere gesetzliche Maßnahmen sowohl in diesem wie in anderen Bereichen überlegt werden sollten. Dabei wurden besonders Schulwesen, Medien, Werbung, Wohnungsmarkt, Wirtschaftsverkehr, Kreditwesen und andere Dienstleistungsbereiche genannt. Bis Ende 1982 soll die Bundesregierung dem Bundestag dazu einen Bericht vorlegen.
Drittens: Die Bundesregierung hat auf der Weltfrauenkonferenz 1980 in Kopenhagen das Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau unterzeichnet. Als Voraussetzung der Ratifizierung dieses völkerrechtlichen Vertrages muß ein Zustimmungsgesetz von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich, daß die Bundesregierung in absehbarer Zeit dazu Stellung nehmen wird, ob und gegebenenfalls welche neuen gesetzgeberischen Maßnahmen auf dem Gebiet der Gleichstellung der Frau ergriffen werden sollen.
Dabei kann man im wesentlichen folgende Fragenbereiche unterscheiden:
Muß die Geltung des Gleichberechtigungssatzes des Art. 3 Abs. 2 GG in allen Lebensbereichen auch mit Wirkung für Privatpersonen, Unternehmen, Verbände etc. ausdrücklich festgestellt Welche Bereiche haben werden?
dabei Priorität? Welche Ausnahmen sind vorzusehen? Sollen zur Durchsetzung der Rechte für gerichtliche oder außergerichtliche Verfahren Erleichterungen (Beweislastumkehr, Verbandsklage u. ä.) geschaffen werden? Sollen bestimmte diskriminierende Verhaltensweisen (z. B. Ungleichbehandlung bei Einstellung, Beförderung und Stellenausschreibung) als ordnungswidrige Tatbestände umschrieben und mit einem Bußgeld oder einer Strafe bedroht werden?
Soll die besondere Förderung von Frauen Firmen und Institutionen zur Auflage gemacht werden — ggf. sollen Zuwendungen des Staates an solche Auflagen geknüpft werden? Welche Kontrollmechanismen sollen für die Durchsetzung der Gleichstellung von Frauen und Männern eingerichtet werden? Sollen die Kompetenzen bei einer unabhängigen Stelle (z. B. einem Gleichstellungsamt oder einer Kommission) zusammengefaßt werden? Welche Aktionsmöglichkeiten sollen für eine solche Stelle geschaffen werden?
Aus diesen Fragenbereichen haben der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit und der Bundesminister des Innern einen Katalog von Einzelfragen zusammengestellt, die in einer Anhörung am 5. und 6. November 1981 an Vertreterinnen der Frauenverbände, Frauen aus der autonomen Frauenbewegung und weitere Sachverständige gestellt werden sollen. Nach Auswertung der Antworten wird das Bundeskabinett darüber zu befinden haben, ob ein Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz oder ein Gleichstellungsgesetz ausgearbeitet werden soll. Das Bundeskabinett wird auch zu entscheiden haben, ob aus Neuregelungen für verschiedene bestehende Gesetze eine Art Geleitzug in Form eines Artikelgesetzes zusammengestellt werden soll. Die Alternative sind mehrere Gesetze, die nacheinander zu erlassen wären.
Die Anhörung und die bis zum Ende des Jahres 1981 laufende Diskussion in den Parteien werden zeigen, ob die Zeit für ein neues Gesetz schon reif ist.
Zwei Punkte dürften entscheidend sein:
Ist erstens die Konzeption solcher Vorschriften schon ausgereift genug, um auch bei einem hinhaltenden Widerstand der Betroffenen ohne allzu großen Verwaltungsaufwand durchgesetzt zu werden?
Und besteht zweitens der politischen Wille, vom Schneckengang beim Fortschritt der Gleichberechtigung zu einem leichten Trab überzugehen?
Fehlt es an ausgereiften Vorschriften, müssen wohl in erster Linie die Ministerien und das Parlament nacharbeiten. Man kann von gesellschaftlichen Gruppierungen nicht erwarten, daß sie fertige Gesetzestexte liefern, die von Regierung und Parlament nur noch durchgezogen werden müssen.
Fehlt es aber an politischem Druck für die Gleichberechtigung, dann ist die Öffentlichkeit gefordert, der Gleichberechtigung auch neben Nachrüstungsdebatte und Haushaltssanierung genügend Gehör zu verschaffen.
• Ein sehr wichtiges Feld bleibt aber nach meiner Meinung auf jeden Fall dem kaum staatlich beeinflußbaren gesellschaftlichen Wandel überlassen.
Tatsächliche Gleichstellung erfordert die Veränderung der Rollen von Männern und Frauen in der Familie. Dies ist im Rang mindestensgenauso wichtig wie Verbesserungen im Arbeitsleben. Aber partnerschaftliche Lebens-und Familienmodelle können und sollen nicht per Gesetz aufgezwungen werden.
Ich möchte mit einer nachdenklichen Bemerkung schließen. Nach meiner Einschätzung ist — trotz aller Enttäuschung darüber, wie langsam es vorangeht — in unserer Gesellschaft auf breiter Front eine Entwicklung zu einem veränderten Selbstverständnis von Frauen und Männern in Gang gekommen. Unterstellt, der Staat — Legislative, Exekutive und Judikative — sorgte für alles, was für eine starke Beschleunigung dieser Entwicklung notwendig ist, so ist nicht auszuschließen, da dadurch gesellschaftlicher Widerstand in erheblichem Maße mobilisiert würde.
Staat in parlamentarischen Gesellschaft sind einer Demokratie ein System kommunizierender Röhren. Innerhalb dieses Systems gibt es ein — zugegeben: schwer bestimmbares — optimales Tempo für Veränderungen, zu langsam ist falsch und zu schnell ebenfalls. Manchmal sind graduelle Veränderungen besser geeignet, Widerstände niedrig zu halten und zu überwinden.
Eine über das optimale Tempo hinaus forcierte Gleichstellungspolitik kann bestimmte gesellschaftlich wichtige Gruppierungen in eine Situation treiben, in der sie sich vor echte oder vermeintliche Machtfragen gestellt sehen. Von daher sind gefährliche Rückschläge denkbar, wenn der Bewußtseinsstand von Regierung und Regierten oder von Staat und Gesellschaft zu weit auseinanderklafft. Die Vollendung der Gleichberechtigung ist ein hoher Wert der Verfassung. Er verdient eine Politik, die weder überzieht noch Chancen durch falsches Zögern versäumt.
Bernd Warnat, geb. 1946, Oberregierungsrat; Studium der Rechtswissenschaft in Frankfurt a. M., Tübingen, Berlin (West), Toronto/Kanada; 1975— 77 BM für Jugend, Familie und Gesundheit — Referat Gesundheitspolitik, 1977— 79 BM für Arbeit und Sozialordnung — Referat Gesundheitsökonomie, Gesundheitsplanung, seit 1979 BM für Jugend, Familie und Gesundheit — Arbeitsstab Frauenpolitik. Veröffentlichungen: Legal Cost Insurance in Germany — A Model for Canada and Other Common Lav Countries?, Toronto/Kanada 1972; Das schwedische Gesundheitswesen, in: Die Ortskrankenkasse 20/1977.
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